Vorsicht, Gift! - Georgette Heyer - E-Book
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Vorsicht, Gift! E-Book

Georgette Heyer

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Beschreibung

England, 1930: Als der übergewichtige Lord Gregory Matthews eines Morgens leblos in seinem Bett aufgefunden wird, führt sein Leibarzt den Tod zunächst auf einen Herzfehler und das fette Essen am Vorabend zurück. Aber Gregorys Schwester zweifelt daran, dass ihr Bruder eines natürlichen Todes starb.

Superintendent Hannasyde und Inspektor Hemingway von Scotland Yard beginnen zu ermitteln. Rasch stellt sich heraus, dass fast jedes Familienmitglied einen Grund hatte, den alten Tyrannen vorzeitig ins Jenseits zu befördern.

Aber dann geschieht ein weiterer Mord, der alle bisherigen Theorien der Detektive zunichte macht ...

Ein Festessen - vor allem für Fans des klassischen britischen Krimis.

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Seitenzahl: 416

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

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Über dieses Buch

Grinley Heath, 1930: Als der übergewichtige Lord Gregory Matthews eines Morgens leblos in seinem Bett aufgefunden wird, führt sein Leibarzt den Tod zunächst auf einen Herzfehler und das fette Essen am Vorabend zurück. Aber Gregorys Schwester zweifelt daran, dass ihr Bruder eines natürlichen Todes starb.

Scotland Yard beginnt zu ermitteln und rasch stellt sich heraus, dass fast jedes Familienmitglied einen Grund hatte, den alten Tyrannen vorzeitig ins Jenseits zu befördern. Kann Superintendent Hannasyde den Fall lösen, bevor ein weiterer Mord geschieht?

Über die Autorin

Georgette Heyer, geboren 1902, deren Regency-Romane allein in deutscher Sprache eine sehr hohe Auflage erzielten, lebte gänzlich zurückgezogen und publicityscheu in London. Als Historikerin hochgeschätzt, vom British Museum als Sachverständige konsultiert, schrieb sie an die 40 Romane mit geschichtlichem Hintergrund und eine Reihe unterhaltsamer Detektivromane. Georgette Heyer starb 1974.

Georgette Heyer

Vorsicht, Gift!

Aus dem Englischen von Franziska Reiter

beTHRILLED

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Die Originalausgabe BEHOLD, HERE’S POISON erschien 1936 bei Hodder and Stoughton Ltd

Copyright © 1936 Georgette Rougier

Copyright der deutschen Erstausgabe © 1985, Paul Zsolnay Verlag

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Umschlaggestaltung: © Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung von Motiven © thinkstockphoto: Lina Truman | elenavegante | Zoonar RF

E-Book-Erstellung: Konrad Triltsch Print und digitale Medien GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3182-0

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

Der Tag versprach schön zu werden. Über der Heide kräuselte sich ein weißer Nebel, und Mary, die mit einer Kehrichtschaufel in der Hand auf dem Treppenabsatz stand und durch das hohe Fenster hinausblickte, war überzeugt, dass es zu Mittag sonnig und wirklich warm sein würde. Trotz Roses düsterer Prophezeiungen würde sie also doch das blaue Voilekleid anziehen können. Rose behauptete, dass es stets regnete, wenn man seinen freien Nachmittag hatte. Heute würde das nicht zutreffen, wenn sich Mary auch nur im Geringsten mit dem Wetter auskannte.

Sie presste ihr Gesicht ans Fenster, beobachtete die Nebelschwaden und den Tau, der wie ein dickes graues Tuch über dem Rasen vor dem Haus lag.

Es war früher Morgen. Die Heide, auf der später Scharen von Kindern spielen und Kindermädchen ihre Schützlinge spazieren führen würden, lag verlassen da, und auf der Straße zwischen dem eisernen Zaun von Poplars und dem Rand der Heide herrschte noch kein Verkehr. Mary reckte sich und konnte so das Nachbarhaus durch eine Lücke in den Bäumen erkennen. Im Dienstbotentrakt waren die Vorhänge noch zugezogen. Na ja, sie konnte das Personal von Holly Lodge gut verstehen. Wenn die Herrschaften ans Meer fuhren, hatten die Dienstboten wohl das Recht, es sich gut gehen zu lassen. Auch wenn die da drüben nur ein Pack fauler Schlampen waren, wenn man es recht bedachte. Und noch dazu ordinär. Wie der Herr, so’s Gescherr, sagte Rose, und das stimmte aufs Haar. Mrs. Rumbold war keine feine Dame.

Mary drehte den Kopf und blickte zu dem Haus hinüber, das auf der anderen Seite von Poplars stand. Es war kleiner als Holly Lodge, und obwohl sie nicht viel davon sah, bemerkte sie doch, dass das Garagentor offen stand. Das hieß, dass man den Doktor schon früh zu einem Patienten geholt hatte. Es war schandbar, wie die Leute einen Arzt zu jeder Tages- und Nachtzeit beanspruchten und meist für nichts Schlimmeres als eine kleine Unpässlichkeit, das behauptete zumindest Miss Stella. Er war ein richtiger Herr und sah noch dazu so gut aus!

Es wunderte sie gar nicht, dass Miss Stella so in ihn verliebt war. Schade, dass der gnädige Herr ihn absolut nicht leiden konnte. Denn die Dienstboten wussten alle, dass es so war, so wie sie auch über den Streit mit Mr. Guy Bescheid wussten, der für sein komisches Unternehmen, das er zusammen mit Mr. Brooke führte, Geld von ihm verlangte und den der gnädige Herr deshalb nach Südamerika schicken wollte. Um nicht zu wissen, was in diesem Haus vorging, musste man schon ein richtiger Dummkopf sein, wenn man die Art und Weise bedachte, wie sich der gnädige Herr aufregte und man den Arzt rufen musste, um seinen Blutdruck zu messen; und wo Miss Harriet doch den ganzen Klatsch jedem erzählte, der es wissen wollte, sogar in der Küche; und sich Mrs. Matthews hinlegen musste, so sehr regte sie die Sache mit Mr. Guy auf; und wo Mr. Guy die Sache lauthals mit Miss Stella besprach und es ihm völlig gleichgültig war, wer ihn hören konnte. Nein wirklich, in Poplars gab es so gut wie kein Geheimnis! Zu viele Menschen auf zu engem Raum, dachte Mary und kehrte energisch die letzten sechs Stufen. Es tat nicht gut, wenn zwei Familien unter einem Dach zusammenlebten; daraus mussten sich einfach Streitigkeiten ergeben, vor allem, wenn dazu noch eine alte Jungfer wie Miss Harriet kam, die sich manchmal wie eine Idiotin aufführte und dann wieder zeigte, dass sie einen messerscharfen Verstand besaß und gemein war wie ein ... Mary fiel nichts ein, das so gemein war wie Miss Harriet. Sie war wahrscheinlich einfach verrückt. Wenn man nur sah, wie sie jeden Rest Seife einsammelte und aufbrauchte, als ob sie keinen Groschen Geld hätte. Wie eine Elster führte sie sich auf.

Mrs. Matthews war da ganz anders, das musste man ihr lassen. Lästig war sie schon, wenn sie zu den unmöglichsten Zeiten heißes Wasser und ihr Essen aufs Zimmer gebracht haben wollte, aber sie spionierte einem nie nach. Für sie zu arbeiten machte einem nichts aus, denn sie war immer nett und benahm sich wie eine Dame. Miss Stella störte ebenfalls nicht, auch wenn sie alles liegenließ und immer wieder Dinge von einem verlangte, die man eigentlich gar nicht tun musste, wenn man es genau nahm. Und Mr. Guy sah so gut aus, dass es ein Vergnügen war, ihn zu bedienen.

Wenn man aber an Miss Harriet und den gnädigen Herrn dachte, standen die Dinge anders. Eigentlich war es kaum zu glauben, dass sie Bruder und Schwester waren, überlegte Mary, als sie wieder nach oben ging und all die Schuhe einsammelte, die zum Putzen vor den Türen standen. Sie waren sich überhaupt nicht ähnlich. Bei Mrs. Lupton, die auf der anderen Seite der Heide in Fairview lebte, war das etwas ganz anderes. Sie würde man überall als die Schwester des gnädigen Herrn erkennen. Sie war genauso herrisch wie der gnädige Herr, nur fürchtete man sie nicht so wie den Herrn. Wenn der etwas wollte, dann musste man es auf den Buchstaben genau ausführen, sonst gab es Ärger, und wenn der gnädige Herr zornig wurde, dann schlotterten einem die Knie. Sie hatten alle Angst vor ihm, dachte Mary, als sie die Schuhe vor seiner Schlafzimmertür aufhob, selbst Mrs. Matthews, obwohl sie wahrscheinlich die Einzige war, die ihn manchmal um den Finger wickeln konnte.

Das nächste Paar Schuhe, das sie aufhob, gehörte Mrs. Matthews — hochhackige, teure Schuhe, von einem Schuster in der Bond Street. Mary betrachtete sie bewundernd. Das Geld, das Mrs. Matthews für ihre Kleider ausgab! Es war der Beweis dafür, wie sie den gnädigen Herrn umgarnen konnte, denn alle wussten, dass ihr Mann (er war der jüngste Bruder des gnädigen Herrn gewesen) ihr kaum etwas hinterlassen hatte. Gut für sie, dass sie so hübsch und gepflegt war, denn wenn auch niemand den gnädigen Herrn knausrig nennen konnte, so würde er sich doch nie um eine Schwägerin kümmern, die er nicht leiden konnte, und sie und ihre Kinder bei sich aufnehmen.

Ja, und das machte Miss Harriet wütend, dass sie hier im Haus lebten und so taten, als spielte Geld überhaupt keine Rolle, dachte Mary, als sie die ausgelatschten schwarzen Lackschuhe von Miss Matthews aufhob und unter den Arm klemmte. Sie und Mrs. Matthews konnten einander nicht ausstehen, wenn man auch gerechterweise zugeben musste, dass sie Mr. Guy und Miss Stella recht gern hatte.

Vor Mr. Guys Tür standen Sämischlederschuhe; elegant waren sie ja, aber ekelhaft zu putzen. Die würde sie wohl selbst putzen müssen, denn der Gärtnergehilfe würde sie sicher irrtümlich wichsen.

Und endlich waren da noch Miss Stellas Schuhe, zwei Paar, die Wanderschuhe, die sie bei ihren Spaziergängen trug, und ein Paar blaue Glacélederschuhe für die Stadt.

Sie legte alle Schuhe in ihre Schürze und trug sie die Hintertreppe hinunter in den Wirtschaftsraum. Die Köchin, Mrs. Beecher, war in der Küche und bot ihr eine Tasse Tee an. In Marys Augen war es äußerst wichtig, wenn die Köchin in dem Haus, in dem man arbeitete, ein freundlicher Mensch war. Sie ging zum Tisch und setzte sich zwischen Mrs. Beecher und Rose. Rose hatte die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, drehte ihre Teetasse in den Händen und erzählte eifrig, was sich gestern Abend zwischen dem gnädigen Herrn und Miss Stella in der Bibliothek abgespielt hatte.

„... und dann hat er ihr ins Gesicht gesagt, dass er es nicht mehr dulden würde, wenn ihr Dr. Fielding unter seinem Dach nachsteigt. Also, ihr würdet gar nicht glauben, was er den Doktor alles geheißen hat! Und dann hat er noch das gesagt, was ich euch schon erzählt habe, dass der Doktor ein Narr ohne Zukunft ist, und wenn ihr mich fragt, dann ist es genau das, warum Mrs. Matthews gegen den Doktor ist, denn das ist sie, und das lass ich mir nicht ausreden.“ „Du hättest nicht zuhören dürfen, denn das war nicht für deine Ohren bestimmt“, sagte Mrs. Beecher.

„Mir tut das leid wegen Miss Stella und dem Doktor“, sagte Mary. „Er ist doch so ein feiner Herr.“

„Da steckt noch mehr dahinter“, sagte Beecher und hielt seiner Frau die Teetasse zum Nachschenken entgegen, „es heißt, dass er gern trinkt. Nicht, dass ich ihn je betrunken gesehen habe, aber irgendetwas Wahres muss doch dran sein.“

„Also, das glaube ich auf keinen Fall!“, erklärte Mrs. Beecher bestimmt. „Und ich muss sagen, dass ich sehr erstaunt bin, so etwas von dir zu hören, Beecher!“

Rose, die diesen neuen Klatsch begierig aufgesogen hatte, sagte: „So ist das also! Kein Wunder, dass Mrs. Matthews einen ihrer nervösen Anfälle hatte. Als ich sie gesehen habe, dachte ich mir gleich —“.

„Dann hast du etwas Falsches gedacht“, fiel ihr Mrs. Beecher ins Wort. „Ich habe nie an Mrs. Matthews’ Anfälle geglaubt, aber wenn sie wirklich zusammengebrochen ist, was ich nicht glaube, dann war es sicher nicht wegen Miss Stella, denn die ist ihr ganz gleichgültig, sondern weil man Mr. Guy nach Brasilien schicken will.“

„Das will der gnädige Herr doch nicht wirklich tun, das gibt es doch nicht!“, rief Mary entsetzt.

„Ich glaube schon“, sagte Mrs. Beecher, erhob sich würdevoll und ging zum Herd hinüber. „Ich mische mich ja nicht in die Angelegenheiten anderer Leute, aber Miss Harriet hat es mir schon letzten Donnerstag erzählt. Jetzt ist es aber Zeit, den Tee hinaufzutragen. Rose, sei nett und reich mir die Teedose herüber.“ Rose kam dieser Aufforderung nach und stand abwartend neben Mrs. Beecher, während diese drei kleine Teekannen und ein Teeglas in einem silbernen Halter füllte. „Du könntest Miss Stellas Tablett für mich hinauftragen, Liebes“, sagte Rose zu Mary, als sie Mrs. Beecher das Teeglas aus der Hand nahm und auf ein kleines Tablett stellte.

Mary trank ihre eigene Tasse in zwei großen Schlucken leer und stand auf. Sie hatte genug zu tun, aber wenn man zum untergeordneten Personal gehörte, war es immer günstig, sich mit den Vorgesetzten gutzustellen. Sie nahm Miss Stellas Tablett und ging hinter Rose die Dienstbotentreppe hinauf, gefolgt von Beecher, der die beiden Tabletts für den gnädigen Herrn und Mr. Guy mit geschickten Händen balancierte.

Miss Stella schlief noch und hatte, wie üblich, ihre Kleider einfach zu Boden fallen lassen. Mary zog die Vorhänge auf, sammelte die Kleider ein, hängte sie auf und entfernte sich dann leise. Miss Stella war nicht gerade begeistert, wenn man sie weckte.

Mr. Guys Tablett stand auf dem Tisch im Korridor, und Rose war noch in Mrs. Matthews Zimmer. Mary konnte hinter der geschlossenen Tür Mrs. Matthews etwas weinerliche Stimme hören und wollte eben das heiße Wasser holen, als sich die Tür zum Zimmer des gnädigen Herrn öffnete und Beecher eilig herauskam.

Mary starrte ihn an. Sein Gesicht trug einen seltsamen, verschreckten Ausdruck. „Ist etwas nicht in Ordnung, Mr. Beecher?“, fragte sie.

Er fuhr mit der Zunge über die Lippen und antwortete mit zitternder Stimme: „Ja. Der gnädige Herr — er ist tot.“

Sie öffnete den Mund, fand aber keine Worte. Die widersprüchlichsten Gedanken flogen ihr durch den Kopf. Das war entsetzlich, grässlich und dennoch spannend. Vielleicht gab es eine gerichtliche Untersuchung. Sie wollte nichts damit zu tun haben; aber sie wollte auch um nichts in der Welt nur eine einzige Sekunde versäumen.

Rose kam aus Mrs. Matthews Zimmer. „Na so etwas!“, sagte sie. „Man könnte ja glauben, dass es in diesem Haus nichts zu tun gibt. Wo ist das heiße Wasser?“

Mary fand endlich ihre Stimme wieder. „Oh Rose!“, stammelte sie. „Der gnädige Herr ist tot!“

„Irgendjemand muss es ihnen sagen“, sagte Beecher und blickte auf die vier geschlossenen Türen. „Aber ich weiß nicht, wer.“

Rose löste diese Frage für ihn. Sie begann lauthals zu schluchzen, nicht, weil sie den gnädigen Herrn etwa gern gehabt hatte oder der Gedanke an einen Todesfall sie störte, sondern weil sie erschrocken war. Das Geräusch ihres hysterischen Schluchzens trieb Mary ebenfalls die Tränen in die Augen. Es trieb auch Miss Matthews auf den Flur, noch in Lockenwicklern, in einen alten grauen Flanellmorgenmantel gehüllt. Sie hatte ihre Brille vergessen und starrte mit kurzsichtigen Augen auf die vor ihr Stehenden.

„Was soll denn das! Rose — du bist doch Rose? Das ist doch widerlich! Wenn du Geschirr zerbrochen hast, dann wird dir das vom Lohn abgezogen, und es hat keinen Zweck, deshalb zu heulen. Was in diesem Haus alles zerbrochen wird —“.

„Oh Madam!“, japste Mary. „Oh Madam, der gnädige Herr!“

Die Tür des Zimmers neben dem von Miss Matthews ging auf. In einem pfirsichfarbenen Seidenpyjama erschien Stella vor ihnen, mit zerrauftem Haar, das wie ein Heiligenschein um ihren Kopf stand. „Was soll denn das Geschrei?“, fragte sie ärgerlich.

„Stella! Ohne Morgenmantel!“, rief ihre Tante.

„Lass das doch. Halt endlich den Mund, Rose! Was ist denn los?“

Die beiden Mädchen heulten jetzt voll Inbrunst. Beecher sagte: „Miss, es handelt sich um den gnädigen Herrn. Er ist tot.“

Miss Matthews schrie auf, Stella aber sah Beecher einen Augenblick lang ungläubig an und meinte dann: „Unsinn! Das glaube ich nicht.“

„Es stimmt, Miss. Er — er ist schon kalt.“

Irgendwie wirkte das komisch. Stella kicherte nervös.

Ihre Tante sagte: „Wie kannst du nur dastehen und lachen —! Ich verstehe die heutige Jugend wirklich nicht mehr, und ich will es auch nicht. Nicht, dass ich das Ganze auch nur im Entferntesten glaube. Ich werde mich selbst überzeugen. Wo ist meine Brille! Mary! Meine Brille!“

„Ich werde nachsehen“, sagte Stella und überquerte den Flur.

„Stella, doch nicht im Pyjama!“, kreischte Miss Matthews.

Stella begann wieder zu lachen und unterdrückte den unpassenden Laut, indem sie sich auf die Lippen biss.

Das Zimmer ihres Onkels lag an der Vorderseite des Hauses, durch ein Badezimmer von dem seiner Schwägerin getrennt. Beecher hatte die Vorhänge zurückgezogen und den Tee auf dem Nachttisch abgestellt. Selbst für Stella, die zum ersten Mal in ihrem Leben einen Toten sah, war es offenkundig, dass Gregory Matthews nie wieder Tee trinken würde.

Er lag in einer starren, unbequemen Haltung auf dem Rücken, die Arme auf der Bettdecke; seine Finger umklammerten das Laken in einem letzten Krampf. Seine Augen standen offen, die Pupillen waren verkleinert. Stella blickte auf ihn hinab, und ihr Gesicht verlor langsam an Farbe. Sie hörte die klägliche Stimme ihrer Tante auf dem Flur, hörte ihre Schritte und trat rasch auf die Tür zu. „Bitte, Tante Harriet!“, sagte sie rau. „Komm nicht herein. Es ist scheußlich.“

Miss Matthews klemmte jedoch mit zitternden Händen ihren Zwicker auf die Nase, schob ihre Nichte ins Zimmer zurück und trat auf das Bett zu. „Oh, er ist tot!“, sagte sie völlig überflüssigerweise und fuhr zurück. „Das war sein Blutdruck. Ich wusste ja, dass es so kommen würde! Niemals hätte er die Ente essen dürfen! Und dafür darf mich niemand verantwortlich machen, denn ich hatte Koteletts für ihn vorgesehen, aber er wollte sie nicht essen! Mein Gott, mein Gott, er sieht schrecklich aus! Wenn er doch nicht auf diese Weise gestorben wäre! Natürlich waren wir nicht immer einer Meinung, aber Blut ist dicker als Wasser, man kann sagen, was man will. Und selbst wenn man das nie glauben würde, als kleiner Junge war er wirklich reizend. Meine Güte, was sollen wir denn jetzt tun!“

„Das weiß ich nicht“, sagte Stella, nahm sie beim Arm und zog sie zur Tür. „Auf jeden Fall sollten wir aus dem Zimmer gehen. Tante, bitte nicht, um Himmels willen.“

Miss Matthews ließ sich zwar aus dem Zimmer führen, hörte aber nicht auf zu weinen. Stella war nicht der Ansicht, dass Gregory Matthews’ Vorzüge in der Jugend ein Gegengewicht zu den späteren Jahren bildeten, in denen er und Miss Matthews einander in den Haaren gelegen hatten, und war deshalb über diesen Ausbruch allzu oberflächlicher Trauer verärgert. Dankbar überließ sie Miss Matthews der Fürsorge Marys.

Die noch immer schluchzende Rose stammelte eine Botschaft von Mrs. Matthews: Miss Stella sollte sofort zu ihrer Mutter kommen.

Mrs. Matthews lehnte, in ein äußerst schickes Bettjäckchen gehüllt, in ihren Kissen und hatte anscheinend die Geistesgegenwart besessen, die teure Nachtcreme abzuwischen und etwas Puder aufzulegen. Sie wandte sich Stella zu, als diese den Raum betrat, und streckte ihr die leicht zitternde Hand entgegen. „Mein liebes Kind!“, sagte sie mit schwindender Stimme. „Der arme Gregory! Es ist ein entsetzlicher Schock für mich. Ich hatte schon so eine Ahnung, als mir Rose das heiße Wasser brachte.“

„Tante Harriet behauptet, dass es die Ente war, die er abends aß“, sagte Stella und verbiss mühsam ein nervöses Lachen.

Mrs. Matthews seufzte leise und gequält auf. „Niemand weiß besser als ich, wie viel Gutes Harriet an sich hat“, bemerkte sie. „Und doch erfüllt es mich mit Trauer, dass ihre Gedanken bei einem derartigen Anlass sich irdischen Dingen zuwenden. Stell dir vor, mein Liebes, als mir Rose erzählte, was geschehen ist, waren die ersten Worte, die mir in den Sinn kamen: ‚Gottes Wege sind —‘“.

„Ja, ich weiß“, fiel Stella hastig ein. „Die Frage ist aber, was wir jetzt tun sollen. Tante Harriet hat so etwas wie einen hysterischen Anfall. Soll ich Guy aufwecken?“

„Armer Guy!“, sagte seine Mutter. „Ich würde alles geben, um solche Tragödien von der Jugend fernzuhalten. Irgendwie —“.

„Was das betrifft, möchte ich dich darauf aufmerksam machen, dass ich drei Jahre jünger bin als Guy“, erklärte Stella. „Ich glaube zwar nicht, dass er uns viel helfen kann, aber —“.

Mrs. Matthews legte eine Hand auf die Stellas und drückte sie leicht. „Mein liebes Kind, nicht diesen leichtfertigen Ton! Bitte! Versuche daran zu denken, dass die Schatten des Todes über diesem Haus liegen. Und Guy ist um so vieles sensibler als du, meine Liebe.“

„Hör bitte auf, Mutter“, flehte Stella. „Ich will mich wirklich nicht in einen hysterischen Anfall hineinsteigern, aber in einer Minute bin ich so weit. Was sollen wir als Erstes tun?“

Mrs. Matthews zog ihre Hand zurück. „Meine praktische kleine Tochter! Wo wären wir armen Marias dieser Welt ohne unsere Marthas? Und doch sehnt man sich nach einer kurzen Spanne Zeit, in der wir uns besinnen, unseren Verlust vergegenwärtigen können, ehe wir uns mit der unerquicklichen Seite dessen befassen, was eigentlich nicht unerquicklich, sondern sehr, sehr schön sein sollte.“

Stella gab einen keuchenden Laut von sich und brach dann in unbezähmbares Gelächter aus. In diesem Augenblick trat ihr Bruder, noch schlaftrunken und etwas verwirrt, ins Zimmer. „Was höre ich da?“, stotterte er. „Onkel ist tot? Wisst ihr das schon? Beecher hat das Zimmer versperrt und ruft Fielding an. Er behauptet, dass es überhaupt keinen Zweifel gibt.“

„Still, mein Lieber!“, sagte Mrs. Matthews. „Stella, versuche dich zu beherrschen! Man sollte natürlich einen Arzt rufen, aber man scheut ja doch davor zurück, gerade in einem solchen Augenblick ausgerechnet Dr. Fielding zu rufen, den dein Onkel so gar nicht mochte. Vielleicht bin ich zu sensibel, und wahrscheinlich gibt es auch keine andere Möglichkeit, aber —“.

„Also, ich würde sagen, dass das doch völlig egal ist“, sagte Guy. Er umklammerte die Stange am Fußende des Bettes und sah seine Mutter mit hellen, verständnislosen Augen an. „Ich verstehe es noch immer nicht!“, erklärte er. „Dass Onkel einfach so stirbt. Natürlich hat es jeder von uns irgendwie erwartet. Wegen seines Blutdrucks, will ich sagen. Woran ist er deiner Meinung nach gestorben? Glaubst du, dass es ein Schlaganfall war? Ich habe schon immer gedacht, dass er früher oder später einen Schlaganfall erleiden wird, du nicht auch, Stella? Wird es eine gerichtliche Untersuchung geben? Allerdings wüsste ich nicht, warum es eine geben sollte. Ich will sagen, jeder wusste, dass er ein schwaches Herz hatte. Ist doch ganz klar, dass er daran gestorben ist.“

„Ja, mein Lieber, aber jetzt sprechen wir bitte nicht mehr davon“, versuchte ihn Mrs. Matthews zu stoppen. „Du bist außer dir, und deine Zunge geht mit dir durch. Ihr solltet versuchen, zu verstehen, was das alles für mich bedeutet. Manchmal glaube ich, dass der arme Gregory mich lieber hatte als seine eigenen Schwestern. Ich versuche immer, das Beste an einem Menschen zu sehen, und Gregory ging auf mich in einer Weise ein, dass mich die Erinnerung daran noch heute beglückt.“

„Ach du meine Güte!“, sagte Guy grob.

Mrs. Matthews presste kurz die Lippen zusammen, erwiderte aber schon im nächsten Augenblick ganz sanft. „Geh jetzt und zieh dich an, Guy. Natürlich einen dunklen Anzug und nicht diesen orangefarbenen Pullover. Du auch, Stella.“

„Ich hatte eigentlich gar nicht vorgehabt, den orangefarbenen Pullover anzuziehen“, sagte Guy von oben herab. „Aber ich stimme mit Nigel in seinen Ansichten über Trauer völlig überein. Sie ist ein Überbleibsel der Barbarei und —“.

„Mein Liebes, ich weiß, dass du mir nicht wehtun willst“, sagte Mrs. Matthews mit trauererfüllter Stimme. „Aber wenn du so über die heiligsten Dinge denkst —“.

„Du musst eben einsehen, dass ich ein überzeugter Agnostiker bin“, erwiderte Guy. „Wenn du zum Beispiel behauptest, dass der Tod etwas Geheiligtes ist, dann sagt mir das überhaupt nichts.“

„Ach halte doch den Mund!“, unterbrach ihn Stella und drängte ihn zur Tür. „Deine Ansichten über Religion interessieren keinen Menschen.“

„Das sind nicht nur meine eigenen Ansichten“, erklärte Guy, „sondern de facto die Ansichten aller denkenden Menschen heutzutage.“

„Was du nicht sagst“, bemerkte Stella rüde und ging in ihr Zimmer zurück.

Marys Vermutung, dass Dr. Fielding schon vor dem Frühstück zu einem Patienten gerufen worden war, erwies sich als richtig. Er war noch nicht zurück, als Beecher anrief, und kam erst nach Poplars, als Stella und Guy geduscht und sich angezogen hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Miss Matthews von ihrem Weinkrampf bereits erholt, ebenfalls angezogen, und nicht nur ihre ältere Schwester, Gertrude Lupton, angerufen, sondern Mrs. Beecher auch einen Schwall von Anweisungen gegeben, wie sie die Eier und den Fisch verwerten sollte, die schon für das Frühstück vorbereitet waren und die doch sicher niemand essen würde. Diese Anweisungen wurden auf der Stelle von Guy und Stella widerrufen, die durchaus hungrig waren, und als Dr. Fielding das Haus betrat, kam er mitten in eine erregte Auseinandersetzung über diesen Punkt.

Er war ein großgewachsener Mittdreißiger mit weit auseinanderstehenden grauen Augen und einem humorvollen Mund. Als er die Halle betrat, wechselte er einen kurzen Blick mit Stella, die sofort auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen. „Deryk, Gott sei Dank, dass du gekommen bist“, sagte sie und ergriff seine Hand.

„Stella, doch nicht jetzt, wo dein Onkel oben liegt und tot ist“, bat sie Miss Matthews verzweifelt. „Nicht, dass ich dagegen war, denn Dr. Fielding — aber schließlich sagte Gregory — obwohl ich sicher bin, dass er jetzt, wo er im Jenseits ist, ganz anders denkt: Das soll doch angeblich so sein, obwohl ich nie verstanden habe, warum. Mein Gott, es ist alles so verwirrend! Hätte ich gewusst, dass es so schwierig und unerfreulich sein wird, dann wäre ich der letzte Mensch gewesen, der Gregorys Tod gewünscht hätte. Es war die Ente, Herr Doktor. Ich habe ihn angefleht, sie nicht zu essen, aber er hat seinen Kopf ja immer durchgesetzt, und jetzt ist er tot, und die zwei schönen Lammkoteletts habe ich umsonst bestellt. Jetzt wird sie das Personal essen! Echtes englisches Lamm!“

Dr. Fielding, der Stellas Händedruck erwidert hatte, unterbrach diesen Monolog mit der Bitte, ihn sofort in das Zimmer von Gregory Matthews zu führen.

„Ja“, sagte Miss Matthews und warf einen verwirrten Blick in die Runde. „Natürlich. Ich würde Sie ja selbst hinaufführen, aber ich möchte dieses Zimmer nie mehr in meinem Leben betreten. Guy, du bist jetzt der Hausherr!“

„Danke, ich brauche niemanden, der mich hinaufführt“, antwortete Dr. Fielding verblüfft. „Ich finde den Weg allein.“

Beecher hüstelte und kam von der Treppe auf ihn zu. „Ich bringe Sie hinauf, Sir, wenn es Ihnen recht ist.“

Der Arzt sah ihn an. „Sie haben Mr. Matthews gefunden, nicht wahr? Kommen Sie bitte mit.“

Am oberen Rand der Treppe traf er auf Mrs. Matthews. Sie trug ein schickes schwarzes Kleid und begrüßte ihn mit noch schwächerer Stimme als sonst. Sie war nicht seine Patientin, da sie den praktischen Ärzten misstraute, aber als Mann war er ihr sympathisch (wie sie oft feststellte). Jetzt, da Gregory Matthews’ Widerstand gegen eine Verbindung auf diese radikale Weise gebrochen worden war, konnte sie ihn sogar als Schwiegersohn akzeptieren. Daher lag in ihrem Lächeln ein Anflug von mitfühlendem Verständnis, und sie sagte: „Stella hat Ihnen wahrscheinlich schon alles erzählt. Wir können es noch nicht fassen — vielleicht ist das eine Gnade. Und dennoch — als ich heute Morgen erwachte, hatte ich eine Vorahnung. Ich kann es kaum beschreiben, aber ich glaube, dass sehr sensible Menschen, zu denen ich ja gehöre, für das, was ich — Atmosphäre nennen würde, viel aufnahmefähiger sind.“

„Zweifellos“, erwiderte der Arzt, der sie seit langem kannte.

„Es war natürlich ein Herzanfall als Folge einer Kolik“, erklärte Mrs. Matthews. „Mein armer Schwager war manchmal etwas starrsinnig, wie Sie ja wissen.“

„Ja“, pflichtete ihr der Arzt bei und versuchte, an ihr vorbeizukommen. „Sehr starrköpfig.“

Sie ließ ihn gehen und schritt die Treppe hinab, während Beecher die Tür zum Zimmer von Gregory Matthews aufsperrte und ihn hineinführte.

Der Arzt schwieg, während er die auf dem Bett liegende Leiche mit gerunzelten Brauen betrachtete. Beecher blieb beobachtend neben ihm stehen, als er den Toten untersuchte, und sagte dann: „Er ist doch eines natürlichen Todes gestorben, Sir?“

Dr. Fielding blickte rasch auf. „Haben Sie irgendwelche Gründe zu der Annahme, dass dem nicht so war?“

„Aber nein, Sir, bloß dass er so schrecklich aussieht und seine Augen so weit offen stehen, scheint mir nicht normal.“

„Das ist alles? Dann nehmen Sie besser einen Rat von mir an und verbreiten Sie keine derartigen Gerüchte. Sie könnten sonst in Schwierigkeiten geraten.“ Dr. Fielding wandte sich wieder dem Bett zu und führte seine Untersuchung zu Ende. Dann richtete er sich auf.

Beecher öffnete ihm die Tür und bemerkte etwas beleidigt, aber unaufgefordert, dass die Leiche schon kalt gewesen war, als er sie um acht Uhr gefunden hatte. Der Arzt nickte und trat in den Flur hinaus.

Die Gruppe in der Halle hatte sich vergrößert, denn Mrs. Lupton und ihr Mann waren im Wagen von ihrem Haus auf der anderen Seite der Heide herübergekommen. Die Anwesenheit Henry Luptons, eines kleinen Mannes mit sandfarbenem Schnurrbart und schwachen, blauen, sorgenerfüllten Augen, störte niemanden; Mrs. Gertrude Lupton allerdings war ihrer starken Persönlichkeit wegen ein schwieriger und unwillkommener Gast. Sie war eine stark gebaute Frau von rund fünfundfünfzig Jahren, die sich sehr gerade hielt und an jeder nur möglichen Stelle von Fischbeinen gestützt wurde. Sie trug sie sogar in den Spitzenfichus an ihrem Hals. Ihre Hüte waren stets Modelle mit breiten Krempen und hohen Köpfen, darüber hinaus hatte sie eine Vorliebe für lila Puder. Sie kam Gregory Matthews von allen seinen Geschwistern im Alter am nächsten und hatte auch ein ähnliches Temperament. Im Umgang mit ihren Mitmenschen hatten beide große Ähnlichkeit mit Dampfwalzen; Gregory Matthews hatte jedoch seinen furchterregenden Wutanfällen freien Lauf gelassen, während Gertrude noch nie auch nur einen Hauch ihrer unerschütterlichen Ruhe verloren hatte.

Sie war auch jetzt völlig ruhig, obwohl sie sichtlich unter einer starken Gefühlsbewegung litt. Eine Hand auf den Klapptisch in der Halle gestützt stand sie da und gab eine Reihe von sehr überzeugenden Feststellungen von sich. Dr. Fielding blieb am Treppenabsatz stehen und hörte zu, wie sie Harriets Redefluss durch die strenge Ermahnung eindämmte, sich endlich zu beherrschen. Sie schaltete auch Mrs. Matthews aus, die unklugerweise nochmals die Geschichte von ihrer Vorahnung aufgewärmt hatte, indem sie erklärte: „Ich hasse dieses dumme Gerede und finde außerdem, dass es einer Person nicht zusteht, die mit meinem armen Bruder in keiner Weise verwandt war. Ich hoffe doch sehr, Zoe, dass du nicht versuchen wirst, dich zur Hauptfigur in dieser abscheulichen Geschichte aufzuspielen, obwohl ich dich gut genug kenne, um zu wissen, dass es dir sehr ähnlich sehen würde, dich ins Rampenlicht zu drängen.“

Die Offenheit, mit der diese Worte gesprochen wurden (und die nichts anderes als die nackte Wahrheit waren), schaffte es fast, Mrs. Matthews mundtot zu machen. Der Arzt fand, als er die Treppe hinunterging, dass ihre Fassung bewundernswert war, denn sie brachte es zustande, sich mit ungebrochener Milde an Mrs. Lupton zu wenden. „Meine liebe Gertrude, leider versteht ihr starken Frauen uns sensible Geschöpfe oft nicht ganz.“

„Ich verstehe dich sehr gut und habe es immer getan“, antwortete Mrs. Lupton vernichtend. In diesem Augenblick bemerkte sie den Arzt und drehte sich rasch zu ihm um. „Dr. Fielding? Mein Bruder hat von Ihnen gesprochen.“

Ihr Tonfall ließ durchblicken, dass sie nichts Gutes über ihn gehört hatte. Er antwortete etwas reserviert: „Da ich Mr. Matthews einige Zeit behandelt habe, glaube ich das gern.“ Sie betrachtete ihn prüfend. „Und woran“, wollte sie wissen, „ist mein Bruder Ihrer Meinung nach gestorben?“ „Meiner Meinung nach“, antwortete Dr. Fielding mit einem leisen Anflug von Sarkasmus, „ist Ihr Bruder an einer Synkope gestorben.“

„Was ist das?“, fragte Stella, die in dem Augenblick aus dem Esszimmer gekommen war, in dem sie seine Stimme hörte.

„Würden Sie die Freundlichkeit haben“, sagte Mrs. Lupton und ignorierte ihre Nichte, „mir das genauer zu erklären?“

„Aber selbstverständlich“, sagte Fielding. „Ihr Bruder litt an hohem Blutdruck, wie Sie ja sicherlich wissen. Dazu kam ein allerdings nicht sehr ausgeprägter Klappenfehler —“. „Ich weiß sehr gut, dass Sie meinen Bruder wegen seiner Herzzustände behandelt haben“, unterbrach ihn Mrs. Lupton, „aber wenn er wirklich einen Herzfehler gehabt haben sollte, dann war er der Einzige von uns mit einem solchen Leiden. Ich habe nie daran geglaubt. Wir stammen aus einer sehr gesunden Familie, in der man nicht einmal im Traum an ein schwaches Herz dachte.“

„Mag sein“, sagte Fielding, „doch bleibt die Tatsache bestehen, dass Ihr Bruder ein — wie Sie es nennen — schwaches Herz hatte. Ich habe ihn wiederholt vor Aufregungen und schwerem Essen gewarnt, und er hat meine Ratschläge ebenso oft missachtet. Deshalb zweifle ich kaum daran, dass sein Tod auf ein Herzversagen, wahrscheinlich durch einen akuten Kolikanfall verursacht, zurückzuführen ist.“

„Die Ente“, schrie Miss Matthews auf. „Ich habe es ja gewusst!“

„Ja, meine Liebe“, sagte Mrs. Matthews in ihrer tröstlichen Art. „Ich hielt es schon gestern nicht für angebracht, dass du Ente servieren ließest, aber ich mache es mir zur Regel, mich nie in die Aufgabenbereiche anderer einzumischen. Hätte man nur gewusst, wozu das führen wird!“

„Was hat Ihr Bruder gestern Abend gegessen?“, fragte der Arzt.

„Gebratene Ente“, antwortete Miss Matthews, am Boden zerstört. „Er hat sie nie vertragen, und in der Küche lagen zwei schöne Lammkoteletts für ihn bereit, aber er wollte sie nicht. Ich mag gar nicht daran denken.“

„Leider“, fiel Mrs. Matthews ein und lenkte die Aufmerksamkeit des Arztes wieder auf sich, „war das gestrige Abendessen überhaupt nicht für Leute mit schwachem Magen geeignet. Es begann mit Hummercocktail —“.

„Aber den hat Onkel doch nicht gegessen!“, warf Stella ein. „Er hat einen Löffel gekostet und dann festgestellt, der wäre zum menschlichen Verzehr nicht geeignet.“

„Mein liebes Kind, unterbrich uns bitte nicht!“, sagte ihre Mutter. „Und Seezungen mit einer sehr fetten Sauce und einen Käseauflauf, der meiner Meinung nach besonders schwer verdaulich ist.“

„Das klingt genau so, wie man es erwartet, wenn du ein Abendessen zusammenstellst, Harriet“, sagte Mrs. Lupton streng. „Aber es ist mir neu, dass Gregory unter Verdauungsstörungen litt. Ich bin überzeugt, dass etwas an dieser Sache faul ist, und ich bestehe darauf, die Leiche meines Bruders augenblicklich sehen zu können.“

Mrs. Matthews fuhr zusammen und schloss die Augen. „Bitte“, sagte sie schwach. „Nicht dieses schreckliche Wort, Gertrude!“

„Sentimentalität dieser Art liegt mir nicht“, sagte Mrs. Lupton. „Ich nenne die Dinge immer beim Namen, und wenn du mir jetzt beweisen kannst, dass mein unglücklicher Bruder keine Leiche ist, dann wird mich das freuen. Henry, ich gehe jetzt zu Gregory hinauf. Du kommst mit.“

Henry Lupton, der bis jetzt diskret im Hintergrund geblieben war, sagte: „Ja, natürlich, gern!“ Er warf Dr. Fielding einen missbilligenden Blick zu und folgte seiner Frau nach oben. Alle schwiegen, bis die Luptons außer Hörweite waren. Dr. Fielding blickte Stella mit einem schuldbewussten Lächeln an; Mrs. Matthews war auf einen Stuhl gesunken und zeigte einen resignierten Gesichtsausdruck. Plötzlich begann Harriet, deren Lippen sich bis jetzt in stillem Selbstgespräch bewegt hatten, mit großer Empörung: „Das verzeih ich ihr nie, niemals! Jahrelang habe ich für Gregory das Essen zusammengestellt, und er ist nicht daran gestorben! Warum also dieses Mal? Kann mir jemand das erklären?“

„Oh Harriet!“, sagte Mrs. Matthews und schüttelte traurig den Kopf.

„Und sag nicht dauernd ,oh Harriet‘ zu mir!“, fuhr Miss Matthews sie an. „Wenn ihn jemand umgebracht hat, dann warst du es, weil du ihn immer wegen Guy gequält hast — und auch wegen Stella, wenn ich mir das so recht überlege!“ „Oh Deryk“, murmelte Stella, „was sind wir doch für eine fürchterliche Familie!“

Ihre Finger fanden sich in einer kurzen Berührung. „Könnt ihr nicht aufhören, so viel Blödsinn zu reden!“, rief Guy plötzlich von der Tür des Esszimmers. „Es ist doch ganz klar, woran Onkel gestorben ist. Niemand hat ihn umgebracht!“

„Wenn irgendjemand noch einmal das Wort ,Ente‘ gebraucht, fange ich zu schreien an“, sagte Stella.

Das Geräusch einer Tür, die oben ins Schloss fiel, zeigte ihnen an, das Mrs. Lupton zurückkam. Mit fest zusammengepressten Lippen segelte sie die Treppe herab und schwieg, bis sie in der Halle stand. Dann atmete sie pfeifend ein und sagte heftig: „Schrecklich! Ich bin außer mir über das, was ich gesehen habe. Mein armer Bruder!“

„Ja, wirklich“, sagte Henry Lupton, der noch unglücklicher als sonst dreinsah. „Schrecklich, schrecklich!“

„Das reicht, Henry. Herumreden macht die Dinge nicht besser“, sagte seine Frau. Sie sah den Arzt scharf an. „Verstehe ich richtig, wenn ich behaupte, dass Sie gewillt sind, den Totenschein zu unterschreiben?“

Er sah sie stirnrunzelnd an. In seinen Augen lag ein Anflug von Unsicherheit. „Als Mediziner —“.

„Lassen Sie mich mit Ihrer Medizin in Ruhe“, sagte Mrs. Lupton. „Ich bestehe darauf, dass die Meinung eines zweiten Arztes eingeholt wird!“

Schockiert schwiegen alle einen Augenblick. Dieses Schweigen wurde von Mrs. Matthews unterbrochen, die mit rauer, wenn auch noch immer gefasster Stimme sagte: „Liebe Gertrude, du bist erschüttert, und das ist kein Wunder. Du willst doch sicherlich unsere Gefühle nicht verletzen.“

„Die Gefühle der anderen gehen mich nichts an“, sagte Mrs. Lupton. „Ich wiederhole nur, dass ein zweiter Arzt zugezogen werden muss. Darauf bestehe ich.“

„Vielleicht“, sagte Dr. Fielding und sah ihr in die Augen, „wäre es Ihnen recht, wenn ich den Coroner vom Tod Ihres Bruders verständige?“

„Ja“, sagte Mrs. Lupton. „Das ist genau das, was mir recht wäre, Dr. Fielding!“

2

Einen Augenblick lang blieben alle stumm. Niemand konnte darüber hinweggehen, was Mrs. Lupton mit ihrer Aussage angedeutet hatte, doch dauerte es einige Zeit, bevor alle die wahre Bedeutung ihrer Worte begriffen. Jeder starrte sie ein wenig fassungslos an, mit Ausnahme des Arztes, der stirnrunzelnd auf die blankpolierte Tischplatte blickte.

Harriet fand als Erste die Sprache wieder. „Genauso gut könntest du behaupten, dass ich ihn vergiftet habe, und eigentlich wundere ich mich, dass du es nicht tust! Und wenn du mir meine Art, den Haushalt zu führen, vorwirfst, dann bilde dir ruhig ein, dass du es besser kannst, aber ich will nur eines sagen — ich würde mich schämen, wenn in meinem Haus so viel verschwendet wird wie in deinem. Und wenn du glaubst, dass ich Gregory die Ente serviert habe, damit er daran stirbt, dann kann ich dir die Lammkoteletts zeigen, die das Gegenteil beweisen!“

„Leider nein“, sagte Stella mit mühsam beherrschter Stimme. „Die hat das Personal gegessen.“

Mrs. Matthews zog ein Zigarettenetui aus ihrer Tasche, nahm mit zitternden Fingern eine Zigarette heraus und zündete sie an. „Stella! Bitte!“

Guy trat ein paar Schritte vor. „Willst du damit sagen, dass du eine Obduktion beantragen willst?“, fragte er. „Das ist kompletter Unsinn! Und ich würde überhaupt gern wissen, mit welchem Recht du da hereintanzt und dich einmischst! Jetzt, wo Onkel tot ist, bin ich der Herr im Haus, und —“.

„Nein, mein lieber Guy, das bist du nicht“, erwiderte seine Tante völlig ungerührt. „Ich habe keinen Zweifel, dass du dich gern als Familienoberhaupt aufspielen würdest, und ich weiß auch genau, wie sehr ihr beide, deine Mutter und du, intrigiert habt, damit dich dein Onkel als Erben einsetzt. Mir ist aber nicht bekannt, dass er das je getan hat. Und wie die Dinge nun stehen, darf ich dich wohl daran erinnern, dass dein Cousin Randall jetzt das Oberhaupt der Familie ist.“

Guy errötete wütend. „Auf jeden Fall bist du nicht das Familienoberhaupt, und daher hast du kein Recht —“. „Wenn Randall in diese Affäre hineingezogen wird, dann gehe ich sofort“, erklärte Stella angeekelt. „Ich kann einiges ertragen, aber Randall nicht. Und wenn irgendjemand Onkel vergiftet hat, dann war es Randall.“

„Das“, sagte Mrs. Lupton, „ist eine sehr dumme Bemerkung, die du sicher bereust, wenn du dir überlegst, was du da eben gesagt hast. Ich will Randall keineswegs verteidigen. Ganz und gar nicht. Aber ihn des Giftmordes an deinem Onkel zu bezichtigen, ist absurd. Randall war seit letztem Sonntag nicht mehr in Grinley Heath.“

„Steigern wir uns nicht vielleicht alle ein wenig in die Sache hinein?“, warf Mrs. Matthews begütigend ein. „In Wahrheit glaubt doch keiner von uns, dass der arme Gregory an etwas anderem als an den Folgen eines akuten Kolikanfalls gestorben ist. Gäbe es auch nur den leisesten Grund, irgendeinen Verdacht zu hegen, dann wäre ich die Erste, die eine gründliche Untersuchung fordern würde. Aber ich bin überzeugt, dass niemand seinen Tod wünschte, und ich muss schon sagen, Gertrude, wenn du dir überlegst, wie unangenehm, wie peinlich eine gerichtliche Untersuchung wäre —“.

„Ich hoffe doch sehr, dass mich mögliche Unannehmlichkeiten nicht von meiner Pflicht abhalten“, sagte Mrs. Lupton. „Und wenn du nun behaupten willst, dass niemand an Gregorys Tod interessiert war, muss ich dir leider widersprechen. Ihr könnt überzeugt sein, dass ich niemanden anklage. Aber die Zwistigkeiten, die in diesem Haus herrschten, sind mir nur allzu gut bekannt, und ich kann nicht darüber hinwegsehen, so schmerzlich das auch ist, dass etliche Personen aus seinem Tod Nutzen ziehen werden.“

Ihr Mann mischte sich völlig unerwartet in die Diskussion ein. Er hüstelte und meinte nervös: „Meine Liebe, ich glaube doch, dass wir uns der Meinung des Arztes anschließen sollten. Du willst doch keinen Skandal auslösen! Es wäre dir sicher sehr unangenehm, wenn du auf diese Weise ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt würdest.“

„Sei bitte so freundlich, Henry, mir meine eigenen Ansichten zu gestatten“, sagte Mrs. Lupton eisig. „Wir beide haben sicherlich keinen Grund, eine polizeiliche Untersuchung zu fürchten.“

Henry sah verschreckt drein und sagte: „Nein, Liebling, natürlich nicht, aber sollten wir es uns nicht noch einmal überlegen, bevor wir etwas unternehmen?“

„Deryk, du glaubst doch nicht, dass man ihn vergiftet hat?“, wandte sich Stella besorgt an den Arzt.

Fielding schenkte ihr ein kurzes Lächeln. „Nein, natürlich nicht. Aber wenn Mrs. Lupton auch nur den leisesten Zweifel hegt, wäre es mir natürlich lieber, wenn eine Obduktion stattfände.“ Während er dies sagte, sah er Mrs. Lupton an und fügte hinzu: „Was mich anlangt, habe ich keinen Einwand, den Fall vor den Coroner zu bringen.“

„Ich aber schon“, fuhr Guy wütend dazwischen. „Alle, mit Ausnahme von Tante Gertrude, sind mit Ihrer Diagnose ganz einverstanden, und ich sehe überhaupt nicht ein, weshalb wir Onkel zerschnitzeln lassen und unsere Schmutzwäsche in der Öffentlichkeit waschen sollen. Natürlich ist er nicht vergiftet worden, aber in dem Augenblick, in dem eine Autopsie vorgenommen und eine Untersuchung eingeleitet wird, werden die Leute sagen, es gäbe keinen Rauch ohne Feuer, und das Leben wird uns zur Hölle gemacht.“

„Damit hat er völlig recht“, stimmte seine Mutter zu. „Und ich frage mich, ob der arme Gregory das wirklich gewollt hätte.“

„Nein“, sagte Miss Matthews mit großer Überzeugung. „Er hat gesagt, dass er nichts mehr mit Ärzten zu tun haben will. Und ich will es auch nicht, obwohl in diesem Haus ja keiner Rücksicht auf mich nimmt und nie Rücksicht genommen hat! Ich weiß jetzt schon, was geschehen wird. Wir werden Fragen beantworten müssen, die mit dem Fall überhaupt nichts zu tun haben, und letztlich konnte man doch nicht mit Gregory zusammenleben, ohne mit ihm zu streiten. Und ich erzähle auf jeden Fall, dass Gertrude diejenige war, die am meisten mit ihm stritt, als wir noch Kinder waren, und der arme Hubert und Arthur würden mir das bestätigen, wenn sie noch am Leben wären!“ Die so plötzlich auftauchende Erinnerung an ihre beiden verstorbenen Brüder brachte sie wieder zum Weinen. Sie zog ein riesiges Taschentuch aus der Tasche, schnaubte hörbar und sagte: „Wenn es nur einen Mann gäbe, an den ich mich wenden könnte. Aber meine Brüder sind alle tot, und selbst Mr. Rumbold ist nicht da, und ihr reitet alle auf mir herum!“

„Sei nicht lächerlich, Harriet!“, fuhr ihre Schwester sie an. „Keiner von uns verdächtigt dich.“

„Du hast leicht reden“, erwiderte Miss Matthews, „aber ich bin fest davon überzeugt, dass sie der Ente die Schuld geben und mir die Koteletts nicht glauben werden! Und dann werden sie wahrscheinlich den armen Guy für schuldig halten, bloß weil ihn sein Onkel nach Südamerika schicken wollte, was ganz typisch für Gregory war, und wenn ihn Guy wirklich umgebracht hat, hätte er zumindest einen Grund dafür gehabt. Und das werde ich ihnen auch sagen. Guy ist der Einzige von euch, der ein wenig Zuneigung für seine arme alte Tante zeigt, und ich glaube, dass du das alles nur aus Bosheit sagst, Gertrude!“

Nachdem sie ihre Anklage so heftig vorgebracht hatte, brach Miss Matthews völlig zusammen. Sie stieß ihre Schwester und ihre Schwägerin wütend von sich, so dass sie schließlich von Guy und Stella auf ihr Zimmer gebracht werden musste. Guy erfüllte seine Aufgabe, ohne besondere Zeichen von Zuneigung für seine Tante zu zeigen, während Stella ganz offen Grimassen schnitt, die an Dr. Fielding gerichtet waren. Sie musste bei Miss Matthews bleiben, bis die so schwer Geprüfte sich etwas erholt hatte, und als sie endlich wieder herunterkam, hatte Dr. Fielding das Haus schon verlassen, und Mrs. Matthews verabschiedete die Luptons gerade auf der Veranda. Stella fand ihren Bruder in der Bibliothek, wo er soeben mit Mr. Nigel Brooke telefonierte, mit dem er vor einem Jahr eine etwas fragwürdige Firma gegründet hatte.

Mr. Brooke war von Beruf Innenarchitekt, und da Guy ein Faible für die Kunst mit einer tiefen Verehrung für Mr. Brooke verband, der vier Jahre älter als er war, hatte es nicht lange gedauert, bis auch er sich zum Innenarchitekten berufen fühlte. Beide waren die einzigen Söhne verwitweter Mütter, doch während Nigel volle Verfügungsgewalt über sein ererbtes Vermögen besaß, hatte Arthur Matthews das bisschen Geld, das er seinem Sohn hinterließ, in einem Treuhandschaftsfonds angelegt, wobei als Treuhänder seine Frau und Arthurs ältester Bruder Gregory fungierten. Guy verdankte seine Partnerschaft der geschickten Verhandlungstaktik seiner Mutter, die mit Gregory Matthews umzugehen wusste, denn er liebte hübsche Frauen und hatte keine Ahnung von den Fähigkeiten seines Neffen; er hatte sich überreden lassen, Guy eine Summe von tausend Pfund für das neugegründete Unternehmen zu überantworten. Seit diesem Tag hatte er mehr als genügend Gelegenheit gehabt, die beruflichen Fähigkeiten seines Neffen zu beurteilen, und hatte die Bitte um einen weiteren Vorschuss zur Sanierung der auf schwachen Beinen stehenden Firma Brooke und Matthews mit dem Gegenvorschlag beantwortet, sein Neffe möge doch den freien Posten im Betrieb eines seiner Geschäftspartner in Brasilien annehmen, der dort eine Gummiplantage besaß. In diesem Fall hatten die Schmeicheleien und selbst die Tränen des „hübschen Frauchens“ keinen Einfluss auf Gregorys hartes Herz. Er nannte seinen Neffen einen jungen Verschwender und äußerte mit tiefster Inbrunst seinen Wunsch, ihn für immer loszuwerden. Es war wahrscheinlich das erste Mal im Leben von Zoe Matthews, dass sie ihren Willen nicht durchsetzen konnte. Das einzige Mittel, die Wünsche ihres Sohnes zu erfüllen und ihn bei sich zu behalten, hätte darin bestanden, ihm etwas von ihrem eigenen Kapital zur Verfügung zu stellen. Da ihr Einkommen aber ihren Bedürfnissen in keiner Weise gerecht wurde, stand diese Möglichkeit gar nicht zur Debatte, ja, sie überlegte sie nicht einmal. Sie vermied es auch peinlich, ihren Groll vor Gregory Matthews zur Schau zu stellen, denn dies wäre sehr unklug gewesen und hätte vielleicht dazu geführt, dass sie ein äußerst bequemes Heim verlor, für das sie keinen Penny bezahlen musste. Dieses Heim hatte natürlich auch Nachteile. Es gehörte ihr nicht, und die Anwesenheit ihrer Schwägerin war ihr ein Dorn im Auge. Da die arme Harriet jedoch das genaue Gegenteil all dessen war, was Gregory Matthews an einer Frau schätzte, bedurfte es nur geringer Anstrengungen, ihn bei jedem Zwist mit ihrer Schwägerin auf ihre Seite zu ziehen. Geduld und stete Liebenswürdigkeit hatten zum Ziel geführt: Nach fünf Jahren in Poplars hatte Zoe Matthews erreicht, dass sie zwar nicht als Hausherrin, jedoch als gerngesehener Gast behandelt wurde, dessen Wünsche immer an erster Stelle standen. „Eine völlig gewissenlose Frau — meine liebe Tante Zoe“, hatte Randall Matthews einmal gemurmelt und sie boshaft unter seinen langen Wimpern hervor angesehen.

Stella dachte an Randall, während sie darauf wartete, dass ihr Bruder das Gespräch mit Nigel Brooke beendete. Als er endlich auflegte, fragte sie ihn abrupt: „Glaubst du, dass Onkel alles Randall hinterlassen hat?“

„Ich fürchte, ja — oder zumindest erbt er den größten Teil des Vermögens“, antwortete Guy. „Wenn du meine Meinung hören willst, dann sage ich dir, dass Randall daran monatelang gearbeitet hat — er ist doch immer wieder hereingeschneit und um Onkel herumscharwenzelt. Es ist so verdammt unfair! Ich gebe das Studium auf, nehme eine Arbeit an und arbeite hart, und Randall tut nichts anderes, als hier herumzulungern, elegant auszusehen und viel Geld auszugeben (denn Onkel Hubert hat ihm eine gute Stange Geld hinterlassen, wie mir Tante Harriet gesagt hat). Er versucht gar nicht, zu arbeiten. Mir wird ganz übel bei dem Gedanken! Und außerdem ist er ein Giftspucker.“

Stella zündete sich eine Zigarette an. „Wahrscheinlich taucht er bald hier auf. Und wird jedem in seiner liebenswürdigen Art ekelhafte Dinge an den Kopf werfen. Glaubst du, dass Onkel Mutter etwas hinterlassen hat?“

„Da bin ich ziemlich sicher“, meinte Guy zuversichtlich. „Jedenfalls ist sie jetzt der einzige Treuhänder, was für mich bedeutet, dass ich mit Nigel weitermachen kann.“ Dann runzelte er die Stirn. „Alles wäre in Ordnung, wenn nicht diese alte Xanthippe von Tante Gertrude wäre! Ich weiß wirklich nicht, warum sie sich da einmischt.“

„Sie ist eifersüchtig auf uns“, sagte Stella beiläufig. „Wahrscheinlich glaubt sie, dass Mutter von Onkel mehr Geld erbt als sie selbst. Es ist natürlich was Ekliges, aber zu schlimm wird es schon nicht sein — ich meine, die Obduktion.“

„Oh nein?“, fragte Guy mit beträchtlicher Bitterkeit. „Ich fürchte, dass Tante Harriet einmal in ihrem Leben ins Schwarze getroffen hat! Die Polizei wird hier herumkriechen und unangenehme Fragen an uns stellen, und wenn du das für lustig hältst — ich tue das nicht. Jeder weiß, dass ich mit Onkel wegen Südamerika fürchterlich gestritten habe, und wenn die Polizei davon hört, bin ich in einer sehr ungemütlichen Lage.“

Ziemlich unbeeindruckt schnippte Stella die Asche ihrer Zigarette auf den Teppich. „Wenn sie aber herausfinden, dass Onkel nicht vergiftet wurde, werden sie überhaupt keine Fragen stellen.“

„Ja, aber was ist, wenn er doch vergiftet wurde?“

„Das ist doch lächerlich.“ Sie blickte plötzlich auf. „Guter Gott, du meinst — du meinst doch nicht ernsthaft, dass man ihn umgebracht hat?“

„Nein, natürlich nicht“, antwortete Guy. „Aber wir müssen einfach der Tatsache ins Auge sehen, dass es hätte geschehen können. Ich glaube ja nicht, dass es der Fall ist, aber dieser Esel Fielding war da nicht so sicher.“

„Macht es dir sehr viel aus, Deryk nicht einen ,Esel‘ zu nennen?“, fragte Stella eisig. „Zufällig werde ich ihn heiraten.“

„Das wird dich auch noch einige Anstrengung kosten, es der Polizei begreiflich zu machen“, gab Guy zurück. „Und dann kannst du ihnen auch gleich erzählen, was Onkel dazu gesagt hat, einschließlich der Geschichte von der Entwöhnungsanstalt.“

„Halt den Mund!“, fuhr ihn Stella wütend an. „Deryk ist doch nicht schuld daran, dass sein Vater ein Säufer war.“

„Nein, aber für ihn ist es ein Pech“, spottete Guy. „Vor allem, wenn bekannt wird, dass ihm Onkel in seiner wohlbekannten neckischen Art gedroht hat, alles zu erzählen, wenn er nicht die Finger von dir lässt.“ Stellas Hand zitterte, als sie die Zigarette an die Lippen führte, aber sie beherrschte sich und meinte nur: „Es genügt dir wohl nicht, nur ordinär zu sein, du musst auch noch boshaft sein.“

„Ordinär bin ich vielleicht, aber sicher nicht boshaft“, entgegnete Guy. „Ich möchte dir nur deine Lage klarmachen. Mir ist es völlig egal, dass Fieldings Vater ein unheilbarer Säufer war, aber wenn du glaubst, dass die Leute von Grinley Heath das ebenso sehen, dann täuschst du dich. Seine Praxis hätte ich gern gesehen, wenn Onkel auch nur den Mund aufgemacht hätte. Und ein Abstinenzler ist er selbst ja gerade auch nicht. Ganz im Gegenteil.“

„Du bist ein dreckiges, hinterhältiges Schwein!“, fuhr ihn Stella mit wutgeröteten Wangen an. „Du magst vielleicht glauben, dass Deryk Onkel vergiftet hat, aber ich traue dir das viel eher zu.“