Die Chocolaterie der Träume - Manuela Inusa - E-Book

Die Chocolaterie der Träume E-Book

Manuela Inusa

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Willkommen in der Valerie Lane – der romantischsten Straße der Welt!

Keira liebt das, was sie tut, über alles: In ihrer kleinen Chocolaterie in der Valerie Lane stellt sie Confiserie in sorgfältiger Handarbeit her – ihre selbstgemachten Pralinen, Kekse und schokolierten Früchte sind bei Jung und Alt beliebt. Bei all den leckeren Sachen kann Keira oft selbst nicht widerstehen. Aber was macht das schon? Sie steht zu ihrer Leidenschaft und zu ihren Kurven. Doch ihr Freund Jordan, mit dem es ohnehin kriselt, sieht das leider etwas anders. Zum Glück stehen Keira ihre Freundinnen immer zur Seite – und dann gibt es noch diesen einen charmanten Kunden, der in letzter Zeit häufiger bei Keira’s Chocolates einkauft …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 332

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Buch

Keira ist eine Genießerin und Lauries beste Freundin. In Keira’s Chocolates, ihrer kleinen Chocolaterie in der romantischen Valerie Lane in Oxford, stellt sie traumhafte Pralinen in sorgfältiger Handarbeit her und liebt das, was sie tut, über alles. Genau wie für ihre Freundinnen aus der Valerie Lane ist die einzigartige Valerie Bonham Keiras großes Vorbild.

Jeden Mittwoch treffen sich die fünf Freundinnen auf einen Tee in Laurie’s Tea Corner und gönnen sich dabei Keiras großartige Pralinen, die überall beliebt sind. Bei all den leckeren Sachen kann Keira selbst oft nicht widerstehen und wird von Jahr zu Jahr ein wenig molliger. Aber was macht das schon? Sie steht zu ihrer Leidenschaft und zu ihren Kurven. Wenn sie ehrlich ist, sind ihr ihre Pralinen oft auch ein Trost, nämlich immer dann, wenn ihr Freund Jordan sie wieder wegen ihrer Figur kritisiert. Zum Glück stehen Keira ihre Freundinnen immer zur Seite – und dann gibt es noch diesen einen charmanten Kunden, der in letzter Zeit häufiger bei Keira’s Chocolates einkauft …

Autorin

Manuela Inusa wusste schon als Kind, dass sie einmal Autorin werden wollte. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin arbeitete sich durch verschiedene Jobs, wollte aber eigentlich immer nur eins: Schreiben. Kurz vor ihrem 30. Geburtstag sagte sie sich: Jetzt oder nie! Inzwischen hat sie im Selfpublishing mehr als dreißig Romane veröffentlicht, die viele Leserinnen erreichten. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in ihrer Heimatstadt Hamburg. In ihrer Freizeit liest und reist sie gern, außerdem liebt sie Musik, Serien, Tee und Schokolade.

Von Manuela Inusa bereits erschienen

Jane Austen bleibt zum Frühstück

Auch donnerstags geschehen Wunder

Der kleine Teeladen zum Glück

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet und

www.twitter.com/BlanvaletVerlag

MANUELA INUSA

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

1. Auflage

Copyright © der Originalausgabe 2018 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Angela Kuepper

Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (© Joy Brown, © Shutterschock, © Johan Larson, © jirawatfoto, © irisdesign, © Simon Baylis, © Nick Starichenko, © Marbury, © M.Leheda)

JF · Herstellung: sam

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-21111-0V002

www.blanvalet.de

Für Leila ♥

PROLOG

An einem kalten Morgen Ende Januar trafen fünf Frauen in einer kleinen Straße in Oxford zusammen, die von sechs alten Straßenlaternen und acht leeren Blumenkübeln gesäumt wurde, in denen im Sommer die herrlichsten Blumen blühten und ihren Duft versprühten. Diese winzige kopfsteingepflasterte Gasse ging von einer der großen Hauptverkaufsstraßen ab und war leicht zu übersehen; hatte man sie aber erst einmal entdeckt, hatte man viel mehr gefunden als nur ein paar Geschäfte – nämlich Wärme, Geborgenheit und von Herzen kommende Freundlichkeit. Denn die Gasse namens Valerie Lane, die ausschließlich von weiblichen Ladenbesitzerinnen belebt wurde, war nach einer ganz besonderen Namensgeberin benannt …

Valerie Bonham, auch schlicht »die gute Valerie« genannt, war eine Legende. Jeder in der Umgebung kannte eine Vielzahl von Geschichten über die Frau, die vor über einhundert Jahren ihr eigenes Geschäft in dieser Straße betrieben hatte, und jeder hier nahm sie sich zum Vorbild. Nie zuvor hatte man einen Menschen mit einem größeren Herzen gekannt, und nie zuvor war eine Frau so verehrt worden, und das allein aufgrund ihrer vollkommenen Güte.

Die gute Valerie besaß einen kleinen Gemischtwarenladen, in dem sie neben Holzkohle, Kartoffeln, Nähgarn, Brot und Tee das Allernötigste für das tägliche Leben verkaufte. Sie war zwar mit einem lieben Ehemann, Samuel, jedoch nicht mit eigenen Kindern gesegnet. Auch wenn es nicht leicht für sie war, so wusste sie sich doch anderweitig zu betätigen und ihre Fürsorge denen zu geben, die sie so dringend benötigten. Valerie strickte für die Armen, versorgte jene, die Hunger litten, und beschenkte all die Menschen, die sonst niemanden hatten.

Im Jahre 1912 starb Valerie im Alter von nur dreiundfünfzig Jahren an einer schweren Grippe, doch sie hinterließ neben ihrem Namen und ihrem guten Geist auch eine ganz besondere Atmosphäre, die die Valerie Lane noch heute einhüllt.

Die fünf Freundinnen blickten zu dem alten Kirschbaum am Ende der Straße hinüber, von dem ein paar Eiszapfen herabhingen. Dass die gute Valerie von den Kirschen jenes Baumes Marmelade gekocht hatte, war nur eines der vielen Dinge, die man sich noch heute erzählte. Eine Geschichte über sie gefiel den fünfen aber ganz besonders, und das war die, in der es hieß, Valerie habe an jedem Mittwochabend nach Ladenschluss ihre Türen geöffnet, um jene einzulassen, die eine heiße Tasse Tee, ein offenes Ohr oder eine Schulter zum Anlehnen brauchten. Und ebendiese Tradition führen die neuen Ladenbesitzerinnen der Valerie Lane noch heute fort – in Gedenken an Valerie Bonham, die gütigste Frau von Oxford.

So würde es auch am kommenden Mittwochabend wieder der Fall sein. Doch jetzt lächelten sie einander an und gingen in ihre Läden, um diese um Punkt neun Uhr zu öffnen … Und ein neuer Tag in der Valerie Lane begann.

KAPITEL 1

Keira betrat ihren Laden – Keira’s Chocolates – und eilte zur Heizung, um diese anzustellen. Es war eiskalt draußen. Natürlich musste sie darauf achtgeben, die Räume nicht zu überheizen, damit die Pralinen nicht schmolzen, jedoch konnte sie es ihren Kunden nicht zumuten, sich in dieser Kälte aufzuhalten. Und sie selbst zitterte natürlich auch nicht gerne.

Im letzten Monat war die Heizung wegen eingefrorener Rohre einmal ausgefallen, und es hatte sich gleich bemerkbar gemacht: Die Kunden waren nicht lange geblieben, hatten keine Zeit für ein Schwätzchen gehabt und waren auch nicht neugierig auf die allerneuesten Köstlichkeiten gewesen, die Keira in liebevoller Handarbeit selbst herstellte. Sie waren geflüchtet, so schnell sie konnten, um sich in einem der großen Geschäfte in der Cornmarket Street aufzuwärmen. Und das, wo die umsatzstarken Läden der Hauptgeschäftsstraße den fünf Frauen der Valerie Lane, die von Monat zu Monat zu überleben versuchten, eh schon ein Dorn im Auge waren. Die Konkurrenz war groß, doch zum Glück gab es treue Kunden, die ebendiese persönliche Note schätzten, welche die Valerie Lane ausmachte. Hier wurde man noch beraten, hier wurde man auf ein nettes Gespräch eingeladen, hier wusste man, was man bekam – und Keira war dankbar für jeden einzelnen Kunden, der es ihr ermöglichte, ihre Chocolaterie am Laufen zu halten.

Die Neunundzwanzigjährige nahm die Mütze vom Kopf und fuhr sich durchs schulterlange braune Haar, das sie heute offen trug. Dann rieb sie die Hände aneinander und pustete in die Luft, um zu sehen, ob ihr Atem in der Kälte noch zu erkennen war. Ein wenig, ja, aber es wurde von Minute zu Minute wärmer. Sie trat ans Fenster, von wo aus sie ihre Freundin Orchid erblickte, die schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite ihr Schaufenster neu herrichtete. Noch kein Kunde war zu sehen. Keira ging ihre überwiegend weißen Regale entlang, in denen sie die verschiedenen Kekssorten – in Schachteln, hübschen Dosen und in kleinen Zellophantütchen – aufgereiht hatte. Hier und da hatte sie ein wenig dekoriert, nicht zu viel, denn ihre Produkte sollten im Vordergrund stehen. Jedoch fand sie in Orchids Geschenkartikelladen ständig irgendein neues bezauberndes Accessoire, das perfekt passte und ihre Süßigkeiten noch ein wenig mehr hervorhob. So stand neben den schlichten weißen Schachteln voll Kokosplätzchen eine blassrosa Vase mit einem Strauß dunkelrosa und weißer Rosen, die so echt aussahen, dass niemand je bemerkt hätte, dass sie aus Seide waren. Die kleinen Metalldosen mit den Pfefferminzplätzchen waren in einem Regalfach aufgetürmt, das einer dieser knallpinken Schwäne zierte, die im letzten Jahr der absolute Renner bei Orchid gewesen waren.

Keira hatte im ganzen Laden, der sich in zwei ineinander übergehende offene Räume aufteilte, an genau den richtigen Stellen kleine Akzente gesetzt. Meist in Rosa oder femininen Farben, um ihr Hauptpublikum anzusprechen; es gab jedoch auch eine Ecke extra für Kinder mit Schokoteddys und kunterbuntem Süßkram und eine für die männliche Kundschaft, wo sie dunkle Herrenschokolade und Cognacpralinen anbot, Bourbon-Täfelchen aus Kanada, Marzipan aus Deutschland und Schokolade in Zigarrenform aus Frankreich. Diesen Bereich hatte sie mit einer alten hölzernen Zigarrenkiste und einer goldenen Taschenuhr ausgestattet, die sie sich aus dem Antiquitätenladen ihrer Freundin Ruby ausgeliehen hatte. Sie war sehr stolz auf ihre große internationale Auswahl, am stolzesten aber war sie immer noch auf ihre selbst hergestellten Pralinen und Trüffeln, die sich auch am besten verkauften. Das war seit jeher so gewesen.

Ja, in der Valerie Lane legte man noch Wert auf Handarbeit, auf mit Liebe hergestellte Waren. Laurie mischte viele Teesorten für ihre Tea Corner selbst, Susan verkaufte im Wool Paradise neben jeder nur erdenklichen Art von Wolle auch Selbstgestricktes und -gehäkeltes, und Orchid hatte handgemachte Kerzen im Sortiment. Und Ruby aus dem Antiquitätenladen durchstöberte beinahe jedes Wochenende eigens die Flohmärkte der Stadt und suchte mit viel Liebe neues Altes für ihre Kunden zusammen.

In dem leerstehenden Laden zwischen Susan’s Wool Paradise und Orchid’s Gift Shop war bis vor einem Dreivierteljahr noch selbst gemachtes Eis verkauft worden. Die frühere Besitzerin von Donna’s Ice Cream Parlour jedoch hatte das Geschäft geschlossen, um mit ihrer großen Liebe nach Holland zu gehen, und seitdem stand der Laden leer. Keira war sich aber sicher, dass dort ganz bald wieder jemand Neues einziehen und der Valerie Lane alle Ehre machen würde. Mr. Spacey, der Verwalter, würde schon mit Bedacht jemanden auswählen, dem er den Laden anvertraute. Ihm lag die alte Straße nämlich genauso am Herzen wie ihnen allen. Keira konnte mit Worten gar nicht ausdrücken, wie wohl sie sich in der Valerie Lane fühlte, wie sehr sie die anderen Ladenbesitzerinnen schätzte und wie froh sie jeden Morgen war, ihr Geschäft zu betreten.

»Guten Morgen, Miss Buckley«, erklang es von der Tür her. Sie hatte das Läuten der Türglocke gar nicht gehört, war sie in Gedanken doch wieder einmal ganz woanders gewesen.

»Mr. Monroe. Einen schönen guten Morgen!« Keira band sich mit dem Haargummi, das sie ums Handgelenk trug, einen hohen Pferdeschwanz und stellte sich hinter dem Verkaufstisch in Position.

Der Mann Mitte fünfzig mit dem Ziegenbart, der über Orchid’s Gift Shop wohnte, lächelte sie an und trat näher an die Glasvitrine heran, in der sie ihre handgemachten Pralinen und Trüffeln ausgelegt hatte.

»Ist das wieder kalt heute.« Er zog seine ledernen Handschuhe aus und machte eine Zittergeste, um seine Worte zu unterstreichen. »Brrr.«

»Das können Sie laut sagen. Womit kann ich denn heute dienen?« Sie schenkte ihm ein freundliches Lächeln.

»Haben Sie noch welche von den Rumtrüffeln, die … Oh ja, da sehe ich sie!« Er freute sich richtig und sah begierig auf einen Berg voll igeliger dunkelbrauner Kugeln.

»Aber selbstverständlich. Ich habe gerade vorgestern neue gemacht.«

»Ausgezeichnet! Dann nehme ich doch gleich zweihundertfünfzig Gramm.«

»Sehr gerne.« Keira wählte eine der hübschen Schachteln aus dünner, weiß glänzender Pappe mit einer schlichten goldenen Verschnörkelung auf dem Deckel und füllte diese. Sie wog ab und griff dann mit der Zange zu einer anderen Sorte, um ein kleines Extra beizulegen. »Ich gebe Ihnen auch noch eine von den neuen Mandelkrokant-Pralinen mit, ja? Zum Probieren.«

»Sie sind ein Schatz.«

Ja, das war sie wohl. Und jeder wusste ihre Großzügigkeit zu schätzen – nun, beinahe jeder …

»Das macht zwölf Pfund siebzig, bitte.«

Mr. Monroe bezahlte und wünschte noch einen schönen Tag. Als er die Tür öffnete und sich zum Gehen wandte, drang eisige Luft herein. Keira ließ sich auf ihrem Hocker nieder. Sie starrte auf eine der blauen Blumen auf der Bluse, die sie zu ihren Lieblingsjeans trug, und seufzte.

Heute war einer dieser Tage, an denen sie sich, sosehr sie ihren kleinen Laden liebte, am liebsten zu Hause verkrochen hätte. Die Szene mit Jordan vom Vorabend steckte ihr noch in den Knochen. Es war unglaublich, wie ein paar verletzende Worte einem dermaßen die Kraft rauben konnten.

Jordan war seit acht Jahren ihr Partner, und seit fünf wohnten sie zusammen. Sie hatten sich in dem Jahr eine gemeinsame Wohnung genommen, in dem Keira die Chocolaterie eröffnet hatte. Ein gutes Jahr, es sollte das beste ihres Lebens werden. Wie gerne dachte sie an die schönen Zeiten zurück! Doch von da an war es bergab gegangen, zumindest mit Jordan, denn es lief von Jahr zu Jahr und von Monat zu Monat schlechter. Manchmal fragte sie sich, warum er überhaupt mit ihr zusammengezogen war, wenn er doch so viel an ihr auszusetzen hatte. Ständig war er am Meckern, seine Bemerkungen wurden immer fieser, und sie hatte das Gefühl, ihm überhaupt nichts mehr recht machen zu können.

Ja, sie wusste selbst, dass sie sich in den vergangenen Jahren rein optisch sehr verändert hatte. Seit sie das Schokoladengeschäft besaß, war sie öfter am Naschen als zuvor. Aber das lag hauptsächlich daran, dass sie solchen Kummer hatte. Sie war halt eine Frustesserin, und Jordan war ihrer Meinung nach selbst schuld an der Misere. Es war ein Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen zu geben schien.

»Mann, sitzt deine Hose eng!«, hallten seine Worte, die er ihr statt einer Begrüßung um die Ohren gehauen hatte, noch immer in ihr nach.

Der Abend zuvor. Sie kam von der Arbeit und balancierte die Boxen mit chinesischem Essen, das sie auf dem Heimweg mitgenommen hatte. Zuzüglich trug sie noch zwei Kartons voll Trockenobst, das sie schokolieren wollte.

»Nett, danke«, erwiderte sie knapp. »Könntest du mir vielleicht mal was abnehmen?«

»Schon wieder Chinesisch? Weißt du eigentlich, dass diese vielen Kohlenhydrate am Abend nicht gut sind?«

»Natürlich. Du sagst es mir ja immer wieder.«

»Du bist wie ein Kind. Man kann dir etwas hundertmal sagen, und es kommt trotzdem nicht bei dir an.«

Kinder. Ein anderes schmerzvolles Thema.

»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun? Gar nichts mehr essen?«

Jordan übertrieb, fand sie. Bei einem Meter vierundsechzig wog sie siebenundsiebzig Kilo. Okay, das war weit entfernt von schlank, aber fett? Ihre Freundinnen Laurie, Susan, Orchid und Ruby sagten ihr immer wieder, dass ihr die Extrapfunde standen, sie weiblicher machten. Jordan war da anscheinend anderer Meinung.

»Du könntest einen Salat essen.« Jordan, ein Meter dreiundachtzig groß, blond und gut durchtrainiert, schob sich die Brille auf der Nase zurecht, die ein wenig schief war, wohl sein einziger Makel.

»Ich stand den ganzen Tag im Laden. Ich habe Hunger.«

»Du kannst mir nicht erzählen, dass du den ganzen Tag nichts gegessen hast. Wahrscheinlich hast du mehr Pralinen gefuttert als verkauft.«

Er war so gemein! Auch wenn er alles immer mit einer Spur Witz oder Sarkasmus sagte, wusste sie doch, dass er es völlig ernst meinte. Aber nein, sie wollte sich nicht schon wieder auf einen Streit einlassen. Manchmal fragte sie sich, warum Jordan sie eigentlich immer so provozieren musste. Machte es ihm etwa Spaß, sie zu verletzen?

»Du hättest ja einen Salat vorbereiten können. Oder irgendetwas anderes Leichtes, wenn du was gegen Chinanudeln und Frühlingsrollen hast.«

»Ich habe nichts dagegen. Wenn man trainiert, kann man sich das ja auch erlauben. Und das habe ich übrigens den ganzen Tag gemacht. Ich war im Fitnessstudio, weshalb ich leider auch keine Zeit zum Kochen hatte.« Fitnessstudio – so verbrachte Jordan seine Sonntage, während Keira im Laden stand, denn die Geschäfte der Valerie Lane hatten wie die meisten anderen in Oxford auch sonntags geöffnet.

»Dann stecken wir wohl jetzt in der Zwickmühle, oder?«, sagte sie sauer.

»Tja …« Er stand auf und sah in die Boxen vom Chinaimbiss. Dann nahm er das Essen genervt mit in die Küche und füllte es auf Teller.

Kam es ihr nur so vor, oder hatte er von ihrer Portion etwas für sich abgezweigt?

»Guten Appetit«, sagte sie. Von Jordan kam nur ein Brummen.

Die Ladenglocke läutete. Keira erhob sich seufzend und setzte ein Lächeln auf.

»Barry, hallo.«

Barry war mit Laurie von nebenan liiert, er war ihr Teelieferant. Keira hatte monatelang mit angesehen, wie die beiden sich schüchtern an den jeweils anderen herangetastet hatten, bis sie endlich so weit gewesen waren, sich zu verabreden. Inzwischen waren sie so glücklich, wie ein Pärchen nur sein konnte, und obwohl Keira es nicht wollte, versetzte es ihr doch jedes Mal einen Stich ins Herz, sie zusammen zu sehen. Genauso, wie es sie schmerzte, Orchid mit ihrer großen Liebe Patrick zu sehen. Sie mochte keine turtelnden, händchenhaltenden, sich küssenden Pärchen um sich haben. Sie wollte sich einfach nur unter ihrer Decke verkriechen.

»Hi, Keira. Du, ich habe eine Bitte. Du kennst Laurie doch schon viel länger als ich. In zwei Wochen ist Valentinstag … was denkst du, worüber sie sich freuen würde? Ich meine, so richtig.«

Da musste Keira nicht lange überlegen.

»Verreise mit ihr. Sie ist so lange nicht in Urlaub gefahren, das würde ihr wirklich guttun, und sie würde sich ganz sicher darüber freuen.«

»Eine Reise? Denkst du, sie würde den Laden dafür schließen?«

»Für eine Reise mit dem Mann ihrer Träume? Natürlich! Und selbst wenn sie anfangs noch Bedenken hat … Manchmal muss man Laurie einfach zu ihrem Glück zwingen.«

»Okay. Wenn du meinst. Dann werde ich mir was einfallen lassen.«

Keira nickte und hoffte nur, Barry würde nicht auf so blöde Ideen kommen wie Jordan, der im letzten Sommer eine Mountainbike-Tour durch Frankreich mit ihr hatte machen wollen. Etwas weniger Romantisches hätte sie sich nicht vorstellen können. Eigentlich hatte er sie gar nicht dabeihaben wollen bei seiner Tour, da war sie sich sicher. Höchstens, damit sie mehr Sport machte, abnahm, wieder die wurde, die sie einmal gewesen war. Nun, sie glaubte nicht, dass sie diese Frau jemals wieder sein würde. Nicht an Jordans Seite zumindest.

Laurie, die nicht nur ihre Ladennachbarin, sondern auch ihre allerbeste Freundin war, hatte ihr schon öfter gesagt, dass sie sich das doch nicht anzutun brauchte. Dass sie einfach gehen konnte. Sie und Jordan waren weder verheiratet, noch hatten sie Kinder. Es wäre so einfach.

Ja, Laurie hatte leicht reden. Es war nämlich in vielerlei Hinsicht nicht so einfach. Zuerst einmal wusste Keira gar nicht, ob sie mit den Einnahmen aus der Chocolaterie allein die Miete für die Wohnung plus alle sonstigen Ausgaben bezahlen könnte. Einen Großteil der Rechnungen übernahm nämlich Jordan, der als Zahnarzt sehr gut verdiente. Dann wusste sie natürlich auch nicht, ob sie überhaupt in der Wohnung bleiben könnte. Was, wenn Jordan sie vor die Tür setzte? Wo sollte sie dann hin? Und was würde sie ganz allein mit sich anfangen? Sie war so daran gewöhnt, jemanden um sich zu haben, dass sie es sich ziemlich einsam vorstellte, plötzlich ohne Partner dazustehen. Aber der Hauptgrund war natürlich, dass sie Jordan trotz allem liebte. Sie wünschte sich noch immer eine Familie mit ihm, Kinder, und sie hoffte tagtäglich, er würde irgendwann erkennen, dass es das war, was er ebenfalls wollte. Das wäre das perfekte Valentinsgeschenk für sie. Vielleicht sollte sie genau das ihren Freundinnen sagen, für den Fall, dass Jordan auf die Idee käme, eine von ihnen aufzusuchen.

Aber Jordan war nicht Barry. Jordan war eine leise Hoffnung, an der Keira noch immer wie an einem Luftballonband festhielt, obwohl sie doch genau wusste, dass der Ballon sich längst gelöst hatte und davongeflogen war.

Das schlaff herunterhängende Band war übrigens die perfekte Metapher dafür, wie sie sich zurzeit fühlte: ausgelaugt und ihrer Lebensfreude beraubt.

»Du hast recht. Vielleicht sollte ich sie mit nach Schottland nehmen, zu meiner Schwester und meiner niedlichen kleinen Nichte«, sagte Barry in seinem Holzfällerhemd jetzt, und seine Augen strahlten bei dem Gedanken.

Keira lächelte mit Tränen in den Augen. »Das würde ihr sicher gefallen.«

»Alles gut, Keira?«

Sie nickte. »Alles bestens.«

»Hast du wieder Stress mit Jordan?« Er hatte in den sechs Monaten, die er mit Laurie zusammen war, mehr mitbekommen, als ihr lieb war.

»Ja. Na ja …« Sie zuckte mit den Schultern.

»Der Kerl hat dich gar nicht verdient.«

»Ich weiß.«

»Dann weißt du sicher auch, dass es bessere Männer da draußen gibt, oder?«

Tatsächlich? Und wie sollte sie so einen finden?

»Möchtest du eine von meinen neuen Mandelkrokant-Pralinen probieren?«, fragte sie, um vom Thema abzulenken und nicht vor Barry in Heulkrämpfe auszubrechen.

»Gerne.«

Sie reichte ihm mit der Zange eine über die Theke. Er konnte nicht widerstehen und biss gleich hinein.

»Wow, die sind richtig lecker. Packst du mir davon ein paar ein?«

»Du musst jetzt nichts von mir kaufen, um mich aufzuheitern.« Sie lächelte durch ihre Tränen hindurch.

»Sie sind wirklich köstlich.«

»Na gut.« Keira steckte sechs viereckige Pralinen in ein Tütchen und reichte es Barry. »Geht auf mich. Danke für deine lieben Worte.«

Barry machte ein mitleidiges Gesicht.

»Nun hör schon auf, ich bin doch kein dreibeiniges Kätzchen, und ich bin auch nicht Gary, der bei dieser Eiseskälte draußen auf der Straße schläft.« Gary war ein junger Obdachloser, der fast immer an der Ecke Valerie Lane und Cornmarket Street anzutreffen war. »Mir geht es gut. Okay?«

»Okay. Danke für die Pralinen.« Er hielt das Tütchen in die Höhe und ging zur Tür, um zwei ältere Damen einzulassen, bevor er sich mit einem Winken verabschiedete.

»Bye, Barry«, sagte Keira mit einem Seufzer.

Laurie hatte wirklich Glück gehabt, fand sie. Sie hatte die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen gefunden. Dass ihr selbst das auch gelingen würde, war wohl eher unwahrscheinlich.

Ach, was war eigentlich ihr Problem? Sie hatte es doch Barry auch gerade verkauft: Ihr ging es gut. Sie musste weder Hunger leiden noch auf der Straße schlafen. Und sie hatte noch alle Beine. Alles war bestens. Besser könnte es gar nicht sein.

Das Dumme war nur, dass es so unheimlich schwer war, sich selbst zu belügen.

KAPITEL 2

Gegen Mittag kam Laurie zu Keira in den Laden. Sie hatte einen kirschroten Pullover an, der beinahe dieselbe Farbe hatte wie ihr langes Haar, das ihr heute in großen Locken über die Schultern fiel, dazu einen schwarzen Wollrock, denn Laurie trug so gut wie immer Röcke, selbst bei Temperaturen wie diesen.

»Heilige Sch … Schweinebacke, ist das kalt!«, rief sie aus und rubbelte sich die Oberarme.

Keira bediente noch die Kundin zu Ende und wandte sich dann an Laurie. »Heilige Schweinebacke?«

»Ich wollte eigentlich was anderes sagen, aber dann habe ich gesehen, dass du Kundschaft hast.« Sie grinste schief.

»Und Schweinebacke ist besser?«

»Keine Ahnung. Mir fiel auf die Schnelle nichts Besseres ein. Überleg du dir mal innerhalb von Sekunden etwas, das mit Sch anfängt.«

»Schokopraline, Schuhschleife, Schafswolle, Schinkenpizza«, entgegnete Keira, ohne überhaupt nachzudenken.

»Mann, du bist gut. Hihi, das ist super: Heilige Schinkenpizza! Merke ich mir.«

»Willst du mir nun endlich sagen, warum du mitten am Tag deinen Laden verlässt und ohne Jacke rüberkommst?«

»Nur so.«

»Das glaube ich dir nicht. Barry hat was gesagt, oder?«

»Barry? Nee, den hab ich heute noch überhaupt nicht gesehen. Wie kommst du darauf?«

»Du bist so eine schlechte Lügnerin, weißt du das eigentlich?«

»Habe nie damit geprahlt, eine gute zu sein.«

Eine Kundin betrat den Laden, Mrs. Witherspoon. Sie war eine sehr geschätzte alte Dame, die in der Nähe wohnte und öfter mal in die Valerie Lane kam, um ein bisschen zu tratschen, von früher zu erzählen oder einfach, um die Zeit totzuschlagen – mit siebenundachtzig Jahren hatte man wohl nicht viel anderes zu tun.

Mrs. Witherspoon strahlte die beiden mit ihrem lieblichen, faltigen Lächeln an. Keira wurde warm ums Herz. Man musste die Dame einfach gernhaben. Neben ihrem Charme hatte sie auch noch die besten Geschichten über Valerie auf Lager, und nicht selten revanchierten sich die Ladeninhaberinnen mit ein paar Pralinen oder Keksen, einer Tasse Tee, einem Paar selbst gestrickter Handschuhe oder einem kleinen Präsent. Eigentlich ging die Gute nie mit leeren Händen oder einem leeren Magen wieder nach Hause.

»Hallo, ihr beiden Hübschen. Wie geht es euch heute?«

»Prima«, kam es sofort von Laurie.

»Bestens«, sagte Keira und erntete sogleich ein Stirnrunzeln von Laurie. »Und wie geht es Ihnen?«

»Mir geht es fabelhaft«, teilte Mrs. Witherspoon ihnen mit. Ihr weißes Haar war vom Wind so zerzaust, dass Keira es ihr am liebsten in Ordnung gebracht hätte. Andererseits glaubte sie nicht, dass ein paar verwehte Haare die alte Dame störten.

»Ja? Das freut mich.«

»Verraten Sie uns auch, warum es Ihnen so fabelhaft geht?«, fragte Laurie.

»Das kann ich euch gerne sagen. In fünfzehn Tagen ist Valentinstag.«

»Ooooh. Haben Sie etwa einen Verehrer?«

»Das könnte schon sein.« Mrs. Witherspoon zwinkerte ihnen schelmisch zu.

Oh nein, dachte Keira. Nicht auch noch Mrs. Witherspoon. War denn hier jeder glücklich verliebt außer ihr? An den Valentinstag wollte sie gar nicht denken. Wahrscheinlich würde Jordan ihr ein Kochbuch mit fettarmen Rezepten schenken.

»Was, ehrlich?« Laurie freute sich und klatschte in die Hände, eine Geste, die sonst Mrs. Witherspoon vorbehalten war. Diese stimmte auch sofort mit ein.

»Es gibt da diesen Mann … Humphrey. Ich habe ihn in der Suppenküche kennengelernt.«

Keira hatte sofort einen Kloß im Hals. In der Suppenküche? Das war nicht gerade romantisch, sondern eher traurig. Andererseits – waren das nicht die wahren Liebesgeschichten, aus denen Hollywoodfilme gemacht waren?

»Er heißt also Humphrey? Erzählen Sie uns von ihm«, bat Laurie.

»Nun, er ist ein sehr netter Gentleman. War einmal Pilot, vor langer Zeit.« Sie sagte es mit einer Spur Melancholie, und Keira wurde bewusst, dass sie nie gefragt hatte, was Mrs. Witherspoon früher beruflich gemacht hatte. Vollzeit-Mutter war sie nicht gewesen, denn Kinder hatte sie keine – so viel wusste sie zumindest.

»Und, ist er älter oder jünger als Sie?«, erkundigte sich Laurie neugierig.

»Er ist ein junger Spund!«, sagte Mrs. Witherspoon und lachte wie ein verliebtes junges Mädchen. »Er ist erst neunundsiebzig.«

»Sie sind mir ja eine!«, scherzte Laurie und wedelte mit dem Finger.

Keira brachte überhaupt kein Wort mehr heraus. Sie biss auf ihrer Lippe herum, dachte an Suppenküchen-Szenen, an zwei Menschen, die aufeinandertrafen und sofort wussten, dass sie füreinander bestimmt waren … Dachte an zwei Menschen, die es vielleicht nie gewesen waren … Dann riss sie sich aber zusammen, Mrs. Witherspoon zuliebe.

»Wir würden Ihren Humphrey gerne kennenlernen. Bringen Sie ihn doch mal zu einem unserer Mittwochstreffen mit.« Mrs. Witherspoon war fast jedes Mal dabei. Es sei denn, sie fühlte sich nicht wohl genug, um das Haus zu verlassen. Diese Tage waren aber, wie es schien, Vergangenheit. Die alte Dame sprühte vor neuer Lebensenergie.

»Damit ihr ihn euch vornehmen und ihn ausquetschen könnt wie eine reife Zitrone?«

»Was denken Sie nur von uns?«, fragte Laurie schockiert. »So etwas würden wir nie wagen!«

»Na gut. Vielleicht bringe ich ihn mal mit. Dann ist er zwar der Hahn im Korb …«

»Ich könnte Barry fragen, ob er auch kommen mag. Dann fühlt Humphrey sich nicht so allein.«

Keira dachte an Jordan. Er würde sich niemals – niemals – dazu herablassen, sich ihr zuliebe an einem Mittwochabend in einen Teeladen zu setzen.

»Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten?«, fragte Keira nun, die ihre Unhöflichkeit bemerkte.

»Nein, nein, mein Kind. Vielen Dank. Pralinen habe ich schon von Humphrey bekommen.«

»Sie haben sich einen richtigen Romantiker geangelt.« Laurie lächelte warmherzig. »Wie wäre es mit einem Tee bei mir nebenan?«

»Da sage ich nicht Nein. Ich möchte aber zunächst noch zu Ruby in den Antiquitätenladen.«

»Oh. Wollen Sie sich ein paar Antiquitäten zulegen?«, fragte Keira überrascht. Sie alle wussten, dass Mrs. Witherspoon quasi am Hungertuch nagte.

»Iwo, das Gegenteil. Ich überlege, ein paar meiner Löffel zu verkaufen, und wollte mich mal erkundigen, was ich dafür bekommen würde.«

Keira brach das Herz, wusste sie doch, wie wertvoll Mrs. Witherspoon ihre Löffelsammlung war – wertvoll im emotionalen Sinne. Es war das Einzige, das sie niemals hergegeben hatte, auch nicht in schlechten Zeiten, von denen sie so einige erlebt hatte …

»Oh nein! Darf ich fragen, was Sie so Dringendes brauchen, dass Sie daran denken, Ihre Löffel zu verkaufen?«, fragte Laurie. Keira hätte sich das nicht getraut.

»Mein Kühlschrank hat den Geist aufgegeben. Im Moment ist es kalt genug, dass ich die Sachen draußen auf der Veranda lagern kann. Aber wenn es wärmer wird …«

So ein Mist! Sie alle taten, was sie konnten, um der Frau unter die Arme zu greifen, aber ein Kühlschrank war kein Klacks. Natürlich könnten sie zusammenlegen und ihr einen neuen kaufen, aber das würde Mrs. Witherspoon niemals annehmen, das wusste Keira. Sie hatte trotz allem ihren Stolz, und ein Kühlschrank war halt keine Schachtel Kekse.

»Das ist ja ärgerlich«, sagte sie. »Ich werde mal in meinem Umfeld herumfragen, ob nicht vielleicht jemand einen alten Kühlschrank zu verschenken hat.«

»Ja, das mache ich auch«, stimmte Laurie sofort zu.

»Das ist lieb von euch. Dennoch gehe ich mal eben zu Ruby. Man weiß ja nie, wofür man mal Geld braucht. Wenn Humphrey mir einen Antrag macht …« Sie kicherte, und Laurie und Keira schlossen sich ihr an.

»Aber vergessen Sie nicht, noch bei mir im Laden auf eine Tasse Tee vorbeizuschauen. Ich sollte in fünf Minuten wieder drüben sein, ich muss nur ganz kurz etwas mit Keira besprechen.«

Mrs. Witherspoon nickte, verabschiedete sich und schlurfte davon, den dicken grünen Schal um den Hals und die passenden Handschuhe an den Händen, alles mit viel Liebe gestrickt von ihrer Freundin Susan, natürlich.

»Die Arme kann einem so leidtun«, sagte Keira, als Mrs. Witherspoon weg war.

»Ja, und du kannst einem auch leidtun. Was ist denn los bei dir? Streit mit Jordan? Schon wieder?«

Keira ging in sich, und ihr wurde bewusst, wie gut sie es hatte. Dass so ein kleiner Streit nicht das Ende der Welt bedeutete. Dass es Menschen gab, die weit schlimmer dran waren, die ihre Löffel verkaufen mussten, um sich einen neuen Kühlschrank leisten zu können.

»Es geht mir gut.«

»Bist du dir sicher?«

»Ich bin mir sicher.«

»Na schön. Aber du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du reden willst, das weißt du doch, oder?«

»Das weiß ich, Laurie. Und dafür bin ich dankbar.«

»Süße, ich mache mir Sorgen.«

»Musst du nicht. Ehrlich. Es geht mir bestens.«

»Das sagtest du schon. Ich weiß nur nicht, ob ich dir glauben kann.«

»Würde ich dich je belügen?«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Was wollte Barry eigentlich bei dir?«

»Nur Pralinen kaufen. Was sonst?«

»Siehst du? Du kannst lügen, ohne rot zu werden.«

Keira grinste. »Möchtest du auch eine von meinen neu kreierten Mandelkrokant-Pralinen probieren?«

»Barry hat mir schon welche abgegeben. Hast du noch was anderes Neues?«

Keira musste überlegen. Was hatte sie denn am Wochenende alles gemacht? Gestern Abend nach dem Streit mit Jordan hatte sie Trockenpflaumen mit Vollmilchschokolade überzogen. Die hatte sie heute Morgen aber zu Hause vergessen. Was nichts machte, denn sie hatte noch genügend davon im Laden vorrätig, aber sie sorgte halt gerne vor. Am Samstag hatte sie nach Feierabend hinten in der Ladenküche neben den Rumtrüffeln noch Pistazienmarzipankugeln gemacht und Ingwer-weiße-Schokolade-Trüffeln. Ja, das war’s! Laurie liebte Ingwer!

»Hier, probier die! Mit Ingwer!« Sie nahm die metallene Zange in die Hand und langte in die Glasvitrine, um eine der kleinen Süßigkeiten herauszunehmen und sie Laurie zu reichen.

»Oh mein Gott, willst du mich umbringen?«, fragte Laurie, als sie gekostet hatte.

Kurz bekam Keira einen Schreck. »So schlecht?«

»So guuuut! Ich könnte zehntausend Stück davon essen!«

»Dann würdest du aber platzen.« Keira lachte.

»Sag ich ja!«

Oder dein Freund würde dich verlassen, weil du wegen der vielen Pralinen so fett geworden wärst, dachte Keira bitter. Die immer präsente Angst, dass Jordan sich eines Tages deshalb von ihr trennen würde, schob sie schnell beiseite.

»Gibst du mir ein paar davon mit? Und die möchte ich bezahlen, keine Widerrede!«

Keira lächelte und machte ein Tütchen zurecht.

»Ehrlich, Keira. Du übertriffst dich selbst immer wieder. Allein, wie die riechen …« Laurie hielt ihre Nase in die geöffnete Zellophantüte. »Ich glaub, ich bin im Ingwerhimmel.«

»Freut mich, dass sie dir schmecken. Ich hoffe, sie kommen auch bei meinen anderen Kunden so gut an.«

»Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Jetzt muss ich aber echt wieder rüber. Ich möchte meine Kunden nicht so lange allein lassen.«

»Dann mach, dass du loskommst.«

»Eine Sache noch«, sagte Laurie. »Ist dir bei Mrs. Witherspoons Frisur vorhin auch der Film Vom Winde verweht in den Sinn gekommen?« Sie kicherte.

»Haha. Jetzt, wo du es sagst! Ich hatte allerdings eher Das Beste kommt zum Schluss im Sinn. Wegen Humphrey.«

»Awww. Ich finde das so süß. Ich hoffe, sie bringt ihn wirklich mal mit.«

»Das hoffe ich auch. Und nun spute dich.«

»Alles klar. Bis bald. Ich hab dich lieb!«

»Ich dich auch.«

Sie sah Laurie nach, wie sie hinüber in die Tea Corner lief, und dachte daran, dass ihre Freundin noch vor sechs Monaten niemals ihren Laden zur Hauptgeschäftszeit alleingelassen hätte, um mal eben rüberzukommen, wenn es nicht extrem wichtig gewesen wäre. Es lag an Barry. Er tat Laurie gut. Durch ihn war sie lockerer geworden, ausgelassener, entspannter. Sie hatte aufgehört, alles haargenau zu planen, und nahm die Dinge, wie sie kamen. Genoss ihr Leben. Und Keira freute sich unglaublich für sie. Manchmal nur wünschte sie, Laurie würde ihr ein bisschen von dieser Unbeschwertheit abgeben, das würde ihrem eigenen Leben sicher nicht schaden.

Wenig später sah sie Mrs. Witherspoon wieder an ihrem Ladenfenster vorbeigehen, und in den folgenden Stunden konnte sie nicht aufhören, an sie zu denken. Wie sehr sie sich für sie freute, in ihrem Alter noch einmal die Liebe gefunden zu haben.

Die Ladenglocke bimmelte, und mit einem Mal wurde Keira bewusst, dass ja Montag war! Ihr liebster Tag der Woche. Das hatte einen ganz besonderen Grund, und dieser Grund stand in diesem Moment vor ihr.

KAPITEL 3

Sie kannte seinen Namen nicht, hatte ihn nie danach gefragt. Warum auch? Er war doch nur ein Kunde, einer von vielen, deren Namen sie nicht kannte. Jedoch war er, ohne es zu wissen, für Keira so viel mehr.

Er war der erste Sonnenstrahl, der sich nach einem düsteren Gewitter zeigte, er war das letzte braune M&M, das man ganz am Boden der Tüte doch noch fand, nachdem man die Hoffnung schon aufgegeben hatte. Er war ihr Lichtblick, jede Woche aufs Neue, wenn er in den Laden kam, um Pralinen zu kaufen. Für eine andere. Aber das war egal. Keira wollte ja überhaupt nichts von dem Mann, hatte keine romantische Beziehung mit ihm im Sinn und schon gar keine Affäre. Nein, sie fand es einfach schön zu sehen, dass es sie noch gab, diese Männer, die ihre Frauen so sehr liebten, dass sie Montag für Montag in ein Süßwarengeschäft gingen, um ihnen ihre Lieblingspralinen zu kaufen. Um ihnen eine Freude zu machen, um sie lächeln zu sehen.

Jordan hatte ihr niemals Pralinen geschenkt. Natürlich nicht. Erstens hatte er als Zahnarzt eine ziemlich negative Einstellung zu Süßigkeiten, zweitens fand er ja eh schon, dass sie zu dick war, und drittens dachte er sich hundertprozentig, dass man jemandem, der in einem Pralinengeschäft arbeitete, ja, der sogar eines besaß, doch keine Schokolade zu schenken brauchte.

Doch mal ehrlich: Das war lächerlich. Das war, als würde man jemandem, der bei der Post arbeitete, keine Ansichtskarten aus dem Urlaub mehr schicken. Oder als würde jemand, der als Hundesitter tätig war, keinen eigenen Hund besitzen können. Oder noch heftiger ausgedrückt: Als würde eine Kindergärtnerin keine eigenen Kinder haben dürfen.

Kinder. Da war es wieder, dieses schmerzhafte Thema.

Schon zu Beginn ihrer Beziehung vor acht Jahren – sie hatten sich auf einer Party gemeinsamer Freunde kennengelernt – hatte Jordan ihr klipp und klar gesagt, dass er keine Kinder wolle. Er sei einfach kein Familientyp, hatte er gesagt. Falls sie wirklich etwas Festes mit ihm wolle, müsse sie das akzeptieren.

Sie war in ihn verliebt gewesen, sehr sogar, und aus Liebe tat man oft die verrücktesten Dinge. Wie zum Beispiel, seinen sehnlichsten Wunsch auf Eis zu legen und doch immer noch zu hoffen, dass der Partner seine Meinung änderte. Es war nicht Jordans Schuld, er hatte sie in der Hinsicht nie belogen, sie hatte es ja von Anfang an gewusst. Es war ihre eigene Dummheit, jahrelang darauf zu warten, dass er ihr eines Morgens nach dem Aufwachen doch noch sagen würde: »Ich habe geträumt, wir hätten ein Kind, wären eine richtige Familie. Das war unglaublich. Wollen wir nicht auch im echten Leben endlich damit anfangen, Babys zu kriegen?«

Das Leben war kein Wunschkonzert. Man akzeptierte es entweder, wie es war, oder man brach aus. Und Keira war einfach nicht der Typ für große Ausbrüche.

»Guten Tag«, sagte sie nun zu dem Namenlosen, der ihr von Woche zu Woche attraktiver vorkam, einfach wegen seiner zurückhaltenden, lieben Art. Sie wusste zweifellos, dass mehr hinter dieser eher schlichten Fassade steckte, dass da drinnen eine außergewöhnliche Seele wohnte.

Er war etwa eins fünfundsiebzig groß, hatte kurzes dunkelbraunes Haar, weiche Gesichtszüge, ein wunderschönes Lächeln und die wohl wärmsten braunen Augen der Welt. Keira schätzte ihn auf ein paar Jahre älter als sie. Heute steckte er in einem dicken hellbraunen Mantel. Er hatte einen Schirm dabei, obwohl es gar nicht regnete, und ganz rote Ohren von der Kälte.

»Guten Tag«, erwiderte er und trat lächelnd auf die Glasvitrine zu, hinter die Keira sich sogleich begab.

Er war der einzige Kunde im Laden, was sie freute, denn so konnte sie sich voll und ganz ihm widmen.

»Wie geht es Ihnen heute?«, fragte sie und bemerkte wieder diese unglaublich langen Wimpern, die seine Augen umrahmten.

»Es geht mir sehr gut und Ihnen?«

»Bestens«, sagte sie wieder, korrigierte sich aber gleich, denn ihre dahingesagte Standardantwort war hier fehl am Platz. »Fantastisch.« Das war die Wahrheit, und allein seine Anwesenheit bewirkte das.

»Sehr schön.« Er beäugte die Auslage. Warum er das immer wieder tat, war ihr ein Rätsel, denn er entschied sich am Ende doch jedes Mal für die gleichen Pralinen: Buttertrüffeln in Vollmilchschokolade und Orangentrüffeln in Zartbitterschokolade.

»Dasselbe wie immer?«, fragte sie.

Manchmal sah er auch an anderen Tagen vorbei, montags kam er jedoch immer, und dann wusste er ganz genau, was er wollte.

»Ja, bitte.«

Sie holte eine von den hübschen Schachteln hervor und packte einhundert Gramm von jeder Sorte ein. Wie immer legte sie noch zwei Trüffeln dazu, ohne es ihm zu sagen. Die waren von ihr, für die Frau, die das Glück hatte, so einen wundervollen Mann an ihrer Seite zu haben. Sie beneidete sie sehr.

»Sie verpacken die Pralinen immer so nett«, sagte er, als sie noch eine rosa Schleife darum band. Bei seinem ersten Besuch in ihrem Laden vor etwa zwei Jahren hatte sie ihn gefragt, ob die Pralinen ein Geschenk für einen Herrn oder eine Dame seien, und er hatte strahlend geantwortet: »Für eine ganz besondere Dame.« Also hatte sie sich für eine rosa Schleife entschieden und dies beibehalten. Manchmal variierte sie auch, nahm eine lila Blüte dazu oder mischte zwei Farben wie Rot und Rosa. Er sah ihr jedes Mal konzentriert dabei zu, und Keira konnte die Liebe und die Vorfreude in seinen Augen sehen.

Sie steckte die Schachtel in eine kleine Papiertüte mit der Aufschrift ihres Ladens und stellte sie auf den Verkaufstisch.

Der Mann bezahlte und lächelte sie noch einmal an. Dann ging er und hinterließ wie jeden Montag ein Gefühl der Traurigkeit in ihr. Warum genau sie traurig war, konnte sie gar nicht sagen. Weil es eine ganze Woche dauern würde, bis sie ihn wiedersah? Weil es so herzzerreißend war, wie sehr er seine Partnerin liebte? Weil sie das auch wollte? Weil sie das mit Jordan niemals haben würde?

Sie seufzte zum wahrscheinlich achtundachtzigsten Mal an diesem Tag und brachte irgendwie die nächsten beiden Stunden hinter sich, bis die Kirchenglocken ihr sagten, dass es sechs Uhr war und sie endlich schließen konnte.

Auch wenn sie eigentlich vorgehabt hatte, nach Ladenschluss noch Pralinen in der Ladenküche zu machen, war sie auf einmal viel zu müde dazu und beschloss, nach Hause zu gehen.