Die Dämonenkriege - Dunkelkönig - Michael Hamannt - E-Book

Die Dämonenkriege - Dunkelkönig E-Book

Michael Hamannt

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Beschreibung

Den Dämonenjäger Ryk und seine Gefährtin Kela hat es durch ein magisches Portal in die Gegenwelt verschlagen. Dort fallen sie ausgerechnet Ryks Erzfeind Asmaran in die Hände, der die beiden auf der Stelle töten lassen will. Während Ryk und Kela in der Stadt der Dämonen um ihr Leben kämpfen, sagt sich die Assassine Catara Fiers in den Schwebenden Reichen von ihrer einst geliebten Herrin Madea los, der sie Hochverrat an den Menschen unterstellt. Als sich schließlich ein lange tot geglaubter Dämonengott erhebt und sich die Portale zwischen Menschen- und Dämonenwelt öffnen, ist die Stunde gekommen, in der Freunde zu Feinden und Gegner zu Verbündeten werden ...

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Das Buch

»Schon bald wird die letzte Schlacht anbrechen, mit der wir unseren Feinden die endgültige Niederlage bereiten. Für ihren Verrat soll Inos, der wahre und einzige Dhana’an, über sie richten. Nach seiner Auferstehung wird er die Ungläubigen strafen, seine Getreuen jedoch belohnen. Mit ihm wird ein neues Zeitalter anbrechen. Ein goldenes Zeitalter für ein neues Imperium der Val’kai. Preiset Inos – preiset unseren König und Gott!«

Den Dämonenjäger Ryk und seine Gefährtin Kela hat es durch ein magisches Portal nach Mha‘ Rodim, die Welt der Dämonen verschlagen. Dort fallen sie ausgerechnet Ryks Erzfeind Asmaran in die Hände, der die beiden gefangen setzt und mit dem Tode bedroht. Während Ryk und Kela in der Welt der Dämonen um ihr Leben kämpfen, sagt sich die Assassine Catara Fiers in den Schwebenden Reichen von ihrer einst geliebten Herrin Madea los, der sie Hochverrat an den Menschen unterstellt, weil diese sich mit dem mächtigen Dämon Zaragoth verbündet hat, um den schlafenden Dämonengott Inos zu erwecken und die Herrschaft über die Schwebenden Reiche zu erlangen. Als sich schließlich die Portale zwischen Menschen- und Dämonenwelt öffnen, ist die Stunde gekommen, in der Freunde zu Feinden und Gegner zu Verbündeten werden ...

Der Autor

Michael Hamannt studierte Germanistik, Philosophie, Ur- und Frühgeschichte, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Er arbeitet als freier Schriftsteller und liest in seiner Freizeit fantastische Romane und Thriller, schaut gerne gute DVDs und trifft sich mit Freunden zu Spieleabenden. Ein besonderes Faible hat er für Schottland mit seinen grünen Highlands, alten verwunschenen Wäldern und faszinierenden Mythen. Außerdem ist er verrückt nach Katzen und süchtig nach Espresso. Mit Dunkelkönig legt er den fulminanten Höhepunkt seines großen Dämonenkriege-Epos vor.

Michael Hamannt

DUNKELKÖNIG

Roman

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Redaktion: Catherine Beck Copyright © 2019 by Michael Hamannt Copyright © 2019 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren und Verlagsagentur, München Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT GbR, München, unter Verwendung von Shutterstock Satz: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-22643-5V002www.heyne.de

ERSTER TEIL

PROTEKTOR

»Die Magie ist die Schöpferin allen Lebens. Sie gebar den Kontinent, der in einem Meer aus unergründlicher Tiefe treibt und in dessen Abgründen und Gräben Kreaturen hausen, die jedem den Tod bringen, der närrisch genug ist, es zu bereisen. Die ersten Val’kai, die dem Schoß der Magie entstiegen, gaben ihrer Welt den Namen Mha’Rodim, was so viel bedeutet wie ›das endlose Rot‹. Und tatsächlich ist Mha’Rodim das Land des roten Staubs, durchzogen von Gebirgen, Schluchten und Flüssen aus Lava. Dazwischen geheimnisvolle Wälder, bevölkert von Geschöpfen der Magie, und Seen, in deren Wassern sich dunkles Leben regt. Und über alldem brennt und wacht eine blutrote Sonne und befeuert die Glut und Wildheit in den Herzen der Val’kai.«

Asmaran der Blutlenker,

Verfasser der Schriften von Kai’Ora,

Mythos der Schöpfungsgeschichte

PROLOG

Lynta, Sharigor

24. Augus 1026 n. d. Zweiten Dämonenkrieg

Risari lehnte mit den Ellbogen auf dem Fenstersims ihrer kleinen Dachkammer und genoss die Morgensonne, die gerade über dem Tal aufstieg. Vergnügt beobachtete sie das Treiben unter ihr im Hof. Der alte Soma warf ein paar Rüben in den Schweinepferch gleich neben der Scheune, in der um diese Zeit Risaris Mutter und zwei der Mägde die Kühe molken. Ihr Vater, der Herr des Hofes, war mit den Knechten längst auf dem Feld, um die Späternte einzuholen, bevor sie ein Opfer der Herbststürme wurde.

»Morgen, du Schlafmütze!«, rief ihr jüngerer Bruder Elef zu ihr hinauf, der in diesem Moment mit einem Eimer Korn unter ihr vorüberflitzte. Eigentlich war es Risaris Aufgabe, die Hühner zu füttern und Eier einzusammeln.

»Du bist ja nur neidisch«, rief sie ihm hinterher.

Es war nicht nur ihr Geburtstag, es war auch der Tag ihres Versprechens, und deshalb war sie für heute von all ihren Pflichten befreit. Aber auch wenn Risari es genoss, einmal nichts tun zu müssen, war es doch irgendwie seltsam. Auf dem Hof zu arbeiten, bedeutete Teil eines Ganzen zu sein, Teil einer Familie, die sich gegenseitig half oder auch neckte. Abends saß man dann zusammen am großen Küchentisch, die Mägde und Knechte eingeschlossen, und brachte sich mit Geschichten vom Tage zum Lachen. Oder auch mit besonders lauten Rülpsern, was in erster Linie für Risaris Brüder galt. Zwar schalt ihre Mutter sie jedes Mal, allerdings war Risari sicher, dass sich dabei stets ein Schmunzeln in ihren Mundwinkeln verbarg.

Risari lächelte. Das Abendbrot war seit jeher die schönste Zeit des Tages, dann spürte sie die Wärme und Zuneigung der Familie am stärksten. Inständig hoffte sie, dass es später mit Maruca einmal genauso sein würde. Sie seufzte und nahm einen tiefen Atemzug von der klaren Morgenluft. Der Herbst … Sie konnte ihn schon riechen, wie er von den Bäumen hinter der Weide zu ihr herüberwehte. Einige der Blätter hatten bereits einen Stich ins Orange. Risari mochte den Herbst, die fröhlichen Farben, den Tanz der Blätter im Wind. Den Winter dagegen hasste sie. Er war kalt, bitterkalt – und wenn Schnee fiel, brachte er manchmal den Tod für die sehr Alten und sehr Jungen im Dorf.

Ach Nyma, dachte sie.

Der letzte Schnee lag lange zurück. Sieben Jahre. Damals war Risari erst fünf gewesen, trotzdem erinnerte sie sich daran, als wäre es vergangenen Winter gewesen. Es war das Jahr, in dem der weiße Tod sich Nyma geholt hatte. Ihre Großmutter, in deren Armen sie oft den Geschichten über die Gegenwelt gelauscht hatte: über boshafte Dämonen und strahlende Magier. An Nymas Gesicht konnte sich Risari nach all den Jahren kaum mehr erinnern, umso stärker an ihren Geruch. Nyma hatte immer nach Amarillen geduftet. Große, weiße Blüten. Im Sommer hatte ihre Großmutter stets einen Strauß davon auf dem Küchentisch stehen gehabt. Im Winter bewahrte sie die getrockneten Blüten zwischen ihren Kleidern im Schrank auf. Alle in Lynta, das ganze Dorf, hatten getrauert, als Eis und Frost die Wärme des Lebens aus Nymas Herz gestohlen hatten.

Risari blinzelte die Tränen fort. Heute war ein viel zu schöner Tag, um traurig zu sein. Sie lief zu der Waschschüssel, die auf einer Kommode am Fußende ihres Bettes stand, machte sich frisch und tauschte ihr Nachthemd gegen ein Kleid. Ein grünes Leinengewand, das an der Hüfte von einem geflochtenen Gürtel aus Leder zusammengehalten wurde. Am Abend, vor den Feierlichkeiten, würde sie das Kleid anziehen, dass ihr ihre Mutter genäht hatte. Es war etwas ganz Besonderes. Aus edlem Caminastoff, für den ihre Mutter extra in das acht Meilen entfernte Calares gefahren war. Risari war deswegen schon ganz aufgeregt. Sie hoffte nur, dass es auch Maruca gefallen würde.

Nachdem sie sich ihre Schuhe übergestreift hatte, lief sie hinunter in die Küche, wo sie ein Glas Milch trank und ein mit Butter und Honig bestrichenes Brot aß. Danach verließ sie den Hof und folgte dem Pfad, der entlang des Baches nach Lynta führte. Dort lebte Maruca mit seinem Vater Cowan. Sie betrieben eine Töpferwerkstatt und stellten so wunderbare Vasen und Skulpturen her, dass manchmal sogar Menschen aus der sharigorischen Hauptstadt ins Dorf kamen, um bei ihnen einzukaufen. Maruca war deshalb furchtbar stolz auf seinen Vater. Über seine Mutter sprach er hingegen nie. Sie war vor ein paar Jahren mit einem reichen Händler fortgegangen. Eigentlich war er wegen der Töpferkunst von Marucas Vater gekommen und hatte sich dann in dessen Frau verliebt. Gold und Geschmeide soll er ihr versprochen haben, woraufhin sie ihren Mann und ihren Sohn verlassen hatte.

Eine traurige Geschichte, wie Risari fand, und auch alle anderen Mädchen im Dorf. Und weil Maruca auch noch hübsch war, scharwenzelten sie ständig um ihn herum. Risari war deshalb ein kleines bisschen eifersüchtig, aber sie vertraute Maruca. Außerdem war heute der Tag ihres und Marucas Versprechens. Bei diesem Gedanken schwoll Risaris Brust an, und ihr Herz schlug heftig. In vier Jahren, wenn sie sechzehn war, würden sie heiraten. So wie ihre beiden Väter es ausgehandelt hatten. Risari war sicher, dass Maruca ihr ein guter und treu sorgender Ehemann sein würde. Er besaß das Talent seines Vaters und war stets höflich und zuvorkommend. Im Gegensatz zu den anderen Jungen aus Lynta – vor allem ihren Brüdern – hatte sich Maruca noch nie über ihre Sommersprossen lustig gemacht.

»Guten Morgen, Risari, bist schon aufgeregt, was, Mädchen?«, rief ihr die zahnlose Mitta zu. Wie jeden Tag saß sie in dem Schaukelstuhl vor ihrem Haus, während Risari über die Steine balancierte, die an dieser Stelle aus dem Bach ragten. Auf der anderen Seite angekommen, winkte sie Mitta zu, bevor sie die Böschung erklomm und an ihrer Hütte vorbei ins Dorf lief. Nicht ganz zweihundert Menschen lebten in Lynta. Es war die nächstgelegene Ortschaft zu Calares. Ein Stück weiter südlich begannen die Lehm- und Tonfelder, von denen Maruca und sein Vater ihr Arbeitsmaterial bezogen.

Die Töpferwerkstatt lag direkt am Marktplatz, dem Herzen des Dorfes. Es war eines der wenigen Gebäude aus Stein, wie auch die Schmiede und der kleine Gasthof. Die meisten anderen Häuser waren aus Holz. Risari blieb am Rande des Platzes stehen, wo sie sich hinter ein paar Olivenbäumchen verbarg, die vor dem Haus von Usarl Borona wuchsen. Mit seinen vierundsiebzig Jahren war er der älteste Bewohner von Lynta und so schwach auf den Beinen, dass er das Haus kaum mehr verließ, weshalb Risari auch nicht fürchten musste, von ihm aufgescheucht zu werden.

Auf der anderen Seite des Platzes, genau gegenüber ihrem Versteck, befand sich die Töpferwerkstatt. Die Skulpturen und Vasen fertigten Maruca und sein Vater im Haus an, gebrannt wurden sie jedoch in einem Steinofen, der in einem Schuppen neben der Werkstatt untergebracht war. Der Schuppen besaß ein Ziegeldach und war nach vorne hin offen. »Wegen des Feuers und der Hitze wäre es viel zu gefährlich, ihn im Haus zu haben«, hatte Maruca ihr einmal erklärt.

Risari seufzte. Maruca – da war er!

Um diese Zeit holte er immer die Töpferwaren aus dem Ofen, die über Nacht darin gebrannt worden waren. Ach, was hatte er nur für ein hübsches Gesicht! Es war ganz gerötet von der Anstrengung und der Glut des Ofens.

Sie sah zu, wie er jedes Stück herausholte und zum Abkühlen zu einer Steinbank auf der Rückseite des Schuppens brachte. Um sich nicht zu verbrennen, trug er Handschuhe aus doppelt geschlagenem Lehmbüffelleder. Risari hatte sie selbst angefertigt – nun gut, mit ein wenig Hilfe von ihrer Mutter –, nachdem Maruca ihr erzählt hatte, dass seine alten verschlissen waren. Sie seufzte erneut. Es gab im ganzen Dorf keinen Jungen, den sie lieber mochte. Außerdem war Maruca mit seinen vierzehn Jahren fast schon so groß wie sein Vater. O ja, heute war der glücklichste Tag ihres Lebens!

Nachdem sie ihm noch eine Weile bei der Arbeit zugesehen hatte, schlüpfte Risari aus ihrem Versteck und rannte schnurstracks zur süßen Wiese, wo ihre Freundinnen bestimmt schon warteten. Calisara, die Tochter des Bäckers, die von ihrem Vater abgöttisch verehrt wurde und nie auch nur einen Finger krumm machen musste. Und die beiden Schwestern Vinta und Lorike, die Töchter von Remat, dem Gastwirt, die am Tage tun und lassen konnten, was sie wollten, während sie am Abend in der Küche und Schankstube aushelfen mussten.

Die süße Wiese befand sich im Norden von Lynta, wo sie sich von der Dorfgrenze bis zum bewaldeten Hang des Tales erstreckte, in dem das Dorf wie auf dem Grund eines Kessels lag. Ihren Namen verdankte sie den Amarillen, die hier zu Hunderten wuchsen. Kräftige Pflanzen mit großen weißen Blüten, die vor allem von Blauaugenfaltern umschwirrt wurden. In Sharigor galten sie als Blumen der Trauer, aber auch der Hoffnung und des Neuanfangs.

Wie nicht anders zu erwarten, entdeckte Risari ihre drei Freundinnen auf den schlafenden Wächtern – einer Ansammlung von Felsen nahe dem Bach. Die Mädchen hockten auf dem höchsten der Felsen und genossen die Morgensonne.

Risari schmunzelte. Sie hatte nichts anderes erwartet. Natürlich bekamen die drei nicht mit, wie sie ihnen zuwinkte. Was sie nicht überraschte, schließlich waren ihre Augen und Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Als Risari bei den schlafenden Wächtern ankam, kletterte sie sofort hinauf. Der Stein war rau, aber warm von der Sonne.

Calisara bemerkte sie als Erste. »Komm her«, sagte sie und klopfte neben sich auf den Fels. Sobald sie saß, wandten ihr Vinta und Lorike, die sich trotz eines Altersunterschieds von einem Jahr so ähnlich waren wie Zwillinge, die Gesichter zu.

»So müsste jeder Morgen anfangen«, säuselte Vinta und sah wieder in die Richtung, in die nun auch wieder ihre Schwester und Calisara blickten.

Risari wusste genau, was es dort zu sehen gab. In dieser Richtung lagen die Felder ihres Vaters, wo gerade die Ernte eingeholt wurde. Viele der jungen Burschen hatten wegen der Hitze die Hemden ausgezogen und arbeiteten mit nackten Oberkörpern. Eine Weile lang sahen sie ihnen bei der Arbeit zu, bis Calisara plötzlich verkündete: »Jetzt ist genug, Mädels. Das ist Risaris Tag. Sie darf heute bestimmen, was wir machen.«

Lorike zog einen Schmollmund, wagte es jedoch nicht, dem älteren Mädchen zu widersprechen.

»Worauf hast du Lust, Risari?« Calisara hob eine Braue und musterte sie.

»Ich weiß nicht«, sagte sie und biss sich auf die Unterlippe.

Eigentlich wünschte sie sich nichts sehnlicher, als dass es schon Abend wäre. Sie dachte an Maruca und ihr Kleid und hörte im Geiste die traditionellen Lieder, die ihr Vater und seine Freunde heute nur für sie und den Jungen ihres Herzens spielen würden. Die Luft würde erfüllt sein vom Aroma der Amarillen, gepaart mit den Düften aus der Küche ihrer Mutter, und natürlich vom Jauchzen und Klatschen der Gäste, während Maruca sie beim Tanz umherwirbelte und ihr süße Worte ins Ohr flüsterte. Und wenn die Sonne unterging, würden er und sie sich vor den Augen und Ohren aller das Treueversprechen geben. Dadurch wären sie aneinandergebunden, und in vier Jahren würden sie es erneuern, um als Mann und Frau in ein neues Leben einzutreten.

»Amarillen«, platzte sie heraus. »Lasst uns so viele sammeln, wie wir tragen können. Ich will mir einen Haarkranz daraus flechten, und mit dem Rest will ich die Stühle und Tische schmücken.«

Nyma hätte das gefallen. Nein, sie hätte es geliebt. Und Risari gab es das Gefühl, dass ihre Großmutter an diesem ganz besonderen Abend bei ihr war.

Die Mädchen kletterten von den Felsen und machten sich daran, die Blumen zu pflücken. Bald trug jede von ihnen einen dicken Strauß im Arm.

»Puh, ich versteh überhaupt nicht, was du an denen findest, Risari.« Lorike runzelte die Stirn. »Die riechen, als hätte sich ein Lehmbüffel in einer Honiglache gewälzt.«

»Sei still«, zischte ihre Schwester und funkelte sie an. »Verdirb Risari nicht die Freude!«

»Ach, lass nur.« Risari winkte ab. Heute konnte nichts ihr Glück trüben, doch dann traf ein kühler Lufthauch ihren Nacken, und sie schauderte. In dem Moment rief Calisara: »Seht nur, Fremde!«

Risari drehte sich um und folgte ihrem ausgestreckten Arm, der auf einen Hügel am oberen Rande des Talkessels wies. Dort gab es eine Ruine aus der alten Zeit. Ein Turm, von dem nur noch die Grundmauern standen. Nyma hatte immer behauptet, es sei ein böser Ort. Tatsächlich war dort oben vor ein paar Jahren die Leiche einer Frau aus dem Dorf gefunden worden. Pirscher hatten sie getötet und von ihr gefressen, bevor der Dämonenjäger sie erlegen konnte. Nun standen im Schatten der Turmruine zwei Gestalten und blickten zu ihnen herab.

»Wer sind die?«, fragte Vinta, ihre Stimme zitterte leicht.

Risari ergriff ihre Hand. Auch sie hatte plötzlich Angst, ohne sich erklären zu können, woher dieses Gefühl stammte. Sie sah kurz zum Himmel auf. Die Sonne schien ihr mit einem Mal dunkler, als hätte sich eine Wolke davorgeschoben, nur war weit und breit keine zu sehen. Ihr Blick kehrte zu den Fremden zurück. Sie kniff die Augen gegen das Morgenlicht zusammen und erkannte, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelte.

»Vielleicht wollen sie ja zu Marucas Vater?«, fragte Lorike.

»Ich weiß nicht«, meinte Risari. »Warum kommen sie dann nicht zu uns herunter?«

»Mir gefallen die auch nicht«, sagte Calisara, die nun enger an ihre Freundinnen heranrückte. »Lasst uns in Dorf gehen und die anderen warnen.«

In diesem Augenblick stieß Lorike einen Jauchzer aus. »Was ist das? Oh, seht nur!«, rief sie ganz aufgeregt und reckte das Gesicht nach oben.

Jetzt sahen es auch Risari und die anderen. Vinta ließ ihre Hand los und auch die Amarillen, die daraufhin zu Boden fielen, und streckte die Arme dem Himmel entgegen. Die Luft über dem Tal war von Goldstaub durchzogen, der in der Sonne flimmerte und tanzte. Wie feiner Regen ging er auf sie nieder, verfing sich in Risaris Haaren, blieb auf ihrer Haut kleben. Nun ließ auch sie die Amarillen los, hob die Hände vor das Gesicht, die ganz mit Goldstaub überzogen waren. Unterdessen tanzten ihre drei Freundinnen mit ausgestreckten Armen durch den Goldregen, lachten und fingen ihn wie Schneeflocken mit der Zunge auf.

»Nein, tut das nicht!«, rief Risari, die ganz plötzlich eine dunkle Vorahnung befiel. Doch es war zu spät.

Calisara war die Erste. Sie hielt mit einem Mal in ihrem Tanz inne und fing an zu husten. Einen Herzschlag später stieß Lorike einen schrillen Schrei aus. Risari fuhr zu ihr herum und starrte die Freundin an. Lorike stand einfach nur da – schrie und schrie und schrie, während die Haut in ihrem Gesicht, auf ihren Armen und Beinen immer röter wurde und schließlich Blasen warf wie ein Schweinebraten, der über dem Feuer briet. Inzwischen drangen auch Vintas und Calisaras Schreie an Risaris Ohren, dennoch war es ihr unmöglich, sich von Lorikes grausigem Anblick abzuwenden. Mittlerweile platzten die Blasen auf, und Flammenzungen schossen aus den Wunden hervor. Jetzt roch es wirklich nach Schweinebraten, und am liebsten hätte sich Risari übergeben. Stattdessen überkam sie ein so heftiger Schmerz, dass sie auf die Knie fiel.

Maruca!, dachte sie, als die Schreie auch auf den nahen Feldern und im Dorf einsetzten. Sie versuchte sich auf die Füße zu kämpfen, stattdessen verlor sie den Halt und fiel vornüber ins Gras, wo sie sich keuchend und wimmernd zusammenrollte. Der Schmerz, der wie ein Samenkorn in ihrer Brust erwacht war, wuchs nun rasch zu einer feurigen Blüte heran, deren zuckende Flammen sich durch ihren Körper fraßen. Verzweifelt streckte Risari die brennenden Finger nach einer Amarille aus und sah, wie sie durch ihre Berührung verging – und mit ihr alle Hoffnung. Dunkelheit stürzte auf Risari ein und riss sie mit sich ins Vergessen.

»Sie sterben«, stellte Königin Madea fest, wobei sie sich um einen gelassenen Ton bemühte. Tatsächlich kämpfte sie um ihre Fassung.

»Am Ende werden nur die Stärksten überleben«, erwiderte Ruvan con Betanne, der durch die Heirat mit ihr kürzlich zum König von Sharigor aufgestiegen war.

Madea wusste, dass das, was dort unten geschah, unausweichlich war. Durch die Einmischung von Asmaran, dem Blutlenker, waren ihre Pläne vereitelt worden. Zumindest vorerst. Und sie hatten einen wichtigen Verbündeten verloren, einen Morphus-Dämon, der Zaragoth treu ergeben gewesen war. Jetzt brauchten sie neue Diener, und die würden sie dort unten in Lynta finden, wenn alles vorbei war.

Aber den Tod eines Menschen zu befehlen, war etwas anderes, als dabei zusehen zu müssen, wie er starb. Die Schreie der Mädchen und Feldarbeiter zerrten an Madeas Nerven. Der Gestank von brennendem Fleisch, der aus dem Tal zu ihnen heraufstieg, verursachte ihr Übelkeit. Ein paar Häuser im Dorf hatten ebenfalls Feuer gefangen. Die Flammen, die ihre Bewohner verwandelten, mussten auf die Gebäude übergegangen sein.

»Dir gefällt nicht, was du siehst«, sagte ihr Gemahl. Sein Oberkörper war nackt, goldene Runen schimmerten unter seiner Haut. Aus dem Licht, das sie ausstrahlten, stieg flirrender Staub in den Himmel auf, der vom Wind hinaus über das Tal getragen wurde. Der Anblick war wunderschön. An der Akademie von Nekross nannte man diese Magie den Grauen Fluch. Er verwandelte Menschen, entstellte sie aufs Entsetzlichste und nahm ihnen ihren Willen. Aber dafür verlieh er jenen, die überlebten, eine mächtige und gefährliche Gabe.

Die Königin lächelte. »Opfer müssen in jedem Krieg gebracht werden, und diese Menschen sind für mich nicht von Bedeutung.« Madea selbst musste den Grauen Fluch nicht fürchten, sie war durch ihr Blut geschützt.

»Dennoch bedauerst du ihren Tod, obwohl es nur die Schwachen trifft: die Kinder, Kranken und Alten.« Mit hartem Blick sah er sie an – Sterne tanzten in den Tiefen seiner Augen. Auch wenn er äußerlich dem Menschen glich, der ihren Gemahl und damit den König von Sharigor verkörperte, so war er in Wahrheit doch Zaragoth der Fluchbringer.

Ja, es stimmte, sie bedauerte den Tod dieser Menschen. Ebenso wie den von Ishans Schwester Issy. Ihr Einfluss auf den jungen Prinzen war zu groß geworden, weshalb Madea sie hatte loswerden müssen. Bereits viele Jahre zuvor hatte sie Ishans Mutter, die frühere Königin von Sharigor, mit einem Gift getötet, dessen Symptome dem des Rotfiebers ähnelten. Zahlreiche Menschen waren ihren Plänen schon zum Opfer gefallen, was nicht hieß, dass deren Tod sie nicht bekümmerte. Schließlich war sie kein Monster, sondern nur eine Frau, die ihrem Glauben folgte. Sie hatte getan, was getan werden musste, um zu der zu werden, die sie heute war: die Königin eines mächtigen Inselverbundes. Nur so hatte sie über die Jahre ausreichend Geld und Einfluss anhäufen können, um Zaragoth dem Fluchbringer die Rückkehr in die Schwebenden Reiche zu ermöglichen. Sie hob die Hand und berührte sanft sein Gesicht. Zaragoth war der Schlüssel zur Auferstehung der Dhana’an, der lebenden Götter. Er stand für alles, an das sie glaubte.

»Meine Gefühle haben mich noch nie von meinen Pflichten abgehalten«, sagte sie. »Und das weißt du.«

»Wäre es anders, hätte ich dich bereits getötet.«

Sie nickte. »Und du hättest recht damit getan. Unsere Loyalität darf einzig und allein dem Dhana’an Inos gelten. Für ihn leben und sterben wir!«

Plötzlich erbebte Zaragoth, das goldene Licht unter seiner Haut erlosch, und er taumelte gegen Madea. Sie versuchte ihn aufzufangen. Er war jedoch zu schwer, und so zerrte sein Körper sie mit sich ins Gras. »Zaragoth, Zaragoth!«, rief sie und hockte sich so neben ihn, dass sie seinen Kopf in ihren Schoß betten konnte. »Was ist passiert?«

Sein Gesicht war blass, die Lider flatterten, und er atmete schwer. »Es ist ein mächtiger Zauber … und gefährlich. Wenn ich nicht achtgebe, kann er mich aufzehren.« Er seufzte, was ihn ausgesprochen menschlich wirken ließ, und schloss die Augen.

Madea hob die Hand und strich ihm über das dunkle, schweißnasse Haar. Dabei dachte sie an die alten Geschichten über Zaragoth. Daran, wie er vor dreihundert Jahren die Keesa verwandelt hatte, aber dann von den Dämonenjägern überwältigt worden war. Diese Bastarde müssen ihn in einem Moment der Schwäche angetroffen haben. Ähnlich wie jetzt. »Ruh dich aus, mein Gemahl«, flüsterte sie. »Ich werde so lange über dich wachen.«

Er schlug die Lider auf und lächelte dünn zu ihr herauf. In seinen Augen las sie, wie albern er ihre Worte fand. Sie, die nichts weiter war als die Hohepriesterin eines aussterbenden Kultes, sollte über den großen Zaragoth wachen? Doch auch wenn er es dachte, sprach er es nicht aus. »Rede mit mir«, forderte er stattdessen. »Ich darf jetzt nicht schlafen. Nicht solange die Bindung zwischen mir und meinen Dienern noch nicht gefestigt ist.«

Worüber sollte sie mit ihm reden? »Erklär mir, wie es funktioniert.«

Er nickte kaum merklich. »Die Dorfbewohner, die überleben, wird der Zauber zu mir führen.« Er stöhnte, und seine Hände verkrallten sich im Gras. »Fortan … werden sie nur noch von einem Wunsch beseelt sein: mir zu dienen. Es braucht eine Weile, bis … bis die Magie ihre volle Wirkung entfaltet hat, erst danach ist diese Verbindung zwischen ihnen und mir unwiderruflich.«

Ihr kam ein Gedanke. »Und die Keesa?«

»Zu spät«, schnaufte er. »Jene, die ich an mich hätte binden können, starben vor langer Zeit. Ihre Kinder und Kindeskinder mögen unter dem Fluch leiden, ihr Wille ist jedoch frei von dem meinen. Und jetzt hilf mir auf!«

Bald darauf saß er vor ihr im Gras, dabei war er ihr so nah, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte.

»Wir dürfen uns keine weiteren Fehler leisten, solange die Barriere intakt ist und ich von meinen Anhängern abgeschnitten bin«, murmelte er. »Meine neuen Diener werde ich in alle Reiche ausschicken. Sie sollen meine Augen und Ohren sein – meine Vollstrecker. Dieses Mal werden wir die Magier direkt angreifen.«

»Wenigstens sind wir Ryk Vangur los«, sagte Madea. »Und Asmaran, diesen Verräter! Das wird es uns leichter machen.«

»Wenn du das glaubst, bist du eine Närrin, Weib. Noch wissen wir nicht genau, was aus ihm und dem Dämonenjäger geworden ist. Beide sind gerade einmal etwas mehr als zwei Wochen verschwunden«, erwiderte er knurrend. »Ich sage dir, Asmaran sollte man niemals unterschätzen. Einst war er mein Bruder, daher weiß ich, wie gefährlich er sein kann. Er und ich, wir sind die letzten der Blutgeneräle, und das zeigt, wie stark und gerissen er ist. Hass und Misstrauen haben uns nach dem Tod der Dhana’an dazu verleitet, uns gegenseitig zu bekämpfen. Nur Inos kann mein Volk noch vor dem Untergang bewahren, indem er es wieder eint und zu seiner alten Größe zurückführt.«

»Und genau so soll es geschehen. Wir werden den lebenden Gott zurückbringen, und zum Dank wird er uns erheben. In seinem Namen werden wir unsere Völker führen, auf das sie Inos ewig huldigen.«

Unten im Dorf regte sich was. Die Königin und ihr Gemahl erhoben sich. Dürre, ausgemergelte Gestalten taumelten durch den Rauch zwischen den Hütten. »Komm«, sagte Zaragoth und machte sich an den Abstieg. »Es wird Zeit, dass ich zu meinen neuen Dienern spreche. Sie müssen wissen, wer ihr Gebieter ist.«

1

Cros’Anoriel, Gegenwelt

9. Septer 1026 n. d. Zweiten Dämonenkrieg

Nein! Neeeeeein!«, schrie Ryk und rüttelte an den Metallschellen, die ihn an den Stuhl fesselten. Schmerz zuckte durch seine Hände, als sich das Eisen noch tiefer in die Hautabschürfungen und Schnitte an seinen Gelenken fraß. Manche davon waren schon ein paar Wochen alt, andere ganz frisch. Die Wunden brannten, seine Finger waren vor Anspannung verkrümmt, und er roch das Blut, das an den Armlehnen hinabrann, wenngleich er es nicht sehen konnte, denn sein Geist war weit fort. An einem anderen Ort in einer anderen Welt zu einer anderen Zeit.

Ryk war wieder im Ostwald. Dort, wo alles angefangen hatte, wo er dem verfluchten Blutlenker Asmaran vor fünf Monaten zum ersten Mal begegnet war. Es hatte sein Leben verändert – in vielerlei Hinsicht. Wieder sah er Corrs bleiches Gesicht vor sich, die Furcht in seinen Augen, das Beben seiner Unterlippe. »Nicht«, schrie er, als sein alter Gehilfe nach dem Dolch an seinem Gürtel griff. »Tu’s nicht!« Natürlich nützte es nichts. Corr konnte ihn nicht hören. Es war eine Erinnerung. »Nein«, flüsterte Ryk, als Asmaran seinem Gehilfen mit einer schnellen Bewegung die Kehle zerfetzte. Zum hundertsten – oder gar tausendsten Mal – war Ryk gezwungen zuzusehen, wie Corr ins Gras stürzte und röchelnd sein Leben aushauchte.

Die Erinnerung verblasste, und Finsternis legte sich über Ryks Geist. Der Kopf sackte ihm auf die Brust, und er kniff die Augen zusammen, in denen Schweiß und Tränen brannten. Seit Wochen durchlebte er diesen Albtraum und andere wieder und wieder – Tag für Tag, Stunde für Stunde. »Dreckiger Dämon!«, murmelte er mit rauer, hasserfüllter Stimme. An seine Ohren drang das Klacken von Asmarans Klauen auf dem Steinboden, während er sich durch den Raum auf ihn zubewegte.

»Hast du endlich genug, Magier? Bist du jetzt bereit zu reden?«, zischte der Dämon so dicht vor ihm, dass Ryk seinen stinkenden Atem im Gesicht spüren konnte. »Gib mir, was ich will, und ich werde deine Qualen auf der Stelle beenden!«

Ryk ignorierte Asmaran. Trauer umnebelte seinen Geist. Egal, wie oft der Blutlenker bereits in seinen Kopf eingedrungen war und die Bilder von Corrs Tod aus den Abgründen seiner Seele hervorgeholt hatte, jedes Mal war es so real, so unbegreiflich und schmerzhaft wie beim ersten Mal. Meine Schuld! Meine Schuld! Er hatte weder Jailar noch Corr beschützen können. Genauso wenig wie Ishan oder Kela. Was für ein miserabler Dämonenjäger und Freund er doch war.

»Versager!« Asmarans Stimme hatte etwas Krächzendes, wie bei einem Kranken, der mit wunder Kehle sprach.

Natürlich, der Dämon war noch immer in seinen Gedanken, lauschte und beeinflusste sie. Ryk hob den Kopf. Der Metallkragen, der um seinen Hals lag und seine Magie blockierte, schabte über seinen Adamsapfel. »Sprichst du von dir selbst, Dämon?« Er zwang sich, die Lider zu öffnen, und blickte in Asmarans hässliche Fratze. Sie wurde fast vollständig von seinen unnatürlich großen, schwarzen Augen beherrscht, unter denen zwei Schlitze saßen: die Nüstern. Bei jedem Atemzug blähten sie sich ein wenig auf. Der Mund des Dämons war leicht geöffnet, dahinter zuckte etwas Bläuliches zwischen zwei Reihen nadelspitzer Zähne.

Asmaran schlug ihm ins Gesicht. »Ich werde dich schon noch brechen, Dämonenjäger.« Er richtete sich wieder auf und blickte abfällig auf ihn herab.

»In deinen Träumen!« Ryk leckte sich das Blut von den Lippen und spuckte Asmaran ins Gesicht. Dieses Mal fiel der Schlag so hart aus, dass Ryks Kopf zurückflog und der Metallkragen sich tief in die Haut in seinem Nacken bohrte. Er stöhnte, aber dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu den Schuldgefühlen, die ihn langsam von innen auffraßen. Es war nicht nur Corrs, Jailars und Ishans Tod, mit dem der verfluchte Dämon ihn quälte. Am ärgsten setzte ihm der von Mortos Dex zu. Auf Kellwyn hatte der verfluchte Dämon ihn gezwungen, seinen alten Freund und Kameraden hinterrücks abzuschlachten. Und auch wenn er diese Tat unter Asmarans Einfluss vollbracht hatte, würde er sich selbst dafür wohl niemals vergeben können. Doch Ryk lebte schon sein halbes Leben lang mit Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen. Wenn Asmaran ihn wirklich brechen wollte, würde er härtere Geschütze auffahren müssen. »Meine Gedanken magst du ja kontrollieren können, du verdammtes Scheusal«, keuchte er, »aber meine Seele wird dir niemals gehören!«

Während ihrer ersten Begegnung im Ostwald hatte der Dämon von seinem Blut getrunken und ihn so unter seinen Willen gezwungen. Das war die Gabe eines Blutlenkers. Wann immer er wollte, konnte er in Ryks Kopf eindringen und in seinen Erinnerungen und Gedanken wühlen. Er hatte sie in die Hand genommen wie Steine am Wegesrand und sie umgedreht, um zu sehen, was sich darunter verbarg. Auf diese Weise hatte er von Ryks Hass auf die Val’kai erfahren, die seine Familie umgebracht hatten, und von seinen Gefühlen für Kela. Wenn Asmaran wollte, konnte er Ryk sogar dazu bringen, sich selbst in ein Schwert zu stürzen. Und dennoch war es ihm bisher nicht gelungen, dem Dämonenjäger das abzuzwingen, was er am dringendsten von ihm begehrte.

Es gab einen winzigen Bereich von Ryk, der ihm ganz allein gehörte und den er tief in seinem Seelenfeuer verborgen hielt. Über seine Gedanken, seine Erinnerungen, seinen Willen konnte der Blutlenker gebieten, Ryks Seelenfeuer jedoch widersetzte sich Asmarans Zugriff, schloss ihn von den Geheimnissen der Magie aus, die es in seinem Inneren hütete. Als die Dämonen ihm den Metallkragen umlegten, der verhinderte, dass Ryk seine Magie ausüben konnte, hatte er zunächst geglaubt, es sei erloschen. Dem war jedoch nicht so. Er hatte einige Tage gebraucht, um herauszufinden, dass es immer noch da war. Eine Quelle tröstlicher Wärme nahe seines Herzens. Die Dämonenmagie in dem Metallkragen nahm ihm die Fähigkeit, auf sein Seelenfeuer zuzugreifen, isolierte es wie eine undurchdringliche Mauer. Und trotzdem loderte es weiterhin hell in seiner Brust, als wäre es von einem gewissen Eigenleben erfüllt. Vielleicht war es auch so, und vielleicht konnte Asmaran deshalb nicht auf die Geheimnisse zugreifen, die sich hinter seinen Flammen verbargen.

In der ersten Woche seines Verhörs hatte Asmaran dennoch versucht, dorthin vorzudringen. Nicht nur einmal. Am Ende war ihm vor Anstrengung das Blut aus den Nüstern geschossen. Mit Befriedigung hatte Ryk erkannt, dass auch der Macht des Blutlenkers Grenzen gesetzt waren. An dem Punkt hatte Asmaran seine Strategie geändert und war dazu übergegangen, Ryk mit seinen eigenen Erinnerungen zu quälen. Einen schwächeren Geist hätte er dadurch vielleicht längst gebrochen.

Asmaran lachte. »Am Ende bekomme ich immer, was ich will, Dämonenjäger. Auch du wirst das noch begreifen.« Er bleckte die Zähne, und eine bläuliche Zunge schoss zwischen seinen Lippen hervor. »Wenn du glaubst, ich hätte bereits alle meine Mittel ausgeschöpft, irrst du gewaltig.« Er neigte den Kopf zur Seite und verzog den Mund zu einem Lächeln.

Asmarans plötzlicher Stimmungswechsel gefiel Ryk nicht, doch er wollte es sich vor dem Dämon nicht anmerken lassen. »Ich scheiß auf deine Drohungen.« Er schnaubte. »Die musste ich mir in den letzten Wochen schon oft genug anhören. Rausgekommen ist dabei nie was.« Provokant schob er das Kinn vor.

Was der Blutlenker mehr als alles andere begehrte, war eine Rückkehr in die Schwebenden Reiche. Doch die Barriere hinderte Asmaran daran. Nur ein Magier konnte ein Portal öffnen, das es ihm erlauben würde, die Dimension der Dämonen zu verlassen. Aber um Ryk zu dem Zauber zwingen zu können, musste Asmaran erst verstehen, wie er funktionierte – und dieses Wissen hüteten die Flammen seines Seelenfeuers. Anfangs hatte er Ryk sogar gedroht, Kela etwas anzutun, bis er erkannt hatte, dass er damit bei Ryk keinen Erfolg haben würde. Auch wenn der Dämonenjäger sie liebte, würde er weder für sie noch um sein eigenes Leben zu retten, die Bewohner der Schwebenden Reiche in Gefahr bringen. Er war ein Magier und Dämonenjäger, und als solcher hatte er geschworen, die Menschen vor allem Unheil zu schützen. Besonders vor einer Bestie wie Asmaran. Zudem war Ryk sicher, dass der Blutlenker Kela niemals etwas tun würde, immerhin war sie eine Veydra, eine Halbdämonin. Und dazu die Letzte ihrer Art.

Kelas Vater war ein schwarzer Wächter gewesen. Diese Kriegerdämonen hatten einst den Dhana’an, den Göttern der Dämonen, als Leibwächter gedient. Es gab nicht viel, was sich ihnen in den Weg stellen konnte und es überlebte. Daher war sie umso wichtiger für Asmaran. Er hoffte wohl, sie auf seine Seite ziehen zu können und sich dadurch ihrer Stärke gegen seine Feinde zu versichern. Die Val’kai befanden sich seit Jahrhunderten in einem Bürgerkrieg, soweit Ryk herausgefunden hatte. Und für Asmarans Seite sah es alles andere als gut aus. Ich würde eher sterben, als mein eigenes Volk zu verraten, dachte Ryk und starrte dem Blutlenker in die Augen.

Asmaran stieß ein wütendes Zischeln aus. »Wenn das dein Wunsch ist, Mensch.« Natürlich war er die ganze Zeit über in Ryks Kopf und las seine Gedanken. »Aber noch ist es nicht so weit!« Seine Klaue schoss vor und schloss sich so fest um Ryks Kiefer, dass die Knochen knirschten. »Ich werde mir diese Information jetzt holen, hörst du?« Ein Beben lief durch Asmarans Leib. »Ich brauche dieses verdammte Portal, und ich bin bereit, jeden Preis dafür zu zahlen!« Damit gab er Ryk wieder frei und entfernte sich.

Der Raum war rechteckig, mit hohen Wänden aus aschgrauem Gestein, die schräg aufeinander zuliefen wie im Inneren einer Pyramide. Neben einer Tür, die zugesperrt war, gab es noch ein Fenster. Es hatte eine Ellipsenform, ähnlich einem Auge, war jedoch so hoch angebracht, dass Ryk nur den Himmel sehen konnte. Rot war er, wie die Erde und die Felsen in dieser Welt. Wolken konnte er keine ausmachen. Dafür eine Vielzahl schwarzer Schatten, die ihre Kreise hoch über der Ebene vor der Stadt zogen.

Ein Klappern lenkte Ryks Aufmerksamkeit zurück zu Asmaran. Der Dämon stand vor einem Regal, das einzige Möbelstück neben dem Folterstuhl, und schob die Krüge und Schalen darin hin und her. Er suchte etwas. Im Profil wirkte der Blutlenker dürr und schmächtig. Er hatte lange, knochige Gliedmaßen mit schwarzen Krallen an den Enden. Die Rippen traten deutlich unter der kränklich weißen Haut hervor. Halb verhungert und schwach wirkte er. Von seinem Kampf mit Asmaran wusste Ryk allerdings, wie sehr dieser Eindruck täuschte.

Asmaran bezog seine Stärke aus der Magie. Seinen Oberkörper bedeckte ein verschlungenes Muster aus Runentätowierungen. Sie glommen golden im Schein der Glaskugeln, die wie ein Mobile aus Planeten dicht unter der Spitze des Raumes kreiste. Das Auffälligste an ihm war, dass er anders als niederen Val’kai keine Geschlechtsmerkmale besaß. Nur eines von vielen Rätseln, das den Blutlenker umgab.

Im Gegensatz zu Asmaran fühlte Ryk sich genau so, wie er aussah. Die Dämonen hatten ihn zwar geheilt, nachdem die Portalmagie ihn während des Übergangs in die Gegenwelt fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannt hatte, trotzdem wuchs sein Haar nur langsam nach. Graue und schwarze Stoppeln sprossen auf seinem Kopf, in seinem Gesicht und an einigen anderen Körperpartien – und juckten entsetzlich. Auch sonst gab er mit Sicherheit keinen besonders ansehnlichen Anblick ab. Die Essensrationen waren dürftig und Gelegenheiten, sich zu waschen, gar nicht erst vorhanden.

Warum tust du uns nicht beiden einen Gefallen und tötest mich?, dachte Ryk.

Asmaran stieß ein Krächzen aus, das vermutlich ein Lachen sein sollte, während er das Regal weiter durchsuchte.

Böte sich mir die Möglichkeit, dir ein Messer ins Herz zu stoßen, ich würde es auf der Stelle tun, Dämon!

Im Ersten und Zweiten Dämonenkrieg hatte der Blutlenker unter Inos gedient, dem grausamsten unter den Göttern der Val’kai. Damals hatte er den Titel Blutgeneral getragen, was nichts anderes war als eine Umschreibung für Schlächter. Hunderttausende Menschen waren in diesen Kriegen von den Dämonen ermordet worden. Allein die Vorstellung machte Ryk so zornig, dass er sich selbst mit bloßen Händen auf Asmaran gestürzt hätte, wäre er dazu in der Lage gewesen.

»Du denkst, du würdest alles wissen, Magier«, sagte Asmaran, der seine Gedanken mitverfolgt hatte, und drehte sich zu ihm um. »In Wahrheit habt du und deinesgleichen jedoch nichts begriffen. Die Dhana’an haben nicht einfach nur über mein Volk geherrscht. Sie haben es ebenso unterjocht wie euch. Ihr Wille war unser Wille.« Seine Zunge stieß hervor, wie immer, wenn er erregt war. »Inos war wahnsinnig. Weißt du, was es bedeutet, immerzu die Stimme eines Monsters in deinen Gedanken zu hören?«

»Nur zu gut«, erwiderte Ryk.

Asmaran bleckte die Zähne. »Sieh mal an, der Dämonenjäger hat Humor.« Er hob den Krug an, den er in der linken Klaue hielt. »Mal sehen, wie lange noch.«

Ryk beobachtete, wie der Dämon in den Krug griff, etwas herausholte und ihn zurück ins Regal stellte. Als er sah, womit sich Asmaran ihm näherte, fing sein Puls an zu rasen. Zuerst hielt er es für einen großen Dorn, gleich darauf erkannte er, dass es der Stachel eines Rieseninsekts war. Mindestens so lang und dick wie sein Zeigefinger. Ein paar ledrige Fetzen des Hinterleibes hingen noch daran, als wäre er dem Tier gewaltsam herausgerissen worden. Und dann sah er den Giftbeutel, der zuvor von Asmarans Hand verborgen gewesen war. Er war so groß wie ein Hühnerei. Unwillkürlich richtete sich Ryk auf, was den Metallschellen an seinen Händen ein Klirren entlockte.

»Das ist der Stachel einer Di’hypra.« Asmaran war vor ihm stehen geblieben und schwenkte das schwarz glänzende Ding vor seinem Gesicht hin und her. Es verströmte einen seltsam scharfen Geruch, der Ryk in der Nase und in den Augen brannte. »Ihr Gift tötet nicht den Körper, nur den Geist. Die Beute bleibt am Leben, ihr Fleisch frisch, und trotzdem leistet sie keinen Widerstand, während die Di’hypra sie über einen Zeitraum von mehreren Tagen langsam auffrisst.«

»Soll mir das Angst machen?«

Asmaran lachte. »Ich weiß, dass es das tut. Vergiss nicht, ich bin in deinem Kopf.« Er ließ den Stachel sinken und musterte Ryk abschätzend. »Deine Magie ist ein Teil von dir. Wenn dein Geist stirbt, könnte das auch ihre Abwehr brechen, und ich wäre endlich in der Lage, den Zauber zu sehen und zu verstehen, der mir ein Portal in die Schwebenden Reiche öffnet.«

»Wenn die Lösung so leicht ist, warum hast du das Gift dann nicht von Anfang an benutzt?«

Die Nüstern des Dämons blähten sich auf. »Es wurde noch nie an einem Menschenmagier getestet. Vielleicht macht es bloß eine sabbernde Fleischhülle aus dir. Vielleicht bringt es dich auch um, bevor ich habe, was ich will.«

»Das wäre dann wohl Pech für dich.« Ryk grinste schwach.

Der Blutlenker musste die Geduld verloren haben, wenn er bereit war, dieses Risiko einzugehen. Wenn Ryk starb, nahm ihm das jede Chance auf eine Rückkehr in die Welt der Menschen. Natürlich konnte es sich auch um ein Täuschungsmanöver handeln. Ein Einschüchterungsversuch, der Ryk dazu bringen sollte, aufzugeben. Den Rest seines Lebens als geistlose Hülle zu fristen, hatte wahrlich nichts Verlockendes. Er kniff die Augen zusammen. Wie ernst war es dem Dämon mit seiner Drohung? Er versuchte Asmarans Miene zu deuten, doch die fremdartigen Züge machten es ihm schwer, und obschon sie im Geiste verbunden waren, konnte er Asmarans Gedanken nicht lesen. Sein Wille war wie ein Schild, an dem Ryks Vorstöße abprallten. Er war vorsichtiger geworden, nachdem es Ryk schon einmal gelungen war, ihre Verbindung zu nutzen, um umgekehrt auch einen Blick in den Kopf des Dämons zu werfen. Das war vor über einem Monat auf Kellwyn gewesen, kurz nach ihrer Gefangennahme. Er seufzte.

»Du behauptest, du willst zurück, um Zaragoth aufzuhalten. Nur woher soll ich wissen, ob das stimmt?«, fragte Ryk und fixierte den Blutlenker mit seinem Blick. »Möglicherweise seid ihr wirklich Feinde, möglicherweise auch bloß Rivalen um die Macht. Inos wäre demjenigen, der ihn aus seinem Todesschlaf erwecken würde, sicher sehr dankbar.« Er schüttelte den Kopf. »Du wirst es nicht tun, du brauchst mich lebendig. Selbst wenn du die Worte des Zaubers in Erfahrung bringst, wird dir das nichts nützen. Die Barriere würde die Magie eines Dämons erkennen und kein Portal für dich öffnen. Du brauchst mich lebend!«

»Das ist wahr«, krächzte Asmaran. »Aber wenn Zaragoth siegt, bedeutet es den Untergang dieser Stadt und aller, die darin leben. Inos duldet keine Verräter, und als solche wird er uns betrachten, denn wir haben uns schon vor Langem von unserem Glauben und unserer alten Lebensweise abgewandt. Zaragoth hingegen ist überzeugt, dass Inos’ Rückkehr unser Volk wieder einen wird, dieser Narr. Der falsche Gott kennt keine Vergebung. Er wird uns alle umbringen.« Seine Zunge zuckte zwischen den bleichen Lippen hervor. »Du siehst, ich muss dieses Wagnis eingehen, selbst wenn es deinen Tod bedeutet, Dämonenjäger. Ich muss versuchen, ein Portal zu öffnen. Es ist die einzige Chance, jene zu retten, die mir vertrauen. Und wenn es nicht klappt, habe ich wenigstens die Genugtuung, den Mann sterben zu sehen, der uns allen den Untergang gebracht hat.«

»Ein Dhana’an, der seine eigenen Leute abschlachtet? Dafür bin ich gern bereit zu sterben.« Ryk funkelte Asmaran an. »Worauf wartest du noch, Dämon?«

»So sei es.«

Ryk schloss die Augen. Er würde nicht um sein Leben flehen. Er würde auch keinen Widerstand leisten. Was änderte das schon? Der Blutlenker konnte ihn jederzeit durch pure Willenskraft wie eine Holzmarionette tanzen oder erstarren lassen. Am besten brachte er es einfach hinter sich. Er spürte, wie die Spitze des Stachels ihm die Haut über der Metallmanschette an seinem Hals aufritzte, bevor Asmaran ihn in sein Fleisch stieß. Ryk krallte die Finger in das Holz der Stuhllehnen. Splitter gruben sich unter seine Nägel. Dann keuchte er auf, als der Dämon das Gift der Di’hypra in seinen Körper pumpte.

Es brannte wie Nyxsäure in der Wunde, in seiner Kehle und schließlich auch in seinen Adern. Doch er stellte sich dem Schmerz, stellte sich der Angst vor dem Sterben und versank in der Dunkelheit hinter seinen Lidern. Das Einzige, was Ryk in diesem Moment fühlte, war aufrichtiges und tiefes Bedauern. Er dachte an Kela, an die letzten Wochen ihrer Gefangenschaft bei den Val’kai. Sie hatten kaum miteinander gesprochen. Sie war immer noch furchtbar wütend auf ihn, weil er Ishan hatte sterben lassen. Dabei hätte er nichts tun können. Nichts.

Plötzlich packte etwas seinen Geist und zerrte ihn mit sich. Verwundert erkannte er, dass er mit einem Mal schwebte, so als hätte die Schwärze hinter seinen Lidern ihn in sich hineingesogen. Und da waren Bilder, nein, ganze Szenen und Stimmen aus seiner Vergangenheit, die wie bei einem Blitzgewitter um ihn herum aufleuchteten und wieder verblassten. Er versuchte einzelne zu erfassen, aber sie kamen und gingen zu schnell. Das Zerren wurde stärker. Ryk sah an sich hinab. Tief unter ihm war ein Mahlstrom aus grauen, sich ineinander windenden Wolkenschleiern. Kaum dass er sie erblickt hatte, stürzte er auch schon auf sie zu. Schnell und immer schneller fiel er, wurde von dem Strudel aufgesogen und umhergewirbelt, als wäre er leicht wie ein Blatt im Wind.

Er hatte jegliche Kontrolle verloren, war den Mächten um sich herum hilflos ausgeliefert. Noch mehr Bilder strömten auf ihn ein. Dieses Mal konnte er einen kurzen Blick auf einige erhaschen. Darunter auch die Gesichter mehrerer Männer und Frauen. Die Erinnerungen an sie hatte er schon vor langer Zeit in die Schatten seiner Seele verbannt. Einst waren sie seine Gehilfen gewesen, und jeden von ihnen hatte er im Kampf gegen die Dämonen verloren. Sie hatten ihm vertraut, auch sie hatten teuer für dieses Vertrauen bezahlt.

Der Sog wurde stärker. Er sah in die Tiefe und erblickte den Grund des Mahlstroms: spitze, scharfkantige Felsen, die ihn bei seinem Aufprall zerreißen würden. Es wäre sein Ende. Zumindest das seines Geistes, wenn es stimmte, was Asmaran über das Gift der Di’hypra gesagt hatte. Anstatt in Panik zu verfallen, wurde Ryk ganz ruhig. Vielleicht war es ja gar kein so schreckliches Schicksal, auf diese Weise zu sterben. Selbst wenn sein Körper überlebte, würde sein Bewusstsein, sein Selbst ausgelöscht. Und mit ihm all meine Schuldgefühle. Mit einem Mal lächelte Ryk. Hatte er sich diesen Frieden nicht schon lange verdient?

Gleich. Gleich würde er am Grund des Mahlstroms zerschellen … Doch wieder packte ihn etwas. Dieses Mal riss es ihn brutal in die Höhe und damit fort von der nahenden Erlösung.

»Nein!« Ryk öffnete die Lider und blinzelte in Nerseis Gesicht. Milchweiße Haut, große blaue Augen und flammend rotes Haar. Es war der Veydra, der ihn schon einmal gerettet hatte, kurz nach seiner Ankunft in der Gegenwelt. Damals wäre er fast an den Folgen der Portalmagie gestorben. Auch jetzt konnte er spüren, wie Nerseis Heilmagie warm und pulsierend durch seinen Körper strömte. »Warum?«, fragte er vorwurfsvoll.

Der junge Mann antwortete nicht, sondern verzog nur den Mund. Bald darauf ließ er von Ryk ab. Die Magie erstarb, und der Dämonenjäger sackte geschwächt, aber vom Gift befreit auf seinem Folterstuhl zusammen. Nersei fuhr zu Asmaran herum, der mit verschränkten Armen hinter ihm stand. »Die anderen Heiler und ich haben über eine Woche all unsere Kräfte gegeben, damit wir sicher sein konnten, dass er überlebt und wieder aussieht wie ein Mensch. Und was macht Ihr? Versucht, ihn zu vergiften!« Der Veydra hatte die Fäuste geballt. »Was ist bloß in Euch gefahren?«

Ryk hob den Kopf. Der Veydra war ein loyaler Diener des Blutlenkers. In den fünf Wochen, die er schon in der Gegenwelt festsaß, hatte er noch nie erlebt, dass er in diesem Ton zu seinem Herrn gesprochen hatte.

Asmaran machte einen Schritt auf Nersei zu. »Du hattest kein Recht, dich einzumischen.«

»Das hatte ich sehr wohl, Protektor. Über einen Monat sind die Veydra und der Mann jetzt schon hier. Seit drei Wochen versucht Ihr, ihn zum Reden zu bringen.« Nersei deutete auf Ryk. »Bisher habt Ihr es nicht geschafft. Die Geduld des Rates ist aufgebraucht. Morgen sollen ihm die beiden Gefangenen vorgeführt werden, damit sie ihm Rede und Antwort stehen können. Sie wollen selbst mit dem Magier sprechen und hören, was er zu sagen hat.«

»Glaubst du, das ändert etwas? Wenn er hier nichts sagt, wird er es dort auch nicht tun.« Asmaran zischelte drohend und entblößte dabei zwei Reihen nadelspitzer Zähne. »Außerdem ist er mein Gefangener!«

»Ihr vergesst Euch, Protektor«, sagte Nersei. »Es obliegt immer noch dem Rat, über das Schicksal des Magiers zu entscheiden. Ihr habt geschworen, Euch in den Dienst Eures Volkes zu stellen. Denkt daran. Oder wollt Ihr, dass man am Ende über Euch sagt, dass Ihr nicht besser seid als Zaragoth?«

Asmaran warf den Kopf in den Nacken und stieß einen schrillen Schrei aus. Die folgende Bewegung war so schnell, dass Ryk ihr nicht mit den Augen zu folgen vermochte. Nersei war erstarrt, Asmarans Klaue lag an seinem Hals. Ryk erinnerte sich nur zu gut daran, wie mühelos er Corr damit die Kehle zerfetzt hatte. »Wage es nie wieder, mich mit diesem elenden Wurm zu vergleichen. Nie wieder. Hast du mich verstanden?«

»Ja, Protektor.« Nerseis Stimme klang fest, doch in seinen Augen stand Furcht. »Verzeiht mir.«

Asmaran zog die Klaue zurück. Dort, wo die Krallen die Haut des Veydras geritzt hatten, bildeten sich kleine rote Perlen. Er wandte sich Ryk zu und maß ihn mit kaltem Blick. Nachdem er ihm das Gift verabreicht hatte, hatte er sich aus seinen Gedanken zurückgezogen und bisher auch nicht wieder Zugang dazu gesucht. »Heute hast du noch einmal Glück gehabt, Dämonenjäger! Doch wenn du morgen vor den Rat trittst, wirst du deinem Schicksal kein weiteres Mal entkommen. Dafür werde ich sorgen.«

Nersei räusperte sich. »Ich bringe eine weitere Nachricht, Protektor. Die Wandelnden Träumer wünschen Euch zu sprechen.«

Asmaran verzog die Lippen. »Ich habe schon einmal auf sie gehört, nur deshalb lebt dieser Magier noch«, antwortete er dem Veydra. »Ich werde diesen Fehler nicht wiederholen. Sag ihnen das.« Damit drehte er sich um und verließ den Raum.

Ryk blieb mit Nersei zurück. Der Halbdämon starrte eine Weile auf die Tür, durch die der Blutlenker verschwunden war, bevor er sich dem Dämonenjäger zuwandte. Seine Miene wirkte grimmig, was Ryk wenig beeindruckte, nachdem er drei Wochen lang von einem schlecht gelaunten Dämon gequält worden war. Nerseis Existenz hingegen versetzte ihn nach wie vor in Erstaunen. Zum einen waren männliche Veydras sehr selten. Zum anderen bedeutete es, dass es in der Gegenwelt noch immer Menschen geben musste.

»Wieso dienst du Asmaran?«, fragte er.

Zuerst sah es nicht so aus, als wollte Nersei ihm antworten. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte auf Ryk herab. Der starrte zurück. Eine seiner leichtesten Übungen. Zudem wirkte Nersei nicht wirklich Furcht einflößend. Er war einen halben Kopf kleiner als Ryk, attraktiv, was bei einem Veydra keine Überraschung war, und trug dunkle Lederstiefel sowie Hemd und Hose aus einem rötlichen Stoff. »Warum willst du das wissen?«, entgegnete Nersei schließlich.

»Um dich besser zu verstehen. Diesen Ort besser zu verstehen. Das meiste, was ich über die Val’kai weiß, stammt aus Büchern, die vor über tausend Jahren geschrieben wurden. Mir scheint, dieses Wissen ist veraltet. Vor allem, was Asmaran angeht.« Er hob leicht die Schultern. Bei der Bewegung zuckte Schmerz durch seinen Rücken, und er stöhnte leise auf. Eine Nachwehe des Giftes? »Du … du bist der Einzige, der bisher mit mir geredet hat, ohne mir gleich mit dem Tod zu drohen. Außerdem: Ist es nicht mein gutes Recht, wenigstens ein paar Antworten zu erhalten, nach allem, was mir der Blutlenker angetan hat?« Er sah, wie Nerseis Wangenknochen arbeiteten.

Schließlich nickte der Veydra. »Also gut, stell deine Fragen.«

»Du nennst Asmaran den Protektor von Cros’Anoriel. Was bedeutet das, und wie ist er dazu geworden?«

»Er beschützt diese Stadt gegen Zaragoth und seine Anhänger. Die Bewohner von Cros’Anoriel haben ihn dazu bestimmt, nachdem er ihnen zunächst die Freiheit brachte. Asmaran hat die Kasten abgeschafft, durch die weite Teile des Volkes unterdrückt wurden. In Cros’Anoriel sind wir alle gleich.« Er zögerte kurz, bevor er hinzufügte: »Er ist nicht mehr der, der er einmal war. Doch du hast ihn aller Hoffnung beraubt.« In Nerseis Augen blitzte es auf. »Kein Wunder, dass er in seine alten Verhaltensweisen zurückgefallen ist.«

Ryk schüttelte den Kopf. »Es ist immer das Gleiche, nicht wahr? Es ist so viel leichter, die Schuld bei jemand anderem zu suchen als bei sich selbst.«

Der Veydra verzog gereizt den Mund. »Ich weiß, dass du mich bloß provozieren willst und dass du dem Protektor nicht glaubst. Aber er hat die Wahrheit gesagt, Dämonenjäger: Er kam nur in deine Welt, um Zaragoth aufzuhalten.«

»Wenn das wahr ist, warum hat er uns nicht um Hilfe gebeten?«

Nersei lachte auf. »Ein Dämon, der die Magier um Hilfe bittet? Bist du so dumm, oder tust du nur so? Ihr hättet ihn auf der Stelle getötet – ihn, den einstigen Blutgeneral des Inos.« Er stieß hörbar die Luft aus. »Nein, seine einzige Chance bestand darin, Zaragoth vom Grab des falschen Gottes fernzuhalten, bis er eine Lösung für dieses Problem gefunden hatte. Aber das spielt jetzt ohnehin keine Rolle mehr. Wir werden so oder so sterben.«

»Soweit ich weiß, ist Inos noch nicht erwacht.«

»Du bist ein Narr, Magier. Inos ist nicht unser einziger Feind.«

Ryk runzelte die Stirn. Er musste den Krieg meinen, der zwischen Zaragoths und Asmarans Gefolgsleuten herrschte. »Wovon sprichst du?«

»Das erfährst du noch früh genug, wenn du morgen vor den Rat trittst.« Nersei beugte sich vor, um die Metallschellen an Ryks Unterarmen zu lösen. Sobald er frei war, begutachtete der Dämonenjäger das wunde Fleisch an seinen Handgelenken. Es gab mehrere neue Schnitte, und ein paar ältere Verletzungen waren wieder aufgebrochen.

»Steh auf, ich bring dich zu deiner Zelle«, sagte Nersei.

Der Veydra ging voraus, Ryk schlurfte hinterher. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Seine Kehle war wie ausgedörrt, dagegen klebte ihm das Hemd vor Nässe am Rücken. Nersei um Hilfe zu bitten, kam jedoch nicht infrage. Dafür war er zu stolz. Ryk fuhr sich mit der Hand über Stirn und Kopf, um den Schweiß fortzuwischen, damit er ihm nicht in die Augen lief. Seine Haarstoppeln knisterten unter seinen Fingern.

Die Folterkammer befand sich in der Spitze eines Turmes. Gleich hinter der Tür, durch die Nersei als Erster trat, lag eine Treppe, die in engen Windungen abwärtsführte. Auf der dritten Stufe nach unten knickte Ryk vor Schwäche ein. Nersei musste es mit seinen Veydra-Sinnen wahrgenommen haben. Sofort fuhr er zu Ryk herum, packte ihn am Arm und gab ihm so das Gleichgewicht zurück. Ryk murmelte einen Dank, bevor er die Hand des Halbdämons abschüttelte. Fortan hielt er sich dicht an der Außenmauer des Turmes, um sich notfalls abstützen zu können. In regelmäßigen Abständen gab es Fenster, durch die Ryk einen Blick nach draußen werfen konnte. Er sah wüstes rotes Land, Berge und Lavaflüsse, die sich durch Staub und Geröll fraßen. Als sie tiefer kamen, tauchte die Stadt unter ihm auf. Am beeindruckendsten war die Mauer, die sie umschloss. Ryk schätzte ihre Höhe auf dreihundert Fuß. Hier und da hatte sie Risse, an einigen Stellen waren Steine herausgebrochen. Anfangs hatte er das für Anzeichen von Verfall gehalten, doch nach seinem Gespräch mit Nersei dachte er anders darüber. Wer eine so gewaltige Mauer baut, muss mächtige Feinde haben!

Als Nersei kurz darauf die Zellentür hinter ihm zuwarf, blickte Kela von ihrer Seite des Raumes herüber, wo sie auf dem Rücken und mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf einer einfachen Steinpritsche lag. Tageslicht fiel durch ein schmales Fenster auf ihr Gesicht. Sie starrte ihn an, einen harten Zug um die Lippen. »Ach, du lebst ja immer noch!«

2

Feuerschwinge, Große Leere

9. Septer 1026 n. d. Zweiten Dämonenkrieg

Der Wind fuhr Catara übers Gesicht, trieb den Geruch des Feuerflusses in ihre Nase und zerrte an ihrer Kleidung. Ein hübsches weißes Seidenhemd, dazu eine Hose aus Hirschleder und zwei passende Stiefel, die ihr bis über die Knie reichten. Es war die Kleidung des Ersten Offiziers an Bord der Feuerschwinge, einem Handelsschiff im Dienste des caldoragischen Händlerkonsortiums. Ein Dreimaster mit breitem Rumpf, in dem fünfzig Fässer fheyanischer Asgar lagerten.

Die wahre Fracht des Schiffes bestand jedoch in einer Ladung Si’Maryl, das hinter einer doppelten Wand in der Kajüte des Kapitäns versteckt war. Die Droge bildete die Grundlage für den Reichtum und die Macht des Händlerkonsortiums, welches das unabhängige Inselreich Caldorag im Nordosten der Schwebenden Reiche regierte. Einmal abgesehen von illegalem Sklavenhandel, Glücksspiel und den Blutarenen, die sie betrieben.

Der Wert des Si’Maryls, so schätzte Catara, belief sich auf mehrere Hunderttausend Goldenger. Auf Xe’Neridian, zu dem sie auf dem Weg waren, könnte sie damit einen Titel und den dazugehörigen Landsitz erwerben. Die Vorstellung, ein neues Leben zu beginnen und das alte einfach hinter sich zu lassen, war verlockend. Vielleicht hätte Catara der Versuchung unter anderen Umständen sogar nachgegeben, wenn nicht das Einzige, nach der es sie derzeit dürstete, Rache gewesen wäre.

Ihre frühere Herrin, Königin Madea, hatte sie aufs Grausamste hintergangen. Catara knirschte mit den Zähnen und schlang die langen schlanken Finger so fest um die Reling, dass ihre Knöchel knackten. Dieses Miststück hatte ihr Zuneigung vorgegaukelt und behauptet, ihre neue Familie zu sein – die verständnisvolle Mutter, die sie nie gehabt hatte. Nichts als Lügen! In Wahrheit hatte Madea sie bloß ausgenutzt. Und als wäre das nicht übel genug, hatte sie sich auch noch mit dem Erzfeind der Keesa verbündet: Zaragoth dem Fluchbringer. Dem Dämon, der für all das Leid verantwortlich war, unter dem Cataras Stamm seit Jahrhunderten litt.

Catara hatte das alles nur herausgefunden, weil sie zufällig dazugestoßen war, als Madea und Zaragoth den neuen König von Sharigor ermordeten, damit der Fluchbringer an seine Stelle treten konnte. Dieser Verrat und der Anblick des Dämons hatte sie zunächst derart in Rage versetzt, dass Catara bereits ihre Zähne in den Dämonenfinger versenkt hatte, den sie seit Rifta bei sich trug. Erneut hatte sie sich in die Bestie verwandeln wollen, die schon den Großfürsten Gregorius Thamaryn seiner gerechten Strafe zugeführt hatte. Aber dann hatte sie gezögert, das Dämonenfleisch ausgespuckt und den Finger wieder eingesteckt. Ja, sie wollte Rache – wollte Madeas und Zaragoths Tod. Doch allein konnte sie es nicht mit dem Fluchbringer aufnehmen. Außerdem wollte sie nicht, dass es auf diese Weise geschah. Wenn sie Zaragoth tötete, dann als Mensch. Als ein Geschöpf, das er zutiefst verachtete. Umso größer wäre ihr Triumph über ihn und umso herber würde den Dämon die Niederlage treffen.

Ihre Mundwinkel zuckten. Ja, der Gedanke gefiel ihr.

In diesem Moment summten über ihr die Taue, gefolgt von den Flüchen eines Matrosen, einem graubärtigen Kerl mit verquollenen Augen. Er klammerte sich an eines der Taue, während sein rechter Fuß in der Luft strampelte. Offenbar hatte er beim Klettern den Halt verloren. Aus den Erinnerungen des Ersten Offiziers wusste Catara, dass der Mann ein hoffnungsloser Säufer war, der seine Arbeit mehr schlecht als recht verrichtete. Jeder andere Kapitän hätte ihn längst von Bord gejagt oder ihn kielholen lassen, was in einem Feuerfluss gleichbedeutend mit dem Tod war. Doch der Trunkenbold war zu seinem Glück um zwei Ecken mit einer der Frauen des Kapitäns verwandt, also wurde er geduldet.

Familie.

Catara spuckte aus und löste sich von der Reling. Wenn der Säufer schon abstürzte, sollte er wenigstens nicht auf ihr landen. Die Absätze ihrer Stiefel klapperten auf den Planken. Die anderen Matrosen sahen von ihrer Arbeit auf und nickten ihr zu. Die Männer an Bord mochten ihren Ersten Offizier. Das gefiel Catara. Sie genoss das gute Gefühl, das damit einherging.

Sie erreichte den Bug der Feuerschwinge und blieb stehen. Hier war sie ungestört, nur das Flattern des Segels über ihr und das Rauschen des Wassers vor dem Bug drangen an ihre Ohren. Mit den Ellbogen stützte sie sich auf die Reling und blickte hinaus auf den Fluss, der sich durch eine endlose blaue Weite wand. In der Ferne konnte sie ein paar grüne Inseln ausmachen. Xe’Neridian war nicht darunter. Die Insel im Herzen der Schwebenden Reiche würden sie frühestens in eineinhalb Tagen erreichen, wenn ihnen die Winde weiterhin gewogen waren. Dort würde sie das Schiff verlassen und sich auf eine mehrtätige Reise in den Norden des Landes begeben: zur Felsenstadt der Keesa, um mit Amaldis zu sprechen, der Schamanin und Anführerin ihres Stammes.

Nach all den Jahren aus heiterem Himmel bei ihr aufzutauchen, war riskant. Mehr als das. Denn durch die Morde, die Catara im Dienste von Königin Madea begangen hatte, hatte sie in den Augen der Keesa ihr eigenes Leben verwirkt. Bei einer Heimkehr drohte ihr der Tod. Doch die Nachricht, die sie für ihre alte Mentorin hatte, war zu wichtig. Amaldis musste erfahren, dass Catara eine Möglichkeit gefunden hatte, um sie alle von dem Fluch des Dämons zu heilen. Ein Fluch, durch den Catara zur mächtigsten Assassine der Schwebenden Reiche geworden war, der ihr gleichzeitig jedoch einen Preis abverlangte, der sie am Ende auch den Rest ihrer Menschlichkeit kosten mochte.

Ganz von selbst dachte sie an ihr letztes Opfer: Raphael Torega, Erster Offizier der Feuerschwinge