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Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Diese Erfahrung muss auch Steffiney O'Brian machen, als sie sich 1870 als Mail Order Bride nach Colorado schicken lässt. Was passiert, wenn eine Frau beschließt aus Vernunftgründen zu heiraten? Steffiney O'Brian geht es wie jeder Frau im 19. Jahrhundert: Mit 26 Jahren noch unverheiratet zu sein, prädestiniert einen schon zu einer Kuriosität. Um dem Altjungfern-Dasein zu entgehen und sich finanziell abzusichern, lässt sie sich 1870 von einer Heiratsvermittlung als Mail Order Bride nach Colorado schicken. Dort soll sie den Rancher Charles Sullivan heiraten. Doch als Steffiney es endlich bis in den Wilden Westen geschafft hat, erweist sich ihr eigentlich so gründlich geschmiedeter PIan als Reinfall. Der Witwer mit den drei Söhnen, der ihr vom Heiratsvermittler versprochen wurde, ist nicht ganz das, was sie erwartet hat. Allerdings ist Steffiney nicht die Einzige, die überrascht ist...
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Ich sehe jeden Tag so viele hübsche, junge Damen, bei denen es mir ein Rätsel ist, warum sie unverheiratet sind.
Ich dachte, dass ich hier abgeholt werden würde.
Zumindest einen Mr. Sullivan…
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden.
Warum sind Sie für heute nicht mein Gast?
Leider konnte man das Büro der Heiratsvermittlung nicht ausfindig machen.
Sucht Doc Dave eigentlich noch einen Assistenten?
Gute Arbeit, sauber das!
Ich habe meine Entschuldigung durchaus ernst gemeint!
Kennen Sie Cheesebeer nicht?
Ich habe hier nicht herumgelungert!
Trudi könnte sich wirklich mal neue Bettwäsche besorgen.
Seien Sie ein Mann und beißen die Zähne zusammen!
Ganz Green Hollow kennt diese Geschichte
… und schenkest mir eine Flasche Wein
Finney, können Sie mich hören?
Manche glauben sogar, dass ihr verlobt sein müsstet.
… aus Pflichtgefühl …
Er ist klug genug, nicht mehr aus der Sache zu machen, als sie bedeutet
Der Reverend hat doch mit dieser heiligen Geiß angefangen
Denken Sie jetzt schlecht von mir?
Na, haben Sie doch noch den Mut gefunden, sich ins Sündenbabel zu begeben?
Danke
Das machen Sie doch nur, weil ich eine Frau bin
Aber wie wahrscheinlich ist es denn, dass ein Mann nie einen Fehler macht?
Niemand sonst, keine Haushälterin, keine aufdringlichen kleinen Brüder, keine Nachbarn
Trusty ist ebenso ein Geschöpf des HERRN wie du und ich
Ich halte es für einen guten Plan
Würde es Ihre Meinung ändern, wenn ich Sie dafür bezahle?
Na endlich, Ihr habt Euch aber auch Zeit gelassen!
Heute lassen Sie uns feiern!
Leseprobe Green Hollow II
Danksagung
Außerdem erhältlich:
Green Hollow I - Die bestellte Braut
von
Anna Staub
Alle Namen, Personen und Handlungen in diesem Roman sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Copyright© 2013 by Anna Staub
Bildmaterialien © by Anna Staub
Impressum
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10961 Berlin
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Tel.: 030 / 61671496
Es werden keine Pakete angenommen.
Boston, 15. Mai 1870
Verehrte Damen,
haben Sie sich nicht auch schon das ein oder andere Mal über die hohen Ansprüche geärgert, die die Bostoner Gentlemen an eine Ehefrau stellen?
Sie können kochen, nähen und backen, doch für die hiesige Gesellschaft ist das einfach nicht genug?
Doch es gibt noch einen Ort, an dem solche Tugenden geschätzt werden und die Männer Sie voller Dankbarkeit empfangen!
Wenn Sie noch unverheiratet sind, dies aber ändern wollen und auch vor einem kleinen Abenteuer nicht zurückschrecken, dann kann Ihnen Smiths Eheanbahnungsinstitut für Heiraten in den Westlichen Territorien bei der Erfüllung Ihres Lebenstraumes behilflich sein!
Interessierte Damen von unzweifelhaftem Ruf melden sich wochentags zwischen 12 und 17 Uhr in der Fisher Row 5 am Hafen.
Ihr
Josiah Smith
1,85 Meter, dunkle Augen und schwarze Haare. Vielleicht würde er sogar einen Bart haben! Nun ja, warum auch nicht? Obwohl… Wie wahrscheinlich war es, dass ihr zukünftiger Ehemann genau ihren Wunschvorstellungen entsprechen würde? Am Ende war er blond, nur so groß wie sie und hatte einen Bierbauch! Doch mitten in ihren Überlegungen konnte die junge Frau die Stimme ihrer verstorbenen Mutter hören: Kind, im schönsten Apfel kann ein dicker Wurm sitzen. Du kannst die Menschen nicht nach ihrem Äußeren…
Ein harter Knuff in den Rücken brachte Steffiney O'Brian augenblicklich in das Hier und Jetzt zurück. Überrascht stolperte sie einen Schritt nach vorne. Doch bevor sie sich umgedreht hatte, hörte sie schon eine tiefe Stimme.
„Verzeihen Sie, Miss. Es war nicht meine Absicht. Das Gedränge hier ist wirklich unerträglich dicht. Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht wehgetan?“
Als Steffiney sich vollends umdrehte, fand sie sich einem Gentleman gegenüber, der den Hut zog. Offensichtlich fühlte er sich für den Zusammenstoß verantwortlich. Der Herr hatte einen gepflegten dunklen Schnurrbart und trug einen eleganten Straßenanzug, der so gar nicht in das von Arbeitern bevölkerte Hafenviertel von Boston passen wollte.
„Nein, es ist nichts passiert. Danke“, antwortete die junge Frau aus dem Konzept gebracht.
„Sie sollten vorsichtig sein, Miss. Es steht mir nicht zu, mich einzumischen, aber eine Dame wie Sie sollte sich nicht in so einer Gegend aufhalten. Zumindest nicht ohne Begleitung. Darf ich Sie vielleicht irgendwohin bringen?“ Die ehrliche Besorgnis des Gentlemans war deutlich zu hören. Miss O'Brian neigte dankend den Kopf.
„Sie haben Recht, aber ich habe hier einen Termin. Ich werde mir danach sofort eine Droschke nehmen, um in die Stadt zu fahren. Haben Sie vielen Dank für Ihre Sorge“, antwortete sie lächelnd.
Nachdem der fremde Herr noch einmal den Hut gezogen hatte, ging er davon. Allerdings nicht ohne einen Blick zurückzuwerfen, ob Steffiney ihren Weg in das heruntergekommene Gebäude in der Fisher Row sicher fand.
Was sie auch tat und darüber hinaus sogar mit einem Lächeln im Gesicht. Wenn ihr zukünftiger Ehemann auch nur halb so aufmerksam sein würde wie der fremde Gentleman eben, dann war das hier sicher nicht die schlechteste Idee ihres Lebens.
Im Inneren des Gebäudes führte eine schmale hölzerne Stiege einige Stufen hinauf und überall roch es nach Fisch. Steffiney war mehr als erleichtert, als sie oben angekommen die kleine Tür aufstieß, die in den Warteraum von Mr. Smiths Büro führte.
Sie hatte sich schon bei ihrem ersten Besuch hier gefragt, warum ein Heiratsvermittler sich ausgerechnet in Bostons schäbigem Hafenviertel niederließ. Direkt in der Stadt hätten doch sicher noch mehr heiratswillige Frauen den Weg in sein Büro gefunden. Aber wahrscheinlich war die Vermittlung von Frauen in den Westen, wie jedes Geschäft, das seinen Mitmenschen helfen sollte, nicht besonders einträglich.
Nun, immerhin roch es hier oben nicht mehr so penetrant nach Fisch. Steffiney nahm mit einem zuversichtlichen Lächeln auf einem der wackligen Holzstühle Platz und wartete.
Mr. Smith war ein vielbeschäftigter Mann und er rief die einzelnen Damen auf, wenn er soweit war. Diesmal war sie allerdings, im Gegensatz zu ihrem letzten Besuch hier, allein in dem kleinen Warteraum.
Sie war überrascht gewesen, dass Mr. Smith sich innerhalb einer Woche schon wieder bei ihr gemeldet hatte und sie noch einmal in sein Büro bat. Er hätte bereits einen passenden Kandidaten gefunden. Wenn sie interessiert wäre, dann sollte sie ihn so schnell wie möglich aufsuchen, hatte in dem kurzen Telegramm gestanden. Gestern Abend war es im Haus von Mrs. Ruly abgegeben worden, wo sie ein kleines Zimmer unter dem Dach bewohnte und verköstigt wurde.
Und gleich heute, nachdem sie ihre Schicht im Bostoner Stadtkrankenhaus beendet hatte, war sie hierher geeilt. Es war nicht so, dass sie die Arbeit als Krankenschwester nicht mochte, aber mit 27 Jahren noch unverheiratet zu sein, war im Lebenslauf einer Frau nun mal ein Makel. Und Steffiney O'Brian war fest entschlossen, diesen Makel zu tilgen. Dabei hatte ihr das Schicksal geradezu in die Hände gespielt. In Form einer halb zerrissenen Anzeige, die sie auf dem Flur ihres Krankenhauses gefunden hatte.
Einfach nur dazusitzen und ihr Schicksal zu beklagen, das lag ihr nicht. Sie würde diese Sache selbst in die Hand nehmen!
Doch bevor sie dazu kam, diese Gedanken weiter zu verfolgen, öffnete sich die Tür von Mr. Smiths Büro. Der kleine, dürre Mann mit den schütteren, graubraunen Haaren steckte seinen Kopf zur Tür hinaus. Er schien überaus erfreut zu sein, sie zu sehen.
„Ah, Miss O'Brian, nicht wahr? Sie müssen entschuldigen, dass ich mir nicht alle Gesichter merken kann. Ich sehe jeden Tag so viele hübsche, junge Damen, bei denen es mir ein Rätsel ist, warum sie unverheiratet sind“, lispelte der Heiratsvermittler, während er der jungen Frau entgegeneilte und ihr herzlich die Hand schüttelte.
Mit etwas Mühe verbiss sich Miss O'Brian eine passende Antwort und lächelte mühsam. Sie wunderte es gar nicht, dass es so viele unverheiratete Damen gab. Aber einem Mann zu erklären, dass man als alleinstehende Frau etwas eingeschränkt war, erschien ihr irgendwie sinnlos. Von den frühen Morgenstunden an musste sie arbeiten, um ihr kleines Zimmer in Mrs. Rulys Pension für alleinstehende Damen bezahlen zu können. Ihr blieb also gar nicht die Zeit, sich hübsch zu machen und den lieben langen Tag in Kaffeesalons zu sitzen, um sich von interessierten Herren ansprechen zu lassen. Mal ganz abgesehen davon, dass man als Frau schnell ins Gerede kam, wenn man sich zu viel allein oder in männlicher Gesellschaft bewegte. Und das war dann der sichere Todesstoß für den guten Ruf. Der ja wiederum unerlässlich war, um einen Mann von tadellosem Charakter für sich einzunehmen. Mal ganz abgesehen davon, dass ihr schmales Gehalt als Krankenschwester keine großen Sprünge oder außergewöhnlichen Ausgaben zuließ.
„Kommen Sie nur herein, ich habe wirklich außergewöhnlich gute Nachrichten für Sie.“ Mit diesen wohlmeinenden Worten riss er Steffiney aus ihren Gedanken, um sie in sein kleines, kahles Büro zu führen. Das dunkle Zimmer, in dem sich nicht mehr als ein Schreibtisch, zwei Stühle und ein Schränkchen für seine Unterlagen befanden, war zwar nicht sehr gemütlich oder anheimelnd, aber deswegen war sie ja auch nicht hier.
„Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz“, sagte der Heiratsvermittler zu seinem Gast und Miss O'Brian kam der Aufforderung nach. Der alte Holzstuhl gab ein bedenkliches Quietschen von sich, als die kleine, zierliche Frau sich darauf niederließ. Unwillkürlich schoss Steffiney der Gedanke durch den Kopf, was wohl passiert wäre, wenn jemand mit den Ausmaßen von Mrs. Ruly auf dem fragilen Sitzmöbel Platz genommen hätte.
„Nun, Mr. Smith?“, fragte sie gleich darauf gespannt. Die Neugier auf ihren zukünftigen Mann war doch größer als ihre hypothetischen Betrachtungen in Bezug auf ihre Wirtin.
„Ja, Miss O'Brian, wie ich schrieb. Ich habe gute Neuigkeiten. Gerade gestern Morgen ist mir die Anzeige eines Witwers aus dem Colorado-Territorium auf den Schreibtisch geflattert und da musste ich sofort an Sie denken. Der Herr scheint wie für Sie gemacht zu sein. Charles Augustus Sullivan, Besitzer eines kleinen Stücks Land in der Nähe von Green Hollow, Colorado“, eröffnete er mit einem breiten Lächeln, während er in den Papieren auf seinem Schreibtisch kramte.
Steffiney rutschte, hochrot im Gesicht, auf ihrem Stuhl ein Stück nach vorne. Ihre Aufregung war ihr deutlich anzusehen. Ohne dass sie es merkte, öffnete und schloss sie immer wieder den kleinen Beutel, in dem sie ihr Geld, ein Taschentuch und ein paar Pfefferminzbonbons aufbewahrte.
„Colorado?“, fragte sie etwas zittrig. Wenn sie ehrlich war, hatte sie keine genaue Vorstellung, wo dieser Landstrich liegen sollte. Sie war nicht ungebildet, aber der Westen war noch so unerschlossen. Selbst in den Büchern der Schulkinder waren jenseits der Gründungsstaaten noch viele weiße Flecken auf den Landkarten. Und es war ja schon eine ganze Weile her, dass sie die Schulbank gedrückt hatte.
„Ja, warten Sie“, murmelte Mr. Smith, während er jetzt ein einzelnes Blatt Papier unter einem Stapel Briefe hervorzog. „Ah ja, da haben wir es ja. Wie ich sagte, Charles Augustus Sullivan, wohnhaft auf der Black Creek Ranch nahe Green Hollow im Colorado-Territorium. Wenn man dem Leumunds-Zeugnis seiner Nachbarn glauben will ein sehr angenehmer Mann, der sich für die Gemeinde engagiert und über den jeder nur Gutes zu sagen hat. Er hatte das Unglück seine Frau schon recht früh zu verlieren und ihm sind nur seine vier Söhne geblieben“, fuhr er dann mit einem ernsten Blick fort.
Miss O'Brians Hände krampften sich augenblicklich in die Falten ihrer Schwesternschürze, die sie ganz vergessen hatte abzulegen.
Vier Kinder! Das würde sicherlich eine Herausforderung werden. Vor allem, wenn man so gar keine Erfahrung als Mutter vorweisen konnte.
„Ist das ein Problem?“, fragte der Heiratsvermittler plötzlich misstrauisch, da er ihr Zögern wohl bemerkt hatte.
„Nein, nein gar nicht“, beeilte sie sich zu antworten. Nervös fuhr Steffiney sich durch die kastanienbraunen Haare. Ärgerlich bemerkte sie, dass sie in ihrer Aufregung und der Eile zu Mr. Smith zu kommen, sogar vergessen hatte, das weiße Häubchen abzunehmen.
„Es ist natürlich… Nein, es ist kein Problem“, sagte sie schließlich fest. Sie war zwar bei Weitem noch nicht zu alt, um eigene Kinder zu bekommen, aber eben nach den Maßstäben der Gesellschaft auch nicht mehr die Jüngste. Und von daher konnte es nur von Vorteil sein, wenn Mr. Sullivan bereits Nachwuchs hatte. Nur für alle Fälle.
„Sehr gut. Dann kann ich davon ausgehen, dass Sie das Angebot des Herrn annehmen?“, fragte der Heiratsvermittler dann etwas hastig und Miss O'Brian nickte verwirrt.
Irgendwie hatte sie gedacht, dass noch mehr Formalitäten zu klären wären. Doch jetzt ging alles ganz schnell. Fast zu schnell.
Mr. Smith überreichte ihr ein Schreiben, das bestätigte, dass sie die für Mr. Sullivan von 'Smiths Eheanbahnungsinstitut für Heiraten in den Westlichen Territorien' ausgewählte Braut war. Es folgte ein unordentlich beschriebenes Blatt, auf dem stand, welchen Zug sie nach Westen nehmen musste, wo sie die Richtung wechseln sollte und dass sie in einem Ort namens Cheyenne in eine Postkutsche in den Süden umsteigen musste. Mr. Smith versäumte es nicht zu erwähnen, welches Glück sie hätte, nachdem er ihre unsichere Miene bei der Betrachtung dieses Reiseplans bemerkte. Dass sie so weit mit der bequemen Eisenbahn kam, war keine Selbstverständlichkeit. Noch vor einem Jahr hätte sie von Omaha im Nebraska-Territorium mit der Postkutsche reisen müssen. Was weitaus unbequemer gewesen wäre und sie sehr viel länger auf der Straße gehalten hätte. So wäre es von Cheyenne aus lediglich noch eine Tagesreise bis Green Hollow. Eine lange Fahrt, aber immerhin nur eine.
Steffiney schwirrte nur so der Kopf von den ganzen fremden Namen und Orten. Sie würde sich in der Bibliothek eine Karte von Amerika ausleihen müssen, um sich etwas mit ihrer Reiseroute vertraut zu machen.
Nachdem der eifrige Heiratsvermittler seine Gebühr kassiert hatte, schien er Miss O`Brian mit einem Mal sehr schnell loswerden zu wollen. Bevor die junge Frau so recht wusste, wie ihr geschah, stand sie schon wieder auf der überfüllten Straße, die zum Hafen hinunterführte, und sah sich nach einer Droschke um. Ihr Geld, das sie dabei hatte, würde gerade noch reichen, um bis zu Mrs. Rulys kleiner Pension zu kommen.
Als sie nach diesem langen Tag endlich wieder in ihrem kleinen Dachzimmer stand und die Nadeln löste, die ihr Schwesternhäubchen an Ort und Stelle hielten, war sie doch etwas ärgerlich. Sie hatte nicht einmal die Gelegenheit gehabt, Mr. Smith noch irgendwelche Fragen zu stellen. Und sie musste zugeben, dass sie jetzt, wo sie so ganz allein in der abgeschiedenen Stille ihres kleinen Zimmers war, etwas Angst vor ihrem eigenen Mut bekam.
Sie würde den langen Weg in den Westen ganz allein hinter sich bringen müssen. Sie hatte niemanden, der ihr helfen konnte und für einen kurzen Augenblick fragte sie sich, ob sie jemals dort ankommen würde, in Green Hollow. Alles war so schnell gegangen, dass sie gar nicht wirklich darüber nachgedacht hatte.
Mr. Smith hatte sie noch gefragt, wann sie gedachte aufzubrechen und für eine schnelle Abreise plädiert. Er selbst würde Mr. Sullivan ein Schreiben zukommen lassen, das ihre Ankunft ankündigte. Sie müsste sich nur noch um die Fahrkarten für die Eisenbahn kümmern und ihre Habseligkeiten zusammenpacken.
Mit einem entmutigten Blick ließ Steffiney sich auf ihr Bett sinken und sah sich in ihrem Zimmer um. Es war nichts Besonderes und bis auf ein paar Kleinigkeiten gehörte ihr nicht mal etwas von der Einrichtung, aber hier war sie zu Hause. Es war so schwierig gewesen, als alleinstehende Frau eine passende Unterkunft zu finden. Wenn überhaupt, dann gab es meist nur Zimmer für Junggesellen, die sich nicht dafür rechtfertigen mussten, noch unverheiratet zu sein. Eine Frau ohne Mann oder anderweitigen Schutz eines weiteren Familienangehörigen fiel dagegen sehr aus dem Rahmen. Weder die Gesellschaft noch der Wohnungsmarkt in Boston war auf so eine Abnormität besonders gut eingestellt.
Seufzend warf Miss O'Brian ihre abgewetzten Handschuhe von sich und öffnete das kleine Retikül, um ein dünnes Bündel Bargeld herauszuziehen. Sie hatte gleich auf dem Rückweg an der Bank haltgemacht, die ihre wenigen Ersparnisse verwaltete und ihr kleines Konto aufgelöst. Das meiste Geld war in die Fahrkarten geflossen, die sie in den Westen bringen sollten. Was jetzt noch übrig war, reichte gerade für die Verpflegung, die sie auf dem Weg benötigen würde und um ihre Miete für die kommenden Tage zu begleichen.
Nächste Woche um diese Zeit würde sie bereits in einem Zug Richtung Westen sitzen und ihrem neuen Leben entgegen fahren.
Steffiney konnte nichts dafür, aber für einen kurzen kindischen Augenblick traten ihr die Tränen in die Augen. Sie schaute zu dem Bild, das die Hochzeit ihrer Eltern zeigte, zu dem Spitzendeckchen auf dem Nachttisch neben ihrem schmalen Bett, zu den wenigen Büchern im Regal und den Schreibutensilien auf dem Schreibtisch unter dem Fenster.
Nein, nein! Das war doch zu albern. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Alles, was für eine Frau in der Gesellschaft zählte, war eine Ehe. Eine Ehe und Kinder in die Welt zu setzen. Frauen konnten nicht einfach allein bleiben und ein Geschäft eröffnen oder studieren. Oder, wenn sie es doch taten, dann wurden sie von ihren Mitbürgern meist schief angesehen und im schlimmsten Fall gemieden. Frauen mussten heiraten, wenn sie sich ihren Platz in der Gesellschaft sichern wollten. Und jetzt endlich würde sie auch zu ihrem Recht kommen. Da würde sie doch nicht weinen! Und ihre Erinnerungsstücke an bessere Zeiten konnte sie auch mitnehmen. Sie war schließlich nicht die erste Braut, die in den Westen fuhr, um dort zu heiraten. Wenn andere das konnten, würde sie das auch schaffen.
Und mit diesem Gedanken ging Steffiney O'Brian zu Bett, fest entschlossen nur noch die positiven Seiten ihres Umzugs nach Green Hollow, Colorado zu sehen.
Steffiney war ziemlich überrascht und auch ein wenig traurig gewesen, als sie feststellen musste, dass ihr ganzes Leben in eine Reisetruhe passte. Eine große Reisetruhe immerhin, aber es blieb eine einzige Reisetruhe, in der sich alles befand, was sie hatte.
Als ihr Vater gestorben war und ihre Mutter die kleine Farm hatte aufgeben müssen, da war schon ein großer Teil ihres Lebens verschwunden. Nachdem ihre Mutter sieben Jahre später auch starb, hatte sie die restlichen Möbel und Habseligkeiten verkauft, um sich für die erste Zeit über Wasser halten zu können. Jetzt, wiederum zehn Jahre später, fuhr sie praktisch mit nichts außer ein paar Erinnerungsstücken in ein neues Leben.
Ein scharfer Ruck ging durch die Postkutsche und riss Miss O'Brian unsanft aus ihren melancholischen Betrachtungen. Sie flog mit einem undamenhaften Quietschen von ihrem Sitz und landete in Mr. Winterbottoms Armen, der ihr gegenübersaß. Der korpulente, ältliche Herr, dessen rote Nase von seiner Vorliebe für alkoholische Getränke zeugte, fing sie mit einem breiten Lächeln auf. Seine Hände nahmen sich kurz die Freiheit, einen kleinen Streifzug über den zierlichen Körper seiner Mitreisenden zu unternehmen. Gleich darauf war er wieder ganz Gentleman und half ihr, sich auf ihren Platz zu setzen.
Steffiney, immer noch verwirrt und peinlich berührt, fragte sich gerade, ob Mr. Winterbottom es wirklich gewagt hatte, kurz ihren… über ihren… Grundgütiger, sie getraute sich ja kaum, dieses Wort zu denken! Hatte er ihr eben wirklich den…. Po getätschelt oder war das bloß Einbildung gewesen? Ein Gentleman würde so was doch nie tun! Ein Bostoner Gentleman zumindest nicht!
Allerdings war sie hier auch nicht mehr im gepflegten Boston, sondern bereits auf dem Boden des Colorado-Territoriums. Heute noch würde sie Green Hollow erreichen.
Gleich darauf fuhr die Postkutsche wieder an. Durch die Seitenfenster konnte Miss O'Brian sehen, dass eine passierende Rinderherde für den scharfen Halt verantwortlich gewesen war. Das war wohl der berühmte Wilde Westen.
Mit einem halb verlegenen, halb ärgerlichen Blick bedankte Steffiney sich bei ihrem Helfer und lehnte sich wieder zurück. Sie war vielleicht keine außergewöhnliche Schönheit, aber ihre funkelnden grünen Augen und die kastanienbraunen Locken hatten ihr auf ihrer Reise nach Green Hollow schon das ein oder andere Kompliment eingebracht. Sie hoffte inständig, dass Mr. Sullivan mit ihrem Aussehen ebenso zufrieden sein würde, wie der ein oder andere Herr auf dem Weg hierher.
Während draußen, verwischt durch den Staub der Straße, die bergige Landschaft Colorados vorbeiflog, richteten Steffineys Gedanken sich jetzt von zudringlichen Mitreisenden und Reisetruhen auf erfreulichere Dinge.
Charles Augustus Sullivan, Besitzer der Black Creek Ranch in Green Hollow, Colorado und Witwer, mit vier Söhnen. Ja, das hörte sich gut an.
Anderen Frauen hätte der Gedanke an eine derart arrangierte, nüchterne Ehe vielleicht einen empörten Ausruf entlockt. Steffiney O'Brian dagegen hatte schon vor einiger Zeit aufgehört, romantisch zu sein und auf eine Liebesheirat zu hoffen. Zumindest glaubte sie nicht, dass ihr das jetzt noch widerfahren würde. Nein, sie hatte beschlossen, dass es aus rein wirtschaftlichen Gründen für sie von Vorteil sein würde zu heiraten. Außerdem war sie sich sicher, dass eine Beziehung, die nicht auf Gefühlen, sondern lediglich auf gegenseitigem Respekt gründete, nicht fehlgehen konnte.
Das mit den Gefühlen hatte sie bereits versucht und es war in einem Desaster geendet. Dieses Mal würde sie vernünftig sein.
So versunken in ihre eigenen Gedanken und Betrachtungen war es Miss O'Brian völlig entgangen, dass die Postkutsche ihr Ziel fast erreicht hatte. Erst die Häuser, die nun immer langsamer an ihr vorüberzogen, holten sie in das Hier und Jetzt zurück.
Wieder beugte Steffiney sich nach vorn, um einen Blick aus dem Fenster werfen zu können. Ein Paar der Häuser sahen richtig gepflegt aus, andere dagegen gar nicht. Sie sah einige wenige Frauen und Kinder die Hauptstraße, und wahrscheinlich auch die einzige Straße hier, entlanggehen. Doch bestimmt wurde das Bild von Männern. Die Mehrzahl in Arbeitssachen, derben Hosen und mit Halstüchern und flachen Filzhüten. Nur wenige der Passanten trugen Straßenanzüge.
Ja, so sah wohl eine typische Stadt im Westen aus. Kein Vergleich zu den gepflegten Straßen von Boston. Doch Steffiney war sich sicher, dass sie sich daran gewöhnen würde. Ein Mensch konnte sich an so ziemlich alles gewöhnen und so schlimm war es nun auch wieder nicht.
Als sie in Omaha auf ihren Anschlusszug hatte warten müssen, hatte sie sich am Bahnhof für ein paar Pennys ein dünnes Heft mit einer Abenteuergeschichte gekauft, die in einem der neuen Territorien spielte. Ein junger Mann, der ihr Sitznachbar im Zug gewesen war, hatte ihr voller Begeisterung dazu geraten. Solche Geschichten wären gerade die neueste Mode und würden ihr einen Vorgeschmack auf die Gepflogenheiten ihres neuen zu Hauses geben.
Nachdem Steffiney am nächsten Tag das dünne Heft durchgelesen hatte, war sie für einen sehr langen Moment versucht gewesen im nächsten Bahnhof auszusteigen und den ersten Zug zurück nach Boston zu nehmen. Wenn es in Green Hollow genauso zuging, wie in dieser Geschichte erzählt wurde, dann würde sie von Glück sagen können, wenn sie dort überhaupt ankam. Es wimmelte in der Erzählung nur so von Banditen, die Postkutschen überfielen, betrunkenen Ranchern, die ihre Frauen verprügelten und jungen Mädchen, die aller Moral abgeschworen hatten und ihren Lebensunterhalt auf recht fragwürdige Weise verdienten.
Doch als sie Green Hollow mit eigenen Augen sah und die Postkutsche nicht einmal von Weitem einer Bande Bankräuber in die Quere gekommen war, musste Miss O'Brian feststellen, dass da wohl die Phantasie des Autors mit ihm durchgegangen war. Und das Abenteuergeschichten eben genau das waren: Abenteuergeschichten. Die Menschen neigten wohl auch hier dazu ihren Alltag etwas auszuschmücken, um ihn interessanter zu machen.
Diese Erkenntnis hatte sie im Handumdrehen erleichtert und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sie war wild entschlossen sich hier wohl zu fühlen, alles zu ihrer Zufriedenheit zu finden und so einen möglichst guten Eindruck bei Mr. Charles Sullivan zu hinterlassen.
Es blieb ihr eigentlich auch gar nichts anderes übrig, denn die letzten Ersparnisse von Miss O'Brian waren fast zur Gänze aufgebraucht. All ihre Hoffnungen ruhten nun auf der Black Creek Ranch und bei Mr. Sullivan. Laut Mr. Smith ja ein gutaussehender und umgänglicher Mann. Aber das erzählte der Heiratsvermittler wohl jeder Frau, die bei ihm vorstellig wurde. Mit verwahrlosten, faulen Trinkern würde er keine Werbung für sein Eheanbahnungsinstitut machen können. Doch Steffiney O'Brian erwartete von ihrem Zukünftigen nicht mehr als ein Dach über dem Kopf sowie ein Minimum an Respekt.
Mit einem Ruck kam die Postkutsche zum Stehen und Steffiney war die Erste, die sich hinausdrängte. Sie nahm die helfende Hand, die der Kutscher ihr entgegenstreckte, nicht einmal wahr und sprang ohne Hilfe auf die Straße. Mit einem gespannten Lächeln drehte sie sich einmal im Kreis, blickte zur Fassade des Green Hotels hinauf und ließ ihren Blick dann über die Menschen schweifen.
Welcher von diesen Männern würde wohl Charles Sullivan sein? Mr. Smith hatte ihr versichert, dass er ihn brieflich davon in Kenntnis gesetzt hatte, wann sie ankam. Und sie war sicher, dass ihr zukünftiger Mann sie abholen würde. Oder zumindest jemanden schickte, der sie zur Ranch brachte, wenn er selbst keine Zeit hatte.
Einstweilen verabschiedete sich Miss O'Brian von ihren Mitreisenden und gab dem Kutscher ein Trinkgeld dafür, dass er ihre Reisekiste vom Dach holte.
Nicht weit entfernt, auf der anderen Straßenseite, sah sie ein großes Gebäude mit mehreren Stockwerken, das sich „The Gemstone“ nannte. Noch in die Überlegung versunken, was dieses Gemstone wohl sein könnte, flog durch die Schwingtüren plötzlich ein Mann und landete einige Meter entfernt im Straßenstaub. Mit Mühe kam er wieder auf die Beine, lachte und torkelte zurück zur Tür.
Leicht schockiert über diese Tatsache musste Miss O'Brian feststellen, dass der Mann wohl schon am helllichten Tag sturzbetrunken war. Gut, vielleicht war irgendwo auch ein Fünkchen Wahrheit in diesem Abenteuerheft gewesen…
Und bei dieser Erkenntnis keimte für einen Moment der Gedanke in ihr auf, was wäre, wenn Charles Sullivan ebenfalls so ein Trunkenbold war, der seine Frau verprügelte.
Doch ein unaufhörliches Zupfen an ihrem Kleid ließ sie in die Wirklichkeit zurückkehren. Etwas verwirrt blickte sie nach unten und sah sich mit einem strahlenden, sommersprossigen Gesicht konfrontiert.
„Ladys sollten nicht allein auf der Straße rumstehen, sagt mein Dad.“
Verblüfft beugte Steffiney sich zu dem kleinen Mädchen mit den strohblonden Haaren hinunter. Älter als acht konnte sie kaum sein.
„Nun, da hat dein Vater natürlich recht, aber ich warte auf jemanden. Ich dachte, dass ich hier abgeholt werden würde.“ Noch einmal ließ Miss O'Brian ihren Blick über die staubige Hauptstraße von Green Hollow schweifen, doch ohne Erfolg. Niemand schien für die junge Frau mit ihrer Reisekiste mehr als einen abschätzenden Blick übrig zu haben, bevor er weiter ging.
„Wer soll Sie denn abholen, Miss? Ich kenne hier jeden Farmer und Rancher in der Umgebung. Meinem Dad gehört nämlich der Laden hier in der Stadt!“ Die Kleine sagte dies in einem Brustton der Überzeugung. Sie zeigte dabei so inbrünstig mit dem Zeigefinger quer über die Straße, wo ein Schild Plockton's Warehouse auswies, dass Steffiney sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte.
„Ich will zur Black Creek Ranch. Kennst du die?“
Die Kleine nahm ihre Hand und zog sie ein Stück auf die Straße und deutete nach Süden. „Klar, das ist die Ranch von Mr. Sullivan. Da müssen Sie hier die Straße hinunter bis zu dem Wäldchen und dann links abbiegen und dann immer mit dem Weg mit. Aber Miss,“ Die Kleine schien plötzlich ganz ernst zu werden. „Da können Sie nicht laufen. Das sind mindestens fünf Meilen, sagt mein Dad.“
Ja, so was hatte sich Steffiney schon fast gedacht. Und so langsam wurde sie nervös. Sich in Boston eine Droschke zu nehmen, um von einem Ende der Stadt zum anderen zu kommen, war eine Sache, aber hier, mitten in der Wildnis zwischen Indianern und Cowboys… Unwillkürlich zog sie ihre Hand aus der Umklammerung der Kleinen und wischte sich die schweißnassen Finger an ihrem Kleid ab. Doch unversehens erscholl über die Straße ein Ruf nach Harriet. Ihre kleine Wegweiserin zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich muss gehen, aber es war nett Sie kennengelernt zu haben.“ Plötzlich machte das Mädchen einen vollendeten Knicks und reichte Miss O'Brian die Hand.
„Ich bin Harriet Plockton. Kommen Sie mich doch einmal besuchen, wenn Sie wieder in der Stadt sind.“ Und damit stürmte sie davon.
Über so viel unvermutete Wohlerzogenheit musste Steffiney ungewollt lächeln. Doch gleich darauf kehrten die Sorgen zurück. Was sollte sie nur tun? Sie musste irgendwie zur Black Creek Ranch kommen, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das bewerkstelligen sollte.
Nun, heute wohl gar nicht mehr. Die Sonne war inzwischen am Sinken und mit ihrer Reisekiste kam sie sowieso nirgendwo hin. Zumindest nicht allein. Seufzend wandte sich Miss O'Brian dem Green Hotel zu und befürchtete, nicht genug Geld für ein Zimmer zu haben. Doch ihre Sorgen erwiesen sich als unbegründet. Das Green Hotel war ein sehr gepflegtes Haus mit vernünftigen Preisen. Steffiney beschloss, die Nacht dort zu verbringen und am nächsten Morgen mit dem Besitzer des Hotels zu sprechen. Er würde ihr sicher sagen können, wie sie zur Black Creek Ranch kam oder wie man Charles Sullivan benachrichtigen könnte.
Es war bereits nach Mittag, als Steffiney O'Brian sich endlich der Black Creek Ranch näherte. Wider Erwarten hatte sie eine geruhsame Nacht verbracht und tatsächlich bis nach neun Uhr geschlafen. Zur Feier des Tages, dass sie heute endlich ihren Verlobten kennenlernen würde, hatte sie sich von ihren letzten Ersparnissen ein opulentes Frühstück geleistet. Sie wollte ja nicht mit knurrendem Magen vor ihrem zukünftigen Mann und den Kindern stehen.
Mit Hilfe des Hotelangestellten hatte sie dann einen Mietstall ausfindig gemacht, der ihr eine zweisitzige Kutsche samt Kutscher zur Verfügung stellte. Zwar war ihr etwas mulmig zu Mute, als sie zu dem ungepflegt wirkenden jungen Mann hinauf gestiegen war, aber Miss O'Brian ließ nicht zu, dass ihre gute Laune und Vorfreude darunter litt.
Innerhalb weniger Minuten hatte das Gespann die Stadt verlassen und befand sich auf einem staubigen Weg, der in einiger Entfernung in einen Kiefern- und Pinienwald mündete.
Steffiney hatte zwei Mal versucht, eine höfliche Konversation über das Wetter und den Weg zu beginnen, doch ihrem jungen, düsteren Kutscher war nicht mehr als ein „Is schon recht, Ma'am“ zu entlocken. So gab sie es schließlich auf, richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Landschaft und stellte schon nach kurzer Zeit fest, dass diese durchaus ihren Reiz hatte. Die weiten Ebenen wechselten sich mit dunklen Nadelwäldern ab und dahinter falteten sich die Rocky Mountains auf wie in einem Gemälde.
Doch es dauerte nicht lange und ihre Gedanken wanderten von den Ebenen zu deren Bewohnern. Vielleicht hatte Charles Sullivan ein falsches Datum erhalten. Vielleicht hatte Mr. Smith irgendetwas verwechselt in seinem Brief. Was würde ihr zukünftiger Mann dann für Augen machen, wenn sie heute schon auf seiner Ranch stand! Ob er sich wohl freuen würde? Und die Kinder? Die Jungen? Würden die sie mögen? Ob einer von ihnen noch ein Kleinkind war?
„Sind fast da, Ma'am.“ Erst die genuschelte Bemerkung ihres Begleiters brachte Steffiney O'Brian in die Realität zurück. In einiger Entfernung sah sie ein imposantes Holzhaus, um das sich Scheunen und ein paar kleinere Gebäude gruppierten. Das musste die Black Creek Ranch sein.
Erstaunt sog sie die Luft ein.
„Ooohhh…“ Für einen Moment verschwand sogar das selige Lächeln aus ihrem Gesicht. Der Besitz war größer, als sie gedacht hatte. Sehr viel größer. Nachdem sie heftig geschluckt hatte, ließ sie ein weiteres „Ooohhh…“ hören, das diesmal etwas resignierter klang. Irgendwie hatte Steffiney O'Brian etwas in der Größenordnung von einer kleinen Herde Rindern und einer einfachen Hütte erwartet. Da hatte sie weit gefehlt. Sie sollte Herrin von diesem… diesem Unternehmen werden?
Für einen Moment fragte sie sich, ob die Tochter eines kleinen Farmers aus Pennsylvania dem gewachsen war. Doch genauso schnell und resolut schob sie die Zweifel beiseite. Seit sie mit ihrer Mutter damals ihre Farm hatte verlassen müssen, um in Boston in kleinen Mietswohnungen und Pensionen zu wohnen, hatte sie sich nach etwas Eigenem gesehnt. Etwas, das wirklich ihr gehörte und nicht anderen Leuten. Und nun hatte sie die Gelegenheit endlich wieder ein eigenes Haus mit allem, was dazugehörte, zu haben. Und da bekam sie Angst? Nein, das war doch zu dumm! Sie sollte sich freuen, dass es ihr so gut gehen würde.
Der Kutscher lenkte den Wagen einen staubigen Weg entlang, der mitnichten auf die Haustür zuführte, sondern um die Scheunen und Hütten herum.
„Bring Sie gleich hinters Haus. Die Sullivans sind um die Zeit draußen“, murmelte er in seinen verfilzten Bart.
Und schon waren sie um die Ansammlung von Gebäuden herumgefahren und die Kutsche befand sich in einem gepflegten Innenhof. Etwas schmucklos, aber gepflegt. Und groß.
Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte ihr Begleiter ihr schon von dem Zweisitzer geholfen. Als die Kutsche wendete und einfach davonfuhr, blieb Mrs. O’Brian in einer Staubwolke zurück.
Steffiney war noch so mit der Größe des Anwesens beschäftigt, dass sie für einige Minuten nicht bemerkte, dass sie mutterseelenallein vor einem fremden Haus stand. Mit offenem Mund drehte sie sich einmal um die eigene Achse und ließ den Blick über das großzügige Holzhaus mit der Terrasse gleiten. Die Tore der Scheune auf der anderen Seite des Vorplatzes standen offen. Einzelne Sonnenstrahlen erhellten das Dunkel im Inneren und ließen unzählige Staubpartikel im Licht tanzen. Weiter wanderte ihr Blick über die freie Fläche zu den Bergen. Und davor, in einiger Entfernung, erspähte die junge Frau ihr etwas völlig Unbekanntes.
In einer seltsamen kleinen Umzäunung bockte, sprang und buckelte ein wunderschönes schwarzes Pferd. Und auf dessen Rücken saß, sich nur mit einer Hand festhaltend, ein Mann. Wie er sich dort oben hielt, war ihr völlig schleierhaft, aber dafür umso beeindruckender.
Fasziniert ging sie einige Schritte auf das seltsame Spektakel und auf die Männer zu, die um die Einzäunung herum standen. Ob sie alle zur Ranch gehörten?
Die vermutlichen Cowboys waren ausnahmslos schlank und wirkten kräftig. Sie trugen Hosen aus dunklem, derbem Stoff und schlichte Arbeitshemden. Und natürlich fehlte bei keinem der obligatorische flache Filzhut, den sie auch in der Stadt schon so oft gesehen hatte.
Im Fell des schwarzen Hengstes spiegelte sich die Sonne. Noch einige Augenblicke rangen Reiter und Pferd um die Vorherrschaft, bis ein besonders harter Bocksprung den Mann im hohen Bogen durch die Luft wirbelte.
Es gab ein hohles Geräusch, als der arme Kerl auf dem Boden aufschlug. Lauter war jedoch Miss O'Brians erschreckter Aufschrei, als der Fremde im Staub landete. Was ihr jetzt immerhin die volle Aufmerksamkeit der Männer sicherte, die sie bis eben noch nicht bemerkt hatten.
Sie hatte nicht im Mindesten mit so etwas gerechnet. Ffür ihr unerfahrenes Auge sah es mehr als lebensgefährlich aus. Instinktiv war sie einen Schritt zurückgewichen, doch ihr Schreck währte nicht lange. Fast im selben Augenblick rappelte sich der Mann auf, sammelte seinen Hut von der Erde und wandte seinen Kopf in die Richtung, in die auch alle anderen starrten. Bis seine Augen schließlich an einer kleinen Frau mit kastanienbraunen Haaren in einem dunkelgrünen Reisekleid hängen blieben.
Steffiney wurde sich mit einem Mal ihrer seltsamen Situation bewusst und lief unter den Blicken all der fremden Männer tiefrot an. Sie wirkten düster und nicht im Geringsten hilfsbereit, betrachteten sie mit einem abschätzenden Blick und wandten sich schließlich ab. Lediglich ein junger Bursche mit fast noch kindlichen Gesichtszügen, der rittlings auf der Umzäunung saß, schaute sie weiter unverwandt an. Sein Grinsen war beinahe unverschämt.
Verunsichert sah sich Miss O'Brian nun nach allen Seiten um, sodass ihr entging, wie der Cowboy die Umzäunung des Corrals überkletterte und auf sie zukam. Erst als er sie fast erreicht hatte, bemerkte sie ihn. Mit den Händen beschattete Steffiney ihre Augen, um etwas besser zu sehen. Ihr Blick arbeitete sich langsam von den schwarzen Stiefeln zu den langen Beinen empor, die in dunklen Hosen steckten. Und weiter über ein blaues Hemd zu einem äußerst kräftigen Kinn mit einem leichten Bartschatten. Als sie schließlich die braunschwarzen Augen und das schwarze Haar erreichte, wünschte Miss O'Brian sich fast, sie hätte nicht so genau hingesehen. Der Mann war mindestens 1,85 Meter groß, wahrscheinlich sogar größer und hatte etwas sehr Einschüchterndes an sich.
Fast im selben Moment schoss der jungen Frau die Frage durch den Kopf, ob das Charles Sullivan sein könnte. Anstatt wieder zu schlucken, schnappte sie bei dem Gedanken diesmal nach Luft.
„Kann ich Ihnen helfen, Madam?“ Der baumlange Cowboy hatte sie erreicht und stand nun direkt vor ihr. Was Steffiney zwang ihren Kopf etwas in den Nacken zu legen, damit sie ihm überhaupt ins Gesicht schauen konnte. Andernfalls hätte sie jetzt auf die offene Knopfleiste seines Hemdes gestarrt. Mit einiger Mühe behielt sie den Kopf oben und lächelte ihr Gegenüber an.
„Ja. Ja, danke. In der Tat. Ich bin auf der Suche nach einem Mr. Sullivan.“ Erwartungsvoll lächelte sie und blinzelte gegen das helle Sonnenlicht an, das ihr direkt in die Augen schien.
Der Cowboy hatte mehr Glück. Er stand mit dem Rücken zur Sonne und konnte die Frau vor sich ohne Probleme einer genauen Musterung unterziehen. Schlecht sah sie ja nicht aus, auch wenn sie keine Schönheit war. Allerdings entschädigte dieses entwaffnende Lächeln allemal für das etwas zu spitz geratene Kinn und die hohe Stirn.
„Ich würde sagen, Sie haben ihn gefunden“, antwortete der Cowboy mit einem verschmitzten Lächeln. Für einen kleinen Augenblick klaffte Miss O'Brians Mund ganz undamenhaft offen. Das war tatsächlich ihr zukünftiger Mann?
Doch schnell besann sie sich eines Besseren und schloss den Mund wieder. Allerdings kam sie gar nicht zu Wort. Inzwischen hatte sich der junge Mann, der sie vorhin so überaus interessiert betrachtet hatte, sich zu ihnen gesellt.
„Nun, zumindest einen Mr. Sullivan“, fiel er in das Gespräch ein. Was ihm einen ärgerlichen Blick von dem Zureiter bescherte. Der ihn allerdings nicht im Mindesten zu berühren schien. Mit dem Zeigefinger deutete er auf den Cowboy, der ihn gut und gerne um einen halben Kopf überragte.
„Das hier ist zum Beispiel Mr. Lukas Sullivan und ich bin Mr. Charles Sullivan“, stellte der Störenfried sich mit einem breiten Grinsen vor.
Bei dieser Eröffnung verlor Steffiney O'Brian den bescheidenen Rest ihrer mühsam aufrechterhaltenen Contenance. Entgeistert und mit Entsetzen blickte sie zu dem Jungspund.
Das war Charles Sullivan? Der Junge konnte kaum älter als 17 sein! Was hatte sie sich da nur eingebrockt?
„Sie haben es gehört, Lady. Was können wir also für Sie tun?“ Mr. Lukas Sullivan schien nicht besonders begeistert über die Einmischung von Charles. Es dauerte einige peinliche Augenblicke, bis Steffiney ihre Sprache wiederfand.
„Sie sind Mr. Charles Sullivan? Sind Sie sich da ganz sicher?“ Offensichtlich verwirrt fuhr sich Miss O'Brian mit der Hand über die Stirn, konnte ihren verblüfften Blick aber nicht von dem Jungen vor sich losreißen. Wie war Mr. Smith nur so ein Fehler unterlaufen? Dieses Kind konnte doch unmöglich Witwer sein, geschweige denn vier Kinder haben!
Charles Sullivan grinste breit und lüpfte kurz seinen Hut. „Ja Ma'am, ganz sicher. Schon seit meiner Geburt vor 18 Jahren!“
Entgeistert ließ Steffiney ihren Blick zurück zu dem großen Ranchhaus, den Wirtschaftsgebäuden, Weiden und Arbeitern gleiten. Es war ihr anzusehen, dass sie glaubte, den Verstand verloren zu haben, während sie versuchte das Alter des jungen Mannes mit diesem immensen Besitz übereinzubringen.
Charles schien sich köstlich zu amüsieren, doch Luke Sullivan zeigte sich nicht im Geringsten erfreut über dieses undurchsichtige Schauspiel. Und er schien auch schon den Schuldigen gefunden zu haben.
„Was hast du jetzt wieder angestellt, Charlie?“, fuhr er den Jüngeren scharf an. Doch der hob gleich abwehrend die Hände und schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Auch wenn ich nichts dagegen hätte, es herauszufinden.“
Für einen 18-jährigen hatte er ein viel zu anzügliches Lächeln, musste Miss O'Brian feststellen.
„Einen Teufel wirst du tun, du Grünschnabel! Geh und such Dad, ich warte mit der Lady im Haus!“ Als Luke Sullivan ihrem zukünftigen Mann dermaßen in die Parade fuhr, erschloss sich Steffiney zumindest deren Verwandtschaftsgrad. Die beiden waren Brüder! Das erklärte schon mal, warum es gleich zwei Mr. Sullivans gab.
Während Luke bereits in Richtung des Hauses losstiefelte, ging Steffiney endlich ein Licht auf. Sie musste laufen, um den Mann vor ihr wieder einzuholen. Aber auch wenn er nicht gerade freundlich war, er war immerhin doch höflich genug seinen Schritt dem ihren anzupassen, als er merkte, dass sie mit seinem Tempo nicht mithalten konnte.
„Entschuldigen Sie, aber Ihr Vater, heißt er auch Charles Sullivan?“ Ihr Blick hatte etwas Flehentliches, als sie zu dem schwarzhaarigen Cowboy aufschaute.
„Ja, Charles Sullivan Sr. Und vielleicht wollen Sie mir jetzt auch Ihren Namen verraten, nachdem Sie nun schon so viel über meine Familie wissen?“
Ein strahlendes Lächeln breitete sich wieder auf Steffineys Gesicht aus.
„Steffiney O'Brian, aber Gott sei Dank!“ Dieser Ausbruch kam dermaßen aus tiefstem Herzen, dass es sogar Luke Sullivan ein Lächeln abnötigte. Zwar ein Spöttisches, aber immerhin. Miss O'Brian dagegen war so erleichtert, dass ihr der Spott ihres Begleiters glatt entging. „Ich dachte schon, dass der Junge die Heirats…“
Doch der Satz blieb ihr im Halse stecken. Inzwischen hatten die beiden das Haus erreicht und Luke Sullivan führte sie in einen rustikalen, aber gemütlichen Salon. Ohne auf seine Aufforderung zu warten, ließ sie sich in einen Polstersessel fallen.
Ihr war soeben klar geworden, dass Mr. Charles Sullivan Sr., Vater von Luke Sullivan, der wohl um die 30 war, wenigstens doppelt so alt wie sie selbst sein müsste. Und das zumindest einer ihrer vier zukünftigen Stiefsöhne älter war als sie! So hatte sie sich ihr Familienleben nicht vorgestellt!
„Miss O'Brian, hätten Sie die Güte mir zu erklären, was Sie hier wollen und wieso eben das Wort Heirat fiel?“ Luke Sullivan gehörte ganz offensichtlich nicht zu den geduldigsten Menschen auf der Welt. Doch Miss O'Brian blieb eine Antwort vorerst erspart, denn die Tür öffnete sich und herein kam ein stattlicher älterer Herr mit silberweißem Haar und sonnengegerbter Haut. Er war alles andere als gebrechlich, schlecht sah er auch nicht aus, aber er musste auf die 60 zugehen.
Wieso nur hatte ihr Mr. Smith von der Agentur nichts davon gesagt? Mr. Sullivan Sr. rechnete wohl ebenso wenig mit einer dermaßen jungen Braut, wie sie auf einen zukünftigen Ehemann spekuliert hatte, der ihr Vater sein könnte.
Hinter dem Familienoberhaupt der Sullivans hatte sich auch Charlie in den Salon geschoben und an den Kamin gelehnt, der ihn jetzt halb verdeckte. Anscheinend in der Hoffnung nicht bemerkt zu werden und so in den Genuss des ganzen Schauspiels zu kommen, das dieser Nachmittag versprach.
„Dad, dies hier ist Miss Steffiney O'Brian und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was sie von uns will“, übernahm Luke die Vorstellung. „Es sei denn, Charlie hat wieder irgendetwas ausgefressen“, schob er mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen Richtung Kamin hinterher. Es war ihm ganz offensichtlich nicht entgangen, dass sein jüngerer Bruder Zaungast spielte.
„Sehr erfreut Sie kennenzulernen, Miss O'Brian. Ich bin Charles Sullivan. Was kann ich für Sie tun?“, fragte der ältere Herr entgegenkommend.
Erleichtert über die freundliche Art, mit der ihr zukünftiger Mann ihr begegnete, hatte Steffiney Mr. Sullivans Hand ergriffen. Er schien das ganze Gegenteil seines ruppigen älteren Sohnes zu sein. Doch beim letzten Satz entglitt ihr das angedeutete Lächeln wieder. Offensichtlich war Charles Sullivan nicht über den Erfolg seiner Heiratsannonce informiert. Was zumindest erklärte, warum sie gestern im wahrsten Sinne des Wortes wie bestellt und nicht abgeholt in Green Hollow gestanden hatte.
„Oh…oh…. Aber der Brief… Ist der Brief denn nicht bei Ihnen angekommen?“ Es schien alles schief zu gehen, was nur schief gehen konnte auf dieser Reise in den Westen. Doch dann kam ihr eine einleuchtende Idee. Mr. Smiths Schreiben war sicherlich nicht das Einzige, der hier im Westen verloren ging.
„Ich nehme an, dass die Nachricht von Mr. Smith nicht angekommen ist. Das erklärt natürlich alles! Mr. Smith von der Heiratsagentur in Boston schickt mich auf Ihre Annonce hin, Mr. Sullivan“, erklärte Steffiney mit einem Lächeln. Nachdem alle Unklarheiten nun eindeutig beseitigt waren, hatte Miss O'Brian ihre übliche Ruhe und freundliche Gelassenheit wiedergefunden. Doch wenn es nicht Luke Sullivans wütender Blick gewesen wäre, der ihr sagte, dass sie auch jetzt noch meilenweit von Klarheit in dieser Angelegenheit entfernt waren, dann hätte dies Mr. Sullivans nächster Satz getan.
„Miss O'Brian, es tut mir aufrichtig leid, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen. Ich habe nirgendwo eine Heiratsannonce aufgegeben.“
Allenfalls ein Badezuber mit eiskaltem Wasser, der sich über sie ergoss, hätte auf Steffiney eine ähnliche Wirkung haben können. Sie hatte all ihre Hoffnungen auf Charles Sullivan und die Black Creek Ranch gesetzt. Und nicht nur das. Sie hatte auch all ihr Geld, ihre letzten Ersparnisse, in diese Reise investiert. Und jetzt schien Mr. Sullivan nichts von der ganzen Sache wissen zu wollen.
Aber das war doch nicht möglich! Mr. Smith hatte ihr doch alle Einzelheiten genannt. Ganz offensichtlich sogar die richtige Adresse, ganz zu schweigen von den Informationen über die Familie. Auch wenn sie von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen war.
Hilfesuchend blickte sie erst zu Mr. Sullivan, dann zu dessen älteren Sohn. Doch während Ersterer ihr noch ein gewisses Mitgefühl entgegenbrachte, hatte der Zweite sich anscheinend schon einen Reim auf ihre Geschichte gemacht. Und keinen besonders schmeichelhaften.
Bis eben hatte Luke Sullivan auf der Kante des Pinienholz-Schreibtisches gesessen, der in einer Ecke des Salons stand. Doch jetzt erhob er sich und kam auf Miss O'Brian zu. Aus ihrer sitzenden Perspektive erschien er ihr noch bedrohlicher als zuvor.
„Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Miss: Verschwinden Sie. Ihr kleines Spielchen ist nur allzu durchsichtig, aber damit verschwenden Sie bei uns ihre Zeit!“ War Luke Sullivan anfangs nur etwas unfreundlich erschienen, so hatte seine Stimme jetzt eindeutig einen drohenden Unterton.
„Bitte, ich verstehe nicht… Was meinen Sie mit Spielchen? Ich habe all mein Geld in diese Reise investiert, weil mir Mr. Smith…“ Miss O'Brian war inzwischen den Tränen nahe, doch selbst diese Tatsache konnte Luke Sullivan nicht milder stimmen. Ganz im Gegenteil, es schien seine Wut nur noch zu befeuern.
„Jetzt tun Sie doch nicht so scheinheilig! Sie werden irgendwo gehört haben, dass mein Vater eine Menge Land besitzt und ein gutmütiger Mann ist. Und da haben Sie sich gedacht, Sie probieren hier mal ihr Glück. Wollen Sie nur ihre Reisekasse ein bisschen aufbessern oder haben Sie tatsächlich geglaubt, dass Sie ihm ein derart schlechtes Gewissen machen können, dass er sie heiratet? Es ist doch offensichtlich, dass Sie sich diese ganze Geschichte nur aus den Fingern saugen, Sie kleine Betrügerin!“ Der grollende Unterton in der Stimme des schwarzhaarigen Cowboys sprach Bände.
Doch das Wort Betrügerin hatte auf Miss O'Brian einen seltsamen Effekt. Ihre Augen, die bis eben noch in Tränen geschwommen waren, bekamen mit einem Mal ein streitlustiges Funkeln. Auf ihrer Stirn bildete sich eine steile Zornesfalte und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Als hätte sie auf der Sitzfläche ihres Sessels einen Skorpion gefunden, sprang die zierliche Frau auf und baute sich mit in die Seiten gestemmten Armen vor Luke Sullivan auf. Die imposante Pose verlor etwas dadurch, dass sie wieder den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu schauen. Aber bei ihrem stahlharten Blick blieb sogar Charlie das Lachen im Halse stecken.
„Ich habe nicht mein ganzes Geld in eine Reise von Boston nach Green Hollow, Colorado gesteckt, um mich hier von irgendeinem hinterwäldlerischen Ochsentreiber als Betrügerin beschimpfen zu lassen!“, fauchte sie. „Ich kann beweisen, dass ich von einem seriösen Institut hierher geschickt wurde und keine unlauteren Absichten verfolge.“
Miss O'Brian holte aus ihrem Retikül einige zusammengefaltete Papiere, doch ihre zitternden Hände zeugten nur zu gut davon, dass sie ihr Pulver mit diesem Angriff eigentlich schon verschossen hatte. Ohne ihren Blick von Luke Sullivan abzuwenden, streckte sie Mr. Sullivan Sr. das Schreiben entgegen.
Luke dagegen erdreistete sich tatsächlich, mit verschränkten Armen noch einen weiteren Schritt auf sie zuzutreten. Kaum ein Fingerbreit trennte die beiden Kontrahenten noch voneinander. Miss O'Brian war die mangelnde Distanz zwischen ihr und einem fremden Mann sichtlich unangenehm. Doch mit hochrotem Gesicht hielt sie ihren Posten und wich nicht einen Schritt zurück, als Luke knurrte: „Was wollen Sie mit diesen wahrscheinlich selbst hingeschmierten Wischen schon beweisen? Dass Sie, wie die meisten Ihrer Sorte, nicht mal die Regeln der Rechtschreibung beherrschen?“
Doch noch bevor Miss O'Brian endgültig die Beherrschung verlieren konnte, schaltete sich Mr. Sullivan ein.
„Luke, ich verbitte mir diese Frechheiten unserem Gast gegenüber!“ Seine feste Stimme und der Tonfall ließen erahnen, dass er absoluten Gehorsam erwartete und Luke wich schweigend zwei Schritte zurück. Ganz offensichtlich aber nur widerwillig. Anscheinend hätte er noch einiges mehr zu Miss O'Brian zu sagen gehabt.
Mr. Sullivan indes faltete die Unterlagen wieder zusammen und reichte sie an Steffiney zurück. „Nun Miss O'Brian, diese Dokumente scheinen in der Tat echt zu sein und Sie sehen mir auch nicht wie eine Heiratsschwindlerin aus. Hätten Sie wirklich vor, sich mein Wohlwollen zu erschleichen, würden Sie meinen ältesten Sohn wohl kaum mit dem Titel eines hinterwäldlerischen Ochsentreibers bedacht haben.“
Das Zwinkern in den Augen des älteren Herrn war das einzige Zeichen dafür, dass er Steffiney diese Beleidigung seines Erstgeborenen nicht übel nahm. Ganz im Gegenteil anscheinend.
„Trotzdem kann ich mir nicht erklären, was passiert ist. Ich habe weder in Boston noch sonstwo eine Annonce aufgegeben. Ich habe mich seit dem Tod meiner Frau vor acht Jahren nie mit Heiratsgedanken getragen und tue es auch jetzt nicht. Es tut mir wirklich leid, dass Sie die weite Reise von der Ostküste hierher auf sich genommen haben, aber ich fürchte, Sie enttäuschen zu müssen.“
Mit einem Mal schien jegliche Kampflust von Steffiney O'Brian abzufallen. Mit einer Hand vor den Augen ließ sie sich wieder auf ihren Sessel sinken.
Wenn Charles Sullivan nicht den geringsten Wunsch verspürte sie zu heiraten, dann hatte sie ihre gesamte Existenz dafür geopfert, mutterseelenallein in einer fremden Stadt im Westen zu stranden. Sie hatte nicht einmal mehr genug Geld in der Tasche, um sich eine weitere Nacht im Green Hotel leisten zu können.
Es dauerte einige Augenblicke, bis Steffiney ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte, doch dann erhob sie sich und streckte Mr. Sullivan die Hand entgegen. „Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte, Mr. Sullivan. Mr. Smith muss anscheinend ein schwerwiegender Fehler unterlaufen sein. Ich fürchte…“ Steffiney war sich selbst nicht ganz sicher, ob sie erst die aufsteigenden Tränen oder ihren Stolz herunterschlucken musste, bevor sie weitersprechen konnte. „Ich fürchte, ich muss Sie bemühen, mich in die Stadt zurückzubringen. Der Kutscher aus dem Mietstall hat sich vorhin sofort auf den Weg zurück gemacht.“
Mr. Sullivan ergriff ihre Hand bereitwillig, ließ sie allerdings nicht nach einem kurzen Händedruck los. „Einer meiner Söhne wird Sie natürlich mit Vergnügen in die Stadt zurückbringen.“
Charlie, der sich anscheinend freiwillig für diese Aufgabe zur Verfügung stellen wollte, wurde durch einen scharfen Blick seines Vaters Einhalt geboten. Dieser schien mit seiner Verabschiedung noch nicht am Ende zu sein.
„Miss O'Brian, ich möchte nicht indiskret erscheinen, aber sagten Sie nicht soeben, dass Ihre gesamten Ersparnisse in die Reise hierher geflossen sind?“ Er versuchte den gesenkten Blick der jungen Frau mit dem seinen einzufangen, doch er hatte keinen Erfolg. Die gewachsten Holzdielen erschienen seinem Gast anscheinend um einiges interessanter. Lediglich ihre glühenden Ohren zeugten davon, dass Mr. Sullivan mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte.
„Warum sind Sie heute nicht mein Gast und Charlie kann morgen in die Stadt fahren und nach Boston telegrafieren, um das Missverständnis aufzuklären. Ich bin sicher, die Agentur erstattet Ihnen Ihre Auslagen zurück. Der Fehler lag ja ganz eindeutig nicht auf Ihrer Seite.“
Bei dem Angebot die Nacht auf der Black Creek Ranch zu verbringen, war Miss O'Brians Kopf augenblicklich in die Höhe geschossen. Auf ihrem Gesicht machte sich Erleichterung breit. Doch nach einem kurzen Seitenblick auf Luke, der die ganze Szene mit offenem Missfallen beobachtete, schüttelte sie den Kopf.
„Das ist wirklich sehr freundlich, Mr. Sullivan, doch Sie sind mir nichts schuldig. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ihre Gutmütigkeit auszunutzen.“ An dieser Stelle warf sie Luke einen scharfen Blick zu. „Darüber hinaus bin ich hier ganz offensichtlich nicht erwünscht.“
Charles Sullivan Sr. war ein durch und durch gutmütiger Mensch, doch jetzt hielt er es für angeraten, andere Töne anzuschlagen. Strenge und Autorität klangen im nächsten Satz deutlich durch.
„Miss O'Brian, dieses Haus gehört immer noch mir. Folglich entscheide ich, wer hier erwünscht ist und wer nicht. Im Übrigen wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als die Nacht hier zu verbringen. Wenn ich es mir recht überlege, kann ich heute unmöglich einen meiner Männer entbehren, um Sie in die Stadt zurückzufahren. Das wird frühestens morgen der Fall sein.“ Das vergnügte Zwinkern in seinen Augen nahm dieser Rede allerdings jegliche Schärfe. „Und Sie würden mir im Übrigen einen Gefallen tun. Wir haben hier viel zu selten Damenbesuch. Für Charlie wird es nur von Vorteil sein, sich in den richtigen Umgangsformen Ihnen gegenüber zu üben.“ Es war offensichtlich, dass Mr. Sullivan Letzteres nur hinzufügte, um seine Einladung weniger wie ein Almosen aussehen zu lassen.
Steffiney rang noch einige Momente mit sich, bevor sie schließlich langsam nickte. Was blieb ihr auch anderes übrig? Was hätte sie in der Stadt tun sollen? Auf der Straße übernachten und die letzten Pennys für ein Telegramm ausgeben, das vielleicht nicht einmal Erfolg haben würde?
„Ich danke Ihnen vielmals“, flüsterte sie, während Luke Sullivan mit energischen Schritten und düsterem Blick den Salon verließ.
Mrs. Prudle, eine robuste Frau in den 50ern, die sich als Haushälterin der Sullivans vorstellte, sorgte in ihrer etwas hemdsärmeligen, aber nicht unfreundlichen Art dafür, dass Steffiney alles bekam, was sie brauchte. Die ältere Frau brachte sie in dem geräumigen, gemütlichen Gästezimmer im Haupthaus unter, bereitete ihr ein Bad und brachte der jungen Frau später das Abendessen ins Zimmer hinauf.
Miss O'Brian hatte sich mit vorgetäuschten Kopfschmerzen beim Familienabendessen der fünf Sullivans entschuldigen lassen. Ihr stand der Sinn nicht im Geringsten danach, unter den missbilligenden, feindseligen Blicken von Luke Sullivan Konversation mit fremden Männern zu machen. Glücklicherweise akzeptierte Mr. Sullivan ihre Entschuldigung ohne weitere Fragen zu stellen.
Als Steffiney abends in ihrem geborgten Nachthemd am geöffneten Fenster stand und auf die Prärie hinaus sah, musste sie bitter lächeln. Sie dachte an Mrs. Rulys letzte Worte, als sie sich von ihrer Wirtin verabschiedet hatte.
„Ich gratuliere Ihnen, Kindchen. Wird ja auch Zeit, dass Sie endlich unter die Haube kommen. Ich weiß gar nicht, wann ich zum letzten Mal eine alleinstehende Dame über 25 beherbergt habe. Muss ein hartes Los sein, wenn so lange keiner anbeißt“, hatte die fettleibige, ältere Dame gesagt, bevor Steffiney sich mit einem gezwungenen Lächeln bedankt hatte.
Sie lächelte bitter. Aber es war nicht nur die Enttäuschung darüber, dass ihre Pläne gescheitert waren und sie immer noch als Außenseiterin da stand, die sie überkam. Sie fühlte auch ehrliches Bedauern. Alles, was sie gewollt hatte, war eine Ehe, um versorgt zu sein. Die Black Creek Ranch war ein schöner Flecken Erde, auf dem sie sich hätte wohlfühlen können.
Und auch Charles Sullivan Sr. schien ein umgänglicher, netter Mann zu sein. Er hätte zwar ihr Vater sein können, aber sie war sich sicher, dass sie sich auch an den Altersunterschied gewöhnt hätte. Aber gerade rechtzeitig, bevor sie zu sehr bedauern konnte, dass Mr. Sullivan nicht im Traum daran dachte, sie zu heiraten, fiel ihr der älteste Sohn wieder ein.
Nein! Mit Luke Sullivan unter einem Dach leben zu müssen, war eine Vorstellung, die ihr sofort wieder die Zornesröte ins Gesicht trieb. Und auch die anderen Söhne waren bis auf Charlie in ihrem Alter, wie sie von Prudle gehört hatte. Es wäre doch eine zu seltsame Situation gewesen die Stiefmutter von Männern zu sein, die ihre Brüder hätten sein können. Zufrieden mit diesem vollauf vernünftigen Gedanken begab sich Miss O'Brian zu Bett.
Der nächste Morgen dämmerte klar herauf, doch die Reise und deren Aufregungen forderten ihren Tribut von Miss O'Brian. Sie verschlief sowohl den malerischen Sonnenaufgang wie auch das Frühstück der Sullivans. Erst als Prudle gegen 10 Uhr in ihr Zimmer kam, um die Vorhänge zurückzuziehen und die Fenster öffnete, wachte sie auf.
Beschämt darüber, dass sie so lange geschlafen hatte, versuchte sie sich sofort bei der Haushälterin zu entschuldigen. Prudle dagegen schien nichts Tadelnswertes an ihrer Langschläferei zu finden.
„Schon recht, Missy. Se ham doch ne lange Reise hinter sich. Mr. Sullivan hat extra jesacht, ich soll Se ruhig lange schlafen lassen. Wenn Se gleich in de Küche komm, mach ich Ihnen Frühstück.“ Mit dieser ungewohnt langen Rede für ihre Verhältnisse verschwand die Haushälterin wieder.
In aller Eile kleidete Steffiney sich an und lief dann hinunter, um Prudles reichhaltiges Frühstück zu genießen. Während sie sich über Toast, Eier mit Speck und Pancakes hermachte, berichtete Prudle, dass Mr. Charlie bereits unterwegs nach Green Hollow war, um ihre Angelegenheiten zu regeln.
Miss O'Brian blieb fast das Frühstück im Hals stecken, aber Prudle ließ mit keinem Blick oder Wort erkennen, dass sie wusste, worum es sich bei diesen „Angelegenheiten“ handelte. Nachdem die Haushälterin sich vergewissert hatte, dass nichts von ihrem großzügigen Frühstück übrig geblieben war, scheuchte sie den jungen Gast aus der Küche. Sie wollte nichts davon hören, als Miss O'Brian ihre Hilfe beim Geschirr spülen anbot. Die Missy solle lieber eins von den Büchern lesen oder Klavier spielen, wenn sie das konnte. Beides würde sie im Salon finden.
Nur ungern ließ Steffiney die alte Frau mit dem Geschirr allein, doch da Prudle anscheinend wirklich lieber für sich war und ihre Arbeit nicht teilen wollte, verschwand sie schließlich in den Salon. Das Wort Klavier war Musik in ihren Ohren. Wie lange hatte sie schon nicht mehr die Tasten eines solchen Instrumentes unter ihren Fingern gefühlt?
Zu ihrer Freude fand sie ein erstklassiges Instrument, das perfekt gestimmt war, vor. Selbst Noten lagen auf dem Deckel. Einige irische und schottische Volkslieder, Tanzmusik und sogar etwas Klassik. Alles, was ihr Herz begehrte.
Fast ehrfürchtig klappte die junge Frau den Deckel auf und ließ ihre Finger vorsichtig über die Tasten wandern. Erst zögerlich, doch bald fanden ihre Hände die alte Sicherheit wieder und der Vormittag flog mit den irischen Volksliedern, die sie noch aus ihrer Kindheit kannte, nur so dahin.
Ohne dass sie es bemerkte, hatte Miss O'Brian allerdings einen Zuhörer bekommen. Luke Sullivan stand in der Tür und lauschte der Musik halb erstaunt, halb erfreut. Das Instrument hatte seiner Mutter gehört, die eine leidenschaftliche Spielerin gewesen war. Allerdings hatte Prudence Sullivan nicht die Hälfte von Miss O'Brians Talent besessen und mit mehr Inbrunst als Können gespielt. Er war überrascht über die Fähigkeiten des unerwünschten Gastes und für eine Weile hörte er ihr einfach nur zu. Als ihm jedoch klar wurde, dass ihm sowohl der Anblick als auch die Musik nicht zuwider waren, räusperte er sich.
Die Musik brach abrupt ab, als Miss O'Brians Finger von den Tasten fielen und sie fuhr herum. Offensichtlich hatte sie sich erschreckt, so tief war sie in ihr Spiel versunken gewesen. Als sie allerdings sah, wer sie gestört hatte, verfinsterte sich ihre Miene augenblicklich.
„Es tut mir leid, aber Mrs. Prudle sagte mir, ich könne ruhig etwas spielen. Ich hätte das Klavier nie von selbst angefasst.“ Ihre Stimme schwankte irgendwo zwischen Kampfeslust und Entschuldigung. Doch auch Luke Sullivan schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob er sich für sein unerwartetes Auftauchen entschuldigen oder es ihr übelnehmen sollte, dass sie am Klavier seiner Mutter saß, als würde es ihr gehören.
„Charlie ist mit Neuigkeiten zurück. Mein Vater bat mich, Ihnen zu sagen, dass Sie ihn in der Scheune finden.“ Luke Sullivan klang nicht unfreundlich, aber Steffiney war nach der gestrigen Beleidigung nicht gewillt, Milde walten zu lassen. Zumindest nicht ohne Entschuldigung von ihm.
So legte sie wortlos die Noten zusammen, schloss den Klavierdeckel und ging an ihm vorbei nach draußen. Sie würde diese Scheune auch ohne seine Hilfe finden.
Allerdings hatte sie die Rechnung ohne den Sendboten gemacht. Auf seinen langen Beinen war es Luke ein Leichtes sie einzuholen. Doch auch er verschwendete keine weiteren Worte, als sie Seite an Seite zu einer der Scheunen gingen. Er öffnete das Holztor etwas weiter für sie und ließ sie dann eintreten, bevor er ihr folgte.
Im Inneren herrschte ein angenehmes Zwielicht. Charlie war gerade damit beschäftigt, ein Pferd auszuspannen und ihre Reisetruhe von einem kleinen Vehikel zu bugsieren. An eine der Pferdeboxen gelehnt stand Mr. Sullivan, der seinem jüngsten Sohn bis eben aufmerksam gelauscht hatte und einige Papiere in seiner Hand betrachtete.
Als Luke und Steffiney die Scheune betraten, schaute er lächelnd auf. Doch die Sorgenfalten auf seiner Stirn waren trotz des Dämmerlichts deutlich zu sehen. „Miss O'Brian, ich hoffe, Sie haben eine angenehme Nacht gehabt und fühlen sich wohl bei uns.“
Sie bedankte sich, doch fragte ohne Umschweife nach den Nachrichten aus Boston. Steffiney wollte nicht unhöflich sein, doch das war es doch, was sie alle interessierte. Aus keinem anderen Grund würde Luke Sullivan sie hierher begleitet haben.
„Nun, Miss O'Brian, Charlie hat in der Tat nach Boston telegrafiert. Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass er Smiths Eheanbahnungsinstitut für Heiraten in den Westlichen Territorien nicht… erreichen konnte.“