Die Chroniken der Fahlgeborenen - Nyra S. Valen - E-Book

Die Chroniken der Fahlgeborenen E-Book

Nyra S. Valen

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Beschreibung

Als Mira Solis, Agentin einer geheimen Spezialeinheit, in der Arktis ein mysteriöses Fragment des Codex Tenebris findet, stößt sie auf mehr als nur eine Spur des Übernatürlichen. Eine uralte Macht erwacht – und damit auch ein Wesen, das nicht hätte existieren dürfen: Noctaris, der Erstgeborene der Fahlgeborenen. Zwischen Licht und Schatten gefangen, ist er Teil eines Konflikts, der seit Jahrhunderten tobt. Während die unsterblichen Krieger der Helix Mortis Jagd auf ihn machen und die Blutpriesterin Crystelle versucht, die gefürchteten Altväter zurück in die Welt zu rufen, wird Mira in einen Strudel aus Wahrheit, Verrat und kosmischer Bedrohung gezogen. Stück für Stück erkennt sie, dass ihre Verbindung zu Noctaris tief in einer Vergangenheit wurzelt, die älter ist als jede bekannte Geschichte. "Die Chroniken der Fahlgeborenen" verbinden düstere Fantasy, moderne Elemente und einen Konflikt, der das Gleichgewicht der Welt gefährdet. Ein Roman über gebrochene Helden, vergessene Mächte und die Frage, ob das Herz wirklich zwischen Licht und Finsternis wählen kann.

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Seitenzahl: 179

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nyra S. Valen

Chroniken der

Fahlgeborenen

Codex Tenebris

© 2025 Nyra S. Valen, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten.

ALTERS- UND INHALTSWARNUNG

„Im Dunkel liegt Erkenntnis – doch wer sie sucht, zahlt ihren Preis.“

Dieses Werk richtet sich an ein reifes Publikum ab 16 Jahren.Es enthält Darstellungen von Gewalt, psychischer Manipulation, Tod und religiös-mythologischen Symbolen im Kontext einer fiktiven Welt, die zwischen Macht, Moral und Unsterblichkeit schwankt.Obwohl alle Ereignisse und Figuren frei erfunden sind, spiegeln sie Themen wider, die emotional herausfordernd sein können.Lesende, die sensibel auf Darstellungen von Verlust, innerer Zerrissenheit oder spiritueller Finsternis reagieren, werden um achtsames Lesen gebeten.

Haftungsausschluss:

Die im Werk enthaltenen lateinischen Verse wurden von Nyra S. Valen (Pseudonym von Sylke Holzmann) eigens für dieses Buch geschaffen.Sie haben keinen religiösen, kultischen oder okkulten Hintergrund und dienen ausschließlich der fiktionalen Weltgestaltung.Etwaige Ähnlichkeiten mit realen Texten, Riten oder Glaubenssystemen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

© 2025 Nyra S. Valen (Pseudonym von Sylke Holzmann)

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin reproduziert, gespeichert oder in irgendeiner Form übertragen werden, sei es elektronisch, mechanisch oder auf andere Weise.

Erstveröffentlichung 2025 in Leipzig

Covergestaltung: Holzmannphotos

Coverbild ist Eigentum von www.holzmannphotos.de – Emotion im Fokus

Dieses Buch ist ein Werk der Fiktion.

Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Ereignissen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Vertrieb über Amazon Kindle Direct Publishing (KDP)

ISBN: wird bei Veröffentlichung vergeben

Widmung und Danksagung

Wem dankt man, wenn man sein erstes Buch geschrieben hat?Wahrscheinlich hat jeder Autor darauf eine andere Antwort.Ich persönlich möchte hauptsächlich meinem Ehemann danken.Er war es, der mich ermutigt hat, es einfach zu versuchen – mein jahrelanges Hobby zum Beruf zu machen.Den Mut aufzubringen, die eigenen Gedanken und die persönliche Fantasie zu veröffentlichen, war für mich eine Herausforderung.Doch durch sein gutes Zureden, seine Geduld und seinen Beistand, hat er diesen Mut in mir geweckt.Dafür gilt ihm mein tief empfundener Dank.

Prolog

Das Erwachen der Altväter

Ereth’lun – im Zeitalter der Auferstehung

Vor Äonen von Jahren, lange bevor das Eis schmolz, die Menschen das Licht sahen und Zeit weder Bedeutung noch Einfluss besaß. Als es weder einen Namen für die Dunkelheit noch für die Helligkeit gab, war die Welt noch unberührt und ohne Makel. Denn eine dicke Schicht aus Schnee und Eis bedeckte alles, was einst Leben tragen sollte. Es war zu dieser Zeit, als am Himmel eine heißglühende Feuerkugel auftauchte und Richtung Erde raste. So schnell, dass selbst der Schnee in der Luft aufwirbelte. Sie zog einen brennenden Schweif hinter sich her, brach durch die Wolken, zerschnitt die Luft mit einem sausenden Geräusch und schlug schließlich, mit unglaublicher Wucht im Packeis des Nordpolarmeeres ein. Der Aufprall ließ die meterdicken Schichten des Gefrorenen auseinanderbersten wie Glas. Die Flammen um das unbekannte Objekt wurden zischend gelöscht, ließen für Augenblicke das Eis darum schmelzen und das Wasser begann zu brodeln, während die fremdartige Kugel vom arktischen Meer verschlungen wurde. Langsam und beständig sank die Kugel auf den Grund des Ozeans. Dort, in fast fünftausend Metern Tiefe, in der Finsternis des eisigen Gewässers, verweilte das Unbekannte. Es wartete, ein, fünf, hundert oder gar tausend Jahre. Niemand wusste es genau, schließlich wurden nur Fragmente eines alten Codex überliefert. Dem Codex Tenebris. Denn es war diese Nacht, in der die Essenz der Altväter auf die Erde fiel. Eingehüllt in dickes Meteoritengestein, im Eis konserviert, auf dem Grund des arktischen Meeres. Bis der Mensch die unwirtliche Gegend zu besiedeln begann. Dass Himmelsgestein brach, auf und die Essenz, die in ihm wohnte, wurde freigesetzt. Dunkelwabernde, geleeartige Masse entwich dem Fremdkörper, schwebte wie mehrere gewaltige Tintenkleckse durch das Wasser, orientierte sich und fand schließlich den Weg an die Oberfläche. Dort schwammen die schwarz-rot schimmernden Substanzen, wie ein Ölteppich Richtung Land. Sie krochen glibberig und zäh auf die von Eis überzogene Erdoberfläche und zogen mit schleimigen Spuren weiter. Bis sie dem ersten Menschen begegneten. Die Jäger waren soeben dabei, mit Speer und steinartigem Dolch, ein Walross zu töten. Und die dunklen, blutüberzogenen Quallen analysierten das Geschehen. Sie begannen sich zu verändern, schoben ihr flüssiges Material, die geleeartigen Komponenten, zusammen. Sie erhoben sich zu einem aufrechten Wesen, welches geformt war wie eine schwarze, klebrige Seeschlange. Allerdings schienen sie ohne passende Form zu sein, denn die jeweiligen Wesen waberten hin und her, wirkten unruhig und ohne jegliche feste Physis. Die Menschen vergaßen ihre Beute, staunten über das, was sie da vor sich sahen. Und die Mutigsten unter ihnen traten sogar näher heran. Die Essenz ragte vor jedem der menschlichen Bewohner auf, gurgelte, schien zu vibrieren. Und gerade, als einer von ihnen seinen Speer in das vor ihm befindliche unbekannte Wesen stechen wollte, ertönte ein kreischender Schrei von dem gesichtslosen Ding. Es stürzte sich direkt auf den Menschen und umschlang ihn mit seinen schleimigen Tentakeln. Einer nach dem anderen wurde umwoben. Und die finstere Essenz drang, durch Mund und Nase, in ihre Körper ein. Dort setzte sie sich fest, nistete sich ein wie ein Parasit.

Die Altväter waren entstanden.

Fünf an der Zahl. Doch ihr Dasein sollte gefährdet werden. Nicht nur, weil die Welt, auf der sie sich befanden, mit äußeren Einflüssen drohte, um sie zu vernichten, sondern auch, weil der Mensch sich immer weiter ausbreiten würde. Und diese Welt, so reichhaltig sie war, war leider nicht für die Außerirdischen bestimmt. Deshalb mussten sie unbedingt einen Weg finden, dem Einhalt zu gebieten. Damit sie nicht unaufhörlich neue Menschen besetzen mussten, deren Körper einfach nicht dafür geschaffen waren. Sondern auch, weil dieser Planet, den sie jetzt beanspruchten, sich gegen sie zu stellen schien. Sonne verbrannte sie innerhalb weniger Augenblicke, Kälte ließ den menschlichen Leib erfrieren, und Tiere waren dazu fähig, den Menschen einfach zu töten. Hinzu kam, dass die Körper, welche sie besetzt hatten, nicht von Dauer waren. Ihre Energie, die Energie des Universums, zehrte den Körper aus und ließ ihn allmählich verfallen. Das konnten und wollten die Altväter nicht zulassen, ihr Ziel war es, zu überleben, weiterzuleben, und die Ewigkeit sich zu eigen zu machen. Deshalb scharrten sie sich zusammen, umhüllt mit einem menschlichen Körper, und hockten in einer Höhle, um ihr Fleisch nicht vom gleißenden Sonnenschein verbrennen zu lassen. Jeder der Fünf ritzte sich mit einem scharfkantigen Stein in die Pulsader, tröpfelte das Blut, ein Gemisch aus menschlichem Lebenssaft und uralter Essenz, in einen knochigen Schädel, der von einer früheren Transformation stammte. Und dann warteten sie. Harrten aus, während die Zeit nur träge verging. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe sich das zusammengefügte Blut tatsächlich zu regen begann. Es blubberte und brodelte. Alle fünf starrten mit eingefallenen Gesichtern auf das Geschehen. Ihre hageren Hände streckten sich danach aus, und gerade als die dürren Finger die Oberfläche berühren wollten, dehnte sich die blutige Masse nach ihnen aus. Sie schreckten zurück, waren jedoch zeitgleich fasziniert. Erneut beobachteten sie, was dort geschah, und allmählich schob sich eine menschlich wirkende Hand aus der Flüssigkeit. Kurz darauf konnte man ein schreiendes Gesicht in der roten Flüssigkeit erahnen und noch einige Zeit später begann das Blut zu wachsen. Es erhob sich über den Rand des Schädelknochens hinaus, spritzte, schäumte auf und lärmte. Es schrie wie am Spieß, sodass sich die Ältesten die empfindsamen Ohren zuhalten mussten. Bis ein aufrechtstehender, eigens erschaffener, menschlich wirkender Organismus – erfüllt von ihrer Essenz – vor ihnen stand.

Und er wurde Noctaris genannt.

✦ Kapitel 1

Operation Silent Aegis

In den Straßen von New York City – Gegenwart

Der Regen fiel kontinuierlich, fast peitschend, und prasselte auf Carrows sonst rotlockigen, jetzt tropfnassen Schopf. Und seine Ausrüstung, die er am Leib trug, wurde ebenso pitschnass. Das leise, stetige Platschen hatte eine fast hypnotische Wirkung. Doch Carrow war weiterhin konzentriert und fokussiert auf seine Aufgabe, während ihm die Tropfen ins Gesicht, über den Nacken und in die Schuhe flossen. New York war zu dieser Jahreszeit nicht oft dem Niederschlag ausgesetzt, aber wenn, dann in solchen Massen, dass sogar Straßen kleine Bäche und Rinnsale bildeten und es überall ein kontinuierliches Rauschen ergab. Davon ließ sich Carrow aber nicht stören, denn er war Lieutenant der 3. Einsatzgruppe von „Silent Aegis“. Einer menschlich-militärischen Einheit, die man als „Falx Lucis Division“ bezeichnete. Ihre Mission, und damit auch seine, war es, die Menschen gegen jedes andere Wesen zu verteidigen. Und davon gab es mittlerweile einige. Also stand er mitten in der Nacht hier, in einer dunklen Gasse, in einer Pfütze aus Dreck, Unrat und sonstigen Dingen, die er lieber nicht näher analysieren wollte. Seine durchweichten Kampfstiefel waren ihm egal, denn sein Ziel – das Ziel, der ganzen Einheit – war klar: Das verdächtige Subjekt zu sichern, oder zu eliminieren. Auf dem Display an seinem Handgelenk erschien ein Hinweis mit weiteren Instruktionen:

Subjekt wahrscheinlich menschlich, aber nicht ganz!

Carrow wusste genau, womit sie es zu tun bekommen würden. Einem Wesen aus einer anderen Zeit – vielleicht sogar aus einer anderen Welt. Diese Kreaturen sahen aus wie Menschen, bewegten sich wie Menschen, verhielten sich sogar wie Menschen, doch sie waren es nicht. Ganz eindeutig nicht. Diese Gattung war zwar noch nicht ganz erforscht, doch einiges wusste die Silent Aegis Organisation bereits. Ihr Feind war schneller, stärker und im Wesentlichen dazu fähig, weitaus älter zu werden. Das erschien in diesem Moment unfair, wenn man bedenkt, welche Schwächen der Mensch hatte. Und Carrow grübelte darüber nach, welche Chancen sie tatsächlich hatten. So ernst und inständig, dass sich seine Stirn in Falten zog und die dunklen Augenbrauen sich tief über seine deutlich blauen Augen zogen, als durch das Funkgerät die Stimme einer Agentin seines Teams erklang:

„Doc an Greyhound, hörst du mich? – Subjekt gesichtet. Er ist hier.“

Carrow horchte direkt auf. Er kannte ihre Stimme, als wäre es seine eigene. Und jedes Mal, wenn sie im Einsatz waren, horchte er genau, ob Doc, wie sie im Einsatz genannt wurde, bei alledem gut durchgekommen war. Denn sie war wie zu Hause für ihn, auch wenn sie längst alle keines mehr hatten. Ihre Stimme klang in seinen Ohren immer wie ein herzliches Willkommen. Und obwohl er Greyhound war, der geborene Schattenjäger. Leise, präzise und unnachgiebig sind es die feinen Nuancen in ihrer Stimme, die ihn aufhorchen lassen. Denn Doc, das war Mira Solis, von Beruf Ärztin, was ihnen im Einsatz oft nützte, wirkte angespannt. Aber sie war das Teammitglied, welches für Carrow eine Art emotionaler Spiegel war. Sie sagte ihm immer ins Gesicht, was sie von ihm hielt. Ihre Ehrlichkeit mochte nerven, doch sie war für Carrow auch, über die Jahre, zu einer Art Wünschelrute geworden, wenn es um seine eigenen Emotionen ging. Und sie kämpften seit Jahren mit den Falx Lucis gemeinsam. Ihre Fähigkeiten waren enorm und sie hatte ein irrsinniges Talent, diese Wesen, was immer sie sind, zu verstehen. Carrow war im Gegensatz zu Mira eher der pragmatische Typ. Er fragte so ein Fangzähnefletschendes Ding doch nicht erst, ob es Freund oder Feind ist. Nein, Carrow war überzeugt, dass sie nur Feinde sein konnten. Deshalb setzte er sich bereits in Bewegung, während er sein Funkgerät, welches am Kragen klemmte, nutzte.

„Bin unterwegs.“

Am liebsten hätte er ihr noch gesagt, sie solle nichts Unüberlegtes tun. Denn Mira hatte leider auch den Charakterzug an sich, eher neugierig zu sein, als dafür zu sorgen, dass ihre Gegner alle ausgerottet wurden. Carrow mochte keine Geschichten über Mythen und Legenden, so wie Mira es tat. Sie war es, die davon überzeugt war, dass der Codex Tenebris mehr enthielt als nur Märchen über Götter und Eis. Für den Lieutenant galten nur Fakten, die man beweisen konnte. Daher schritt er mit innerer Unruhe im Bauch, jedoch zielstrebig voran. Schließlich wusste er, welche Art Kampf ihnen drohte, und das ließ Greyhound durch die Gasse laufen und hinaus auf die, nach wie vor belebte Straße treten. Dort blieb er kurz stehen, denn Aufsehen zu erregen, wäre das Letzte gewesen, was er wollte. Niemand wusste von ihren Einsätzen, keiner der hier befindlichen Menschen ahnte auch nur im Entferntesten, was tatsächlich, mitten unter ihren Nasen so vor sich ging. Und das sollte auch so bleiben. Mit etwas gemäßigterem Schritt hielt er auf die letzte Position zu, die seiner Untergebenen, ja sogar Freundin, zugeteilt worden war. Es war die Gasse auf der gegenüberliegenden Seite, und Carrow hastete hinüber, was niemandem großartig auffallen sollte, denn im Regen hatten es alle irgendwie eilig. Am gemeldeten Sichtungspunkt angekommen, zog der Lieutenant seine Waffe, denn ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Indessen begannen die Lichter in der näheren Umgebung zu flackern und zu knistern. Carrow begab sich in die Seitenstraße und erstarrte für einen winzigen Augenblick. Denn Mira stand direkt gegenüber von einem dieser Dinger. Und sie tat – nichts. Wieso zum Henker? Mira war nie tatenlos, schon gar nicht, wenn die Gefahr ihr direkt ins Gesicht sprang. Und dass Gefahr drohte, war eindeutig. Denn dieses Wesen stand vor ihr, knurrte mit ausgefahrenen Fangzähnen und blutigen Lippen, als hätte es sich gerade seinen Mitternachtssnack gegönnt. Und direkt zu dessen Füßen lag jemand. Keiner aus Carrows Einheit, aber eindeutig ein Opfer. Carrow knirschte mit den Zähnen, hob seine Handfeuerwaffe und zischte leise, aber nachdrücklich.

„Mira, weg von ihm.“

Die rothaarige Ärztin drehte ruckartig ihren Kopf, ihre grünfunkelnden Augen sahen Carrow erschrocken an. Und gerade als der Einsatzleiter feuern wollte, rief sie ihm etwas zu.

„Carrow, nicht!“

Sie hatte die Hände nach vorn gerissen, um ihn aufzuhalten. Das Warum war Carrow keineswegs klar und gerade jetzt ohnehin zweitrangig. Denn Mira war viel zu nahe dran und damit der Bedrohung direkt ausgesetzt. In eben diesem Augenblick, als Carrow abdrückte und sich der Schuss mit dem Projektil löste, sprang sie ihm direkt und ohne jede Vorwarnung in die Schusslinie.

Carrow sah, wie die Kugel aus seiner Waffe, direkt neben ihrer Schutzweste einschlug, in ihren Körper eindrang. Er sah, wie Mira erschrocken die Augen aufriss, und er konnte den Schock deutlich in ihrem Gesicht erkennen. Fassungslos und vollkommen betroffen, eilte Carrow zu ihr, indessen das fremdartige Wesen bedrohlich fauchte, sich mit wehendem Mantel abwandte und die Wand am nächsten Gebäude hocheilte. Wie ein Kletteraffe. So etwas hatte Carrow noch nie gesehen. Ja, diese Wesen waren schnell, schneller als jeder Mensch. Und sie hatten Fähigkeiten, die weit über das menschliche Maß hinausgingen, aber derartig flink eine steile Wand zu erklimmen, gehörte bisher nicht dazu. Innerlich fluchend fing Carrow Mira auf, noch bevor sie ganz zu Boden sinken konnte. Schuld und Schande drückten den Einsatzleiter förmlich nieder. Und während er mit der, nach Luft schnappenden Mira, in der Gasse in einer Pfütze saß, tastete er nach seinem Funkgerät und rief Verstärkung.

„Hier Greyhound, sofort die Sani-Einheit zu meinem Standort.“

Seine Stimme wirkte belegt, fast heiser, indes Mira mit beiden Händen nach seiner Kampfweste griff, sich darin verkrallte und hochzog. Sie sah ihn mit schmerzverzehrtem Ausdruck an, wollte aber einfach nicht nachgeben.

„Mira, du musst…“

Weiter kam der Lieutenant nicht, denn Mira hatte ihm offenbar etwas Wichtiges mitzuteilen.

„Nein. Du musst … du musst mir zuhören.“

Sie sammelte all ihre Reserven, sah ihn eindringlich an, während sich in seinem Inneren bereits die Reue durch den dicken Panzer fraß, den er sich über Jahrzehnte zugelegt hatte.

„Er ist der Erste. Verstehst du – der Erste – Noc…..“

Noch bevor sie ihm alles gesagt hatte, was sie wohl sagen wollte, verdrehte sie die Augen und verlor das Bewusstsein. Ihr Blut tränkte seine Kleidung, floss auf den schmutzigen Boden und vermischte sich mit der Pfütze direkt unter ihr. Carrow schüttelte sie, rief ihren Namen und befahl ihr gefälligst, nicht zu sterben. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, indessen er äußerlich die Zähne so fest aufeinanderbiss, dass der Kiefer knirschte. Und während die Sani-Einheit eintraf und sich daran machte, Mira zu versorgen, stand Carrow auf und ließ ihnen freie Hand. Er zog sich an die Seite zurück und dachte über ihre Worte nach. Er kannte Mira schon lange, war oft und gern in ihrer Gegenwart. Und nie hätte er gedacht, dass er sie verletzen könnte oder würde. Aber heute ist es passiert und er wollte verdammt sein, wenn sich das wiederholt. Er betrachtete seine zitternden, blutigen Hände, schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf und dachte darüber nach, was wohl der Commander dazu sagen würde. Dieser Einsatz war eine einzige Katastrophe. Sie hatten weder das Subjekt dingfest gemacht, noch sind alle lebend davongekommen. Wenn Carrow seinen Einsatzbericht schrieb, würde er sich ganz sicher nicht schonen. Und die Konsequenzen würde er tragen, egal welche das sein mochten. Doch bevor dies stattfinden würde, musste er feststellen, was hier geschehen war. Sein Blick fiel auf den weiteren Toten in der Gasse, welcher nicht von ihm erwischt worden war. Carrow hockte sich neben denjenigen, drehte ihn auf den Rücken und sah in das markante Gesicht eines jungen Mannes. Erneut zogen sich seine Augenbrauen zusammen und bildeten eine tiefe Falte auf seiner Stirn. Denn das Opfer hier hatte Fangzähne und war demnach ein, wie man mittlerweile umgangssprachlich sagt, Vampir. Doch dieser hier hatte eine aufgerissene Kehle und das war sicher nicht Mira, sondern der andere Vampir. Der, von dem sie behauptet hatte, der Erste gewesen zu sein. Was wiederum nur bedeuten konnte, dass diese Viecher sich mittlerweile gegenseitig umbrachten. Carrow konnte das nur begrüßen. Allerdings wollte er sich darauf auch nicht verlassen. Denn wenn sie ihre eigene Art bekämpften, was würden sie dann erst mit Menschen tun? Carrow erhob sich wieder gerade, als die Sanitäter Mira auf eine fahrbare Trage legten. Er wollte gern fragen, wie es ihr geht, allerdings fürchtete er die Antwort mehr als alles andere und hielt den Mund. Und während seine Freundin abtransportiert wurde, nahm sich Carrow fest vor, noch einmal ins Archiv der Silent Aegis zu gehen. Dahin, wo der Codex Tenebris aufbewahrt wurde. Das modrig alte Buch, in welchem Mira stundenlang gelesen hatte, und von dem sie überzeugt war, dass es einen Ursprung zu all dem geben musste. Eine Entstehung. Und sie hatte den festen Glauben, dass eben dieser Ursprung unsere Rettung sein könnte. Doch war sie das tatsächlich? War eben jener, der ihnen heute begegnet war, einer dieser umgangssprachlich betitelten Vampire, wirklich der Erste? Carrow richtete seinen Blick nach oben, betrachtete die Hauswand, die das Wesen erklommen hatte, und dann sah er, wie der Himmel aufriss, der Regen ließ nach. Carrow sah, wie einzelne, nur wenige Sterne die düstere Stimmung erhellten. Und obwohl das Wetter sich beruhigt hatte, entbrannte in ihm ein Sturm. Ein Orkan aus Wut auf sich selbst und auch auf Mira. Aus Frust, weil rein gar nichts heute unter einem guten Stern zu stehen schien, und aus Verzweiflung, denn seine Freundin zu verlieren, würde ihn gänzlich zerstören.

✦ Kapitel 2

Das Archiv der Stille

Antarktis – Aurea Bastion – Forschungsstation

Drei Tage war es jetzt her. Drei Tage, in denen Carrow, von Schulgefühlen geplagt, nichts anderes tun konnte als seine Pflicht. Er hatte den Einsatzbericht verfasst und beim Commander eingereicht. Hatte die anderen Teammitglieder informiert und ihnen versucht zu erklären, in seiner stoisch ruhigen Art, was geschehen war. Ihre Reaktionen waren so unterschiedlich, wie sie alle es waren. Seraphine Dorn, sonst eine wirklich hervorragende Kraft, vor allem in Sachen Altertum, Artefakte und Ansammlungen von Informationen, wurde sie nach der Information über Miras Verletzung ganz ruhig und wirkte in sich gekehrt. Jonas Reeve, der Experte für Waffen und Spezialist für sämtliche technische Hilfsmittel, schnalzte mit der Zunge und konnte sich einen sarkastischen Spruch keineswegs verkneifen.

„Wow, Boss, das war wohl der Finger zu schnell am Abzug.“

Das veranlasste Rhyana Kael, die Einzige im Team, die nicht ganz menschlich war, zu knurren und Carrow mit wildem Blick zu fixieren. Sie würde ihm hier nichts tun, aber er war sich sicher, dass er in nächster Zeit öfter nach hinten schauen sollte, als das sonst der Fall gewesen war. Auf jeden Fall war es Elias Ward, das jüngste Teammitglied und Rekrut der FLD, der sein Gefühl deutlich und ohne jede Scham ausdrückte.

„Scheiße, sie wird’s doch schaffen? Immerhin ist sie doch eine unserer Besten.“