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Studienarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Geschichte Deutschlands - Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Note: 1,2, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Institut für Geschichte), Veranstaltung: Hauptseminar: "Deutsche als Opfer?" - Krieg, Flucht und Vertreibung 1939-1950, Sprache: Deutsch, Abstract: In der vorliegenden Arbeit soll sich mit der Aufnahme, Versorgung und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Sachsen – Anhalt in den ersten Nachkriegsjahren beschäftigt werden. Dabei soll eingangs kurz der Frage nachgegangen werden, wie die Flucht und Vertreibung häufig ablief und wie sich die Aufnahme der ersten Vertriebenen darstellte. Die Kriegswirren und deren Folgezeit, in der auch die einheimische Bevölkerung mit massiven Problemen und Verlusten fertig werden musste, lassen vermuten, dass das Eintreffen der Vertriebenen und die Versorgung mit Nahrung und Wohnraum eine konsequenten Organisation erforderte. Im zweiten Teil der Arbeit soll dargestellt werden, wie das Hineinwachsen der Vertriebenen in das neue gesellschaftliche Umfeld erreicht werden sollte. Dabei wird zu untersuchen sein, welche Konzepte entwickelt wurden, um eine Aufnahme und Eingliederung zu gewährleisten, aber auch, welche Probleme bestanden und wie diese Versucht wurden zu lösen. Denn nicht nur die Einheimischen wanden sich oft gegen die Vertriebenen, auch die Vertriebenen selbst standen den Integrationsmaßnahmen zu großen teilen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Wenn man sich mit den Vertriebenen in Sachsen – Anhalt bzw. der DDR beschäftigt, so ist es wichtig, auch die politische und kulturelle Integration zu betrachten. Es wird deshalb zu zeigen sein, wie die politisch Verantwortlichen, an vorderster Stelle SED und Sowjetische Militäradministration (SMA), Einfluss auf die Vertriebenen gewinnen wollten, welche Mittel sie dabei einsetzten und welche Haltung sie damit bei den Vertriebenen hervorriefen.
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Veröffentlichungsjahr: 2006
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Die Geschichte der Flüchtlinge und Vertriebenen war ein Forschungsgebiet, mit der sich in der DDR nur sehr distanziert auseinandergesetzt wurde. Nach 1950 fand die wissenschaftliche Auseinandersetzung kaum noch statt, höchstens in literarischen Werken wurde das Schicksal der Vertreibung aufgegriffen. Mit dem Ende der DDR setzte eine ‚wissenschaftliche Aufholjagd’ ein, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Diesem Sachverhalt muss man sich bewusst sein, wenn man sich in einer Hausarbeit mit den Vertriebenen in der DDR beschäftigt. Die verwendete Literatur ist deshalb überwiegend nach 1990 entstanden und gelegentlich finden sich noch erhebliche Lücken in den Darstellungen und Differenzen bei den verwendeten Zahlen. Besonders für die Zeit nach 1950 ist es schwierig, fundamentierte Aussagen zu treffen, da die Geschichte der Vertreibung ein Tabuthema war. Deshalb soll sich in der vorliegenden Arbeit mit der Aufnahme, Versorgung und Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in Sachsen - Anhalt in den ersten sechs Nachkriegsjahren beschäftigt werden. Dabei soll eingangs kurz der Frage nachgegangen werden, wie die Flucht und Vertreibung häufig ablief und wie sich die Aufnahme der ersten Vertriebenen darstellte. Die Kriegswirren und deren Folgezeit, in der auch die einheimische Bevölkerung mit massiven Problemen und Verlusten fertig werden musste, lassen vermuten, dass das Eintreffen der Vertriebenen und die Versorgung mit Nahrung und Wohnraum eine konsequenten Organisation erforderte.
Im zweiten Teil der Arbeit soll dargestellt werden, wie das Hineinwachsen der Vertriebenen in das neue gesellschaftliche Umfeld erreicht werden sollte. Dabei wird zu untersuchen sein, welche Konzepte entwickelt wurden, um eine Aufnahme und Eingliederung zu gewährleisten, aber auch, welche Probleme bestanden und wie diese Versucht wurden zu lösen. Denn nicht nur die Einheimischen wanden sich oft gegen die Vertriebenen, auch die Vertriebenen selbst standen den Integrationsmaßnahmen zu großen teilen skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Die Frage nach der Versorgung mit Wohnraum, mit Nahrungsmitteln und mit Arbeit sind sicherlich von zentraler Bedeutung, um ein hineinwachsen in eine neue Gesellschaft zu ermöglichen. Welche Anstrengungen in dieser Hinsicht in Sachsen - Anhalt unternommen wurden, soll ebenso in dieser Arbeit Beachtung finden, wie Initiativen der Vertriebenen selbst und die Probleme, die immer wieder auftraten.
Wenn man sich mit den Vertriebenen in Sachsen - Anhalt bzw. der DDR beschäftigt, so ist es wichtig, auch die politische und kulturelle Integration zu betrachten. Es wird deshalb zu zeigen sein, wie die politisch Verantwortlichen, an vorderster Stelle SED und Sowjetische Militäradministration (SMA), Einfluss auf die Vertriebenen gewinnen wollten, welche Mittel sie dabei einsetzten und welche Haltung sie damit bei den Vertriebenen hervorriefen.
Das Wesentliche, was eine Volksgruppe ausmacht, ist ihre kulturelle Identität und die Erinnerung an die Heimat. Mit dem staatlich verordneten Schlussstrich einer gesonderten Vertriebenenpolitik sollten 1950 per Gesetz diese Erinnerungen vergessen werden. Schließlich wird in dieser Arbeit immer wieder zu fragen sein, welche Maßnahmen die Integration förderten und welche ihr entgegen wirkten.
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2.1 Das unkontrollierte Einströmen der ersten Flüchtlinge und Vertriebenen
Die Situation in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges stellte sich so dar, dass durch das Vorrücken der sowjetischen und amerikanischen Truppen das Kampfgeschehen mehr und mehr in Sachsen - Anhalt tobte. Städte wie Magdeburg, Haberstadt, Zerbst, Dessau, Merseburg und Eilenburg waren großflächigen Bombenangriffen zum Opfer gefallen. Am 17. April besetzten amerikanische Truppen von Westen kommend Halle und am 18. April den Westteil der Provinzhauptstadt Magdeburg. Sowjetische Truppen erreichten am 5. Mai den östlichen Teil Magdeburgs und vollendeten somit die Besetzung. Die vorläufige Sektorengrenze bildeten in den kommenden Wochen Elbe und Mulde.1
In den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegswochen setzten in Sachsen - Anhalt umfangreiche Bevölkerungsbewegungen ein, an welchen die verschiedensten Menschengruppen beteiligt waren. Ausländische Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Verschleppte, die zurück in ihre Heimat wollten; vom Krieg heimkehrende Soldaten, die nicht in Gefangenschaft gerieten; befreite Häftlinge aus den Konzentrationslagern sowie Ausgebombte und Evakuierte aus Städten, welche zu Kriegszeiten von Luftangriffen bedroht waren und nun in ihre Heimat zurück wollten.2Letztlich trafen im Zuge des Vorrückens der Roten Armee nach Deutschland zunehmend Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten ein.
Trotz der Verbote durch die NSDAP Kreisleitungen fingen viele Menschen an, ihre Flucht vor den heranrückenden Sowjets, welchen die grausamsten Gerüchte voraus eilten, zu organisieren. Meist viel zu kurzfristig kamen dann die offiziellen Befehle zum Verlassen des Hofes, des Dorfes oder der Stadt.3Als die ersten Menschentrecks 1944 in Sachsen Anhalt eintrafen, wurden diese zunächst noch freundlich begrüßt sowie mit Nahrung, Unterkunft und Futter für die Tiere versorgt. Doch je länger der Vormarsch der Sowjets anhielt, um so größer wurden die Flüchtlingszüge und um so chaotischer die Situation auf den Strassen. Die allgemeine Not der in der Provinz Sachsen lebenden Menschen wurde erheblich verstärkt durch das Eintreffen, Unterbringen und Versorgen der Flüchtlinge. Wochenlang schleppten diese sich ohne ärztliche Versorgung und meist ohne ausreichend Nahrung in endlosen Trecks von Fuhrwerken oder zu Fuß mit Schlitten, Handwagen oder Kinderwagen über die verstopften Landstraßen. Der harte Winter, die wenigen Nahrungsmittel, die hygienischen Zustände, die körperlichen und seelischen Strapazen aber auch die ständigen Tieffliegerangriffe forderten viele Opfer. Genaue Zahlen über die Opfer der Flucht und Vertreibung gibt es nicht. Darüber wird in der Forschung immer noch heiß diskutiert. Berechnungen schwanken zwischen 400.000 und ca. 2,3 Millionen Menschen, die in den letzten Kriegsjahren und dann in den folgenden Jahren Opfer der Strapazen von Flucht und Vertreibung wurden.4Eine endgültige Zahl lässt sich durch die Wirren
1Vgl. Mehlhase, Thomas: Flüchtlinge und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg in Sachsen - Anhalt, Münster u.a. 1999, S. 30.