Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten - Max Dauthendey - E-Book
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Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten E-Book

Max Dauthendey

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Beschreibung

In 'Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten' entführt uns Max Dauthendey in eine faszinierende Welt voller exotischer Kultur und bezaubernder Liebesgeschichten. Der Autor verwebt auf meisterhafte Weise Elemente der japanischen Folklore mit romantischen Erzählungen, die den Leser in ihren Bann ziehen. Dauthendeys beschreibender Stil und seine detailreiche Darstellung der japanischen Landschaft und Bräuche schaffen eine einzigartige Leseerfahrung, die sowohl informativ als auch unterhaltsam ist. Das Buch ist ein Juwel der deutschen Exotikliteratur, das einen tiefen Einblick in die japanische Kultur und die Facetten der Liebe bietet. Max Dauthendey, ein bekannter deutscher Dichter und Schriftsteller, war fasziniert von der japanischen Kultur und reiste selbst nach Japan, um die Inspiration für seine Werke zu finden. Seine persönliche Faszination für das Land und seine Liebe zur Poesie spiegeln sich in jedem Satz dieses Buches wider. 'Die acht Gesichter am Biwasee' ist ein absolutes Muss für alle Liebhaber exotischer Literatur, die von fesselnden Geschichten und fremden Kulturen angezogen werden. Lassen Sie sich von Dauthendeys Meisterwerk in die Welt des fernen Osten entführen und tauchen Sie ein in die Magie der japanischen Liebesgeschichten.

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Max Dauthendey

Die acht Gesichter am Biwasee: Japanische Liebesgeschichten

 
EAN 8596547074861
DigiCat, 2022 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren sehen
Den Nachtregen regnen hören in Karasaki
Die Abendglocke vom Miideratempel hören
Sonniger Himmel und Brise von Amazu
Der Wildgänse Flug in Katata nachschauen
Von Ishiyama den Herbstmond aufgehen sehen
Das Abendrot zu Seta
Den Abendschnee am Hirayama sehen

Die Segelboote von Yabase im Abend heimkehren sehen

Inhaltsverzeichnis

Hanake hatte allen Körperschmuck, den ein japanisches Mädchen sitzend, trippelnd und liegend zeigen muß, um zu den göttlichen Schönheiten der Vergänglichkeit gezählt zu werden. Ihr Hals war biegsam wie eine Reiherfeder, ihre Arme kurz wie die Flügel eines noch nicht flüggen Sperlings. Saß sie auf der Matte und bereitete ihren Tee, so arbeitete sie vorsichtig wie unter einer Glasglocke. Ging sie abends mit ihrer Dienerin auf den hohen Holzschuhen zum Theater, so war sie unauffällig, als hätte sich ihr Körper mit der Sonne zur Ruhe gelegt, und als ginge nur ihr Schatten mit der Dienerin und der Papierlaterne den Weg zu den Schatten. Lag sie in der Nacht hinter den geschlossenen Papierwänden ihres Hauses mit frisiertem Kopf auf der Schlummerrolle und zog mit den Fingerspitzen den seidenen Schlafsack ans Kinn, so war ihr feines, vom Mond beschienenes Gesicht vornehm, als wäre es aus Jadestein geschnitten und erschien unzerbrechlich und unvergänglich.

Hanake war das reichste Mädchen am Biwasee, nicht bloß reich an der äußeren Schönheit, welche die Frauen ruhig und wunschlos macht, – auch reich an Besitz. Die Götter der Vergänglichkeit hatten sie mit ihren glänzendsten Geschenken, mit Schönheit und Geld, verwöhnt. Aber auch die Göttin der Unendlichkeit hatte ihr eine Seele in die Augen gegeben, so daß ihre Augen weinen konnten, denn die Wollust der Träne ist das höchste Geschenk dieser Göttin.

Lange, ehe der Krieg Japans mit Rußland begann, hörte Hanake in ihrem Hause am Biwasee von Freunden und Freundinnen, die im Sommer über die Berge von Kioto zum Besuch zu ihr an den See kamen, daß die Fremden vom Westen wie böse Heuschreckenschwärme in Japan erwartet würden, um die Männer zu töten, die Frauen zu verschleppen und sich in das Land zu teilen. Auf dem Biwasee würde man dann bald Schiffe sehen, die Rauch ausstießen und die Seetiefe mit Schrauben aufwühlten. Auf Eisen würden bald Eisenwagen, rasselnd wie Gewitterwolken, täglich durch Japan eilen. Diese Wagen würden die Fremden in Massen nach Kioto und an die Ufer des Biwasees bringen. Die leichten Vogelkäfige der Bambushäuser würden verschwinden, und Steinhäuser, wie man sie im Westen der Erde baut, würden zum Himmel wachsen, und überall würde dann Rauch und Eisenlärm sein. Denn die Fremden lieben das Eisenrasseln und können ohne die betäubende Stimme des Eisens nicht leben: sie lieben, das Leben als einen ewigen Krieg anzusehen. Sie sind wie Donnergötter ungeduldig und aufstampfend, und sie werden schlimmer als Wolkenbrüche und schlimmer als Taifun Japan verheeren, so sagte man.

Hanake, die keine Eltern hatte und nur mit ein paar Dienerinnen und Dienern noch das Haus ihres Vaters bewohnte, hörte gruselnd die Berichte ihrer Freunde und erfand mit ihren Freundinnen kleine Spottlieder, welche die Dämonen des Westens verhöhnten, Lieder, die sie abends bei den Bootfahrten in lampenerleuchteten Booten auf dem Biwasee sangen.

Eines Abends – die Sonne war eben untergegangen, der See war hell, als wäre er aus Porzellan, weiß und glänzend, der Himmel war golden, als hätte Hanake eine ihrer Truhen geöffnet, die aus Goldlack waren, und die Geheimfächer enthielten, – trat Hanake auf den Landungssteg, der vor ihrem Haus in den See reichte, und den links und rechts hohes Schilf umwiegte.

In der Richtung nach Yabase erschienen drei Segelboote. Die drei Segel glitten wie senkrechte Papierwände über das abendglatte Wasser. Man sah keine Menschen; denn jedes Segel reichte so tief, daß es das Boot verdeckte. Die aufgepflanzten Segel wurden größer und kamen näher: Hanake fühlte eine Bangigkeit, als kämen mit den drei Segeln drei weiße, unbeschriebene Blätter aus ihrem Schicksalsbuch geschwommen, und plötzlich las sie, als eine Sekunde von Windstille die Segel schlaff werden ließ, ein japanisches Schriftzeichen, zufällig entstanden aus den Falten jeder Segelleinwand. Das erste Boot sagte: «Ich grüße dich.» Das zweite Boot sagte: «Ich liebe dich.» Das dritte Boot sagte: «Ich töte dich.»

Nach der kurzen Windstille, die knappe Sekunden dauerte, wechselte der See seine Farbe; wie vergossene schwarze Tusche über weißes Papier lief eine Finsternis über die Seefläche, und ganz unvermittelt setzte ein trompetender Seesturm ein, der alle drei Segel fast flach auf das Wasser legte, als müßte die Leinwand den Seeschaum reiben; Hanake tat einen Schrei vor Entsetzen, da sie glaubte, die Segelboote müßten unter dem plötzlichen Wind und in den kreiselnden Wellen versinken.

Aber die drei Boote hoben sich wieder. Geschickte Hände regierten die Segel. Doch dieses sah Hanake nicht mehr. Sie hatte zugleich mit dem Schrei, als das aufgeregte Schilf ihr um den Nacken schlug, einen Sprung in die Luft gemacht wie eine elektrisierte Katze und war in das Wasser gefallen; und als sie die Augen öffnete, sah sie ein Rudel Fische und wußte, daß sie unter dem Wasser war, als wäre sie selbst ein Fisch. Dann verlor sie das Bewußtsein.

Als sie aufwachte, lag sie in ihrem Zimmer. Es war Nacht, eine Kerze brannte, und ihre Lieblingsmagd, welche «Singende Seemuschel» hieß, kniete neben ihr und weinte in beide Hände. Man hatte sie umgekleidet, aber sie roch noch das Seewasser, von dem ihr Haar naß war, und sie besann sich sofort wieder auf die drei Schiffe, und ihre erste Frage war: «Sind die drei Segelboote, die aus Yabase kamen, untergegangen?»

Die Magd antwortete nicht, hörte auf zu weinen und streichelte die Hände ihrer Herrin, entzückt, sie wieder lebend zu sehen.

«Sind die drei Segelboote untergegangen?» fragte Hanake beharrlich.

Aber die Singende Seemuschel hatte keine Segelboote gesehen. Die Magd hatte die Herrin auf dem Kies im Schilf gefunden und geglaubt, das junge Mädchen sei von der Landungsbrücke ins Wasser gefallen und habe sich durch einen Zufall selbst gerettet.

«Schiebe die Seefenster auf», sagte Hanake zur Magd. Diese tat, wie ihr befohlen. Draußen lagen der See und der Himmel wie ein einziges schwarzes Loch: kein Stern, kein Mond, kein Licht auf dem See. Hanakes Fenster schienen in einen Abgrund zu schauen, und dem jungen Mädchen war, als müsse sie zum zweitenmal ertrinken, so schmerzhaft wurde ihr die Finsternis draußen. Und in ihrer Brust war eine Leere, so unendlich wie die Nacht über dem Biwasee, als habe sie einen großen Verlust erlitten, als wäre mit den drei Booten ihr Herz fortgezogen; und totenstill war das kleine Bambushaus.

«Schließe die Fenster und hole mir den grauen Papagei, nicht den grünen und nicht den gelben, – den grauen, Singende Seemuschel, den mein Vetter mir vor ein paar Wochen mitgebracht hat aus Nagasaki.»

Die Magd gehorchte, brachte den grauen Papagei und wurde dann von ihrer Herrin schlafen geschickt. Aber sie hörte in der Nacht bis zum Morgen, wie Hanake ihrem grauen Papagei drei Sätze lehrte: Ich grüße dich! Ich liebe dich! Ich töte dich! Und sie sah an der weißen Papierwand den Schatten ihrer Herrin aufrecht neben dem Schatten des Vogels sitzen. Und immer, wenn der Vogel sagen sollte: Ich liebe dich!, dann lachte er so unheimlich knarrend, daß es der Magd gruselte. Während der ganzen Nacht lachten und sprachen Hanake und ihr Vogel zusammen. Und ganz früh rief Hanake zwei Dienerinnen, die sie frisierten, und Seemuschel, die Lieblingsmagd, die alle Verstecke des Hauses kannte, mußte aus dem ältesten Lackkasten zwei winzige kostbare Satsumavasen holen, die sich in der Familie seit Hunderten von Jahren vererbt hatten, und mußte am Seeufer zwei Schwertlilien abschneiden, eine blaue und eine gelbe. Die Vasen mit je einer Lilie wurden von Hanake in eine Nische gestellt und ein auf weiße Seide geschriebenes Gedicht eigenhändig an die Wand gehängt. Das Gedicht hieß:

Auf dem See steht ein weißes segelndes Boot.Mein Herz, mein leises,Mein Auge, mein heißes, –Die Menschen, die einsam sind,Sind wie die Boote von Yabase,Die blaß hintreiben im Abendwind.

Hanake hatte an diesem Tag allen ihren Freunden und Freundinnen absagen lassen und saß drei Stunden vor Sonnenuntergang schon am Fenster, das auf den See sah. Auf dem Seespiegel brannte die Sonne wie ein helles Herdfeuer, und Hanake hielt einen Fächer zwischen sich und das grelle Licht. Aber von Zeit zu Zeit strengte sie sich an, dem Licht zu trotzen, und suchte mit aufmerksamen Augen die funkelnde Seefläche ab und wünschte die drei Segel herbei, die gestern abend ihre Ruhe mit fortgenommen hatten. Auf Hanakes Kleid waren Schwertlilien gewebt, blaue und gelbe auf silbrigem Grund, und ihr Kopf sah aus der silbrigen Seide, als schaute er aus dem Kamm einer hellen Welle.

Sie hatte seit gestern abend noch nicht geschlafen, und das Schauen auf die sonnenfeurige Seefläche brannte ihr fast die Augen aus, so daß sie für einen Augenblick die Augenlider schloß und, ohne es zu wissen, einschlief.

Sie hatte vielleicht eine kleine Stunde geschlafen, da weckte sie der graue Papagei, der ihr auf die Schulter kletterte und ihr ins Ohr krächzte: «Ich liebe dich!» und dazu schnarrend lachte.

Hanake hob das Köpfchen aus der silbrigen Seide und sah am Landungssteg ein großes gerafftes Segel. Das war so nah an ihrem Fenster, daß sie die Segelleinwand an die Maststange klatschen hörte. Sie bog sich vorsichtig aus dem Fenster und sah, daß das Segelboot festgebunden war. Aber im Boot war kein Mensch zu sehen.

Das ist eines der drei Boote, sagte atemstockend ihr heimkehrendes Herz. Aber sie wußte nicht, war es das erste, das zweite oder das dritte Boot.

Da trat ihre Lieblingsmagd, die Singende Seemuschel, herein und brachte einen zusammengerollten Brief.

«O Herrin, diesen Brief sollt Ihr lesen und Euch für einen hohen Besuch bereit halten», flüsterte die Magd.

Im Brief stand: «Gestern, als wir nach Sonnenuntergang bei Deinem Hause kreuzten, schöne Hanake, hatten wir das Unglück, Dich zu erschrecken, aber auch das Glück, Dir das Leben zu retten. Und das allergrößte Glück, Dich zu sehen, um Dich nie mehr zu vergessen, wurde mir zuteil. Ich sende Dir heute meinen treuesten Freund, der Dich gestern rettete, der Dich heute zu mir über den See bringen soll und in meine Arme, die Dich sehnsüchtig erwarten. Ich grüße Dich, Hanake.»

Der Brief war unterschrieben mit dem Namen eines jungen Prinzen aus dem kaiserlichen Hause. Und Hanake wußte als guterzogene Japanerin, daß es eine ungeheure Ehre bedeutete, daß ein kaiserlicher Prinz sie seiner Liebe würdigte, und sie ließ den Freund des Prinzen sogleich zu sich herein ins Zimmer bitten.

Die Diele zitterte, und ein prächtiger junger Mann trat ein. Hanake fiel vor ihm auf die Kniee und berührte mit der Stirn die Diele, wie es die japanische Begrüßungssitte vorschreibt. Aber es war nicht, als ob ein Mensch, sondern als ob ein stürmisches kleines Pferd ins Zimmer gekommen sei. Sie hörte den Mann mit beiden Füßen mehrmals kräftig aufstampfen, und aus seiner Brust drangen ein paar hohle seufzende Laute.

Hanake wartete mit gesenktem Angesicht lange Zeit auf die Anrede des kaiserlichen Gesandten, denn sie durfte sich erst erheben, wenn der Begrüßte sie dazu aufforderte.

Nach einer Weile, als immer noch keine Anrede erfolgte, hob Hanake leicht ihr Gesicht von der Diele, die noch unter den stampfenden Füßen des Mannes zitterte. Wie zwei Steine aus einer Schleuder geworfen, fielen des jungen Mannes starke Augen in des Mädchens blinzelnden Blick. «Ich liebe dich!» schrien ihr diese ungeduldigen Augen entgegen, und Hanake senkte von neuem ihr Gesicht, das abwechselnd weiß und rot wurde, von Blutfülle und Blutschwäche.

«Antworte!» sagte plötzlich der Mann laut.

«Ich liebe dich!» sagte Hanake, tief auf die Diele gebeugt, als wäre die Diele ein Ohr, in das sie hineinflüsterte. Zugleich fiel ihr ein, daß der Befehl «Antworte!» sich wahrscheinlich auf den Brief des Prinzen bezogen habe. Aber es war nicht mehr zurückzunehmen. Ihre Lippen hatten deutlich gesprochen: «Ich liebe dich!» und den zwei Männeraugen geantwortet, die sie gefragt hatten.

Dann fühlte sich das junge Mädchen von zwei hastigen Händen um den Leib gefaßt. Wie ein Häufchen Seide hob sie der ungeduldige Mann hoch und trug sie aus dem Hause, den Landungssteg entlang. In demselben Augenblick hatte sich der Abendwind erhoben, und der seidene Ärmel von Hanakes Kleid bauschte sich und fiel wie eine Kapuze über den Kopf des Mannes, der sie auf den Armen trug. Und als Hanake aufsah, und ehe sie noch den Ärmel zurückziehen konnte, erblickte sie ein zweites großes Segel, das eben an der Landungsbrücke vorbeizog. Ein Schauder, kälter als der Wind, rieselte ihr über die Haut. Denn in dem Boot stand ein Mann, der war kein Japaner. Er hatte keine schöne gelbe Elfenbeinhaut. Er war grau im Gesicht wie Moder, wie ein Stein, der lange auf dem Seegrund gelegen hat, und seine Haut war runzlig wie die Haut der Kröten. Er hatte ein erschreckend gelbes Haar. Das war hell wie Hobelspäne, und seine Augen waren fischblau, und eine unordentliche Seele blickte Hanake wirr an, als stürze ein surrendes häßliches Insekt auf Hanake los und wolle sie stechen. Sie wußte: es war der Amerikaner, der abends hier am Biwasee im Uferschilf Wildenten jagte. Morgens und abends hatte sie oft den Knall aus seiner Jagdbüchse gehört, und dann waren, zu Tode geängstigt, kreischend und entsetzt, Scharen von Wildenten über Hanakes Haus fortgeflogen.

Das junge Mädchen wartete eine Sekunde; es ließ das Boot des häßlichen Fremden vorübergleiten und zog dann erst den Ärmel vom Kopf des Geliebten. Denn daß der Mann, der sie trug, ihr Geliebter war, sagten ihr seine Hände, die beim Tragen Hanakes Blut anredeten und ihr von großen Zärtlichkeiten erzählten, die sie ihr glühend versprachen.

Nach einer Weile ging das Boot vor dem Wind, und drinnen lag Hanake mit dem Kopf zwischen den Knien des Mannes, der wie ein Feuerdrache in Hanakes Haus gestürzt war, und der wie ein großer Zauberer den Biwasee jetzt in ein riesiges Seidenbett verwandelt hatte, darinnen die beiden eingebettet lagen. Und Hanake sah das Wasser ohne Grenzen, den Himmel ohne Grenzen und die Liebe zu dem plötzlich erschienenen Mann ohne Grenzen.

Sie fragte nicht: «Wie heißt du?» Sein Name war ohne Namen. Sie fragte nicht: «Wohin fahren wir?» Ihre Fahrt war ohne Fahrt. Das Segel stand senkrecht zwischen Wasser und Himmel, und sie wußte, das Segel hatte ein Spiegelbild unten im See, so wie ihr Gesicht im Schoß des Mannes das Spiegelbild des geliebten Gesichtes geworden war.

Das Segelboot glitt nah am Schilfufer hin. Das Mädchen verstand: der Mann vermied es, auf die Höhe des Sees zu segeln, damit nicht Boote, die von Yabase kämen, ihnen begegneten.

Da knallte ein Schuß im Röhricht, und braune Wildenten strichen aus dem Schilf heraus aufkreischend über die Seefläche. Ein zweiter Schuß schallt, und Hanakes Geliebter wirft die Arme in die Luft, springt auf, wie von einem Strick in die Höhe gerissen, und stürzt kopfüber in den abenddunkeln See. Kein Schrei; nur das Aufklatschen des Wassers und der Hall der Schüsse am Ufer des Biwasees entlang springt durch die Stille. Hanake greift unwillkürlich mit beiden Händen über den Bootrand in das Wasser, wohin der Geliebte verschwand, und als sie die Hände aus dem Wasser zieht, sind sie blutig. Sie fällt lautlos auf den Boden des Bootes, das im Winde weitertreibt.

Hanakes Diener sehen vom Fenster, daß das Boot, in dem die Herrin fortfuhr, draußen nicht weit vom Ufer steuerlos im Kreise treibt und daß ein anderes Boot aus dem Schilf heraus die Seewölbung ersteigt und hinter dem Wasser verschwindet. Ein paar der Diener schwimmen hinaus und bringen das Boot mit der ohnmächtigen Hanake an den Landungssteg.

Zur gleichen Stunde wie am vorhergehenden Abend liegt Hanake ohnmächtig in dem Zimmer, das auf den See geht, bei derselben Kerze, die gestern brannte, sitzt ihre Lieblingsmagd, die Singende Seemuschel, und wartet auf das Erwachen ihrer Herrin.

Als diese gar nicht zu sich kommen will, kommt die Magd auf den Einfall, den grauen Papagei zu holen, der von den drei Sätzen immer nur den einen gelernt hat: Ich liebe dich. Als sie den Vogel neben die Kerze in das Gemach bringt, schreit er sofort: «Ich liebe dich!» Da zuckt das Gesicht der ohnmächtigen Hanake zusammen, als habe ihr einer einen unendlichen Schmerz angetan. Ihre Lippen seufzen tief auf, ihr Gesicht verändert die Farbe und wird wie Asche im Aschentopf, der neben der Kerze steht. Die Magd beugt sich erschrocken über ihre Herrin, und wie sie noch zweifelt: Ist das der Tod, der Hanake so entfärbt?, da schüttelt der Papagei sein Gefieder, schlägt mit den Flügeln um sich und schreit plötzlich und unvermittelt: «Ich töte dich!»

Die Singende Seemuschel starrt entsetzt den Vogel an, dessen großer Schatten vor der Kerze wie der Schatten eines mächtigen, schwarzen Segels über die Wände des Gemaches fliegt.

Die Magd greift mit beiden Händen nach dem um sich schlagenden Papagei. Der Vogel schreit zum zweitenmal: «Ich töte dich!» Die Hände der Magd packen das Tier und drücken dem Papagei den Hals zu, damit er nicht zum drittenmal das schauerliche «Ich töte dich!» schreien kann. Der Vogel verdreht seine Augen, läßt mit einem Ruck die Flügel schlaff hängen, spreizt die Krallen und hängt als lebloser Vogelbalg in den Händen der Magd.

Hanake schlägt die Augen auf. Die Magd wirft die Vogelleiche auf die Diele und ruft:

«O Herrin, Ihr kommt wieder! Ihr wart weit fort!»

Hanake richtet sich auf, sitzt auf der Diele und sagt in Gedanken:

«Ich glaube, ich komme von den Toten.»

Dann sprach sie lange nicht mehr. Sie sah nicht den toten Papagei. Sie weinte nicht über den Tod ihres Geliebten. Sie ließ sich von der Magd umkleiden, und als ihr diese ein Hauskleid bringen wollte, sagte sie, und ihre Augen sahen durchdringend durch die geschlossenen Wände des Hauses:

«Ich sehe im Abend Boote von Yabase kommen. Ich sehe, man bringt mir ein rotes Scharlachkleid, wie es die Hofdamen tragen. Aber die hundert Segel, die jetzt von Yabase kommen, zeigen in den Segelfalten keine Schriftzeichen mehr. Jedes Segel ist glatt wie eine leere Hand. Hundert leere Hände kommen in mein Haus.

Bringe mir ein weißseidenes Unterkleid, Singende Seemuschel, damit ich das rote Scharlachkleid, das man mitbringt, darüber ziehen kann.»

Die Magd widersprach ihrer Herrin nicht. Sie öffnete nur ein wenig die Schiebewand nach dem See. Aber sie sah keine Lichter von Booten in der Nacht draußen, kein Bootskiel rauschte im Wasser, nur das Schilf zischte unten um das Haus und in der Ferne um den Landungssteg.

Hanake ist hellsehend geworden, dachte die Magd. Dann ging sie durch die Kammern des Hauses nach den Wandschränken, wo die Kleider gefaltet in großen Lacktruhen lagen. Sie ließ sich von zwei Mägden leuchten. Und die eine Magd erzählte halblaut:

«Wißt ihr schon, unsere Männer, die zur Nachtzeit aus Yabase herüberkamen, sagten, man erzählte sich in allen Teehäusern, daß der Freund eines kaiserlichen Prinzen von einem Europäer auf dem See erschossen worden sei. Der blutige Körper des Toten wurde in Yabase auf den Kies gespült, und heimkehrende Boote haben gesehen, wie der fliehende Europäer, der Wildenten im Schilf gejagt hat, durch einen Fehlschuß den Freund des Prinzen tötete. Der Prinz selbst kam dann an das Ufer, wo die Leiche seines Freundes lag. Der Prinz hat seinen Freund lange angesehen, aber nicht geweint, sagen die Leute. Er hat gefragt, ob in der Nacht noch jemand über den See fährt; und als er hörte, daß unsere Männer noch über den See fuhren, sandte er eine kleine Kleidertruhe und ließ sie in das Boot unserer Männer stellen. Die Truhe ist für Hanake. Morgen, ehe die Sonne im Mittag steht, wird der Prinz selbst zu Hanake kommen, sagte ein kaiserlicher Diener heimlich zu unsern Männern.»

«In der Truhe ist ein rotes Scharlachkleid für Hanake», sagte die Singende Seemuschel zu den Mägden.

«Woher weißt du das?» fragten beide Mägde erstaunt. «Niemand durfte bis jetzt in die Truhe sehen.»

«Wir wissen das bestimmt», nickte die Gefragte.

Sie nahm das weißseidene Unterkleid über den Arm und schickte die Mägde in die Küche.–

Am nächsten Tag um die Mittagstunde kam ein Segel auf Hanakes Haus zu.

Die Singende Seemuschel sagte zu Hanake, die im Purpurkleid auf der Altane saß und weiß und rosa geschminkt war, so dick gepudert und geschminkt, als verbärge sie das Gesicht hinter einer rot und weißen Maske:

«Das ist nicht der Prinz, der da kommt. Denn ich sehe nur ein Segel, Herrin, und Ihr sagtet gestern nacht voraus, es würden hundert Segel kommen. Alles, was Ihr sagtet, als Ihr von den Toten erwachtet, ist eingetroffen. Wenn aber der Prinz nur in einem Boot kommt, dann habt Ihr Euch geirrt, weil Ihr von hundert Booten gestern redetet.»

«Schweig und empfange den Prinzen», sagte Hanake mit einer fast männlichen Stimme, die die Magd nie an ihr gehört hatte. «Geh mit allen Mägden und allen Dienern dem Prinzen zur Landungsbrücke entgegen, denn ich kann noch nicht gehen, meine Füße zittern noch. Ich kann den Prinzen nur hier im Hause empfangen.

Als ich im Tode lag unter den Toten, aber mit meinem Geliebten nicht vereinigt war, fragte meine Seele alle Toten:

‚Was habe ich getan, daß ich meinen Geliebten nicht unter den Toten finde?‘

‚Du hast noch dem Leben verweigerten Gehorsam zu geben,‘ sagten die Toten, und ich erwachte wieder.

Ich weiß es, ich habe gefrevelt. Ich habe meinen Leib einem Prinzen, einem Sohn des Himmels, entziehen wollen und habe einen andern Mann umarmt. Aber der Geliebte konnte meinen Leib nicht mit in den Tod nehmen weil ich erst lernen mußte, dem Leben zu gehorchen.»

Die Magd weinte über Hanakes Worte. Aber Hanake verbot es ihr und sagte:

«Wir wollen nicht neuen Ungehorsam auf dies Haus laden. Ich darf nicht weinen, wenn ich auch bis an die Augen voll Trauer bin. Meine Füße aber zittern, und ich kann dem Prinzen nicht entgegen gehen. Ich kann meine Füße noch nicht zum Gehorsam zwingen.

Wenn der Prinz dich fragt: ‚Wo ist Hanake?‘, sage, und laß dir nichts merken, sage: ‚Verzeihung, Sohn des Himmels, meine Herrin trauert um ihren toten Lieblingspapagei. Aber wenn meine Herrin des Prinzen Angesicht sieht, wird ihre Trauer zur Freude werden und doppelt glänzen, wie dein weißes Segelboot, o Herr, im Biwasee.‘»–

Und wie der Schiller auf starrem, poliertem Porzellan glänzte Hanake bis zum Abend, so lange der Prinz in ihrem Hause war und mit ihr spielte. Und auch als sie ihr Scharlachkleid öffnete und ihren kleinen weißgepuderten Leib nackt in die Arme des Prinzen legte, sang sie Lieder und zwitscherte mit den Lippen. Der Prinz sagte am Abend:

«Dein Leib ist mir lieb, weil er kühl ist wie die Schneeflocken und mich aufweckt wie die Kälte am Wintermorgen.