Die Blitzheim-WG oder Toni haut ab - Edie Kramer - E-Book

Die Blitzheim-WG oder Toni haut ab E-Book

Edie Kramer

4,8

Beschreibung

Toni schlendert nach der Schule unglücklich durch die Stadt. Der neue Freund ihrer Mutter, Karl-Heinz, ist ihr unheimlich. Er schaut so schmierig und weiß alles besser. Aber ihre Mutter ist verliebt. Hört ihr gar nicht richtig zu. Plötzlich steht ein älterer Herr vor ihr und überreicht ihr ein Briefkuvert. Schon ist er wieder verschwunden. Im Kuvert befindet sich eine Kinokarte für die Nachmittagsvorstellung und eine Einladung sich um 19 Uhr am Hintereingang des Kaufhauses Blitzheim einzufinden.

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Seitenzahl: 100

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhaltsverzeichnis

Eine eigenartige Begegnung

Das Leben in der Blitzheim-WG

Ein ersehntes Wiedersehen

Überraschung!

Eine unangenehme Überraschung

Ein Herbstausflug

Eine Zeitungsanzeige

Tonis Geburtstag

Weihnachten

1

EINEEIGENARTIGE BEGEGNUNG

Toni trödelt schlecht gelaunt durch die Straßen. Inga wollte unbedingt direkt nach der Schule nach Hause. Das ist jetzt schon eine Stunde her.

»Lass uns doch in die Zoohandlung gehen und die Meerschweinchen angucken«, hat Toni gebettelt. Aber Inga blieb stur.

»Nee, lieber nicht. Da krieg ich wieder Ärger mit meiner

Mutter. Außerdem habe ich Hunger, du nicht?«

So was nennt sich beste Freundin. Hunger hat Toni inzwischen auch. Aber sie will nicht nach Hause. Wieso darf sie nach Schulschluss nicht in die ÜMi? Ist das zu teuer?

Es gibt Mittagessen, die Erzieherinnen sind total nett, helfen bei den Hausaufgaben, es wird gespielt oder gebastelt. Tina und Charlotte aus ihrer Klasse schwärmen von der Betreuung.

Montags arbeitet ihre Mutter länger. Sie kommt erst gegen fünf nach Hause. Aber Karl-Heinz ist natürlich da. Der neue Freund ihrer Mutter. Er arbeitet zuhause am Computer. Er ist einfach immer da. Alleine unternimmt er gar nichts. Ist in keinem Sportverein, Freunde hat er anscheinend auch nicht.

Seit zwei Monaten wohnt er bei ihnen. Ihre blöde Mutter schmachtet diesen Karl-Heinz geradezu an. Toni hat keine Ahnung wieso. Papa war viel netter. Aber ihre Mutter wollte nicht mehr mit ihm zusammenleben. »Manchmal hält die Liebe nicht fürs ganze Leben«, versuchte sie zu erklären. Toni versteht es trotzdem nicht. Jetzt ist es sowieso zu spät.

Er lebt in Kanada, ist wieder verheiratet. Mit Karen. Die

hat auch eine Tochter. Er hat beide auf einer Reise kennengelernt.

Ihr Vater ruft regelmäßig an, schickt witzige Postkarten und Päckchen mit schrillen T-Shirts. Manchmal zerschneidet sie vor lauter Wut seine Geschenke. Legt auf, wenn er anruft. Er möchte, dass sie einmal im Jahr die Ferien bei ihm verbringt. Aber sie hat panische Angst vor dem Fliegen. Wenn sie nur daran denkt, in ein Flugzeug zu steigen, wird ihr fast schwindlig.

Und jetzt hockt dieser blöde Karl-Heinz den ganzen Tag bei ihr zuhause. Ständig witzelt er herum. Nichts kann man ihm erzählen. Über alles macht er sich lustig. Spielen kann man mit ihm auch nicht. Er will immer nur gewinnen. Wenn er verliert, bekommt er richtig schlechte Laune. Und er weiß alles besser. Er kriegt sich gar nicht mehr ein, wenn sie beim Scrabbeln mal ein Wort falsch schreibt.

Wieso merkt ihre Mutter nicht, dass der Typ ein totaler Blödmann ist?

Außerdem guckt er so schmierig. Toni hasst seinen fiesen Blick.

Ständig versucht er sie anzufassen, zu kitzeln, ihr einen Kuss zu geben. Ihre Mutter hat gar nicht richtig zugehört, als sie ihr gesagt hat, dass sie nicht mit ihm alleine sein will.

»Ihr gewöhnt euch schon noch aneinander«, antwortete sie, und das war es dann. Toni ist stinksauer auf ihre Mutter. Sie kann es nicht richtig erklären, aber sie hat Angst vor Karl-Heinz. Überhaupt ist sie gar nicht mehr gerne zuhause.

Toni wischt sich energisch die Tränen weg. Nein, jetzt nicht mitten auf der Straße weinen.

Wenn doch nur eine Märchenfee zu ihr käme. Dann hätte sie drei Wünsche frei. Am liebsten würde sie mit anderen Kindern zusammen wohnen. Vielleicht in einem Internat. Schlagzeug lernen. Und nach Rom fahren. Dort gibt es einen Friedhof voller streunender Katzen. Die werden von alten Frauen gefüttert. Das hat sie in einem Film gesehen.

Toni ist am alten Marktplatz angelangt. Die Händler sind schon beim Einladen. Der Fischhändler schüttet eine stinkende Brühe in den Gully.

Sie springt zur Seite, kneift sich die Nase zu und geht schnell weiter.

Sie mag nur Fischstäbchen. Eine Gemüsefrau verschleudert das übrig gebliebene Obst und Gemüse.

»Drei Kilo Tomaten jetzt nur noch zwei Euro. Und die letzten Erdbeeren. Zwei Schalen für einen Euro!«, ruft sie den Vorübergehenden zu.

Die Erdbeeren sehen lecker aus. Toni hört ihren Magen knurren.

»Hallo Kleine. Hast du Lust auf ein Grillwürstchen mit Brötchen?«

Die mollige Frau von der Würstchenbude, die mit der roten Perücke, hat sie angesprochen. Toni bleibt stehen.

»Das kann ich morgen nicht mehr verkaufen. Und ich mag keine Würstchen mehr sehen. Na, wie isses?«

Toni nickt.

»Ja, gerne.«

»Mit Senf?«

Toni nickt wieder.

Sie nimmt den Pappteller in Empfang und bedankt sich.

»Na, lass es dir schmecken!«

Die Frau lächelt Toni zu und beginnt mit einer Drahtbürste die Roste zu schrubben.

Toni beißt einen Riesenhappen von der Bratwurst ab.

Die ist schon ein bisschen trocken, schmeckt aber trotzdem.

Soll der blöde Karl-Heinz seine verkochten Nudeln doch alleine essen. Er weiß, dass sie Pasta liebt, also kocht er ständig Spaghetti.

Sie schaut auf ihre Armbanduhr. Schon halb drei. Ein Wunder, dass er noch nicht angerufen hat.

Und wenn sie gar nicht nach Hause ginge? Sollen sie doch nach ihr suchen und sich die Augen ausweinen.

Vielleicht ist ihre Mutter sogar froh, wenn sie mit Karl-Heinz alleine sein kann. Aber wohin soll sie gehen? Wo soll sie schlafen?

Toni wirft den Pappteller in einen Mülleimer, leckt einen Klecks Senf von ihrem Zeigefinger und schlendert weiter.

Plötzlich steht ein alter Mann vor ihr. Er ist kaum größer als sie, trägt eine graue Trachtenjacke, einen grünen Tirolerhut und hat lockiges, graues Haar. Er lächelt freundlich und reicht ihr ein Briefkuvert. Schon ist er wieder verschwunden, so unauffällig wie er aufgetaucht ist.

Das Kuvert ist zugeklebt. Sollte sie das lieber nicht öffnen?

Ihre Neugier ist stärker. Toni reißt den Umschlag auf und zieht eine Briefkarte hervor. Dabei fällt eine Kinokarte heraus.

Was soll das? Sie spürt ihr Herz bis zum Hals klopfen.

Auf der Karte steht:

Solltest du dich entschieden haben nicht mehr nach Hause zu gehen, so sei bitte um 19 Uhr am Hintereingang des Kaufhauses Blitzheim Hintergasse 19.

Bitte pünktlich erscheinen. Es wird für alles gesorgt sein. Auf jeden Fall wünschen wir dir viel Spaß im Kino.

Keine Unterschrift. Die Kinokarte ist für die Nachmittagsvorstellung im Roxy. Pünktchen und Anton. Sicher der neue Film. Toni kennt den alten aus dem Fernsehen. Das Buch hat sie auch gelesen. Sie kennt alles von Erich Kästner.

Ihre Hände zittern. Wer war der alte Mann? Er sah aus wie ein netter Gartenzwerg. Aber was soll das mit dem Kaufhaus? Toni muss auf einmal lachen. Sie hat sich eine Märchenfee gewünscht, und ein Zwerg ist gekommen.

Jetzt, wo sie das Würstchen gegessen hat, fühlt sie sich besser.

Ins Kino wird sie auf jeden Fall gehen. Und hinterher?

Egal. Erst mal den Film anschauen. Bis ins Roxy sind es 20 Minuten zu Fuß. Die Vorstellung beginnt um halb vier. Danach kann sie sich immer noch überlegen, ob sie nach Hause geht oder nicht.

Der Gedanke an zuhause macht sie wütend und traurig.

Sie liest die Botschaft auf der Karte noch einmal.

Was bedeutet: »Es wird für alles gesorgt sein?«. Klingt sehr geheimnisvoll. Ihr Bauch kribbelt. Das fühlt sich nach Abenteuer an. Schade, dass Inga nach Hause gegangen ist. Vielleicht wäre der Zwerg dann gar nicht aufgetaucht?

Das Kaufhaus Blitzheim kennt sie gut. Ihre Oma ist dort immer einkaufen gegangen. Die haben einfach alles. Es ist ein altmodischer Kasten, sieht aus wie ein Schloss, hat vier Stockwerke mit Rolltreppen, eine riesige Spielzeugabteilung und eine Dachterrasse.

»Ein herrliches Jugendstilgebäude«, sagte die Oma immer.

»So etwas baut heute niemand mehr.«

Das Selbstbedienungsrestaurant ganz oben ist bei Rentnern sehr beliebt. Toni hat oft mit der Oma dort gesessen.

Nach einem erfolgreichen Einkauf hat die Oma immer ein Eis spendiert. Es ist schwierig einen Platz zu finden.

Die Aussicht über die Stadt ist toll, alle wollen einen Fensterplatz ergattern.

Im Keller ist die Lebensmittelabteilung mit der riesigen Käsetheke. Am liebsten würde sie sich dort über Nacht mal durchfuttern. Ihre Mutter muss sie immer wegziehen, wenn sie da vorbei kommen. Manchmal darf sie einen Käse aussuchen.

Toni ist am Kino angelangt. Andere Kinder stehen schon davor, aber sie kennt niemanden. Der Kinosaal ist bereits geöffnet. Toni lässt ihre Karte abreißen und setzt sich in Reihe 12, genau in die Mitte.

Sie hat herausgefunden, dass man dort am allerbesten sieht.

Sie fühlt sich ein bisschen komisch. Noch nie ist sie alleine im Kino gewesen. Entweder war ihre Mutter dabei oder Inga und andere Mädchen aus ihrer Klasse.

Endlich haben alle einen Platz gefunden. Es wird dunkel im Saal. Die Vorstellung beginnt direkt, es gibt keine Werbung.

Nach ein paar Minuten ist Toni völlig in den Film versunken. Sie denkt weder an die komische Kaufhaussache, noch an ihre Mutter oder Karl-Heinz. Pünktchen ist so witzig. Und diese Haushälterin erst.

Als das Licht im Kinosaal wieder angeht würde Toni am liebsten sitzen bleiben und den Film gleich noch mal anschauen.

Sie greift nach ihrer Schultasche und geht langsam nach draußen.

Vor ihr trottet ein ziemlich dicker Junge. Er ist alleine und schleppt eine schwere Schultasche.

Toni beobachtet, wie er vor dem Kino stehenbleibt, eine bedruckte Karte aus der Tasche zieht und darauf starrt.

Das ist genau so eine Karte wie ihre! Gelbliches Papier und türkisfarbene Schrift.

Das kann doch nicht wahr sein! Ob sie ihn ansprechen soll? Er scheint auch nicht zu wissen, was er machen soll.

Toni stellt sich neben den Jungen, zieht ihren Brief aus der Hosentasche und tut so, als läse sie ihn zum ersten Mal.

Endlich bemerkt er, dass Toni auch eine gelbe Karte in der Hand hält.

»Du auch?«, ist alles was er rausbringt. Er flüstert fast.

Toni nickt.

»Bist du auch nicht nach Hause gegangen?«, fragt er dann.

Das siehst du doch, denkt Toni und antwortet:

»Nee. Mir war nicht danach. Dir wohl auch nicht.«

»Nein.« Er kichert.

»Mir war nicht danach. Gefällt mir, der Satz. Muss ich mir merken.«

Einen kurzen Moment stehen sie schweigend nebeneinander.

»Ich bin Ralf.«

»Und ich bin Toni. Eigentlich Antonia, aber Toni gefällt mir besser. Von wem hast du den Brief gekriegt?«

»Das war so ein altes Männchen. Sah aus wie ein klitzekleiner Jäger oder ein Hobbit.«

»Ja, genau. Bei mir auch. Was machst du jetzt? Gehst du hin oder gehst du nach Hause?«

»Nach Hause gehe ich nicht mehr. Alle meckern ständig an mir rum. Iss weniger. Geh zum Sport! Du wirst immer fetter! Meine Brüder sind am schlimmsten. Den ganzen Tag piesacken sie mich. Supersportler sind sie auch noch. Leichtathleten! Nonstop bringen sie Pokale und Medaillen nach Hause. Das macht mich fertig.«

Ralfkommtrichtig in Fahrt und gerät etwas außer Atem.

»Mich werden sie gar nicht vermissen«, sagt Toni gespielt gleichgültig, obwohl ihr gerade zum Heulen zumute ist.

Trotzdem entscheidet sie genau in diesem Moment, dass sie auch nicht mehr nach Hause gehen wird.

Soll ihre Mutter doch verrückt werden vor Sorge.

»Aber was sollen wir da am Hintereingang? Klingt doch irgendwie schräg«, meint Ralf.

»Ich gehe auf jeden Fall hin. Der Zwerg sah sehr freundlich aus. Da erwarten uns bestimmt keine Kindesentführer! Ich will wissen, was das alles bedeuten soll.«

Auf einmal ist Toni voller Energie und gar nicht mehr verzagt.

»Ich komme mit«, sagt Ralf.

Seine grünen Augen blitzen.

»Also, abgemacht. Es ist aber noch zu früh. Was sollen wir denn bis sieben Uhr machen?«, fragt Toni und sieht sich um.

Sie sind die letzten Kinder, die noch vor dem Kino stehen.

»Ich habe noch ein paar Euro. Gehst du mit mir Pommes essen?«

»Klar. Aber ich habe kein Geld.«

»Ich lade dich ein«, antwortet Ralf. »Kein Problem.«

Beide gehen schweigend in Richtung Innenstadt.

Schnell merkt Toni, dass Ralf nicht mit ihr Schritt halten kann. Sie stellt sich auf sein Tempo ein und betrachtet ihn verstohlen von der Seite. Er ist schon ziemlich dick, stellt sie fest.

Die nächste Stunde verbringen die beiden mit Pommesessen und Reden. Sie sitzen vor einem Imbisswagen an einem weißen Plastiktisch, zwischen ihnen zwei Pappteller. Knusprige Pommes, Mayo, Ketchup.

»Die Pommes sind super«, stellt Toni fest.

»Die besten in der ganzen Stadt. Glaub mir, ich kenne alle Buden«, antwortet Ralf kauend.

Toni lacht, sie fühlt sich wohl mit Ralf.

Sie erzählt von der Schule, von Karl-Heinz, Ralf erzählt von seinen Computerspielen und den älteren Brüdern.

Plötzlich brummt Tonis Handy in ihrer Hosentasche.