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Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Geschichte Deutschlands - 1848, Kaiserreich, Imperialismus, Note: 1,2, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Institut für Geschichte), Veranstaltung: Hauptseminar: Nationsbildung im 19. und 20.Jahrhundert, Sprache: Deutsch, Abstract: In der vorliegenden Arbeit soll sich mit den Voraussetzungen der deutschen Nationalstaatsgründung von 1871 auseinandergesetzt werden. Es ist unbestritten, dass der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck die Reichsgründung im Zuge einer ‘Revolution von oben’ vollzog. Hieraus ergibt sich aber die untersuchungsleitende Frage, was das Fundament bzw. die Voraussetzungen dafür waren, dass so viele Menschen damals bereit waren, die in Kriegen geschaffenen Tatsachen zu akzeptieren und so den Nationalstaat ermöglichten? Daraus folgt die These, dass die ’Revolution von oben’ von einem vielschichtigen Prozess der Nationsbildung bekleidet wurde, in der gleiche Handlungsmuster auf verschiedenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Ebenen entstanden, welche die Akzeptanz der preußisch kleindeutschen Reichsgründung erhöhten. Allerdings kann es nicht Anspruch dieser Arbeit sein, ein vollständiges Bild über das innerdeutsche wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Beziehungsgeflecht zu geben. Vielmehr sollen besonders markante und bedeutende Phänomene vorgestellt und nach ihrer Bedeutung am Einigungsprozesses hinterfragt werden. Die Ausgangsbasis dieser Arbeit sollen kurze einleitende Betrachtungen bezüglich der Reichseinigungskriege und dem Nationenbegriff bilden. Davon ausgehend wird als erstes auf die wirtschaftlichen Verklammerungen eingegangen. Diesbezüglich gilt es herauszuarbeiten, in wieweit die wirtschaftliche Integration den Nationalbildungsprozess begünstigte und möglicherweise die staatliche Einheit förderte. Den zweiten Schwerpunkt der Arbeit sollen das soziokulturelle Fundament der Reichsgründung bilden. Es wird danach zu fragen sein, welche Entwicklungen die Vertiefung der sozialen und kulturellen Beziehungen begünstigten und so eine Entlokalisierung von Lebenswelten und Lebenserfahrungen bewirkten. Dabei kommt, so eine weitere These, dem überregionalen Vereinswesen und der sich verdichtenden Kommunikation über die Grenzen hinweg besondere Bedeutung zu. Im letzten Teil der Arbeit wird sich mit dem politischen Verklammerungen, die vor 1871 bestanden, auseinander gesetzt werden. Dabei soll die politische Nationalbewegung eine zentrale Rolle einnehmen, war sie es doch, welche die Idee der Nation von einem kleinen Kreis Gebildeter zu einer breiten Massenbewegung werden ließ, die darin neue herrschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen erkannte.
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Veröffentlichungsjahr: 2006
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In der vorliegenden Arbeit soll sich mit den Voraussetzungen der deutschen Nationalstaatsgründung von 1871 auseinandergesetzt werden. Es ist unbestritten, dass der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck die Reichsgründung im Zuge einer ‘Revolution von oben’ vollzog. Hieraus ergibt sich aber die untersuchungsleitende Frage, was das Fundament bzw. die Voraussetzungen dafür waren, dass so viele Menschen damals bereit waren, die in Kriegen geschaffenen Tatsachen zu akzeptieren und so den Nationalstaat ermöglichten?
Daraus folgt die These, dass die ’Revolution von oben’ von einem vielschichtigen Prozess der Nationsbildung bekleidet wurde, in der gleiche Handlungsmuster auf verschiedenen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Ebenen entstanden, welche die Akzeptanz der preußisch kleindeutschen Reichsgründung erhöhten. Allerdings kann es nicht Anspruch dieser Arbeit sein, ein vollständiges Bild über das innerdeutsche wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Beziehungsgeflecht zu geben. Vielmehr sollen besonders markante und bedeutende Phänomene vorgestellt und nach ihrer Bedeutung am Einigungsprozesses hinterfragt werden.
Die Ausgangsbasis dieser Arbeit sollen kurze einleitende Betrachtungen bezüglich der Reichseinigungskriege und dem Nationenbegriff bilden. Davon ausgehend wird als erstes auf die wirtschaftlichen Verklammerungen eingegangen. Diesbezüglich gilt es herauszuarbeiten, in wieweit die wirtschaftliche Integration den Nationalbildungsprozess begünstigte und möglicherweise die staatliche Einheit förderte. Am Beispiel des Zollvereins soll tiefgehender untersucht werden, wie die handelspolitischen Vorteile die kleindeutsche Reichsgründung begünstigen bzw. erzwangen. Aufgrund der Entwicklungen in der Gegenwart bezüglich des europäischen Wirtschaftsraums und der Europäischen Union kann vermutet werden, dass die wirtschaftliche Integration auch im 19. Jahrhundert nicht zwangsläufig auf eine staatliche Einheit hinauslief.
Den zweiten Schwerpunkt der Arbeit sollen das soziokulturelle Fundament der Reichsgründung bilden. Es wird danach zu fragen sein, welche Entwicklungen die Vertiefung der sozialen und kulturellen Beziehungen begünstigten und so eine Entlokalisierung von Lebenswelten und Lebenserfahrungen bewirkten. Dabei kommt, so eine weitere These, dem überregionalen Vereinswesen und der sich verdichtenden Kommunikation über die Grenzen hinweg besondere Bedeutung zu.
Im letzten Teil der Arbeit wird sich mit dem politischen Verklammerungen, die vor 1871 bestanden, auseinander gesetzt werden. Dabei soll die politische Nationalbewegung eine zentrale Rolle einnehmen, war sie es doch, welche die Idee der Nation von einem kleinen Kreis Gebildeter zu einer breiten Massenbewegung werden ließ, die darin neue herrschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen erkannte.
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2. 1866/1871 weit mehr als eine ‘Revolution von oben’
Als der preußische König am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen wurde und die Bismarcksche Politik der Schaffung eines deutschen Nationalstaates zu einem ersten Abschluss kam, war die Redewendung ‘Revolution von oben’ bereits eingebürgert. Schon die Gründung des Norddeutschen Bundes (1866) empfanden die Zeitgenossen als „revolutionäre Schwelle auf dem Weg zum deutschen Nationalstaat.“1Der Konflikt zwischen Preußen und Österreich um die Hegemonie im Deutschen Bund mündete, nachdem man 1864 noch gemeinsam den Krieg gegen Dänemark um die Herzogtümer Schleswig und Holstein erfolgreich führte, schließlich 1866 in eine kriegerische Auseinandersetzung der innerdeutschen Staaten unter der jeweiligen Führung Preußens oder Österreichs. Mit dem Sieg der von Preußen geführten Staaten entstand ein „nationaler Rumpfstaat [...], ein deutscher Teilstaat, der bis etwa zur Mainlinie reichte - eine Wegmarke nur, so glaubten wohl die meisten Deutschen, hin zum deutschen Nationalstaat, ohne Österreich, unter preußischer Führung.“2Vier Jahre später, nach dem für Preußen ebenfalls siegreich geführten Krieg gegen Frankreich und den vor diesem Hintergrund erfolgreich verlaufenen diplomatischen Gesprächen mit den süddeutschen Regierungen, sollte sich diese Einschätzung bestätigen. Bismarck konnte schließlich in einem Gespräch mit Mitarbeitern am 23. November 1870 in Versailles konstatieren: „Die deutsche Einheit ist gemacht, und der Kaiser auch.“3