Die Bierbrauerin - Gabriele Breuer - E-Book

Die Bierbrauerin E-Book

Gabriele Breuer

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Beschreibung

Als 1516 das Reinheitsgebot in Bayern erlassen wird, brechen neue Zeiten in der Brauerzunft an. Die junge Wirtin Marlein braut ihr Bier weiter so, wie ihr verstorbener Mann es ihr einst beibrachte. Schon lange hat sie mit ihrer florierenden Schenke den Zorn des Brauers Jacob auf sich gezogen, und er tut alles, um sie zu sabotieren. Marleins Tochter Katherl leidet am meisten unter den Schikanen und wird schließlich sogar entführt. Ausgerechnet Jacobs Sohn bietet Marlein in ihrer Verzweiflung seine Hilfe und Freundschaft an. Gegen alle Widerstände kämpfen die beiden für eine gemeinsame Zukunft, ihre Familie und eine scheinbar unmögliche Liebe.

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Das Buch

Bayern 1516: Das Reinheitsgebot wird erlassen, und für die Bierbrauer im Land brechen neue Zeiten an. Die junge Wirtin Marlein braut ihr Bier allerdings weiterhin so, wie ihr verstorbener Mann es ihr einst beibrachte, auch wenn sie sich damit nun in Gefahr bringt. Denn schon lange ist sie mit ihrer florierenden Schenke ein Dorn im Auge des Brauers Jacob, und er tut alles, um sie zu sabotieren. Marleins Tochter Katherl leidet am meisten unter den Schikanen und wird schließlich sogar entführt. Denn das Kind trägt ein Feuermal und wird weggesperrt. Außer­dem zeigt Jacob sie wegen ihres unreinen Bieres an. Marlein ist verzweifelt, bangt um ihr Kind und ihre Zukunft. Ausgerechnet Jacobs Sohn Linhart bietet Marlein seine Hilfe und Freundschaft an. Gegen alle Widerstände kämpfen die beiden für eine gemein­same Zukunft, ihre Familie und eine scheinbar unmögliche Liebe.

Die Autorin

Gabriele Breuer, geboren 1970, lebt mit ihrem Mann und Sohn in Köln. Sie arbeitet in einem Seniorenheim und schreibt nur in ihrer Freizeit. Unter dem Namen Gabi Breuer veröffentlicht sie auch Unterhaltungsromane.

Von Gabriele Breuer sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Magd und das Teufelskind

Luzifers Töchter

Die Bernsteinbraut

Der Fluch der Seherin (E-Book)

GABRIELE BREUER

Die Bierbrauerin

HISTORISCHER ROMAN

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1208-8

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Titelabbildung: © AKG Images/Bouguereau, William Adolphe 1825–1905. »Moissoneuse, ou L’Italienne à la ­fontaine«, 1868. Kunsthandel New York, Sotheby’s (Frauenkörper, Gemälde); © AKG Images/Schroedter, Adolph 1805–1875. »Triumphzug des Königs Wein«, 1872 (Bierumzug); © Peter Horree/Alamy (Detail/Kopf); ©FinePic®, München (Fass)

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Für Josef und Marcel, die mir unermüdlich zur Seite stehen

»Das Bier aber macht das Fleisch des Menschen fett und gibt seinem Antlitz eine schöne Farbe durch die Kraft und den guten Saft des Getreides …«

(Hildegard von Bingen, 1098–1179)

1

Marlein hatte das Gefühl, dass ihre Arme länger und länger wurden unter der Last der Eimer. Wie oft hatte sie dem Drang widerstehen müssen, das Wasser einfach aus der Schutter zu schöpfen, die unmittelbar an ihrem Birnbaumhäusle vorbeirauschte! Aber die Schanzer, wie sich die Ingolstädter gern nannten, wuschen nicht nur ihre Wäsche in dem kleinen Fluss, sondern kippten auch ihren Unrat hinein. Wenn Marlein recht darüber nachdachte, mochte sie nicht wissen, was noch alles darin herumschwamm. Da nahm sie doch lieber den Weg zum Marktplatz auf sich, um am Brunnen Wasser zu holen. Außerdem würde sich Hannes im Grabe herumdrehen, wenn sie mit dem Wasser der Schutter sein Stachusbier braute. In diesem Augenblick schien es ihr, als hörte sie die vorwurfsvolle Stimme ihres verstorbenen Mannes im Ohr. Wie oft hatte er sie für ihre Missgeschicke gerügt, für Kleinigkeiten, wie einen umgestoßenen Eimer oder verschüttetes Bier! Und wenn etwas zu Bruch gegangen war, hatte er sie für den Rest des Tages mit Verachtung gestraft.

Marlein seufzte, stellte kurz die Eimer zu ihren Füßen ab und zog sich die Schaube enger um die Schultern. Der ­Ostermonat im Jahr 1516 wollte nicht an Wärme gewinnen. Wenn auch der Schnee bereits geschmolzen war, pfiff ­immer noch ein eisiger Wind durch die engen Gassen, der des Nachts den Frost in den Boden trieb. Marlein blies sich kurz auf die steifen Finger und hob die Eimer wieder auf, denn der Weg würde nicht kürzer werden, wenn sie hier herumstand. Sie dachte an Brauer Jacob, der unmittelbar in ihrer Nachbarschaft wohnte. Anders als sie war er in der glück­lichen Lage, einen eigenen Brunnen zu besitzen. Aber Jacob würde gewiss eher dem Teufel den Hintern küssen, als sie das Wasser daraus schöpfen zu lassen. Nun kam sie auch so zurecht, wie sie das letzte Jahr über bewiesen hatte. Bisher war es ihr nicht in den Sinn gekommen, sich einen neuen Mann ins Haus zu holen. Sie seufzte erneut. Wenn da nur nicht die Braustube und die Schenke wären, die sie bald nicht mehr allein führen durfte. So schrieb es ihr zumindest die Zunft vor.

Marlein setzte ihren Weg fort, und ihre Gedanken kehrten­ zurück zu Brauer Jacob und dessen Familie. Niemand von ihnen war ihr freundlich gesinnt. Selbst die Tochter Gundi nicht mehr, die im gleichen Alter wie sie selbst war. Als Kinder hatten sie zusammen gespielt, bis dies von einem auf den anderen Tag vorbei gewesen war. Den genauen Grund dafür wusste Marlein nicht, vermutete aber, dass Brauer Jacob den Umgang verboten hatte. Dann gab es noch Linhart, den Sohn des Brauers, der zwei Jahre jünger als Gundi war. Er hatte sie als Kind schon nicht leiden können und sie ihn auch nicht mehr, nachdem er sie einmal vor den Augen eines anderen Jungen in den Dreck gestoßen hatte.

Marlein schob die bitteren Gedanken daran beiseite, stieß die Tür zu ihrem Birnbaumhäusle auf und trat in den Schank­raum. Gerade mal vier Tische passten in die kleine Stube, die an Tagen, an denen Marlein den Kranz aus Immergrün zur Gasse hinaushängte, vollbesetzt mit Weibern war. Nach Hannes’ Tod schenkte sie nur noch an Frauen aus, deren Lachen meist bis auf die Gasse zu hören war. Auch wenn sich ihre Füße spät in der Nacht nur noch wund anfühlten, liebte Marlein diese Tage. Nur selten gab es eine Schlägerei in ihrer Weiberzeche, da kein Mann ihr oder den Frauen zu nahe auf den Leib rücken konnte. Auch heute war einer ­dieser Tage, an denen sie mit dem Kranz kundtat, dass sie am Abend die Pforte der Schenke öffnen würde.

Großmutter Alheyt und die kleine Katherl sahen von ­ihrem Spiel auf, bei dem sie Steine zu einem Muster legten. Die beiden saßen an einem der Tische nahe dem Tresen, auf dem sich bereits die sauberen Zinnkrüge aneinanderreihten.

»Hast du das Kälbchen gefüttert?«, krähte Alheyt.

Marlein stellte die Eimer zu ihren Füßen ab und sah ihre Großmutter kopfschüttelnd an. »Was für ein Kälbchen? Wir haben doch noch nicht einmal einen Esel.«

»Wie?« Die Alte hob eine Augenbraue und schnalzte mit der Zunge. »Natürlich haben wir eins. Das Sauviech schreit den lieben langen Tag. Hast du es etwa an den Ohren, dass du das nicht hörst?«

Neben ihr kicherte Katherl hinter vorgehaltener Hand. Mit ihren fünf Lenzen verstand das Mädchen mittlerweile jedes Wort.

Marlein ging auf Großmutters Geschwätz nicht weiter ein und entledigte sich ihrer Schaube, die sie an einen Haken hinter der Tür hängte.

»Was denn nun? Willst du es nicht endlich füttern, damit das Geschrei aufhört?«, hakte Alheyt nach. Sie rieb sich mit dem Fingerknöchel über das hängende Augenlid, das sie von jeher entstellte.

»Wenn ich das Wasser in die Backstube gebracht habe, kümmere ich mich darum.« Marlein strich ihrer Tochter über das dunkelblonde Haar. Dann zupfte sie an dem Tuch, das sie Katherl um den Hals gebunden hatte, damit niemand das feuerrote Mal sah. Als das Tuch an der rechten Stelle saß, hob Marlein die Eimer wieder auf und ging durch die Hintertür auf den Hof, an den die Backstube des Nachbarn grenzte.

Durch die kleinen Fenster sah sie Meister Edi, dessen Hände tief in einem Teigklumpen steckten. Marlein betrat die beheizte Stube, in der es herrlich nach frischem Brot duftete, und brachte die Wassereimer zum Maischbottich. Der Bäckermeister teilte das Backhäuschen mit ihr, damit sie dort ihr Bier brauen konnte. Dafür zahlte sie Edi einen geringen Obolus, den sie gut und gern entbehren konnte. Denn an den Tagen, an dem seine Frau Nyß das Backen übernahm, half Edi sogar beim Brauen.

Der Bäckermeister lachte sie an. Er war ein kleiner Mann mit kahlgeschorenem Kopf und einem guten Gemüt. »Ich hab dir heute Morgen schon mal die Wurzelkeime vom Braumalz entfernt. Geschrotet ist es auch. Du kannst also gleich die Maische ansetzen.«

Marlein trat zu dem Bottich, in den Edi bereits das Malzschrot geschüttet hatte, und gab das Wasser aus den Eimern dazu. »Wenn ich dich nicht hätte …« Sie schenkte Edi ein dankbares Lächeln, rührte die Maische um und entfachte das Feuer unter dem Bottich.

Edi schlug mit den flachen Händen auf den Teig. »Dein Katherl hat Nyß gestern so tatkräftig bei der Wäsche geholfen, dass ich mich doch erkenntlich zeigen muss.«

Marlein hob die Augenbrauen. Ihre Tochter war noch so zierlich, dass sie kaum die nasse Bettwäsche getragen haben konnte. »Hat sie die Strümpfe sortiert?«

»Richtig. Keine schwere Arbeit, aber eine zeitraubende, wie mein Weib meint.« Edi schüttete Mehl auf den Holztisch und verschwand hinter einer weißen Wolke. »Wir helfen uns halt gegenseitig, so gut wir können.« Er lachte heiser und sah zu den beiden Holzfässchen, in denen das Bier für den Ausschank bereitstand. Der Holzbalken, der sie bedeckte, war an den Enden mit Salz bestreut. Außerdem lagen eine Schere und ein Kreuz darauf, um die Dämonen vom Bier fernzuhalten.

Marlein gab Johanniskrautöl, Wacholderbeeren sowie getrocknetes Wermutkraut in die Maische und sang dabei ein frommes Lied, das der Teufel gewiss verabscheute.

Während er geduldig wartete, bis sie es beendet hatte, formte Edi einen Laib Brot und schob ihn in den Ofen. »Nyß freut sich mächtig auf deine Weiberzeche heute Abend.«

»Wie schön. Die Abende sind wirklich eine Wohltat für die Frauen.« Marlein freute sich ebenso darauf, denn Nyß und sie waren von Kindesbeinen an gute Freundinnen. Ein wenig beschlich sie jedoch das schlechte Gewissen, Edi nicht in ihre Schankstube zu bitten, aber Nyß würde es gewiss nicht gutheißen, wenn er die Frauenrunde störte. Vielleicht sollte sie doch die Schenke bald mal wieder für die Männer öffnen. Dann jedoch musste sie einen Knecht einstellen, denn allein würde sie es nicht schaffen, die Mengen an Bier zu brauen, die sie dafür benötigte. Marlein maß mit dem Ellenbogen die Temperatur der Maische, die gerade so heiß war, dass sie sich nicht den Arm verbrühte. Sie löschte das Feuer unter dem Bottich und sah zu Edi. »Ich geh dann mal unser Kälbchen füttern.«

Der Bäckermeister hob die Augenbrauen. »Seit wann besitzt du ein Kalb?«

»Gesehen habe ich es bisher auch noch nicht, aber Alheyt ist fest davon überzeugt, dass es den ganzen Tag schreit.«

»Ach herrje. Na, dann.« Edi winkte mit der mehlweißen Hand ab. »Geh nur. Ich halte deine Maische im Auge.«

Als Marlein in den Schankraum zurückkehrte, stocherte Alheyt gerade mit der Spitze eines Messers auf Steinen her­um. Katherl hatte die Arme auf den Tisch gelegt, ließ das Kinn darauf ruhen und beobachtete das Geschehen mit ihren großen grünen Augen.

Marlein stellte sich hinter ihre Tochter und ließ den geflochtenen Zopf des Mädchens durch ihre Hände gleiten. Das Haar ihrer Tochter war um einiges dunkler als ihr eigenes, eher wie das des verstorbenen Vaters. Aber die Augen waren von dem gleichen Moosgrün wie die ihren.

»Was machst du da?«, fragte sie Alheyt, die, in ihrer Arbeit versunken, die Zunge zwischen die Lippen geklemmt hielt.

»Sie bohrt Knopflöcher«, antwortete Katherl an Stelle der Großmutter.

Marlein setzte sich neben Alheyt an den Tisch. »Ich habe das Kalb gefüttert. Es ist nun still.«

Die Alte hielt inne und hob den Blick. »Seit wann haben wir ein Kalb?«

Marlein seufzte. »Seit du mir eben eins aufgeschwatzt hast.«

»Ich?« Entgeistert starrte sie Marlein an. »Ist dir in der Braustube die Bierhexe begegnet, oder was?« Sie schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Stein zu.

Katherl krabbelte auf Marleins Schoß, von wo aus sie der Großmutter mit dem Finger gegen den Arm tippte. »Du hast gesagt, es würde den ganzen Tag schreien.«

Die Spitze des Messers rutschte von dem glatten Stein und bohrte sich in die Handfläche der Alten. Augenblicklich quoll ein Rinnsal von Blut über die bleiche Haut und tropfte auf den Tisch. Katherl schrie auf. Alheyt hingegen starrte stumm ihre Hand an.

Rasch schob Marlein das Kind von ihrem Schoß, um ein Tuch zu holen. Warum nur hatte sie Alheyt das Messer nicht abgenommen? Sie hatte doch geahnt, was geschehen würde. Blödes Gerede vom Kalb! Als ob es das wert gewesen wäre.

Alheyt hielt sich die blutende Hand und begann zu jammern.

Katherl kroch unter den Tisch und hielt sich die Ohren zu. Marlein versuchte ruhig zu bleiben und tupfte das Blut von Alheyts Hand. Es wollte jedoch nicht versiegen und quoll weiterhin aus der klaffenden Wunde. Das Tuch, das Marlein auf die Wunde drückte, sog sich augenblicklich mit Blut voll. Gewiss musste die Wunde genäht werden. Besorgt sah Marlein unter den Tisch. »Hilfst du mir, Katherl?«

Marlein tippte ihre Tochter sanft mit dem Finger an. Als Katherl endlich die Hände von den Ohren nahm, wiederholte sie ihre Frage.

»Was denn?« Katherl biss sich auf die Unterlippe.

»Lauf hinüber zu Nyß und sag ihr, sie soll rasch zu mir kommen.«

Katherl nickte, verließ ihr Versteck und lief aus dem Schankraum.

Es dauerte nur wenige Atemzüge, bis sie mit Nyß zurückkam. Außer Atem legte sie die Hand auf ihre Brust. Eine kupferfarbene Haarsträhne hatte sich aus ihrer Haube verirrt und kringelte sich neben dem rechten Auge. »Himmel, was für ein Blutspiel«, keuchte sie.

Alheyt verzog das Gesicht, aus dem jegliche Farbe gewichen war, und winselte wie ein junger Hund.

»Die Wunde muss genäht werden. Das hast du doch einmal bei Edi gemacht«, sagte Marlein.

»Sicher.« Nyß ließ sich mit ihrem fülligen Leib auf einem Stuhl gegenüber am Tisch nieder.

»Katherl, hol Nadel und Faden aus der Wohnstube«, wies Marlein ihre Tochter an, obwohl sie nicht wusste, wie sie ­Alheyt ruhig bekommen sollte, wenn Nyß die Nadel durch ihr Fleisch stieß.

»Hast du noch etwas von dem Bier mit Bilsenkraut, das ein wenig zu stark geraten ist?«, fragte Nyß.

»Ja, hinter dem Tresen. Das Fässchen steht in dem kleinen Loch im Boden.« Marlein drückte das Tuch fester auf die Wunde.

Nachdem sie kurz darauf die Alte mit dem Bier betäubt und die Wunde genäht hatten, spürte Marlein die Erschöpfung schwer wie Blei durch ihren Leib kriechen. Dabei war es noch nicht einmal Mittag. Doch immerhin hatte sie die halbe Nacht damit zugebracht, den Rübeneintopf für heute Abend zu kochen und die Schenke vom Staub zu befreien. Sie sank auf einen Stuhl und starrte vor sich hin.

»Du siehst müde aus«, bemerkte Nyß und blickte sie besorgt an. »Geh in deine Kammer und ruh dich ein wenig aus.«

»Das kann ich nicht. Ich muss die Maische im Auge behalten. Wenn sich Edi darum auch noch kümmert, kommt er mit dem Backen nicht nach.«

»Dann lasse ich die Wäsche für heute ruhen und gehe ihm zur Hand. Komm, leg dich etwas hin. Es nutzt niemandem etwas, wenn du umfällst.«

Marlein nickte und sah zu Katherl. »Achtest du auf Großmutter?«

Das Mädchen ging zu der Bank, auf der Alheyt lag, und setzte sich brav neben die Alte.

Als sich Marlein kurz darauf auf ihrem Bett niederließ, kreisten ihre Gedanken um Alheyt. Die Großmutter war ihr keine rechte Hilfe mehr, denn sie brachte alles durcheinander. Seit geraumer Zeit schon konnte Marlein sie nicht mehr an die Braukessel lassen, weil sie um die Würze bangte. Das letzte Mal, als die Alte in der Braustube ihr Unwesen getrieben hatte, war das Bier sauer geworden. Bedauernd seufzte Marlein auf. Alheyt hatte ihr Handwerk immer gut verstanden und war, nachdem ein Fieber Marleins Eltern dahingerafft hatte, eine große Stütze gewesen. Erst recht in der Zeit nach Hannes’ Tod. Wegelagerer hatten ihn damals nieder­gestreckt, als er sein Stachusbräu im Herzogtum verkaufen wollte. Er war bereits auf dem Heimweg kurz vor ­Ingolstadt gewesen, als die Räuber ihn mit der Keule erschlugen. ­Marlein erinnerte sich mit Magenschmerzen daran, wie zwei ­Jäger seine Leiche mit dem zertrümmerten Schädel heimgebracht hatten.

Die Gedanken ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Nach wenigen Minuten erhob sie sich von ihrem Bett und ging wieder hinunter in die Schankstube. Katherl spielte neben der schlafenden Großmutter mit ihren Lumpenpuppen, und Marlein vergewisserte sich, dass die Alte noch atmete. Als sie sah, wie sich ihre Brust hob und senkte, wandte sie sich an ihre Tochter. »Ich muss an den Maischbottich.«

»Bist du schon ausgeruht?«, fragte das Kind.

»Ja, Liebes.«

»Wann wacht Großmutter denn wieder auf?«

»Lass sie ruhig noch etwas schlafen«, sagte Marlein, strich ihrer Tochter über die rosigen Wangen und eilte in die Backstube.

Auf der Schwelle erstarrte sie. »Was machst du denn hier?«

Linhart kniete vor dem Maischbottich und blies in die Flammen, die darunter züngelten. Als er Marlein erblickte, sprang er auf. Seine Wangen röteten sich leicht, und er wollte wohl etwas sagen, bekam aber keinen Ton ­heraus.

Marlein sah zu Edi, der abermals einen Teigklumpen knetete. »Wie kannst du zulassen, dass er in meiner Maische herumpfuscht?«

Edi wischte sich mit einem Tuch das Mehl von den Händen und kam zu ihr herüber. »Er pfuscht nicht in der Maische herum. Er geht dir nur etwas zu Hand.«

Marlein sah wieder zu Linhart. Sein helles Haar lockte sich bis zu den Schultern, und seine blauen Augen wirkten so sanft wie die eines Engels. Manchmal konnte sie kaum glauben, dass er wirklich der Sohn von Brauer Jacob sein sollte. Bis auf den hohen Wuchs und die breiten Schultern unterschieden sich Vater und Sohn wie Tag und Nacht. Im Gegensatz zu seinem Vater weckte Linhart keine Furcht bei ihr. Jacob hingegen sah mit seinem dunklen Haar und dem dichten Bart, der ihm bis unter die Augen wuchs, wie ein grimmiger Bär aus. Dazu hatte er Pranken, die mit einem Schlag den Kopf eines Mannes vom Hals schleudern konnten.

Allmählich fand Linhart seine Stimme wieder. »Es stimmt, Marlein. Ich will dir nur helfen. Edi ist zwar ein ­guter Bäcker, aber die Braukunst beherrscht er wahrlich nicht.«

»Wo er recht hat, hat er recht.« Edi schienen die Worte nicht zu kränken, denn er grinste breit.

»Aber …« Marlein stieß schwer den Atem aus und sah Edi fest in die Augen. »Das stimmt doch überhaupt nicht. Wenn du mir zur Hand gegangen bist, ist das Bier nie sauer geworden.«

»Ich bin dir nicht zur Hand gegangen. Wenn ich behauptet habe, in der Nacht geholfen zu haben, war in Wahrheit er es.« Er zeigte mit dem Finger auf Linhart, der sich sichtlich verlegen mit der Hand durch die hellen Locken fuhr. »Er hat auch das Braumalz in der Frühe hergebracht.«

Marlein glaubte, einen Schlag gegen den Kopf zu bekommen. Sie schüttelte sich kurz, stemmte die Hände in die Hüften und sah Linhart eindringlich an. »Dein Vater weiß davon aber nichts, oder?«

Er lächelte schief. »Natürlich nicht.« Obwohl er nur zwei Lenze weniger als sie mit ihren 25 zählte, wirkte er wie ein unbedarfter Lausejunge. Es musste an seinem Blick liegen, dass in diesem Augenblick etwas ihr Herz berührte. Doch Marlein konnte diese Gefühlsregung nicht zulassen und wischte den Gedanken beiseite. Linhart war Jacobs Sohn. Und Jacob hasste sie, wie er all die Jahre ihre Eltern und Großeltern gehasst hatte. Anders als heute war ihre Brauerei damals noch eine Konkurrenz für Jacob gewesen, besonders das Stachusbräu. Und Linhart trat seit frühester Jugend in die Fußstapfen seines Vaters. Sonst hätte er sie als Kind gewiss nicht in den Dreck gestoßen. Sie wandte den Blick von Linhart ab. Das, was hier des Nachts geschah, musste sie erst einmal verdauen. »Du gehst besser, bevor dein Vater Wind davon bekommt.«

Linhart trat einen Schritt auf sie zu. »Das ist mir egal, Marlein.«

Misstrauisch sah sie zu ihm auf. »Raus mit der Sprache! Was führst du im Schilde?«

»Nichts. Das musst du mir glauben«, sagte er mit sanfter Stimme.

Edi trat neben Linhart. »Er will wirklich nur helfen.«

»Ich möchte seine Hilfe aber nicht.« Marlein drehte sich um und verließ die Backstube. Auf dem Hof sah sie, wie Nyß die gewaschenen Laken auf die Leine zwischen den Birnbäumen hängte.

Als sie Marlein bemerkte, weitete sie die Augen. »Du bist schon wieder auf?«

»Wolltest du nicht Edi zur Hand gehen? Aber das hattest du wahrscheinlich gar nicht erst vor, oder?«

»Brauchte ich ja nicht, wo Linhart nun da ist«, sagte Nyß frei heraus.

»Es war nicht richtig, dass ihr ihn ohne mein Wissen an das Bier gelassen habt.«

»Ach, Marlein. Warum nimmst du seine Hilfe denn nicht an?«

»Hast du es vergessen? Sein Vater hat meiner Familie von jeher das Leben schwer gemacht. Besonders Großvater konnte keinen Tag in Frieden leben. Denk nur an die Gerüchte von der Bierhexe, die Jacobs Frau in Umlauf gebracht hat. Oder an die gestohlene Gerste.«

»Ja, aber Linhart ist nicht wie sein Vater. Merkst du denn nicht, dass er dich gern hat? Wenn er um deine Hand anhalten würde, wärst du alle Sorgen los.«

Marlein lachte verzweifelt auf. »Du meinst, dann fangen meine Sorgen erst an.«

»Du wirst dein Bier nicht mehr lange ausschenken dürfen, das weißt du.«

»Natürlich weiß ich das«, zischte Marlein. »Aber es gibt halt keinen Brauer in Ingolstadt, der mich zur Frau will. Und soll ich dir mal sagen, wer daran schuld ist?« Sie hob die Augenbrauen. »Niemand anderes als Jacob. Außerdem würde er mir den Hals umdrehen, wenn Linhart um meine Hand anhielte.« Auch wenn sie wusste, dass es wie bisher nicht weitergehen konnte, bereitete ihr allein der Gedanke an einen Mann im Birnbaumhäusle Unbehagen.

»Das weißt du nicht. In letzter Zeit ist Jacob doch recht friedlich.«

»Ja, ja.« Marlein winkte ab. »Bis zur nächsten Gemeinheit.« Sie ließ Nyß stehen und ging in die Schankstube, wobei ihr immer noch die Gedanken durch den Kopf wirbelten.

Alheyt saß inzwischen auf der Holzbank neben dem Herd und hielt sich jammernd die Hand.

Katherl sah auf, als Marlein näherkam. »Die Hand tut ihr arg weh.«

»Das geht vorbei.« Marlein nahm einen Humpen und füllte ihn mit Bier, dem sie Baldrian beigefügt hatte.

»Ich spiele nie mit einem Messer«, sagte Katherl.

»Recht so.« Marlein schenkte ihrer Tochter ein Lächeln und drückte Alheyt den Humpen in die unverletzte Hand. »Danach wird es dir besser gehen.«

Die Alte trank in gierigen Zügen und stellte den Humpen neben sich auf die Bank. Mit ihren wässrigen Augen sah sie Marlein fragend an. »Was gibt es heute zu essen?«

»Schwarze Bohnen.«

Alheyt schüttelte den Kopf. »Die mag Wölflin nicht.«

»Wölflin?« Marlein verdrehte die Augen. »Wer soll das denn sein?«

»Sie redet die ganze Zeit von ihm«, mischte sich Katherl ein. Das Tuch an ihrem Hals war verrutscht und gab das Feuermal frei.

Marlein wickelte das Linnen fester um den Hals des Mädchens. »Du musst immer darauf achten, dass dein Mal bedeckt ist.«

»Warum denn?« Katherl fasste an das Tuch.

»Weil es nicht schön anzusehen ist.« Die Worte schmerzten Marlein, doch was sollte sie ihrer Tochter erzählen? Dass sie gezeichnet war? Dass Jacob sie denunzieren würde, behaupten, eine Ausgeburt der Hölle zu sein – gar von Dämonen gezeugt? Nein, das Mädchen sollte nicht in Angst und Schrecken leben.

»Mir gefällt es aber.« Katherl schob die Lippe vor.

»Zeige es bloß niemandem!«, zischte Alheyt. »Du –«

»Gut jetzt.« Marlein schnitt der Alten das Wort ab, bevor sie etwas sagte, das der kleinen Katherl Angst einjagen würde.

»Ich mag auch keine schwarzen Bohnen«, maulte das Kind.

»Wie wäre es mit Erbsensuppe? Die mag der Wölflin doch so gerne.« Alheyt legte einen verträumten Gesichtsausdruck auf.

Marleins Unmut steigerte sich. Warum nur konnte Alheyt sich keinen Tag damit zufriedengeben, was sie auftischte? »Ich habe keine Erbsen eingeweicht. Und wer, zum Henker, ist Wölflin?«

Der Blick der Alten verfinsterte sich. Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge. »Frag nicht so tumb. Wölflin ist mein Freund, das weißt du doch.«

Marlein begab sich an die Kochstelle, bevor Alheyt noch weitere Geister ins Leben rief. Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster auf die Gasse. In dem Moment hielt ein Wagen, der das Wappen der Grafschaft Neuburg trug, vor dem Birnbaumhäusle. Mit Hilfe eines Dieners entstieg ihm ein gutgekleideter Mann. Marlein wischte sich rasch die Hände an einem Tuch ab und öffnete ihm die Tür.

Der Mann rückte das Barett auf seinem Kopf zurecht und wünschte ihr einen guten Tag. Dann fragte er nach Hannes.

2

Am Georgitag des Jahres 1516 luden die Herzöge von Bayern zur Landratssitzung in die Neue Veste von Ingolstadt. Seine Mutter scharwenzelte um ihn herum und zupfte an den bauschigen Ärmeln seines Wamses, bis diese zu ihrer Zufriedenheit am rechten Platz saßen. Anschließend befeuchtete sie ihre Finger nacheinander mit Speichel. Als sie damit über sein Haar fahren wollte, wich Linhart ihr aus.

»Es reicht, Mutter. Ich bin kein Knabe mehr«, sagte er grimmig, wandte ihr den Rücken zu und verließ die Stube. Mutter folgte ihm bis auf die Gasse. Er hasste es, von ihr erdrückt zu werden, war er doch längst im heiratsfähigen Alter. Wie sehr sehnte er sich danach, eine Frau und Kinder um sich zu haben! Ein Heim sein Eigen zu nennen, und immer dafür zu sorgen, dass alle genügend Essen auf dem Tisch hatten. Aber es gab keine andere Frau, mit der er sein Leben teilen wollte, als Marlein. Und die wollte ihn nicht, bisher zumindest nicht. Tief sog er den Atem ein, um die Enge in seiner Brust zu vertreiben. Es war an der Zeit, diesen Umstand zu ändern.

»Denk nur, du wirst unserem Herzog entgegentreten. Da muss alles an dir akkurat sein.« Abermals stellte sich Mutter auf die Zehenspitzen und hob die Hand zu seinem Haar.

Linhart wehrte sie ab. »Lasst es bitte.«

Endlich trat auch Vater aus dem Haus. Ebenfalls in sein bestes Wams aus moosgrünem Brokat gekleidet, trug er einen gestreiften Schapel, den er sich schräg auf den Kopf gesetzt hatte. Aus gegebenem Anlass hatte er sich den Bart gestutzt, was ihn etwas menschlicher aussehen ließ.

»Himmel, Brid. Du machst noch eine Memme aus ihm, wenn du ihn weiterhin so bemutterst.«

»Ach, ich bin halt aufgeregt. Was der Herzog wohl verkünden wird? Ihr kommt sofort heim, wenn die Sitzung ­beendet ist. Nicht, dass ihr euch noch zu einem Bier zusammensetzt und ich die Neuigkeiten nicht erfahre.«

Sein Vater zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Weib, wir kommen heim, wann es uns beliebt. Und nun troll dich zurück an die Kochstelle. Du hast gewiss noch zu arbeiten.« Unwirsch stieß er sie von sich.

Mit beleidigter Miene schlich seine Mutter zurück ins Haus und schwenkte dabei übertrieben die ausladenden Hüften.

Vater legte den Arm um Linharts Schulter. »Wir sollten gehen, damit wir nicht zu spät kommen.«

Sie schritten die Straße entlang zum Liebfrauenmünster, dessen Dach sich fast so hoch wie die Türme der Kirche über der Stadt erhob. Dort bogen sie nach rechts in die breite Straße, die zu der Neuen Veste führte. Prächtige Wagen fuhren an ihnen vorbei. Die Herrscher der Ländereien sowie die Kleriker waren zur Sitzung der Landstände geladen worden. Als Schöffe von Ingolstadt hatte Jacob mit seinem Sohn ebenfalls das Privileg, daran teilzunehmen, wenn auch nur als Zuhörer.

Der Palas der Neuen Veste von Ingolstadt bestand aus einem dreistöckigen Bauwerk mit hohem Dach und vier Ecktürmen und strahlte weißgetüncht in der Sonne. Linhart und Jacob drängelten sich mit den anderen Geladenen in den Saal im untersten Geschoss. Es war die erste Sitzung, an der Linhart teilnahm. Für den Augenblick dachte er ausnahmsweise einmal nicht an Marlein und staunte über die edlen Pelze und Stoffe der Schauben, in die sich die Herren gekleidet hatten. An ihren Händen glänzten goldene Siegelringe im Licht der einfallenden Sonne. Linhart nahm mit seinem Vater auf einer der hintersten Bänke Platz. Die Luft in dem Saal mit den unzähligen kleinen Fenstern und den Steinfliesen war erfüllt von Stimmengemurmel, das erst verstummte, als der Herzog nebst seinem Bruder Ludwig eintrat. Die beiden ließen sich hinter dem wuchtigen Schreibpult auf dem Podest nieder und begrüßten die Anwesenden. Die Brüder trugen mit Pelz besetzte Schauben, unter denen die goldenen Fäden der Wämser hervorblitzten. Wilhelm, der schlankere von ihnen, war mit feinen Gesichtszügen gesegnet. Ludwigs Wangen hingegen neigten sich mit dem dichten dunklen Bart dem kurzen Hals entgegen. Beide trugen schräg sitzende Barette aus hochwertigem Brokat und blickten äußerst vornehm drein.

Wilhelm schlug seinen Stock auf den Boden, und die Beteiligten im Saal erhoben sich. Wie auch sein Vater straffte Linhart den Rücken, als der Herzog die Sitzung für eröffnet erklärte.

Wilhelms Blick wanderte durch die Reihen, während er sich auf seinem Stuhl niederließ. Er hob an: »Nun gut, mein Volk. Wie ich verkünden kann, haben sich die jüngsten Streitereien unter den Bauern dieses Landes zum Guten gewendet. Sie sind zu einer gütlichen Einigung gekommen und haben sich die Hände gereicht. So können wir diesen Punkt gleich abhaken.«

Die Anwesenden seufzten und nickten zufrieden mit den Köpfen. Linhart dachte wieder an Marlein und an das, was ihm so sehr auf der Seele brannte. Wenn Vater nach der Sitzung immer noch wohlgelaunt sein sollte, würde er ihn fragen. Linharts Herzschlag beschleunigte sich bei dem Gedanken an sein Vorhaben. Er atmete tief ein. Was sollte Vater schon dagegen haben, wo so viel dafür sprach? Linhart sah wieder zu dem Herzog, der just ein Pergament entrollte. In dem Saal war es jetzt ganz still.

Wilhelm holte tief Luft und begann: »Wir verordnen, setzen fest und wollen mit dem Rat unseres Landes, dass forthin überall im Fürstentum Bayern sowohl auf dem Lande wie auch in unseren Städten und Märkten, die keine besondere Ordnung dafür haben, von Michaeli bis Georgi ein Maß oder ein Kopf Bier für nicht mehr als einen Pfennig Münchener Währung, und von Georgi bis Michaeli die Maß für nicht mehr als zwei Pfennig derselben Währung, der Kopf für nicht mehr als drei Heller bei Androhung unten angeführter Strafe gegeben und ausgeschenkt werden soll. Wo aber einer nicht Märzen-, sondern anderes Bier brauen oder sonst wie haben würde, soll er es keineswegs höher als um einen Pfennig die Maß ausschenken und verkaufen.« Er hob den Blick und sah in die Runde.

Linhart betrachtete seinen Vater, der sich mit der Hand über den Bart fuhr. Jacob nickte und gab ein wohlwollendes Brummen von sich. Die Anwesenden begannen lauthals durcheinanderzureden, bis jemand auf den Fingern pfiff.

Der Herzog fuhr fort: »Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen. Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält, dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Fass Bier, sooft es vorkommt, unnachsichtig weggenommen werden. Wo jedoch ein Gauwirt von einem Bierbräu in unseren Städten, Märkten oder auf dem Lande einen, zwei oder drei Eimer Bier kauft und wieder ausschenkt an das gemeine Bauernvolk, soll ihm allein und sonst niemandem erlaubt und unverboten sein, die Maß oder den Kopf Bier um einen Heller teurer, als oben vorgeschrieben ist, zu geben und auszuschenken.« Der Herzog ließ das Pergament sinken und sah zu seinem Bruder, der zustimmend nickte.

»Jawohl«, raunte auch Linharts Vater kaum hörbar und rieb sich dabei die Hände.

Abermals erfüllte Stimmengewirr den Saal. Irgendwer hinter ihnen gab ein mürrisches Knurren von sich.

»Wozu das?«, raunte ein Mann vor ihnen und fuhr sich fahrig mit der Hand durch das Haar. Er erntete den bösen Blick seines Sitznachbarn.

»Damit wir nicht mehr deinen gepanschten Dreck trinken müssen«, stieß dieser aus.

Ludwig schlug mit seinem Stock auf den Boden, erhob sich und erörterte die Abgaben der Brauer noch einmal. Linhart hörte nicht mehr zu und dachte an Marlein. Er hatte nicht gewollt, dass sie herausbekam, wer ihr in Wirklichkeit zur Hand ging. Es schmerzte ihn, dass es damit nun vielleicht vorbei war. Verstohlen blickte Linhart zu seinem ­Vater, der zufrieden grinste, und wartete auf das Ende der Sitzung.

Als sie die Neue Veste verlassen hatten, und die breite Straße entlang zurück zum Münster gingen, sammelte Linhart all seinen Mut. Gerade, als er sich den ersten Satz auf der Zunge zurechtgelegt hatte, platzte sein Vater schier vor Euphorie und stieß einen jubelnden Laut aus.

»Jetzt geht es der kleinen Bierhexe an den Kragen!« Er ballte die Fäuste. »Endlich ist Schluss mit der Panscherei. Nichts mehr außer Gerste, Hopfen und Wasser gehört ins Bier. Daran hat sich das Biest noch nie gehalten.«

In Linharts Ohren dröhnte es schmerzhaft. »Redet Ihr etwa von Marlein?«

»Ja, sicher. Was dachtest du denn?« Vater lachte heiser auf. »Der kleinen Kröte hetz ich als Erstes die Bierprüfer auf den Hals. Vielleicht stell ich mich auch dem Rat zur Verfügung und übernehme das Amt. Was meinst du? Auf jeden Fall wird sie die Strafe nicht zahlen können. Da bin ich mir sicher.«

Groll überkam Linhart. »Aber was habt Ihr denn davon? Könnt Ihr sie nicht einfach in Frieden lassen? Ihre kleine Brauerei ist keine Konkurrenz für uns.«

Vater hob die Brauen. »Sag nicht, du hast dich in das Weib verguckt.«

Linhart sog tief den Atem ein, ignorierte das Rauschen in seinen Ohren und straffte sich. »Angenommen, ich nähme sie zur Frau. Dann hätten wir eine tatkräftige Hilfe in unserer Brauerei, und Ihr bräuchtet sie nicht mehr zu fürchten.«

Vater kniff die Brauen zusammen. »Was sagst du da?« Er schnaufte wie ein alter Esel, und seine Augen wirkten wie schwarze Löcher. »Das meinst du nicht ernst.«

»Doch.« Linhart wusste nicht, woher er den Mut nahm, seinem Vater zu widersprechen. Vielleicht war es die Zuneigung zu Marlein, die ihn in den Leichtsinn trieb, oder aber der grauenhafte Gedanke, ihr nie in seinem Leben nahe sein zu können. Linhart kämpfte gegen den Druck in seiner Brust.

»Ich fürchte dieses Weib nicht«, spie sein Vater aus. »Sie schadet unserer Zunft, das ist alles. Ein Weib, das allein Bier braut und es dann ausschenkt – wo gibt es denn so ­etwas?«

»Sie schenkt nur an Frauen aus«, wandte Linhart ein.

»Noch!« Vater schüttelte den Kopf. »Und das mit Rauschmitteln, von denen die Weiber willig werden, sich mit dem Teufel einzulassen.«

»Was redet Ihr da für einen Unfug?«

»Warte nur ab, bald sitzt der Leibhaftige an ihrem Tisch. Dann ist unser Bier dem Untergang geweiht. Der Teufel wird jeden Sud in der Schanz sauer werden lassen. Dafür hat er ja seine Hexen.«

Linhart glaubte ernsthaft, sein Vater hätte den Verstand verloren. Sein Hals wurde trocken. In seinen Gedanken verschwand Marlein in einem undurchdringbaren Nebel. Nie würde er wissen, wie weich sich ihr helles Haar anfühlte. Würde sich nie in ihren grünen Augen verlieren, nie mit der Hand über ihre wohlgeformten Hüften streichen und nie ihre Lippen mit seinen berühren. Der Schmerz, der ihn in diesem Augenblick durchfuhr, ließ ihn schier wahnsinnig werden. Er dachte an seine Kindheit, als er ungefähr acht Lenze gewesen war und Marlein in den Dreck gestoßen hatte. Das schlechte Gewissen darüber hatte sich tief in sein Herz gebohrt, wo es ihn bis heute quälte. Linhart schüttelte den Gedanken an das Vergangene ab. Er hatte viel bei ihr gutzumachen und hoffte inständig, sie würde ihm irgendwann verzeihen. In diesem Augenblick klatschte Vaters Hand auf seine Wange.

»Hör auf zu träumen, du Nichtsnutz. Und wehe, ich höre dich noch einmal ihren Namen sagen.«

Als sie kurz darauf den Hof erreichten, stürmte ihnen Mutter schon entgegen. Doch statt sie nach den Neuigkeiten zu fragen, die sie von der Sitzung mitbrachten, hob sie nur die Hände und stieß ein Schnauben aus.

»Hat man Worte?« Sie schüttelte den Kopf. »Hat man dafür noch Worte?«

Vater sah sie mürrisch an. »Wofür?«

»Wie mir zu Ohren gekommen ist, war ein Gesandter des Grafen von Neuburg bei Marlein.«

»So?« Jacob mahlte mit dem Kiefer. »Was wollte er denn von der kleinen Hexe?«

»Wie sich die Leute erzählen, hat er wohl Interesse an ­ihrem Stachusbräu bekundet. Er hatte von einigen Schanzern gehört, das Bräu würde irgendwie …« Mutter presste kurz die Lippen aufeinander und runzelte die Stirn, als suche sie nach den richtigen Worten. »Ja, eine besondere Note im Geschmack haben. Ich glaube, sie redeten von Wacholder.«

Linhart horchte auf. War Vater nicht unlängst zum zweiten Mal bei dem Grafen gewesen, um sein Schäfferbräu anzupreisen?

»Dummes Geschwätz!«, schrie Vater, trat einen Schritt auf Mutter zu und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.

3

Die Runde der Mitbrüder war eingekehrt, um das Bier mit dem neuen Kraut zu probieren, das Paulus der Grut beigegeben hatte. Außer dem Gagel, den er gern auch Bäckerhusch nannte, was eine liebevolle Bezeichnung des berauschenden Krautes war, hatte er ein wenig Stechapfel und Sumpfporst der Würze hinzugefügt. Aber wirklich nur ein wenig, und das nur, weil die ansonsten giftigen Kräuter die Seele beruhigten.

Die Mönche hatten sich im Sudhaus des Kölner Alexianerklosters eingefunden, wo es an dem großen Bohlentisch recht gemütlich war. Für eine wohlige Wärme sorgten die Feuer, die unter den Braukesseln brannten. Bruder Paulus wusste nur zu gut, wie ein schmackhaftes Klosterbier gebraut wurde, und er war stolz darauf.

Der erste Schluck, den Paulus probierte, schmeckte äußerst würzig und ein wenig nach Rosmarin. Das bestätigten ihm auch die anderen, die zustimmende Laute ausstießen. Mit den Ärmeln ihrer Kutten wischten sie sich die Tropfen von den Lippen.

Als die Runde immer geselliger wurde, öffnete sich die Tür, und Pater Stephan von Sankt Aposteln trat ein. Im Gegensatz zu Paulus war er ein junger Bursche mit dichtem braunen Haar und tiefliegenden Augen, in deren Blick stets die Sehnsucht nach der Liebe geschrieben stand. Paulus nahm an, dass das Keuschheitsgelübde Pater Stephan beileibe nicht die Fleischeslust vom Hals hielt.

Der Pater blickte auf die Krüge und wartete sichtlich auf eine Einladung. Doch Paulus fragte ihn lediglich nach seinem Begehr, denn der Pater trank öfter einen über den Durst, was nicht selten in tollkühnen Phantastereien endete. Er zählte dann oft auf, welche Frauen der Stadt die Ehe brachen. Er sprach von Zauberschen, die den bösen Blick hatten. Manchmal glaubte er sogar, Dämonen zu sehen. Damit ging er Paulus gehörig auf die Nerven. Und wahrlich nicht nur ihm, wie dem Seufzen der Mitbrüder bei seinem Eintreten zu entnehmen gewesen war. Es sollte ein fröh­licher Abend werden, denn der Winter wich allmählich dem Frühling. Aber mit der Anwesenheit des Paters von Sankt Aposteln wurde daraus wohl nichts.

Pater Stephan spielte mit dem Holzkreuz an der Kordel, die seine Soutane am Bauch zusammenhielt. »Es ist wieder einmal so weit.«

Paulus verdrehte die Augen. »Was denn nun?«

»In der Stadt gibt es eine weitere Zaubersche.« Stephan schielte zu dem Fass.

Der Prior hob die Brauen. »Eine Hexe?«

Pater Stephan nickte. »Kann man so sagen.« Er sah wieder zu Paulus. »Ach, Bruder, wärest du so freundlich, mir einen Krug zu füllen? Meine Kehle ist wie ausgedörrt von den ganzen Ungeheuerlichkeiten.«

Paulus blieb nichts anderes übrig, als dem Pater die Gastfreundschaft zu gewähren. Mit schmerzenden Knien schlurfte er zu dem Fass, goss einen Krug mit Bier voll und drückte ihn Stephan in die Hand.

Der Pater von Sankt Aposteln setzte sich an den Bohlentisch. »Die Frau des Gerbers Ekkehard ist es. Wie erzählt wird, hat sie das Schwein des Schusters verzaubert, so dass es elendig zugrunde gegangen ist.«

»Und wer behauptet das?«, fragte Paulus nach.

»Na, die Frau des Schusters.«

»Aha.« Paulus nahm einen großen Schluck Bier, um das Geschwätz besser ertragen zu können.

Im nächsten Augenblick versank Pater Stephan fast mit dem Kopf in dem Krug. Prior Christopherus schüttelte den Kopf, erhob sich von der Bank und wünschte eine gute Nacht. Mit schlurfenden Schritten verließ er die Braustube durch die Hintertür.

Paulus dachte an ihre kleine Kapelle inmitten des Klostergartens zwischen Rosenbüschen und Kräuterstauden. Der Bau schritt nur langsam voran, da dem Orden die finanziellen Mittel fehlten. Die Brüder selbst wohnten im Haus Zum Leoparden in den zwei oberen Stockwerken, unter denen sich das Sudhaus und die Klosterküche befanden. In den letzten Jahren hatten die Lungenbrüder in den Schlaf­sälen des Hauses Zum Klüppel die Leprosen gepflegt. Mittlerweile sahen die Ratsherren die Aussätzigen und ihre Pfründe jedoch lieber vor den Mauern der Stadt, so dass ihre letzte Bleibe meist das Siechenhaus auf Melaten war. Von daher war das zweite Haus nun unbewohnt.

Paulus strich sich über das Kinn und wandte den Blick vom Fenster ab. Sobald der Schankraum im Haus Zum Klüppel eingerichtet worden war, sollten die Betten in den dar­überliegenden Schlafsälen Reisenden zur Verfügung gestellt werden. Mit diesen Einnahmen würden sich die Schatullen in geraumer Zeit schon füllen. In Gedanken hörte Paulus das helle Glockengeläut der kleinen Kapelle inmitten der Klostermauern.

Ein weiterer Bruder, der Brot, Käse und eine geräucherte Hartwurst brachte, holte Paulus aus den Träumereien. Kurz darauf klopfte es an der Tür, und die Tochter des Webers steckte den Kopf durch den Spalt. Ihre hellen Locken hatte sie an diesem Tag unter einem Tuch versteckt, aus dem sich jedoch hier und da eine freche Strähne befreite. Wohl berauscht von dem Bier, verspürte Paulus bei ihrem Anblick ein angenehmes Sehnen. Es schien ihm jedes Mal wie ein Wunder, Juliane vor sich zu sehen. Nie würde er den Tag vergessen, als er sie nach ihrer Geburt notgetauft hatte. Doch das Würmchen, das viel zu früh geboren worden war, hatte sich nicht unterkriegen lassen und dem Tod getrotzt. Inständig hatte Paulus zum Herrn gebetet, und seine Gebete waren erhört worden. Seit diesem denkwürdigen Ereignis glaubte Paulus, ein Vater könne nicht mehr Liebe für eine Tochter empfinden als er für Juliane.

Er erhob sich von der Bank und trat zu der jungen Frau.

»Hier steckt Ihr also«, sagte Juliane und schob die Tür ein wenig weiter auf.

»Was führt dich zu uns, mein Kind?«

»Vater schickt mich. Ich soll Euch das Tuch für die Kutten bringen. Sie sind draußen auf meinem Karren.« Sie zeigte mit dem Daumen hinter sich.

»Nun tritt erst einmal ein.« Paulus hielt weit die Tür auf und ließ mit der jungen Frau die kühle Luft des Abends ein. Sie war ein hübsches Ding mit einem feingeschnittenen Gesicht und vollen Lippen. Ihr Leib wies an den richtigen Stellen pralle Wölbungen auf, aber ihre Taille war schlank.

Juliane trank gern einen Krug Bier mit und ließ sich an dem großen Tisch zwischen den Brüdern nieder. Aus den Augenwinkeln sah Paulus, wie Stephans Gesicht Farbe bekam. Als der Pater gegen einen Kloß im Hals schluckte, trat sein Kehlkopf spitz hervor.

Nach einem weiteren Krug Bier vergaß Paulus jedoch den Pater und auch das Tuch für die Kutten. Er stimmte eine Volksweise an, in der der Frühling besungen wurde. Bald fielen die Mitbrüder mit ein, und auch Juliane hob die Stimme. Abermals wurden die Krüge geleert. Es dauerte nicht lange, und Pater Stephan kletterte auf den Tisch, wo er den Saum seiner Soutane hob und ausgelassen zu tanzen begann. Das Letzte, woran Paulus sich erinnerte, war Julianes begeistertes Klatschen, mit dem sie Stephan wohl das Feuer im Hintern geschürt hatte.

»Ja, was denn?« Bruder Paulus sah den Prior mit verklärtem Blick an. In seinem Kopf summte es wie von einem Schwarm dicker Fliegen.

»Es kann nur an deinem Bier liegen. Verdammt.« Christopherus bekreuzigte sich, faltete die Hände vor der Brust und legte die Lippen auf seine Daumen. »Du hast Dollbier gebraut, gib es zu!«

Paulus stieß einen Seufzer aus und setzte sich auf den ­Hocker neben den Läuterbottich. »Nein, hab ich nicht.«

»Verkauft hast du es auch noch.« Der Blick des Priors aus den kleinen dunklen Augen durchbohrte ihn.

»Verkauft? Wer behauptet denn so etwas?«

»Na, die Frau des Webers. Hiltgen heißt sie, wenn ich mich recht erinnere.«

Paulus hob die Augenbrauen. »Was hat die denn mit meinem Bier zu schaffen?«

Christopherus fuhr sich mit der Hand über die Tonsur. »Sie selbst nicht. Aber ihre Tochter. Der Name fällt mir gerade nicht ein.«

»Oha – wo du doch sonst nichts vergisst.« Das Glockengeläut, das von Sankt Aposteln ausging, dröhnte in Paulus’ Kopf und wandelte den dumpfen Schmerz in ein Hämmern. »Juliane heißt das Mädchen«, sagte er mit gedämpfter Stimme und schloss die Augen.

»Du verkennst den Ernst der Lage. Für die Zunft ist es ein gefundenes Fressen. Sie werden den Orden der Alexianer an den Pranger stellen.« Der Prior fuhr mit der Hand über den Bohlentisch. »Ich darf überhaupt nicht daran denken, was das für Folgen haben könnte.«

»Ach, hör auf. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.« Paulus versuchte sich an den letzten Abend zu erinnern, an Stephans Tanz auf dem Tisch und Julianes Handgeklapper. Für die Zeit danach gab es nur noch ein schwarzes Loch, in das seine Erinnerung gefallen sein musste. Er musste doch irgendwie zu Bett gekommen sein!

»Pah, Hiltgen kocht heiß und isst auch heiß. Besonders, nachdem sie Pater Stephan und ihre Tochter beim Stelldichein im Schuppen erwischt hat.«

Paulus riss die Augen auf. »Nicht doch!«, stieß er entsetzt aus.

»Aber ja.« Schwer atmend ließ sich Christopherus an dem Bohlentisch nieder, auf dem noch die Krüge des Abendgelages standen. Er nahm einen von ihnen in die Hand und schnüffelte daran. Seine Augenbrauen hoben sich.

»Es ist gut. Du kannst mir nichts vorwerfen. Außerdem hast du selbst davon gekostet.«

»Gut? Aha. Und deshalb bist du heute auch weiß wie eine getünchte Wand.«

»Nun, in Maßen genossen ist es wirklich gut.«

»Das scheinst du gestern Abend vergessen zu haben. Und damit warst du offensichtlich nicht allein.« Der Prior erhob sich wieder, schob die Hände in die Ärmel seiner Kutte und umkreiste den Tisch mit gesenktem Haupt. Plötzlich blieb er stehen und holte tief Luft. »Ab sofort lässt du die Rauschmittel aus dem Sud. Ansonsten muss ich jemand anderen an die Sudkessel stellen.« Der Prior warf Paulus einen strengen Blick zu.

»Ach, herrje.« Paulus seufzte. »Na, das wird ja ein fades Bier.«

»Stell dir nur vor, das Mädchen geht mit einem Kind schwanger. Was dann?«

»Das Mädchen ist so oder so entehrt, wenn die Sache rauskommt. Kein angesehener Mann wird es noch ehelichen wollen.«

»Aber Pater Stephan wird nicht mehr predigen dürfen.« Christopherus trat an das Fenster.

»Woher weißt du überhaupt von dem Stelldichein? Von Hiltgen selbst?«

»Ja, sicher. Sie hat sich mir anvertraut und gleich nach einem passenden Kloster für ihre Tochter gefragt.«

»So eilig?«

Die Tür flog auf. Als hätten sie die Frau des Webers herbeigerufen, fegte diese mit einem kühlen Windzug in die Stube. Eine fleckige Haube verdeckte nur notdürftig das rote Haar, das ihr wie Unkraut auf dem Kopf wuchs. Als sie den Mund aufriss, sah Paulus, dass ihr die oberen Schneidezähne fehlten.

»Verdammter Bierpanscher!«, keifte sie. »Was für ein teuf­lisches Kraut hast du dem Trunk beigemischt? Sag es!«

Paulus verschränkte die Arme vor der Brust. »Braugeheim­nis.«

»Ach ja, du Eselsgesicht?« Vor Wut schnaubend stemmte Hiltgen die Hände in die fülligen Hüften.

Der Prior trat hinter sie und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Na, na, beruhige dich erst einmal. Vielleicht ist es ja nicht bis zum Äußersten gekommen.«

Die Frau des Webers wirbelte herum. »Und ob es das ist. Oder glaubt Ihr, ich wüsste nicht, wie es aussieht, wenn ein Mann mit einem Mädchen höckelt?«

Der Prior faltete die Hände vor der Brust und blickte zu den Deckenbalken. Röte stieg in seine Wangen. »Heilige Jungfrau Maria!«, stieß er aus.

»Ja, betet nur zur Jungfrau!«, spie Hiltgen aus. »Eine Jungfrau war mein Mädchen auch einmal.« Tränen sammelten sich in ihren wasserblauen Augen. »Der verhurte Pfaffe hat sie entehrt. Dafür drehe ihm den Hals um! Das könnt ihr mir glauben.« Sie wirbelte herum und stapfte mit langen Schritten aus der Tür.

Paulus stieß schwer den Atem aus und verzog die Lippen zu einem schiefen Strich. »Ich glaube, es ist zu spät, ihn zu warnen.«

Die Augen des Priors verengten sich zu Schlitzen. »Er wird das nicht auf sich sitzen lassen. Er wird die Schuld deinem Bier geben. Und dann gnade dir Gott, mein Lieber.«

Als ihr der säuerliche Geruch in die Nase stieg, wandte Marlein angewidert den Kopf ab. Die Würze, die sie vor einem Mond zum Gären angesetzt hatte, war umgeschlagen. Sie rückte das Fass zur Seite, nahm den Balken von dem nächsten ab und atmete das Aroma ein. »Gelungen!«, stieß sie erleichtert aus.

Edi klatschte mit den Händen auf den Teigklumpen vor sich. »Wunderbar! Dann steht deiner Weiberzeche heute Abend wohl nichts im Wege.«

Marlein dachte an den vorgestrigen Abend, an dem sie die Frauen wieder hatte wegschicken müssen, da Alheyt die ganze Zeit keine Ruhe gegeben hatte. Ihre verletzte Hand hatte sie in der Schutter baden wollen und sich gleich mit. Bevor sie jedoch in den Bach gestiegen war, hatte Marlein sie von der Gasse geholt, wo sie vollkommen entblößt hin und her gelaufen war. Danach war Alheyt zornig gewesen und hatte immer wieder versucht fortzulaufen, so dass es unmöglich gewesen war, sie aus den Augen zu lassen. Aber an diesem Tag war die Alte wieder friedlich, und auch der Schnitt in ihrer Hand heilte gut. Das war wichtiger als ein Fass mit umgeschlagenem Bier. Und bald schon würden die anderen Fässer auch fertig gegoren sein, so dass sie den Ausschank mit dem Märzenbier beibehalten konnte.

Edi trat zu ihr. »Hast du dir Gedanken über das Angebot des Grafen gemacht?«

»Ja, habe ich. Es ist undenkbar, Schloss Neuburg mit meinem Bier zu beliefern. Außerdem war der Gesandte ziemlich konsterniert, als er von Hannes’ Tod erfuhr.«

»Aber es wäre im Sinne von Hannes. Schließlich hat er damals dem Grafen das Bier schmackhaft gemacht. Mit einem neuen Mann an deiner Seite würde die Brauerei florieren wie keine andere im Herzogtum.«

»So, wie es nun ist, ist es mir gut genug. Mehr will ich gar nicht.« Marlein setzte sich für einen Augenblick auf den Schemel und streckte den Rücken, um den Schmerz darin zu vertreiben. In Anbetracht der Zeit, die sich der Graf mit seiner Antwort gelassen hatte, konnte ihm das Bier so wichtig nicht sein.

Plötzlich sah sie Linhart in der Tür stehen. Als sich ihre Blicke trafen, strich er sich verlegen das Haar aus der Stirn.

»Es ist alles bestens. Ich brauche deine Hilfe nicht«, raunte Marlein. »Mein Bier bekomme ich schon selbst gebraut.«

»Das ist es nicht. Ich bin hier, um dich zu warnen. Nachdem das Reinheitsgebot ausgesprochen wurde, sind die Bierprüfer in der Schanz unterwegs.«

Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Unsicher sah sie zu dem Fass mit dem sauren Bier. »Mit meinem Bier ist alles in Ordnung. Ich nehme nur das Wasser aus den Brunnen. Gewiss entspricht es dem Reinheitsgebot.«

Linhart trat einen Schritt näher. »Das Wasser allein ist es nicht. Das Bier darf nur noch Hopfen und Malz enthalten, sonst nichts.«

»Kein weiteres Kraut mehr?« Marlein runzelte die Stirn.

»Nein, wie gesagt: nur Hopfen und Malz aus der Gerste.«

Sie versuchte, einen gelassenen Gesichtsausdruck zu zeigen. »Woher hast du deine Weisheit?«

Linhart erzählte ihr von der Sitzung der Landstände, und Marlein begriff nicht, dass die Verordnung noch nicht zu ihr durchgedrungen war.

Plötzlich hörte sie, dass Alheyt aus dem Schankraum ­ihren Namen brüllte. Erschrocken sprang sie von dem Schemel auf.

»Hoffentlich hat sie keinen Unfug angestellt!«, rief Edi ihr hinterher, als sie aus der Backstube eilte.

Drei Männer standen im Schankraum. Sie trugen kurze Mäntel mit bauschigen Ärmeln, die sie als Amtsmänner ­auswiesen. Einer von ihnen hielt eine Sanduhr in den Händen.

»Da, die wollen dich sprechen«, krähte Alheyt von der Bank aus.

Marlein trat zu den Herren. »Mit wem habe ich die Ehre?«, fragte sie mit einem unguten Gefühl im Bauch.

Die Männer nahmen ihre schwarzen Hüte von den Köpfen. Der Größere von ihnen, der auch die Sanduhr in den Händen hielt, grüßte sie. »Wir halten das Amt der Bierprüfer inne und sind hier, um dein Stachusbräu in Augenschein zu nehmen.«

»Weshalb? Mit meinem Bier ist alles in bester Ordnung.«

»Das werden wir dann sehen.«

Marlein ging zum Tresen, griff nach einem Krug Bier und füllte drei Becher, die sie den Herren reichte. Doch statt das Bier zu trinken, schütteten die Prüfer es auf eine der Bänke und setzten sich mit dem Hosenboden darauf. Der Hochgewachsene drehte die Sanduhr um, stellte sie vor sich auf den Tisch und sah zufrieden zu den anderen.

Verständnislos schüttelte Marlein den Kopf.

»Was machen die da?«, rief Alheyt.

Neben ihr kicherte Katherl. »Sie machen sich die Hosen nass.«

Die Herren blieben unbeeindruckt. Mit ernstem Gesichtsausdruck verharrten sie still auf der Bank.

»Wie lange gedenken die Herren Prüfer so sitzen zu bleiben?«, fragte Marlein schließlich.

»Bis die Stundenuhr zwei Mal durchgelaufen ist«, sagte der Mittlere von ihnen.

Marlein betrachtete argwöhnisch den Sand, der in einem dünnen Streifen durch das enge Loch rieselte. »Zwei Stunden?«

Der Mann nickte.

»Und danach?«

»Das wirst du dann sehen.« Der Prüfer gab sich wortkarg.

Marlein verdrehte die Augen, verließ die Schankstube und ging zurück an ihre Braukessel, wo sich Linhart mit Edi unterhielt.

»Deine Warnung kommt zu spät«, zischte sie.

»Sind sie schon da?«

»Richtig. Und sie sitzen die nächsten zwei Stunden auf meinem Bier. Weshalb auch immer.« Sie sah nach der Maische und regelte das Feuer unter dem Bottich.

Linhart trat zu ihr, rollte seinen Hemdärmel hoch und maß mit dem Ellenbogen die Temperatur der Maische. »Ein wenig mehr Hitze.«

»Ach, ja?« Sie stemmte die Hände die Hüften. »Ich braue nicht erst seit gestern, falls du das vergessen haben solltest. Und im Übrigen: Die Herren sitzen gewiss nicht aus reinem Zufall auf meinem Bier. Wenn mich da mal nicht jemand angeschwärzt hat.«

Linharts Wangen färbten sich zartrot. Sichtlich verlegen mied er ihren Blick.

Zorn kochte in Marlein auf, und sie hob die Augenbrauen. »Dein Vater. Richtig?«

Linhart nickte. »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich wünschte, ich hätte ihn davon abbringen können.«

»Weshalb macht er das? Sag es mir. Ich bin doch wahrhaftig keine Konkurrenz für ihn.«

»Es ist die uralte Fehde zwischen unseren Familien.«

»Mein Großvater ist tot, genau wie mein Vater. Was ist mit dir? Wirst du die Tradition fortsetzen?«

Linharts Blick wurde sanft. Er hob die Hand, als wolle er ihre Schulter streicheln, ließ sie aber wieder sinken. »Nein, Marlein. Niemals.«

Sie glaubte ihm. Schließlich trug er keine Schuld am ­Verhalten seines Vaters. »Was werden die Prüfer feststellen, nachdem sie zwei Stunden in meinem Bier gesessen haben?«

Nun lächelte Linhart. »Wenn ihre Hosenböden an der Bank kleben bleiben, ist dein Bier rein.«

Marlein sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Bitte was?«

Verlegen zuckte Linhart mit den Schultern.

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