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Ein dramatischer Schottlandroman über Mut, Verlust und die Macht des Schicksals. Riley MacIntyre, ein Heimkehrer ohne Heimatgefühl, Orla Hunter, die um ihre Zukunft in der Segeltuchfabrik kämpft, Marjorie Buchanan, die nach dem Tod ihres Mannes Schutz sucht, und Aiden Hunter, der vor einer gnadenlosen Armee flieht: vier Menschen, deren Wege sich kreuzen, während Schottland im 18. Jahrhundert von Unruhe erschüttert wird. Der Roman entfaltet ein dichtes Geflecht aus persönlichen Kämpfen, gefährlichen Entscheidungen und der Suche nach einem Platz in einer Welt, die sich unaufhaltsam verändert. Die Figuren stehen vor Herausforderungen, die Mut, Loyalität und innere Stärke verlangen. Vor der Kulisse der Jakobitenaufstände entwickelt sich ein historisches Drama, in dem Verlust und Hoffnung, Liebe und Widerstand ineinandergreifen. Jede Entscheidung trägt Konsequenzen, jede Begegnung prägt den weiteren Weg. Tauchen Sie ein in eine bewegende Geschichte, die die Kraft des Schicksals spürbar macht und die Frage stellt: Welchen Preis sind sie bereit zu zahlen, um ihren eigenen Weg zu gehen?
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Seitenzahl: 584
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Der vorliegende dritte Band der Schottland-Trilogie bildet den Abschluss meiner Reihe, in deren Zentrum der historisch belegte Versuch Schottlands steht, an der Küste Panamas eine eigene Kolonie zu gründen. Die beiden Protagonistinnen Orla Hunter und Lady Marjorie Bonnie Buchanan, zwei Frauen von unterschiedlicher sozialer Herkunft, sind ebenso wie die männlichen Hauptfiguren Aiden Hunter und Riley MacIntyre in diesem Buch erneut gefordert, die Folgen dieses gescheiterten Abenteuers zu meistern.
Um die Handlung dieses Buches zu verstehen, ist es nicht zwingend notwendig, dass Sie Band 1 („Die Ufer des Fiebers“) und Band 2 („Die Fänge der Rache“) gelesen haben.
Zum besseren Verständnis des geschichtlichen Hintergrunds hier nochmals ein kurzer Überblick:
Im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts durchlebt Schottland klimabedingt sehr schwere Zeiten. Der Ausbruch von drei Vulkanen auf Island und Indonesien verdunkelt die nördliche Erdhalbkugel über Jahre hinweg derart, dass die Schotten massiv unter Dauerregen, Kälte und wiederholten Missernten leiden. Zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung verhungern!
Politisch ist die Situation in Schottland angespannt, weil die Engländer in der sogenannten Glorious Revolution (1688/89) den (katholischen) schottischen König Jakob II. aus dem Hause Stuart abgesetzt und durch den (protestantischen) Wilhelm von Oranien ersetzt haben. Diese Entscheidung stößt auf großen Widerstand in der schottischen Bevölkerung. Alle, die – aus welchen Gründen auch immer – gegen die Herrschaft der englischen Krone sind, finden sich in der Gruppierung der Jakobiten zusammen, deren oberstes Ziel es ist, ihren König Jakob aus dem Exil zurück auf den englischen Königsthron zu bringen. Blutige Aufstände, die sogenannten Jakobitenaufstände, beginnen das Land zu überziehen.
In dieser schwierigen Lage erscheint eine rein schottische Koloniegründung an der Landenge von Panama (in Darién) als eine sehr gute Idee. Im Jahr 1698 macht man sich auf den Weg. Doch die Unternehmung gilt schon 1700 als gescheitert. Sie kostet über 2400 Siedlerinnen und Siedler das Leben und verursacht eine Staatspleite Schottlands. Meine vier Heldinnen und Helden Orla, Marjorie, Aiden und Riley haben in Band 1 an diesem Abenteuer teilgenommen – und es zumindest überlebt.
In England regiert inzwischen die kluge Königin Anne, die der schottischen Oberschicht zur Linderung der Staatspleite finanzielle Hilfen anbietet und im Gegenzug dafür „nur“ die Auflösung des schottischen Parlaments verlangt. Der mit England kooperierende Adel kann seine Schlösser retten, aber die Selbstverwaltung des Landes ist seit dem „Act of Union“ (1707) faktisch abgeschafft.
Die Jakobiten bleiben gegenüber den Engländern weiterhin rebellisch. Auch ein erneuter Wechsel des Königs hat darauf keinen Einfluss. Nachdem die Jakobiten die erste große, verlustreiche Schlacht bei Killiecrankie am 27. Juli 1689 noch gewannen, unterliegen sie den Engländern in weiteren Schlachten im neuen Jahrhundert. Der neue König, Georg I. (aus dem Haus der hannoverschen Welfen), der nach dem frühen Tod von Königin Anne im Oktober 1714 den englischen Thron besteigt, sieht sich gleich mehreren umstürzlerischen Aufständen ausgesetzt, die jeweils im schottischen Hochland ihren Ursprung nehmen (1715: Schlacht bei Sheriffmuir, 1719: Schlacht bei Glen Shiel). Der zweite Band meiner Trilogie beginnt im Herbst 1720, in dem die sogenannte Südseeblase platzt, ein gewaltiger Börsencrash, der viele Menschen in den wirtschaftlichen Ruin treibt. Der amtierende König Georg I. weiß, dass die Jakobiten trotz der letzten verlorenen Schlachten immer noch eine ernste Gefahr für seine Herrschaft sind, und lässt sie daher mit großem Aufwand überwachen und verfolgen. Einem weiteren Aufstand, der von Bischof Atterbury in Rochester angezettelt wird, kommt er 1721 vorsorglich durch Inhaftierung der Verdächtigen zuvor. Der König wird jetzt seine Macht demonstrieren.
Vor diesem verbrieften Hintergrund entwickelt sich die Handlung des letzten Teils meiner Trilogie, die im Jahr 1721/1722 spielt.
Meine vier Protagonistinnen und Helden sind frei erfunden. Andere Figuren (zu erkennen am * im Personenregister, darunter Robert Walpole, Francis Atterbury sowie William Paterson etc.) basieren auf Personen, deren jeweilige Existenz und geschichtliche Rolle bekannt und gut dokumentiert ist. Allerdings habe ich die Ausgestaltung vieler Details meiner Fantasie zugestanden.
Ich habe mir die Freiheit genommen, diese Geschichte so zu erzählen, wie die Ereignisse sich damals hätten abspielen können. Um die Verständlichkeit einiger Begrifflichkeiten und Ereignisse zu erleichtern, habe ich ein Glossar angefügt.
Einen ganz besonderen Dank möchte ich meiner Lektorin Julia Gilcher aussprechen, die mich auf dem langen Weg dieser Trilogie mit nicht endender Geduld, Einfühlungsvermögen und sensiblem Gespür für den Text (und meine Emotionen) begleitet hat.
Auch Co-Lektor Marc Niemeyer hat mit seinem außerordentlichen Wissen um historische Zusammenhänge und seiner Präzision zum Gelingen der Schottland-Bände beigetragen.
Frau Anke Enders hat mit ihrer kreativen Gestaltung der passenden Cover und der aufwendigen Drucklegung ebenfalls große Anteile am Entstehen der Bücher.
Ein weiterer Dank gebührt meiner Partnerin Petra, die mir die Zeit und Freiheit zum Schreiben eingeräumt hat.
Auch meinen Kindern Carolin, Annika und Leona danke ich für ihr Zuhören.
Markus Bruckner, Oktober 2025, Bad Homburg
„Hätte man Verstand, brauchte man keine Gottheit, so aber macht man dich, Schicksal, zur himmlischen Göttin.“
JUVENAL (RÖMISCHER SATIRIKER, 2. JH.)
Vorwort
[1] Rileys Neubeginn, 5. November 1721
[2] Aidens Aufbruch, 8. April 1722
[3] Marjories Krankheit, 9. März 1722
[4] In Walpoles Amtssitz, 7. März 1722
[5] Orlas Treffen mit Marjorie, 13. März 1722
[6] Der Brief, 18. März 1722
[7] Neue Horizonte, 3. Dezember 1721
[8] Die Grenzen des Machbaren, 19. März 1722
[9] Aidens Treffen mit Jack Graham, 14. April 1722
[10] Die Wahrheit in Carls Brief, 20. März 1722
[11] Enttäuschte Erwartungen, 24. April 1722
[12] Ein holpriger Neuanfang, 23. Januar 1722
[13] Auf Walpoles Landsitz, 15. April 1722
[14] Zuflucht in Leeds, 4. Mai 1722
[15] Orla in Bedrängnis, 27. Mai 1722
[16] Hinter Klostermauern, 15. Mai 1722
[17] Besuch aus der Karibik, 16. Juni 1722
[18] Die Zustände in der York Buildings Company, 17. August 1722
[19] Der Schatten großer Ereignisse, 18. September 1722
[20] Wirbel um Winton House, 21. September 1722
[21] Die Falle der Besessenheit, 16. Oktober 1722
[22] Die Gerechtigkeit wartet, 6. November 1722
[23] Die Antworten des Schicksals, 11. November 1722
Glossar
Personenverzeichnis
5. November 1721
In der Nacht zum 5. November 1721 kam Riley MacIntyre überraschend ein Traum aus seiner Kindheit in den Sinn, den er zuletzt vor etwa dreißig Jahren geträumt hatte.
In diesem Traum nahm ihn seine Mutter bei der Hand und erklärte ihm, dass es nur ihr allein vergönnt sei, die Sonne am Morgen zu wecken. Das sei die größte ihr vom Schicksal zugedachte Begabung. Ohne ihr Zutun würde die Zeit um sie herum einfrieren. Die Sonne würde keine Kraft haben und sich nicht über den Horizont erheben können, um den neuen Tag zu wärmen.
Warum der Kindertraum Riley genau in dieser Nacht erneut heimgesucht hatte, konnte er sich am Morgen zunächst nicht erklären.
„Mutter, wo steckst du? Komm schon, Ailis, ich habe nicht die Zeit …“
Unabhängig von der Tatsache, dass Riley MacIntyre alles andere als ein Träumer war, hasste er es schon immer, wenn Tage hektisch begannen. Ungeduldig lief er von der Wohnstube zurück in den schmalen Flur. Wenn er sonst um diese Uhrzeit aufstand, um sich für seine Arbeit bei der Fischereigesellschaft fertig zu machen, lag seine Mutter normalerweise noch schlafend auf ihrem Lager im Wohnzimmer. Doch heute war ihr Bett leer. Auch im Küchenbereich konnte Riley die alte Dame nicht finden. Als er die steile Stiege aus dem Obergeschoss nach unten gekommen war, hatte er sich zunächst über die offen stehende Haustür geärgert. Dass diese Tür schlecht schloss, wusste er schon, seit er vor einem guten halben Jahr nach Leith zurückgekehrt war und wieder im Elternhaus bei seiner Mutter wohnte. Aber der Gedanke, dass er selbst den Eingang des Hauses am Vorabend so unzureichend verschlossen haben sollte, ließ ihn für einen Moment innehalten. Er ärgerte sich über die Nässe im Flur, die der böige Wind von See her mit einem ausdauernden Nieselregen über Nacht ins Haus gedrückt hatte.
„Ailis, wo steckst du?“, rief er erneut, doch seine Ungeduld wich plötzlich einer schlimmen Vorahnung. Was, wenn seine Mutter selbst die Tür …?
„Mutter? Verdammt!“, rief er aus, während er in seine Stiefel schlüpfte. Hastig zerrte er seine dicke Jacke vom Haken und zog sie über, bevor er hinaus ins feuchte Dunkel trat. Dabei fiel ihm auf, dass die schwere, regendichte Wolljacke seiner Mutter noch trocken am Haken hing. Er atmete kurz auf. Zusammen mit George Ogdan, einem treuen Freund der Familie, kümmerte sich Riley um seine Mutter. Sie trugen beide stets Sorge dafür, dass die pflegebedürftige Mutter nachts zum Toilettengang das Haus nicht mehr verlassen musste. Vielleicht war Ailis trotzdem hinausgegangen? Kalter, nasser Wind schlug Riley entgegen, während er eilig hinter das Haus und von dort über die kleine Wiese bis zum hölzernen Abtritt hastete und die Tür aufriss. Leer! Niemand da! Von seiner Mutter keine Spur.
Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, jetzt hier draußen gegen den Wind anzuschreien. Dazu hatte er noch keine Idee, wo er dermaßen früh am Morgen weiter nach seiner Mutter suchen sollte. Die ungemütlichen, dunklen Stunden eines Tagesbeginns im November waren eigentlich keine Zeit, in der man freiwillig das Haus verließ. Schon gar nicht, wenn es hier draußen so verregnet war wie im Moment. Riley hastete zurück ins Warme. Erneut suchte er in Windeseile jede Ecke des Häuschens ab, sogar das Obergeschoss, von dem er wusste, dass Ailis es schon seit Monaten nicht mehr aufgesucht hatte. Die steile Treppe nach oben konnte sie körperlich nicht mehr bewältigen.
Er schickte ein Stoßgebet gen Himmel und gab heute eigenmächtig der Sonne den Befehl, den Tag möglichst schnell beginnen zu lassen. Dann dachte er nach.
Vor sieben Monaten erst, im April 1721, war er mit großen Erwartungen nach über zwanzig Jahren in der Fremde und einer abenteuerlichen Heimreise endlich wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Doch hatte er nichts mehr so vorgefunden, wie er es vor seiner Abreise in die schottische Kolonie zurückgelassen hatte. Sein Elternhaus in der Mitchell Street war seit dem Tod des Vaters vor etwa zehn Jahren völlig heruntergekommen. Sein Vater Farlan! Nur kurz ließ Riley einen Gedanken an den Mann zu, mit dem er sich gerne noch zu Lebzeiten versöhnt hätte. Er hätte ihm erklären wollen, warum er damals mit nach Darién fahren musste – und dadurch die Erwartungen seines Vaters an ihn so endgültig hatte zerstören müssen. Wenn er an Farlan dachte, hatte sich Riley früher oft gefragt, ob es die Enttäuschung über seine Abreise nach Darién gewesen war, die das Herz des Vaters am Ende nicht mehr ausgehalten hatte. Nachdem er diese Frage – erst nach seiner Heimkehr und dann auch nur gegenüber sich selbst – mit einem klaren Ja beantwortet hatte, verbot er sich häufigere Erinnerung an seinen Vater. Zu stark belastete ihn seit dieser Zeit das Gefühl von Schuld, das er immer wieder versuchte, in einem unzugänglichen Kellerraum seiner Seele wegzusperren.
Seine Mutter Ailis war zum Zeitpunkt seiner Heimkehr bereits seit Monaten in geistige Verwirrung verfallen; aber sie war immerhin schon stolze achtundsechzig Jahre alt. Sie hielt den guten George Ogdan, der zehn Jahre an Rileys Stelle mit ihrem Mann zusammen gefischt hatte, inzwischen für ihren eigenen Sohn. An den Namen Riley schien sie sich nicht mehr erinnern zu können oder zu wollen. Diese Tatsache hatte Riley anfänglich sehr geschmerzt, doch irgendwann hatte er nicht mehr versucht, diese für ihn dramatisch falsche Zuordnung der Familienbande zu ändern. Dass seine Mutter oft in Worten und Bildern sprach, die er nicht mehr verstand: Inzwischen störte er sich nicht mehr daran. Er machte täglich neu seinen Frieden damit, dass Ailis in ihrer eigenen, verschlossenen Welt lebte. Riley bestärkte sie von Zeit zu Zeit sogar in der Hoffnung, dass Farlan irgendwann zu ihr zurückkommen werde. Wenn Ailis sich wieder einmal aufgebracht darüber beklagte, dass Farlan schon wieder zu spät oder gar nicht „auftauche“, erfand er immer neue plausible Geschichten, warum sich Vater ausgerechnet heute wieder verspäten würde, und dass sie nicht so ungeduldig sein solle. Er hatte das Gefühl, dass es seiner Mutter besser ging mit seinen gnädigen Notlügen.
Ailis hatte ihm einst geantwortet: „Ihr habt recht, mein Herr. Ich muss mich in Geduld üben. Es ist wohl eine Zeit angebrochen, in der ich nicht mehr alles wissen kann, aber auch nicht mehr muss. Danke, dass Ihr mir immer wieder die Dinge freundlich erklärt.“
Über die letzten Monate hatte sich seine Mutter mehr und mehr in sich selbst zurückgezogen.
Auf die Hilfe von George Ogdan konnte Riley bauen. Der war nicht nur ein tüchtiger Fischer, er war auch eine treue Seele und hatte sich nach Farlans Tod mit großem Einsatz um Rileys Mutter gekümmert, obwohl er selbst schon seit mehr als zehn Jahren verheiratet und Vater von zwei halbwüchsigen Jungen war. Da er in sehr beengten Verhältnissen wohnte, hatte Riley überlegt, ihm sein Elternhaus nach Ailis’ Tod zu verkaufen. Denn er selbst hatte sich inzwischen fest dazu entschlossen, seine alte Heimat wieder zu verlassen. Die einzige Person, die diesen Entschluss noch hätte ins Wanken bringen können, war Orla Hunter, seine einstmalige große Liebe. Aber die Hoffnung, dass sich diese Liebe für ihn noch einmal erfüllen könnte, hatte Riley nach der Entwicklung der Dinge eigentlich aufgegeben. Immerhin hatte er vor einem Jahr Orlas neue Liebe, diesen schwedischen Kapitän, persönlich kennengelernt. Er schob das Thema zur Seite.
Jetzt, wo er seine Mutter suchte, erinnerte sich Riley plötzlich daran, dass sie in den letzten Wochen über zunehmende Schlaflosigkeit geklagt hatte. Im gleichen Zeitraum hatte er vermehrt Phasen der Unruhe bei der alten Dame festgestellt. Vor knapp zwei Wochen war er am späten Nachmittag von der Arbeit nach Hause gekommen. Er ertappte seine Mutter dabei, wie sie ruhelos den leeren Esstisch umrundete. Mit beiden Händen nestelte sie dabei an einem Baumwolltuch, während sie sich gleichzeitig angeregt mit den am Tisch sitzenden Personen unterhielt. Riley hatte sie gefragt, wer diese Menschen seien, mit denen sie rede, und sie hatte ihm erklärt, dass das alles wichtige Personen seien, die sie zu einem Besuch in der weit entfernten schottischen Kolonie in Darién überreden wollten. Auch Farlan habe ihr zugesagt, sie auf dieser langen Reise zu begleiten. Riley hatte sich damals gewundert, dass seine Mutter sich überhaupt noch an diesen Versuch einer Koloniegründung erinnerte – Darién! –, schließlich lag dieses Ereignis über zwanzig lange Jahre zurück.
Doch jetzt, an diesem frühen und kalten Novembermorgen des Jahres 1721 überfiel Riley plötzlich die große Sorge, dass seine Mutter dieser Einladung in eine andere Welt gefolgt war.
Nur kurze Zeit später entschied sich Riley dazu, in der Fischereigesellschaft Hilfe zu holen. Obwohl die Fischer sofort eine große Suchaktion veranlassten und bald halb Leith nach Ailis MacIntyre suchte, blieb die alte Dame verschwunden.
Mit seinen fast siebenundvierzig Jahren gehörte Riley inzwischen auch schon zur alten Garde der Fischer. Die Einsicht, das Fischen jetzt besser den Jüngeren zu überlassen, hatte er bis zum heutigen Tag noch nicht gewonnen, doch wegen der zunehmenden Schmerzen in seinem rechten Bein und seines verstärkten Humpelns im letzten Vierteljahr hatte er seinen Widerspruch gegen diese als ungerecht empfundene Einteilung vorerst verstummen lassen. George hatte ihm auch vom starken Wind und dem brutalen Seegang während der letzten Woche auf dem Firth of Forth berichtet; Riley war danach zum ersten Mal froh gewesen, nicht mit auf die See hinausgemusst zu haben. Den Gedanken, dass er dieses Gefühl seinem Alter zu verdanken hatte, schob er schnell beiseite. Er war schon vor Wochen sehr darüber verstimmt gewesen, dass er mit Verweis auf sein Alter und sein Hinken von den beiden Leitern der Fischereigesellschaft in seltener Einstimmigkeit für das nächste halbe Jahr nur noch zu Tätigkeiten an Land eingeteilt worden war. Leider waren das auch die am schlechtesten bezahlten Arbeiten. Doch Riley wusste auch, dass er zufrieden sein sollte, durch George Ogdans Vermittlung überhaupt eine bezahlte Arbeit in Leith gefunden zu haben.
Eine Woche nach dem Verschwinden von Rileys Mutter überzog der feuchte Novemberregen noch immer die Bucht vor Leith und Edinburgh. Nahezu pausenlos fiel der gleiche kalte Regen aus den tief hängenden, schnell ziehenden Wolken. Die Weite der See schickte diesen nassen Fluch unentwegt über das Land. Wie schon in den Jahren zuvor schien der Himmel damit einen gnadenlosen Winter anzukündigen.
Kurz nach Sonnenuntergang des 12. Novembers 1721 war Riley müde und erschöpft nach Hause gekommen. Seine Stimmung war in den letzten Tagen nicht die beste gewesen, da ihn die Ungewissheit über den Verbleib seiner Mutter belastete. Er war einfach zu ungeduldig, als dass er sich schnell mit ungeklärten Situationen hätte abfinden können.
Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, schälte er sich schlecht gelaunt aus den nach Fisch stinkenden Kleidern. Wie an Regentagen und im Winter üblich, hängte er seine Arbeitskleidung nach oberflächlicher Säuberung zum Trocknen in der Küche neben dem Herd auf. Dann begann er mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Etwas Essbares würde seine Laune jetzt merklich verbessern. Er war gerade dabei, Brot und geräucherten Fisch auf den Tisch zu legen, als es wiederholt an der Haustüre klopfte. Riley fuhr herum und ein Gedanke ging ihm blitzartig durch den Kopf und ließ ihn zur Türe hasten. Sie hatten seine Mutter gefunden!
Um ein Haar hätte er vergessen, seinen Kopf unter dem Türsturz zum Flur einzuziehen. Ungeduldig riss er die schwergängige Haustür auf und war – überrascht. Vor der Tür stand Orla Hunter. Für zwei Sekunden war Riley sprachlos und starrte die Frau an wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Und vielleicht war sie das inzwischen ja auch für ihn. Denn ohne jeden Zweifel lebte diese Frau, mit der er Wand an Wand hier in der Mitchell Street aufgewachsen war, in die er sich unsterblich verliebt hatte, wegen der er mit in die Kolonie aufgebrochen war, nunmehr in einer ganz anderen Welt als er.
„Willst du mich nicht hineinbitten?“, fragte Orla etwas gequält und strahlte Riley danach mit dem ihr eigenen Lächeln an. „Das Wetter ist ziemlich unfreundlich hier draußen.“
„Ja, doch, natürlich, so komm doch rein. Ich hatte nicht mit dir gerechnet.“ Riley machte eine einladende Geste.
„Komme ich ungelegen?“
„Nein, nein überhaupt nicht!“, beeilte sich Riley zu antworten. „Ich hatte mit jemandem von der Fischerei gerechnet, wegen meiner Mutter, weißt du, weil sie schon seit Tagen weg ist und keiner weiß …“
„Ich habe davon gehört. Deswegen bin ich hier.“
„So komm doch erst einmal mit in die Wohnstube. Der Ofen macht es angenehm – hier drinnen.“ Riley ging voraus und bot Orla einen Stuhl am Esstisch an.
Orla zog ihre nasse Segeltuchjacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Das schwere, nasse Kopftuch aus dick gewebter Wolle legte sie sorgsam gefaltet darüber. Mit zwei flüchtigen Handbewegungen richtete sie die mittellangen, sichtbar von grauen Strähnen durchsetzten, vormals blonden Haare an beiden Schläfen und nahm dann auf dem angebotenen Stuhl Platz.
Riley setzte sich an die gegenüberliegende Seite des Tisches. Er schaute Orla erwartungsvoll an. Eigentlich waren Tage, an denen er diese Frau traf, immer gute Tage für ihn gewesen. Doch seit ihrem letzten Treffen, bei dem sie im Streit auseinandergegangen waren, lag ein andauernder Schatten über dem Verhältnis der beiden.
„Weißt du etwas Neues über den Verbleib meiner Mutter?“, eröffnete Riley das Gespräch.
„Nein, äh, ich weiß nichts Neues, im Moment, aber ich … bin gekommen, dir meine Hilfe anzubieten.“ Orla vermied jeglichen Blickkontakt mit Riley und schaute, während sie sorgsam ihre Worte wählte, nur auf ihre Hände, die sie gefaltet vor sich auf der Tischkante abgelegt hatte.
„So – Hilfe? Ach, lass mal gut sein“, antwortete Riley zögerlich. Er hatte eine harsche Antwort auf den Lippen, die er sich aber verbot, um Orla nicht sofort wieder aus dem Haus zu treiben.
Jetzt beugte sich Orla nach vorn und griff mit beiden Händen rasch nach Rileys rechtem Unterarm, über den er sich eigentlich vom Tisch wegdrehen und vom Stuhl erheben wollte.
„Hör mir doch bitte erst einmal zu, bevor du ablehnst“, bat sie ihn und schaute ihm jetzt direkt ins Gesicht.
Riley wollte sich eigentlich abwenden, aber Orlas Geste fesselte ihn. Er empfand den Kontakt ihrer kühlen Hände auf seinem Unterarm als angenehm.
„Ich weiß ja, und ich habe es noch gut in Erinnerung, Riley. Bei unserem letzten Treffen vor fast vier Monaten sind wir im Zorn auseinandergegangen; oder sollte ich besser sagen: bist du im Zorn aus meinem Haus gestürmt? Und um es dir klar zu sagen: Auch ich war wütend auf dich, dazu ein wenig enttäuscht darüber, dass du so gar kein Verständnis für meine Lage aufbringen konntest.“
Jetzt errötete Riley, wobei Orla immer noch seinen rechten Unterarm festhielt. Von Minute zu Minute wurden ihre Hände wärmer. Riley meinte, ihre aufkommende Wärme spüren zu können. Erneut ein angenehmes Gefühl.
„Ich entschuldige mich für mein Verhalten, aber –“ Weiter kam er nicht, da ihn Orla mit aufgeregter Gegenrede unterbrach und jetzt sogar an seinem Arm rüttelte.
„Hör mir doch erst einmal zu!“
Für zwei Sekunden sahen sich beide in die Augen. Dann wandte Orla ihren Blick nach unten.
„Ich konnte dir das Geld damals nicht leihen, jedenfalls nicht die Summe, die du von mir erwartet hast. Mein Vermögen steckt in der Fabrik, verstehst du? Es ist in Sachwerten vorhanden, aber nicht in barem Geld, sodass ich –“
„Du bist mir doch keine Rechenschaft schuldig, Orla.“
„Das weiß ich, aber ich will, dass du verstehst, warum ich dir damals bei deinen Plänen, ein neues Schiff zu kaufen, nicht helfen konnte. Die Miteigentümer der Fabrik hätten diese Summe als private Leihgabe niemals genehmigt. Dazu kam, dass die Gemeinschaft der Firmeneigentümer gerade erst neu gegründet worden war, und wenn zu diesem Moment jeder eine größere Summe Geld aus der Fabrik gefordert hätte, dann –“
„Ja, dann wäre das ein denkbar schlechter Anfang für euch alle gewesen. Es tut mir wirklich leid, Orla, dass ich damals so harsch reagiert habe.“ Mit diesen Worten erhob sich Riley nun endgültig und ging in Richtung Küche. „Ich war gerade dabei, mit dem Abendessen zu beginnen. Isst du etwas mit? Ich habe Brot mit geräuchertem Fisch.“
„Ja, gerne.“ Orlas Stimme klang wieder normal.
Riley stellte einen zweiten aus Blech gearbeiteten Teller auf den Tisch, fingerte den Fisch aus dem groben Steinguttopf und legte ihn darauf. Das Brot legte er daneben und sprach dann weiter. „Ich habe mir überlegt, dass ich auf Dauer nicht hier in Leith bleiben möchte. Ich würde gerne zurück in die Karibik gehen, weißt du? Da habe ich Freunde, und auch das Wetter ist besser.“
„Willst du dann wieder … als Pirat leben?“ Orla blickte entsetzt.
Riley schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, ich glaube, dass ich inzwischen etwas zu alt bin, um noch als Pirat erfolgreich zu sein. Aber ich kann dort mit viel weniger Geld als hier meinen Lebensunterhalt bestreiten. Auch in der Karibik ernährt einen Fischer das Meer! Dazu scheint fast immer die Sonne.“
„Aber hier ist doch deine Heimat!“ Orlas Stimme klang vorwurfsvoll.
„Die mich aber eher schwermütig macht“, ergänzte Riley ihren Satz. „Ich habe einem dort lebenden Freund einen Brief geschrieben. Er heißt Leddy Gowen, und ich kenne ihn seit seiner Kindheit. Ich hoffe nur, dass der Brief ihn auch erreicht. Ich habe die Post an die Fischer einer Stadt schicken lassen, die an der Südküste der französischen Kolonie Saint-Domingue liegt. Diese Stadt heißt Les Cayes. Bei deren Fischern ist Leddy bestens bekannt. Er ist ein mutiger Kerl und einer der wenigen, denen ich überhaupt zutraue, nach Schottland zu kommen, um mich abzuholen.“
„Und warum sollte der so etwas tun? Ich halte das eher für unwahrscheinlich“, gab Orla zu bedenken.
„Nun ja, ich habe da ein wenig gelogen in meinem Brief “, gestand Riley zögerlich.
„Du hast was, bitte?“
„Nun, ich habe ihm in Aussicht gestellt, dass er hier ein Haus in bester Lage erbt, wenn er mich abholen kommt“, gab Riley bereitwillig zu und grinste Orla dabei breit an.
„Du meinst aber nicht dieses Haus hier, oder?“
„Doch, genau. Aber eigentlich will mir schon George Ogdan das Haus abkaufen. Er hat immer gesagt: Wenn deine Mutter mal nicht mehr ist und du verkaufen willst, Riley, dann frag bitte zuerst mich. Wenn ich das täte, dann hätte ich zumindest etwas Geld für Leddy, mit dem ich meine Überfahrt bezahlen könnte.“ Jetzt machte Riley eine kurze Pause. Dann sprach er weiter. „Und jetzt, wo meine Mutter …“ Etwas hilflos sah er Orla an. „Möchte wirklich mal wissen, wohin die verschwunden ist.“
Mit einem Schulterzucken verteilte er Fisch und Brot auf die Teller. Beide begannen wortlos zu essen.
„Ist am Ende dann doch wohl eher unwahrscheinlich, dass dieser Leddy jemals hier auftaucht, oder?“ nahm Orla ihren Gedanken noch einmal auf.
„Ich würde sagen, dass es genauso wahrscheinlich ist, wie es passieren wird, dass dein geliebter Mads soundso irgendwann hier auftaucht.“ Kaum hatte Riley diesen Satz ausgesprochen, bereute er auch schon, ihn überhaupt gedacht zu haben.
Orla ließ das Stück Fisch, das sie gerade im Begriff war, beidhändig zum Mund zu führen, aus der vollen Höhe auf den Blechnapf fallen, der dies mit einem Ton quittierte, der wie ein Glockenschlag unter Wasser klang.
„Gyllenborg, Mads Gyllenborg heißt er, wenn ich doch bitten darf “, brachte sie pikiert hervor.
„Entschuldige bitte! Es tut mir schon wieder leid.“
Riley versuchte, über den Tisch hinweg Orlas Hand zu ergreifen, die sie ihm aber diesmal demonstrativ entzog.
„Ich wollte dich nicht beleidigen, aber dieser schwedische Kerl raubt dir doch nur Lebenszeit.“
„Sei still!“, herrschte ihn Orla an und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Ich will so etwas nicht hören! Noch ein Wort und ich gehe – au-gen-blick-lich!“
Für einen kurzen Moment war es absolut ruhig am Tisch, und nur das leise Klappern des geschlossenen Fensterladens, an dem das Regenwetter ausdauernd zerrte, war zu vernehmen.
„Orla, entschuldige, es ist meine Eifersucht auf diesen Kerl, die mir diese Worte eben in den Mund gelegt hat.“
Orla zeigte keine Reaktion.
„Orla, als ich dich im Mai dieses Jahres nach Jahrzehnten der Trennung endlich am Silver Sands Inn getroffen habe, war ich noch viel zu stark von den Ereignissen der davorliegenden Nacht erregt und von der Sorge, dass du mich für Aidens Mörder halten könntest. Wenn du auch nur ansatzweise ermessen könntest, was du in den letzten zwanzig Jahren für mich warst –“ Riley brach mitten in seiner Rede ab.
„Was wäre dann?“, fragte Orla in die Pause.
„Vielleicht würdest du dann einsehen, dass ich deine Liebe – jetzt endlich – verdient hätte“, antwortete Riley wieder viel zu schnell und unüberlegt. „Es war ein Scherz, nur ein schlechter Scherz, entschuldige bitte schon wieder.“ Etwas gequält grinste er Orla an und erhob sich erneut von seinem Stuhl.
Doch Orla lachte nicht. Sie sah ihn mit großen ernsten Augen an.
„Na, dann erzähl mal von dir und mir“, forderte sie ihn auf.
„Kannst du dich noch erinnern, Orla, an unser langes Gespräch am Silver Sands Inn?“, begann Riley, während er in der kleinen Wohnstube anfing, auf und ab zu gehen.
„Ja doch! Du hast es jetzt schon zweimal erwähnt.“ Orla klang ungeduldig.
„Damals habe ich dir schon viel aus meiner Vergangenheit berichtet, aber wie präsent du in meinem ganzen Leben gewesen bist, das habe ich mich nie getraut, dir zu sagen.“ Er hielt inne und bedachte seinen Gast mit einem prüfenden Blick. „Wenn ich mit anderen Frauen schlief, habe ich mir vorgestellt, du seist es, die mir gerade ihre Liebe schenkt. Gleichzeitig hatte ich aber immer das starke Gefühl, dich nur ohne ein eigenes Kind zurückgewinnen zu können … Ein eigenes Kind hätte meine Rückkehr zu dir nach Schottland verhindert. Du kannst dir nicht vorstellen, mit welchem Aufwand und welchen Anstrengungen ich dieses Ziel über Jahre hinweg verfolgt habe.“
Jetzt machte er eine Pause und atmete mehrere Male hörbar durch.
„Ich habe mich in endlosen Tagträumen zu dir geflüchtet, mich mit dir unterhalten, dich um Rat gefragt. Die Pest habe ich nur überstanden, weil ich an dich geglaubt habe. Ich wollte glauben, dass du meine Lebensbestimmung bist und dass ich nicht eher sterben werde, bevor nicht du und ich –“ Wieder brach er mitten im Satz ab. „So, jetzt weißt du fast alles, und du darfst mich jetzt auch auslachen.“
Riley blieb direkt Orla gegenüber auf der anderen Tischseite stehen und stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte. Er schaute Orla direkt in die Augen, und sie hielt seinem Blick stand. Er hoffte, wenn schon keine Zuneigung – so doch wenigstens ein staunendes Wohlwollen in ihrem Gesicht zu erkennen; doch Orla erwiderte seinen Blick mit einer ruhigen, ernsten Miene, die er nicht weiter zu deuten vermochte. So richtete er sich wieder zur vollen Größe auf und begann erneut, auf und ab zugehen.
„Dann komme ich nach langer, langer Zeit endlich nach Hause, zu den Menschen, die das Ziel meiner Sehnsucht waren – und was finde ich vor? Eine veränderte Welt. Der Vater tot, die Mutter verrückt, und bei der Liebe meines Lebens –“ Riley unterbrach seine Rede und blieb mitten in der Stube stehen. Dann schüttelte er den Kopf zwischen beiden erhobenen Händen, die er danach in einer hilflosen Geste vor seinem Körper nach unten fallen ließ.
Orla hatte für einen Moment das Gefühl, dass Riley in Tränen ausbrechen könnte. Doch Riley fuhr fort.
„Aber natürlich: Da gab es noch jemanden, den ich gesucht hatte. Der war allerdings das Ziel meines über zwanzig Jahre angestauten Zorns. Aiden, dieser verdammte Verräter. Das Ziel all meiner Rachegelüste.“
Die Kerze am anderen Tischende flackerte bedrohlich und drohte zu verlöschen.
„Ich hole schnell noch eine Kerze“, bemerkte Riley und ließ Orla im Halbdunkel des Zimmers zurück. Sie hörte vom Flur her, dass er die hölzerne Stiege nach oben kletterte. Nach kurzer Zeit war er zurück und entzündete die mitgebrachte Kerze an der ersten.
„Ja, selbst bei meiner Rache ist mir das Schicksal wieder zuvorgekommen. So bin ich völlig umsonst nach Hause gekommen, und daher habe ich wohl zu Recht Heimweh nach der Karibik.“ Die Worte verhallten im Raum, und Riley nahm wieder auf seinem Stuhl Platz.
„Du wolltest noch etwas zur Liebe deines Lebens gesagt haben.“ In die Stille hinein klang Orlas Tonfall lockend und zärtlich.
„Nun, für die Erfüllung der großen Liebe bin ich wohl leider ein paar Wochen zu spät nach Hause gekommen – Schicksal, da ist man machtlos!“, kam Rileys sarkastische Antwort. „Dabei war ich zunächst so froh gewesen, also froh über deine Trennung von Aiden, von der mir Marjorie berichtet hatte, und dann: Ja, dann ist da schon wieder jemand da, der mir meine Liebe stiehlt. Nur ist es diesmal so ein junger dahergelaufener Schwede, der –“
„Mads ist kein dahergelaufener Schwede, Riley.“ Orla unterbrach ihn energisch mit Zorn in der Stimme. „Wenn er mein Herz gestohlen hätte, hätte es ja vorher dir gehören müssen, oder? Das war noch nie der Fall, Riley! Und ja: Es war das Schicksal, das Mads und mich zusammengeführt hat.“
„Ach ja? Und wie, glaubst du, wird dieses Schicksal mit dir umgehen? Ich gebe dir hier und heute die Antwort: Dieses Schicksal wird dir genau das Gleiche zumuten, das es auch mir zugemutet hat! Ich behaupte, dass auch deine Sehnsucht, meine liebe Orla, am Ende bitter enttäuscht werden wird. Aber bis es dazu kommt, wirst du wertvolle Lebenszeit mit dieser verdammten Sehnsucht im Herzen vergeudet haben. Erzähl mir bitte nicht, dass du die Schleier des Zweifels über deiner Sehnsucht nicht schon selbst verspürt hättest.“
„Das reicht!“ Orla war aufgesprungen. „Ich will mir das nicht weiter anhören. Eigentlich wollte ich dich nur besuchen, um dir meine Hilfe bei der Suche nach deiner Mutter anzubieten; ich wollte dir meinen Kutscher zur Verfügung stellen, der mit dir die Nordwestseite der Bucht hätte absuchen können, aber ich hätte eigentlich auch ahnen können –“
„Du hast mich aufgefordert, mich zu öffnen, ehrlich zu sagen, was mir auf der Seele lag. Und ich bin froh, dass du jetzt meine Sehnsucht kennst.“ Hier machte Riley eine Pause, in der er Orla seinen Rücken zudrehte, um sich mit dem Zeigefinger über die Augen zu wischen. „Aber natürlich“, jetzt wandte er sich mit einem Seufzer wieder Orla zu, „natürlich werde ich – und das habe ich dir schon einmal versprochen – deiner Liebe mit diesem Mads wirklich nicht im Wege stehen, aber ich will auch nicht dabei zusehen müssen, wie du Jahr um Jahr tiefer in deiner Enttäuschung versinkst, weil du die Schleier zwar spürst, sie aber nicht wahrhaben willst.“
„Und was sollte ich deiner Meinung nach tun?“, fragte Orla mit provozierendem Unterton nach.
„Aufhören, auf Wunder zu hoffen!“, lautete die harte und schnelle Antwort. Dann ergänzte Riley noch, vielleicht zu schnell: „Weißt du, Orla: Ich bin ganz sicher nicht in einer Position, aus der heraus ich dir Ratschläge zu erteilen hätte; aber ich habe inzwischen gelernt, mit meinen Wünschen und Sehnsüchten umzugehen. In diesem Punkt bin ich dir dann doch schon einen guten Schritt voraus.“
„Das klingt ganz schön überheblich, mein Lieber. Ich habe genug gehört.“ Orla sah Riley einen Moment lang kopfschüttelnd an. Dann erhob sie sich, nahm ihre Jacke von der Lehne und wickelte auch den Schal wieder gekonnt um den Kopf. Dann fragte sie mit einer Stimme, die eher beiläufig, aber auch kalt klang: „Und was wirst du jetzt tun, bis dein Messias kommt, Riley?“
„Nun, wenn meine Mutter nicht zurückkehrt, verkaufe ich das Haus an George Ogdan und gehe von hier fort. Ich suche mir eine Arbeit, die deutlich besser bezahlt ist als meine Hilfsarbeiten für die Fischereigesellschaft. Ein eigenes Boot werde ich mir trotzdem wohl nie mehr leisten können.“
Eigentlich war sich Orla sicher gewesen, dass Riley den Rest seines Lebens hier in Leith verbringen und abwarten würde. Daher erschrak sie schon ein wenig, als Riley so bestimmt das Wort vom Fortgehen in den Mund nahm. Sie wollte auf keinen Fall, dass er fortging. Denn sie hing trotz aller Meinungsverschiedenheiten immer noch an „ihrem“ Riley. Sie beide verband doch so viel. Gehörte er nicht hierher nach Leith? Ihre Miene blieb unbewegt, doch am liebsten hätte sie ihn mit einer Stelle in ihrer Fabrik zum Bleiben bewegen wollen. Aber abgesehen davon, dass sie keine Stelle für ihn hatte, wollte sie auch kein falsches Signal an Riley senden.
An der Haustür angekommen, drehte sich Orla ein letztes Mal zu Riley um. „Hast du schon eine Idee, wohin du gehen wirst?“
Zu ihrem Erstaunen nickte Riley. Sie schaute ihn mit großen Augen an.
„Ja, da soll im nächsten Jahr eine hölzerne Bahnstrecke von Tranent nach Cockenzie fertiggestellt werden. Dieser Cockenzie Waggonway, auf dem von Pferden gezogene Waggons fahren sollen, ist wichtig für die großen Salinen, da auf der neu geformten Fahrbahn die Kohle aus dem Tagebau bei Tranent nach Cockenzie zu den Salzpfannen gebracht wird. Mir ist zu Ohren gekommen, dass die York Buildings Company noch Arbeiter sucht, und die sollen auch richtig gut bezahlen.“
Orla hätte noch viele Fragen gehabt, die sie sich aber im Moment selbst verbot. „Dann wünsche ich dir viel Glück bei deiner Arbeitssuche. Gib mir auch mal Bescheid. Mein Angebot zur Suche deiner Mutter kennst du ja.“
„Ich überlege es mir, Orla – danke!“, antwortete er, umarmte sie mit beiden Armen und drückte die zierliche Frau für die Zeit von drei bis vier Atemzügen an sich.
In diesen Sekunden, die für einen normalen Abschied deutlich zu lang waren, kam von Orla keine Gegenwehr. Dann öffnete Riley zuerst sanft seine Arme und danach – mit einem kräftigen Ruck – die Haustüre. Mit gemischten Gefühlen entließ er seine geliebte Besucherin nach draußen, ins nasskalte Hundewetter.
8. April 1722
Das hatte Aiden Hunter wirklich nicht geplant. Töten war nie seine Absicht gewesen. In dem Moment aber, in dem er zum ersten Mal willentlich ein anderes Leben auslöschte, wurde er endgültig zum Gejagten. Gejagt von den eigenen Geistern der Erinnerung und den Soldaten der englischen Armee, die ihm ab heute nicht mehr vergeben würden.
Während er, die noch rauchende Waffe in seiner Rechten, sich langsam rückwärts zur Tür bewegte, nahm Aiden das Geschehen in der Schankstube des Gasthofes Inveraray Inn nur noch schemenhaft wahr. Er hatte nur einen einzigen Schuss abgegeben und diesen verdammten englischen Offizier knapp oberhalb des schwarzen Hosengürtels getroffen; und trotzdem waren die zwei weiteren Männer im Raum zeitgleich zu Boden gegangen. Hätte Aiden ein noch funktionierendes Zeitgefühl besessen, wäre ihm aufgefallen, dass der Getroffene mit der hellrot pumpenden Fontäne, die sich am Bauch des Mannes überraschend schnell durch den weißen Stoff seines Hemdes presste, zuerst auf die Knie und erst danach mit einem seltsam gurgelnden Geräusch ohne jeden schützenden Reflex vornüber als Letzter der drei Männer mit seinem Kopf am Boden aufschlug. Der markante rote Rock des Getroffenen, der ihn als englischen Offizier auswies, schien über der Stuhllehne hinter ihm nur kurz mit den Schultern gezuckt zu haben.
Mit der linken Hand riss Aiden jetzt die schwere Holztür auf, glitt ins Freie und schlug sie ebenso schnell wieder hinter sich zu. Draußen kam es Aiden unnatürlich still vor. Vielleicht lag es daran, dass die laute Explosion des Schusses noch in ihm nachhallte. Selbst die Waldvögel schienen ob der ungeheuerlichen Tat ihre Unterhaltung eingestellt zu haben. Aiden drehte sich um und begann zu rennen. Zunächst geduckt entlang der Hausfassade, dann quer über den breiten Hof bis hin zu der geschmiedeten Haltevorrichtung bei den Stallungen, an denen er vor einer gefühlten Ewigkeit sein Pferd festgemacht hatte. Keuchend erreichte er das Tier. Seine Lunge brannte vor Anstrengung. Gehetzt schaute er sich um. Beim Durchatmen steckte er hastig die warme Pistole zurück in das breite, braune Bauchtuch. Noch konnte er keine Verfolger ausmachen, doch das würde sich wahrscheinlich schnell ändern. Kaum hatte er mit zittriger Hand seinen Braunen losgebunden, saß er auch schon im Sattel und trieb das geduldige Tier, das ihm gerade auch wegen dieser Eigenschaft zugeteilt worden war, ruppig zur Eile.
Warum nur hatte er sich ausgerechnet heute und auch noch allein auf diese Unternehmung eingelassen? Hätte es ihm nicht als Zeichen des Himmels dienen müssen, dass niemand bereit gewesen war, an diesem Morgen mit ihm zu reiten, um diesen Gasthof hier zu überprüfen? Sein üblicher Begleiter für Erkundungsritte, Josh, hatte ihn wegen eines Darminfekts nicht begleiten können. Aber das Inveraray Inn wollte Aiden unbedingt selbst kontrolliert haben. So hatte er die Warnungen anderer Bandenmitglieder, auf keinen Fall allein zu reiten, großmäulig in den Wind geschlagen. Noch bevor ihn Rob Roy, der Anführer der Bande, in der er jetzt schon fast zehn Monate lebte, hätte stoppen können, war er unterwegs gewesen.
Aiden schlug mit der flachen Hand immer wieder auf das Hinterteil des braven Tieres ein. Doch ausgerechnet in diesem Moment schien sich das Pferd gegen die ungewohnt grobe Behandlung seines Reiters auflehnen zu wollen. Mehrfach schüttelte es widerwillig den schweren Schädel und verlangsamte für wenige Sekunden das Tempo, wie um seinem Reiter zu signalisieren, dass weiteres schmerzhaftes Reißen an der Trense und ein sich hektisch wiederholender Fersenschlag auf die Flanken auch keine schnellere Gangart zur Folge hätten. In Ermangelung einer Gerte schrie Aiden das Tier dazu noch aufpeitschend an. „Na los, komm schon! Auf, hier entlang!“
Aidens schrille Kommandos schienen jetzt endlich die nach hinten gelegten Ohren seines Fluchthelfers erreicht zu haben. Das sensible Tier hatte wohl endgültig die brenzlige Lage seines Herrn erfasst und fiel von einer zur nächsten Sekunde in schnelleren Galopp. Nach Durchquerung des kleinen Wäldchens, das den Gasthof umgab, schien das Pferd plötzlich zu fliegen, und Aiden musste alle Kraft aufbringen, um sich im Sattel zu halten. Den Oberkörper flach nach vorne gebeugt, krallte er sich jetzt mit beiden Händen am Sattelknopf fest, was eine treibende Bewegung mit den Zügeln unmöglich machte. Doch das Pferd schien verstanden zu haben, dass der Teufel ihnen im Nacken saß, und gab sein Bestes.
Vordergründig floh Aiden vor den möglichen Verfolgern. Schließlich hatte er soeben einen Offizier der englischen Armee getötet, nur weil der ihn als aufständischen Jakobiten wiedererkannt hatte. Warum nur hatte dieser sture Kerl seinen Beteuerungen, dass er sich in ihm täusche, nicht geglaubt? Doch Aiden Hunter floh auch vor den schrecklich blutigen Bildern seiner Tat, die sich jetzt schon in seine Erinnerung eingebrannt hatten. Dazu kam die Wucht der Gewissheit, zum ersten Mal im eigenen Leben ein anderes mutwillig ausgelöscht zu haben. Diese Wahrheit fühlte sich für Aiden keineswegs gut oder gar heroisch an.
Wie oft hatte er in seinen Träumen und Vorstellungen schon den ein oder anderen Rotrock vom Pferd geschossen, niedergeschlagen oder abgestochen und dabei immer ein gutes und befriedigendes Gefühl genießen dürfen? Doch jetzt, wo es tatsächlich passiert war, empfand Aiden kein heldenhaftes Glücksgefühl, keinen euphorischen Siegesrausch. Nein, er war eigentlich nur froh, davongekommen zu sein. Bereute er schon, was er soeben getan hatte?
Nein, er hatte so handeln müssen. Und doch: Nur um seine eigene Haut zu retten, hatte er, ohne weiter darüber nachgedacht zu haben, getötet. Nein, das klang zu negativ in seinen Ohren. Notwehr! Ja doch! Er hatte aus purer Notwehr so handeln müssen! Aiden fühlte sich schon deutlich besser mit dieser Formulierung. In ihm meldete sich eine Stimme, die ihm schmeichelte, seine Erregung zu dämpfen suchte und ihn tatsächlich zunehmend beruhigen konnte. Die Stimme raunte ihm zu: „Aiden, es war die reine Notwehr! Du warst darauf vorbereitet, und du warst gut und schnell.“
In den ersten Minuten der Flucht hatte Aiden seinem Tier die Fluchtrichtung überlassen. Er selbst war in diesem kurzen Moment seiner panisch-kopflosen Flucht nicht in der Lage gewesen, sich zu orientieren. Allmählich gelang es ihm wieder, den eigenen Puls in einen normalen Bereich zu drücken und sein gelähmtes Ich aus der Starre zu führen. Er bremste seinen dahinfliegenden Braunen durch beruhigendes Zureden, das ihm auch selbst guttat. Als das Tier nach etwa zwei Meilen kurzzeitig in Trab überging, richtete sich Aiden vollends im Sattel auf, atmete mehrfach tief durch und tätschelte anerkennend den glänzend nassen Hals seines angestrengten Pferdes.
Doch die Angst vor Verfolgern holte ihn nach wenigen Yards erneut ein; so trieb er das gehorsame Tier erneut an, auch wenn er jetzt einen etwas weniger schnellen Galopp duldete. Der Sonnenstand bestätigte ihm, dass sie beide auf dem zielführenden Weg nach Osten unterwegs waren.
Vor knapp einem Jahr, im Mai 1721, hatten ihn die Jakobiten mit ihrem Anführer Robert MacGregor an der Spitze, der hier nur Rob Roy genannt wurde, in der Nähe von Mallaig an der Nordwestküste Schottlands aus englischer Gefangenschaft befreit. Seit dieser Zeit war er mit Rob Roys Bande auf der Flucht. Dass er heute einem ehemaligen Wachoffizier aus dem englischen Fort Mallaig über den Weg laufen sollte, war wirklich großes Pech für ihn gewesen. Doch nein, wenn er darüber nachdachte, war es eher großes Pech für den Rotrock gewesen, der das außergewöhnliche Wiedersehen schließlich mit seinem Leben bezahlt hatte.
Zum Glück hatten ihn seine Freunde in Rob Roys Bande den Umgang mit der Waffe und auch das Reiten gelehrt. Gerade das Reiten hatte sich für Aiden als eine besonders schmerzhafte und anstrengende Lehre erwiesen. Inzwischen aber war er trotz seines Alters von bereits fünfundvierzig Jahren einer der schnellsten, wenn es um die Zeit ging, bis die Männer im Sattel saßen. Das Reiten sowie das schnelle Verstecken in unwegsamem Gelände waren tatsächlich die wichtigsten Fertigkeiten der Jakobiten, wollte man den Engländern bei einem überraschenden Zusammentreffen entkommen. Rob Roy ließ diese Dinge in kleinen Wettbewerben trainieren, was den Männern zum einen die Langeweile vertrieb und zum anderen ihr Selbstvertrauen stärkte. Inzwischen war es Aiden sogar gelungen, da er unverändert eine schlanke Figur, einen zierlichen Körperbau sowie eine gute Kondition hatte, bis in das Mittelfeld der besten Reiter der Gemeinschaft von knapp vierzig Männern aufzusteigen. Darüber hinaus zeichnete sich Aiden bei jedem noch so kleinen Wettbewerb durch besonderen Ehrgeiz und Rücksichtslosigkeit aus.
Als der junge Leroy Wilson deutlich schneller vom Pferd gesprungen und schon auf sein Versteck zugerannt war, hatte Aiden ihn kurzerhand über den Haufen geritten, wobei Leroy sich äußerst schmerzhaft den rechten Unterarm gebrochen hatte. Seitdem verweigerte der pausbäckige Leroy Wilson jede gemeinsame Aktion mit Aiden. Bis zu diesem Zeitpunkt war Leroy der mit Abstand beste Holzfäller der Truppe gewesen. Als Besonderheit an Leroy fielen seine Augen auf, die er beim Nachdenken gerne fest zusammenkniff. Wenn er sie dann wieder öffnete, blitzten sie oft listig, und es war klar, dass Leroy gleich wieder einen seiner Vorschläge äußern würde. Dann überraschte er Rob Roy und seine Freunde fast immer mit ausgefallenen Einfällen zur Situation. Nach dem Genuss von Alkohol neigte er allerdings zu Aggressionen. Deshalb ging Aiden dem kräftigen Jungen vorsorglich aus dem Weg.
Die Entfernungen, die die Aufständischen um Rob Roy immer wieder zurücklegen mussten, um von den englischen Truppen nicht plötzlich entdeckt und überrascht zu werden, waren groß und verschlangen eine Menge Zeit. Die Männer um Robert MacGregor schliefen längstens zwei Wochen am Stück im selben Quartier. Spätestens dann wurde eine andere, meist schon bekannte Bleibe gewählt. Um nicht in einen Hinterhalt zu geraten, wurden diese Örtlichkeiten immer von zwei oder drei Männern vor Ankunft der gesamten Bande entsprechend beobachtet und ausgekundschaftet. An diese häufigen Ortswechsel (besonders in der Sommerzeit) konnte sich Aiden nur schwer gewöhnen.
Denn eigentlich war er bodenständig. Er dachte mit Wehmut zurück an die glückliche Zeit, in der er mit seiner Frau Orla und ihrem gemeinsamen Sohn Sean Kester ihr kleines Häuschen am östlichen Rand von Kingston upon Thames bewohnt hatte. Ja, diese Zeit war glücklich gewesen, obwohl der Ort tatsächlich mitten im Feindesland, in England, gelegen hatte. Dieses Haus in der Malden Street war in den achtzehn Jahren, in denen sie dort gewohnt hatten, im Rückblick wie ein vertrautes Schiff gewesen. Ein Schiff, auf dem er sich und seine kleine Familie einem riesigen, feindlich gesonnenen Wellenschlag ausgesetzt sah, der von Missgunst und neidischer Konkurrenz der englischen Gesellschaft genährt wurde. War es da nicht schon ein kleines Wunder gewesen, dass sie so lange auf diesem Schiff durchgehalten hatten? War sein berufliches Scheitern nicht sogar immer schon von viel größerer Wahrscheinlichkeit gewesen als ein möglicher Erfolg?
Das Nomadenleben, das er jetzt führte, hatte er auch als Kind führen müssen; und er hatte es gehasst! Ja, seine Eltern waren als aktive Jakobiten ebenfalls über Jahre verfolgt und immer wieder neu auf der Flucht gewesen, bis der Vater dann in der Schlacht von Killiecrankie sein Leben für die gute Sache hatte opfern müssen. Leider verstarb auch seine Mutter nur wenige Monate später im Kindbett unter der Geburt seiner kleinen Schwester. Als einige Wochen danach der Bruder seiner Mutter, sein Onkel Farlan, ihn, den Vollwaisen, zu sich in seine Familie holte, lebte Aiden zum ersten Mal in seinem jungen Leben über mehrere Jahre an einem Ort. Aber heimisch war er dort – in diesem Punkt war er sich heute absolut sicher – nie geworden. Dazu waren ihm seine Stiefeltern einfach zu fremd geblieben. Natürlich war er diesen Menschen bis heute dankbar, dass sie ihn aufgenommen hatten (besonderer Dank galt seiner Stiefmutter Ailis). Aber dass er dort heimisch geworden wäre? Nein, als Heimat hatte auch dieser Ort nie getaugt. Dazu hatte es dem Haus in Leith, weiß Gott, einfach immer an Wärme gefehlt. Bleiberecht, Erziehung, Zuneigung – alles hatte er sich immer wieder selbst und aufs Neue verdienen müssen.
Warum sonst hätte er sich damals diesem Wahnsinnsabenteuer der Koloniegründung anschließen sollen? Für ihn stand fest: Die Ungerechtigkeit hatte ihn damals vertrieben. Die Stiefeltern hatten ihren leiblichen Sohn Riley ihm gegenüber immer bevorzugt! Hatte er nicht immer wieder versucht, alles zu geben? Und trotzdem …
Aiden war von sich überrascht, dass ihn die Gedanken an die Zeit bei den MacIntyres und besonders seine Erinnerungen an Riley immer wieder so stark aufwühlten. Er verbot sich dann oft selbst, weiter über diese Zeit nachzudenken. Die zunehmende Bitterkeit, mit der die erlebten Ungerechtigkeiten in den letzten anderthalb Jahren immer wieder in ihm aufstiegen, war für Aiden eine neue Erfahrung.
Der Blick auf eine markante Baumgruppe riss ihn aus seinen Gedanken. Gott sei Dank! Sein Brauner und er waren auf dem richtigen Weg in das schützende Lager von Rob Roy. Der Ort seiner Bluttat, das Inveraray Inn, lag jetzt schon mindestens sieben bis acht Meilen hinter ihnen und westlich der Kreuzung, auf die sie – immer noch im Galopp – zuritten. Aiden wusste, dass er sich nun nach Norden wenden musste. Zwei Meilen weiter würde er den Shira erreicht haben, einen Fluss, der ihn danach auf kleinen, unwegsamen Wiesenpfaden weiter nach Nordosten bis zur Siedlung Dimlee begleiten sollte, in deren Nähe Robert MacGregor ein altes Gehöft besaß. Von dort war er heute am frühen Morgen aufgebrochen. Im Moment aber kam es ihm vor, als sei er schon mindestens eine ganze Woche lang allein unterwegs. Der Plan der Truppe sah vor, von dort in zwei Tagen mit Besuch des Inveraray Inn zur Proviantaufnahme nach Südwesten weiterzuziehen. Rob Roy kannte den Wirt als einen Sympathisanten der jakobitischen Sache. So gehetzt, wie Aiden im Moment unterwegs war, freute er sich zum ersten Mal auf seine Kameraden. In deren Gemeinschaft fühlte er sich stark und sicher, wenn er mal von diesem Leroy Wilson absah, der ihm seit seinem folgenreichen Reitmanöver feindlich gesonnen schien.
Bevor er vor einem knappen Jahr in englische Gefangenschaft geriet, war er unter dem Decknamen Hamish MacGregor für die Jakobiten unterwegs gewesen. Er sollte als Spion des Bischofs von Rochester die englischen Kasernen in Fort William und Mallaig auskundschaften. Weil er ahnte, dass er von seinen Verfolgern unter diesem Namen gesucht würde, hatte er sich in Rob Roys Bande mit seinem richtigen Namen vorgestellt. Sollten seine Verfolger nur weiter nach Hamish MacGregor fahnden. Er war seit seiner Flucht wieder Aiden Hunter. Für ihn war diese Person Hamish, mit der er nie gut übereingestimmt hatte, seit dieser Zeit gestorben.
Inzwischen nach Norden unterwegs, drängte er den Braunen erneut zur Eile. Die Wege waren heute trocken und voller Hufabdrücke, was ihn beruhigte. Er hoffte, möglichst wenige eigene frische und verfolgbare Spuren zu hinterlassen.
Im engen Innenhof des Anwesens von Rob Roy herrschte an diesem frühen Nachmittag rege Betriebsamkeit. Da in zwei Tagen ein erneuter Aufbruch bevorstand, war es an der Zeit, sich nochmals um Pferd und Ausrüstung zu kümmern. Wegen des schönen, trockenen Wetters waren die meisten Mitglieder der Truppe im Freien und trafen dort ihre Vorbereitungen. Einige standen in kleinen Gruppen zusammen und diskutierten über Gott und die Welt. Aiden bemerkte Rob Roy, der sein Pferd am Zügel hielt, während ein kräftiger Kerl, die Fessel der Hinterhand an seine Lederschürze pressend, damit beschäftigt war, einen Huf gründlich zu säubern. Als Rob Aiden erblickte, gab er die Zügel an den neben ihm stehenden Jeff weiter, um zu Aiden gehen zu können. Rob schien auf Aiden gewartet zu haben. Als er bei ihm ankam, stand der schon neben seinem Pferd und musste erst einmal durchatmen. Rob bemerkte intuitiv, dass irgendetwas nicht stimmte. Sein Gesicht verdunkelte sich.
„Ist der Teufel hinter dir her gewesen? Oder warum schwitzt das Tier so stark?“ Dabei klopfte er dem Braunen nachdenklich den Hals.
„Ja, also, Rob.“ Aiden massierte sich mit der rechten Hand nervös die Kinnspitze. „Also, zum Inveraray Inn können wir auf gar keinen Fall.“
„Wie bitte? Erzähl, Mann! Was ist passiert?“
„Wollen wir das nicht besser im Haus besprechen?“
Bei dieser Frage zog Rob die Augenbrauen erstaunt nach oben. „Wir haben vor den Männern hier keine Geheimnisse. Los, erzähl!“ Robs Ungeduld war zu spüren.
„Ja, also, ich bin zum Inveraray Inn geritten. Hab’ das Haus vom vorderen Wäldchen aus beobachtet. Alles war absolut ruhig. Keine Pferde im Innenhof. Also …“ Jetzt machte Aiden eine kurze Pause und schaute zu Boden. Er vermied jeden Augenkontakt zu Rob.
„Also was?“, fragte Rob nach.
„Na ja.“ Aiden zögerte. „Also, äh, ich habe angenommen, dass keine Besucher im Gasthof sind. Dann bin ich hineinspaziert.“
„Du weißt aber schon, dass die Pferdetränke hinter dem Haupthaus am Bach ist, oder?“, fragte Rob kritisch nach.
„Ja, eigentlich schon, aber ich hielt es für unmöglich, dass alle Pferde auf einmal an der Tränke sein sollten. Außerdem befand sich kein einziges im Innenhof.“
„Und so hast du dein Pferd in den Innenhof gestellt und nicht in das Wäldchen davor. Na, hab ich recht?“
Aiden schaute kurz auf und nickte wortlos. Inzwischen sahen sich Rob und Aiden samt Pferd umringt von weiteren Mitgliedern der Bande, die am Ton der Unterhaltung schnell gemerkt hatten, dass hier ein Gewitter aufzog. Beim bekannten Jähzorn ihres Bandenoberhaupts ging man einem offenen Streit mit diesem Mann besser aus dem Weg. Doch wenn andere dabei waren, Ärger zu bekommen, war man natürlich immer interessiert.
„Ich will das jetzt nicht glauben. Du warst zu faul, um das Gehöft herumzulaufen, und zu faul, dein Pferd ordentlich zu verstecken?
„Ich habe halt gedacht …“
„Erzähl mir keine Ausreden!“, herrschte ihn Rob an. „Was ist dann passiert?“
„Na ja, ich bin ganz normal in die Gaststube, und da saßen sie dann.“
„Verdammt, wer saß da? Lass dir doch nicht jeden Satz aus der Nase ziehen!“ Rob wurde lauter.
„Na, zwei englische Rotröcke, und die haben mit dem Wirt gesprochen. Haben erzählt, dass die zwei Jüngsten gerade die Pferde tränken würden; und dass sie genauso durstig wie ihre Tiere wären; der Wirt solle ihnen die Gläser noch mal recht voll machen mit diesem schmackhaften Whisky, und er solle nicht so geizig sein.“
„Verdammt“, unterbrach ihn Rob. „Ich hoffe, dass du dich unter einem Vorwand schnell wieder verpisst hast, oder?“
„Ja, eigentlich wollte ich das auch, aber …“ Wieder stockte Aidens Erzählung.
„Jetzt sag schon, was aber? Los, Aiden!“
„Einer der Rotröcke hat mich erkannt.“
Für einige Sekunden war es totenstill auf dem Hof. Sämtliche Unterhaltungen waren wie auf ein Kommando schlagartig unterbrochen, und sogar das kratzende Geräusch der Hufreinigung verstummte augenblicklich.
Aiden schaute erschrocken in die weit aufgerissenen Augen des Bandenchefs vor ihm.
„Also, der eine englische Mistkerl war ganz schön besoffen; der musste schon ordentlich dem Whisky zugesprochen haben. Deswegen hatte er auch schon seinen roten Rock ausgezogen. Eine Pistole oder Muskete habe ich bei ihm nicht gesehen. Sie waren auf alle Fälle nicht griffbereit. Was der Zweite gemacht hat, habe ich gar nicht so richtig mitbekommen. Es ging alles so schnell.“
„Was also ist passiert?“, fragte Rob lauernd.
„Na ja, als der Dicke auf dem Stuhl mich erblickte, unterbrach er sein Gespräch mit dem Wirt und zeigte mit ausgestreckter Hand auf mich. Dann hat er losgebrüllt: dass er es nicht fassen könne; dass ich der Scheißkerl sei, der aus der Kaserne in Mallaig geflohen sei; und dass er als Wachoffizier damals deswegen richtig Probleme bekommen habe, nur wegen meiner Flucht und so.“
„Da konntest du, Gott sei Dank, schnell verschwinden, oder?“
„Äh, nein, ich war zuerst wie gelähmt. Dann habe ich mehrfach beteuert, dass er mich ganz sicher verwechselt, aber da hat der Kerl nur dröhnend gelacht und gesagt, dass er sich zu gut an mich erinnern könne. Er sei schließlich wegen mir degradiert worden und reite deshalb hier als Idiot durch die Landschaft. Dabei hat er laut gelacht und ein paarmal gerufen, wie sehr er sich freue, mich wiederzusehen. Dann hat er sich mühsam vom Stuhl erhoben und kam wankend –“
„Verdammt, spätestens jetzt bist du getürmt, oder?“ Robs Stimme klang heiser.
„Nein, zuerst habe ich dem Kerl ein Loch in seinen fetten Wanst geschossen, und erst danach habe ich mich dann aus dem Staub gemacht.“
„Nein, das hast du nicht wirklich?“ Rob Roy trat einen Schritt auf Aiden zu, der vor ihm zurückwich. „Weißt du Schwachkopf eigentlich, was das für uns bedeutet? Wir müssen unsere Pläne für den kommenden Sommer völlig neu überdenken. Auf die Unterstützung des Inveraray Inn können wir jetzt wirklich nicht mehr hoffen, und in spätestens ein bis zwei Wochen wimmelt es in dieser Gegend nur so von Rotröcken.“
„Aber das war Notwehr! Ich musste so handeln“, warf Aiden ein und wurde laut.
Rob Roy schüttelte ungläubig den Kopf. „Oh Mann, du hast dich aus eigener Dummheit in diese Lage gebracht, und inzwischen glaube ich auch zu wissen, warum du es getan hast.“
Aiden wirkte überrascht. Breitbeinig, mit verschränkten Armen baute sich Rob jetzt vor Aiden auf. Dann schaute er sich in der Runde der sie umstehenden Männer um.
„Habe ich nicht immer angeordnet, dass niemand, ich wiederhole: dass niemand allein losreitet, um Dinge auszuspionieren? Man muss immer zu zweit –“
„Aber Josh konnte nicht!“, rief Aiden dazwischen.
„Hast du denn einen anderen gefragt, damit ein zweiter Mann mitkommt?“
„Da hätte ich zu viel Zeit verloren und sicher –“
Jetzt stieß Rob Aiden mit seiner wuchtigen Faust vor die Brust.
„Jetzt sag’ ich dir mal, was mir gedämmert ist, als ich gehört habe, dass du allein losgeritten bist.“ Er stieß Aiden erneut an. „Mir ist wieder eingefallen, dass unbedingt du derjenige sein wolltest, der das Inveraray Inn kontrollieren und ausspionieren sollte. Ja, zum ersten Mal hast du dich bei solch einer Aktion direkt vorgedrängelt, und ich habe mich gefragt: Warum will der Kerl unbedingt ins Inveraray Inn, wenn er doch sonst beim Ausspionieren von Häusern oder Ortschaften eher als Letzter in der Reihe steht?“
Aiden war inzwischen einen weiteren Schritt vor Rob Roy zurückgewichen. Der stemmte beide Fäuste in die Hüften und sprach weiter. Aiden konnte wegen der umstehenden Männer nicht noch weiter nach hinten ausweichen.
„Dann ist mir die Antwort eingefallen.“ Rob schlug sich leicht mit drei Fingern der rechten Hand an die Stirn. Dann wandte er sich von Aiden ab und drehte sich zu den Männern. „Ich habe mich daran erinnert, dass ich euch über das Inveraray Inn informiert habe. Wie der Wirt heißt und dass er auf unserer Seite steht und so weiter. Unter anderem habe ich auch berichtet, dass der uns so verhasste Herzog von Montrose sich dort an jeweils zwei Wochenenden im Monat mit Adeligen trifft, für deren Loyalität er sie mit Huren aus der Gegend um Mallaig und Fort William versorgt. Ich habe euch erzählt, dass ich selbst noch vor einigen Wochen kurzzeitig Augenzeuge eines solchen Treffens war. Ich habe euch berichtet, dass mir damals unter den Huren eine besonders aufgefallen ist, eine, die mich mit ihrer Schönheit wirklich beeindruckt hat. Der Wirt hatte mir dann sogar ihren Namen verraten und dass sie eine verarmte Adelige sein soll, deren Mann wohl für die Jakobiten gekämpft hatte. Da hast du, Aiden, mir damals ihren Namen zugerufen, der mir nicht mehr eingefallen war.“ Rob machte eine kurze Pause.
„Ich habe nur gefragt, ob ihr Name Marjorie war“, warf Aiden etwas kläglich ein.
Ein hässliches Auflachen aus Rob Roys Kehle schnitt ihm das Wort ab. Der schaute Aiden mit funkelnden Augen wütend an.
„Ha, verdammt! Genau damit hast du dich verraten, mein Freund! Die hieß tatsächlich Marjorie. Jetzt, wo ich über diese Belanglosigkeit nachdenke, bin ich mir plötzlich sicher: Es war diese Marjorie, wegen der unbedingt du zum Inveraray Inn musstest. Und schließlich ist auch wieder Wochenende. Na, hab ich recht?“ Erneut stieß er Aiden mit seiner massigen Faust vor die Brust.
Die umstehenden Männer bestätigten Rob Roys Aussage mit zustimmendem, halblautem Gemurmel. Aiden sah sich hilflos den wuchtigen Anschuldigungen ausgesetzt.
„Na, gib schon zu, dass ich recht habe mit meiner Vermutung!“ Erneut bohrte Rob Roy nach.
Aiden zog es vor, zu schweigen. So beantwortete sein Gegenüber sich die Frage selbst.
„Ja, ich habe recht! Du Idiot wolltest unbedingt in Erfahrung bringen, ob die Schöne heute wieder dort ist. Du musst diese Hure irgendwoher kennen. Ja, vielleicht hast du dir sogar erhofft, dass sie dich auch mal erhört, was? Aber das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Das Geld für so eine hast du nicht.“
Unter den Männern machte Gelächter die Runde. Aiden war blass und schaute erschrocken. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft, aber ihm fiel nichts Rechtes ein, womit er sich vielleicht hätte verteidigen können. Denn, wenn er ehrlich war, so hatte Rob Roy mit seiner Vermutung leider genau ins Schwarze getroffen. Er war eigentlich nur wegen Marjorie am Ausspionieren des Inveraray Inn interessiert gewesen. Die Tatsache, dass Josh ihn nicht hatte begleiten können, war ihm wirklich sehr entgegengekommen. Er hatte die vage Hoffnung gehabt, Marjorie vielleicht vor Ort zu treffen. An englische Soldaten hatte er weniger gedacht. Alles, was er sich gewünscht hatte, war die Möglichkeit gewesen (und sei es nur für eine kurze Minute), mit ihr allein sprechen zu können. Er hätte sie schnell überzeugt, dass er der Richtige war, sie aus ihrer Notlage zu retten. Sie beide hätten als Paar jetzt endlich irgendwo in Schottland neu anfangen können. Sie hätten beide zur Ruhe gefunden.
„Habe ich recht mit meiner Vermutung?“
Robs laute Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und irgendwie schaffte es Aiden jetzt, dem wütenden Gegenüber in die Augen zu sehen. Ein Gefühl von Bekennermut überkam ihn, als er zunächst tonlos nickte, sich kurz räusperte und dann mit gefestigter Stimme antwortete.
„Du hast recht, Rob, ich liebe diese Marjorie.“
Wieder war es für einige Sekunden absolut still im Hof, und die Männer, die das Pferd, Aiden und Rob jetzt eng umstanden, wirkten auf Aiden in diesem Moment wie eingefroren.
