Das Geheimnis der Sünderin - Gabriele Breuer - E-Book
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Das Geheimnis der Sünderin E-Book

Gabriele Breuer

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Beschreibung

Jülich, im Jahre 1608. Im Schloss zu Jülich lebt die junge Magd Mia, die nichts mehr liebt, als sich neue Speisen auszudenken, die der Herzog so sehr verehrt. Als jedoch eines Tages ein Giftanschlag auf ihn verübt wird, fällt der Verdacht sofort auf Mia. In ihrer Not flieht sie in die Reichsstadt Köln. Unter den Dieben, Bettlern und Huren lernt sie Adrian kennen und verliebt sich in ihn. Adrian jedoch verbirgt ein schwerwiegendes Geheimnis und schon bald muss Mia erneut vor mächtigen Feinden flüchten, die ihr dicht auf den Fersen sind. Ist Adrians Liebe tief genug, um ihr auch über die Grenzen der Stadt hinweg beizustehen?

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Seitenzahl: 567

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Über das Buch

Jülich, im Jahre 1608. Im Schloss zu Jülich lebt die junge Magd Mia, die nichts mehr liebt, als sich neue Speisen auszudenken, die der Herzog so sehr verehrt. Als jedoch eines Tages ein Giftanschlag auf ihn verübt wird, fällt der Verdacht sofort auf Mia. In ihrer Not flieht sie in die Reichsstadt Köln. Unter den Dieben, Bettlern und Huren lernt sie Adrian kennen und verliebt sich in ihn. Adrian jedoch verbirgt ein schwerwiegendes Geheimnis und schon bald muss Mia erneut vor mächtigen Feinden flüchten, die ihr dicht auf den Fersen sind.

Ist Adrians Liebe tief genug, um ihr auch über die Grenzen der Stadt hinweg beizustehen?

Über Gabriele Breuer

Gabriele Breuer, geboren 1970, lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Köln. Sie arbeitet in einem Seniorenheim und schreibt in ihrer Freizeit gerne historische Romane.

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Gabriele Breuer

Das Geheimnis der Sünderin

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Nachwort

Glossar

Danke

Impressum

Meiner Mutter

Ich bin sicher,

sie wäre stolz

auf meine Geschichten.

Gefüllten Magen

vom Hammel zurichten

Wasch den Hammelmagen fein sauber aus und reib ihn mit Salz ein. Nimm rohen Speck und Zwiebeln, schneid’s fein breit, gib es in zerlassene Butter und sieh, dass du es nicht verbrennen lässt. Gib danach ein Ei oder drei oder vier darunter. Schlage es durcheinander, gib dazu grüne Kräuter und rühr sie mit ein. Misch alles durcheinander. Wenn du die Füllung anmachen willst, nimm Safran, Pfeffer, Salz und drei oder vier Eidotter, so wird es gut. Füll den Magen damit und schließe ihn mit einem hölzernen Spießlein. Setz ihn in Wasser auf und lass ihn gar sieden. Wenn’s gesotten ist, nimm ihn aus dem Wasser, säubere ihn außen, gib ihn in einen verzinkten Fischkessel und gieße eine wohlschmeckende Rindfleischbrühe darüber. Brenn ein wenig Mehl ein und lasse Petersilienwurzel und Muskatblüten darin sieden. Ist es gekocht, so wirf ein wenig zerlassene Butter, die ungesalzen ist, darein und lasse sie mit sieden. Du magst die selbige Brühe weiß lassen oder gelb machen, denn die Füllung im Magen ist gelb, dass es sich vergleichen lässt mit der Farbe.

Marx Rumpolt, Ein new Kochbuch,

Frankfurt am Main 1581

(Übersetzung)

1. Kapitel

Mia starrte die Rosenköhlchen auf der Arbeitsplatte an, als erwartete sie jeden Augenblick eine Antwort von ihnen. Hinter ihr klapperte Geschirr, untermalt von vertrautem Gemurmel, was sie jedoch nur unterschwellig wahrnahm. Sie griff nach einer Muskatnuss und rollte sie zwischen Daumen und Fingerspitzen. Die erste Zutat ihrer Gewürzkomposition stand schon einmal fest. Vielleicht sollte sie noch Thymian dazugeben. Aus den Augenwinkeln sah Mia, dass Walther sie beobachtete. Über seine Lippen huschte ein Lächeln, bevor er das Messer zur Seite legte und sich neben Mia stellte. So sehr sie auch die Herausforderung liebte, die Speisen selbst kreieren zu dürfen, war sie zu jeder Zeit froh, wenn der Küchenmeister ihr mit Rat und Tat zur Seite stand.

Er reichte ihr die Haube, die sie achtlos auf der Arbeitsplatte abgelegt hatte. »Du solltest sie überziehen, meine Liebe. Der Herzog wird verärgert sein, wenn er eines deiner Haare aus den Zähnen ziehen muss.«

Ohne den Blick von dem Gemüse zu wenden, stülpte Mia die weiße Haube über ihr Haar. Sie mochte es nicht, ihre dunkelbraunen Locken damit zu bändigen, denn sie fand es schön, wenn das Haar in Kringeln von ihrem Kopf abstand und ihr Gesicht umrahmte. Deshalb stutzte sie auch regelmäßig ihr Haar bis kurz über die Schultern, damit sich die Locken nicht aushingen. Eine Strähne löste sich aus der Haube und federte auf ihre Stirn. Mia pustete sie aus den Augen und griff nach einem Ei. Durch die Küche der Jülicher Zitadelle zog der Duft von kross gebratenen Wachteln, die im Ofen vor sich hin schmorten. In den Kesseln auf dem Herd brodelte und köchelte es. Dampfschwaden stiegen auf und reicherten die Luft mit Feuchtigkeit an.

»Deine Augen sind so schwarz wie der Nachthimmel, wenn du kochst. Weißt du das?« Walther ließ nicht locker, sie aus ihren Gedanken zu holen.

Mia wandte sich dem Küchenmeister zu und sah ihm in die Augen, über die sich buschige Brauen zogen. Sein dichtes Haar bildete eine Einheit mit dem grau melierten Bart, der sein halbes Gesicht bedeckte. »Wirklich? Ich habe mich beim Kochen noch nie im Spiegel betrachtet. Vielleicht sollte ich das einmal tun«, sagte sie und lachte.

Walther wollte etwas erwidern, doch seine Worte gingen in einem Scheppern unter. Über die Tonfliesen der Schlossküche rollten Kupferkessel in allen erdenklichen Größen. Der kleinste von ihnen vollführte eine schwungvolle Pirouette, bis Walthers Fuß ihn zum Stillstand brachte. Ännchen eilte herbei und bückte sich nach dem Kochgeschirr. Dabei versuchte die Magd, mit ihrem fülligen Leib zu verhindern, dass Walthers Blick auf den Küchenknecht fiel. In der letzten Zeit passierte dem armen Kerl ein Malheur nach dem anderen, sehr zum Unmut von Walther. Rutgers abstehende Ohren glühten in den Strahlen der Dezembersonne, die durch die hohen, gebogenen Fenster fielen. Aus seinem Gesicht allerdings war jegliche Farbe gewichen, und seine Augen waren vor Schreck geweitet. Er kratzte sich an der rechten Wange, als spürte er, was sich als Nächstes zutragen sollte. Entgegen der Gewohnheit, ihn zu ohrfeigen, griff der Küchenmeister nach einer verzinkten Suppenkelle. Ännchen runzelte die Stirn und hob die Arme, um sich schützend vor Rutger zu stellen, aber Walther stieß sie zur Seite. Einen Wimpernschlag später drosch er mit dem Küchengerät auf den Jungen ein. Obwohl die Schläge nur seine Arme trafen, die er sich über den Kopf hielt, heulte Rutger wie ein Wolf bei Vollmond.

Mia konnte das nicht mit ansehen. Sie atmete tief durch und öffnete die weiß getünchte Tür zum Gemüsegarten. Der Frost hatte die letzten Blätter der Kräuter schrumpeln lassen. Die Rosenköhlchen, die Mia zubereitete, waren der Rest für diesen Winter. Sprütchen, nannte Herzog Johann Wilhelm von Jülich den kleinen Kohl liebevoll. Vor drei Jahren, im November 1605, hatte ihm sein Vetter die grüngelben Röschen aus Flandern mitgebracht. Immer, wenn Mia die Sprütchen sah, musste sie an damals denken. Sie war zu dieser Zeit sechzehn Jahre alt gewesen und hatte dem Küchenmeister Walther bei der Zubereitung zugesehen. Anschließend hatte sie zum ersten Mal den einzigartigen Geschmack des Gemüses gekostet. Von diesem Augenblick an träumte Mia davon, Speisen zuzubereiten und zu erfinden. Nachdem sie Walther ihren Wunsch offenbart hatte, ließ er sie Tag für Tag an die Kessel und brachte ihr bei, was ein guter Koch wissen musste. Oft schenkte er ihr mehr Aufmerksamkeit als den jungen Lehrlingen, was sie manches Mal beschämte.

Mia rieb sich über die Arme und warf einen Blick über ihre Schulter. Das Geschrei in der Küche war mittlerweile verstummt. Rutger sammelte schweigend die Kessel von den Fliesen und stapelte sie ineinander, die anderen Köche widmeten sich wieder ihrer Arbeit und schnippelten und hackten, was das Zeug hielt. Ännchen hatte sich an den Spülstein begeben, um weiter das Geschirr abzuwaschen. Mia wusste genau, wie schwer ihr das Herz nach diesem Vorfall war. Die Magd war eine Seele von Mensch. Sie hatte ihrer Schwester auf dem Sterbebett versprochen, sich um den jungen Rutger zu kümmern. Als er nach dem Vater auch die Mutter verloren hatte, holte Ännchen ihn in die Schlossküche. Ein Seufzer entwich Mias Lippen. Sie liebte Ännchen wie eine Tochter ihre Mutter. Auch sie hatte es ihr zu verdanken, hier in der Schlossküche sein zu dürfen. Mia trat wieder zurück in die Wärme, die sie einhüllte und ihr einen wohligen Schauder bereitete. Jede der Schaum- und Schöpfkellen, die sorgfältig aneinandergereiht an einer Eisenstange über dem Herd hingen, war ihr vertraut, jede Beule in den Kesseln auf den Holzregalen bekannt. Die Schlossküche war ihr Heim, seit sie denken konnte, und die gemauerten Rundbögen die schützenden Hände Gottes, die sie behüteten. Hier hatte sie laufen, sprechen und später kochen gelernt.

Mia sah zu Walther, der den Spieß mit den Wachteln aus dem Ofen zog. Sein Gesichtsausdruck spiegelte seinen Unmut wider. Sie ging zu ihm und lächelte ihn an. Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. Mia war sich sicher, dass sich sein Gram bald verflüchtigen würde.

Nachdem er die Vögel vom Spieß gelöst hatte, wischte er seine Hände an einem Tuch ab und ging zu Mia, um ihr bei der Zubereitung der Rosenköhlchen zuzusehen.

»Ihr solltet Euch nicht so aufregen. Das ist nicht gut für Euer Wohlergehen.« Mia legte die Hand auf den Unterarm des Küchenmeisters. Unter ihren Fingerkuppen kitzelte der Pelz seiner grauen Haare.

Walther nickte und atmete tief aus. Er nahm zwei Eier, schlug sie in eine hölzerne Schüssel auf, verrührte sie mit Dinkelmehl und knetete einen festen Teig daraus.

»Ihr habt das Salz vergessen.« Mia reichte ihm den Tiegel.

»Stimmt, danke. Dieser Küchenjunge raubt mir noch den Verstand.« Er warf einen bösen Blick in Rutgers Richtung.

Der Küchenjunge schälte mit gesenktem Blick einen Berg Rüben, aus denen ein Eintopf für die Bediensteten gekocht werden sollte. Dabei presste er die Lippen aufeinander, als kämpfte er mit den Tränen.

»Seht es ihm nach, er ist noch jung! Und er hat vor nicht allzu langer Zeit seine Eltern verloren. Deswegen ist er bestimmt nicht richtig mit den Gedanken bei der Arbeit«, versuchte Mia, Walther zu beschwichtigen.

»In all den Jahren, in denen ich am Jülicher Schloss bin, ist mir so ein Tölpel noch nicht untergekommen.« Walther schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich sehe mir das nicht mehr lange an, dann schmeiß ich ihn aus der Küche.« Die Kiefermuskeln des Küchenmeisters zuckten.

Ännchen, die gerade die Teller ins Regal räumte, drehte sich zu Walther. »Wo soll er denn hin? Wollt Ihr, dass er als Bettler endet? Ihr wisst doch, was ich meiner Schwester versprochen habe.« Ihre vollen Wangen röteten sich vor Entsetzen.

»Wenn es so kommt, hat er sich das selbst zuzuschreiben. Irgendwann ist meine Geduld zu Ende«, knurrte Walther.

»Ich glaube, ich gebe statt der Muskatnuss etwas Thymian an die Rosenköhlchen.« Mia wollte den Küchenmeister auf andere Gedanken bringen.

»Versuche es lieber mit Koriander«, wandte Walther ein. »Der Herzog leidet zurzeit unter einer Verstopfung. Das Gewürz wird sein Gedärm wieder auf Trab bringen.«

Mia sah ihn erstaunt an. »Koriander? Meint Ihr, das harmoniert mit dem Geschmack des Rosenkohls?«

»Gewiss, lass es uns ausprobieren.« Walthers Stimme war wieder sanfter geworden.

Erneut hatte Mia etwas gelernt, was sie sich unbedingt merken musste. »Dann wollen wir den Därmen des Herzogs mal helfen, damit wieder Platz für neue Speisen ist.« Mit einem Lächeln auf den Lippen viertelte sie die Röschen und dünstete sie in Schmalz. Anschließend vermengte sie das Gemüse mit zwei Eiern, würzte es mit dem Koriander und probierte von der Masse. Walther hatte recht, es schmeckte vorzüglich. Wenn sie weiterhin so viel von ihm lernte, würde sie es gewiss schaffen, irgendwann einmal am französischen Hof für den König zu kochen. Die Tatsache, dass ihr dies als Frau unmöglich sein dürfte, verdrängte sie aus ihrem Kopf und hing stattdessen wieder einmal einem Tagtraum nach. Hektisches Klappern von Geschirr hallte durch die Küche am französischen Hof. Sie stand mitten zwischen den Köchen und kreierte in aller Seelenruhe die Speisen für das königliche Bankett, schnitzte Röschen aus Karotten und überzog sie mit Kristallzucker, der wie Raureif aussah. Sie schmeckte die Füllung einer Pastete ab und rührte gleichzeitig ein Gelee aus Aprikosen, Mandeln und Erdbeeren an. Herrscher aus aller Welt lobten ihre Gerichte, die sie mit Herz und Liebe zubereitete. Mia dachte an die Schauessen, von denen Walther berichtet hatte. Als sie vor ihrem inneren Auge die Zwerge aus den Pasteten springen sah, konnte sie sich einen sehnsüchtigen Seufzer nicht verkneifen. Es musste ein grandioser Anblick sein, wenn die gebratenen Pfauen wieder mit ihrem Federkleid geschmückt wurden, aus Eisbrunnen Wein floss und ganze Städte aus Zucker die Tafel zierten.

»Träumst du schon wieder, Mädchen?« Ännchen blickte sie verständnislos an.

»Ach Ännchen, warum veranstaltet unser Herzog eigentlich keine Schauessen?«

»Der hat genügend andere Sorgen«, winkte die Küchenmagd ab. »Außerdem können wir froh sein, dass ihn in der Beziehung noch nicht die Verschwendungssucht überfallen hat. Stell dir nur vor, was wir in der Küche dafür schuften müssten!« Ännchens Blick schweifte wieder zu Rutger. Wahrscheinlich wollte sie sich überzeugen, dass er keine weiteren Dummheiten anstellte. Doch der Küchenjunge trocknete mit einem Tuch brav das Geschirr, das Ännchen zuvor gespült hatte.

»Aber bedenke, welche Kunstwerke wir schaffen könnten.« Mia ließ nicht locker. »Das Auge isst bekanntlich mit.«

»Kunstwerke, die anschließend den Bettlern vorgeworfen werden. Ach Kind, träum nicht immerfort davon! Schließlich kannst du froh sein, dass Walther dich an die Kessel lässt.«

Mia presste die Lippen aufeinander. Ännchen hatte recht. Es stand ihr nicht zu, vom französischen Hof zu träumen. Eigentlich hätte sie nur die Hände ins Spülwasser stecken oder die Abfälle hinaustragen dürfen.

* * *

Noch atemlos von der Anstrengung des Beischlafs zog der Herzog seine Kniebundhose hoch und verschloss die Schnüre. Vor ihm lag seine Gemahlin Antonie zwischen hoch aufgetürmten Kissen. Ihr Blick glich dem eines Rindviehs vor der Schlachtbank.

»Glotzt nicht so tumb«, raunzte Johann und drehte sich von ihr ab. Glaubte dieses dumme Weibsbild etwa, ihm hätte der Akt Freude bereitet? Eine lästige Pflichtübung, mehr war es für ihn nicht gewesen. Diesen unförmigen Körper mit den hängenden Brüsten bestieg er nur, um einen Nachkommen zu zeugen. Doch langsam schwand seine Hoffnung, sein alterndes Weib würde ihm noch einen Sohn gebären. Er rückte sein Gemächt zurecht und warf Antonie ihr Kleid aus smaragdfarbener Seide zu. »Zieht Euch an, Euer Anblick verdirbt mir noch den Appetit.«

Antonie erhob sich schluchzend aus dem Bett. Ohne ein Wort zu verlieren, zog sie das Kleid an und rief nach ihrer Kammerzofe, die sie wieder herrichten sollte. Johann warf noch einen Blick auf ihr mit Walnussschalen gefärbtes Haar, doch selbst diese Bemühungen machten sie nicht schöner. Das fiel besonders auf, wenn sie neben ihm stand. Obwohl der Herzog bereits sechsundvierzig Lenze zählte, war er ein schöner Mann mit vollem schwarzem Haar und ebenmäßigen Gesichtszügen. In Gedanken verfluchte er den Mörder seiner ersten Gemahlin. Sie hatte ihm zwar auch keine Nachkommen geschenkt, war aber weitaus ansehnlicher gewesen als dieses Weib. Er verfluchte die Landstände, die sie auf dem Gewissen hatten und ihn anschließend zur Ehe mit Antonie zwangen. Trauer legte sich wie ein schwarzes Tuch auf seine Seele, als er an seine geliebte Jacobe dachte. Johann war sich sicher, der Mörder musste aus den Parteien der Landstände gekommen sein. Doch er war machtlos gegen die Mitregenten, die die ständige Kontrolle über ihn hatten. Johann presste die Lippen aufeinander, verließ das Gemach seiner Gemahlin und stieg die Stufen hinab in den Speisesaal.

Ein Diener hatte bereits die Platte mit den gebratenen Wachteln zu der Tafel getragen, die Platz für drei Dutzend Schlossbewohner bot. Über ihm brannten die Kerzen an dem zwölfarmigen Kronleuchter aus dunkel gebeiztem Holz nur für ihn, denn für den heutigen Tag hatte er angeordnet, allein zu speisen. Zum letzten Mal gab es seine geliebten Sprütchen. Danach musste er wieder bis zur Ernte im nächsten Jahr warten. Mit großem Bedauern dachte er daran, wie viele Monde er auf diese Köstlichkeit verzichten musste.

Ein Diener zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor, und der Herzog ließ sich auf dem rubinroten Samt der Sitzfläche nieder. Er drückte seinen schmerzenden Rücken gegen die eingeschnitzten Ornamente der Stuhllehne und griff nach dem Kelch. Als der Bedienstete endlich den Deckel von der Platte lüftete, verströmten kross gebratene Wachteln einen herrlichen Duft. Es war an der Zeit, sich den wahren Lüsten zu widmen und die dunklen Gedanken beiseitezuschieben. Ein Ziehen fuhr durch seinen Leib und bereitete ihm einen wohligen Schauder. Nichts konnte seine Sinne mehr verzaubern als die Kompositionen der Gewürze, die sich mit jedem Bissen an seinem Gaumen entfalteten. Die Begierde danach steigerte sich fast schmerzhaft und ließ ihn aufstöhnen. Nachdem der Diener ihm eine Scheibe der Pastete neben die Wachtel auf den Teller gelegt hatte, lief Johann das Wasser im Munde zusammen. Er schloss die Augen und sog den Duft der Speisen ein. Schon stieg das Bedauern in ihm auf, dass die Speise allzu rasch in seinem Magen und der Teller geleert sein würde. Er nahm einen kräftigen Schluck von dem roten Wein und ließ ihn seine Zunge umspielen, bevor er ihn hinunterschluckte. Bedächtig schnitt er ein Stück der Pastete ab und führte es zum Mund. Auf seiner Zunge breitete sich das Aroma der Sprütchen und des Korianders aus. Eine Komposition, die ihn beinahe in einen Rausch versetzte. Er schloss die Augen, und unter seinen Lidern sammelten sich Tränen der Verzückung. Nachdem er den Bissen geschluckt hatte, wischte er sich mit dem Hemdsärmel die Nässe von den Wangen. Johann hob die Lider, schnitt ein Stück von der Wachtel und schob es sich zwischen die Zähne. Er aß nicht, er zelebrierte das Mahl. Verzückte Laute von sich gebend, schaukelte er sich über Stunden hinweg in dem Rausch seiner Begierde.

Als die Platten später bis zum letzten Bissen geleert waren, glaubte Johann zu platzen. Arme und Beine fühlten sich an, als fließe Blei hindurch. Er sehnte sich nur noch nach den Kissen seines herzoglichen Bettes, in denen er versinken konnte.

Schwerfällig erhob er sich von dem Stuhl, verließ den Speisesaal und zog sich am vergoldeten Treppengeländer hoch. In seinem Gemach ließ sich Johann rücklings auf sein Bett fallen. Die Gedanken an das bevorstehende Weihnachtsfest überfielen ihn. So sehr er sich auf die Speisen freute, grauste es ihm vor der Anwesenheit seiner Verwandtschaft. Tasso, sein Jagdhund, leckte ihm die Finger. »Ach, mein treuer Gefährte. All die Herren mit ihren Gemahlinnen, die sich an Weihnachten auf meine Kosten die Leiber vollschlagen werden, sind so falsch wie die Schlange im Paradies! Glaube mir, sie zünden Kerzen in ihren Kirchen an und beten, damit ich ohne Nachfolger ablebe. Diesen Gefallen erweise ich ihnen nicht. Ich werde alles daransetzen, einen Sohn zu zeugen. Darauf kannst du dich verlassen.« Johann griff nach Tassos Ohr und ließ seine Finger mit dem weichen Fell spielen. »Mir bleibt nicht viel Zeit. Wenn der Allmächtige mich noch nicht zu sich rufen will, werden sie gewiss nachhelfen wie bei Jacobe damals.« Ein tiefer Seufzer entfuhr Johann. »Dieser Marschall Bretzen … In meinen Augen ein vollkommen unfähiger Mann. Die spanischen und niederländischen Truppen toben sich in unserem Land aus als wäre es ihr eigenes. Das wundert einen nicht, wenn ihnen niemand Einhalt gebietet. Dieser Bretzen müsste unserem Kaiser täglich davon berichten und Hilfe erbitten, damit Rudolf endlich mal aus seinem Prag rauskommt. Aber was macht dieser Landrat? Nichts, einfach nichts! Schleicht mit seiner falkenhaften Gestalt zwischen Düsseldorf und Jülich umher, steckt überall seine spitze Nase hinein, aber mal etwas zu unternehmen. Pah, dazu ist er nicht in der Lage.«

Tasso gab ein leises Knurren von sich.

»Ja, ganz recht, mein Lieber.« Johann tätschelte dem Jagdhund den Kopf. »Selbst gegen die Protestanten unter den Landständen wettert Bretzen nicht. Steckt wahrscheinlich sogar mit ihnen unter einer Decke.« Johanns Gedanken kehrten zurück zu seiner Verwandtschaft, den Brandenburgern und den Pfalz-Neuburgern, die in die Familie eingeheiratet hatten, um in der Erbfolge um das Jülicher Land ganz oben zu stehen. Johanns Lider wurden immer schwerer. Der rostfarbene Baldachin über ihm verschwamm vor seinen Augen, ehe er in den Schlaf sank. In seinen Albträumen sah Johann, wie Anna, die Tochter seiner verstorbenen Schwester, mit ihrem Gemahl Sigismund von Brandenburg in die Schlosszitadelle zog. Ihr ganzes Hab und Gut wurde auf Wagen angefahren. Mit eiserner Hand wies seine Nichte die Diener an, den bisherigen Hausstand des Schlosses auf dem Innenhof verbrennen zu lassen.

Als Johann erwachte, rannen heiße Tränen über seine Wangen. Sein Kampfgeist keimte in ihm auf. Nie und nimmer würde er dieses Volk die Herrschaft übernehmen lassen.

* * *

Der Schein des Feuers spendete ein warmes Licht und ließ Adrians Schatten an den Tuffsteinblöcken tanzen. Um ihn schloss sich kreisrund das Mauerwerk aus Sandstein. In den Hohlraum unter dem Rathaus der freien Reichsstadt Köln mündeten unterirdische Gänge, von denen fast niemand wusste, wozu sie vor langer Zeit gebaut worden waren.

Auf einem der herumliegenden Steinquader schlief Adrians Freund Will im Sitzen den Schlaf der Gerechten. Die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf nach vorn gebeugt, gab Adrians Kumpan ein leises Grunzen von sich. Seit fast zehn Jahren lebten sie gemeinsam in diesem Gemäuer. Adrian musste ungefähr fünfzehn Jahre alt gewesen sein, als er den Hohlraum bei einem ihrer Streifzüge durch die Unterwelt entdeckt hatte. Von da an hatten sie einen Platz, den sie ihr Heim nennen konnten. In den alten Gängen, die zu ihrem Lager führten, versteckte sich auch das Gesindel der freien Reichsstadt. Hier suchten die Bettler und Diebe Schutz vor dem Regen und der Kälte in den Kölner Gassen. Niemand von ihnen ahnte, was Adrian und Will in ihrem Versteck trieben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ein ungeschriebenes Gesetz verwehrte es ihnen, Will und ihm hinterherzuschnüffeln. Ohne Ausnahme hielten sich die ehrlosen Bewohner der Unterwelt daran.

Adrian tippte Will mit dem Zeigefinger auf die Schulter. Sein Freund riss die Augen auf, schüttelte den Kopf mit den strohblonden Locken, um wach zu werden, und rieb sich mit den Handballen den Schlaf aus den Augen.

»Was ist los? Warum weckst du mich?« Seine Augen glichen denen eines Eichhörnchens.

»Ich wollte dir nur sagen, dass ich nach Jülich aufbreche.« Adrian griff nach seinem schwarzen Mantel, zog ihn über und befreite sein haselnussfarbenes Haar aus dem Kragen.

Sein Kumpan sah ihn verdutzt an. »Willst du allein reisen?«

»Es ist nicht gut, wenn wir zusammen im Schloss aufkreuzen. Halt du lieber hier die Stellung. Glaube mir, ich schaffe es schon, Heinrich von Lothringen zu überzeugen, dass er uns den Auftrag geben muss.«

»Woher willst du wissen, dass er schon auf Schloss Jülich ist?«

»Ich habe meine Quellen«, sagte Adrian und zwinkerte.

»Sind die verlässlich?«

Adrian hob eine Augenbraue. »Ich denke schon. Die Herzogin weiß bestimmt, wann ihr Bruder eintrifft.«

Will pfiff anerkennend durch die Zähne. »Heinrich hat also seine Schwester eingeweiht.«

»Wird wohl so sein. Wenn sie als Mittelmann fungiert, kann uns das viel Zeit ersparen.«

»Sieh zu, dass du dich gut mit ihr hältst.« Will erhob sich und räumte die Steine aus dem Zugang zu ihrem Versteck beiseite.

Adrian klopfte ihm zum Abschied auf die Schulter. Er kroch durch die halbrunde Öffnung zu dem Gang, in dem er aufrecht gehen konnte. Staub bedeckte seinen Mantel, als er sich hinter dem geheimen Zugang auf die Füße stellte und die Fackel in seiner Hand an einem der ewigen Lichter der Unterwelt entfachte. Zwei Handbreit über ihm bog sich das Gemäuer aus Tuffsteinblöcken. Bevor er den Gang erreichte, in dem die Bettler und Diebe herumlungerten, klopfte er sich den Staub von seinem Mantel. Zu dieser Tageszeit war nicht sehr viel los, nur die Schwachen und Kranken suchten Schutz. Die meisten der Bewohner bettelten zur Mittagszeit in den Gassen rund um den Aldemarkt oder bestahlen die Leute auf dem Fischmarkt. Erst, wenn die Sonne hinter dem Kran auf der großen Kathedrale verschwunden war, krochen sie zurück in die unterirdischen Gänge.

Ein Bein stellte sich Adrian in den Weg. Im letzten Augenblick blieb er stehen, um nicht darüber zu stolpern. Er blickte auf einen Bettler, der ihn mit einem zahnlosen Mund angrinste. Sein Mantel wies mehr Löcher auf als der niederländische Käse, der auf dem Aldemarkt angeboten wurde.

»Wohin des Weges, edler Herr?«

Adrian stieg über das Bein. »Das geht dich nichts an, Matthis, das weißt du.«

»Irgendwann wird einer von uns das Nichts finden, aus dem du immer auftauchst. Verlass dich darauf«, brummelte der Bettler zwinkernd.

Adrian wusste, Matthis meinte es nicht ernst. Er schenkte ihm ein Lächeln und kletterte die Holzleiter hinauf, die durch eine Öffnung zu einer Gasse in der Nähe des Aldemarkts führte.

* * *

Auch am nächsten Tag herrschte in der Schlossküche eine Stimmung, die den tief hängenden Wolken am Himmel gleichkam. Schweigend knetete Mia aus Mehl, einem Ei, Schmalz und Wasser einen Mürbeteig für das heutige Gericht. Die Hände im Teig vergraben, blickte sie zu Walther, dessen Laune wieder einmal zu wünschen übrig ließ. Mit einem mürrischen Ausdruck im Gesicht rührte er in einem großen Kessel, der auf dem Herd stand. Es fiel Mia schwer zu glauben, Rutger sei der einzige Grund für seinen Unmut.

Während der Teig ruhte, drehte Mia das Ochsenfleisch durch den Wolf und kochte es in Wasser. Danach gab sie es in ein Sieb zum Abtropfen und würfelte die Äpfel, den Speck sowie die Zwiebeln und den Knoblauch. Sie versuchte, sich voll und ganz auf die Zubereitung der Speisen zu konzentrieren, doch ihre Gedanken schweiften immer wieder zurück zu Walther. Ännchen hatte seit dem letzten Vorfall kein Wort mehr mit dem Küchenmeister gesprochen. Mia konnte es nicht ertragen, wenn sie sich stritten. Mit schwerem Herzen hackte sie den Liebstöckel und vermischte die Zutaten mit dem abgetropften Hackfleisch und den Eiern. Die Fleischmasse gab sie auf den ausgerollten Teig und umschloss sie damit. Nachdem sie den Heidnischen Kuchen in den Ofen geschoben hatte, beschloss sie, mit Walther zu reden. Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und begab sich an den Herd.

»Rutger ist noch jung, und Ännchen hat ihrer Schwester versprochen, sich um ihn zu kümmern. Warum verzeiht Ihr ihm nicht einfach das kleine Malheur? Es ist doch nichts zu Bruch gegangen.« Mia legte die Hand auf Walthers Unterarm.

»Noch nicht, aber es wird nicht mehr lange dauern. Glaube mir, dieser Tölpel zerstört mir irgendwann die ganze Küche«, murrte Walther, ohne von der Suppe aufzublicken.

»Nun übertreibt Ihr aber. Dafür müsste er schon auf einem Pferd hier durchgaloppieren.« Mia versuchte, Walther mit einem Lächeln aufzumuntern, doch dieser schnaubte nur verächtlich. Sie kämpfte mit der Versuchung, ihn am Bart zu kitzeln, aber dann sah sie zu Ännchen. Der Blick ihrer Ziehmutter verriet ihr, sie möge den Küchenmeister besser in Ruhe lassen. Mia seufzte, wandte sich von Walther ab und beschloss, sich ein wenig im Schlosshof die Beine zu vertreten. Sie nahm ihren Umhang vom Haken an der Wand und verließ wortlos die Küche. In ihrem Rücken spürte sie Walthers Blick, dann fiel die Tür ins Schloss.

Die Beete um die Reiterstatue in der Mitte des Hofes wirkten trostlos ohne die Blumen des Sommers. Der erste Schnee war schon wieder geschmolzen, und die Nässe, die er hinterlassen hatte, färbte die Pflastersteine dunkel. Mia blickte zum Nordturm, dem größten der vier Ecktürme des Schlosses, der sogar von Weitem zu erkennen war. Die Binnenhofloggia erinnerte an einen italienischen Palazzo, wie Walther immer sagte. Der Hof ließ nicht erahnen, welche Festung ihn umgab. Die vierzackige Wallanlage schützte das Schloss vor Eindringlingen. Der Herzog rühmte seine Bastion als eine der sichersten nördlich der Alpen, Mia interessierte dies nicht sonderlich. Die Küche war der Platz, an den sie gehörte, ob mit oder ohne Wall. Sie senkte den Kopf, stieß mit ihrer Schuhspitze einen Stein vor sich her und dachte an das Weihnachtsfest. Das Menü, das aufgetragen werden sollte, musste diesmal besonders fein sein, weil viele Gäste auf dem Schloss erwartet wurden. Acht lange Tage dauerte es noch, bis es endlich so weit war. In Mias Bauch kribbelte bereits die Vorfreude auf die Zubereitung der Speisen. In Gedanken atmete sie den Duft des Gänsebratens ein. Das Gefühl von Geborgenheit breitete sich in ihrem Leib aus und ließ sie die schlechte Stimmung in der Küche vergessen.

»Du solltest aufpassen, wo du hinläufst.«

Eine Männerstimme riss Mia aus ihren Gedanken. Die Hände auf ihren Schultern hinderten sie daran, weiterzugehen. Sie hob erschrocken den Kopf und blickte in die samtbraunen Augen eines jungen Mannes, der sie freundlich ansah. Diesen Fremden, der in einen schwarzen Mantel gehüllt war, hatte sie noch nie gesehen. Sein Blick hielt sie für einen Augenblick gefangen, bevor er die Hände von ihren Schultern nahm.

»Verzeiht, ich war in Gedanken«, stammelte Mia.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Verrätst du sie mir?«

In Mias Nacken breitete sich eine Hitze aus, die bis zu ihren Ohren hinaufkroch. Verlegen wandte sie den Blick ab. »Ach, es war nichts Besonderes. Ich dachte nur über die Speisen für die Weihnachtstage nach.« Es fiel ihr schwer, diesem Mann in die Augen zu blicken. Etwas Geheimnisvolles umhüllte ihn, das ihr einen Schauder über den Rücken jagte.

»Das hört sich gut an. Arbeitest du auf dem Schloss als Küchenmagd?«

Mia überlegte kurz. Sie hatte sich noch nie die Frage gestellt, ob sie nun eine Küchenmagd war oder nicht. »Ich denke eher, ich bin eine Köchin«, antwortete sie stolz.

»Oh, eine Köchin.« Der junge Mann hob anerkennend die Augenbrauen.

»Glaubt Ihr mir etwa nicht?«

»Natürlich glaube ich dir. Warum auch nicht? Schließlich sind in der Stadt, aus der ich komme, die Frauen in fast allen Berufen vertreten.«

»Wirklich?« Mia riss die Augen auf. »Von woher kommt Ihr denn?«

»Mein Name ist Adrian Thurn, und ich komme aus Köln. Dort bilden die Frauen sogar Zünfte und das seit über zweihundert Jahren.«

Mia sah ihn ungläubig an. Sie fand es unbegreiflich, was der Mann ihr da erzählte. In diesem Augenblick stellte sie fest, wie wenig sie von der Welt hinter dem Wall wusste. Eigentlich fast nichts. Sie kannte nur die Küche, das Schloss und dessen Bewohner. Ihr Wunsch, nach Frankreich zu gehen, um dort am königlichen Hof zu kochen, kam ihr mit einem Mal töricht vor.

»Verrätst du mir auch deinen Namen?« Adrians Worte rissen sie aus den Gedanken.

»Entschuldigt meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Mia. Mia Weyer.«

»Mia, die Köchin des Herzogs von Jülich. Das passt gut«, sagte er zwinkernd.

»Und Ihr? Wer seid Ihr und was führt Euch hierher?«

Von seinen Lippen verschwand das Lächeln. Er senkte den Blick. »Ich bin Kaufmann und auf dem Weg zur Herzogin«, sprach er mit gedämpfter Stimme.

»Mit welchen Waren handelt Ihr denn?«

Adrian zögerte für einen Augenblick mit der Antwort. »Ich handle mit feinen Stoffen aus dem Orient.«

»Oh, wie schön. Ich beneide die Herzogin um ihre Kleider.« Mia sah zu den Fenstern der Küche. Sie musste sich wieder um ihren Heidnischen Kuchen kümmern. »Entschuldigt mich, aber die Pflicht ruft. Sonst verbrennt mir noch die Speise.«

»Was gibt es denn Gutes?« Auf Adrians Lippen war das Lächeln zurückgekehrt.

»Habt Ihr Hunger?« Ein hungriger Gast war ihr immer willkommen.

»Hunger habe ich, aber die Herzogin erwartet mich.«

»Kommt mit mir. Für eine kleine Stärkung wird wohl Zeit sein.« Mia griff nach seiner Hand und zog ihn zur Tür der Schlossküche.

Auf der Schwelle hielt sie abrupt inne. Walther zerteilte mit einem Beil gerade eine Schweinehälfte. Als er Mia bemerkte, blickte er mürrisch auf. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte er den Fremden. Mia ließ die Hand des Mannes los, als hätte sie sich verbrannt, und biss sich auf die Unterlippe. Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, was sie getan hatte. Auf ihren Wangen brannte die Schamröte, doch sie versuchte, die Unsicherheit beiseitezuschieben und ein Lächeln aufzusetzen, dem Walther bisher noch nie hatte widerstehen können. Dieses Mal wies er sie in schroffem Ton an, in ihre Kammer zu gehen, um dort über ihr schamloses Verhalten nachzudenken.

Bedauernd hob Adrian die Augenbrauen. Ohne ein Wort des Abschiedes verließ er die Schlossküche und trat hinaus auf den Schlosshof.

Am späten Nachmittag durfte Mia ihre Kammer wieder verlassen, um die Küche auf Hochglanz zu bringen. Mit einer Bürste scheuerte sie die Fliesen vor dem Ofen und musste die ganze Zeit an den fremden Mann denken. Dass er ein Kaufmann sein sollte, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. In seinem schwarzen Mantel wirkte er geheimnisvoll und mystisch wie ein Maleficus. Obwohl sie die Zauberer nur aus den Erzählungen der Mägde kannte, hatte sich ihr Bild seit Adrians Erscheinen in ihr gefestigt. Ihre Gedanken schweiften hinter die Mauern der Zitadelle, hinweg über das Jülicher Land bis hin zu der Stadt Köln, wo die Frauen den Zünften angehörten und ihre Berufe ausüben konnten.

Ännchen entzündete die Dochte der tönernen Öllampen und winkte Mia zu sich an den Küchentisch. »Lass gut sein für heute, Mädchen. Komm und setze dich zu mir.« Sie stellte einen Holzteller mit Käse und Apfelstückchen vor sie und dazu goss sie etwas Milch in zwei Becher.

Mia erhob sich von ihren Knien und bog den Rücken durch. Sie und Ännchen waren allein. Der Küchenmeister sowie Rutger und die anderen Bediensteten hatten sich bereits zur Nacht verabschiedet. Erleichtert ließ sich Mia auf dem Schemel neben Ännchen nieder.

»Ich mache mir Sorgen um Rutger. Es dauert nicht mehr lange, und Walther wirft ihn aus der Schlossküche, wenn er ihn nicht vorher totgeschlagen hat.« Ännchen nahm die Haube vom Kopf und kämmte mit den Fingern ihr mausgraues Haar.

»Ach, Ännchen.« Mia griff nach ihrer Hand. »Das wird schon nicht geschehen und wenn, werden wir Walther wieder umstimmen.«

Ännchen zuckte mit den Schultern. Ihr Blick haftete auf dem glühenden Docht der Öllampe. »Ich bin froh, dass er nicht auch mit dir so umgeht, mein Kind.« Ein zögerliches Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

»Na ja. Besonders freundlich war er heute auch nicht zu mir.« Mia zerkrümelte den Käse zwischen ihren Fingern.

»Das kann ich ihm allerdings nicht verdenken. Es geziemt sich nicht für eine junge Frau, einen fremden Mann einfach hinter sich herzuziehen.«

»Ich weiß, doch ich habe mir nichts dabei gedacht. Wirklich nicht.« Die Erinnerung daran, wie warm sich Adrians Hand angefühlt hatte, kehrte in Mias Gedanken zurück. In ihrer Bauchhöhle breitete sich ein wohliges Ziehen aus, das sie noch nie zuvor gespürt hatte.

Ännchen erhob sich, band die Küchenschürze ab und legte sie über die Stuhllehne.

In der Hoffnung, das Gespräch sei beendet, streckte Mia gähnend die Hände von sich, doch die Küchenmagd ließ sich wieder am Tisch nieder.

»Weißt du, ich bin sehr froh, dass er mich damals nicht fortgeschickt hat, als ich nach deiner Geburt mit dir vor ihm stand und ihn bat, dich hier großziehen zu dürfen.«

»Was hättest du dann getan, Ännchen?«

»Ich weiß es nicht. Allein gelassen hätte ich dich nie. Ich habe Pauline versprochen, mich um dich zu kümmern. Deine Mutter hatte in ihrer letzten Stunde nach deiner Geburt nur Sorge um dich.« In Ännchens Augen schimmerten Tränen.

»Sie hat dir wirklich nie verraten, wer mein Vater ist?« Auch wenn Mia Ännchen diese Frage schon hunderte Male gestellt hatte, hoffte sie immer noch, ihre Ziehmutter wüsste vielleicht etwas über ihren Vater.

»Nein, mein Kind. Wirklich nicht. Glaube mir.« Das Bedauern in Ännchens Augen verriet, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen.

Seufzend nahm Mia ein Stück Apfel und betrachtete es eingehend. »Vielleicht ist er ein edler Kaufmann oder ein Adliger, der zu Besuch auf dem Schloss war.«

Nun huschte ein Lächeln über Ännchens Lippen. »Oder ein armer Spielmann auf dem Weg nach Köln. Wer weiß das schon? Von daher kannst du es dir aussuchen.«

Mia schürzte die Lippen und sah ihre Ziehmutter belustigt an. »Na, wenn ich die Wahl habe, will ich ein Kind von Adel sein. Apropos Adel, glaubst du, die Rosenkohlpastete hat dem Herzog geschmeckt?«

»Mia, daran wirst du doch nicht zweifeln.« Ännchen knuffte sie mit dem Ellbogen in die Rippen.

»In der Küche bekommen wir davon aber nichts mit.«

»O doch, meine Liebe. Sieh, wenn es dem Herzog nicht munden würde, wäre Walther nicht mehr Küchenmeister. Es gibt genug Köche, die sich um den Posten reißen.«

Mia nickte. »Da hast du recht. Übrigens, ich habe vorhin die Herzogin gesehen. Ich glaube, es geht ihr nicht gut, sie sah sehr schlecht aus. Ihre Augen waren rot geweint und ihre Miene war leichenbitterblass.«

»Herzog Johann behandelt sie nicht gut. Das hat mir ihre Kammerzofe erzählt«, sprach Ännchen hinter vorgehaltener Hand. »Doch bitte, kein Wort zu irgendjemandem. Sie hat es mir anvertraut, nachdem ich ihr Verschwiegenheit geschworen hatte.« Endlich reckte sich Ännchen und erhob sich von dem Stuhl. »Lass uns die Lichter löschen, mein Kind. Meine alten Knochen sind müde.«

Mia drückte der Älteren einen Kuss auf die Stirn und verabschiedete sich von ihr. Nachdem sie die Küche verlassen hatte, stieg sie die Stufen hinauf, die zu den Unterkünften der Bediensteten führten. Ein Bett, einen Nachttisch und eine Frisierkommode aus dunklem Eichenholz nannte Mia ihr Eigen. Ihre Kammer war schlicht eingerichtet, wie es einem Küchenmädchen entsprach. Erstaunt nahm sie wahr, dass sich auf dem Nachttisch ein Buch befand, das jemand heimlich dort hingelegt haben musste. Mia ahnte, dass es Walther gewesen war. Erleichterung breitete sich in ihrem Herzen aus, denn dies zeigte ihr, dass er ihr die Unschicklichkeit verziehen hatte. Sie nahm das Buch in die Hand, strich mit den Fingerspitzen über die rote Schrift und drückte einen Kuss darauf, der Walther gelten sollte. Endlich ergab es einen Sinn, das Lesen von ihm gelernt zu haben. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. »Ein new Kochbuch von Marx Rumpolt«, zitierte sie leise den Titel und begann, in dem Buch zu blättern. Schon bald war sie von den Rezepten so gebannt, dass sie vergaß, sich zu waschen und das Nachtgewand überzuziehen. Bis weit nach Mitternacht saß sie auf der Bettkante und las von einem Abendessen aus Ochsenfüßen, von Salmwürsten und Knödeln aus Gänsefleisch. Als sie in den frühen Morgenstunden in den Schlaf fiel, träumte sie davon, ein eigenes Kochbuch zu schreiben. Ein anderes Bild schob sich in ihren Traum: Adrian stand vor ihr und griff nach ihren Händen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

* * *

Schneeregen verwandelte den Domhof in einen Schlammacker. Der Kran, der schon seit über zweihundert Jahren auf die Fertigstellung des Südturmes wartete, war nur schemenhaft im Flockenwirbel zu erkennen. Die Bürger der freien Reichsstadt Köln eilten um die Pfützen und suchten den Weg an den heimischen Herd. Doch Lisbeth zog die Aufmerksamkeit der Leute auf sich und ließ sie vor dem Dom innehalten. Sie krümmte sich vor Schmerz im Schlamm, und ihr wollener Umhang hatte sich mit dem Wasser aus den Schlaglöchern vollgesogen. Lis verdrehte absichtlich die Augen, stöhnte und jaulte, als wäre der Teufel persönlich in ihren Leib gefahren. Ein Herr, gekleidet in einen lindgrünen Überrock und Kragen aus feinster Spitze, blieb vor ihr stehen und hielt Maulaffen feil. Von dem Rand seines Filzhutes rannen Tropfen, und die Federn neigten sich traurig zu seiner Stirn. Er starrte Lis an, als wäre sie ein wildes Tier. Seine Gemahlin, ein hageres, hochgewachsenes Weib, stieß ihn mit dem Ellbogen in die Rippen.

»Jakob, lass uns weitergehen. Ich bin bis auf die Knochen durchnässt. Am Ende hat dieses Weib noch eine Seuche, mit der sie uns ansteckt.« Sie rümpfte angewidert ihre spitze Nase.

»Aber, aber, meine Teure, ist es nicht unsere christliche Pflicht, sie in das Leprosenhaus zu bringen?« Der Herr presste die Lippen aufeinander, als kämpfte er mit seinem Gewissen.

Lis setzte sich mit dem Hintern in eine Pfütze und riss die wässrig blauen Augen auf. »Nicht ins Siechenhaus«, heulte sie. »Es sind die Adern in meinem Bein, sie zeigen es wieder an!« Ihr Schluchzen ging im Rauschen des Regens unter, der sich mittlerweile gegen die Schneeflocken durchgesetzt hatte. Sie nahm die fleckige Haube vom Kopf, knüllte sie und presste sie sich gegen den Mund. Die Zotteln ihres grauen Haares waren vor Nässe schwer. Schlotternd sah sie abwechselnd von dem Herrn zu seiner Gemahlin.

»Was zeigen sie an?«, fragte der Herr erstaunt und fuchtelte mit seinem Gehstock vor ihren Beinen herum.

Lis’ Worte hatten ihre Wirkung nicht verfehlt, die Neugierde des Herrn war geschürt und in der Zwischenzeit hatte sich eine Menschentraube um sie herum gebildet. Alle Augen waren auf ihre Beine gerichtet.

»Was nun? Sprich endlich Weib!« Der Herr richtete die Spitze seines Gehstocks auf ihre Nase.

»Die Stelle, an der …« Lis’ Stimme nahm einen geheimnisvollen Unterton an. Sie blickte zwischen den Menschen umher und rieb sich über das rechte Bein. Auf dem Platz vor dem Dom herrschte eine angespannte Stille. Der Regen hatte nachgelassen, als hielten auch die dunklen Wolken am Himmel den Atem an. Ein Sonnenstrahl bahnte sich plötzlich einen Weg und schien auf ihr Bein. Durch die Menge ging ein Raunen.

»Der Herrgott hat ein Zeichen geschickt. Es muss etwas mit ihrem Bein sein.« Ein Marktweib ließ den Korb fallen. Halb verfaulte Äpfel kullerten in den Schlamm.

»Ja, ja …« Der Bucklige neben ihr nickte und starrte Lis’ Bein an wie ein Götzenbild.

Sie entfaltete ihre Haube und streckte sie den Leuten entgegen. »Von der Erkenntnis des Herrn, dass sich in meinem Bein ein Wunder verbirgt, kann ich nicht leben. Was ist, ihr Bürger von Köln? Ein paar Münzen wird es euch wohl wert sein?«

Ein junger Mann, der die anderen Gaffenden um eine Haupteslänge überragte, trat einen Schritt vor. »Die Pfennige klimpern erst, wenn du uns verrätst, um welches Wunder es sich handelt.«

»Junger Bursche, ich will dir mal etwas sagen. Wenn du nicht bereit bist, zu zahlen, geh deines Weges und halt dich nicht mit mir auf.« Sie spie auf den Boden.

»Wir sollten dich lieber nach Sankt Revillen ins Tollhaus bringen, dort kümmert man sich um Leute, die wie du schwach im Geiste sind.« Der junge Mann warf ihr einen angewiderten Blick zu.

»Also, mich interessiert es schon.« Der Herr mit dem Gehstock nestelte an seinem Gürtel und holte drei Pfennige aus seinem Münzbeutel. Er beugte sich ein wenig vor und warf sie in die Haube.

Lis winkte ihn mit ihrem von der Gicht befallenen Zeigefinger näher zu sich. Er hielt sein Ohr an ihre Lippen und kniff die Augenbrauen zusammen. »Edler Herr, meine Adern verraten die Orte, an denen sich Kohle in Gold verwandelt«, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand.

Der junge Bursche, der eben noch den Mund weit aufgerissen hatte, reckte seinen ohnehin schon langen Hals, um wenigstens ein Wort zu verstehen.

Um ein Geheimnis reicher, riss der Herr mit dem Gehstock die Augen auf. »Du meinst …«

»Schscht …«, unterbrach Lis ihn und legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. »Oder wollt Ihr etwa, dass die anderen Euch den Platz wegschnappen, an dem das reine Gold glänzen wird?«

Der Herr schüttelte so heftig den Kopf, dass ihm der Hut über die Ohren rutschte. »Nein, nein! Wir sollten Stillschweigen bewahren.« Er griff unter ihren Arm und zog sie hoch.

Nachdem Lis sicher auf den Beinen stand, strich sie die geflickten Röcke glatt und beäugte die Umstehenden argwöhnisch. »Lasst uns in Euer Haus gehen, dort werde ich Euch erzählen, wie Ihr weiter vorzugehen habt.«

Als sich Lis auf dem cremefarbenen Polster niederließ, rümpfte Jakobs Gattin die Nase. Es war ein feines Haus im Severinsviertel, in das der Herr sie geführt hatte. Sie sah sich in dem Wohnraum um, in dem ein Fünfplattenofen in der Wand für wohlige Wärme sorgte. Goldfarbene Vorhänge aus schwerem Brokat verdeckten die hohen Fenster. Ein Gemälde, das die Zerstörung von Deutz im Truchsessischen Krieg zeigte, hielt Lis’ Blick gefangen und weckte in ihr Erinnerungen an die schreckliche Zeit. Sie faltete die Hände auf der dunkel gebeizten Tischplatte. Jakob wies eine Dienstmagd an, Wein sowie etwas Brot und Braten vom Vortag zu bringen. Von Lis’ Umhang perlte das Wasser auf die Holzdielen und bildete eine kleine Pfütze neben ihrem Stuhl.

»So, nun erzählst du mir aber, was ich anstellen muss, um Kohle in Gold zu verwandeln.« Jakob hatte sich zu ihr gesetzt und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte.

»Nicht so voreilig, edler Herr.« Sie griff nach einer Scheibe Braten und biss herzhaft hinein. Das Fett rann an ihren Fingern hinunter. Lis wischte es an ihren Röcken ab und spülte den Bissen mit Wein hinunter. »Meine Adern werden Euch zu noch größerem Reichtum verhelfen, als Ihr ohnehin schon besitzt. Von daher fände ich es mehr als gerecht, wenn Ihr mich großzügig belohnt.« Ihr Blick fiel auf den Überbauschrank. Er musste ein Hochzeitsgeschenk gewesen sein, denn auf den oberen Schranktüren waren zwischen den Blumenornamenten Buchstaben eingeschnitzt. Lis vermutete, sie bildeten die Namen der Eheleute.

»Sicher, das mache ich. Sobald sich die Kohle in Gold verwandelt hat.« Jakob sah sie mit großen Augen an.

»Nein, nein, mein Herr. Darauf kann ich nicht warten. Es kann Tage dauern. Oder wollt Ihr mich so lange beherbergen?« Lis riss sich einen Kanten Brot ab.

»Gott bewahre.« Jakobs Gemahlin fächerte sich mit einem Spitzentuch Luft zu. Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie kurz vor einer Ohnmacht stand.

»Was verlangst du, Weib?« Jakob rieb sich über den Bart.

»Zwanzig kölnische Mark.«

Jakobs Gattin schnappte nach Luft. »Das Weib ist von Sinnen.« Ihre dunklen Augen funkelten Lis an. »Wenn deine Adern wirklich wissen, wie man Kohlen in Gold verwandeln kann, frage ich mich, warum du noch keinen Gebrauch davon gemacht hast!«

Lis kniff die Augen zusammen. »Weil es erst das zweite Mal ist, dass mein Bein es mir gezeigt hat. Soll ich Euch etwas sagen? Beim ersten Mal wusste ich nicht, was es bedeutete. Ich war als Dienstmagd im Haushalt eines Pfaffen im Bergischen Land angestellt. In seiner Küche bekam ich diesen Krampf im Bein. Ein paar Tage später hat mich der Pfaffe hinausgeschmissen. Er sagte, ich hätte den Teufel ins Haus gebracht, weil sich die Kohlen in dem Eimer neben dem Ofen in pures Gold verwandelt hatten.« Lis atmete tief ein. »Gegeben hat mir dieser falsche Hund nichts davon. Verratet mir bitte, wovon ich Kohlen kaufen sollte, wenn mein Bein ausschlägt? Ich lebe von der Hand in den Mund. Seht mich an.«

Jakob und seine Gemahlin hingen an ihren Lippen. Plötzlich ließ sich Lis von dem Stuhl fallen, krümmte sich auf den Holzdielen und jaulte wie ein kranker Hund.

Jakob sprang auf und kniete sich neben sie. »Was ist? Was ist mit dir?«, rief er aufgeregt, wobei er sie an den Schultern rüttelte.

»Hier ist auch eine Stelle. In Eurem Haus«, sagte Lis und keuchte, als läge sie in den letzten Atemzügen.

Das Säckchen mit den Münzen wog schwer unter ihren Röcken. Die grauen Wolken vom Vormittag hatten sich verzogen und ein malvenfarbener Himmel kündigte eine frostige Nacht an. Lis bog in die Botengasse ein, wo sich hinter den zweistöckigen Häusern der Zugang zu ihrem Unterschlupf befand. Auf ihren Lippen lag ein glückseliges Lächeln. Fast wäre sie gegen den jungen Mann in dem schwarzen Mantel gestoßen, wenn dieser sie nicht an den Schultern gefasst und zurückgehalten hätte.

Lis sah verdattert auf. Vor ihr stand Adrian, der zurückhaltende Bursche aus der Unterwelt.

»Dass die Frauen mich immer umrennen wollen«, sagte er. »Was ist los, Lis? Du grinst, als hättest du ein fettes Huhn gefangen.«

»Besser, Junge.« Lis griff unter ihren Rock und zog das Säckchen hervor. »Du kannst mir glauben, mit der Dummheit der Menschen lässt sich das meiste Geld verdienen«, sagte sie und lachte.

»Irgendwann hängen sie dich auf Melaten. Das kannst du mir glauben.« Adrian hob eine Augenbraue. Seine dunklen Augen verrieten nicht, ob er sich wirklich sorgte oder sich eher über sie lustig machte.

Obwohl Lis jedes Mal die Vision hatte, sie würde Christus begegnen, wenn sie auf Adrian stieß, wusste sie, er hatte nicht weniger Dreck am Stecken als sie. »Junge, sorg dich nicht um mich. Auf dich wartet eine viel größere Strafe, wenn sie dich erwischen. Was du tust, ist ein Sonderverbrechen. Wenn du nicht aufpasst, werden sie dich auf Melaten rädern wie damals die Entführer des Bäcker Ecks.« Sie verzog bedauernd die Mundwinkel bei dem Gedanken. »Das wäre schade. Wirklich schade.« Lis betrachtete versonnen seine breiten Schultern. In diesem Augenblick wünschte sie, sie wäre vierzig Jahre jünger.

2. Kapitel

Mia hackte die Maronen, mit denen sie die Gänse füllen wollte. Für diesen Morgen hatte der Herzog zusätzlich ein Dutzend Köche auf das Schloss zitiert, die das Weihnachtsmenü für den nächsten Tag zusammenstellen sollten. Das Klappern von Geschirr und das Scheppern der Kessel, die aneinanderschlugen, übertönten die hastigen Anweisungen der Köche, die sie den Mägden zuriefen. Ihre Kittel waren mit unzähligen Flecken von Fett und Soßen übersät. Mia bedauerte es, nicht genügend Zeit zu haben, um alle Speisen selbst kochen zu können. Dem Pastetenkoch rann der Schweiß in Rinnsalen von der Stirn, und der Suppenkoch verschwand in den Schwaden der Zwiebelsuppe. Um die Zubereitung des Ochsens und des Wilds kümmerten sich zwei Fleischköche. Mia dachte an das Gericht mit den Ochsenfüßen in dem Kochbuch. Wie gern hätte sie es gleich heute ausprobiert. Aber nachdem sie sich heute Morgen bei Walther für das Geschenk bedankt hatte, wurde sie von ihm für die Zubereitung der Füllung eingeteilt. Er hatte einfach so getan, als hätte er sie überhört. Mia schien es, als wollte er nicht, dass jemand etwas von dem Geschenk mitbekam. Im nächsten Augenblick schalt sie sich für ihre Ungeduld, denn es gab noch genügend Möglichkeiten, Rumpolts Rezepte auszuprobieren. Wenn nach den Feiertagen erst die fremden Köche wieder aus dem Schloss verschwunden waren, blieb ihr genügend Zeit und Platz dafür. Liebevoll betrachtete sie die zerkleinerten Maronen. Sie gab diese in die Kupferpfanne zu den Innereien, Apfelstückchen, Brotwürfeln und Zwiebeln, die bereits darin schmorten. Sie beugte sich darüber und sog den Duft ein. Fast hätte sie die Petersilie vergessen, wenn Walther ihr nicht von hinten auf die Schulter getippt und diese fertig gehackt gereicht hätte. Sie lächelte ihn dankbar an, gab sie dazu und verrührte alle Zutaten mit Sahne.

Walther nickte zufrieden und hob anerkennend die Augenbrauen. »Wenn die Gänse gefüllt sind, darfst du dich um die Nachspeise kümmern. Einer der Zuckerbäcker ist nicht gekommen«, sagte er.

Mias Herzschlag beschleunigte sich. Die Süßspeisen waren ihr besonderes Steckenpferd. Sie liebte die Zubereitung und vor allem das Naschen. Während sie die Gänse zunähte, war sie in Gedanken schon bei den kandierten Früchten auf Spießen und den Apfel-Zimtkuchen, die sie backen wollte.

Rutger saß am Ofen und drehte den Spieß mit dem halben Ochsen. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen. Er hatte an diesem Tag wohl die schwerste Arbeit zu verrichten. Hoffentlich passierte dem armen Kerl heute nicht schon wieder ein Missgeschick, dachte Mia, denn es stach ihr ins Herz, wenn er dafür Prügel einstecken musste. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, woraufhin er beschämt zu Boden blickte. Seine Ohren glühten. Um ihn nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen, wandte Mia den Blick ab und hielt Ausschau nach Ännchen, die ihr unbedingt bei der Zubereitung der Süßspeisen helfen sollte. Mit hochgekrempelten Ärmeln reinigte ihre Ziehmutter die Gerätschaften, die die Köche benutzt hatten. Der Berg von schmutzigen Schüsseln und Rührlöffeln in dem Spülstein nahm nicht ab. Das schien Ännchen nicht zur Verzweiflung zu bringen. Unermüdlich reinigte sie diese und brachte sie zurück an ihren Platz, bevor sie wieder mit den Armen im Spülwasser versank.

Mia begab sich zu ihr und reichte ihr ein Tuch, damit sie sich die Hände daran abtrocknen konnte. »Kann nicht eine andere Magd die Arbeit verrichten? Ich brauche dich nämlich bei der Zubereitung der Nachspeisen.« Sie sah sich in der Küche um. Alle Bediensteten werkelten mit Eifer, um das Festmahl vorzubereiten.

Ännchen folgte ihrem Blick. »Siehst du nicht, wie beschäftigt alle sind? Die Anzahl der Mägde reicht an solch einem Feiertag bei Weitem nicht aus.«

Die Tür zum Schlossinnenhof öffnete sich. Begleitet von einem milden Windstoß betrat die kleine Josefine die Schlossküche. Sie hatte gerade die Abfälle hinausgetragen und sah sich nun um, wo sie helfen konnte. Mia eilte auf sie zu, um sie an den Spülstein zu schicken. Das Mädchen nickte und schob die Ärmel hoch.

Bald darauf arbeiteten Mia und Ännchen Hand in Hand. Während Mia Quark, Eier, Zucker und Zimt verrührte, viertelte Ännchen die Äpfel. Anschließend mischte Mia diese unter die eingekochten Kirschen und die gehackten Walnüsse. Ännchen rollte den Teig aus, auf den Mia anschließend die Fruchtmasse gab und mit Quark bedeckte. Vorsichtig rollte Mia den Teig auf und schnitt ihn in fingerdicke Scheiben, die sie in eine runde Form platzierte, bis sie wie ein Strauß Rosen aussahen.

Auf diese Weise stellten Ännchen und sie bis zum späten Nachmittag fünfzehn dieser Kuchen her. Als die ersten im Ofen buken, wusch Mia die getrockneten Datteln, die Walther am Tag zuvor auf dem Jülicher Markt erstanden hatte. Abwechselnd steckte sie diese mit eingekochten Stachelbeeren auf einen Holzspieß. Da Ännchen sich um die Kuchen kümmerte, konnte sie sich voll und ganz auf das Kandieren der Früchte konzentrieren. Die Zeit hatte sie längst vergessen.

Spät am Abend, als die fertigen Kuchen vor ihr in einer Reihe auf dem Bohlentisch standen, spürte Mia ihr schmerzendes Rückgrat. Der Anblick des Backwerks, das wie Rosen aussah, entschädigte sie dafür. Sie sog das Aroma von Zimt und Äpfeln ein. Rutger drängte sich mit erhobenen Armen an ihr vorbei, um das Abwaschwasser aus der Küche zu tragen. Mia beachtete ihn nicht, sondern sah zu Walther, der ihr ein anerkennendes Lächeln schenkte. Gleich darauf ließen ein Platschen und Ännchens anschließender Aufschrei Mia zusammenschrecken. Sie richtete den Blick wieder auf den Tisch vor sich, und unvermittelt füllten sich ihre Augen mit Tränen. Es musste ein schlechter Traum sein, den sie erlebte. Fassungslos starrte sie auf die Kuchen, die bereits im Abwaschwasser aufweichten. Seifenschaum und Speisereste breiteten sich auf den Rosen aus. In der Küche hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Mias Blick schnellte zu Rutger, der ebenfalls mit weit aufgerissenen Augen auf das Gebäck starrte. Sein Gesicht hatte die Farbe von Klatschmohn angenommen. Der Holzeimer rollte zur Tischkante, fiel hinab und landete krachend auf den Fliesen. In Mias Ohren rauschte das Blut. All die Arbeit des Tages war hinüber, zerstört von diesem Tollpatsch! Die Augen aller Bediensteten richteten sich auf sie. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Mia stieß einen Schrei aus und schnappte sich die Teigrolle. Bevor sie damit auf Rutger losgehen konnte, riss Walther ihn bereits am Ohr aus der Küche. Draußen hallten die jämmerlichen Schreie des Küchenjungen über den Schlosshof. Mia ließ sich auf einen Schemel fallen, und der Kloß in ihrem Hals löste sich. Tränen rannen unaufhörlich über ihre Wangen. Mit den Kuchen hatte sie den Herzog beeindrucken wollen – und nicht nur ihn. Auch der Bruder der Herzogin, Heinrich von Lothringen, wollte das Weihnachtsfest auf dem Schloss verbringen. Mia hatte sich erhofft, dass ihre Kochkünste durch ihn bis zum Hofe des französischen Königs vordrangen. Ihr wurde es schwarz vor Augen.

Als Mia wieder zu sich kam, blickte sie in Walthers Gesicht, der sie besorgt ansah. Sie schmiegte sich in seinen Arm und atmete den Duft von Speck und Zwiebeln ein, der in dem Linnen seines Hemdes haftete. Aus der Dunkelheit kehrten die jüngsten Geschehnisse in ihre Erinnerung zurück. Mia löste sich aus Walthers Griff und richtete sich auf. Auf wackligen Beinen stehend sah sie, wie Ännchen die Überreste der Kuchen wegschaffte.

»Ich werde neue backen, und wenn ich dafür die ganze Nacht aufbleiben muss«, stieß Mia fest entschlossen hervor.

»Ich helfe dir, mein Kind.« Walthers Hand legte sich auf ihre Schulter. »Der Küchenjunge hat seine gerechte Strafe bekommen.« Seine Stimme bebte vor Zorn. »Für die nächste Zeit wird er nicht mehr laufen können, so sehr wird ihn das Hinterteil schmerzen.«

* * *

Obwohl sein Bauch drohte, von dem herrlichen Festtagsmahl an diesem Weihnachtstag zu zerplatzen, weiteten sich die Augen des Herzogs bei dem Anblick der Rosenkuchen. Als er den Duft von Äpfeln und Zimt einatmete, füllte sich seine Mundhöhle abermals mit Speichel. Nicht nur Johann, auch die anderen Anwesenden am Tisch bestaunten das Gebäck. Sie klatschten vergnügt in die Hände, während die Diener gut ein Dutzend der Kuchen auf der Festtafel platzierten. An den silbernen Kerzenleuchtern tropfte das Wachs der brennenden Kerzen hinab.

»Noch nie in meinem Leben habe ich so gut gespeist.« Der Bruder seiner Gemahlin, der zu Johanns Rechten saß, tupfte sich mit einem Tuch die Lippen ab. Auch er konnte den Blick nicht von den Rosenkuchen wenden.

Johann stellte fest, dass Heinrich von Lothringen die gleichen Glotzaugen wie seine Schwester hatte. Er war ebenfalls unbeschreiblich hässlich. Selbst das wallende Haar, das sein aufgedunsenes Gesicht umgab, konnte dies nicht verbergen. »Das liegt wohl daran, dass ich nichts von Schauessen halte. Was habe ich von Feuer speienden Fasanen, wenn ich sie nicht genießen kann, weil sie nach Schwefel schmecken? Oder von Pasteten, aus denen schwitzende Zwerge springen?« Johann schüttelte sich kurz und richtete den Blick wieder auf die Rosenkuchen.

»Das könnt Ihr so nicht behaupten«, wandte Heinrich ein. »Ich habe am französischen Hof an solch einem Mahl teilnehmen dürfen. Die Speisen waren durchaus schmackhaft. Wie sagt man so schön? Das Auge isst mit.«

Johann hasste es, wenn Heinrich mit seinen Besuchen am französischen Hof prahlte. Die Zeiten, in denen sein Großvater und sein Onkel mütterlicherseits dort als Könige regierten, waren vorbei, das Geschlecht der Valois in männlicher Linie ausgestorben. Wegen der Hugenottenkriege war Heinrich nicht einmal in den Genuss der Erziehung am französischen Hof gekommen. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Johann verzog abfällig die Mundwinkel. »Pah, das Auge! Wenn ich das schon höre. Es ist ein Sinnesorgan, das man beim Genießen der Speisen ausschalten sollte. Hier …«, er zeigte mit dem Finger in seinen Mund, »spielt sich der Genuss ab. Aber was versteht Ihr davon, wenn Ihr Euch lieber von fadem Zuckerzeug beeindrucken lasst.«

Was Heinrich daraufhin erwiderte, nahm Johann nicht mehr wahr. Vor ihm lag ein Stück Kuchen auf dem Teller, das seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Er führte den silbernen Löffel zu seinen Lippen und kostete. Das Gebäck verschmolz mit der Fruchtfüllung auf seiner Zunge, und das Aroma von Zimt kitzelte seinen Gaumen. Er umspielte den Bissen eine Zeit lang mit seiner Zunge, bis er ihn endlich mit spitzen Lippen aussog und seiner Würze beraubte. In Johanns Leib bebte die Lust und ließ ihn erzittern. Gleich darauf überfiel ihn eine Begierde, die ihm schier den Verstand raubte. Er brauchte mehr von dem Gaumenzauber, um seine Sinne zu befriedigen. Viel mehr! In seinen Adern rauschte das Blut und ein wohliger Schauder jagte über seinen Rücken. Mit geschlossenen Augen verspeiste der Herzog noch drei weitere Stücke Kuchen. Wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, sein Magen wäre bis zum Hals hin gefüllt, hätte er immer noch nicht innegehalten. Diese Süßspeise war die beste, die er jemals zu sich genommen hatte. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Stuhllehne. Die Ruhe hielt nicht lange an, denn am Ende der Tafel entfleuchte geräuschvoll ein Furz aus einem Gedärm. Johann öffnete die Lider und hob die Augenbrauen. Sigismund von Brandenburg verfiel in schallendes Gelächter. Das Doppelkinn bebte auf seiner Halskrause, dann verstummte er, setzte den Weinpokal an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck, ohne Johann aus den Augen zu lassen. Nachdem er das Glas geleert hatte, knallte er es auf die Tafel, rülpste genussvoll und verschränkte die Hände vor seinem Wanst. »Meinen Furz riecht man bis nach Rom. Genau wie den von Luther«, grölte er in die Runde und grapschte seiner jungen Schwägerin an die Brust.

Ein Teller flog über die Tafel und traf ihn mit voller Wucht am Kopf. Seine Gemahlin hatte ihn geworfen. Das Gesicht hochrot vor Zorn, griff sie nach einem Weinkelch. »Du Trunkenbold, lass die Finger von meiner Schwester!« Da Sigismund gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte, streifte der Kelch nur haarscharf sein Ohr. Klirrend zerschellte er an der Holzvertäfelung hinter ihm.

Der Gescholtene blinzelte erschrocken und tastete über die Platzwunde an seiner Stirn. »Was ist bloß in dich gefahren, Anna? Bist du schon genauso krank im Geiste wie dein Onkel Herzog Johann?«, brummelte er kleinlaut in seinen Kinnbart.

Johann hatte genug, das musste er sich nicht bieten lassen. Nicht von diesem Lutheraner, diesem elenden Erbschleicher. Mit einem Satz sprang er von seinem Stuhl auf und sah in die Tafelrunde. Sollten die anderen ohne ihn das Weihnachtsfest weiterfeiern. Er war heute in den Genuss gekommen, den er sich erträumt hatte. Das sollte ihm dieser Rüpel nicht verderben. In der Abgeschiedenheit seines Gemaches würden die Speisen in Gedanken noch einmal seinen Gaumen verzaubern. Der Lautenspieler verstummte mitten in der Melodie. Die Blicke der Anwesenden hafteten auf Johann, doch das interessierte ihn nicht. Marschall Gernot Bretzen senkte betreten die Lider, als Johann an ihm vorbeischritt. Mit dem Messer stocherte der Marschall in der Maronenfüllung auf seinem Teller. Wieder einmal saß dieser Jammerlappen Bretzen zwischen den Stühlen. Wie sollte es bei seinem geringen Durchsetzungsvermögen anders sein?