Die Drachen des Aurëus - Sina Blackwood - E-Book

Die Drachen des Aurëus E-Book

Sina Blackwood

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Beschreibung

Ares, der finstere Kriegsgott, kann nicht verwinden, dass er gegen eine Elfe den Kürzeren gezogen hat. Am meisten schmerzt ihn der Verlust seines Lieblingsrappen, den sie ihm als Siegtrophäe abnahm. Dass Lars, der fliegende Poet aus Triga, zu all den Niederlagen auch noch Balladen ersinnt, die er auf den jährlichen Sängertreffen bei Zeus vorträgt, schürt den Hass besonders. Um ihm und den Elfenweltbewohnern eine Lektion zu erteilen, verschleppt Ares Lars die Unterwelt. Nur hat er die Rechnung ohne die Drachen gemacht. Als Ares von Zephyra gefangen genommen wird, zwingt sie ihn, den triganischen Sänger von Hades zurückzufordern. Der Herr der Unterwelt stimmt der Herausgabe des Triganers zu, doch er stellt Bedingungen. Ares bleibt nichts weiter übrig, als diese zähneknirschend anzunehmen und teuer zu bezahlen.

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Inhaltsverzeichnis

Wo ist Lars, der Triganer?

Das Drachenheer

Irren ist göttlich

Pferde stehlen

Ares‘ Sklavendienst

Neue Freunde

Auf die harte Tour

Streifzüge

Ungeahnte Wendungen

Ärger in der Menschenwelt

Erholsame Tage

Experimente

Alessa & der Wunsch nach Ruhe

Wer nicht hören will …

Glückliche Kinder

Nestwärme

Der Sängerwettstreit

Seher, Sänger, Gleichgesinnte

Weitere mehrbändige Romanreihen von Sina Blackwood

Impressum

Wo ist Lars, der Triganer?

Die Elfenzwillinge Freya und Iduna leben schon einige Monate mit ihren Gatten, dem Ost- und dem Südwind, auf Äolus’ Insel, die seitdem als uneinnehmbare Festung gilt. Ares, der finstere Kriegsgott, der schon mehrfach gegen den Aurëus-Clan und dessen Freunde den Kürzeren gezogen hat, sinnt noch immer auf Rache. Poseidon ist vorsichtig geworden, seit er am eigenen Leibe die Kräfte der Elfenweltbewohner zu spüren bekam. Er hält sich meilenweit von jeglichem Ärger fern. Ihn braucht Ares also gar nicht erst um Beistand zu fragen. Bei den anderen Olympiern beißt er ebenfalls auf Granit und so herrscht eine trügerische Ruhe.

Äolus und seine Söhne sind immer bestens informiert, weil ihnen jeder noch so leise Luftzug Kunde bringt, was in ihrer Welt passiert. Boreas, der Nordwind, Gatte der Elfenkönigin Viola, weiß über jeden Winkel der Elfenwelt Bescheid. Dank eines Wunschzaubers Galanthas, der Großmutter Violas, ist dieser Dimension ewiges Glück und damit ewiger Frieden beschert. Das heißt aber nicht, dass die Wächter dieser Welt, die Drachen, nachlässig werden, denn es gibt unzählige magische Tore, so auch im Wandelnden Turm, die alle tausend Jahre Wesen hierher bringen, die ihren Gastgebern nicht immer wohlgesonnen sind.

Die Elfenweltbewohner treffen sich mindestens ein Mal im Jahr mit allen Freunden und Verwandten am Nixensee, um eine ganze Woche lang zu feiern.

„Lars hat sich schon lange nicht mehr sehen lassen“, stellte Zephyra besorgt fest, als sie wieder ein gemeinsames Treffen abhielten.

„Stimmt!“, pflichtete Boreas bei. „Normalerweise verpasst er keine unserer Zusammenkünfte. Aber meine Brüder sind auch noch nicht da. Vielleicht bringen sie ihn mit. Sein fliegender Kürbis kann ja manchmal recht störrisch sein, wie wir alle wissen.“

Wenig später trafen Äolus, seine drei Söhne und die beiden Schwiegertöchter ein. Sie hatten den Weg übers Meer gewählt, den Triganer aber nicht gesehen.

„Jetzt mache ich mir auch Sorgen“, murmelte Äolus. „Lars hat schon beim Sängerwettstreit auf dem Olymp gefehlt. Hoffentlich steckt er nicht wieder in Schwierigkeiten.“

Marc horchte auf. „Gibt es dafür ernsthafte Gründe?“

„Weiß nicht“, druckste Äolus herum. „Ares war auch nicht da und der ist ebenfalls bis heute nicht wieder aufgetaucht.“

Galantha fasste nach Marcs Arm.

„Ich habe auch kein gutes Gefühl“, gab Boreas zu, worauf Viola heftig nickte. „Wir sollten aber erst einmal auf Triga nach ihm fragen.“

Viola nickte noch einmal. „Ja, du hast recht. Wir dürfen uns nicht selber verrückt machen.“

Bella, das junge Drachenweibchen, hatte die Unterhaltung der Erwachsenen mit angehört. „Wen schickt ihr nach Triga?“

„Jemanden, dem wir in jeder Lage voll vertrauen können“, erwiderte Viola. „Ich denke da an eine junge Drachendame, die pfiffig genug ist, an alle Informationen zu kommen, die flink genug ist, sich nicht schnappen zu lassen, wenn es brenzlig wird und die sich mit Zähnen, Klauen und Feuer verteidigen kann, wenn sie ihr Leben retten muss.“

„Du meinst ... du meinst ... ich ... ich darf diesen wichtigen Auftrag erfüllen?“, stotterte Bella ungläubig.

Boreas schmunzelte. „Genau das ist unser Plan.“

Das kleine viertägige Abenteuer sollte eine Belohnung für Bella sein, die sogar lesen und schreiben gelernt hatte. Länger brauchte man nicht, wenn man hin und zurück flog. Zudem war Triga eine der friedlichsten Dimensionen überhaupt.

„Dann sollte ich mich wohl sofort auf den Weg machen“, überlegte Bella laut, „damit ich wieder hier bin, wenn noch alle feiern.“

Pyron gab seiner Tochter ein paar nützliche Tipps, wo sie auf der Reise nach Triga Wasser und Nahrung finden konnte. „Verstecken brauchst du dich nicht, die Triganer sind sanfte Seelen und Raubtiere gibt es keine“, fügte er noch hinzu.

Alle schauten zu, wie der kleine rote Drache startete, eine Schleife überm See zog und dann in schnurgerader Richtung zu den Sumpfgebieten flog, wo eine Passage nach Triga versteckt war. Ruby wäre gern mitgeflogen, aber sie wusste, dass sie oft zu unbedacht reagierte und deshalb vergebens gebettelt hätte. Auch hatte sie einen gewaltigen Schreck bekommen, als Viola im Scherz davon sprach, vielleicht das Leben verteidigen zu müssen. Und das war nicht unbemerkt geblieben. Seufzend hockte sie da und hoffte, eines Tages mit ihrer Schwester zusammen Abenteuer bestehen zu dürfen. Aber bis dahin musste sie noch verdammt viel lernen.

„Gute Reise und viel Glück“, flüsterte Flecki, das Pferd dessen Mutter ein Einhorn, der Vater aber das ehemalige Streitwagenross des Ares war.

Und Blitz, der schwarze Hengst, der einmal dem Kriegsgott gehört hatte, schaute immer wieder in den Himmel, dahin wo das Drachenweibchen verschwunden war. Schließlich bemerkte Vulkanus das seltsame Verhalten des Rappen.

Er wandte sich an Silber, die Gefährtin von Blitz. „Was hat er nur die ganze Zeit?“

Silber scharrte mit einem Huf. „Diese Unruhe quält ihn schon seit Tagen. Ich kann nur nicht ergründen, was ihn so nervös macht. Er geht mir oft für Stunden aus dem Weg. Am Anfang hatte ich die Befürchtung, er mag mich nicht mehr. Aber so, wie er jetzt reagiert, muss etwas völlig anderes dahinterstecken.“

Vulkanus gab Pyron ein Zeichen, zu ihnen zu kommen.

„Wo brennt es denn?“, fragte Pyron, weil sowohl sein Bruder als auch Silber sehr ernst aussahen, obwohl alle anderen ausgelassen miteinander feierten.

„Schau dir Blitz an und sag uns, was du aus seinem Verhalten abliest“, bat Vulkanus.

Pyron brauchte nicht lange, um festzustellen, dass mit dem Rappen etwas nicht stimmte. Der stand wie eine Statue, schaute in den Himmel, hatte aber die Ohren angelegt und die Nüstern weit gebläht. „Ich habe die Vermutung, er würde Bella folgen, wenn er könnte. Ich will kein Drache sein, wenn er nicht irgendein Unheil spürt. Vielleicht ist der verschwundene Ares in der Nähe? Oder noch schlimmer! Vielleicht treibt der sein Unwesen auf Triga und Lars kann deswegen nicht kommen! Ich muss mit Viola und Boreas reden!“ Pyron sprang auf und eilte zum Königspaar hinüber.

Ein paar Sätze genügten, dann schwebte Viola zu Blitz, der heftig zusammenzuckte, als sie ihn ansprach. Dabei waren es genau die Worte, die er jetzt brauchte. „Du sorgst dich um Bella, stimmt das?“

Blitz nickte.

„Spürst du etwas Böses, das uns verborgen ist?“

Der Hengst schnaubte mit funkelnden Augen.

„Ist Ares in der Nähe?“

Blitz ging wiehernd auf die Hinterhand und gebärdete sich wie toll.

„Willst du zu ihm zurück?“, fragte Viola vorsichtig und bekam heftiges Schnauben und Kopfschütteln zur Antwort.

„Wenn du Bella helfen möchtest, dann halte ich dich nicht auf.“

Im selben Moment war der Platz leer, wo der Rappe gerade noch gestanden hatte. Das heißt, es hing eine Staubwolke in der Luft, die sich ganz langsam zerteilte. Viola, die der starke Sog des davongaloppierenden Hengstes einfach mitgerissen hatte, rappelte sich zutiefst erschreckt vom Boden auf.

Es war still geworden und Viola teilte den Feiernden mit, was Silber, Vulkanus und Pyron beobachtet hatten und wie Blitz auf ihre Fragen reagierte. Sein Schnauben und Aufbäumen hatten die meisten gesehen. Wie er davonstob nicht, denn dafür war jedes Auge zu langsam gewesen.

„Wollt ihr denn nicht jemanden zu Hilfe schicken, der zauberkundig ist?“, fragte Martha beunruhigt.

Boreas, Viola, Pyron und Zephyra schüttelten die Köpfe. „Nein. Bella ist so gewitzt, dass wir uns wenig sorgen müssen. Mit dem kampferfahrenen Blitz an ihrer Seite wird die Mission gelingen.“

Thomas überlief ein kalter Schauer. Der Angriff der Zwerge auf den Wandelnden Turm war nicht vergessen, nur verdrängt.

Pyron stupste den Freund mit der Nase an. „Bella kennt alle Geschichten über die Zwerge. Sie wird wissen, was zu tun ist, wenn wirklich Feinde auftauchen. Vergiss nicht, sie ist ein Drache. Zwar ein kleiner, aber sie beherrscht schon das Feuer.“

Über Thomas‘ Gesicht huschte ein Lächeln. Bella hatte in etwa die Größe eines ausgewachsenen Mammuts erreicht. Bis sie so groß wie ihre Mutter Zephyra sein werde, müssten schon noch ein paar Jahre vergehen. Aber sich mit einem fliegenden, feuerspeienden Mammut anzulegen, das noch dazu über scharfe Krallen und dolchartige Zähne verfügte, konnte in der Tat verheerende Folgen haben.

„Blitz würde für Bella selbst die Götter der Unterwelt ans Licht zerren“, verriet Silber. „Schließlich hat sie vor ein paar Jahren unseren Sohn vor den Brontornis gerettet. Wenn er von Bella spricht, dann nur voller Hochachtung.“

Vulkanus atmete tief durch. Seit sich ihm die junge Drachendame versprochen hatte, wachte auch er über ihr Wohlergehen. Wobei es ein Geben und Nehmen war, denn Bella machte es Freude, mit ihm ihre Jagdbeute zu teilen, die aus kleinerem, besonders schmackhaftem Wild bestand, das ein so riesiger Drache, wie die ausgewachsenen Männchen, gar nicht mehr jagen konnte. Wenn Bella einen Dachs herbei trug, war das für Vulkanus zwar nur ein Snack, aber eben ein besonders köstlicher, den er selber nie erwischt hätte. Und nun war Bella auf einer Mission, auf der die schrecklichsten Sachen passieren konnte, wäre der grausame Kriegsgott wirklich vor Ort. Vulkanus seufzte noch einmal.

„Wenn sie in fünf Tagen nicht wieder hier sind, dann fliegst du los und suchst sie“, hörte er in diesem Moment Boreas sagen.

„Ja, das werde ich tun. Bis dahin zähle ich die Stunden“, erklärte Vulkanus. „Du weißt ja, was mir die Kleine wirklich bedeutet. Aber ich weiß auch, warum niemand von uns eingreifen darf. Es ist wie der Flug übers Meer, den nur die stärksten und findigsten Drachen schaffen können.“

„Das ist richtig“, bestätigte Zephyra. „Wenn sie ein vollwertiger Wächter-Drache sein möchte, dann muss sie diese schier unmögliche Herausforderung meistern. Und ich bin sicher, dass sie es schaffen wird. Blitz hätten wir es nicht verwehren dürfen, zu Hilfe zu eilen. Es ist für ihn eine Sache der Ehre. Und falls sein ehemaliger Herr dahinter steckt, der einzige Punkt, an dem er auch ehrenvoll mit ihm abrechnen kann.“

„Ach, das weiß ich doch alles. Trotzdem mache ich mir Sorgen.“ Vulkanus seufzte zum dritten Mal.

Zephyros, der Westwind, der keine Aurëus-Elfe abbekommen hatte, machte sich innerlich bereit, mit Vulkanus zu fliegen, sollten die fünf Tage wirklich ohne Rückkehr von Bella und Blitz verstreichen. Es war wenig amüsant, das Glück der Brüder zu sehen und selbst allein zu sein. Immer wieder grübelte er, was ihn wohl nicht so attraktiv wie die anderen machte. Boreas, der immer als finster gegolten hatte, war der Glückliche gewesen, zuerst eine Traumfrau zu finden. Seine beiden als heiter geltenden Brüder hatten die Töchter Boreas‘ umgarnt. Was haben sie, was ich nicht habe?

„Du warst einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort“, hörte er eine Stimme und schaute überrascht auf. Vor ihm stand der Leithengst der Einhörner.

Zephyros lachte auf. „Wird das noch öfter vorkommen?“

„Ich fürchte ja.“ Das Einhorn schaute ihn mitfühlend an.

Der Westwind winkte ab. „Wenigstens bin ich jetzt gewarnt. Ich werde sicher nicht an gebrochenem Herz umkommen.“

„Das geht auch schlecht, wenn man unsterblich ist“, schmunzelte der Hengst. „Tröstet es dich ein bisschen, wenn ich dir verspreche, dass auch deine Zeit einmal kommen wird.“

„Du meinst, die Ewigkeit ist noch lang?“

„Ganz so dramatisch möchte ich es nicht ausdrücken“, wiegelte das Einhorn ab.

Zephyros streichelte das seidige Fell des Hengstes. „Ist schon gut. Ein wenig beruhigt es mich schon, nicht für alle Zeiten der Pechvogel der Familie zu sein.“

„Auch solltest du dich lieber fragen, was du hast, was die anderen nicht haben“, schlug das Einhorn vor.

„Ja, richtig! Ich bin zum Beispiel der Frühlingswind, der das Erwachen der Natur nach dem Winterschlaf begleitet“, strahlte Zephyros.

„Dann mach was draus!“, sagte das Einhorn, als es den Westwind verließ.

Und der grübelte, was der Hengst damit wohl genau hatte sagen wollen.

Bella war schon lange im Sumpfland angekommen und suchte nach der Passage. Über einem morastigen Tümpel war die Thermik besonders gut und so ließ sich der Jungdrache weiter hinauf tragen, um ein größeres Blickfeld zu haben. Erst, als das Steigen in der Luftsäule immer schneller wurde, ahnte sie, dass sie das geheime Tor gefunden hatte, und wartete einfach ab, wohin es sie bringen werde. Dabei war sie auf alles gefasst, denn die anderen hatten ihr von den wildesten Ritten in den Dimensionstunneln erzählt. Selbst die Tore in den Spiegeln der Elfenwelt konnten ganz schön ruppig werden und ihre Passanten ausspeien, dass diese irgendwie, bloß nicht auf den Beinen landeten, wie sie aus eigenem Erleben wusste. Als sie noch darüber nachsann, was es wohl für Möglichkeiten gäbe, erwischte sie ein eiskalter Luftstrom von oben, der sie aus der Flugbahn warf. Mit zwei schnellen Flügelschlägen brachte sie sich in neue Position, wodurch sie zugleich das Portal verließ. In der Nähe standen ein paar gigantische hohe Bäume mit kräftigen Ästen, die Bella nun als Lande- und Beobachtungsplatz wählte.

Komische Gegend, überlegte sie, weil außer dem leisen Rascheln der Blätter nichts zu hören war. Es schien hier weder Vögel noch Insekten, geschweige denn andere Tiere zu geben. Dabei hatte Pyron erzählt, dass am Portal reichlich Nahrung zu finden sei. Sie balancierte vorsichtig auf einen anderen Baum hinüber, von dem aus sie den kleinen See erspähte, den Pyron ebenfalls erwähnt hatte. „Na wenigstens gibt es Wasser und ich dürfte wirklich auf Triga sein“, murmelte sie, vom Ast hinabgleitend, „obwohl es hier derart kühl ist, dass mir ein gewisser Zweifel bleibt.“

Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, dass Lars oder die anderen jemals von Jahreszeiten auf Triga berichtet hätten. Es war ihr, als sollte auch hier ständiger Sommer herrschen. Am Ufer des Sees überzog sogar eine dünne Eisschicht den Sand. Das Wasser musste sich gerade in einer Auftauphase zu befinden, denn unzählige Fische standen fast unbeweglich auf der Stelle. Bella zog sich mühelos zwei besonders fette Exemplare an Land, die keinerlei Fluchtversuche unternahmen, wobei sie angestrengt nachdachte, was hier wohl geschehen sei. Drachen, die Eis speien konnten, wie ihre Mutter Zephyra, gab es auf Triga nicht.

Plötzlich kam ihr die Erleuchtung. „Zwerge!“ Erschrocken darüber, so laut gesprochen zu haben, hielt sie sich das Mäulchen zu, schaute sich prüfend um und zog sich rasch zwischen ein paar Sträucher zurück, die einen gewissen Sichtschutz boten.

Schön der Reihe nach, zwang sie sich selber zur Ruhe. Also verspeiste sie auch erst einmal den letzten Fisch, denn mit leerem Magen dachte es sich nicht so gut. Sie musste Lars finden, oder jemanden, der ihr über ihn Auskunft geben konnte. Wo suchen? Triga, so rekapitulierte sie, war halb so groß wie das Elfenland, hatte vier Siedlungen, die menschlichen Dörfern glichen, mit knapp 3000 Einwohnern insgesamt. Rund die Hälfte der Triganer wohnte in Jampura, dem Hauptdorf. Einige Höfe lagen irgendwo zwischen den Dörfern verstreut.

Bella hatte keine Ahnung, in welcher Himmelsrichtung die kleinen Orte überhaupt zu finden sein mochten. Also überlegte sie, wo sie sich niederlassen würde, wäre sie ein menschenähnliches Wesen. Nur gut, dass sie die Welt der Menschen schon einmal gesehen hatte! Menschen lebten meist in Häusern oder Hütten. Also musste sie bloß noch herum fliegen und diese suchen. Sie nahm sich vor, vom See aus in immer größer werdenden Spiralen zu kreisen, um möglichst rasch, möglichst viel überblicken zu können. Beschlossen – getan. Nach drei Stunden entdeckte Bella etwas, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Etwas, das wie eine schwarze Wolke aussah, die vom Boden aufstieg. Mit schnellen Schlägen ihrer roten Schwingen strebte sie dem Ziel entgegen und erschrak gewaltig, als sie sah, was da zum Himmel aufstieg. Es war der Qualm eines verheerenden Brandes, der gerade drei schilfgedeckte Häuser zu verschlingen drohte. Eines brannte lichterloh, die Dächer der beiden anderen schwelten bereits.

Wenn man kein Wasser hat, löscht man Brände am besten mit Sand, hatte ihr Boreas eingeschärft. Man muss dem Feuer die Nahrung entziehen. Wind facht Feuer an.

„Flügelschlag macht Wind“, murmelte Bella, rasch landend, um keinen zusätzlichen Schaden anzurichten. Dann grub sie mit allen vier Klauen und schaufelte Erde auf die Schwelbrände, ehe sie sich dem dritten Haus zuwandte. Sie löschte das Feuer und stellte fest, dass hier nichts mehr zu retten war. Was mochte nur mit den Bewohnern geschehen sein?

Bella klopfte an die Tür eines Hauses. Nichts rührte sich. Vorsichtig drückte sie die Klinke nieder und rief: „Hallo! Ist da jemand?“ Keine Antwort. Auch der andere Hof war verlassen. Sie steckte ihren Kopf, so weit es ging, in eines der Häuser und begann wie ein Hund zu schnüffeln. Nun wusste sie zumindest, wie die Triganer rochen, die hier wohnten. Draußen nahm sie Witterung auf und fand nach ein paar Schritten ein Stoffpüppchen, welches wohl ein Kind verloren hatte, als es mit seinen Eltern vor den Angreifern fliehen musste. Bella hob es auf, betrachtete es wehmütig, und wollte es schon hinter die Schwelle legen, als ihr ein ganz anderer Einfall kam. Sekunden später startete sie, die Puppe mitnehmend, um wieder, Spiralen fliegend, nach anderen Häusern zu suchen. Sie waren alle verlassen.

Gegen Abend meldeten sich Durst, Hunger und die Sorge, den nachtaktiven Zwergen in die Hände zu fallen, die in der Dunkelheit ihre Schlupflöcher in den Felsen verlassen würden, um mordend und plündernd durch Triga zu ziehen. Bella musste dringend einen sichern Platz finden. Am besten da, woher die Zwerge kommen würden. Denn dort suchten die garantiert nicht nach Fremden.

Nachdem sie an einem Weiher getrunken und mangels Fischen ein paar Frösche verspeist hatte, um den knurrenden Magen ein bisschen zu beruhigen, schwang sie sich zum höchsten Berggipfel auf, den sie finden konnte. Fast lautlos landete sie, indem sie ihre kräftigen Krallen in den rauen Fels schlug. Sie faltete die Schwingen eng um den Körper, schmiegte sich an das Gestein, um von Ferne wie ein Teil davon auszusehen.

Bloß nicht gleich einschlafen, dachte sie und lauschte in die Nacht. Der Wind frischte auf, hin und wieder rollte ein Stein den Hang hinab. Etwas drang an ihre Ohren, das ihr gar nicht gefiel – das Weinen eines Kindes und fast im gleichen Augenblick ein hämisches Lachen. Es wurde still. Dann ein Klatschen, wie von einem Schlag, ein verhaltenes Stöhnen und erneut das böse Gelächter.

Bella zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. Es war niemandem gedient, brachte sie sich selber in Gefahr. Sie musste zuerst herausfinden, was für finstere Spiele hier liefen, um angemessen reagieren zu können. Ein paar Meter unter ihr huschten plötzlich Gestalten über den Hang, die irgendetwas in den Händen hielten, das im Licht der Sterne funkelte. Wenn dies nicht die Eiswaffen der Zwerge waren, dann wollte sie nicht mehr Bella heißen!

Sie wartete, bis die Fremden im Wald verschwanden, dann stieg sie langsam dahin ab, wo der Eingang einer Höhle sein musste. Sie konnte deutlich riechen, dass Triganer in der Nähe waren, zudem hörte sie leises Wispern und immer wieder verhaltenes Schluchzen. Als Bellas riesiger Kopf am Eingang der Höhle erschien, begannen ein paar helle Stimmen zu wimmern.

„Ihr müsste keine Angst vor mir haben“, raunte der Jungdrache. „Ich will euch helfen.“ Er erschien in voller Größe und ließ ein Flämmchen in seinem Rachen züngeln, um besser sehen zu können.

„Ein Drache!“, staunte ein kleines Mädchen. „Ein richtiger, lebendiger Drache!“

„Ich bin Bella aus dem Elfenland.“ Sie kroch in die Höhle und schaute sich um. Aus blassen, verhärmten Gesichtern blickten sie Augen voller Hoffnung an. Drei Männer, drei Frauen und zwei kleine Kinder waren mit langen Ketten an die Wand der Grotte geschmiedet.

Bella schnüffelte das kleinere Mädchen an, das sich ängstlich an seine Mama klammerte. Sie kannte den Geruch. „Ich will dir nichts tun. Im Gegenteil. Ich glaube, ich habe etwas gefunden, das dir gehört. Es ist nur ein bisschen nass geworden, weil ich es sonst nicht hätte tragen können.“ Sie kramte das Stoffpüppchen hervor, das noch immer zwischen ihren Backenzähnen klemmte und hielt es der Kleinen entgegen.

„Aber das ist ja meine Puppe! Ist nicht schlimm, dass du sie nass gemacht hast. Die trocknet wieder. Du bist so lieb!“ Die Kleine vergaß völlig, dass sie sich gerade noch vor dem Riesentier gefürchtet hatte und streichelte die scharfe Kralle, die das Spielzeug hielt.

„Ich trage euch in Sicherheit“, versprach Bella den Verzweifelten.

„Wir können doch nicht weg!“ Ein Mann zeigte auf die Ketten.

Bella griff nach den Haken an den Wänden und riss jene, die die Kinder hielten, einfach aus dem Gestein.

Da regte sich etwas am Hang.

„Rette dich und meine Kinder“, bat die Mutter der Mädchen.

Bella musste eine Entscheidung treffen. Sie befreite die Frau, dann huschte sie mit ihr und den Kindern aus der Grotte. „Steigt auf meinen Rücken. Halte dich an meinen Hörnern, und bitte, bitte, auch die Kinder gut fest.“

Dann segelte sie im Gleitflug seitwärts den Hang entlang, um aus der Reichweite der Zwerge zu kommen. Die erspähten sofort, dass drei Gefangene fehlten. Nur ahnten sie nicht, dass die Übrigen nun ein wahres Drama aufführten. Die kauerten nämlich zusammengedrängt in einer Ecke und zitterten. Auf die Frage, was los gewesen sei, stammelten alle etwas von einer blutrünstigen Bestie durcheinander, welche die drei Leidensgefährten mit Haut, Haaren und sogar mitsamt der Ketten gefressen hätte. Die Zwerge glaubten schließlich daran, denn Bellas scharfe Krallen hatten tiefe Spuren im Boden der Grotte hinterlassen.

Draußen biss die kleine tapfere Drachendame die Zähne zusammen. Bisher hatte sie nur die federleichten Elfen getragen. Immer wieder musste sie eine kurze Pause einlegen, ehe sie sich mühsam erneut in die Lüfte erheben konnte.

„Lass uns hier und fliege fort, wir kommen schon zurecht“, sagte die Triganerin bei jeder Rast zu Bella, als sie erfuhr, es mit einem halbwüchsigen Drachen zu tun zu haben.

„Nein, ich lasse euch nicht im Stich. Ich bringe euch nach Hause, wie versprochen“, wiederholte Bella immer wieder und schleppte sich vorwärts.

Endlich tauchten die ersehnten Häuser auf und Bella hatte Mühe, nicht wie ein Stein vom Himmel zu fallen. Ächzend setzte sie genau im Garten auf und kippte einfach um. Sie schlief auf der Stelle ein. Nur gut, dass eine halbe Stunde später die Sonne aufging. Sie wäre Angreifern hilflos ausgeliefert gewesen.

„Rasch!“, flüsterte die Mutter den Kindern zu. „Sucht alle Früchte zusammen, die ihr im Garten finden könnt. Der Drache wird genau so großen Hunger haben wie wir, wenn er aufwacht.“

„Dürfen wir auf den Drachen aufpassen?“, bettelten die Mädchen, nachdem sie ihre Körbe abgestellt hatten, und kuschelten sich unter Bellas Flughaut, als sie die Erlaubnis der Mutter erhielten.

Nach vier Stunden wurde Bella munter. Hmm, es duftete nach Obst und Gemüse. Aber irgendwie konnte sie ihre rechte Schwinge nicht bewegen. Vorsichtig äugte sie nach der Ursache und musste lachen. Die beiden Mädchen schlummerten selig in ihre Flughaut gewickelt. Ganz verschlafen blinzelten sie in die Sonne, als Bella amüsiert vor sich hin gluckste.

„Guten Morgen, du lieber Drache!“, rief die jüngere Schwester und drückte Bella einen Kuss auf die Nasenspitze.

„Wir haben etwas zu Essen für dich gesammelt“, erzählte die andere, den Korb für sie auspackend.

Die Mutter stand in der Tür und schüttelte amüsiert den Kopf, weil die Schwestern nicht aufhören wollten, den roten Drachen zu streicheln. „Lasst Bella doch erst einmal in Ruhe essen. Ihr Panzer wird noch ganz dünn, vom vielen Anfassen.“

„Wirklich?“, flüsterte das größere Mädchen und zog erschreckt die Hände zurück.

Bella kicherte fröhlich. „Eigentlich mag ich es sehr, gekrault zu werden. Ich habe nur Angst, euch versehentlich zu beißen, wenn ich beim Essen bin. Dann sind nämlich die Finger gleich ab und ich merke es nicht mal.“

Die beiden Kleinen ließen von Bella ab und schauten nur mit riesengroßen Augen zu, wie ganze Kürbisse mit einem Biss zu Matsch wurden. Erst als der Drache mit den dolchartigen Klauen über seinen Bauch strich und zufrieden seufzte, rückten sie ihm wieder auf die Pelle. Auch die Mutter setzte sich dazu und begann zu erzählen, weil Bella 1000 Fragen hatte.

„Ja, ich kenne Lars, den fliegenden Poeten. Jeder kennt ihn. Er lebte in Jampura.“

„Lebte?“ Bella richtete sich auf.

„Er war der Erste, der in die Sklaverei entführt wurde ...“

„Was???“

Ein trauriges Nicken antwortete Bella.

„Ja, er war der Erste. Es geschah an jenem Tag, als er sich zum Olymp aufmachen wollte, um am jährlichen Sängerwettstreit teilzunehmen. Ganz Triga hatte sich in Jampura versammelt, denn Lars‘ Abreise wurde immer mit einem Volksfest gefeiert. Sein fliegender Kürbis war auf dem Marktplatz vertäut und Lars hielt gerade eine Abschiedsrede in lustigen Reimen, als der Himmel dunkel wurde, sich auftat und Ares‘ Streitwagen mit den schwarzen Rossen heraus raste. Der finstere Gott packte Lars an der Kehle, riss ihn in sein Gefährt und preschte davon. Ein paar mutige junge Männer sind dem rasenden Gott gefolgt, und haben gesehen, wie er den Sänger in eine Felsspalte warf.

Die Männer aus unserer Siedlung brachten den Fesselballon in Sicherheit. Irgendwie muss Ares davon erfahren haben. Er kam am nächsten Tag wieder und begann Jagd auf alle zu machen, die nicht bei drei verschwunden waren. Als er uns nicht erwischte, brachte er die Zwerge mit.“

Die Triganerin wischte eine Träne weg. „So, wie es aussieht, hat er den Ballon nun auch vernichtet. Er war nämlich in dem ausgebrannten Haus versteckt.“

„Wirklich?“ Bella spähte hinüber. „Da kommt mir doch eine Idee ...“ Sie sprang auf und lief zur Ruine.

„Bleib hier! Du könntest dich verletzen!“

„Ich halte was aus, ich bin ein Drache.“ Bella riss eine Wand der Ruine ein und begann, die verkohlten Dielenbretter hochzuheben, deren Unterseiten aussahen, als wäre nichts geschehen. Und sie fand, was sie suchte. In einer Ecke lag, fein säuberlich zusammengefaltet, der Ballon vergraben. Bella warf die Erde wieder darüber, legte das Dielenbrett an seinen Platz und schob mit dem Schwanz einen Haufen Schutt zusammen, um das Versteck zu sichern.

Mit breitem Grinsen kehrte sie zurück. „Als ich hier ankam, brannte das Haus noch. Ich habe das Feuer selber gelöscht und gut daran getan.“ Mehr sagte sie nicht, aber die Triganerin war sofort im Bilde und kraulte Bella dankbar zwischen den Hörnern.

„Und Ares, ist der noch auf Triga?“, fragte Bella.

„Alle paar Tage kommt er wieder und vernichtet, was die Zwerge stehen gelassen haben. Seine schwarzen ...“ Die Triganerin entfärbte sich jäh und stand kurz vor einer Ohnmacht, während sie mit ausgestrecktem Finger auf den Weg vor dem Haus zeigte.

In einer Staubwolke galoppierte ein großer rabenschwarzer Hengst genau auf sie zu. Die Kinder kreischten und rannten ins Haus, um sich zu verstecken. Bella sprang auf. Da überflog der Rappe auch schon mit einem weiten Satz den Zaun und stoppte genau vor ihr. Die Mutter der Mädchen presste sich mit dem Rücken an die Hauswand. Ein Wunder dass sie nicht darin verschwand.

„Blitz? Wie kommst du denn hierher?“, stammelte Bella, kaum glaubend, wen sie vor sich hatte.

Der Hengst tupfte Bella mit seiner weichen Nase an, steckte ihr den Kopf hinters Ohr und rieb ihn an ihrem Hals. Dabei schnaufte er vor Glück, die kleine Drachendame wohlbehalten gefunden zu haben.

„Sei vorsichtig, dass ist eines von Ares Pferden“, hauchte die Triganerin ängstlich.

Bella lachte und korrigierte. „War eines von seinen Pferden. Blitz lebt schon lange bei uns im Elfenland. Jetzt ist er gekommen, um mich zu suchen. Ich denke, gemeinsam werden wir Ares und seine gemeinen Zwerge ordentlich ärgern.“

Blitz legte seine Stirn an die von Bella, damit er sich mit der Drachenlady telepathisch unterhalten konnte. So erfuhr er, was sich in den letzten 24 Stunden ereignet und auch, was Bella alles erfahren hatte.

Ich bin so stolz auf dich, hörte sie ihn wispern. Wir beide fliegen heute noch zur Höhle im Berg und befreien die anderen Gefangenen. Auch wenn wir nur drei hierher tragen können, haben die anderen die Chance, sich bis morgen zu verstecken und bei Tage den Heimweg anzutreten.

„Du kannst hier fliegen?“, staunte Bella, weil Blitz bisher immer auf dem Boden geblieben war.

Oh ja! Besonders wenn Ares in der Nähe ist. Dann hebt mich schon der Zorn vom Boden. Er scharrte schnaubend mit den Hufen.

„Was habt ihr vor?“, fragte die Triganerin, die inzwischen begriffen hatte, dass von dem schwarzen Hengst tatsächlich keine Gefahr ausging.

„Es ist besser, wenn du es nicht weißt“, antwortete Bella. „Und jetzt müssen wir uns beeilen, ehe es dunkel wird. Verbergt euch vor den Zwergen, so gut ihr es vermögt, und drückt uns fest die Daumen.“

„Viel Glück“, hauchte die Frau, als sich Ross und Drache Seite an Seite in den Himmel schwangen.

Schweigend zogen die beiden Kampfgefährten ihre Bahn. Blitz verließ sich auf Bellas Gespür, die Grotte wiederzufinden. Diesmal landeten sie im letzten Tageslicht am Waldrand und warteten darauf, die Zwerge verschwinden zu sehen.

Es krochen auch bald welche aus der Höhle, aber Blitz hielt Bella zurück: Es sind noch mindestens zwei Zwerge drin.

„Halt mir den Rücken frei, sonst stehen wir morgen noch hier“, wisperte der Drache und huschte zum Eingang, wo er laut, „Ohhhhh, es riecht wieder so verführerisch nach Fleisch!“, rief, und hineinschlüpfte.

Die Triganer erkannten Bella sofort und spielten ihre Rolle perfekt. Sie begannen zu wimmern und zu schreien: „Das ist die Bestie, die die Kinder und ihre Mutter gefressen hat!“

Sofort blickte Bella in zwei kristallene Eiswaffen. „Spielzeug“, schnaufte sie verächtlich und spie eine Flammengarbe darauf, ehe einer der Zwerge auf den Abzug drücken konnte. Es knackte laut, dann explodierten die Kristalle. Bella griff sich die überraschten Zwerge und schlug sie mit den Köpfen zusammen. Wohl etwas heftiger, als eigentlich geplant, denn es knackte noch zwei Mal, dann lagen die Zwerge mit gebrochenem Genick tot auf dem Boden. Bella riss die Ketten aus den Ringen an der Wand und erklärte: „Eine Frau kann ich tragen, die zweite und ein Mann setzen sich sofort auf das Pferd vorm Eingang. Die anderen rennen, so schnell sie können, rechts den Berg hinab und sehen zu, dass sie bis zum Morgengrauen nicht erwischt werden. Wir kommen euch dann entgegen und bringen euch nach Hause. Los jetzt! Ehe die anderen Zwerge zurückkommen!“

In der Finsternis konnten die Triganer glücklicherweise nicht sehen, dass ein Ross des Ares vor der Grotte stand. So befolgten sie ganz brav den Befehl des Drachen. Die beiden kräftigsten Männer rannten um ihr Leben. Sie konnten gerade noch sehen, wie auch das Pferd vom Boden abhob, was sie doch höchst verwunderte. Und den beiden Reitern schlugen die Herzen bis zum Hals. Aber sie vertrauten dem Drachen, der sich stets an der Seite des Pferdes hielt. Außer dem Rauschen der Drachenschwingen fiel kein Laut und nach zwei Stunden Flug setzten die Retter zur Landung an, weil Bella verschnaufen musste. Auch hier gab Bella nur mit den Klauen Zeichen, als sie zum Weiterflug bereit war.

Die Mutter der Mädchen hatte die ganze Zeit aus einem sicheren Versteck heraus den Hof beobachtet und die Landung der beiden ungleichen Retter sofort bemerkt. Sie dankte ihnen flüsternd und lotste die Neuankömmlinge in Sicherheit. Der Rappe und der Drache machten sich sofort wieder davon, um ebenfalls einen Platz zu finden, wo sie gefahrlos bis zum Morgen abwarten konnten.

Schlaf ein wenig, ich werde wachen, schlug Blitz vor, worauf sich Bella auf der Stelle zusammenrollte und einschlummerte. Blitz betrachtete die kleine Drachendame mit geradezu liebevollem Blick. Er hatte deutlich gespürt, wie Bella innerlich erzitterte, als man ihr die tödlichen Waffen unter die Nase hielt. Er hatte aber auch gemerkt, dass Bella sofort erkannte, wie man die Eiswaffen unschädlich machen konnte. Zudem wollte sie ihrem Ruf als blutrünstige Bestie gerecht werden. Und die fürchten sich nun mal nicht.

Bella schreckte hoch, sie hatte Wolfsgeheul vernommen und geträumt, ein Eispfeil habe sie getroffen. Blitz tupfte ihr das weiche Maul an die Wange. Alles ist gut, kleiner Drache. Bella nickte wieder ein. Dass die Wolfsreiter zum Greifen nah gewesen waren, würde er ihr erst bei Tage erzählen.

Kaum lugten die ersten Sonnenstrahlen aus den Wolken, war auch Bella wieder hellwach und flog mit Blitz zu den Häusern hinüber. Auf dem Hof standen ein großer Korb mit Früchten und zwei Eimer mit kristallklarem Wasser. Bella und Blitz teilten sich die Früchte, wobei Blitz darauf achtete, dass die junge Drachendame auch wirklich satt wurde. Das laute Knuspern beim gemächlichen Fressen lockte die Triganer hervor. Besonders die Kinder freuten sich, Bella wiederzusehen. Blitz betrachteten sie auch weiterhin sehr ängstlich, genau wie die Erwachsenen, die erst jetzt wirklich begriffen, wer sie hierher getragen hatte.

Eigentlich wollte Blitz allein die beiden fehlenden Triganer suchen und Bella eine Pause gönnen. Als ehemaliges Ross des Ares hätte er aber ganz schlechte Karten gehabt. Sie wären ganz bestimmt nicht aus ihrem Versteck gekommen. So zogen sie wieder gemeinsam los, in der Hoffnung, die beiden wohlbehalten aufzufinden. Nach fast drei Stunden Suche fanden sie die Männer auch. Weit waren sie nicht gekommen, konnten aber von ganzen Horden von Zwergen berichten, die durch die Nacht gezogen waren, um die Entflohenen wieder einzufangen. Bella pflückte die Männer quasi aus der dicht belaubten Krone eines riesigen Baumes, den sie zwar irgendwie erklommen hatten, aber aus eigener Kraft nicht mehr verlassen konnten. Sie setzte die beiden auf Geheiß von Blitz auf dessen Rücken und folgte ihm recht zufrieden ohne Last.

„Jetzt seid ihr zwar alle frei, aber wir haben immer noch kein Lebenszeichen von Lars“, sagte Bella traurig. „Und wir wissen, dass wir ihn nicht zu zweit befreien können. Denn spätestens seit gestern Nacht, wird Ares informiert sein und sich rächen wollen.“

Dann solltest du in die Elfenwelt fliegen, und Hilfe holen, schlug Blitz vor. Ich bleibe hier und beschütze die Triganer, so gut ich es vermag. Begib dich am besten sofort auf den Weg.

Bella nickte und teilte den anderen mit, was Blitz gesagt hatte. Wenig später war sie bereits in der Luft und eilte mit schnellen Flügelschlägen dahin, um das geheime Tor zu finden, bevor die Sonne unterging.

Das Drachenheer

In der Elfenwelt flogen Pyron und Vulkanus gerade eine gemeinsame Patrouillerunde, als etwas Großes wie aus dem Nichts genau vor ihnen auftauchte, und sie fast vom Himmel fegte.

„Oh, hab ich wohl ein neues Tor entdeckt“, hörten sie es kichern und rissen erstaunt die Augen auf.

„Bella!“, riefen beide, worauf die kleine Dame breit grinsend im Rüttelflug in der Luft stehen blieb. „Jawohl, in einem Stück und in voller Lebensgröße.“

„Hast du Blitz getroffen?“, fragte Pyron.

„Muss das nicht heißen: Hat dich der Blitz getroffen?“, lachte sie fröhlich. „Doch, doch, wir haben uns getroffen. Kommt rasch mit, was ich zu sagen habe, müssen alle hören!“ Sie drehte bei und ließ sich im Sturzflug Richtung Festplatz am See fallen.

Als die Freudenbezeugungen über ihre Rückkehr etwas abebbten, bat sie um Ruhe und begann mit einem Satz, der alle elektrisierte: „Auf Triga herrscht Krieg!“ Dann erzählte sie fast eine Stunde lang, was in den vergangenen drei Tagen geschehen war und dass Blitz bei den Triganern geblieben war, um sie vor neuem Bösem zu bewahren. „Wir brauchen Hilfe, um Lars und ganz Triga zu retten!“, rief sie und schaute bittend in die Runde.

„Die sollt ihr bekommen“, erwiderte Viola. „Wir stellen das beste Heer auf, das wir im Elfenland haben.“

Bella schaute zu den großen Drachen auf und Viola nickte. „Ja, kleine Lady, alle Drachen werden gemeinsam in den Kampf ziehen.“

„Alle Drachen?“, fragte Ruby zaghaft.

„Alle!“, bestätigte Viola. „Du wirst die Aufgabe haben, die Ruine mit dem fliegenden Kürbis zu bewachen.“

Bella atmete dankbar auf. Ruby wäre in einem ernsthaften Kampf nicht findig genug gewesen. Aber auch bei dieser leicht erscheinenden Aufgabe, konnten Feinde nahen, die es in die Flucht zu schlagen galt.

„Auf in die Schlacht, kleine Feldherrin!“, rief Pyron. „Wir folgen dir!“

Nacheinander stiegen die Riesen in den klaren blauen Himmel und zogen in langer Reihe hinter Bella her. Zuerst die Weibchen, dann die Männchen. Pyron fungierte als Schlusslicht, um alle im Auge behalten zu können.

Äolus rieb sich die Hände. „Ich denke, diesmal kriegt Ares richtig die Jacke voll. Dass ich sowas mal erleben würde, unglaublich! Ihr habt doch hoffentlich nichts dagegen, wenn wir ein bisschen mitmischen?“

„Ganz bestimmt nicht“, schmunzelte Viola. „Boreas macht sich soeben kampfbereit. Ein bisschen Aufwind für die Drachen und ein bisschen Gegenwind für Ares und die Zwerge sollten schon sein.“

Aurëus nickte amüsiert. „Und falls irgendeiner anzweifelt, dass Bella eine vollwertige Wächterin ist, den lege ich eigenhändig übers Knie und bläue ihm die Antwort ein.“

Marc stupste ihn mit dem Ellenbogen an. „Hättest du jemals gedacht, dass die Drachen des Aurëus-Clans als Heer ausziehen, um eine fremde Welt zu retten?“

„Weder das noch, dass sie von einem halbwüchsigen Weibchen in die Schlacht geführt werden“, gab Aurëus zu. „Ich bin mächtig stolz auf unsere Bella.“

Und die hatte inzwischen das Tor wiedergefunden und ließ sich von der Luftsäule nach oben tragen. Magmatus half am Ausgang Ruby, die zwischen Zephyra und ihm flog, in der Luft zu bleiben, als der scharfe Gegenstrom einsetzte. Als alle Triga erreicht hatten, führte Bella den Trupp geradenwegs dahin, wo ein freudiges Wiehern ertönte.

Bella war noch dabei, den Triganern alle Drachen namentlich vorzustellen, als die Windmänner erschienen. Blitz tänzelte aufgeregt. Mit so viel Unterstützung sollte es gelingen, das kleine Volk zu befreien, Lars zu retten und Ares eine Lektion zu erteilen, die der garantiert nie mehr vergessen werde.

Mit Hilfe der Triganer zeichnete Boreas eine Karte des kleinen Landes auf den Boden, markierte die wenigen Orte, den Verlauf der Bergketten und die bekannten Schlupflöcher der Zwerge. Blitz und Bella fügten Wasserläufe und Teiche hinzu.

„Es ist zu erwarten, dass in allen Felsspalten und Grotten Sklaven gehalten werden, die für die Zwerge unter Tage Erz schürfen müssen“, bemerkte einer der Triganer.

„Das herauszufinden, ist unsere Aufgabe“, erklärte Boreas. „Und zwar vorrangig. Wir werden noch in der nächsten Stunde ausfliegen und jeden Quadratmeter der Berge unter die Lupe nehmen.

Bella nickte. „Wir werden nichts unternehmen, bis ihr wieder da seid, es sei denn, man griffe uns an. Wir werden bis dahin auch auf dem Boden bleiben, um nicht gesehen zu werden.“

„Weise Worte kleiner Drache“, lobte Boreas.

Ein paar Minuten später tanzten fünf Staubteufel aus dem Hof und im nächsten Moment rauschten die Wälder, weil die Winde kräftig Tempo machten. Die Drachen ruhten inzwischen aus. Bella und Ruby genossen es, von den beiden kleinen Mädchen gekrault zu werden. An die großen Drachen, wie auch an Blitz, traute sich niemand ganz nahe heran.

Mit Einbruch der Dunkelheit waren die Winde wieder da und berichteten von drei Höhlen, in denen mehrere hundert Triganer zusammengepfercht dahinvegetierten.

„Es sind viele Kinder darunter, die besonders leiden“, klagte Euros an. „Ich habe gesehen, wie die Zwerge einen Mann mit der Kristallwaffe berührt haben, weil er zu schwach zum Arbeiten war. Er erstarrte im Bruchteil eines Wimpernschlags zu Eis.“

„Wir müssen die Zwerge herauslocken“, überlegte Bella laut. „Aber so, dass der Lockvogel nicht auch vereist wird. Sieht aus, als müsste ich das tun. Ihr Großen seid doch hervorragende Zielscheiben.“