Die bezaubernde Arabella - Georgette Heyer - E-Book

Die bezaubernde Arabella E-Book

Georgette Heyer

4,6
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

England, im Frühling 1817: Die überaus hübsche Arabella soll eine gute Partie machen. Als das wohlbehütete Mädchen von ihrer vermögenden Patentante nach London eingeladen wird, geht für sie ein Traum in Erfüllung. Aber auf der Reise bricht die Achse ihrer Kutsche. Hilfe kommt ausgerechnet vom charmanten Junggesellen Robert Beaumaris.

Arabella ist von dem arroganten Benehmen des attraktiven Edelmannes dermaßen empört, dass sie ihm die Rolle einer reichen Erbin vorspielt.Doch Beaumaris durchschaut Arabellas Streich und beschließt, sich auf ihre Kosten zu amüsieren. So bestätigt er der Londoner Gesellschaft, dass die unbekannte Arabella tatsächlich eine reiche Erbin aus bester Familie sei. Aus der Pfarrerstochter wird in Windeseile eine der begehrtesten Partien der Saison. Die Verwicklungen nehmen ihren Lauf, denn nun sind sämtliche Mitgiftjäger Englands hinter der bezaubernden Arabella her ...

"Die bezaubernde Arabella" ist ein heiterer und beschwingter Regency-Gesellschaftsroman, mit dem Georgette Heyer ihre Leserinnen mit dem Glanz einer längst vergangenen Epoche verzaubert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 440

Bewertungen
4,6 (16 Bewertungen)
11
3
2
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Über dieses Buch

England, im Frühling 1817: Die überaus hübsche Arabella soll eine gute Partie machen. Als das wohlbehütete Mädchen von ihrer vermögenden Patentante nach London eingeladen wird, geht für sie ein Traum in Erfüllung. Aber auf der Reise bricht die Achse ihrer Kutsche. Hilfe kommt ausgerechnet vom charmanten Junggesellen Robert Beaumaris. Arabella ist von dem arroganten Benehmen des attraktiven Edelmannes dermaßen empört, dass sie ihm die Rolle einer reichen Erbin vorspielt.

Doch Beaumaris durchschaut Arabellas Streich und beschließt, sich auf ihre Kosten zu amüsieren. So bestätigt er der Londoner Gesellschaft, dass die unbekannte Arabella tatsächlich eine reiche Erbin aus bester Familie sei. Aus der Pfarrerstochter wird in Windeseile eine der begehrtesten Partien der Saison. Die Verwicklungen nehmen ihren Lauf, denn nun sind sämtliche Mitgiftjäger Englands hinter der bezaubernden Arabella her…

„Die bezaubernde Arabella“ ist ein heiterer und beschwingter Regency-Gesellschaftsroman, mit dem Georgette Heyer ihre Leserinnen mit dem Glanz einer längst vergangenen Epoche verzaubert.

Über die Autorin

Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.

Georgette Heyer

Die bezaubernde Arabella

Aus dem Englischen von Edmund Th. Knaur

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Die Originalausgabe ARABELLA erschien 1949 bei William Heinemann. Copyright © Georgette Heyer, 1949

Copyright der deutschen Erstausgabe: © Paul Zsolnay Verlag GmbH, Hamburg/Wien, 1958.

Lektorat/Produktmanagement: Kathrin Kummer

Textredaktion: Birthe Schreiber

Umschlaggestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung eines Motives © Richard Jenkins Photography, London

E-Book-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3173-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Kapitel 1

Das Kinderzimmer im Pfarrhaus zu Heythram war kein großer Raum, aber an einem frostigen Januartag wurde dies in einem Haushalt, in dem der Kohlenverbrauch bedacht werden musste, von seinen Bewohnern nicht als Nachteil empfunden. Ein recht bescheidenes Feuer, das in dem hohen, vergitterten Kamin brannte, machte es wenigstens dreien von den vier jungen Damen, die sich in dem Zimmer aufhielten, unnötig, ihre Schultern in Schals zu hüllen.

Elizabeth, die jüngste von Reverend Henry Tallants hübschen Töchtern, litt gerade an Ohrenschmerzen. Sie hatte eine angeröstete Zwiebel in das schmerzende Ohr gesteckt und überdies Kopf und Hals in einen alten Kaschmirschal gewickelt. Sie kuschelte sich auf ein in die Jahre gekommenes Sofa und drückte den Kopf in ein abgenutztes rotes Kissen. Von Zeit zu Zeit ließ sie lang gezogene Seufzer hören, denen indessen keine der Schwestern irgendwelche Beachtung schenkte. Man wusste, dass Betsy gern kränkelte. Die allgemeine Auffassung war, dass das Klima von Yorkshire ihrer Konstitution nicht bekam. Da sie fast den ganzen Winter über unter allerlei Unpässlichkeiten litt, nahmen alle, bis auf die Mama, Betsys Anfälligkeit als etwas Selbstverständliches hin.

Mannigfache Anzeichen, auf dem Tisch inmitten des Raumes verstreut, ließen erraten, dass die jungen Damen sich in diesen gemütlichen, wenn auch schäbigen Raum zurückgezogen hatten, um Hemden zu säumen. Doch nur eine von ihnen, die älteste, oblag wirklich dieser Beschäftigung.

In einem Stuhl neben dem Kamin saß Miss Margaret Tallant, eine muntere Fünfzehnjährige, und war in die Lektüre eines Fortsetzungsromans versunken, den sie aus einem gebundenen Sammelband des Ladies’ Monthly Museum zusammensuchte. Am Tisch saß Miss Arabella, die vernachlässigte Näherei vor sich auf dem Tisch, die aus einem anderen Band dieser belehrenden Zeitschrift vorlas.

»Also, offen gesagt, Bella«, bemerkte Sophia und ließ den Band einen Augenblick sinken, »ich finde das höchst sonderbar! Hör doch nur, was da steht! ›Wir bieten unseren Abonnenten einige neueste Modeentwürfe, Modelle, die keinesfalls den Regeln des Anstands und der Würde widersprechen, aber der guten Laune ein Lächeln abzugewinnen und der Eleganz einen zusätzlichen Charme zu verleihen vermögen. Sparsamkeit muss die Parole des Tages sein‹.

Dazu bringen sie ein Bild eines bezaubernden Abendkleides – sieh doch nur, Bella! In der Beschreibung heißt es, dass das Leibchen aus blauer Seide gemacht ist und vorn mit Diamantenknöpfen zusammengehalten wird. Wundervoll!«

Ihre Schwester blickte von der Manschette auf, die sie gerade säumte, und musterte kritisch das originelle Modell, das in den Bemerkungen zur Mode abgebildet war. Sie seufzte und beugte ihren dunklen Kopf wieder über die Arbeit.

»Nun, wenn es das ist, was sie unter Sparsamkeit verstehen, dann kann ich bestimmt auch nicht nach London fahren, selbst wenn meine Patin mich einlädt. Aber sie wird es ja auch gar nicht tun, das weiß ich bestimmt«, fügte sie traurig hinzu.

»Du musst hinfahren, und du wirst es auch!«, erklärte Sophy entschlossen. »Bedenke doch, was das für uns alle bedeuten würde!«

»Ja, aber ich tue es nicht, wenn ich so armselig aussehe«, wandte Arabella ein. »Und solange es Pflicht ist, Diamantenknöpfe am Mieder zu tragen, weißt du ganz gut, dass ...«

»Ach, Unsinn! Das ist gewiss irgendeine ausgefallene Mode, oder die Knöpfe sind vielleicht aus Strass. Und überhaupt, das ist eine alte Ausgabe. In einer anderen habe ich gelesen, dass man jetzt am Vormittag überhaupt keinen Schmuck mehr trägt. Und so kannst du aller Wahrscheinlichkeit nach – wo ist denn der Band? Margaret, du hast ihn! Gib ihn mir mal! Du bist noch viel zu jung und interessierst dich noch nicht für solche Dinge!«

Margaret zog die Finger aus den Ohren und hielt den Band fest, nach dem die Schwester greifen wollte. »Nein, ich lese den Fortsetzungsroman!«

»Gerade das solltest du nicht. Du weißt, Papa sieht es nicht gern, wenn wir Romane lesen!«

»Wenn es darum geht«, erwiderte Margaret spöttisch, » kann ich nur sagen: Ihm gefiele es ebenfalls nicht, dass du nichts Besseres studierst als die letzten Moden.«

Sie sahen einander an; Sophys Lippen bebten. »Liebe Meg, bitte gib mir den Band, nur für einen Augenblick!«

»Schön, ich gebe ihn dir, wenn ich mit der Geschichte von Augustus Waldstein fertig bin. Aber nur für einen Augenblick!«

»Warte, da ist etwas Interessantes«, sagte Arabella, legte ihre Arbeit weg und blätterte in dem Band, den Sophia losgelassen hatte. » Hör zu, Meg! ›Wenn ein Frauenzimmer frühzeitig dem Romanlesen fröhnt, so ist es ungeeignet, Gefährtin eines vernünftigen Mannes zu werden oder einer Familie mit Anstand und Würde vorzustehen.‹

Da hast du es!« Sie blickte auf. Doch die Art, in der sie pfiffig den Mund spitzte, strafte ihre Augen Lügen.

»Ich meine, Mama ist nicht ungeeignet, die Gefährtin eines vernünftigen Mannes zu sein«, antwortete Margaret empört. »Und sie liest Romane! Und sogar Papa findet am Wanderer oder an Mrs. Edgeworths Erzählungen nichts auszusetzen!«

»Das nicht, aber es war ihm gar nicht recht, als er Bella dabei erwischte, als sie Die ungarischen Brüder oder Die Kinder der Abtei las«, sagte Sophia. Schnell nahm sie die Gelegenheit wahr, The Ladies’ Monthly Museum aus dem gelockerten Griff ihrer Schwester zu reißen. »Er hat ausdrücklich gesagt, dass in solchen Büchern viel Unsinn steht und dass ihre Moral auf betrübliche Weise zu wünschen übrig lässt.«

»In dem Fortsetzungsroman, den ich gerade lese, fehlt die Moral ganz und gar nicht«, erklärte Margaret aufgebracht. »Schau nur, was da steht, hier unten auf der Seite!

›Albert! Reinheit des Charakters ist deine höchste Pflicht!‹ Das kann er doch nicht missbilligen!«

Arabella rieb sich die Nasenspitze.

»Er würde vermutlich sagen, dass das schwülstiger Unsinn ist«, bemerkte sie. »Gib ihr das Buch schon zurück, Sophy!«

»Ich tue es, wenn ich gefunden habe, was ich hier suche. Übrigens bin ja gerade ich auf die Idee gekommen, diese Bände von Mrs. Caterham zu entleihen, also – ah, da ist es! Hier steht, dass vormittags nur Schmuck sehr schlichter Art getragen wird.« Und mit einem Unterton des Zweifels fügte sie hinzu: »Gar so schnell wechseln die Moden doch sogar in London nicht. Die Nummer ist erst drei Jahre alt.«

Die leidend auf dem Sofa liegende Elisabeth setzte sich behutsam auf. »Aber Bella hat doch überhaupt keinen Schmuck, nicht wahr?«

Diese Bemerkung, mit der natürlichen Unbefangenheit eines Mädchens von erst neun Jahren vorgebracht, wirkte wie ein Eimer eiskalten Wassers.

»Ich habe das goldene Medaillon mit den Locken von Papa und Mama an dem Kettchen«, verteidigte sich Arabella.

»Wenn du eine Tiara, einen ... Cestus – und ein Armband hättest, das könnte ausreichen«, sagte Sophy. »Hier ist ein Kleidungsstil beschrieben, zu dem das als angemessener Schmuck angegeben wird.« Die drei Schwestern betrachteten sie mit maßlosem Staunen.

»Was ist ein Cestus?«, fragten sie einstimmig.

Sophy schüttelte den Kopf. »Ich weiß es ja auch nicht«, gestand sie.

»Nun, Bella hat auf jeden Fall keinen Cestus«, rief Elisabeth vom Sofa herüber.

»Wenn sie so arm an Verstand wäre, aus einem so lächerlichen Grund nicht nach London zu fahren, würde ich sie nie mehr anschauen«, entschied Sophy.

»Natürlich würde ich mich deshalb nicht weigern«, rief Arabella zornig. »Aber es besteht nicht die geringste Aussicht, dass Lady Bridlington mich einlädt. Warum sollte sie auch? Bloß weil ich ihr Patenkind bin? Ich habe sie in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«

»Sie hat dir als Taufgeschenk einen sehr schönen Schal geschickt«, meinte Margaret hoffnungsvoll.

»Außerdem ist sie Mamas beste Freundin«, fügte Sophy hinzu.

»Aber auch Mama hat sie seit ... seit unzähligen Jahren nicht mehr gesehen.«

»Und sie hat Bella nie wieder etwas geschickt, nicht einmal zur Konfirmation!«, erklärte Betsy, zog die Zwiebel aus dem Ohr und warf sie ins Feuer.

»Wenn du keine Ohrenschmerzen mehr hast«, bemerkte Sophy mit skeptischem Blick, »kannst du das für mich fertigsäumen. Ich möchte ein Muster für die Falbeln entwerfen.«

»Mama hat gesagt, dass ich ganz still beim Feuer sitzen soll«, erwiderte die Patientin und setzte sich behaglicher zurecht. »Sind vielleicht Namensgedichte in diesen verstaubten alten Schmökern?«

»Nein. Und wenn welche darin wären, so würde ich die Bücher doch einem so ungehobelten Geschöpf wie dir nicht geben, Betsy«, erwiderte Sophy.

Betsy begann zu weinen, aber es klang nicht überzeugend. Währenddessen vertiefte Margaret sich wieder in ihren Fortsetzungsroman, und Arabella lenkte Sophias Aufmerksamkeit auf das Bild eines mit Hermelin besetzten Samtcapes. Niemand achtete auf Betsy. So wurde sie bald wieder still, schnüffelte nur von Zeit zu Zeit und warf ihren älteren Schwestern missgünstige Blicke zu.

Die Mädchen boten ein liebliches Bild, wie sie so dasaßen, die Arme einander um die Hüften gelegt, die dunklen Korkenzieherlocken ineinanderfließend. In ihren blauen, hochgeschlossenen, schmalärmeligen Kaschmirkleidchen waren sie bescheiden gekleidet. Anderen Schmuck als höchstens ein paar Bänder oder Schleifen kannten sie nicht. Die Kinder des Vikars waren alle von beachtlich gutem Aussehen und bedurften kaum einer Verschönerung.

Arabella konnte fraglos als die Schönheit der Familie gelten. In der Nachbarschaft aber galt es allgemein für ausgemacht, dass Sophia, wenn sie erst der Unbeholfenheit ihrer sechzehn Jahre entwachsen wäre, der älteren Schwester eine ernsthafte Rivalin werden konnte. Beide hatten sie große, dunkle ausdrucksvolle Augen, kleine, gerade Näschen und zartgeschwungene Lippen. Beide hatten einen Teint, der den Neid vom Glück minder begünstigter junger Damen erregen konnte und der gewiss nicht der dänischen Lotion, Ninons Blütenzauber oder sonst einem Schönheitsmittel zu verdanken war.

Sophia war die größere von beiden. Arabella jedoch hatte die bei weitem bessere Figur und die schlankeren Fesseln. Sophia wirkte robuster, Arabella bezauberte ihre Bewunderer durch den Anschein von Gebrechlichkeit. Dieser hatte einen romantisch gestimmten jungen Gentleman dazu bewogen, sie mit einem vom Winde verwehten Blatt zu vergleichen, und einen anderen gar, ein paar recht schlechte Verse an sie zu richten, in denen sie als die neue Titania angesprochen wurde.

Unglücklicherweise war das Blatt Harry in die Hände gefallen, und Harry hatte es Bertram gezeigt. Die beiden hatten darauf bestanden, ihre Schwester so lange mit diesem für sie komischen Namen zu begrüßen, bis Papa mit freundlichem Ernst erklärt hatte, der Scherz wäre nun aufgebraucht.

Wenn Betsy darüber nachsann, wie sehr man ihr unrecht tat, fand sie nichts Bewunderungswürdiges an ihren Schwestern. Sie wog gerade die Vorteile gegeneinander ab, sich von der alten Amme als Nesthäkchen verhätscheln oder sich zu Baby Jack hinaufrufen zu lassen, als die Tür aufflog und ein rundlicher Bursche von elf Jahren in Nankinghosen hereingestürmt kam und laut rief: »Hallo! Das ist einmal eine Geschichte! Mama ist bei Papa im Studierzimmer, und ich weiß, worum es geht!«

»Was gibt es denn?«, rief Sophia.

»Ja, das möchtest du wohl wissen«, sagte Harry, zog ein Stück Zwirn aus der Tasche und begann einen komplizierten Knoten zu schlingen. »Schau nur, wie ich das mache, Meg! Ich kann jetzt schon sechs von den wichtigsten Schifferknoten! Wenn Onkel James Captain Bolton nicht dazu bringt, dass er mich auf die nächste Fahrt mitnimmt, dann ist es die größte Affenschande, von der ich je gehört habe!«

»Du bist doch nicht hierhergekommen, um uns das zu sagen«, meinte Arabella. »Was gibt’s also?«

»Ach, das ist wieder nur so eine Wichtigtuerei von Harry«, sagte Margaret.

»Gar nicht«, gab der Bruder zurück. »Joseph Eccles ist im Weißen Hirsch gewesen und hat die Post mitgebracht.« Er sah, dass es ihm gelungen war, die Spannung seiner Schwestern auf den Höhepunkt zu treiben und grinste sie an. »Aha, jetzt macht ihr Augen! Es ist ein Brief aus London dabei, für Mama. Und irgendein Lord ist der Absender, ich habe es selbst gesehen.«

Margarets Buch glitt zu Boden, Sophia ließ einen Seufzer hören, Arabella sprang von ihrem Stuhl auf. »Harry! Doch nicht – oh, doch nicht von meiner Patin?«

»Nun, warum nicht?«, fragte Harry.

»Wenn er aus London kommt, muss er von Lady Bridlington sein«, erklärte Sophia. »Arabella, jetzt glaube ich, dass unser Glück unterwegs ist!«

»Ich trau mich nicht, es für möglich zu halten«, sagte Arabella schwach. »Verlass dich darauf, sie hat nur geschrieben, dass sie mich nicht einladen kann.«

»Unsinn«, erwiderte ihre praktisch veranlagte Schwester. »Wenn es das wäre, warum sollte Mama mit dem Brief zu Papa ins Studierzimmer laufen? In meinen Augen ist die Sache schon geklärt. Du fährst für die Saison nach London.«

»Ach, wenn es nur so wäre!«, seufzte Arabella zitternd.

Harry, der das Knotenschnüren aufgegeben hatte, um einen Kopfstand zu versuchen, verlor das Gleichgewicht und rollte auf den Boden. Dabei riss er einen Stuhl, Sophias Handarbeitskörbchen und einen Kaminschirm mit sich, den Margaret gerade bemalt hatte, als sie der größeren Anziehungskraft des Ladies’ Monthly Museum erlag. Die Schwestern baten ihn zwar, kein solcher Affe zu sein, äußerten aber sonst nichts über seine Ungeschicklichkeit.

Er kam wieder auf die Beine und erklärte unwirsch, nur ein Mädchen könne wegen einer Fahrt nach London so viel Aufhebens machen.

»So eine Belanglosigkeit! Möchte nur wissen, was ihr euch einbildet! Was wirst du dort schon groß anfangen?«

»Ach, Harry, wie kannst du nur so dummes Zeug zusammenreden? Denk doch nur, Theater, Bälle, Gesellschaften!«, brachte Arabella hervor.

»Und ich habe mir eingebildet, dass du nach London fährst, um eine gute Partie zu machen«, sagte Betsy. »Und das hat auch Mama gesagt, ich habe es selber gehört.«

»Jedenfalls war es nicht schicklich, zu lauschen«, bemerkte Sophia verweisend.

»Was ist eigentlich eine gute Partie?«, fragte Harry und begann mit ein paar Spulen Nähseide, die aus dem Arbeitskörbchen auf den Boden gerollt waren, artistische Kunststücke zu vollführen.

»Weiß ich nicht.«

»Aber ich weiß es!«, bot die kränkelnde Elisabeth ihr Wissen an. »Eine gute Partie ist eine glänzende Heirat. Und wenn Bella die gemacht hat, dann wird sie Sophy und Meg und mich nach London einladen, und wir alle werden reiche Männer finden.«

»Das werde ich bestimmt nicht tun, darauf kannst du dich verlassen«, erklärte Arabella. »Dich wird keiner irgendwohin einladen, bevor du dir ein besseres Benehmen angeeignet hast.«

»Nun, Mama hat das so gesagt«, argumentierte Betsy weinerlich, »und du musst dir nicht einbilden, dass ich von so etwas gar nichts verstehe, nur, weil ...«

Sophia fiel ihr ins Wort: »Wenn du nicht willst, Betsy, dass ich Papa auf der Stelle erzähle, wie sehr es dir an Zartsinn und Anstand fehlt, dann rate ich dir, sofort ins Babyzimmer zu verschwinden – dahin gehörst du!«

Diese Drohung verfehlte ihre Wirkung nicht. Betsy murmelte etwas, wovon nur zu verstehen war, dass ihre Schwestern abscheuliche Dinger wären. Sie trat, ihren Schal hinter sich herziehend, den Rückzug an.

»Man muss ihr die Kränklichkeit zugutehalten«, sagte Arabella wohlmeinend.

»Ein vorlauter Fratz ist sie«, erwiderte Sophy. »Man könnte schon eine angemessenere Denkweise von ihr erwarten! Ach, Bella, wenn du wenigstens das Glück hättest, eine gute Partie zu machen! Falls Lady Bridlington dich wirklich in die Gesellschaft einführt, muss dir das gelingen! Denn du bist wirklich bei weitem das hübscheste Mädchen, das ich je gesehen habe!«, fügte sie großmütig hinzu.

»Puh!«, sagte Harry, um auch sein Scherflein zur Unterhaltung beizutragen.

»Nun ja«, meinte Margaret, »aber wenn sie dazu Diamantenknöpfe, Tiara und ... diese anderen Dinger, von denen du gesprochen hast, braucht, dann weiß ich wirklich nicht, wie das zustande kommen soll.«

Düsteres Schweigen folgte diesen Worten. Sophia war die Erste, die wieder Worte fand. »Irgendwie muss man das eben zuwege bringen«, erklärte sie entschlossen.

Darauf wusste niemand eine Antwort. Arabella und Margaret schienen ernstlich darüber nachzudenken. Harry hatte derweil eine Schere gefunden und schnitt Stopfwolle in kleine Stückchen. Mitten in dieses versonnene Schweigen brach ein junger Gentleman, der just an der Schwelle zwischen Jünglingsalter und Mannheit stand.

Er war ein hübscher Junge, heller als seine ältere Schwester, aber ihr im Wesen verwandt. Die beunruhigende Höhe seines Kragens und die etwas gewollte Unordnung, in der er sein lockiges, kastanienbraunes Haar trug, deuteten an, dass er in seiner affektierten modischen Art schon an Dandytum grenzte.

Der Schneider aus Knaresborough, der sich der Kundschaft dieses jungen Herrn erfreute, konnte sich zwar gewiss nicht mit einem Weston oder Stultz messen, aber er hatte sein Bestes getan. Dabei waren ihm die untadeligen Proportionen seines Kunden zugutegekommen.

Mr. Bertram Tallant wusste einen Rock mit Grazie zu tragen und verfügte über ein Paar elegant geformter Beine, die augenblicklich in einer bocksledernen Kniehose steckten In seinem Garderobeschrank hatte er allerdings auch gelbe Pantalons, durch die er, das war seine Überzeugung, demnächst zu einem wahren Ausbund modischer Eleganz werden würde. In seinen hohen Stiefel konnte man sich spiegeln, obwohl seine Eltern unglücklicherweise nicht in der Lage waren, ihrem Zweitältesten den Champagner bereitzustellen, der nun einmal zum wirklichen Stiefelwichsen unerlässlich ist. Die Spitzen seines Vatermörderkragens waren, den liebevollen Händen seiner Schwestern zu Dank, so steif gestärkt, dass er kaum den Kopf darin bewegen konnte.

Wie sein älterer Bruder James, der sich zurzeit in Oxford befand, um sich auf den geistlichen Stand vorzubereiten, war er in Harrow erzogen. Er hatte aber fürs Nächste seinen Aufenthalt zu Hause genommen, um sich unter der Aufsicht seines Vaters während der Osterferien auf das erste Examen vorzubereiten. Dieser Aufgabe hatte er sich ohne sonderlichen Enthusiasmus zugewandt, denn sein eigentlicher Ehrgeiz zielte darauf hin, in einem Husarenregiment als Kornett unterzukommen. Dazu waren aber achthundert Pfund, nicht mehr und nicht weniger, nötig. Die Beendigung des langen Krieges mit Bonaparte aber hatte die Aussichten, anders als durch Einkauf ein Patent zu erlangen, so verschlechtert, dass Mr. Tallant vernünftigerweise zu der Ansicht gekommen war, eine bürgerliche Beschäftigung sei mit geringeren Opfern verbunden als die Militärkarriere.

Mr. Tallants Idee war es, Bertram, wenn er erst einen akademischen Grad erlangt hatte, zu einer Zierde des Innenministeriums zu machen. Erste Zweifel, ob das flatterhafte Wesen seines Sprösslings auf eine Eignung zum Dienst im Home Office schließen lasse, ließen sich mit dem Einwand zerstreuen, dass Bertram ja schließlich erst achtzehn Jahre zählte. Oxford, wo er selbst seinerzeit drei Studienjahre verbracht hatte, würde ohne Zweifel einen ausgleichenden Einfluss auf den Charakter des jungen Menschen ausüben.

Der künftige Parlamentskandidat kündigte seinen Einzug in das Zimmer der jungen Mädchen mit einem gedämpften Halali an und ließ ohne Übergang die Feststellung folgen ließ, gewisse Leute wären eben vom Glück begünstigt.

Arabella schlug die Hände über der Brust zusammen und richtete ihre sprechenden Augen auf ihn. »Bertram, ist es also wirklich wahr? Spanne mich jetzt nicht auf die Folter – tu es nicht, bitte!«

»Bei Gott, es ist wahr, aber woher wisst ihr davon?«

»Von Harry natürlich«, antwortete Sophia. »In diesem Hause erfahren ja die Kinder alles zuerst.«

Bertram nickte mürrisch und deutete die Gebärde des Ärmelaufkrempelns an. »Ihr mögt ihn nicht hier haben: Soll ich ihn hinausbefördern?«

»Hoho!«, schrie Harry, sprang auf die Füße und stellte sich dem Älteren gut gelaunt gegenüber. »Boxen wir?«

»Nicht hier!«, riefen die Schwestern einhellig.

Da sie aber nicht damit rechnen konnten, dass ihr Einwand beachtet würde, beeilten sich die jungen Damen, ihr persönliches Eigentum aus der Gefahrzone zu entfernen. Das war auch besser so, da der kleine Raum mit allerlei Schnickschnack angefüllt war.

Die Brüder hatten einen Schlagwechsel, der ein oder zwei Minuten dauerte; doch war Harry, wenngleich ein zäher Bursche, für Bertram kein Gegner. So sah er sich bald aus dem Zimmer hinausbefördert, und die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Er versetzte der Füllung noch einige zornige Tritte, bedrohte den Älteren mit furchtbaren Gegenmaßnahmen und zog sich dann pfeifend zurück. Bertram, der die Schulter gegen die Tür gestemmt hatte, konnte nun an den Tisch treten und sein Halstuch arrangieren.

»Ja, ja, du fährst«, informierte er Arabella. »Ich wollte nur, ich hätte auch eine reiche Patin! Meine alte Mrs. Calne hat nie etwas für mich getan, davon abgesehen, dass sie mir ein Buch geschenkt hat, christlicher Trost, dass einem die Haare zu Berg stehen können!«

»Ich muss schon sagen, dass das außerordentlich schäbig von ihr war«, bestätigte Margaret. »Sogar Papa hat damals gesagt, dass Mrs. Calne annehmen musste, dass du davon genug in seiner Bibliothek finden würdest.«

»Nun ja, Papa weiß, dass ich einen anderen Geschmack habe. Es spricht für ihn, dass er solche Lektüre nicht von mir verlangt. Er mag verteufelt steif und voll altmodischer Ideen sein, aber er hat ein Herz und plagt einen nicht mit Humbug.«

»Ja, ja«, erwiderte Arabella ungeduldig, »aber erzähle uns lieber, ob er schon von diesem Brief weiß! Wird er mir erlauben zu fahren?«

»Na, besonders begeistert ist er wohl nicht, aber er sagt, dass er dir nicht im Weg stehen möchte. Er will sich darauf verlassen, dass du dich in Gesellschaft geziemend benimmst, dir nicht den Kopf verdrehen lässt und nicht frivoler Weltlichkeit verfällst. Was das betrifft«, fügte Bertram mit brüderlicher Offenheit hinzu, »so glaube ich kaum, dass du inmitten all dieser Edelfräulein sehr auffallen wirst. Es besteht also wenig Gefahr, dass dir etwas zustößt.«

»Gewiss wird mir niemand den Kopf verdrehen«, sagte Arabella. »Aber erzähle doch – was hat Lady Bridlington geschrieben?«

»Weiß ich nicht. Ich saß da eben über einem altgriechischen Gefasel und versuchte Sinn hineinzubringen, da kam Mama ins Zimmer, und ich habe zuerst nur mit halbem Ohr zugehört. Sie wird dir gewiss alles sagen. Eigentlich hat sie mich nur hierhergeschickt, um dir zu bestellen, dass du in ihr Ankleidezimmer kommen sollst.«

»Du lieber Himmel, und das konntest du nicht früher sagen?«, rief Arabella, stopfte ihr halbfertiges Hemd in den Arbeitskorb und flog aus dem Zimmer.

Das Pfarrhaus hatte zwar nur zwei Stockwerke, war aber ein geräumiges, altmodisches Gebäude. Um zu Mrs. Tallants Ankleidezimmer zu gelangen, musste Arabella mehrere Gänge überqueren, die alle mit abgetretenen Läufern belegt und ausnahmslos sehr zugig waren.

Heythram war eine ansehnliche Pfarrei, die ihre dreihundert Pfund im Jahr einbrachte. Der derzeitige Inhaber konnte zu diesem Betrag zwar noch eine kleine Rente hinzufügen, doch waren die Mittel der Familie begrenzt.

Der Vikar, Sohn eines nicht unbegüterten Gentlemans, hatte seinerzeit die schöne Miss Theale geheiratet. Von dieser durfte man erwarten, dass sie höher hinauswollte und sich nicht mit einem jüngeren Sohn – so hübsch dieser auch sein mochte – zufriedengeben würde.

Zu der Zeit, da diese Heirat gegen den Willen ihrer Familie zustande kam, wurde allgemein gesagt, dass sie gut und gern einen Baron hätte erwischen können. Stattdessen hatte sie sich auf den ersten Blick in Henry Tallant verliebt. Da er aber von guter Familie war und ihre Eltern noch für andere Töchter zu sorgen hatten, war man schließlich auf ihren Willen eingegangen. Und auch wenn sie sich gelegentlich wünschte, dass die Pfarre höher dotiert wäre und dass Henry nicht gleich bei jedem Bettler in die Tasche griffe, hatte sie nie Grund gehabt, ihre Wahl zu bereuen.

Gewiss hätte sie im Pfarrhaus gern eines der neuen Wasserklosetts oder einen Patentküchenherd gesehen oder, wie ihr Schwager in der »Hall«, in allen Räumen Wachskerzen gebrannt, ohne dabei Herzklopfen zu bekommen. So war sie doch eine vernünftige Frau. Auch wenn das offene Feuer in der Küche rußte oder bei schlechtem Wetter der Weg zur einzig vorhandenen Toilette mit Wasserspülung nicht gerade angenehm war, blieb sie sich doch stets der Tatsache bewusst, dass sie mit ihrem Henry glücklicher geworden war, als sie es mit dem fast vergessenen Baron geworden wäre.

Sie und ihr Mann waren der Ansicht, dass auf jeden Fall die Söhne – was immer aus den Töchtern werden mochte – die Vorteile einer guten Ausbildung genießen mussten. Während im Hause fleißig gespart wurde, um James und Bertram in Harrow ein anständiges Leben zu sichern, hatte Mrs. Tallant trotzdem ihren stillen Ehrgeiz auf die Zukunft ihrer ältesten und schönsten Tochter gerichtet. Sie bedauerte nicht, dass es ihr selbst versagt geblieben war, über York und Scarborough hinaus zu glänzen. Dennoch war sie entschlossen, ihre Arabella nicht in eine solche Enge zu zwängen.

Vielleicht hatte diese Hoffnung bereits eine Rolle in ihren Gedanken gespielt, als sie ihre Schulfreundin Arabella Haverhill, die eine so glänzende Ehe geschlossen, bat, die Patenschaft zu übernehmen.

So war der Wunsch, die junge Arabella unter den wachsamen Augen Lady Bridlingtons ihr Debüt in der Gesellschaft nehmen zu lassen, keineswegs neu. All die Jahre hindurch war eine zwar nicht häufige, aber doch regelmäßige Korrespondenz mit der Jugendfreundin aufrechterhalten worden. Die Pfarrersfrau konnte so mit einiger Berechtigung annehmen, dass die harmlose Gutmütigkeit der plumpen, aber herzlichen Miss Haverhill, auch in einem Leben des Wohlstandes nicht gelitten hatte.

Lady Bridlington war selbst nicht mit Töchtern gesegnet – sie hatte nur ein einziges Kind, einen Sohn, der sieben oder acht Jahre älter war als Mrs. Tallants Tochter: Doch von ihrer Freundin aus betrachtet, war dies keineswegs ein Nachteil. Die Mutter einer Schar zu den schönsten Hoffnungen berechtigenden Mädchen mochte noch so gutmütig sein, niemand durfte von ihr erwarten, dass sie ein anderes junges Frauenzimmer auf der Suche nach einer guten Partie unter ihre Fittiche nahm.

Eine in angenehmen Verhältnissen lebende Witwe aber, die an eleganten Vergnügungen Freude hatte und keine Töchter in die Welt zu lancieren brauchte, mochte die Gelegenheit geradezu begrüßen, einen jungen Schützling auf Bälle und Empfänge zu bringen, an denen sie selbst ihr Vergnügen fand. Mrs. Tallant konnte sich das gar nicht anders vorstellen. Und sie erfuhr auch keine Enttäuschung.

Lady Bridlington beschrieb einige Blätter goldgeränderten Papiers mit ihren lang gezogenen Lettern, um ihre Bereitwilligkeit zum Ausdruck zu bringen. Nichts auf der Welt machte ihr mehr Vergnügen, als junge Menschen um sich zu haben. Seit jeher hatte sie es – so schrieb sie – zutiefst bedauert, keine eigene Tochter zu haben. Und da sie nicht bezweifelte, dass sie die Tochter ihrer viel geliebten Sophia sofort ins Herz schließen werde, sah sie ihrem Eintreffen jetzt nur noch mit größter Ungeduld entgegen.

Mrs. Tallant hatte es gewiss nicht nötig, den eigentlichen Zweck zu erörtern. Henry Tallant mochte wohl der Ansicht sein, dass aus Lady Bridlingtons Briefen nur Unverstand und Frivolität spreche. Ihrer Ladyschaft mangelte es vielleicht an geistiger Tiefe, aber keineswegs an praktischem Verstand. Sie schrieb, Sophia möge unbesorgt sein: Nichts würde unterlassen werden, um Arabella eine gute Partie zu verschaffen. Man habe, so wurde angedeutet, bereits einige in Betracht kommende Junggesellen im Auge.

So war es kein Wunder, dass Arabella, als sie in das Ankleidezimmer ihrer Mutter gestürmt kam, die verehrungswürdige Lady in freundliche Tagträume versunken fand.

»Mama?«

»Arabella! Komm herein, Liebste, und schließe die Tür hinter dir! Deine Patin hat geschrieben, und zwar so gütig wie möglich! Das gute Geschöpf! Ich wusste immer, dass ich auf sie zählen kann!«

»So ist es also wahr? Soll ich reisen?«

»Ja! Sie bittet mich, dich so bald wie möglich zu schicken. Anscheinend unternimmt der junge Bridlington eine Reise auf den Kontinent, und ihr ist schon jetzt bang davor, in ihrem großen Haus allein zu leben. Ich kann mir vorstellen, wie ihr zumute sein muss! Gewiss wird sie dich wie eine eigene Tochter behandeln. Ach, meine Liebste, ich habe sie wahrhaftig nicht darum gebeten, aber sie selbst hat angeboten, dich in die Gesellschaft einzuführen.«

Diese atemraubende Aussicht ließ Arabella kein Wort hervorbringen. Sie konnte ihre Mutter nur anstarren, während diese all die Freuden aufzuzählen begann, die der Tochter bevorstanden.

»Es ist wirklich alles, was ich mir für dich wünsche! Ich bin ganz sicher, dass sie dir eine Einladung bei Almack besorgen kann – sie kennt ja alle die Patronessen! Konzerte! Theater! Alle die tonangebenden Salons – Frühstücke, Jours, Bälle, meine Liebe, du wirst wirklich alle Chancen haben! Es ist gar nicht auszudenken! Stell dir nur vor, sie schreibt sogar – aber nein, reden wir nicht davon!«

Jetzt hatte Arabella ihre Stimme wiedergefunden. »Mama, wie sollen wir das nur möglich machen? Die Kosten! Ich kann doch nicht ... ich kann doch nicht ohne Garderobe nach London fahren!«

»Nein«, sagte Mrs. Tallant lachend, »das würde wohl einen recht komischen Eindruck machen, Liebste!«

»Du verstehst mich doch, wie ich es meine, Mama! Ich habe nur zwei Ballkleider! Sie gehen wohl zur Not, wenn in Harrowgate Reunion ist, oder zu Bällen im Country-Klub. Aber ich weiß bestimmt, dass sie nicht elegant genug für Almack sind. Sophy hat sich von Mrs. Caterham das Monthly Museum ausgeliehen, und ich habe mir die Kleider angeschaut. Es ist niederschmetternd! Alles muss mit Diamanten und Hermelin und echten Spitzen besetzt sein!«

»Liebe Arabella, rege dich doch nicht auf! All das ist bedacht, glaube mir! Du musst dir nicht vorstellen, dass ich das alles nicht von langer Hand geplant habe.« Sie blickte in das verwunderte Gesicht ihrer Tochter und lachte wieder auf. »Oder hast du geglaubt, ich würde dich nach London schicken, angezogen wie eine Landpomeranze? Nein, solch eine Närrin bin ich hoffentlich denn doch nicht! Ich habe, ich weiß gar nicht wie lange, für diesen Augenblick gespart.«

»Mama!«

»Ich habe ein eigenes kleines Vermögen, wie du weißt«, erklärte Mrs. Tallant. »Euer Papa hat es nie in Anspruch nehmen wollen, ich sollte es nach eigenem Gutdünken verwenden. Ich hatte ja immer solche Freude an hübschen Dingen, und ihm war der Gedanke unerträglich, dass ich sie entbehren sollte, wenn ich ihn heirate. Natürlich war das alles Unsinn, und ich habe mich gar bald daran gewöhnt, meine Gedanken nicht mehr auf solche Albernheiten zu wenden. Doppelt froh aber war ich, dass ich das Geld für meine Kinder zur Verfügung hatte. Margarets Zeichenstunden, Sophys Musiklehrer, Bertrams neuer Rock und gar die gelben Pantalons, die er Papa gar nicht zu zeigen wagt – hat es je einen so närrischen Jungen gegeben? Als ob Papa nicht längst alles wüsste! Und Betsy muss dreimal im Jahr den Doktor haben! Trotz alldem habe ich etwas für dich zurückbehalten!«

»Ach, Mama, nein«, rief Arabella bedrückt, »da will ich lieber nicht nach London fahren, wenn so schreckliche Opfer dafür gebracht werden!«

»Dein Verstand ist ganz aus den Fugen geraten, Liebste«, erwiderte die Mutter gelassen. »Ich fasse diese Ausgaben als Anlage auf, und es sollte mich sehr wundern, wenn nicht eine Menge Gutes daraus entsteht.«

Sie zögerte, sah ein wenig bedrückt drein und sagte dann, mit sorgsam gewählten Worten: »Ich brauche dir ja nicht zu erklären, dass Papa ein wahrer Heiliger ist. Ich glaube nicht, dass es je einen besseren Mann oder Vater auf Erden gegeben hat! Aber praktischen Verstand hat er nicht. Wenn jemand aber für acht Kinder zu sorgen hat, so muss er schon ein bisschen weltlichen Verstand besitzen, sonst wüsste ich nicht, wie alles zustande kommen soll.

Wegen des braven James brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, das ist klar. Und da Harry sich in den Kopf gesetzt hat, zur See zu gehen, und sein Onkel es übernommen hat, sich um ihn zu kümmern, scheint auch seine Zukunft gesichert. Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich um den armen Bertram ein wenig sorge. Und wo ich hier in dieser ländlichen Abgeschiedenheit passende Ehemänner für euch Mädchen auftreiben soll, weiß ich wirklich nicht. Vielleicht spreche ich die Dinge eindeutiger aus, als es Papa recht wäre, aber du bist ein vernünftiges Mädchen, Arabella, und ich habe keine Bedenken, vor dir offen zu sein. Wenn es mir gelingt, dich gut unterzubringen, so wirst du deine Schwestern in die Gesellschaft einführen. Und, falls du das Glück haben solltest, einen Mann in guter gesellschaftlicher Stellung zu heiraten, wirst du sogar in der Lage sein, Bertram zu seinem Patent zu verhelfen. Ich meine natürlich nicht, dass dein Gatte ihn einkaufen soll, das nicht, aber vielleicht hat er Beziehungen zu den berittenen Garden oder etwas dergleichen.«

Arabella nickte. Ihr war es nichts Neues, dass von ihr, der ältesten von vier Schwestern, eine vorteilhafte Heirat erwartet wurde. Es war eben ihre Pflicht, so zu handeln.

»Mama«, sagte sie ernst, »ich will versuchen, dich nicht zu enttäuschen.«

Kapitel 2

Es war unter allen Kindern des Vikars abgemacht, dass Mama Wunder vollbracht haben musste, um von Papa die Erlaubnis zu Arabellas Reise nach London zu erwirken. In seinen Augen gab es kaum etwas Verwerflicheres als Eitelkeit und Vergnügungssucht, obwohl er nie etwas dagegen hatte, dass Mama Arabella und Sophia zu den Reunionen in Harrowgate brachte. Er hatte sich sogar gelegentlich wohlwollend für ihre Ballkleider interessiert.

Dennoch liebte er es, zu betonen, dass solche an sich unschuldigen Zerstreuungen den Charakter des tugendhaftesten Frauenzimmers unfehlbar verderben mussten, wenn man die Freude an ihnen übertrieb. Der Vikar selbst machte sich nichts aus Geselligkeit und sprach recht oft abschätzig über das nutzlose und frivole Leben der Modedamen. An einem guten Scherz konnte er sein Vergnügen haben, aber Leichtsinn verabscheute er, leeres Geschwätz war ihm unerträglich, und sobald ein Gespräch sich alltäglichen Gegenständen zuwandte, gab er ihm sofort eine andere Richtung.

Dass Lady Bridlington Arabella einlud, war für den Vikar keine Überraschung. Er wusste, dass Mrs. Tallant mit ihrer Jugendfreundin korrespondierte. Auch wenn er das Hauptmotiv, um dessentwillen seine Tochter in die Gesellschaft eingeführt werden sollte, nicht gerade billigte, so gab es andere Argumente, die dafür sprachen.

»Mein lieber Mr. Tallant«, sagte seine Frau, »über die Vorteile einer guten Partie brauchen wir doch wirklich keine Worte zu verlieren. Auch du kannst nicht abstreiten, dass Arabella ein ungewöhnlich hübsches Mädchen ist.«

Mr. Tallant räumte das ein und fügte nachdenklich hinzu, dass Arabella ihn oft, sogar gegen seinen Willen, daran erinnere, wie ihre Mutter im gleichen Alter ausgesehen habe. Mrs. Tallant war nicht unempfindlich für solche Schmeichelei. Sie errötete, sah ihn ein wenig schelmisch an, sagte aber dann, er möge sie nicht »auf den Arm nehmen« (ein Ausdruck, den sie von ihren Söhnen aufgeschnappt hatte).

»Ich möchte dir nur klarmachen, Mr. Tallant«, erklärte sie, »dass Arabella geeignet ist, sich in den allerbesten Kreisen zu bewegen.«

»Liebste«, erwiderte der Vikar und warf ihr einen seiner spöttischen Blicke zu, »wenn ich das, was du sagst, ernst nähme, müsste ich dir etwas auseinandersetzen. Es ist meine Pflicht dir zu sagen, dass deine Bestrebungen, sich einer Heirat wegen in den besten Kreisen zu bewegen, nichts ist, das ich für eine meiner Töchter anstrebe. Da ich aber überzeugt bin, dass du noch eine Unmenge anderer Argumente vorzubringen hast, so will ich um des lieben Friedens willen stillhalten und bitte dich, in deiner Rede fortzufahren.«

»Nun ja«, sagte Mrs. Tallant ernst, »ich stelle mir vor – du musst mich eines Besseren belehren, wenn ich irren sollte –, dass du eine Verbindung mit den Draytons in Knaresborough nicht gerade begrüßen würdest.«

Der Vikar sah seine Gattin verwundert an.

»Der junge Joseph Drayton schenkt Arabella neuerdings seine besondere Aufmerksamkeit«, sagte Mrs. Tallant gedämpft. Die Wirkung dieser Mitteilung entging ihr nicht, und so fuhr sie ermutigt fort: »Ich bin mir natürlich darüber im Klaren, dass er als eine gute Partie gilt, denn er wird das Vermögen seines Vaters erben.«

Jetzt ließ sich der Vikar zu einer geradezu unchristlichen Äußerung hinreißen. »So etwas würde ich nie dulden! Er riecht ja nach dem Gewürzladen!«

»Wahrhaftig«, bestätigte Mrs. Tallant, »aber seit sechs Monaten bemüht er sich um Arabella.«

»Willst du etwa behaupten, dass meine Tochter ihn in seiner Aufmerksamkeit ermutigt?«

»Keinesfalls! Ebenso wenig wie sie die Aufmerksamkeit des Kuraten ermutigt oder den jungen Dewsbury, Alfred Hitchin, Humphrey Finchley und ein Dutzend andere. Arabella, mein Lieber, ist die gefeiertste Schönheit weit und breit.«

»Du lieber Himmel«, sagte der Vikar und schüttelte verwundert den Kopf. »Ich muss zugeben, dass mir keiner dieser jungen Gentlemen als Schwiegersohn willkommen wäre.«

»So hegst du vielleicht die Hoffnung, dass Arabella ihren Cousin Tom heiratet?«

»Nichts läge mir ferner!«, wehrte der Vikar heftig ab. Doch mäßigte er sich sofort wieder und fügte in ruhigerem Ton hinzu: »Mein Bruder ist ein sehr würdiger Mann, seinem Niveau angemessen, und ich wünsche seinen Kindern nur das Beste. Doch ist es mir aus Gründen, die ich wohl nicht aufzuzählen brauche, keineswegs ein Anliegen, meine Töchter mit ihren Vettern vermählt zu sehen. Übrigens bin ich überzeugt, dass er für Tom und Algernon anderes plant.«

»Bestimmt«, bestätigte Mrs. Tallant mit Überzeugung. »Er wünscht sich Erbinnen für sie.«

Der Vikar warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Und hat meine Tochter für einen dieser jungen Menschen Zuneigung bekundet?«, fragte er.

»Ich glaube nicht. Zumindest zieht sie keinen von beiden besonders vor. Wenn aber ein junges Mädchen keine anderen Gentlemen zu sehen bekommt als jene, die ihr nicht von der Seite gehen, seit sie den Kinderschuhen entwachsen ist, mein lieber Mr. Tallant, was soll dabei herauskommen? Der junge Drayton verfügt über ein ansehnliches Vermögen. Ich will nicht sagen, dass Arabella an solche Dinge denkt, aber es ist nun einmal so, man kann das nicht abstreiten. Ein Mann, der einen hübschen Wagen fährt und einem jungen Frauenzimmer alle möglichen kleinen Aufmerksamkeiten bietet, erlangt einen Vorteil über seine Rivalen.«

Ein vielsagendes Schweigen folgte, während sich dieser Gedanke im Gehirn des Vikars verankerte. Schließlich sagte er fast traurig: »Ich hatte mich der Hoffnung hingegeben, dass sich eines Tages von selbst eine Partie bieten würde, ein Bewerber, dem ich Arabella mit dankbarem Herzen anvertrauen könnte.«

Mrs. Tallant warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Schön und gut, aber es wäre recht unsinnig anzunehmen, dass derlei geschieht, wenn man nichts dazu beiträgt! Wünschenswerte Partien kommen einem hier auf dem Lande nicht auf Zauberflügeln ins Haus geflogen! Man muss in die Welt hinausgehen, um sie zu finden.«

Sie sah, dass sich das Gesicht des Vikars schmerzlich verzog, und lachte auf. »Sag jetzt nicht, dass es bei uns anders war. Du weißt recht gut, dass ich dich auch auf einer Gesellschaft in York kennengelernt habe. Zugegeben, meine Mama hat mich nicht gerade dahin gebracht, damit ich mich in dich verliebe, aber du musst einräumen, dass du mich nie kennengelernt hättest, wenn ich zu Hause gesessen und auf dich gewartet hätte.«

Er schmunzelte. »Du hast eine Art, Argumente vorzubringen, die einem das Antworten schwermacht, Liebste. Dennoch gefällt mir die Sache nicht recht. Arabella ist gewiss ein wohlerzogenes Mädchen, aber sie ist noch sehr jung. Manchmal beunruhigt mich der Gedanke, dass sie, wenn es ihr an weiser Führung fehlt, Unziemliches tun könnte. Unter Lady Bridlingtons Dach wird sie, fürchte ich, ein Leben planloser Zerstreuungen führen, das sie vielleicht für einen vernünftigen Umgang ungeeignet macht.«

»Verlass dich auf mich«, beschwichtigte ihn Mrs. Tallant. »Sie ist viel zu brav, als dass wir uns da Sorgen zu machen brauchten. Sie ist zu vernünftigen Anschauungen erzogen worden und wird schon nicht den Kopf verlieren. Natürlich kann sie auch sehr ausgelassen sein, eben weil sie bis jetzt nicht den Vorteil genossen hat, in der Stadt den letzten Schliff zu erhalten. Gewiss wird ihr eine im Hause Bella Bridlingtons verbrachte Saison zu einer gewissen Weltgewandtheit verhelfen. Und wenn – beachte das wohl, ich sage: wenn –, kurz, wenn sich dabei eine günstige Chance ergibt, wirst du selbst so froh sein wie nur irgendeiner.«

»Gewiss wäre es mir lieb, wenn ich sie gut untergebracht wüsste - als Frau eines respektablen Mannes.«

»Nicht als Frau des jungen Dewsbury«, warf Mrs. Tallant ein.

»Bestimmt! Ich könnte mir nicht denken, dass eines meiner Kinder mit einem Mann glücklich würde, den ich – so unlieb mir solche Gedanken auch sind – reichlich vulgär finde.«

»Wenn dem so ist«, sagte Mrs. Tallant und stand frohgemut auf, »will ich Lady Bridlington schreiben, dass wir ihre freundliche Einladung annehmen.«

»Du musst tun, was du für richtig hältst«, sagte er. »Ich habe dir nie reingeredet, wenn du für deine Töchter etwas richtig fandest.«

So kam es, dass der Vikar, als er an diesem denkwürdigen Tag um vier Uhr zum Dinner erschien, seine Familie durch eine scherzhafte Anspielung auf Arabellas geplante Reise überraschte. Nicht einmal Betsy hätte es gewagt, ein Wort darüber zu verlieren, denn es wurde allgemein angenommen, dass er den Gedanken missbilligen würde.

Nachdem aber das Tischgebet gesprochen war und die Familie sich um den langen Tisch gereiht hatte, begann Arabella recht ungeschickt das Huhn zu tranchieren. Der Vikar, der seine eigene Mahlzeit unterbrach, sah, wie sie einen lädierten Hühnerflügel auf den Teller legte, sagte zwinkernd: »Nun, Arabella wird Unterricht im Tranchieren nehmen müssen, bevor sie in Gesellschaft geht, sonst blamiert sie uns alle mit ihrer Ungeschicklichkeit. Es wird keinen guten Eindruck machen, Liebste, wenn du ein Gericht in den Schoß deines Nachbarn bugsierst. Gerade das scheinst du im Moment aber tun zu wollen!«

Arabella protestierte errötend. Sophia erholte sich als Erste von dem Schrecken, Papa so gutlaunig über den Londoner Plan sprechen zu hören, und sagte: »Ach, Papa, das bedeutet sicher nichts. Ich möchte zehn zu eins wetten, dass in großen Häusern alles mundgerecht von Lakaien serviert wird.«

»Gut, Sophia, dass du mich eines Besseren belehrst«, sagte der Vikar trocken.

»Gibt es bei Lady Bridlington viele Diener?«, erkundigte sich Betsy, die von dem Gedanken an solche Opulenz bezaubert war.

»Hinter jedem Stuhl steht einer«, erwiderte Bertram. »Einer geht immer hinter Arabella drein, wenn sie Luft zu schnappen geruht. Zwei stehen hinter ihr auf dem Wagentritt, und ein volles Dutzend bilden Spalier, sooft sie Gäste empfängt. Wenn Arabella zu uns zurückkommt, weiß sie nicht mehr, wie man sein Taschentuch selber aufhebt. Merk dir das!«

»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie sich in einem solchen Hause bewegt«, sagte Betsy ungläubig.

»Ich auch nicht«, murmelte Arabella.

»Sie wird sich dort genauso bewegen, liebes Kind, wie hier«, sagte der Vikar.

Schweigen folgte dieser Zurechtweisung. Bertram schnitt über den Tisch hinweg Arabella eine Fratze, und Harry stieß sie mit dem Ellbogen in die Rippen. Margaret, die inzwischen über die Worte des Vaters nachgedacht hatte, sagte schließlich:

»Ja, Papa, aber ganz kann ich mir das doch nicht vorstellen. Alles muss so ganz anders sein, als wir es gewohnt sind. Vielleicht wird sie sogar jeden Abend ein Gesellschaftskleid tragen müssen, und bestimmt wird man von ihr nicht erwarten, dass sie beim Backen, beim Bügeln und beim Hühnerfüttern oder dergleichen hilft.«

»Das war es auch nicht, was ich gemeint habe, meine Liebe«, erwiderte der Vikar.

»Wird sie überhaupt nichts tun müssen?«, erkundigte sich Betsy. »Ach, wenn ich doch auch eine reiche Patin hätte!«

Diese unpassende Bemerkung trug ihr einen ärgerlichen Blick des Vikars ein. Die Vorstellung, dass eine seiner Töchter sich ausschließlich dem Vergnügen hingab, war ihm äußerst unangenehm. Böse Blicke wurden auf Betsy gerichtet, deren ungeschickte Bemerkung eine Predigt über das Laster der Eitelkeit heraufzubeschwören drohte.

Doch bevor der Vikar noch den Mund auftat, griff Mrs. Tallant ein, hieß Betsy schweigen und sagte gutgelaunt: »Nun, Papa ist bestimmt auch der Meinung, dass Arabella ein gutes Mädchen ist und ein solches Vergnügen mehr verdient als irgendeine von euch. Gewiss weiß ich noch nicht recht, wie ich mich ohne sie behelfen soll, denn wenn es hier etwas zu tun gibt, kann ich mich immer auf sie verlassen. Und was dabei die Hauptsache ist, das will ich euch allen sagen: Nie zeigt sie ein trotziges Gesicht oder beklagt sich, dass ihr irgendeine Arbeit lästig ist! Nie ist sie verdrießlich, weil sie ein altes Kleid ausbessern soll, statt ein neues zu bekommen.«

Es konnte kaum erwartet werden, dass diese geschickt angebrachte Lektion den drei jungen Damen, für die sie bestimmt war, sonderlich gefiel. Dafür hatte sie eine besänftigende Wirkung auf die Stimmung des Vikars. Er warf Arabella, die sich errötend über den Teller gebeugt hatte, einen Blick zu und sagte freundlich: »Nun, ich denke auch, dass wir alle ihr weder Verstand noch Gefühl absprechen.«

Arabella blickte, Tränen in den Augen, auf. Er lächelte und fuhr scherzend fort: »Und wenn sie ihre Zunge nicht laufen lässt wie ein Mühlrad, wenn sie nicht Ausdrücke gebraucht, die sie, möchte ich fast vermuten, von ihren Brüdern aufgeschnappt hat und auch nicht wie ein Wildfang auf Streiche aus ist, dann will ich mich der Hoffnung hingeben, von Lady Bridlington keinen Tadel über ihr Benehmen in London zu hören.«

Die Kinder des Vikars waren so froh, einer seiner Predigten entgangen zu sein, dass sein Scherz mit schmeichelhaftem Beifall aufgenommen wurde. Bertram nahm die Gelegenheit des allgemeinen Gelächters wahr, um Betsy zuzuflüstern, dass er sie morgen im Ententeich ersäufen würde, sollte sie noch einmal den Mund aufmachen. Dieses Versprechen schüchterte sie so ein, dass sie die ganze übrige Zeit hindurch den Mund hielt. Sophia bat den Papa unterdessen um die Erklärung einer Stelle, die sie in Sir John Malcolms Geschichte Persiens gelesen hatte.

Der Vikar, dessen einziger Verschwendungstrieb auf die Anschaffung von Büchern gerichtet war, hatte dieses Werk jüngst seiner Bibliothek hinzugefügt. Der Gedanke Sophias erwies sich als glücklich. Während ihre Altersgenossen sie verblüfft ansahen, fing der Vikar sofort Feuer. Er äußerte sich ausführlich zum Gegenstand, vergaß darüber die Probleme des Augenblicks und kränkte seine übrigen Kinder mit der Erklärung, er wäre froh, dass wenigstens eine seiner Töchter Verständnis für Gelehrsamkeit aufbrächte.

»Dabei hat Sophy nicht ein Wort in dem Buch gelesen«, sagte Bertram voll Bitterkeit, als er und seine beiden älteren Schwestern später in die ruhige Abgeschiedenheit des Mädchenzimmers entkamen.

»Doch, das habe ich«, erwiderte Sophia. Sie setzte sich auf das Fußende des Bettes und schlug die Beine in einer Weise übereinander, dass Mama ihr, hätte sie es gesehen, gewiss die schlimmsten Vorhaltungen gemacht hätte.

Margaret, die immer schon zu Bett geschickt wurde, bevor das Teetablett hereingebracht wurde, war ein Großteil der Auseinandersetzung des Abends entgangen. Sie setzte sich auf und fragte: »Warum hast du das gelesen? Und wann?«

»An dem Tag, an dem Mama ausgehen musste. Da hatte ich für den Fall, dass Mrs. Farnham käme, im Salon zu sitzen. Ich hatte wirklich nichts Anderes zu tun.«

Die Brüder und Schwestern sahen sie prüfend an, fanden diese Entschuldigung passabel und wechselten das Thema.

»Ich wäre am liebsten in den Erdboden versunken, als Papa das über mich sagte«, bemerkte Arabella.

»Nun ja, Bella, er ist immer sehr geistesabwesend«, bemerkte Sophia. »Gewiss hat er vergessen, was du zusammen mit Bertram am Tag nach Weihnachten angestellt hast. Oder was er über deine Putzsucht äußerte, als du Onkels Pfauen für deine Mütze die Federn ausgerupft hast.«

»Ja, das hat er wohl vergessen«, sagte Arabella bedrückt. »Aber er hat nie behauptet, dass es mir an Anstand fehlt. Dir aber hat er das gesagt, Sophy, als er entdeckte, dass du am Sonntag Harrys Hosenknöpfe in den Klingelbeutel gesteckt hast.«

Diese Feststellung schloss jede Erwiderung aus. Plötzlich sagte Bertram: »Nun, da es ja jetzt entschieden ist, dass du nach London fährst, will ich dir etwas sagen.«

Siebzehn Jahre vertrauteste Kenntnis des jüngeren Bruders genügten nicht, Arabella vor der neugierigen Frage zu bewahren: »Was denn?«

»Es ist durchaus möglich, dass du dort eine Überraschung erlebst«, erklärte Bertram geheimnisvoll. »Ich sage nicht, dass es so sein wird, aber es kann so sein.«

»Was meinst du denn? Sag es doch, Bertram! Liebster Bertram!«

»So ein Einfaltspinsel bin ich nun nicht. Mädchen schwätzen immer.«

»Ich schwätze gar nicht, das weißt du! Bitte, Bertram!«

»Gib dir keine Mühe«, riet Margaret und ließ sich ins Kissen zurückfallen. »Ist ja nur Schwindel.«

»Gar kein Schwindel«, sagte der Bruder gereizt. »Aber du brauchst dir nicht einzubilden, dass ich rede – ich tue es nicht! Nur sei nicht überrascht, Bella, wenn du etwas Erstaunliches erlebst, bevor du allzu lang in London bist.«

Dieses Verhalten versetzte seine Schwestern in Zorn. Unglücklicherweise hörte die alte Amme ihre erregten Stimmen. Sie tauchte sofort im Zimmer auf und ließ sich des langen und breiten über das unschickliche Verhalten der jungen Herren aus, die unerhörter Weise auf den Betten ihrer Schwestern säßen.

Da ihr durchaus zuzutrauen war, dass sie die Angelegenheit vor Mama brachte, hielt Bertram es für klüger, sich zurückzuziehen. So kam die Versammlung zu einem jähen Ende. Die Amme blies die Kerzen aus und erklärte, wenn etwas davon Mamas zu Ohren käme, würde für Miss Arabella nichts aus London werden.

Doch kam offenbar nichts zu Mamas Ohren, denn am nächsten Tag und an den folgenden Tagen wurde im Pfarrhaus (außer in Papas Gegenwart) nur von Arabellas Eintritt in die große Welt gesprochen.

Die ersten und wichtigsten Gedanken galten der Garderobe, die eine junge Dame brauchte, um erfolgreich ihr Debüt zu bestehen. Ein ernstes Studium der Modejournale hatte Arabella an den Rand der Verzweiflung getrieben, aber Mama neigte zu einer weniger tragischen Auffassung. Sie sandte den Hausknecht aus, den stets unerlässlichen Joseph Eccles ins Pfarrhaus zu holen. Dann mussten die beiden zwei mächtige Koffer aus den Bodenkammern herunterschleppen. Joseph, den der Vikar seit dem ersten Jahr seiner Ehe zu allerlei Diensten heranzog, hielt sich für die Hauptstütze des Hauses und war stets gerne bereit, den Damen gefällig zu sein. Er trieb sich im Salon herum und äußerte im breitesten Yorkshire-Dialekt Rat und Ermutigung, bis er freundlich, aber mit Entschiedenheit verabschiedet wurde.

Ein angenehmer Kampferduft erfüllte die Luft, sobald die Deckel der Koffer geöffnet waren. Unter dicken Schichten von Silberpapier kamen ungezählte Schätze hervor. Diese Koffer enthielten allen Putz, den Mama getragen hatte, als sie – so sagte sie – selbst ebenso ein leichtfertiges junges Ding gewesen war wie Arabella jetzt. Als sie Papa geheiratet hatte, hatte sich ihr keine Gelegenheit mehr geboten, derlei Tand anzulegen. Sie hatte es aber nicht übers Herz gebracht, alles fortzugeben. Die Sachen wurden sorglich verpackt und dann allmählich vergessen.

Ekstatische kleine Schreie wurden laut, als die drei bezauberten jungen Damen sich neben den Koffern auf die Knie niederließen und sich anschickten, nach Herzenslust in den Koffern zu kramen.

Unvorstellbare Schätze tauchten auf: Straußenfedern in verschiedenen Farben, Sträußchen von Kunstblumen, ein Hermelinkragen (leider altersvergilbt, aber gewiss noch benutzbar!), eine Faschingsmaske, ein Päckchen feinster Spitzen, ein Umhang aus Seidengaze (mit dem Margaret alsogleich rund durch das Zimmer wirbelte) viele Ellen Seidenband in einer Schattierung, die man in Mamas jungen Tagen opéra brillé genannt hatte und die Entzücken auslöste. Es kam eine Schachtel zutage, die allerlei kokette Schleifchen enthielt. Deren Bedeutung hatte Mama nicht mehr ganz im Gedächtnis, doch meinte sie, das blassblaue wäre »ein Hoffnungsschimmer«, das rosafarbene »ein Venusseufzer« gewesen. Es fanden sich Spitzenjabots und Stickereistreifen, ein Federpelzmuff, unzählige Fächer, Sachets, ein scharlachroter Unterrock aus Mantuaner Damast (Wie musste Mama darin ausgesehen haben!) und ein Samtmantel mit kunstvoll verschlungenen Zobelpelzverbrämungen. Der war ein Hochzeitsgeschenk, das Mama erhalten, aber kaum jemals getragen hatte. Er war ein kostbares Pelzwerk, und für Arabella konnte daraus außer einem Umhangkragen auch noch ein ganzer Muff werden.

Glücklicherweise war Mama geduldig und hatte Sinn für Humor. Die Koffer enthielten neben jenen Schätzen nämlich auch mancherlei altmodischen Kram, so dass sich die drei Misses Tallant ein Lachen nicht verbeißen konnten. Die Mode hatte mancherlei Wechsel erfahren, seit Mama ein junges Ding gewesen war.

Einer Generation, die Musselin- und Kreppkleider mit hochgebundener Taille, kurzen Puffärmeln und gefältelten Säumen liebte, erschienen die steifen, bauschigen Seiden- und Brokatkleider, die Mama getragen hatte, mit den raffinierten Unterkleidern, eingelegten Wattekissen und geschnürten Miedern nicht nur veraltet, sondern auch über die Maßen hässlich. Was sollte dieses komische Jäckchen mit all dem Fischbeingestänge? Ein Caraco war das? Du lieber Himmel! Und dieses gestreifte Ding, das wie ein Schlafrock aussah? Ein Taffetsack? Wahrhaftig, wie ein Sack sah es aus! So etwas hatte man in Gesellschaft getragen? Und was war in dieser eleganten Schachtel? Poudre à la Maréchale? So hatte Mama auch das Haar gepudert wie Großmama Tallant auf dem Bild, das in der Halle hing? Nein, ganz so denn doch nicht! Graues Puder? Nicht doch, Mama! Eine Frau, die noch kein graues Haar am Kopf hatte! Und wie war das Haar frisiert? Gar nicht geschnitten? Die Locken am Rücken bis zum Gürtel herab? Und was sollten all diese Rollen und Puffen – wie hatte man die Geduld aufgebracht, sie ins Haar zu wickeln? Wie komisch musste es ausgesehen haben!