Die äußerst außergewöhnlichen Fälle des Reginald Vonderlus - Andreas Reuel - E-Book

Die äußerst außergewöhnlichen Fälle des Reginald Vonderlus E-Book

Andreas Reuel

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Beschreibung

Es ist Karneval auf Allfaldrias Straßen. Das heißt Trubel, Jubel, Heiterkeit, wo man auch hinsieht. Nachdem sein Partner beinahe lebendig begraben wurde, ermittelt Reggie vorerst alleine weiter. Er geht der Gemeinschaft des Silbernen Kleeblatts nach und somit auch dem Orden der Ekpyrosis auf den Leim. Doch plötzlich geht es dem kleinen Halbling gar nicht gut. Er ist nur völlig überfragt, wie das kommt. Ausgerechnet die verhasste Reporterin, Ädelein Keckefott, hilft ihm und schnell findet er heraus, dass ein Fluch auf ihm liegt. Wer dahinter steckt, findet er nur mit der Hilfe seiner Freunde heraus.Nominiert für den Phatastikpreis Wetzlar 2022!

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Dem Karneval konnte ich nie etwas abgewinnen.

Der ursprüngliche Grundgedanke dagegen gefällt mir.

Inhaltsverzeichnis

Februar Blues

Mystischer Firlefanz

Ein frommes Lamm

Et Juffer Suly

Entzaubert

Wie gewonnen, so zerronnen

Clarence

Weiberfastnacht (morgens)

Weiberfastnacht (mittags)

Weiberfastnacht (abends)

Lieben, laben, loben

Nelkensamstag

Tulpensonntag

Unterm Hinzeturm

Schutz im Trifolium

Rosenmontag

Reggies Absenz

Die Villa am Lötz

Mobesins Offenbarung

Veilchendienstag

Aschermittwoch

Namensverzeichnis

Ducatus Allfaldria, Westfal. Anno 1888

1. Februar Blues

Es schneite. Das hatte es zuletzt im Dezember an Heiligabend ein wenig. Aber jetzt war Februar. Nicht gerade ungewöhnlich. Für einen Halbling jedoch eine unangenehme Zeit. Wind, Kälte und Nässe gepaart, waren nicht gut für seine Barfüße. Seinem Zeh ging es deutlich besser. Jedoch war er blau und violett angelaufen. Nicht vor Kälte, nein. Das geschah vor ungefähr einer Woche, als Reggie sich in der Kirche St. Fridol an dem Fuß einer Sitzbank aus massiver Eiche stieß und dabei verstauchte. Nun schien sich dem Halbling das zu erfüllen, was der Arzt ihm prophezeit hatte. Der Nagel würde bald abfallen. Hoffentlich wuchs ein neuer nach, sandte er mental ein Stoßgebet aus.

Grübelnd schaute er von seinen baumelnden Füßen zu seinem Partner herüber. Sein Partner, ein Mensch namens Pilgrim, saß zwar noch in seinem Büro, wurde allerdings seit dem Vorfall mit dem Sarg in den Innendienst eingeteilt und musste Uniform tragen. Der Mann biss gerade herzhaft in einen Puffel. Dabei quoll die Aprikosenmarmelade hinten aus einer kleinen Öffnung heraus und platschte an seinem Teller vorbei auf den Schreibtisch.

Pilgrim erkannte die Kleckse mit großen Augen und hob fluchend eine Faust. »Verfluchter Puffel, leckerer Puffel«, kaute er genüsslich und lächelte Reggie schelmisch zu. Der ganze Puderzucker klebte um Pilgrims Mund und Nasenspitze herum. Der Halbling warf sich vor Lachen fast vom Stuhl. In den kommenden Tagen hätte er so durchaus als Clown in den Karneval ziehen können.

Vorerst hieß es nun also für den Halbling alleine weiter zu ermitteln, bis sein Chef ihm einen neuen Partner zuweisen würde. Für ihn war das vollkommen in Ordnung. Unter anderem, da er sich selbst ein wenig die Schuld an der misslichen Lage seines Partners zusprach. Schließlich hatte er ihn dazu gedrängt alleine in die Kammer der Kirche zu gehen, während er wegen seines verstauchten Zehs im Hospital warten musste. Man hätte damit rechnen müssen, dass der Täter auf ihn lauerte.

Um so mehr freute er sich, dass Pilgrim wohlauf war. Vom Lachen wurde ihm ganz warm und er begann sich wieder zu jucken. Seit ein paar Tagen bekam er hin und wieder diese juckenden Schwielen, wenn ihm warm wurde. Manchmal kamen sie auch, wenn er sich sonst wie an der Haut rieb oder sich stieß. Noch blieben sie recht klein und verschwanden schnell wieder. Also sah er keinen Grund zur Beunruhigung. Er schrieb es der kalten Jahreszeit, möglicherweise auch dem Stress zu.

Unruhig schaute er auf seine Taschenuhr.

»Wartest du auf einen neuen Fall oder besseres Wetter?«, fragte Pilgrim mit einem Hauch Sarkasmus. Offenbar hatte er den Halbling beobachtet.

»Ach«, tat Reggie mit einer winkenden Hand ab. »Von Tunik ist der Meinung, ich sollte mich mit Fräulein Keckefott treffen und unsere Fehde beilegen.«

»Die nervige Reporterin?«

Reggie nickte. »Sie macht auch nur ihre Arbeit«, spielte er ihre Handlungen und Provokationen in der Zeitung herunter, obwohl sie ihn am meisten verärgert hatten. »Der Versuch eines klärenden Gesprächs kann nicht schaden. Vor allem, da ich es veranlasst habe und es als sinnvoll erachte.«

»Und du bist jetzt gleich mit ihr verabredet?«, hakte Pilgrim neugierig nach.

»Ja«, bestätigte ihm Reggie nickend und sah erneut auf seine Uhr. »Im Kittel. Ein neutraler Ort.« Prompt rutschte er von seinem Stuhl, begab sich zum Kleiderständer, schlüpfte in den Mantel und setzte seine Melone auf. »Bis später«, winkte er seinem Partner zum Abschied und verschwand aus Pilgrims Sichtfeld.

Pass auf dich auf, kleiner Freund, dachte Pilgrim während er genüsslich einen weiteren Puffel verdrückte.

Sein Lieblingscafé Zum Kittel lag in der Brückentorgasse, unweit vom Präsidium. Dort konnte Reggie sogar seinen Lieblingsplatz ergattern. Der lag unmittelbar am Eingang mit Blick zum Schaufenster hinaus.

Nachdem er sich ein kleines Frühstück und dazu einen Pfefferminztee bestellt hatte, stopfte er in Ruhe seine Pfeife, um die Wartezeit zu überbrücken. Die letzten Monate war er selten bis gar nicht zum rauchen gekommen. Eigentlich war er schon gedanklich dabei, es dranzugeben. Aber es war eben auch ein Moment, um runter zu kommen und besser nachdenken zu können.

Sein Blick wanderte auf die Zeitung auf dem Tisch vor ihm. Er hatte sie sich so zurecht gefaltet, dass er auf der zweiten Seite den aktuellsten Artikel von Fräulein Ädelein Keckefott lesen konnte. Dazu war sogar eine Fotografie abgebildet, auf der man die Reporterin und einen Herrn mit einer kleinen, seltenen Kunstskulptur in der Hand sehen konnte. Laut Bildunterschrift hieß der Mann Grontus Breyden, ein Galerist. Sie reichten einander die Hände. Der Artikel war eine Art Interview. Wahrscheinlich bezahlt, kam es Reggie böse in den Sinn.

Das kleine Frühstück, bestehend aus einem Schwarzbrot und einem einfachen Brötchen mit ein paar Scheiben Wurst und Käse, sowie einem Schälchen Butter und Erdbeermarmelade, führte er sich genussvoll zu Gemüte. Die Streifen Möhre und Paprika ließ er übrig. Darauf trank er seinen Tee und paffte in Ruhe sein Pfeifenkraut. Erneut sah er auf seine Uhr. Sie müsste jeden Moment kommen, dachte er bei sich, während er ungeduldig auf die Menschenfrau wartete.

Wenig später kam Ädelein Keckefott, die Reporterin des Allfäller Anzeigers, ins Café hereingeschneit.

Reggie erkannte sofort ihr modisches Kostüm wieder, dass sie damals am Toutbach getragen hatte. Der weinrot, dunkelblau und gelb karierte Tartan-Rock, diesmal jedoch eine weinrote Bluse dazu. Darüber der dunkelblaue Blazer und dazu die passenden dunkelblauen Pumps.

»Der Polizeipräsident schickt seinen besten Mann«, sagte sie an Stelle einer Begrüßung und setzte sich ihm gegenüber. »Ihr Ruf eilt Ihnen voraus.« Ihre braune Lederhandtasche landete unachtsam auf dem Stuhl in ihrer Mitte.

»Guten Morgen, Fräulein Keckefott. Ist das so?«, entgegnete Reggie, kühler als er beabsichtigte, und erhob sich kurz, die Etikette wahrend.

Nachdem sie ihm gegenüber Platz genommen hatte, griff sie gleich über den Tisch und stibizte frech einen Streifen roter Paprika von seinem Teller und biss hinein. »Sie mögen die nicht?« Ihre Atmung klang abgehetzt. Sie war hierher geeilt. Verschlafen oder noch den Moment mit dem Liebhaber ausgekostet? Beides nicht verwerflich, schoss es dem Inspektor durch den Kopf.

»Entweder die Säure oder die Schale«, antwortete Reggie wehleidig und streichelte sein kleines Bäuchlein. »Eines von beiden vertrage ich nicht.« Er schob ihr den Teller herüber und bot ihn ihr an. »Von Tunik war der Meinung, dass wir beide unseren Streit aus der Welt schaffen sollten, anstatt dass sich eben unsere Chefs damit auseinandersetzen müssten. Wir sind beide doch erwachsen genug, das untereinander zu regeln, meinen Sie nicht auch?«

»Da haben sie nicht Unrecht. Sind beide schwer beschäftigte Männer, unsere Chefs«, kommentierte sie darauf lächelnd und stibitzte einen weiteren Streifen vom Teller. Beim hineinbeißen kam ihm ein Spritzer des Saftes gefährlich nahe.

Er fragte sie, ob sie noch etwas frühstücken wollte, doch sie lehnte streng ab. Ihre Linie und so. Das ließ ihn wohl sehr verwundert drein schauen, denn sie lachte darauf amüsiert und meinte nur; Frauen eben.

Das verstand Reggie nicht ganz, aber es tat auch nicht viel zur Sache. Er zeigte ihr darauf kurz ihren neuesten Artikel im Morgenblatt. Sie riss freudig überrascht die Augen auf und gestand, dass sie ihn selbst noch nicht gesehen hatte und nahm ihm euphorisch das Papier aus der Hand. Während sie vor Freude vor sich hingluckste, schaute Reggie paffend hinaus auf die Straße. Die Frau strahlte ihm etwas zuviel Unruhe aus. Er fragte sich nur, was es war? War es ihr Wesen oder ihre Unsicherheit, die sie somit versuchte zu überspielen?

Sie klatschte ihm die Zeitung wieder auf den Tisch vor die Nase. Erschrocken kehrte sein Blick zurück und er musste feststellen, dass sie schmollte.

»Mist«, fluchte sie mit verschränkten Armen, als er sie argwöhnisch anschaute.

»Ist es das?«, staunte Reggie ungläubig. »Warum wurde es dann abgedruckt?«, scherzte er daraufhin.

»Nicht doch«, korrigierte Ädelein den Eindruck, ihr Text wäre schlecht. »Da ist ein Fehler im Text.«

Reggie zuckte mit den Schultern. »Passiert. Machen Sie einen Haken dran. Ist doch morgen schon vergessen. Aber sagen Sie, was hält Herr ... wie hieß er noch ...« Reggie musste noch einmal nachlesen. »... Herr Breyden da in seinen Händen?«

»Das wissen Sie nicht?« Er schüttelte verneinend den Kopf, worauf sie erläuterte: »Das ist das apokalyptische Lamm. Es gehört ...«

»... zum Buch der sieben Siegel«, schnitt er ihr den Satz ab und grinste keck. Er wollte damit schauen, wie sie reagierte. Sie nahm es gelassen und lächelte sogar herausfordernd. »Damit lassen sich die Siegel nacheinander öffnen. Ich habe davon in einem Buch gelesen.« Dem Picatrix, kam es ihm in den Sinn. Wenn alles stimmte, wäre der Besitzer des Buches und des Lamms imstande, die Apokalypse heraufzubeschwören. Das Wissen wollte er ihr allerdings vorenthalten und auch heute noch war es gesellschaftlich nicht gern gesehen, wenn man öffentlich kund tat, dass man in solchen schwarzmagischen Büchern las. »So etwas in der Zeitung zu präsentieren, zieht das nicht die Neugier von Dieben auf sich?«

Ein Stück Möhre verschwand hinter ihren roten Lippen. Da antwortete sie, dass es in der Branche üblich sei, so vorzugehen und es würde bei Interessenten den Preis steigern oder die Zahl an Interessenten, wie man es nehme. »Das Objekt wird zu einer Gebotsherausforderung, erklärte mir Herr Breyden. Außerdem versicherte er, dass das goldene Objekt sehr hoch versichert sei. Und«, betonte sie nachdrücklich mit weiten Augen, »es gäbe wohl genug Sicherheitsvorkehrungen in der Galerie von Herrn Grontus Breyden.«

»Wo liegt die Galerie?«

»Oben, am Ende der Brückentorgasse. Irgendwo auf der rechten Seite, neben der kleinen Kirche.« Sie wedelte mit der Hand und fügte hinzu: »Schräg gegenüber von dieser kleinen Apotheke.«

»Sie sind nicht gebürtig von hier?«, erkundigte Reggie sich aus Neugier. Ihm war aufgefallen, dass sie sich nicht allzu gut auskannte.

»Nein, ich komme ... aus Kalandria.«

Warum hatte er gleich den Eindruck, dass sie log? Aber wozu? Sie musste ihm doch nichts vormachen. »Sagen Sie, Fräulein Keckefott, wie ist Herr Breyden eigentlich an das Objekt gekommen?«, wollte er von ihr wissen.

»Sie stellen Fragen«, pikierte sie sich etwas. »Das geht mich doch nichts an.«

»Ach kommen Sie.« Reggie ließ eine kleine Denkpause reifen. »Sie sind doch die geborene Reporterin«, sprach er herausfordernd und lächelnd zu ihr. »Die Frage haben Sie sich doch längst gestellt.«

»Na gut«, gestand Ädelein verlegen, aber auch geschmeichelt ein. Doch druckste sie herum.

»Für unsere zukünftige Zusammenarbeit«, sagte er nachträglich. Verschmitzt sah sie ihm in die Augen. Blau, wie die seinen. Nur dunkler. Warum machte sie es so spannend?, überlegte er.

»Es war wohl nicht ganz legal«, gab sie zu. »Er sprach davon, dass es ihm ein Kaufmann aus dem Süden für eine stattliche Summe angeboten habe, der das Schaf wiederum aus unbekannter Quelle erhalten habe.« Sie sah ihn scharf an. »Sie wissen, was das bedeutet.«

Reggie nickte ernst. Grabräuber. Aber solche Gegenstände mussten gemeldet werden. Somit würde sich der Galerist strafbar machen. Es sei denn ... es ist eine Fälschung oder Nachbildung. Oder, die Papiere waren gefälscht.

»Treffen wir nun unsere Abmachung?«, wagte sich Ädelein zwei Schritte weiter.

»Na, sie preschen aber vor. Das ist doch sonst meine Aufgabe«, entgegnete er ihr lächelnd. »Lassen Sie uns in Zukunft offener und ehrlicher einander helfen und zusammen arbeiten. Was halten Sie davon.«

Einen Moment dachte er, sie würde gehen. Doch dann reichte sie ihm trotzdem ihre Hand und so besiegelten sie ihr Abkommen mit Handschlag.

Anschließend lehnte sie sich etwas vor und fragte leise aber kokett: »Was ist wirklich mit Pastor Pontiff geschehen?«

Oh, dachte er sogleich. Eine Fangfrage. Er zögerte. »Sie kennen die offizielle Verlautbarung und es wäre mir lieb, wenn es dabei bliebe.« Reggie schob sich auf seinem Stuhl etwas vor und sah sie ernst an, bevor er ihr die Wahrheit sagte. »Aber unter uns; In der Nacht holte ihn das Bakauv und zog ihn in den Kanal. Über seinen Verbleib kann man nur spekulieren. Doch ich bin mir sicher, dass er tot ist.«

Langsam setzte sich Ädelein wieder aufrecht. Ihr Lächeln färbte sich von aufrichtig zu aufgesetzt. Sie war enttäuscht über das, was sie gerade gehört hatte, stellte er verwundert fest. Man sah es ihr deutlich an.

Forsch sagte sie deshalb: »Herr Inspektor, ich dachte sie würden unsere Abmachung ernst nehmen. So etwas muss ich mir nicht bieten lassen.« Wütend stand sie auf, richtete hektisch ihren Rock, nahm ihre Tasche zur Hand und warf ihm einen letzten bösen Blick zu. »Sie Chauvinist«, schimpfte sie ihn wütend und ließ die Türe des Cafés hinter sich zuknallen, dass das darin eingefasste Fenster bedrohlich schepperte.

Niedergschlagen saß Reggie da und musste sich der Schmach hingeben. Die anderen Gäste beobachteten ihn. Vor Scham wurde ihm warm und sein Gesicht lief wahrscheinlich gerade rot an. Prompt kehrte das Jucken zurück.

2. Mystischer Firlefanz

Nach dem missglückten Treffen mit der Reporterin kehrte Reginald Vonderlus geknickt ins Präsidium zurück. Pilgrim erkundigte sich natürlich direkt, wie es gelaufen war, doch der Halbling winkte nur mürrisch ab. Darauf lachte sein Partner und gab vor, es geahnt zu haben. Sie sei eben eine schwierige Person, urteilte er voreingenommen. Darüber dachte Reggie anders, aber er wollte es dabei belassen.

»Sie hat etwas missverstanden und ist wütend davon gestoben«, erklärte Reggie kurzum. »Sie glaubte wohl, dass ich sie bezüglich des Verbleibs des Pastors erneut angelogen habe.«

»Du hast ihr von dem Bakauv erzählt?«, wunderte sich Pilgrim und verzog sein Gesicht, als würde er ihn dafür rügen wollen. »Am besten bleibt man bei der offiziellen Geschichte. Sonst bringt dich das in die Bredouille.«

»Das weiß ich doch. Aber Ädelein stellte mir eine Fangfrage und ich wollte ihr zu unserer Versöhnung einen Vertrauensvorschuss geben. Das ist dann völlig daneben gegangen.«

»Verstehe«, nickte sein Partner verständnisvoll. »Mach dir nichts draus. Das wird sich schon wieder legen.«

Reggie brummte missmutig und zuckte mit beiden Schultern, während er auf seinem Stuhl am Schreibtisch saß und auf die Tarotkarte starrte. »Kam schon ein Ergebnis zu dem Püppchen aus der Rechtsmedizin?«, wandte er sich dann an Pilgrim.

»Nichts. Vielleicht gehst du mal runter zu Doktor Frobenius. Er ist auf jeden Fall da.«

»Das mache ich.« Ein weiteres Mal rutschte Reggie vom Stuhl und ließ die Tarotkarte in seiner Hosentasche verschwinden, bevor er sich hinab in den Keller begab.

Die Rechtsmedizin lag in einem anderen Gebäudetrakt, der mit dem ursprünglichen Präsidium über den Kellerflur verbunden war. Das Gebäude lag praktisch hinter dem Hauptgebäude, sodass der Flur wie ein großes ›L‹ verlief.

»Aaahh, Reginald«, begrüßte ihn der Doktor gleich, als der Halbing den Obduktionsraum im Keller betrat. Der Mann stand über einem leeren Obduziertisch gebeugt und sah ihn durch die kleinen Gläser in dem silbernen Drahtgestell aus an. Er war mittelgroß, in einem reifen Alter und ein leichter Bauch zeichnete sich unter seinem Kittel ab. Sein weißes Haar war locker zu einem Mittelscheitel gekämmt. Neben ihm wartete sein Assistent, Feriand Dott, nur die halbe Portion seines Vorgesetzten, der jedoch durchaus optisch als sein Sohn hätte durchgehen können.

»Hallo Siggi. Hallo Ferri.« Es klang immer wieder lustig in des Halblings Ohren. Als seien sie ein Komikerduo, dass gleich für ihn auftreten würde. »Siggi und Ferri mit ihrem Programm: Ein falscher Schnitt, bist du dein Leben quitt.« Oder so ähnlich.

Doktor Sigmund Frobenius drehte und wendete das schwarze Püppchen in seinen Fingern und schien es so ein letztes Mal zu begutachten. »Gut, dass du gerade erscheinst«, sprach er, ohne aufzuschauen. »Dein neuer Freund hier, hat sich unter Feriands professioneller Hand einer genaueren Untersuchung unterzogen. Zu welchem Schluss kommen Sie, Herr Dott?« Siggi sah seinen Assistenten über der Brille hervor auffordernd an.

Da man ihm spontan metaphorisch den Ball zuspielte, bekam Ferri aus Nervosität einen roten Kopf. Er war so eine Persönlichkeit, die man nicht so einfach in die Welt hinauslassen konnte. »Nun, ehm. Also, ich konnte daran ... ehm ... nichts Nachteiliges, also keine gefährlichen Stoffe oder so, naja, bis auf etwas Dreck vom Kanal, konnte ich nichts Auffälliges feststellen«, stammelte er unruhig. »Minimale Spuren von Fäkalien und sonstigem Unrat. Weiter nichts«, fügte er noch beiläufig hinzu.

Reggie sah ihn betroffen an. »Woher habe ich dann seitdem diesen verdammten Juckreiz?«, sagte er verzweifelt. Prompt musste er sich doch gleich wieder im Nacken kratzen.

Siggi räusperte sich und schob seine Sehmaschine zurück auf den Nasensteg. »Nun, meines Wissens nach sieht diese Figur aus, wie eine Vodoopuppe. Während meines Studiums in Aquitan, las ich darüber. Ich kann es mit Sicherheit behaupten, da in dem Foliant ein Kupferstich abgebildet war, der diesem Exemplar sehr ähnelte«, hielt er das Püppchen zur Schau vor sich. »Persönlich glaube ich nicht an so einen Hokuspokus oder eben Hexerei. Demnach wäre mein Urteil als Forensiker, dass dein Juckreiz wohl psychischen Ursprungs entstammt, falls du nicht auf einem Haselstrauch geschlafen hast, auf den dein Körper allergisch reagiert.«

»Nein, nichts dergleichen. Mit anderen Worten, ich habe einen an der Waffel«, fasste Reggie umgangsprachlich zusammen und seufzte betrübt.

»Was hat deine Psyche mit Waffeln zu tun?«, wollte Ferri ernsthaft wissen.

Nachdem Siggi seinen Assistenten schräg beäugte, betonte er an Reggie gerichtet: »Aus wissenschaftlicher Sicht. Allerdings würde ich noch eine andere Meinung einholen. Das könnte der Hausarzt sein, eine Hexe oder Drude.« Er zuckte lächelnd die Schultern, als wüsste er nicht weiter und habe nur das aufgegriffen, was ihm geläufig war. »Für mich ist das nur mystischer Firlefanz.«

»Tzzz«, zischte Reggie missgelaunt und streckte seine kleine Hand nach dem Püppchen aus. »Mir schwebt da schon jemand im Kopf vor. Habt Dank für eure wissenschaftliche Einschätzung.«

Zurück in seinem Büro, sah ihn Pilgrim über einen ungleichen Bergkamm aus Akten hervor an. »Und was haben Siggi und Ferri dazu sagen können?«, erkundigte er sich beiläufig, während er einen Bericht schrieb.

Reggie schnaubte. »Nichts. Also nicht nichts, sondern das Ding ist rein physikalisch sauber.« In diesem Moment musste sich der Halbling schon wieder im Nacken kratzen.

»Juckt es schon wieder?«, sorgte sich sein Partner, worauf Reggie verdrießlich nickte. Pilgrim erhob sich umgehend und kam herüber. »Lass mal sehen.« Nachdem er Reggies Hemdkragen etwas nach vorne zog, verzerrte sich augenblicklich schmerzhaft sein Gesicht. »Das sieht nicht gut aus. Sollte sich vielleicht mal ein Arzt ansehen.«

»Danke«, zickte der Halbling ihn an und entfernte sich ruckartig. »Noch kann man es aushalten.«

»Es geht nicht ums Aushalten. Hast du es dir selbst einmal angesehen?« Pilgrim bedachte den Halbling kritisch. Reggie schüttelte verneinend den Kopf und begab sich zum Kleiderständer, wo sein Mantel und die Melone hingen. »Du hast einen Ausschlag«, betonte Pilgrim besorgt. »Er könnte sich weiter ausbreiten. Möglicherweise ist das ansteckend. Geh damit nicht leichtfertig um«, riet er ihm. Doch das war dem Halbling sichtlich zu viel.

»Ich kümmere mich darum«, versprach er gereizt, während er Mantel und Schal überwarf und kurz mit der Melone winkte, bevor er ging. Reggie wusste, dass es von seinem Partner nur gut gemeint war, doch in diesem Moment erdrückte ihn die Kritik an ihm. Die Ungewissheit machte den Halbling sehr nervös und er hoffte, dass ihm möglicherweise Alexa weiterhelfen konnte. Deshalb begab er sich nun durch die Brückentorgasse Richtung Hexerzunfthaus, um sie aufzusuchen.

Im Innern des Zunfthauses der Hexer wirkte alles sehr düster und staubig. Dunkle Holzdielen, Holzregale mit Büchern in Ledereinbänden und bunte, spinnennetzverklebte Elixiere in kleinen Flacons zu beiden Seiten. Verschiedene getrocknete Kräuter hingen von der Decke und es roch nach Knoblauch und Flieder. Reggie wusste nur nicht recht, welches von beiden das andere überdecken sollte. Prompt schreckte er zurück, als ein graues Mäuschen eilends seinen Weg kreuzte.

Ein Augenpaar beobachtete ihn bereits. Sie gehörten zu einem schmalen Gesicht mit Glatze, langer Nase und dickeren Lippen.

Der drahtige, selbstverliebte Sellarm von Grüben begrüßte ihn wortkarg mit einem skeptischen Blick und zog sogleich an einem Seil, dass neben ihm von der Decke herabbaumelte. Darauf verwies ihn der Glatzkopf mit einem Fingerzeig in die erste Etage, während er längst wieder sein Unternehmen fortsetzte, abwesend auf einem Hocker hinter dem Tresen zu thronen und mit einer Feile Dreck unter seinen Fingernägeln hervorzupulen.

Oben gab es drei Türen und eine Ebene mit Dachgaube zu seiner Rechten, wo viel Licht durch das Fenster einfiel. Hier standen drei kleinere Sessel und eine umgedrehte, rechteckige Warenholzkiste aus einem Obstladen diente als Tisch auf einem runden Teppich. Reggie entschied dort zu warten und nahm in einem der Sessel Platz.

Unerwartet öffnete sich die rechte Türe und seine Freundin, Alexa, kam heraus. Sie machte große Augen. »Reggie, welch Überraschung«, begrüßte sie ihn. Sogleich merkte er ihr an, dass es ihr irgendwie unangenehm war, ihn gerade jetzt anzutreffen.

Der Halbling erhob sich und setzte seine Melone wieder auf. »Ich kann auch gleich wieder gehen, wenn es unpassend ist.«

Alexa hob eine Braue und schüttelte verwundert den Kopf. »Aber nein, Reggie. Alles gut«, dementierte sie sofort. »Setz dich. Was kann ich für dich tun?«

Beide saßen sich nun gegenüber in den kleinen Sesseln. »Du hast mir doch geraten, ich solle gleich vorbeikommen, wenn irgendetwas ungewöhnlich ist.« Sie nickte und hörte ihm aufmerksam zu. »Seit ungefähr einer Woche habe ich diesen Juckreiz. Naja, es fing erst harmlos an. Jedoch ist es mittlerweile schlimmer geworden und es überkommt mich des Öfteren. Sie mal ...«

Der Halbling rutschte vom Sessel und kehrte ihr halb den Rücken zu. Darauf schob er den Mantel über die schmächtigen Schultern herunter und zog mit einer Hand seinen Hemdkragen nach vorne. »Da am Hals. Jetzt gerade ist es nicht so schlimm. Doch juckte es mich gerade heute sehr oft.«

Alexa beugte sich vor und beäugte skeptisch die gerötete Haut an der gewiesenen Stelle. »Nun, ich bin kein Arzt«, sagte sie anschließend, worauf er sich wieder auf seinen Sessel zurückzog. »Da könnte vorerst eine Kamillen- oder Ringelblumensalbe helfen. Dazu rate ich dir, möglichst nicht zu kratzen.« Seine verzerrte Grimasse veranlasste sie zu lachen und einzulenken. »Ich weiß, das ist viel verlangt.«

»Es juckt wie Sau«, beschrieb es Reggie verzweifelt. »Wie soll ich das schaffen?« Eine rhetorische Frage. Nachdenklich holte er das schwarze Püppchen aus der Manteltasche hervor. »Glaubst du, es hängt damit zusammen?«

»Davon gehe ich aus. Zeitlich würde es zumindest passen.«

»Ich habe es bereits im Labor untersuchen lassen. Nichts Auffälliges. Der Doktor nannte es mystischen Firlefanz.«

Alexa schnaubte belustigt. »Das ist es absolut nicht. Sondern eine heikle Angelegenheit«, bekräftigte sie dann ernst und erhob sich. »Komm und begleite mich. Ich muss ein paar Dinge erledigen und anschließend gehen wir jemanden aufsuchen, der dir hoffentlich helfen kann.«

Während er ihr zögerlich folgte, fragte Reggie sie: »Wen denn aufsuchen? Ich habe gedacht, du könntest da etwas unternehmen.«

Als sie die Treppenstufen hinabstieg zuckte sie mit den Schultern und sagte nur: »Einen Fluch kann ich nicht brechen. Möglicherweise eine Elbenhexe, eine Drude oder Juffer.« Unten wandte sie sich ihm nochmals zu, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand in unmittelbarer Nähe war und sprach leiser und herabgebeugt zu ihm: »Mit Vodoozauber ist nicht zu spaßen.«

Ein Vodoozauber? Was? Wie war das möglich?, schoss es ihm augenblicklich durch den Kopf. Aber Alexa war schon auf dem Weg hinaus auf die Straße, sodass er sich sputen musste.

3. Ein frommes Lamm

Gemeinsam ging das ungleiche Gespann die Brückentorgasse hinauf. Etwa auf halber Strecke überquerten Alexa und Reggie den Alleenring und ließen so den Campus der Hochschule links liegen. Von da an wurde die Gasse kultureller. Hier gab es zu beiden Seiten eine Fülle an Cafés, kleinen Restaurants und Bars, Buchhandlungen und Ateliers.

Schließlich war die Brückentorgasse die Hauptattraktion des Studentenviertels von Allfaldria und das lockte eben auch viele junge Leute dorthin. Zu fast jeder Tageszeit.

Als Reggie einen schwarzen, fahrbaren Ofen sah, konnte er nicht daran vorbei, ohne eine Tüte heißer Maronen zu kaufen. Gleich bot er seiner Freundin die offene Tüte an. Dampf stieg daraus empor und sie griff beherzt hinein.

»Ganz frisch«, gluckste Reggie freudig, klemmte die Tüte in die Ellenbeuge ein und pulte die Schale mit seinen Fingern von der Kastanie.