Die alte Wassermühle - Diana Menschig - E-Book

Die alte Wassermühle E-Book

Diana Menschig

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Beschreibung

Plätschernd fließt der Bach dahin, stetig dreht sich das Mühlrad. Genauso soll es sein, genauso ist es seit Jahrhunderten. Nichts deutet darauf hin, dass etwas nicht stimmt, und doch beschleicht Bianca Kornelis ein ungutes Gefühl. Dabei war sie die treibende Kraft, als es darum ging, die alte Mühle zu renovieren und mit der Familie aufs Land zu ziehen – das Café samt kleiner Pension ist ihr Lebenstraum. Nun häufen sich Beschwerden von Gästen, die nachts kein Auge zubekommen. Der Grund: Das Mühlrad quietscht. Zwar hat der Vorbesitzer dringend davon abgeraten, das Rad anzuhalten, aber Bianca und ihr Mann wissen sich nicht anders zu helfen – schließlich geht es inzwischen um nichts weniger als die Existenz der Familie. Die Folgen sind schrecklich: Albträume plagen Eltern, Kinder und Gäste, und Bianca findet sich eines Nachts nach Luft ringend und mit nassen Haaren am Bachufer wieder, in der festen Überzeugung, eine dunkle Macht habe ihren Kopf unter Wasser gedrückt. Welches schreckliche Geheimnis birgt das alte Gemäuer?

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Diana Menschig

Die alte Wassermühle

Ein Schauerroman nach alter Art

Gatsby

Gewidmet

den guten Geistern

Prolog~ Jetzt ~

Ist es vorbei?

Ich bekomme allmählich kalte Füße, weil das taufeuchte Gras meine Hausschuhe durchnässt. Es kann nicht mehr lange dauern, bis jenseits des Waldrandes die Sonne aufgeht. Fröstelnd ziehe ich meine Strickjacke enger. Bald wird es Herbst sein, schon jetzt ist es nicht mehr die richtige Jahreszeit, um im Morgengrauen an einem Bachlauf im Wald herumzustehen. Aber es sind besondere Umstände.

Mein Mann Gregor ist bei mir, doch die Nähe seines Körpers wärmt mich nicht. In seinem Blick spiegeln sich die gleichen Gedanken, die auch in meinem Kopf kreisen. Die verzweifelte Weigerung, die Geschehnisse als real anzunehmen, weil unser Verstand etwas anderes verlangt. Dieses Gefühl, einer Macht ausgeliefert zu sein, die sich rationalen Betrachtungen entzieht, die Befürchtung, dem Wahnsinn näher zu sein als dem klaren Denken. All das, was in den letzten drei Nächten passiert ist, hat nichts mit unserem normalen Leben zu tun, nichts mit Logik, nichts mit Wissenschaft oder Naturgesetzen. Im Gegenteil, es ist wider die Natur. Und dennoch müssen wir uns irgendwie mit dem Geschehenen abfinden.

Ich betrachte das Mühlrad. Es dreht sich, angetrieben vom Fließen des Bachs, stetig, beständig. So, wie es sein sollte, so, wie es seit Hunderten von Jahren gewesen ist. Nichts deutet darauf hin, dass mit diesem Ort etwas nicht stimmt. Der Bach gluckert an der kurzen Seite des Hauptgebäudes der Mühle und dem gemauerten Becken mit dem Mühlrad entlang, schlägt einen sanften Bogen, fließt unter dem Steg des Zufahrtsweges hindurch und verschwindet zwischen den dichter werdenden Bäumen, um sich viele Kilometer später mit einem größeren Wasserlauf zu vereinen, bis er irgendwann im Meer endet.

Es wirkt friedlich.

»Ist es vorbei?« Gregor spricht laut aus, was wir beide denken. Er legt den Arm um mich und zieht mich an sich. »Was meinst du, haben wir alles richtig gemacht?«

Ich zucke mit den Schultern, lasse meinen Blick schweifen, suche nach einer möglichen Bedrohung. Dabei wandern meine Gedanken zurück zu dem Tag, an dem sich unser Traum in einen Albtraum verwandelt hat.

Willkommen im Mühlencafé!

Sie befinden sich im ältesten Teil unserer schönen Mühle am Fichtenbruch. Die Inschrift über dem Türsturz ist auf 1391 datiert, doch die Urkunden des Kreisarchivs erwähnen bereits ein Mühlenrecht im 13. Jahrhundert. Über sechshundert Jahre wurde hier nicht etwa Mehl gemahlen, sondern Raps- und Leinöl gepresst.

Hinter der Theke sehen Sie einen Kollergang: zwei senkrecht stehende Mahlsteine, die mithilfe des Mühlrads über eine dritte Steinplatte gedreht wurden und so das Öl aus den Samen gepresst haben.

Viele Jahrhunderte bewirtschaftete die Familie van de Wiele die Mühle. Ihr Name spielt vermutlich auf das Mühlrad an (Rad = Wiel im Niederländischen). Sämtliche umliegenden Höfe wie der Mühlen-, der Velten-Hof oder das Gut Fichtenbruch haben Flachs und Raps an diese Mühle geliefert. Im 18. Jahrhundert wurde sie verkauft. Es folgten wechselnde Inhaber, bis 1936 ein alleinstehender Mann namens Peter Verhoven die Mühle vom damaligen Besitzer Franz Sips pachtete. Er bewirtschaftete sie kaum ein Jahr, bevor er unter mysteriösen Umständen verschwand. Nach dem Zweiten Weltkrieg war kein Eigentümer mehr zu ermitteln, und die Mühle ging in den Besitz des Kreises über, bis wir sie aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt haben. Nach vielen Monaten intensiver Renovierung freuen wir uns, Sie in unserem Café willkommen zu heißen.

Genießen Sie eine Tasse Kaffee oder einen Latte macchiato, unseren hausgemachten Kuchen oder die leckeren Mühlenkekse. Und falls es etwas später geworden ist, laden wir Sie herzlich ein, die Nacht in einem unserer sieben liebevoll hergerichteten Gästezimmer zu verbringen. Jedes Zimmer ist individuell nach einem Märchen gestaltet. Für besondere Anlässe empfehlen wir die Rumpelstilzchen-Suite. Das leise Plätschern des Mühlrads wird Ihnen garantiert schöne Träume bereiten.

 

Wir freuen uns auf Sie!

Ihre Familie Kornelis

1. Kapitel~ Freitag – vier Tage zuvor ~

Selbstverständlich werden wir Ihnen mit dem Preis entgegenkommen. Wir können absolut verstehen, dass Ihnen eine gute Nachtruhe wichtig ist. Sind Sie mit einem Rabatt von fünfzig Prozent und einem Zehn-Euro-Gutschein für Ihren nächsten Besuch im Mühlencafé einverstanden?« Inzwischen fiel es mir schwer, einen geschäftlichen Ton anzuschlagen und das Flehen aus meiner Stimme herauszuhalten.

Zu meiner Erleichterung lächelte die grauhaarige Frau versöhnlich. »Ihr russischer Zupfkuchen sucht seinesgleichen, das muss ich Ihnen ja lassen. Also gut, ich bin einverstanden.« Sie hatte das allein entschieden und blickte sich nicht einmal zu ihrem Mann um, der einen halben Meter hinter ihr stand, verlegen mit dem Riemen seines Rucksacks spielte und so tat, als ginge ihn das alles gar nichts an.

Ich rang mir ein Lächeln ab, von dem ich hoffte, dass es dankbar wirkte, verwünschte im Stillen diese empfindlichen Touristen, korrigierte die Rechnung und stellte den Gutschein aus. Währenddessen zog sich die Frau ihre Wanderjacke an, natürlich die gleiche, wie ihr Mann sie trug. Der hatte inzwischen den Rucksack geschultert und mit einem stummen Abschiedsgruß den Empfangsbereich verlassen. Kaum waren die beiden verschwunden, rumpelte es an der Tür. Gregor stieß sie mit dem Ellbogen auf und trat mit einem Armvoll Brennholz ein. Hinter ihm sah ich die Schubkarre, in der weitere Holzscheite lagen.

»I’m a Lumberjack and I’m okay. I sleep all night and I work all day«, dröhnte Gregors freie Interpretation des Monty-Python-Songs durch den Raum und erstarb, als er meine Miene erblickte. »Bianca, was ist los? Alles okay?«

»Hast du die beiden Wanderer gerade gesehen? Das waren unsere letzten Übernachtungsgäste.«

»Wie meinst du das?« Gregor versuchte vergeblich, mit seinen schlammbespritzten Stiefeln den Teppichen auszuweichen. Der Empfangsraum, einst Lagerstätte für die Säcke mit den Leinsamen, war klein und nicht für meinen Mann mit seinen breiten Schultern und den fast ein Meter neunzig gemacht. Wenn er nicht aufpasste, stieß er nahe den Wänden an die Decke, da sie sich dort noch weiter nach unten wölbte.

Ich lehnte mich über den Empfangstresen und vergrub das Gesicht in den Händen. Dabei hatte ich wieder dieses merkwürdige Gefühl. Als würde ich beobachtet werden. Als säße jemand oder etwas hinter mir und genösse mein Elend. Unwillkürlich erschauderte ich, widerstand jedoch dem Impuls, mich umzudrehen. Hinter mir befand sich ein kleines Fenster mit Butzenscheiben, durch das ich den Bach sehen und sogar ganz leises Plätschern hören konnte. Und das Mühlrad, das sich quietschend drehte. Sonst nichts.

Erst kürzlich hatte ich einen Artikel über eine Studie gelesen, in der wissenschaftlich widerlegt wurde, dass eine Person spüren konnte, wenn sie beobachtet wurde – auch wenn Filme und Bücher gerne das Gegenteil behaupteten. Niemand konnte Blicke spüren, das war einfach unmöglich. Dass ich dieses Gefühl in den letzten Wochen wieder und wieder hatte, war einfach zu erklären: Meine Psyche spielte mir Streiche. Ich machte mir eine Menge Gedanken um das Risiko, das wir eingegangen waren, als wir den Plan gefasst hatten, die Mühle zu kaufen und instand zu setzen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Wir hatten uns zwar beide sofort in das alte Gemäuer verliebt und von einem Leben hier geträumt, aber ich war die treibende Kraft dabei gewesen, es Wirklichkeit werden zu lassen. Ich hatte Gregor überredet, dass wir beide unsere Jobs aufgeben und uns ganz in das Abenteuer Selbstständigkeit und Gastwirtschaft stürzen sollten. Jetzt sorgte ich mich um das Auskommen unserer Familie, um die Frage, was wir tun sollten, falls wir scheiterten. Was ziemlich wahrscheinlich war, wenn es so weiterging.

Da ich ihm nicht geantwortet hatte, sondern weiter reglos über dem Tresen hing, war Gregor zu dem Ofen an der linken Wand gegangen und hatte sein Holz im Regal daneben gestapelt. Jetzt stand er vor mir, seine kräftigen Arme verschränkt, und starrte auf mich herab. Ich blickte auf und musste wider Willen lachen. Mit diesem uralten blau-rot karierten Hemd, dem Vollbart und seinem wirren Haarschopf sah er wirklich aus wie ein Holzfäller aus einem alten Märchenbuch. Lotte hatte neulich abends beim Vorlesen zu ihrem Vater gesagt, er erinnere sie an Rübezahl. Das hatte Gregor wenig schmeichelhaft gefunden. Vater und Tochter einigten sich schließlich auf den Vater von Hänsel und Gretel, wobei Lotte mir am nächsten Abend anvertraute, dass er mit den buschigen Augenbrauen und der kleinen Narbe auf der linken Wange auch ein Wikingerkönig sein könnte. Mir wurde sehr schnell klar, dass sie sehr wohl mitbedacht hatte, dass es sie zu einer Prinzessin machen würde, wäre ihr Vater ein König. Was mich wunderte. Unsere Tochter war eher ein weiblicher Robin Hood oder die Rote Zora; rosa Tüll oder Puppenkaffeekränzchen konnte sie wenig abgewinnen, erst recht nicht, seitdem wir in der Mühle mitten im Wald lebten. Aber für Wikingerprinzessinnen galten sicherlich wieder andere Regeln, und Lotte ging es vielleicht auch um Segelschiffe und Ponys.

»Was ist nun?« Gregor nahm meine Hände in seine Riesenpranken und rieb sie sanft. Erdbröckchen und Holzfasern krümelten auf das aufgeschlagene Gästebuch, und der Geruch von Wald und Harz stieg mir in die Nase. Ich erinnerte mich wieder. Dafür hatten wir das getan. Diese Mühle gekauft. Über Monate renoviert. Um zu diesen ursprünglichen, einfachen Dingen zurückzukehren: die Natur, der Bach und das Wasser, Holz und Erde. Für uns, unsere Tochter und unsere Gäste. Nur die Sache mit den Gästen wurde allmählich zum Problem.

»Das Paar vorhin wollte eigentlich zwei weitere Nächte bleiben und ist stattdessen heute schon aufgebrochen. Sie haben letzte Nacht kein Auge zugemacht.« Ich schluckte beklommen. »Außerdem kamen per Mail vier Stornierungen für die kommenden Wochenenden. Zwei begründen ihre Absage sogar mit den schlechten Bewertungen im Internet.« Ich zeigte auf den Bildschirm neben mir. »Wir haben 2,4 von 5 Sternen, und das nur, weil Cafébesucher gute Wertungen hinterlassen. Wir können nur hoffen, dass sich das nicht auch auf den Cafébetrieb auswirkt, ansonsten sind wir schneller pleite, als wir Mühlrad sagen können.«

Gregor brummte zustimmend. »Es ist das Mühlrad, ja? Das Quietschen.«

»Es ist verrückt, oder? Weißt du noch, die ersten Tage hat es uns fast wahnsinnig gemacht. Aber inzwischen höre ich es gar nicht mehr, vor allem wenn der Bach viel Wasser führt und rauscht.«

»Tja.« Er zupfte sich am Ohrläppchen, eine typische Geste, wenn er unsicher war. »Geht mir genauso, aber du sagst ja auch immer, dass unter meinen Vorfahren Bären gewesen sein müssen.«

Ich lächelte. Gregor hatte kaum Schwierigkeiten gehabt, sich einzugewöhnen. Wenn er schlief, dann schlief er, da könnte um ihn herum die gesamte Mühle zusammenbrechen.

»Wie viele Gäste haben sich denn bisher beschwert?«, fragte er.

Ich schloss kurz die Augen und fegte mit der Hand den Dreck vom Gästebuch. Dann schlug ich es zu und holte tief Luft. »Alle.«

»Ist das dein Ernst?«

»Ja.« Ich wandte mich dem Monitor zu und öffnete die Buchungsübersicht. »Na ja, ich frage beim Check-out, und niemand war richtig glücklich und zufrieden. Ungefähr die Hälfte hat von sich aus etwas gesagt, davon wiederum habe ich einem Drittel den Preis zumindest teilweise erstattet. So wie diesem Paar eben gerade. Bei denen besteht zumindest die Hoffnung, dass sie uns nicht bewerten werden. Die sind zu alt fürs Internet.«

»Darauf würde ich mich nicht verlassen.« Gregor seufzte leise. »Dann sollten wir das Mühlrad vielleicht doch blockieren.«

Ich strich mir eine blonde Strähne hinters Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. »Willst du das wirklich wagen?«

»Hast du eine bessere Idee? Erst mal nur für die Nacht. Morgen früh können wir es ja wieder quietschen lassen.«

Ich nickte unsicher. Ich hatte keine bessere Idee, natürlich nicht. Aber der städtische Verwalter, der uns vor dem Kauf der Mühle mit allen relevanten Informationen versorgt hatte, hatte uns eindringlich davor gewarnt, das Mühlrad anzuhalten. Wir hatten beharrlich nachgefragt, doch keine seiner Antworten befriedigte uns. Er hatte etwas von Statik erzählt, von den Schwingungen, die das Gebäude benötigte, um im Gleichgewicht zu bleiben. In meinen Ohren klang das ziemlich esoterisch. Eine Mühle, die ihr Mühlrad braucht, um im Takt zu schwingen? Ich hatte eine Freundin zurate gezogen, die Architektin war. Rebekka hatte nur mit den Schultern gezuckt und sich herausgeredet. An Schwingungen und dergleichen glaubte sie nicht, hatte sie gesagt, doch die Mühle war über sechshundert Jahre alt und stand zweifellos auf weichem Untergrund. Das Waldgebiet um uns herum war vor Urzeiten ein Moor gewesen, jahrhundertelang überall systematisch be- und entwässert worden, um Torf abzubauen. Alte Gebäude und Statik, das wäre ohnehin eine heikle Sache, hatte Rebekka ergänzt, und das Risiko, dass sich irgendein Gebälk verschiebe, wenn das Mühlrad stillstünde, würde sie nicht eingehen wollen. Mit anderen Worten: Gregor und ich könnten machen, was wir wollten, eine Garantie, dass nichts passiere, bekämen wir von ihr nicht.

Wir beließen es zunächst dabei und stürzten uns in die Sanierung. Ein Mühlrad, das sich drehte, war ohnehin besser fürs Geschäft, dachte ich damals, und wer konnte schon sagen, ob uns nicht sogar dieser Stappen von der Denkmalschutzbehörde einen Strich durch die Rechnung machen würde, weil ein stillstehendes Rad weniger authentisch wäre? Die ganzen Auflagen der Behörden machten uns das Leben ohnehin schwer genug.