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Nachdem die Heldin Reneé und ihre Gefährten das Refugium ihres Vaters gefunden hatten, werden sie dort überfallen. Der Rivale und Feind ihres Vaters will sie in seine Gewalt bringen und dadurch seine finsteren Pläne verwirklichen. Sie wird schwer verwundet und auf die Erde verschleppt. Dort kann sie mit letzter Kraft ihren Kidnappern entkommen. Bei der Flucht stürzt sie einen Abhang hinunter. Dabei verliert sie ihr Bewusstsein und wacht in einem Krankenhaus auf. Entsetzt stellt sie fest, dass sie sich an nichts erinnern kann, sie hat ihr Gedächtnis verloren. Durch die gute ärztliche Versorgung erlangt sie nach und nach ihre Erinnerungen zurück. Aber ihre Häscher sind ihr auf der Spur. In der Klinik wird sie von ihnen ein zweites Mal entführt. Sie wird unter Drogen gesetzt und verliert die Hoffnung ihren Entführern zu entkommen. Ist der Psychologe Maik Bartels ihre letzte Rettung? Kann sie ihm vertrauen und wieder nach Niihama zu den Gefährten zurückkehren, um ihren Vater endlich zu finden?
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Seitenzahl: 457
Veröffentlichungsjahr: 2011
Für meine Familie in Liebe!
In Person:
Gisela, Lea, Kim, Patsy, Ute, Oliver, Dirk.
Ein besonderer Gruß geht an meine Freunde Karl-Heinz und Renate,
die in zahlreichen Sitzungen mit mir über mein Manuskript diskutierten,
Anregungen gaben und meine Fehler aufzeigten.
Renate fügte auf meinen Wunsch zwei Gedichte hinzu.
Dank an euch Beide.
Die Rückkehr nach Niihama
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
© 2010
Autor: Michael Bartsch
Verlag: tredition GmbH
www.tredition.de
ISBN:
978-3-86850-908-3
Lektor: Karl-Heinz Hemmersbach
Covergestaltung: Annelie Mundt
http://www.kunstnet.de/corvi-noctis/
Michael Bartsch
Die Artefakte der Götter
Zweites Buch -Teil Eins -
„Die Rückkehr nach Niihama“
Inhaltsverzeichnis
Was bisher geschah
Prolog
I. Träume und Flucht
II. Suche nach der Wahrheit
III. Rückeroberung
IV. Rückkehr
V. Gefährten, eine alte Rechnung, Befreiung
VI. Mein ist die Rache
VII. Vorbereitung und Scharmützel
VIII. Die Schlacht
Die Rückkehr nach Niihama
Ist es ein Traum, in dem Du diese sonderbaren Orte,
Tiere und Personen schaust?
Oder ist es ein Spiegelbild Deiner zerrissenen Seele?
Deute selbst das Bild welches Du siehst.
Gehe langsam und behutsam vor,
denn jede Berührung verändert das Geschaute ein wenig mehr.
Hast Du es genug betastet, so lass es zurück,
auch wenn ein wenig befleckt, am Rande eingerissen.
Erschaffe Dir selbst ein neues Bild.
Reneé Förster wird als Findelkind von Rosie und Harald Förster liebevoll aufgezogen. Nach dem Tode ihrer Zieheltern wohnt sie in Garmisch-Partenkirchen. Freiberuflich arbeitet sie für das Deutsche Museum.
Sie ist finanziell unabhängig und sportlich sehr aktiv. Seit frühester Jugend ist sie von den fernöstlichen Kampfsportarten fasziniert und hat unter anderem die Schwertkampftechnik mit zwei Schwertern im klassischen Niten ichi ryu-Stil erlernt.
Eines Tages erhält Reneé vom Notariat Huber & Costner in Auckland, Neuseeland, die Nachricht, dass sie als Erbin im Testament ihres leiblichen Vaters David Copeland, eingesetzt wurde.
In Auckland angekommen freundet sich Reneé mit der Versicherungs-Detektivin Lucy Rowland an, die auf der Suche nach gestohlenen Antiquitäten ist. Unter anderem fahndet sie nach zwei kostbaren Langschwertern, dem Aku Ryou Taisan und dem Ryouko maru. Reneés Vater und sein langjähriger Vertrauter Marc Dacasyi, der ebenfalls im Testament bedacht wurde, sollen in diese Diebstähle verwickelt sein.
Nach der Testamentseröffnung lernt Reneé Marc Dacasyi näher kennen und sie vertraut ihm. Er erzählt ihr bisher unbekannte Einzelheiten von ihren Eltern. Reneé weist Avancen von Notar Hal Costner zurück.
Als sie vor ihrem Hotel überfallen wird, kommt ihr ihre neue Freundin Lucy Rowland zu Hilfe. Zusammen können sie die Gangster in die Flucht schlagen. Von einem der Banditen erfährt Reneé, dass ihr Vater im Besitz eines antiken Artefaktes, einem Gargoyl sein soll. Der Gangster wird von seinen eigenen Leuten erschossen, unter den Verbrechern erkennt Reneé den Notar Hal Costner.
Lucy und Reneé flüchten zu Marc Dacasyi in das Antiquitäten-Lager. Dort findet Lucy die gestohlenen Schwerter. Bevor Marc dies erklären kann, werden sie von Karl Urbansky und seiner Bande überfallen. Bei ihrer Verteidigung erschießt Lucy den Notar Hal Costner, wird aber selbst auch verwundet. Sie geraten in höchste Gefahr von den Gangstern überwältigt zu werden. Da öffnet Marc mit Hilfe des Artefaktes ein Tor zur Ebene Niihama. Dorthin fliehen sie. Bevor Urbansky mit seinen Männern ihnen folgen können, schließt sich das Tor.
Nachdem sich Lucy von ihrer Schusswunde erholt hat, erklärt Marc ihnen, dass sie sich auf einer künstlich erschaffenen Welt befinden, die Niihama heißt. Reneés Vater hat diese Ebene erschaffen und wird von den Bewohnern ‚Gott Svanson’ genannt.
Marc Dacasyi wurde im Jahre 1638 im Alter von 25 Jahren von Gott Svanson, zusammen mit anderen Menschen auf die Ebene Niihama gebracht. Marc war ein Schüler von Miamoto Mushashi, sein richtiger Name ist Yagyu Kissaki Kenshi.
Er berichtet, dass Reneés leibliche Mutter Alexandra Copeland auf der Ebene Niihama versteckt wurde. Sie lebt dort beim Indianerstamm der Choctaw, sie wird als die „Frau des Gottes“ verehrt. In ihrer Gesellschaft befindet sich ‚Gott Annas’, Svansons Schwester.
Marc findet in der Ankunftsstelle die dortigen Wächter tot auf und stellt fest, dass sich Akatsuki auf der Ebene befinden. Diese sind die Todfeinde der Götter und aller freien Menschen.
Zusammen mit Marc begeben sich die beiden Frauen von der Ankunftsstation auf dem Berg Zaltana zur Heimstätte von Gott Svanson. Die befindet sich auf dem Berg Chochokpi. Denn nur von dort aus können Reneé und Lucy wieder zurück auf die Erde.
Auf dem Weg zum Dorf der Choctaw, muss Reneé eine Riesenschlange bekämpfen und töten. Danach treffen sie auf eine Gruppe von Choctaw-Indianern, deren Anführer begleiten sie auf ihrem Weg.
Gemeinsam überleben sie ein schweres Unwetter. Anschließend geraten sie in einen Kampf mit der Harpyien-Königin ‚Antiope’.
Unterwegs erfahren sie, dass nach einem Überfall durch einen Stamm der Cherokee, Reneés Mutter Alexandra und Ihre Tante Annas, zusammen mit der Häuptlingstochter Nadowessiu, verschleppt wurde.
Unter Marcs Führung wollen sie, verstärkt durch eine Auswahl von Choctawkriegern, die Gefangenen befreien. Unterwegs zu den Cherokees, werden sie von Zentauren überfallen. Nur mit Mühe und Not überleben sie und zwei Choctawkrieger den Kampf.
Die Entführten werden von Häuptling Towo’di im Cherokee-Dorf festgehalten. Gerade als sie es erreichen, müssen sie mit ansehen, wie die Akatsuki mit einer Strahlenkanone aus einem Flugboot heraus, das Indianerdorf vernichten.
Lucy kann mit ihrem Langbogen das Flugboot abschießen. Bevor Annas und Alexandra und auch die Häuptlingstochter Nadowessiu in den Flammen umkommen, können sie in letzter Sekunde von den Befreiern gerettet werden.
Nach der Rettungsaktion müssen sie vor dem nächsten Unwetter in einer Höhle Schutz suchen. Dort erholen sie sich und Reneé kann endlich ihre Mutter kennen lernen. Danach machen sie sich wieder auf den Weg zur Heimstätte. Nadowessiu begleitet sie.
Bei einem erneuten Kampf mit den Harpyien wird Reneés Mutter getötet und sie selbst schwer verletzt. Nachdem sie wieder genesen ist, reiten die Überlebenden zur Burg von Ordensritter Albrecht von Brandenburg. Während ihres dreiwöchigen Aufenthaltes auf der Burg verliebt sich Reneé unsterblich in den Hausherren. Albrecht von Brandenburg ist auch in Reneé verliebt und macht ihr einen Heiratsantrag. Gerne nimmt sie den Antrag an, zuerst aber will sie ihren Vater suchen.
Sie lernt auch Kristanna, genannt Göndül die Wölfin, kennen. Diese ist eine Tochter des Gottes Lookken und zudem eine Vertraute von Reneés Vater. Ihr Geliebter Albrecht von Brandenburg gibt sich ebenfalls als Vertrauter ihres Vaters zu erkennen.
Im Burghof muss Reneé einen Tjost auf Leben und Tod ausfechten, den sie entgegen den Erwartungen der Turnierzuschauer, überlegen gewinnt.
Während eines Ausrittes können Reneé und Lucy eine Karawane vor einer Horde Zentauren retten.
Mit viel Glück überstehen in der Burg Reneé, Albrecht und Marc einen Überfall durch einen Meuchelmörder, einen Shinobi.
Einige Tage später werden Albrecht und Reneé, als sie zur Burg Krähenhorst reiten, von den Akatsuki angehalten. Die fordern die Gefolgschaft Albrechts ein. Er geht zum Schein auf deren Forderung ein und wird daraufhin von ihnen am Arm mit einer Tätowierung versehen.
Nach drei Wochen verlassen sie die Burg Albrechts, um am Suwa-See Marcs Tante und den Onkel zu treffen.
Auf dem Weg dahin rasten sie auf einer Anhöhe, die erinnert Reneé ein bisschen an das Ehrfurcht gebietende Stonehenge. Während der Rast müssen sie gegen einen Tohopka kämpfen. Diese Alte Rasse ist, wie die Akatsuki, Todfeind aller Götter und der Menschen.
Danach geht es weiter durch das Gebiet der Schottenclans über den Great Glen zum Sgian Dubh, genannt Schwarzer Dolch. Dort auf einer heiligen Gebetsstelle der Clans, an dem ein riesiges Keltenkreuz steht, treffen sie auf den Grith, einer von vier Raben, die von ihrem Vater beauftragt sind, die Ebene zu beobachten.
Als sie am Sgian Dubh ankommen werden sie von einer Gruppe Landsknechte unter der Führung Rittmeister von Ahrens angehalten und in das Lager von Capitain Grothusen gebracht.
Reneé erfährt, dass Grothusen ihren Geliebten Albrecht überfallen und töten will. Deshalb warnt sie diesen, als der zu einem Treffen mit Grothusen im Lager eintrifft. Albrecht kann entkommen. Doch Reneé wird gefangen genommen und von Capitain Grothusen gefoltert.
Rittmeister Wolf von Ahrens befreit Reneé aus der Gefangenschaft, im Kampfgetümmel tötet Reneé Grothusen. Von Ahrens begleitet sie bis zum Suwa-See. Hier treffen sie endlich auf Marcs Tante und den Onkel.
Auf der grünen Insel Hitoka na versorgen sie ihre körperlichen und seelischen Wunden.
Karen Mokyue, eine Ninja, von den Einheimischen Angeni genannt, stößt am Suwa-See zu Ihnen und begleitet sie auf der Reise, weil sie sich in Reneé verliebt hat.
Bei einem Besuch in der Stadt Kumamoto, erfährt Marc von Karen, dass der Stadtkommandant Hatamoto Kami Kiminobu mit den Akatsukis gemeinsame Sache macht. Sie überstehen zwei Mordversuche durch Meuchelmörder, dabei tötet Karen den Auftraggeber der Überfälle, Hatamoto Kami Kiminobu.
Auf dem Weg zum Shinsh-Gebirge werden sie während eines Unwetters wieder von zwei Spezies der Alten Rasse in einen Kampf verwickelt. Marc wird schwer verletzt, doch im letzten Augenblick können sie mit der Hilfe von Nadowessiu und Rittmeister Wolf von Ahrens entkommen und sich in eine Höhle retten.
Dort stößt später Kristanna noch hinzu. Sie berichtet Reneé, dass Albrecht von Brandenburg ermordet wurde.
Reneé bricht zusammen. Den schweren Schock übersteht sie mit Tai Chi. Diese Technik wurde ihr vermittelt von drei daoistischen Mönchen aus den Wudang-Bergen, die ebenfalls vor dem Sturm Unterschlupf in der Höhle suchten. Die Mönche heilen auch Marc.
Als das Unwetter vorbei ist, brechen wieder auf und treffen wiederum auf eine Gruppe Harpyien, angeführt von ihrer Königin ‚Antiope’. Der Kampf entbrennt, Reneé aber kann Antiope überzeugen fortan die Kämpfe einzustellen.
Nach sechzehn ereignisreichen Monaten erreichen sie das Shinsh-Gebirge, das Land der Götter. Auf den Weg hinauf zum Berg Chochokpi müssen sie den von Gott Svanson erschaffenen „übernatürlichen“ Schutz überwinden. Dazu gehören die Cherub des heiligen Berges, die zwei Steinkrieger Bngshì und Bngji. Auf dem Berg überstehen sie die Begegnungen mit dem Faun, der Chimaira und dem Mantichora.
Auf dem Gipfel angekommen, müssen sie gegen eine Gruppe Akatsuki kämpfen, die versuchen in das Refugium von Reneés Vater einzudringen. Innerhalb der Heimstätte schafft Marc es Cyborgs zu aktivieren, das sind menschenähnliche Maschinen aus synthetischer Biomasse mit Stahlskeletten. Damit können Sie, zusammen mit den Beobachtern in Rabengestalt Hugin, Munin, Frigga und Gritha, die Akatsuki besiegen.
Am darauf folgenden Tag werden sie von Gott Kraagen aus einem verfeindeten Göttergeschlecht, in der Heimstätte überfallen. Er hat die Codeliste mit den Frequenzen aller Artefakte gefunden und so ein Tor direkt zur Heimstätte öffnen können. Er stiehlt das Artefakt von Niihama.
Während des Kampfes wird Reneé schwer verwundet und wacht in einem Krankenhaus auf der Erde wieder auf. Sie hat ihr Gedächtnis verloren.
***
Das ist eine kurze Zusammenfassung von „Die Artefakte der Götter -Erstes Buch, Teil 1 „Das Tor nach Niihama“ und Teil 2, „Niihama - Land der Götter".
SCHMERZ! DUNKELHEIT!
Im hintersten Winkel ihres Gehirns entstand ein neuer Schmerz, der emporschoss, sich ausbreitete und sie gefangen nahm.
Hinter den geschlossenen Augenlidern, die merklich zitterten, blitzten Sterne auf und durchbrachen den lethargischen Zustand des von Schmerzen gemarterten Geistes.
Schemenhafte Bilder erschienen und erloschen Sekunden später wieder. Der Verstand versuchte verzweifelt diese Bruchstücke festzuhalten, aber eine erneute Schmerzwelle beendeten alle Versuche und der Verstand fiel zurück in das bodenlose Schwarz.
Stunden später klopfte er erneut an die Tür des Schmerzes, versuchte sich empor zu kämpfen, sich aus dem Dunklen zu befreien.
Die Augenlider flatterten und mit einer ungeheueren Willensanstrengung öffneten sie sich zu schmalen Schlitzen. Eine milchige Helligkeit erfüllte den Blick und es dauerte einige Zeit, ehe die Augen sich fokussiert hatten. Sie blickten auf eine weiße Zimmerdecke, in der eine runde Lampe diese sanfte Helligkeit abstrahlte.
Der Verstand verarbeitete mühsam den Anblick und suchte nach einer Erklärung, während die Augen weitere Eindrücke sammelten.
Wie das Murmeln eines kleinen Baches drängten Worte in das erwachende Bewusstsein. Nach und nach veränderte sich das Gemurmel. Die Worte ergaben einen Sinn und der Verstand versuchte jetzt das Gehörte zu begreifen.
„Ihr Zustand hat sich in dieser kurzen Zeit schon stark verbessert. Und das bei diesen schweren Verletzungen! Schon sehr erstaunlich. Nur die Kopfverletzung macht mir Sorgen. Wollen wir hoffen, dass keine Komplikationen auftreten. Meistens gehen Gedächtnisverlust und Orientierungsstööörrrruunnnnnngg….“
Die letzten Worte wurden wieder zu einem Gemurmel, während der Verstand das alles noch verarbeitete.
Plötzlich schob sich ein Gesicht vor ihre Augen. Lächelnd beugte es sich zu ihr hinunter. Sie konzentrierte sich mit aller Macht auf das Gesicht, eine Lampe schien ihr schmerzhaft in die Augen. Blinzelnd versuchte sie dem grellen Licht zu entkommen.
„Können sie mich verstehen? Ich bin Professor Dr. Reuter. Sie liegen im Klinikum Garmisch-Partenkirchen. Wie heißen sie? Können sie mir Ihren Namen sagen?“
Die nächsten Wörter verblassten im Hintergrund des Verstandes, als er das Gesagte verarbeitete und in die richtige Reihenfolge zu bringen versuchte.
„Hatte ich einen Unfall? Mein Name ist…?“, fragte sie sich mit aufkommender Panik.
Fieberhaft kramte sie in ihrem Gedächtnis. Es war LEER!
Die Augen verdrehten sich und die Lider flatterten wie wild. Ein krächzendes, verzweifelndes Stöhnen entrang sich ihrem Mund. Der Oberkörper bäumte sich auf, unter hektischem Piepen der Apparaturen fiel der Verstand zurück in den dunklen Abgrund.
***
Dunkle Nacht
Nacht, umfange mich mit Geborgenheit,
nimm mich auf in deine Tiefen,
streichle´ meine Seele.
Schenk´ mir erquickend Schlaf,
lass mein Herz gesunden
und quälende Träume in meiner Dunkelheit
gnädig vergessen.
Wenn golden dann der Morgen erwacht,
entrinnt meine Seele der dunklen Nacht,
schenk´ mich an das Leben zurück,
das wär´ ein unendlich’ Glück.
Renate Hemmersbach
***
Ein durchdringendes nervendes Geräusch riss mich aus meinen Träumen. Unwillig öffneten sich meine Augen zu einem Spalt und mit einem saftigen Fluch stellte ich den penetrant läutenden Wecker aus. Mein Schädel brummte ganz gehörig von der gestrigen Geburtstagsparty.
Michael hatte zu einem kleinen Umtrunk eingeladen. Wie immer hatte Gisela, seine holde Gattin, trotz allen Beteuerungen nur eine Kleinigkeit anzurichten, opulent aufgefahren. In vorgerückter Stunde, Peter, seine Frau Bruni, Günter und der Rest der Bande waren schon gegangen, als Michael in aller Ruhe mit mir noch ein besonderes Gläschen trinken wollte. Sein Bruder Dieter hatte ihm einen 18 Jahre alten Single Highland Malt aus Schottland mitgebracht und den wollte er zur Feier des Tages mit mir probieren.
Der Glendronach war eine Traditional Abfüllung und ausschließlich in Sherryfässern gereift. Von diesen Abfüllungen gab es nur noch ein paar Flaschen, wie Michael mir stolz erklärte. Es war ein kräftiger, außergewöhnlicher Whisky, der nussig roch viel Sherry-Aroma verströmte, vor allem lecker schmeckte.
Es blieb natürlich nicht bei dem Einen. Es war spät geworden, als ich mich von Gisela und Michael verabschiedete. Aber ich hatte es nicht weit bis zu meiner Wohnung. Sie lag nur zwei Blocks um die Ecke, um halb zwei ließ ich mich dann endlich in mein Bett fallen.
Die drei Wochen Urlaub waren einfach zu schnell vorbei, in meiner Wohnung war noch einiges aufzuräumen. Montags würde mich der normale Alltag, bei meiner Arbeit als Psychologe im Sanatorium ‚Zur göttlichen Wahrheit’ wieder einholen, deshalb hatte ich mir den Wecker auf 7:00 Uhr gestellt.
Ich schleppte mich also unter die Dusche und drehte das Wasser an. Während ich mich vom heißen Wasser berieseln ließ, dachte ich über Günters Worte nach. Er hatte seine Stelle als Pfleger im Sanatorium vor einer Woche gekündigt, weil es in der Klinik nach seiner Meinung nicht mehr mit Rechten Dingen zuging. Seit dieser neue Besitzer Kraagen das Sagen hatte, liefen seltsame Typen als Pfleger herum. Sie waren in den letzten Wochen, zusammen mit dem neuen Sicherheitschef eingestellt worden. Vor allem der Chefarzt Prof. Deters wäre ein arroganter Typ.
Wie er erzählte, war ausschlaggebend für seine Kündigung der Vorfall vor zwei Wochen gewesen, als zwei neue Patienten eingeliefert wurden. Er hatte sie auf Station zwei gebracht und am nächsten Tag waren die Zwei nicht mehr auf der Station. Auf seine Nachfrage beim Chefarzt wurde ihm ganz schnippisch gesagt, das ginge ihn nichts an, sie wären verlegt worden. Wenn ihm irgendetwas nicht passen würde, könnte er jederzeit sofort und ohne Frist kündigen. Was er dann, nach Rücksprache mit seiner Frau, auch getan hatte.
Angelika, seine Frau, arbeitete noch als Oberschwester in der Klinik, hatte aber ebenfalls zum Jahresende gekündigt.
Ich konnte mir auf das Ganze keinen Reim machen, denn ich hatte diesbezüglich noch nichts bemerkt. Der neue Chefarzt war mir zwar ziemlich unsympathisch, weil er auf mich einen arroganten Eindruck machte. Aber bis jetzt konnte ich nichts Unrechtes an ihm feststellen. Da ich Günter schon über dreißig Jahre kannte, konnte ich mir nicht vorstellen, dass er irgendeinen Unsinn erzählte. Ich versprach ihm, meine Augen offen zu halten und auf seine Angelika aufzupassen.
Mit einem kurzen, eiskalten Wasserstrahl kamen meine Lebensgeister langsam wieder zurück. Als ich mich beim Abrubbeln mit dem Badetuch im Spiegel betrachtete, murmelte ich mir vorwurfsvoll zu: „Mein lieber Freund, es wird Zeit, dass du dich wieder ein wenig sportlich betätigst. Du siehst fast schon so aus, wie eine schwangere Jungfrau.“ Mit den üblichen guten Vorsätzen zog ich den Trainingsanzug und meine Laufschuhe an.
Mein Frühstück, auf das ich mich richtig freute, wollte ich in dem netten, gemütlichen Cafe meines sehr guten Freundes Karlheinz zu mir nehmen. Das Frühstück dort war erstklassig und sehr opulent. Außerdem schmeckte mir der Kaffee hier am Besten. Karlheinz wollte mir bei dieser Gelegenheit einen Chiemseer Hecht mitbringen, den er am gestrigen Samstag geangelt hatte.
Ich verließ die Wohnung und joggte gemächlich die fünfzehn Minuten zum Cafe. Gut gelaunt setzte ich mich auf meinen Stammplatz am Fenster.
„Was darf es denn heute für dich sein“, fragte mich Christa, Karlheinz italienische Frau, die sonntags beim Bedienen aushalf.
„Ja mei, heute kommt nur das ‚Fürstliche Frühstück’ in Frage und wenn das noch von einer so schönen Frau gebracht wird, dann schmeckts umso besser“, antwortete ich fröhlich.
„Ach Du! Du bist ein Schmeichler.“ Leicht verlegen und mit rosa Wangen ging sie in die Küche. Ich hörte sie in der Küche werkeln. Einen Augenblick später rief sie: „Karlheinz, Maik ist da.“
Danach brachte sie mir das Frühstück, das fast als Brunch durchging, auf einem riesigen Tablett. Aber das Wichtigste für mich war die Kanne köstlichen Kaffees.
Während ich genussvoll vor mich hin müffelte, kam Karlheinz herein und begrüßte mich überschwänglich. Mit stolz geschwollener Brust zeigte er mir seinen Fang.
„Na was sagst du jetzt, Maik, bin ich nicht der größte Fischer vom Chiemsee?“
„Ja klar, wer denn sonst“, meinte ich mit ernster Miene und fügte hinzu: „Wie wäre es denn, wenn ihr heute Abend zu mir kommt? Dann könnte ich euch meine Fischpflanzerl servieren, eine Köstlichkeit.“
Um ihm den Mund wässrig zu machen, meinte ich beiläufig: „Das Ganze bei einem Gläschen Grauburgunder aus der Pfalz, von einem Ökowinzer, ein wirklich edler Tropfen.“
Karlheinz verzog traurig sein Gesicht, das sich dadurch in tausend Falten legte. „Schade, am Nachmittag müssen wir zu ihrer Schwester, tut mir wirklich leid.“
Ich glaubte ihm, denn ich wusste, dass er einem edlem Tropfen und einem köstlichen Essen nicht abgeneigt war. Dazu kam, dass er nicht gerne zu seiner Schwägerin fuhr.
Immer noch traurig meinte er: „Beim nächsten Fisch nehme ich deine Einladung an.“ Karlheinz schaute den Fisch bedauernd an. „Ich wickle dir den Fisch in eine Zeitung und eine Tüte habe ich ebenfalls für dich.“ Danach dackelte er traurig in die Küche und erzählte Christa von meiner Einladung.
Ich hörte wie sie zu ihrem Mann sagte, dass sie versprochen hatte, ihre Schwester zu besuchen. Einen Moment später kam Karlheinz wieder zurück und legte mir die weiße Plastiktüte neben den Stuhl. „Vergiss den Fisch nicht! Übrigens, wie war es bei Michaels Geburtstag? Wir konnten leider nicht kommen.“
„Wie immer, Gisela hat lecker gekocht und es wurde sehr spät.“
„Na ja, beim nächsten Treffen sind wir wieder dabei. Also dann bis nächste Woche.“ Er wusste, dass ich nicht gerne über das Wochenende in der Klinik blieb.
„Normalerweise wollte ich erst morgen früh fahren. Jetzt fahre ich wohl schon heute Abend ins Sanatorium zum Ammersee, denn ich habe keine Lust alleine zu kochen.“
„Dann wünsche ich dir eine gute Fahrt. Und pass auf, dass keiner deiner gestörten Patienten dem Herrn Diplom Psychologen entwischt.“ Er lachte dabei so herzhaft, dass sein Kugelbauch rauf und runter hüpfte.
Ich puffte ihn feixend in die Schulter: „Ich werde schon aufpassen dass keiner stiften geht.“
Immer noch lachend, verschwand er in der Küche. In aller Ruhe beendete ich mein Frühstück. Danach wollte ich die Sonntagspost mit dem Sportteil lesen, aber mir ging das Gespräch mit Günter nicht aus dem Kopf. Seufzend legte ich die Zeitung weg, bezahlte bei der Bedienung und verabschiedete mich von Christa.
Dabei schäkerte ich noch ein bisschen mit ihr. „Dein Mann ist ja nicht da“, und gab ihr links und rechts ein Küsschen auf ihre Wangen. Sie seufzte theatralisch. Zum Abschied winkend, machte ich mich mit meinem Fisch auf den Heimweg.
Zuhause angekommen überfiel mich eine innere Unruhe. Mein Gefühl flüsterte mir ins Ohr, ich sollte besser sofort aufbrechen um nach dem Rechten zu sehen. Angelika hatte heute Spätdienst, so konnte ich von ihr die neuesten Vorkommnisse erfahren.
Unerklärlich, wo meine plötzliche Unruhe herrührte. Mit all den Gedanken die mir durch den Kopf schwirrten, machte ich mich reisefertig. Die Tasche mit neuer Wäsche war schnell gepackt, außerdem hatte ich noch einige Sachen in meinem Zimmer in der Klinik.
In zwei Wochen fuhr ich sowieso wieder nach Hause, meine elf Tage Resturlaub verbraten. Vielleicht fahre ich in der Zeit nach Garmisch, um zu Fuß über das Reintal auf die Zugspitze zu wandern.
Vielleicht gingen ja meine Kumpel Günter, Karlheinz und Michael, samt seinem Bruder Dieter mit. Wir hatten schon des Öfteren darüber gesprochen.
Für mein Alter war ich zwar noch ganz gut dabei, hatte aber mit meinen 183 cm und den 90 kg ein paar Probleme mit meinen geschädigten Knien. Die hatte ich mir durch Leichtathletik und Fußball ziemlich verhunzt. Deshalb wollte ich den Trip auf die Zugspitze dieses Jahr noch durchziehen, wer weiss, ob ich das im nächsten Jahr gesundheitlich noch schaffte.
„Sport ist Mord“, pflegte Karlheinz immer zu sagen, obwohl er selbst sehr spät mit einigen sportlichen Aktivitäten angefangen hatte.
Die Wohnung war schnell in Ordnung gebracht, den Staubsauger hatte ich in die Ecke geschmissen. Ich wollte gerade die Haustür abschließen, als mir der Fisch wieder einfiel.
„Das hätte in drei Wochen bestimmt angenehm gerochen“, murmelte ich. Ich wickelte den Fisch aus der Zeitung, Karlheinz hatte den Fisch aus Vorsicht zusätzlich in einen Gefrierbeutel eingepackt, er kannte mich ja schon länger.
Als ich den Fisch in das Gefrierfach gelegt hatte, fiel mir beim Zerknüllen der Zeitung die Überschrift in die Augen: „Identität der Frau vom Kranzberg geklärt!“
Ich glättete die Zeitung vorsichtig und las neugierig den Artikel, der am Freitag erschienen war.
Die Frau war von einem Pärchen vor sechs Wochen am Kranzberg in Mittenwald unter einem Busch, bewusstlos und schwer verletzt, gefunden worden. Sie hatte eine schwere Kopfverletzung, dazu kamen etliche Prellungen, Hautabschürfungen und ihr linkes Schlüsselbein war gebrochen. Bekleidet war sie nur mit ihrer Unterwäsche.
Man brachte sie ins Garmischer Klinikum. Da sie im Koma lag, konnte ihre Herkunft zuerst nicht festgestellt werden und die Polizei rätselte, wie sie auf den Berg gekommen war, denn es gab keine Augenzeugen. Als die Frau nach einer Woche aus ihrer tiefen Bewusstseinslosigkeit erwachte, konnte sie sich an nichts erinnern, sie hatte ihr Gedächtnis verloren.
Ich hatte mich mittlerweile gesetzt und las den Artikel fasziniert weiter.
Der behandelnde Stationsarzt, „schau an, mein Freund Ralf Seidler“, murmelte ich, und der Krankenhaus-Psychologe sprachen von einem schweren Gehirntrauma. Sie hofften, dass bei der Patientin nach einer Weile das Gedächtnis wieder funktionieren würde. Wichtiger im Moment wäre die körperliche Genesung der Patientin, sie hätte die Operation erstaunlich schnell überstanden.
Wie die Polizei mitteilte, könne ein Verbrechen nicht ausgeschlossen werden. Um ihre Identität zu klären, wurde ein Foto der Frau veröffentlicht.
Nach vier Wochen meldete sich ein Hausbesitzer aus Garmisch, der die Frau als Reneé Förster identifizierte.
Er habe sie sofort wieder erkannt, da Frau Förster sich überhaupt nicht verändert habe. Sie besäße ein Appartement in seinem Haus in der Höllentalstraße. Weiter gab er zu Protokoll, er hätte vor sechseinhalb Jahren eine Vermisstenanzeige aufgegeben, da Frau Förster wegen einer Erbsache nach Neuseeland gereist war. Sie habe sich danach nicht mehr gemeldet.
Was diese Angelegenheit noch mysteriöser erscheinen ließ, fügte der Reporter an. Danach erging er sich in Vermutungen, dass es dabei vielleicht um Menschenhandel ging, an dem die Mafia beteiligt sein könnte. Oder das allseits beliebte Thema: Frau entführt durch Aliens, die die arme Frau für ihre Experimente entführt und missbraucht hätten.
Kopfschüttelnd über die blühende Fantasie des Reporters, las ich weiter.
Außer der Identifizierung haben Recherchen im Krankenhaus nichts Neues ergeben, teilte der Reporter dem Leser mit. Frau Förster könne sich an nichts erinnern, erklärte der Chefarzt des Krankenhauses Prof. Dr. Reuter, auf Nachfragen des Reporters. Man müsste ihr mehr Zeit geben, aber der Gesundheitszustand würde von Tag zu Tag besser, was allein bei der Schwere der Verletzungen schon sehr erstaunlich war.
Die Polizei unter der Leitung des Kommissars Raindl aus Partenkirchen, meinte in einem Statement, man werde sich mit den Kollegen in Neuseeland in Verbindung setzen, um eventuell einen Hinweis über den Verbleib von Frau Förster in den letzten Jahren zu erhalten.
Ich ließ die Zeitung sinken. Klar, dachte ich, die Frau hatte einen schweren seelischen Schock erlitten. Meine Erfahrung zeigte, dass solche Patienten nach und nach ihr Erinnerungsvermögen zurück erlangten, oder das Gedächtnis kam durch einen erneuten Schock komplett zurück.
„Arme Frau“, murmelte ich, in ihrem Kopf steckt das Wissen über das, was passiert ist, aber das Gehirn will es nicht preisgeben.
Ich las weiter. Es kamen noch ein paar wissenschaftliche Erklärungen über Traumata und dann folgten zwei Bilder, die mich seltsam berührten.
Das erste zeigte Frau Förster auf dem Fahndungsfoto der Polizei nach der Einweisung ins Krankenhaus. Das zweite zeigte sie kurz vor der Abreise nach Neuseeland. Wie der Reporter behauptete, war dieses Bild während einer Ausstellung im Deutschen Museum aufgenommen worden, für das Frau Förster freiberuflich tätig war.
Fasziniert schaute ich auf die Bilder. Sie hatte sich anscheinend in den sieben Jahren kaum verändert, nur ihr blondes Haar war länger und das Gesicht etwas schmäler geworden.
„Kein Wunder! Bei dem was die Frau wahrscheinlich durchgemacht hatte“, murmelte ich nachdenklich.
Es folgte ein kurzer Abriss über die Person von Frau Förster. Als Findelkind war sie bei Pflegeeltern aufgewachsen. Diese starben bei einem Verkehrsunfall, als sie gerade ihren 21. Geburtstag gefeiert hatte. Die Pflegeeltern hatten ihr eine sehr gute Apanage vermacht.
In jungen Jahren machte sie den Magisterabschluss in Archäologie. Außerdem hatte sie eine kurze Abhandlung über die japanische Kriegerkaste, den Samurai und deren Schwertkampfkunst geschrieben.
„Respekt, Frau Archäologin!“, meinte ich anerkennend, während ich das ältere Bild nochmals betrachtete. Anscheinend war Frau Förster nicht so ein verwöhntes Kind reicher Eltern, das nur Blödsinn fabrizierte und auf Partys zu Hause war.
„In was für eine schlimme Sache bist du da nur hineingeraten.“ Ich strich sanft mit dem Fingern über das Bild. Ihre grünen Augen strahlten den Betrachter an und ihr Lächeln verzauberte mich. Aus einem Impuls heraus schnitt ich das ältere Foto sorgfältig aus.
Während ich das Foto in meine Brieftasche steckte, hatte ich plötzlich das Gefühl, als wenn jemand hinter mir stand, der mir über die Schulter schaute. Ein leichter Lufthauch streifte meinen Nacken. Auch meinte ich ein kleines Glöckchen klingeln zu hören.
Erschrocken drehte ich mich um. Da war natürlich niemand. „Blödsinn“, murmelte ich erleichtert und schüttelte den Kopf. Einen Augenblick später, als ich mir meiner Reaktion bewusst wurde, musste ich schmunzeln. „Oh Mann!“ Das war ja, als hätte ich mich bei einer verbotenen Sache erwischen lassen.
Wenn dass meine Freunde mitbekommen hätten, wie ich das Bild einer fremden Frau aus der Zeitung schnitt und es womöglich noch unter mein Kopfkissen legen würde. Gerade so, wie ein pubertierender Schüler seinen angebeteten Star aus einer dieser Zeitschriften anhimmeln würde. Wahrscheinlich würde ich darauf in den nächsten Tagen von meinen lieben Freunden eine Zehnerkarte für einen Puff oder einen Gutschein für eine Partnervermittlung erhalten.
Einen Augenblick lang wollte ich das Bild wieder herausnehmen, aber irgendwie schien sich meine Hand zu sträuben. Als wenn eine Kraft meine Hand festhielt.
„Was soll’s, sie gefällt mir halt!“, meinte ich laut und verstaute die Brieftasche in meiner Jacke. Ich zerknüllte die Reste der Zeitung, schmiss sie in den Papierkorb, packte meine Tasche und verließ meine Wohnung.
In der Tiefgarage warf ich die Tasche auf den Rücksitz meines Opels und fuhr langsam aus der Tiefgarage, immer noch stand ihr Gesicht vor meinen Augen.
***
Leiser Glockenklang begleitete die beiden schattenhaften Wesen bei der Durchquerung des Zimmers. Sie blieben nahe bei dem Mann stehen, der ein Bild betrachtete. Sie schauten ihm über die Schulter und nickten zufrieden beim Anblick des Bildes.
In diesem Moment drehte sich der Mann hastig um und sein Blick durchsuchte das Zimmer. Beide Schattenwesen verschwanden eiligst und hinterließen ein helles Glockengeklingel.
Als der Mann sich wieder umdrehte um das Zimmer zu verlassen, erschienen die Wesen aus einer Zwischendimension erneut. Schwebend, dabei leicht golden irisierend, folgten sie ihm.
„Er hat ein gutes Gespür!“
„Ja! Das stimmt. Sein Vorfahr war schließlich einer von uns! Heimdall, der Wächteraus der Nordischen Fraktion!“
Diese Worte wurden wiederum vom leisen Glockengeläut begleitet. Der Mann blieb an der Zimmertür einige Augenblicke zögernd stehen.
„Er ist noch unentschlossen!“
Das größere der Wesen machte eine umfassende Handbewegung in Richtung desMannes. Dabei leuchtete seine Gestalt für einen Moment hellgolden.
Der Beobachtete zauderte kurz und nach seinen Worten: Was soll’s, sie gefällt mir halt, verließ er das Zimmer.
Während sie ihm folgten, meinte das kleinere Wesen: „Bist du sicher, dass er unsere Qndin* schützen kann? Ruzai* hat noch immer viel Macht. Seine Mutter Sh shin* lässt ihn gewähren.“
„Leider!“ Der Klang des Glöckchens schwang in einem bedauernden Tonfall und die schlanken Konturen der Wesen flimmerten für einen Moment in einem leicht rötlichen Farbton.
„Mehr können wir für die Qndin nicht unternehmen. Wir haben den Auftrag unseres Refugiums erledigt. Ich weiß, dass der Wächternachfahre sie am Ende zu uns bringt. Sie wird unsere Vernichtung durch Kraagen verhindern!“
Ein leicht skeptisches: „So wird es kommen!“ folgte den letzten Worten, gerade als der Mann in sein Auto stieg und aus der Garage fuhr.
Anschließend verschwanden die Wesen mit einem kalten Lufthauch. Sie hinterließen eine fast greifbare Leere. Das letzte Klingeln der Glöckchen schwebte für einen Moment noch durch die Garage.
(*Qndin Auserwählte; Ruzai Verbannter; Sh shin Letzte Instanz
***
Sonntags früh war der Verkehr noch nicht so schlimm, ich fuhr zügig auf der Glücksburger Strasse an der Trabrennbahn vorbei. Auf der Autobahn nach München kam ich schnell voran. Selbst an der U-Bahn-Baustelle, sonst immer ein Nadelöhr, kam ich gut durch. Dann ging es auf den Mittleren Ring zur BAB 96 zum Ammersee.
Das Wetter war traumhaft. Dazu passten die Oldies im Radio, die Antenne Bayern spielte. Unter lautem Mitsummen des Liedes F.U.B.B. von Wishbone Ash, einer meiner Lieblingsgruppen, verließ ich die Autobahn. An Greifenberg vorbei, fuhr ich auf der Landstraße längs des Sees zum Sanatorium.
Das Sanatorium lag landschaftlich wunderschön eingebettet am Ammersee, an einem Hang, umgeben von einem etwa zehn Hektar großen Mischwald. Zum Sanatorium gehörte noch ein eigener Park, dazu kam noch ein eigener Strandabschnitt zum See, wo sich dann die reiche Klientel verlustieren konnte.
Anfangs war es mehr ein Wellness-Hotel gewesen, aber mit den zahlreichen Umbauten, in den letzten zwei Jahren, wurde das Anwesen zu einem Sanatorium umfunktioniert.
Aus der Wellness-Oase war ein Sanatorium mit dem Namen ‚Zur göttlichen Wahrheit’ geworden. Sie gehörte einer Gesellschaft, mit Verbindungen in alle Welt, deren Vorsitzender war ein geheimnisvoller vermögender Mann mit Namen R. H. Kraagen, der die Öffentlichkeit mied wie der Teufel das Weihwasser.
Die ‚Reichen’ kamen zwar immer noch zum Relaxen und Wellnessen, aber psychisch Kranke, Drogenabhängige und Alkoholiker gab es anscheinend immer mehr unter ihnen. Einer der zweistöckigen Bauten war sogar als geschlossene Abteilung angelegt worden.
Mit dem Lied ‚Strange brew’ von der ehemaligen Supergruppe Cream, welches ich aus vollem Halse mitsang, bog ich von der Landstraße kurz hinter der Aumühle auf den breiten, mit Kopfsteinpflaster befestigten Privatweg zum Sanatorium ab. Immer wenn ich das Lied höre bekomme ich eine Gänsehaut, denn es gehört zu meinen absoluten Favoriten.
Frohgelaunt rollte ich mit Schrittgeschwindigkeit auf das Wärterhäuschen zu. Vor der geschlossenen Schranke stoppte ich den Wagen. Ich stellte das Radio leiser, öffnete das Fenster und winkte Bruno zu, der aus der Wachhütte trat. Freudestrahlend begrüßte er mich.
„Einen schönen Tag, Herr Barthels. Konnten sie es in München ohne uns nicht mehr aushalten?“ Grinsend stand er gebückt neben meinem Wagen.
„Natürlich nicht Bruno! Ohne Sie und ohne die Firma kann ich nicht leben.“
„Gestern kam Ihr Double im Fernsehen. Ich habe mich wieder köstlich über ihn und Higgins amüsiert“, meinte Bruno lachend.
Ich strich grinsend über meinen Schnauzer. Manchmal sagten meine Freunde und Bekannten mir eine gewisse Ähnlichkeit mit Magnum nach. Vergnügt antwortete ich: „Das nächste mal ziehe ich mein Hawaii-Hemd an und hole den roten Ferrari aus der Garage. Aber was anderes. Wie geht es Ihrer Frau, ist sie wieder gesund?“
Während ich mit ihm sprach, trat von der Seite ein hagerer, sehr zäh aussehender Mann auf mein Auto zu.
Bruno sprang sofort auf und mit einem verkniffenen Gesicht erwiderte er: „Jawohl Herr Barthels, alles ist in Ordnung.“ Er drehte sich um und ging mit hölzernen Schritten zum Wärterhäuschen zurück. Daraus winkte er mir dann zu und öffnete die Schranke.
Als ich losrollte, versperrte der Hagere mir die Durchfahrt. Ich blieb stehen, zog die Handbremse an und stellte den Motor ab.
Der Mann trat zu mir ans Fenster, lehnte sich mit den Ellbogen arrogant auf die Wagentür. Mit einer nölenden Stimme sprach er mich an, wobei seine kalten Fischaugen mich hochmütig musterten.
„Mein Name ist Karl Fischer, ich bin der neue Sicherheitschef. Meine Aufgabe besteht unter anderem darin, über jeden Besucher und Mitarbeiter informiert zu sein, der unsere Einrichtung betritt oder verlässt. Würden Sie sich bitte ausweisen.“
Man konnte ihm ansehen, dass er genau wusste wer ich war. Er wollte mir nur seine Macht beweisen. Sicherlich amüsierte er sich innerlich über meinen offensichtlichen Ärger. Nachdem ich mich zusammengerissen hatte, reichte ich ihm kalt lächelnd meinen Dienstausweis, den er eingehend betrachtete.
„Herr Barthels! Ihre Arbeitszeit fängt erst am Montag an. Warum sind Sie jetzt schon hier?“
Was du kannst, kann ich auch, dachte ich still und musterte ihn ziemlich herablassend. Plötzlich hatte ich Lust, die Situation voll auszukosten. „Bevor ich Ihnen irgendetwas erzähle, möchte ich Ihre Legitimation sehen.“
Einen kurzen Augenblick verengten sich seine Augen zu einem hasserfüllten Blick, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Mit einem freundlichen Lächeln gab er mir seinen Dienstausweis.
Demonstrativ neigte ich den Kopf ein wenig vor und tat, als inspizierte ich seinen Ausweis. Mit aufreizender Genauigkeit schaute ich abwechselnd auf seinen Ausweis und dann vergleichend in sein Gesicht.
„Nun gut, es scheint ja alles in Ordnung zu sein.“ Ich gab ihm seinen Ausweis zurück. „Zu Ihrer Frage. Ich hatte einfach Sehnsucht nach meiner Arbeitstelle. Und jetzt lassen Sie mich bitte gefälligst vorbei!“, schnauzte ich ihn ziemlich heftig an.
Seine Augen weiteten sich und mit einer wütenden Bewegung heftete er sich seinen Ausweis an das Revers der Anzugsjacke. Dann musterte er mich nochmals gewollt beherrscht, wobei aber sein linkes Auge nervös zuckte. Nach einem Moment des Stillschweigens, gab er mir mit einer lässigen Handbewegung den Weg frei, als wolle er sagen: Ich bestimme, wann ich sie hereinlasse.
Ich startete den Wagen, löste die Handbremse und rollte langsam über das Kiesbett die Auffahrt hinauf zum Haupteingang. Dabei wäre ich Fischer fast über die Füße gefahren, was er nur mit einem schnellen Schritt zur Seite verhindern konnte.
Im Vorbeifahren konnte ich an seinem verkniffenen Gesichtsausdruck erkennen, dass ich in ihm keinen neuen Freund gefunden hatte. Das war halt eine meiner Schwächen, wenn ich einen Menschen nicht ausstehen konnte, dann passierte es ab und zu, dass ich dieses Denjenigen auch merken ließ. In meinem Beruf als Psychologe war das nicht unbedingt ein Vorteil, deswegen versuchte ich immer über meinen Schatten zu springen.
Dieser Fischer war ein Typ von Mensch, der gerne seinem Gegenüber seine angebliche Machtposition unter die Nase rieb und das konnte ich auf den Tod nicht leiden.
Das andere, was mich sehr nachdenklich stimmte, war die Tatsache, dass dieser Typ bewaffnet war. Seine Jacke hatte sich beim Schritt zur Seite etwas verschoben, so dass ich deutlich seine Pistole in einem Schulterhalfter erkennen konnte. Welcher Besuch oder welche Patienten wurden erwartet, dass solch ein Sicherheitsaufwand betrieben wurde?
Kopfschüttelnd murmelte ich: „Vielleicht weiß Angelika etwas.“ Ich parkte meinen Wagen auf den Mitarbeiterparkplätzen, die erstaunlicherweise schon fast alle belegt waren.
Mit meiner Tasche schlenderte ich zum Nebeneingang des Sanatoriums, wo sich die Zimmer des Pflegepersonals und auch mein eigenes Zimmer befanden. Die Ärzte und der Professor hatten einen eigenen Trakt hinter dem eigentlichen Sanatorium.
Während ich auf den Eingang zusteuerte, schaute ich mich unauffällig um. Ich bemerkte mehrere Wachleute, die am neu errichteten Zaun Streife gingen. Wie im Knast, dachte ich schaudernd, während ich die Stufen zur Pforte betrat.
Im selben Moment öffnete Angelika die Tür. Als sie mich erkannte, überzog sich ihr Gesicht mit einem Lächeln. Freudestrahlend umarmte sie mich und bevor ich etwas sagen konnte, sprudelte es wie ein Wasserfall aus ihr heraus: „Wieso bist du schon da? Hast du Günter gesehen? Der Schuft hat mich noch nicht angerufen! War es denn so schlimm auf der Party? Ich wäre gerne dabei gewesen.“ Und das alles ohne Komma und Punkt.
Lachend drückte ich sie nochmals herzlich. „Alles ist in Ordnung, es war schön und wir haben dich vermisst. Dein Göttergatte wollte dich heute Nachmittag anrufen.“ Um sie dann noch etwas zu necken, fügte ich hinzu: „Wenn die zwei Blondinen und die Rothaarige wieder weg sind.“
Empört boxte Angelika mich in die Seite: „Immer musst du mich zanken, kaum dass du da bist.“ Und dann ebenfalls lachend: „Der alte Bock wüsste mit den jungen Dingern sowieso nichts mehr anzufangen. Außerdem weiß er, dass nur gucken, nicht anfassen, gilt!“.
An der Tür blieben wir stehen. Ich drehte mich zu den Wachen um. Der Sicherheitschef beobachtete uns. Als Fischer bemerkte, dass ich ihn ansah, schaute er schnell weg.
„Was ist hier eigentlich los? Kommt der Papst oder unser Staatsoberhaupt zu Besuch?“, fragte ich Angelika.
Sie schüttelte angewidert ihre schwarzen Haare. Leise meinte sie: „Günter hat dir bestimmt schon einiges erzählt, aber es wird immer schlimmer. Diese Wächter und die neuen Pfleger sind das Letzte. Die kommen mir wie ein Trupp verkappter Legionäre vor. Ich bin froh, dass ich zum Ende des Jahres gekündigt habe. Durch meinen Resturlaub ist für mich am 14.12. Schluss.“
Erbost fügte sie hinzu: „Es macht wirklich keinen Spaß mehr, seit die neue Gesellschaft das Kommando übernommen hat.“
Sie hatte sich richtig in Rage geredet und ich musste sie erstmal ein bisschen beruhigen. „Habt ihr denn schon was Neues?“, fragte ich beim Hineingehen.
Ihre Miene hellte sich auf. Begeistert brach es aus ihr heraus: „Günter und du, ihr wisst es ja noch gar nicht: Dein Freund, der Professor Meyerhoff, hat uns eine Stellung in der Klinik Harlaching besorgt. Dort können wir im Januar anfangen. Ist das nicht klasse?“ Sie grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd.
Ich umarmte sie und meinte hocherfreut: „Das ist ja Spitze! Ich freue mich für euch. Davon hat mir Ralph aber nichts erzählt, als ich ihn in der vergangenen Woche beim Schwimmen getroffen habe.“
Nach kurzem Überlegen meinte ich zu ihr: „Vielleicht nehme ich sein Angebot für den Posten als Psychologe in der Klinik an. Um mich zu entscheiden, habe ich ja noch etwas Zeit. Er fliegt übermorgen für ein halbes Jahr in die Staaten, um dort ein paar Vorlesungen in Psychologie zu geben. Die Cleveland State University in Ohio ist seine erste Station.“
Gemeinsam gingen wir den freundlichen, hellen Flur entlang, an dessen Wände Gemälde und Bilder hingen, die von den Angestellten ausgesucht worden waren.
Selbstverständlich hatte ich ein Panoramabild meiner Heimatstadt Garmisch-Partenkirchen neben meiner Zimmertür aufgehängt. Ich schmiss meine Tasche auf das Bett und folgte Angelika zum Nebengebäude. Sie wollte mir die neue Geschlossene Abteilung zeigen, in der sie für die nächsten zwei Wochen Dienst schieben sollte.
Durch eine Seitentür, deren Schlüssel Angelika hatte, betraten wir die Station. Alles war sehr hell und freundlich gehalten, die acht Zimmer, alle etwa 40 qm groß, waren schick eingerichtet. An den Zimmerdecken war jeweils eine Kamera befestigt, die aber anscheinend noch nicht eingeschaltet waren, da das rote Lämpchen nicht leuchtete.
Aus dem großen, vergitterten Fenster konnte man einen Blick auf den hübschen Blumengarten werfen, der von einer mit Efeu bewachsenen Mauer umgebenen war.
Am Ende des Flures befand sich das Zimmer des Professors. Daneben waren zwei Zimmer für die Schwestern und die Pfleger mit einer kleinen, komplett ausgestatteten Küche untergebracht.
Dann erreichten wir den Haupteingang mit einem großen Entree und der Pförtnerloge. Von der Glaswand aus, kam man am Pförtner vorbei durch die Empfangshalle, auf der Treppe nach unten zum Schwimmbad. Dort befand sich auch ein Fitnessraum, der mit allen erdenklichen Geräten ausgestattet war.
Ich pfiff anerkennend. Nach dem Rundgang meinte ich zu Angelika ironisch: „Dann können unsere verkorksten Promis ja kommen.“
Sie lachte und erwiderte: „Am Mittwoch werden die ersten vier Patienten erwartet, darunter zwei Söhne aus einer Fürstenfamilie.“
Wir verließen die Station, wobei Angelika die Tür wieder sorgfältig verschloss. Wir bummelten zurück in die offene Abteilung, zu meinem Arbeitsplatz.
Zurzeit befanden sich hier sechs Patienten auf der Station. Es waren leichte Fälle mit Depression und Drogenentzug. Das Wellness-Hotel nebenan war, wie Angelika erzählte, fast ausgebucht.
Als wir am Haupteingang vorbei gehen wollten, sahen wir einen Krankenwagen der Gesellschaft ‚Zur göttlichen Wahrheit’, der davor stand. Der Klinikchef Professor Deters und Karl Fischer öffneten gerade die hinteren Türen des Wagens. Zwei Pfleger trugen einen Rollstuhl heraus, auf dem eine Frau saß.
Erstaunt erkannte ich die Person im Rollstuhl. Es war Reneé Förster, die Frau, über die ich in der Zeitung gelesen hatte und deren Bild in meiner Brieftasche steckte.
Gemeinsam mit Angelika blieb ich beim Klinikchef stehen. Beim Anblick des bleichen Gesichtes von Frau Förster musste ich erst einmal ein beklemmendes Gefühl, das sich in meiner Kehle ausbreitete, herunterschlucken.
Sie war mit einem tristen grauen Trainingsanzug bekleidet. Zusammengesunken saß sie apathisch im Rollstuhl. Ihre sonst so strahlend grünen Augen, wie ich sie vom Bild her in Erinnerung hatte, waren trüb und irgendwie farblos. Solche Augen kannte ich eigentlich nur von Patienten, die mit starken Drogen ruhig gestellt worden waren. Über ihrer Stirn, am Haaransatz, konnte ich eine etwa fünf Zentimeter lange, weißliche Narbe erkennen.
Die zwei Pfleger schoben sie mit dem Rollstuhl in die Station, in Begleitung von Fischer, was mir seltsam vorkam. Was hatte dieser Fischer mit der Einweisung zu tun? Bevor ich etwas sagen konnte, sprach mich Professor Deters an.
„Guten Tag Herr Barthels! Wir haben eine neue Patientin. Das ist Frau Förster. Vielleicht haben Sie von der Frau gelesen, die in den Bergen verletzt aufgefunden wurde. Sie hat ihr Gedächtnis verloren. Die Klinik in Garmisch hat sie an uns überwiesen, da Frau Förster hochgradig depressiv veranlagt ist.“
Ich schaute den Professor an: „Steht Frau Förster unter Drogen? Laut Zeitung sollte sie eigentlich auf dem Wege der Besserung sein.“
„Sie hatte einen Rückfall. Deswegen ist sie ja hier“, antwortete er kurz angebunden. Auf dem Weg zu seinem Arztzimmer blieb er nochmals stehen. Er drehte sich zu mir herum und blaffte mich an: „Bevor Sie morgen Ihren Dienst antreten, möchte ich Sie über die Neuerungen unseres Sanatoriums informieren. Seien Sie um 7:30 Uhr bei mir. Schönen Tag noch.“ Dann verschwand er in der geschlossenen Station.
Angelika und ich schauten ihm sprachlos hinterher. „Was für ein arroganter Knilch“, murmelte Angelika, während ich mir meinen Teil dachte. Deters kehrte halt gerne seine Position als Chef heraus. Obwohl es mich befremdete, dass er seine vorhergehende Freundlichkeit erst nach meiner Nachfrage zu Frau Förster verloren hatte.
„Was ist, sollen wir mal nach unserer neuen Patientin schauen?“, fragte Angelika.
„Na klar!“ Während wir uns auf den Weg machten, schob ich die Gedanken an Deters unfreundliches Auftreten beiseite. Ich fragte Angelika, ob sie die Geschichte unserer neuen Patientin schon kannte. Als sie verneinte, gab ich ihr eine Zusammenfassung über das, was ich in der Zeitung gelesen hatte.
„Arme Frau! Wenn mir das passiert wäre, würde ich ebenfalls depressiv.“
Vor dem Zimmer stand einer dieser neuen Pfleger. Etwa einhundertzwanzig Kilo Lebendgewicht versperrten uns den Zutritt. „Was soll das?“, rief ich erbost und wollte ihn zur Seite schieben. Im selben Augenblick kam mein besonderer Freund Fischer aus dem Zimmer.
Zum Glück hielt er den Pfleger am Arm zurück, bevor die Situation eskalierte. Ich weiß nicht, ob ich dem bulligen Pfleger gewachsen gewesen wäre, denn seine Oberarme hatten den Umfang meiner Oberschenkel.
„Ich würde gerne nach meiner neue Patientin schauen“, schnauzte ich Fischer an. Der nahm sich augenscheinlich sehr zurück, als er meinte: „Gehen Sie ruhig rein. Frau Förster schläft.“
Der Pfleger trat zur Seite, wobei seine Schweinsaugen mich mit einem tückischen Blick musterten. Ich tupfte ziemlich heftig mit dem Zeigefinger auf sein Namenschild, bevor ich in das Zimmer trat. Angekratzt pflaumte ich ihn an: „Und Tschüss, Helmut.“
Angelika folgte mir, immer noch aufgebracht leise vor sich hinschimpfend.
Frau Förster lag in ihrem Bett und schlief. Man konnte von ihr nur das bleiche und erschöpfte Gesicht sehen. Angelika fühlte nach dem Puls und nickte dann beruhigend. Leise verließen wir das Zimmer.
Wortlos gingen wir an Fischer und seinem ,Orang-Utan’ vorbei, die uns mit zusammengekniffenen Augen beobachtet hatten.
Mittlerweile war es sechs Uhr geworden. Zusammen mit Angelika besuchte ich noch kurz unsere anderen Patienten. Danach aßen wir gemeinsam in der Kantine zu Abend und unterhielten uns noch bis spät in die Nacht, ehe wir uns in unsere Zimmer zurückzogen. Bevor ich zum Schlafen die Nachttischlampe löschte, schaute ich noch lange das Bild von Reneé Förster aus meiner Brieftasche an.
Ich wachte auf, zerschlagen und mit Kopfschmerzen, im ersten Moment wusste ich gar nicht, wo ich war. So einen Mist hatte ich schon lange nicht mehr geträumt.
Irgendetwas mit Gefängnis und Drogen. Ich trug die bewusstlose Frau Förster auf den Armen. Wir kamen in ein Zimmer, in dem eine schwarze Gestalt auf einem Thron saß. Als sich die Gestalt erhob, verwandelte sie sich in eine schwarze Wolke, aus der zwei rotglühende Augen mich anstarrten. Ein boshaftes Gelächter ertönte in meinem Kopf, das mich richtiggehend aus diesem Alptraum herausriss.
Der Wecker zeigte 5:30 Uhr. Ich stellte den Alarm aus, da er noch nicht geklingelt hatte. Einen Augenblick blieb ich noch wie gerädert liegen. Danach rollte ich mich seufzend aus dem Bett. Bevor mein Kopf platzte, nahm ich im Bad eine Ibu 800 und stellte mich sehr lange unter die Dusche. Einigermaßen erfrischt machte ich mich auf den Weg zur Kantine, die ab 6:30 Uhr für die Mitarbeiter geöffnet hatte.
Zwei Nachtschwestern und ein Pfleger saßen in der Ecke und unterhielten sich leise. Mit einem Becher frisch aufgebrühten Kaffee, einem Käsebrötchen und einem Schokoweck setzte ich mich neben die drei. Ich nickte ihnen kurz zu und widmete mich meinem Frühstück.
Der Kaffee weckte die letzten noch schlafenden Lebensgeister. Meine Kopfschmerzen waren verschwunden, bis auf einen leichten Druck im Nacken. Vor dem Termin mit Professor Deters wollte ich noch nach Frau Förster schauen. Beim Verlassen der Kantine stieß ich an der Tür mit Angelika zusammen, die ganz aufgeregt in die Kantine stürzte.
Aufgebracht redete sie los: „Stell dir vor, die haben in der Nacht deine Frau Förster in die Geschlossene gebracht.“
„Mal langsam! Was ist passiert?“ Beruhigend legte ich meine Hand auf ihre Schulter.
Angelika deutete auf den Pfleger, der mit am Tisch saß. „Ich habe von Chris gehört, dass gegen halb vier Frau Förster in die geschlossene Abteilung gebracht wurde. Warum, konnte oder wollte er mir nicht sagen.“
Als ich mich zu dem Pfleger herum drehte, verstummte das Gespräch der Drei. Chris und die beiden Frauen schauten betreten auf den Boden, als ich ihn verärgert anschaute. Scharf fuhr ich ihn an: „Was genau ist geschehen und warum bin ich nicht dazu geholt worden?“
Mit flackernden Augenlidern druckste er herum. Als er dann mit der Sprache herauskam, konnte er mir nicht in die Augen schauen.
„Wir hörten um drei Uhr morgens einen Krach und Geschrei. Als wir in den Flur liefen, kamen zwei der neuen Pfleger, Professor Deters und der Sicherheitschef mit Frau Förster aus dem Zimmer. Als ich nachfragte, erklärte der Professor, dass Frau Förster einen Anfall hatte und in die Geschlossene gebracht werden müsste.“ Danach brachten sie Frau Förster weg.
Ich hakte angekratzt nach: „Was war noch? War Frau Förster bei Bewusstsein? Und wieso wurde ich nicht informiert?“
Jetzt schaute er mir ins Gesicht und murmelte: „Ich habe Professor Deters gefragt, aber er meinte, Sie hätten damit nichts mehr zu tun!“
Mit versteinerter Mine schaute ich abwechselnd Chris, dann Angelika an. Erst als sie mich am Arm packte, löste ich mich aus der Erstarrung. Ich schluckte kurz und meinte dann im Hinausgehen zu ihr: „Das werden wir jetzt auf der Stelle klären.“
Wütend schlug ich den Weg zum Professor ein. Angelika, in meinem Schlepptau, versuchte mich zu beruhigen.
„Wenn du jetzt was Falsches machst, kannst du der Frau auch nicht helfen“, rief sie, während sie mich an meinem Kittel zurückhielt.
Ich blieb stehen, atmete dreimal tief durch. Dann gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn und meinte: „Du hast Recht, ich bin ganz ruhig. Ich habe sowieso gleich einen Termin mit dem Deters. Du kannst beruhigt deinen Dienst antreten, ich werde dir heute Abend alles erzählen.“
Sie schaute mich zweifelnd an. Schmunzelnd schickte ich sie mit einer Handbewegung weg: „Los geh! Ich mache das schon, hau ab.“
Ich blieb stehen, bis sie in der Station verschwunden war. Auf dem Weg zur Geschlossenen blieb ich unter der großen Trauerweide kurz stehen und konzentrierte mich noch einmal. Ruhig betrat ich den Haupteingang, schlenderte am Empfang vorbei zur sich dahinter befindenden Pförtnerloge, die zusammen mit einer Glasfront die eigentliche Station vom Eingangsbereich abtrennte.
Vor der Loge standen zwei Wachtposten, die mich von oben bis unten mit verkniffenen Mienen musterten. Beide waren mit Pistolen bewaffnet; es fiel mir auf, da ich aus meiner Zeit beim SEK und aus dem Schießverein die verdächtige Silhouette eines Schulterhalfters sofort erkannte.
Der Pförtner las den Legitimations-Ausweis an meinem Kittel. Dann winkte er mich durch die Glastür, die sich mit einem saugenden Geräusch hinter mir schloss. Er und die Wachen sahen mir nach, als ich den Flur entlang bis zum Arztzimmer ging. Die unscheinbare Kamera an der Decke konnte jeden Winkel des Flures erfassen. Ich klopfte, auf das herrische „Herein“, betrat ich das Arbeitszimmer.
Deters thronte hinter einem riesigen Schreibtisch. Ruhig sortierte er einige Akten, ehe er sich herabließ, mich zu bemerken.
„Ah, Herr Barthels! Guten Morgen. Setzen Sie sich. Ich bin gleich soweit.“
Ich setzte mich in einen der Sessel, die vor dem Tisch standen. Nach einer Minute öffnete sich die Tür und Fischer betrat das Zimmer. Er grüßte mich freundlich. Danach setzte er sich schweigend neben dem Schreibtisch auf einen Stuhl. Mit einem hintergründigen Lächeln sah er mich an.
Deters schlug die Mappe zu, blickte kurz hinüber zu Fischer und meinte dann zu mir: „Also Herr Barthels, Sie befinden sich hier in unserer neuen Station, die wir erst kürzlich eröffnet haben. Frau Schulz hat ihnen ja gestern die Station gezeigt.“ Bei diesen Worten schauten mich Beide herausfordernd an.
Freundlich antwortete ich: „Ich hatte Frau Schulz gebeten, mir den neuen Arbeitsplatz zu zeigen. Wenn ich aber gewusst hätte, dass dieses nicht erwünscht wurde, hätte ich sie nicht darum gebeten.“
„Ist nicht so wichtig“, wiegelte Deters mit einer arroganten Handbewegung ab. „Ich will Ihnen nur mitteilen, dass aufgrund neuer Direktiven aus dem Vorstand der Gesellschaft, sie für die geschlossene Abteilung nicht zuständig sind.“
Er machte eine Kunstpause um seinen folgenden Worten eine stärkere Betonung zu geben: „Morgen früh kommt ein Berufskollege von Ihnen, der die geschlossene Abteilung übernimmt. Seien Sie froh, dass Ihnen die zusätzlich anfallende Arbeit abgenommen wird. Herr Koufour kommt aus Neuseeland und ist ein international sehr geachteter Psychologe. Wir haben in dieser Woche etliche Anmeldungen von sehr einflussreichen, zahlungskräftigen Kunden, denen wir Rechnung tragen müssen.“
Schnell fügte er hinzu: „Es steht Ihnen natürlich jederzeit offen zu kündigen, wenn Sie irgendwelche Einwände haben und uns vielleicht verlassen möchten.“
Ich musterte Deters und Fischer, wobei ich bei Fischer ein kurzes, schadenfrohes Grinsen bemerkte. Ich nahm mich zusammen, obwohl ich innerlich kochte.
„Ich sehe keinen Grund dafür. Im Gegenteil! Ich finde das mit dem neuen Kollegen sehr gut, denn so kann ich mich noch besser um meine ‚normalen’ Patienten kümmern“, meinte ich freundlich mit einem aufgesetztem Grinsen.
Enttäuschung machte sich auf Fischers Gesicht breit, während Deters etwas ratlos aus der Wäsche schaute. Beide hatten wohl mein Aufbrausen erwartet, aber mit dieser Reaktion hatte ich ihnen den Wind aus den Segeln genommen.
„Wenn das alles ist, dann werde ich mich jetzt um meine Patienten kümmern. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit dem neuen Kollegen.“
Während ich aufstand, schob ich so gleichgültig wie möglich die Frage hinterher: „Was ist mit meiner Patientin Frau Förster?“
Beide schauten sich mit undefinierbaren Mienen an. Deters antwortete nach kurzer Überlegung in einem hochnäsigen Tonfall.
„Frau Förster hatte leider in den frühen Morgenstunden einen schweren Rückfall erlitten. Sie hat, in einem Anfall einer schweren Depression, versucht sich das Leben zu nehmen. Deshalb mussten wir die arme Frau in die geschlossene Abteilung bringen. Dort haben wir sie erst einmal unter ständiger Beobachtung und können sie mit den nötigen Medikamenten ruhig stellen.“
Mein Magen krampfte sich zusammen und ich musste meinen ganzen Willen aufbieten, um ruhig zu bleiben.
Ich dachte an Angelikas Worte und meinte: „Dann war es ja gut, dass die Garmischer Frau Förster zu uns überwiesen haben. Kann ich sie mir mal anschauen?“
Deters schaute mich aufmerksam an. „Selbstverständlich, vielleicht ist Frau Förster jetzt wach.“
Er zog seine Augenbrauen zusammen, als müsse er überlegen und fügte nach einer Kunstpause hinzu: „In dem Dossier der Garmischer Klinik war der Psychologe Karl Friesing der Meinung, Frau Förster müsse noch lange in psychologischer Behandlung betreut werden, da von einer Suizidgefährdung ausgegangen werden muss.“
Er deutete auf die dicke braune Ledermappe, die er dann in seiner Schreibtischlade verstaute.
Wir standen auf und gingen gemeinsam zu Zimmer 8, vor dem ein stämmiger Pfleger mit seinem Behandlungswagen stand. Professor Deters öffnete die Tür und wir betraten leise das Zimmer.
Frau Förster schlief. Als ich das schmale und bleiche Gesicht sah, das irgendwie verloren aus der Decke heraus sah, musste ich schlucken. Durch Riemen ans Bett gefesselt, war sie zu keiner Bewegung mehr fähig. Ich befühlte ihre Stirn und schob kurz das rechte Augenlid hoch. Ich konnte an dem trüben Auge erkennen, dass man ihr ein starkes Beruhigungsmedikament verabreicht hatte.
Da ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts für Frau Förster unternehmen konnte, drehte ich mich, nach dem Studium des Krankenblattes, auf dem Absatz herum. Ich verließ mit ruhigen Schritten das Zimmer und versuchte dabei ein unverfängliches Gesicht zu machen.
Die Beiden folgten mir bis zum Pförtner. Als ich mich verabschiedete, hatte ich meine Gesichtszüge soweit wieder unter Kontrolle. Ich hoffte, dass ihnen meine seelische Verfassung beim Anblick der Frau nicht aufgefallen war.