Die Drachenhexe (Band 3): Gift und Lüge - J. K. Bloom - E-Book

Die Drachenhexe (Band 3): Gift und Lüge E-Book

J. K. Bloom

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Beschreibung

Wenn das Ende naht und die Finsternis dunkler als der größte Schatten ist … Freyja setzt alles daran, Menam in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Doch als weiße Federn auf die Erde fallen, sind dies die Vorboten einer Dunkelheit, die erneut das Land vergiftet. Alles scheint sich zu wiederholen und die Welt droht abermals ins Chaos zu stürzen. Die Fäden des Schicksals sind jedoch längst gesponnen und es grenzt ans Unmögliche, zwischen all der Schwärze den richtigen Weg zu finden – selbst für eine ehemalige Drachenhexe.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte

Was bisher geschah …

Die Wiederherstellung

Der dunkle Engel

Die Sehnsucht einer Frau

Die Nebelbarriere

Die Ankunft der Engel

Ein Handel mit dem Teufel

Einsicht

Unter meinesgleichen

Finstere Schatten

Porta inferna

Dunkle Vereinbarung

Der Kuss des Dämons

Die Angst vor dem Ertrinken

Der unerwünschte Besuch

Im Namen des Lichts

Das Kind der Finsternis

Die Ruhe vor dem Sturm

Elohim

Der König des Eises

Vorbereitungen

Die Geburt

Der Anfang vom Ende

Der Befehl

Der Halbblutbruder

Ich bin ein Gott

Das Ass im Ärmel

Mutter und Tochter

Den richtigen Weg wählen

Der große Plan

Am Abgrund der Hölle

Das Überwesen Elohim

Worte des Herzens

Der Tag der Wiederauferstehung

Aufbruch

Die Wahrheit über Bestia zero dall’inferno

Onkel und Nichte

Drachenmutter

Rote Ketten

Der richtige Augenblick

Luzifers Ruf

Die Träne der Engel

Die Erdenmutter

Das Ende

Trugbild

Eine Erinnerung bleiben

Die unantastbare Seele

Nachwort

J. K. Bloom

 

 

Die

Drachenhexe

 

Band 3: Gift und Lüge

 

 

Fantasy

 

Die Drachenhexe (Band 3): Gift und Lüge

Wenn das Ende naht und die Finsternis dunkler als der größte Schatten ist …

 

Freyja setzt alles daran, Menam in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Doch als weiße Federn auf die Erde fallen, sind dies die Vorboten einer Dunkelheit, die erneut das Land vergiftet. Alles scheint sich zu wiederholen und die Welt droht abermals ins Chaos zu stürzen. Die Fäden des Schicksals sind jedoch längst gesponnen und es grenzt ans Unmögliche, zwischen all der Schwärze den richtigen Weg zu finden – selbst für eine ehemalige Drachenhexe.

 

 

Die Autorin

J. K. Bloom schreibt schon, seit sie elf Jahre alt ist. Das Erschaffen neuer Welten ist ihre Leidenschaft, seitdem sie das erste Mal ein Gefühl für ihre Geschichten bekam. Sie ist selbst abenteuerlustig und reist sehr gern. Wenn sie ihre Nase nicht gerade zwischen die Seiten eines Buches steckt, schreibt sie, beschäftigt sich mit ihren zwei Katzen oder plant schon die nächste Reise an einen unbekannten Ort.

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Mai 2022

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2022

Umschlaggestaltung: Jaqueline Kropmanns

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-243-4

ISBN (epub): 978-3-03896-244-1

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für meine Hexenliebhaber.

Danke, dass ihr euch gemeinsam

mit mir in die Dunkelheit gewagt habt.

 

 

Was bisher geschah …

 

Prinzessin Freyja, die von der alten Hexe Ravaga verflucht wurde, unterjochte ein ganzes Land. Durch die Dunkelheit, die sie über Menam brachte, zwang sie den Himmel zum Handeln, der einen Halbengel in die Welt setzte.

Lucien, der von den übrigen vier Ländern dazu auserkoren wurde, die Menschen von der Hexe zu befreien, wuchs im Schloss von Greystone auf, in dem er sowohl die Belehrung seiner Ziehmutter Anna als auch den Schutz des Königs Loucas genoss.

Als er bereit war, der Hexe entgegenzutreten, machte er sich auf den Weg in ihr finsteres Reich, in dem er sie bezwingen wollte. Freyjas und Luciens Begegnung hielt indes eine schicksalhafte Wendung bereit. Ein Licht rettete sie vor dem Tod und ließ Lucien in die Traumwelt eintreten, in der er der Prinzessin Freyja begegnete – dem guten Teil ihrer Seele. Dort wurde Lucien klar, dass es für die gefürchtete Drachenhexe noch Hoffnung gab, und er erhielt einen bedeutsamen Ring.

Als Lucien es nicht übers Herz brachte, sie zu töten, schaffte er sie aus ihrem eigenen Land und überreichte damit der Hexe Ravaga die Macht, die einst Freyja gehört hatte.

Widerwillig beschlossen Lucien und Freyja zusammenzuarbeiten, um den Schatten der ewigen Nacht zu entgehen.

Im Orden Alexandrias stellte Freyja Lucien auf eine harte Probe. Sie versuchte ihn in jeder freien Sekunde zur Weißglut zu bringen. Doch je mehr sich die Prinzessin in Lucien verliebte, desto stärker begann die Fassade der Drachenhexe zu bröckeln.

Erst durch die Gefangennahme einer Verbrecherbande namens Roter Korn, dessen Anführer Valerius Ian Terrgon war, zerbrach das Siegel, welches Freyjas Seele gespalten hatte, endgültig. Sie fügte sich langsam zusammen, sodass Freyja wieder ein Mensch mit Gefühlen wurde.

Die Rückkehr ihrer Emotionen brachte auch ein Chaos mit sich, gegen welches sie ankämpfen musste.

Freyjas Freundin Nara, die weiße Hexe eines einfachen Bauerndorfes, gab ihnen den Hinweis, wo sich Ravagas Versteck befinden könnte. Daraufhin beschlossen Freyja und Lucien mit Erlaubnis des Großmeisters Cartis, der gemeinsam mit dem Rat den Magierorden Alexandria leitete, aufzubrechen und Ravaga ein Ende zu bereiten.

Doch statt zu siegen, tappten sie in eine Falle, und Lucien wurde durch ein Portal gesogen. In ihrer Verzweiflung steckte Freyja den Ring an ihren Finger, den ihr Lucien vor dem Aufbruch gegeben hatte.

Es stellte sich heraus, dass sie durch das Schmuckstück ihre ursprüngliche Kraft zurückerhielt und mit der Macht ihres eisernen Willens Luciens Standort ausfindig machen konnte.

Dort angekommen stellte sie sich dem Heer des Roten Kornes, das dabei zusehen wollte, wie ihr Vater Valerius und seine Gefährtin, die niemand anderes war als Freyjas leibliche Mutter Tivana – und Erzdämonin Lilith – Lucien das Herz aus der Brust rissen.

Freyja konnte das Schlimmste verhindern, allerdings war sie machtlos gegen die Heimtücke Ravagas, die sich im letzten Moment von Lucien töten ließ. Der Schatten-und-Licht-Fluch ging auf ihn über, wodurch die Finsternis von ihm Besitz ergriff.

Tivana, die auch als ehemalige Königin von Menam bekannt war, hatte sich während all der Zeit für eine Untote namens Zett ausgegeben und Lucien damit hinters Licht geführt. Sie hatte ihm ein Wasser gegeben, welches angeblich aus der Heiligen Quelle stamme und das die Übertragung von Ravagas Finsternis verhindern könne. Es war jedoch eine Fälschung.

Tivana und Valerius flohen, und Freyja brachte Lucien zum Orden.

Um ihrem Land zu neuer Blüte zu verhelfen, tat sie sich in ihrem Schloss mit einem Fremden namens Zero zusammen, dessen Aura ihr verdächtig erschien.

Er besaß sowohl schwarze als auch weiße Magie, wollte Freyja allerdings nie verraten, was er wirklich war.

Währenddessen kehrte Lucien zurück nach Greystone, um seinem König zu berichten, was geschehen war. Doch obwohl Loucas der Siebte nicht erfreut über die Wendung zu sein schien, stellte er den Engel als Helden dar.

Lucien kämpfte gegen die Dunkelheit in sich an, wobei ihm der Druck des Volkes und die Distanz zu Freyja schwer zusetzten. Schließlich ließ er sich auf die Finsternis ein und wurde langsam zu einem bösartigen Wesen.

Freyja und Zero beschlossen, die Natur um Hilfe zu bitten. Mit einem Ritual beförderte Freyja sich in eine Zwischenwelt, in der die Toten lebten und deren Seelen noch auf Erden wandelten. Die Erdenmutter überreichte ihr einen Schlüssel, mit dem Freyja jedoch nichts anzufangen wusste.

Mit der weißen Magie namens ›Wiederherstellung‹ konnte sie ihr Schloss und dem kahlen Land neue Farben schenken.

Freyja erfuhr von Zero, dass Lucien sich aufgemacht hatte, um sie zu besuchen. Allerdings war sie wegen des Rituals nicht zu Hause gewesen, worüber sie sich ärgerte, denn sie hielt weiterhin an dem Vorhaben fest, Lucien von der Dunkelheit zu befreien.

Nachdem Lucien zur Finsternis übergegangen war, ließ er sich auf eine Herzogstochter namens Katharina Ashana Grimaldi ein, die er heiratete. Er empfand zwar keine Liebe, aber eine tiefe Leidenschaft.

Schließlich kam er dahinter, dass er die ganze Zeit über an der Nase herumgeführt worden war, denn König Loucas entpuppte sich als Valerius und Katharina als die Erzdämonin Lilith. Den echten König hatten die beiden noch vor der Rückkehr Luciens getötet.

Da Lilith sich von den Fesseln ihres Beschwörers Valerius befreien wollte, überredete sie Lucien dazu, ihr beizustehen und den unsterblichen Magier mit einer besonderen Waffe zu töten.

Lilith erkannte in Lucien Potenzial und schloss sich ihm an.

Zur selben Zeit machten sich Freyja und Zero zur Dracheninsel auf, da sie das Siegel des Dämons, welcher in Zero wohnte, verstärken wollten. Dort angekommen, erfuhr Freyja die Wahrheit über ihren Gefährten, der das Opfer eines Experimentes war. Sein wahrer Name lautete Avery Rowell, und seine Familie wurde von den Peinigern umgebracht, die ihm das Herz des Erzdämons Beelzebub einverleibt hatten.

Trotz aller Widerstände wollte Zero an Freyjas Seite bleiben und mit ihr gemeinsam Menam aufbauen.

Die Wiederherstellung

Freyja

 

Meine Hände zitterten. Kälte bahnte sich einen Weg in meine erschöpften Glieder, und mit jedem Augenblick, der verging, kam ich der Ohnmacht näher.

Schweißperlen rannen meine Schläfen hinab, während ich mit Mühe den Arm nach vorne streckte und nicht daran dachte, nachzugeben.

Gleich ist es geschafft. Nur noch ein bisschen.

Schwindel überkam mich und die Beine drohten zusammenzubrechen. Keuchend wehrte ich mich innerlich gegen meinen schwachen Körper, verlangte von ihm, mir zu gehorchen und nicht zu kapitulieren.

Mit einem kleinen Siegeslächeln auf den Lippen sah ich der Magie dabei zu, wie sie Stein um Stein, Riss um Riss, Faser um Faser die Gegenstände zu dem zurückbildete, was sie einst gewesen waren. Möbel rückten an ihren Platz, morsches Holz festigte sich zu neuen Stützen, die Löcher in den Wänden verschwanden, und mit jeder Sekunde erhielt der Raum seine ursprüngliche Gestalt mehr zurück.

Mit der Wiederherstellung hatte ich es innerhalb weniger Tage geschafft, dass Schloss bis auf den letzten Ziegel in seinem alten Glanz erstrahlen zu lassen. Es war hart, aber dank Zero und meinem Ehrgeiz gelang es mir.

Ich stöhnte erschöpft, ließ mich auf die Knie fallen und fing mich schwer atmend mit den Armen ab.

Für einen kurzen Moment hatte ich geglaubt, alles abbrechen zu müssen, doch mein Wille war stärker.

›Du bist geschwächt‹, ertönte die dunkle Stimme meines Drachen im Kopf.

Seine Sorge rührte mich, hinderte mich allerdings nicht daran, die Magie weiterhin zu benutzen. Denn Noron war anfangs gegen dieses Vorhaben gewesen. Er sagte, dass das Schloss keine Priorität habe, wobei ich anderer Meinung war.

Nur mit sicheren, ansehnlichen Hallen konnten wir meinen Vater zurück auf den Thron setzen, auch wenn dieser Plan Zweifel in mir säte.

Vor wenigen Tagen noch hatte er in den Gewölben satanische Symbole an die Wände gemalt und den Teufel angebetet. Niemand konnte mir sagen, ob er besessen war oder ihn etwas anderes heimsuchte. Etwas beraubte ihn seiner Sinne, was keine guten Voraussetzungen für eine Krone waren.

Sogar Zero, der mehr Bücher als sonst jemand gelesen hatte, wusste keinen Rat, und das sollte schon etwas heißen.

Es dauerte eine Weile, bis ich die Kraft aufbrachte, auf den Beinen zu stehen. Meine Muskeln zitterten weiterhin, aber ich konnte mich so weit halten, dass ich nicht wieder zusammensackte.

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und ging mit unsicheren Schritten nach draußen auf den Korridor. Stolz auf mein Werk betrachtete ich die wiederhergestellten Flure, den roten, edlen Teppich, die Tapeten, an deren Ränder sich goldene Ornamente entlangschlängelten. Braune Mosaikfliesen verliehen dem Ort etwas Königliches.

Das war es wert.

Bevor mich die anderen in diesem schwachen Zustand zu sehen bekämen, sog ich mehrmals Luft in meine Lunge und versuchte alles aus mir zu schöpfen, was mein Körper aufbringen konnte. Ich zeigte nicht gerne Schwäche vor anderen, ganz besonders nicht vor Zero, der mir immer wieder bewies, dass er mir – zugegeben – überlegen war.

Als ich den Thronsaal erreichte, war ich froh darum, niemandem begegnet zu sein. Mein Blick fiel auf den vergoldeten Thron, dessen Verzierungen und rote Polster beeindruckend wirkten. Seit ich ihn wiederhergestellt hatte, traute ich mich nicht einmal, den Gedanken in Erwägung zu ziehen, mich darauf niederzulassen.

Eine Krone stand mir nicht zu. Nicht, ehe ich meine Sünden reingewaschen hatte – falls das überhaupt jemals möglich war.

Ich ging auf den mächtigen Stuhl zu und ließ meine Fingerspitzen über die aus dunklem Holz geschnitzten Lehnen gleiten.

In den letzten Wochen war so viel geschehen.

Die Erinnerungen strömten wie ein Orkan auf mich ein. Obwohl ich mir geschworen hatte, sie auszublenden, um meine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren, ließ ich es zu.

Einst saß ich auf diesem Thron und regierte als grauenvolles Monster über ein Land, das ich in Schattentod umbenannte. Wegen der ewigen Nacht verkam die Natur, die Menschen wurden von meinen Schatten verschlungen oder selbst zu kleinen Kreaturen des Wahnsinns. Ich weidete mich an ihrem Leid und genoss es zu herrschen.

Erst Lucien führte die Prinzessin und damit den guten Teil meiner Seele mit dem dunklen wieder zusammen. Durch seine Tat kehrten Mitgefühl und Glück zu mir zurück.

Ich schloss die Lider. Innerlicher Schmerz überrollte mich.

Lucien.

Er war es, der mich lieben lernte. Der mir das Gefühl gab, nicht allein zu sein, und mir half, in all den Schatten Licht zu erkennen. Er war die Hand, nach der ich gegriffen hatte, um nicht vollends der Finsternis zu verfallen.

Und was tat ich?

Ich ließ ihn im Stich. Meinen geliebten Engel, der mit vollem Herzen an das Gute glaubte.

Nach dem Kampf auf dem Heiligen Berg musste ich eine Entscheidung fällen, da ich nicht die Kraft besaß, beide Schicksale vor dem Untergang zu bewahren.

Schließlich funkte mir Zero dazwischen, der das Herz eines mächtigen Dämons in seiner Brust trug. Beelzebub.

Allein sein Name jagte mir einen Schauer über den Rücken.

Mit einem Ritual konnten wir seine Macht in Zeros Körper einsperren und schwächen, allerdings war die Gefahr um seine Kräfte noch längst nicht gebannt. Der Dämon besaß die Stärke, sich jederzeit aus seinem Gefängnis zu befreien, wenn Zero nicht aufpasste und die Kontrolle über seinen Zorn verlor.

Während dieser Zeit verlor ich meinen Engel an die Finsternis. Gleich nachdem wir die Siegel auf Zeros Brust gesetzt hatten, wollte ich mich nach Greystone aufmachen, um Lucien aufzusuchen, doch Zero und Noron hielten mich davon ab.

Ich besaß noch immer keine Lösung für den Fluch, was mich rasend machte. Denn sich unüberlegt in ein aussichtsloses Gefecht zu stürzen, das möglicherweise sogar einen Krieg zwischen den Ländern auslösen würde, wäre sinnlos.

Also gab ich mich geschlagen.

Und nun stand ich hier. Von Selbsthass und Enttäuschung erfüllt.

»Es ist nur ein bedeutungsloser Stuhl, der dich mächtig fühlen lässt«, hörte ich plötzlich eine Stimme an den Wänden widerhallen. Diese Worte hatte er schon einmal zu mir gesagt, als wir beide uns das erste Mal begegnet waren.

Mit einem matten Lächeln wandte ich mich Zero zu. »Ja, auf den ersten Blick ist er das, aber wenn man darauf sitzt …« Ich schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Es gebührt meinem Vater, darauf Platz zu nehmen.«

Zeros zuvor verschränkte Arme fielen neben seinen Körper. Das Lächeln verging ihm und er schritt auf mich zu. »Es ist wegen ihm, oder?«

Unsere Blicke trafen sich. Sein silberweißes Haar glänzte im Schein der Sonne wie angestrahlter Magnesit. Ich öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, doch da wurde mir klar, dass er recht hatte.

Es war wegen Lucien.

Ich ertrug den Gedanken nicht, ihn womöglich endgültig an die Finsternis verloren und damit eine der schlimmsten Sünden begangen zu haben. Denn was war unverzeihlicher, als den Mann, den ich liebte, im Stich zu lassen?

Zero hielt neben mir inne und legte eine Hand tröstend auf meine Schulter. Ich schaute hinunter und erkannte die dunkelroten Symbole auf seinem Handrücken, die ihm jemand durch ein Blutritual eingebrannt hatte.

Seit mir Zero zugesagt hatte, dass er nun bei mir blieb, um mich zu unterstützen, waren wir vertrauter miteinander. Er zog sich keine Handschuhe mehr über, um die Narben seiner Vergangenheit zu verstecken, sondern offenbarte sie, weil er sich an diesem Ort aufgehoben fühlte.

Hier, bei der weißen Hexe Nara, der kleinen Zofe Marielle, meinem Drachen Noron, meinem Vater und mir.

Und ich war unendlich froh, dass er sich dazu entschieden hatte, denn ohne Zero hätte ich das Schloss niemals in so kurzer Zeit wiederherstellen können.

Außerdem verband uns etwas. Grauen. Tod. Verderben und die Hölle.

Wir wussten, was Schmerz bedeutete, wie sich wahre Dunkelheit anfühlte und wie man mit ihr umzugehen hatte. Wir kämpften gegen die Mächte der Finsternis an und gewannen.

Zero, in dessen Brust das Herz eines Erzdämons schlug.

Ich, in deren Adern das Blut der Erzdämonin Lilith floss.

»Ruh dich für heute aus«, durchbrach er die entstandene Stille, in der er auf eine Antwort von mir gewartet hatte. »Ich studiere noch ein paar der Symbole, die dein Vater an die Wand gemalt hat. Vielleicht finden wir so heraus, wer ihn kontrolliert.«

Ich nickte und zog meine Finger vom Thron zurück, um die Arme um meine Mitte zu schlingen. »Werden wir zu dem Ball gehen? Er ist in wenigen Tagen. Ich darf den König nicht warten lassen, Zero.«

Über die damalige Einladung des Königs, der nicht nur mich, sondern alle Herrscher der übrigen Länder über das Fest informiert hatte, das er abhalten wollte, hatten wir noch nicht richtig gesprochen.

Zero ließ von meiner Schulter ab und schnaubte unzufrieden. »Wenn du fliegst, nimmst du mich gefälligst mit.«

Ich senkte das Kinn und berührte unauffällig mein Dekolleté. Darauf befand sich die Narbe, die Lucien mir damals hinterlassen hatte, als wir gegeneinander kämpften. Die Hexe und der Engel, zwei unerbittliche Feinde.

Obwohl wir dachten, dass dies der Vergangenheit angehörte, hatte ich nun das Gefühl, alles wiederholte sich. Lucien hielt mich für jemanden, den es zu hassen galt. Das hatte er mir im Garten der Prinzessin deutlich gemacht, als ich seinen Geist mit Naras Hilfe zu mir in die Illusionswelt beförderte.

»Und das Schloss?«, frage ich mit zusammengerückten Brauen.

Zeros Blick glitt zum Eingangstor, welches in den Thronsaal führte. Es stand die meiste Zeit offen, da wir sowieso keinen Besuch erwarteten. Zero hatte aus der vertrockneten Erde wieder eine grüne Wiese wachsen lassen, sodass der Anblick weniger trübselig erschien. »Die Baumgeister sind auch noch da. Außerdem verfügt Nara ebenfalls über Magie, wodurch sie in der Notlage deinen Vater und Marielle beschützen kann.«

Das mochte stimmen, dennoch fühlte ich mich nicht besser, wenn ich daran dachte, das Schloss verlassen zu müssen. »Es wird sowieso eine Falle sein, wie mir Lucien mitteilte. König Loucas wird mich auf die Probe stellen.«

Zeros Miene blieb eisern. »Das werde ich zu verhindern wissen. Lucien kann sich nicht mit einer mächtigen Hexe und einem Dämon anlegen.« Er schnaubte und hob selbstgefällig einen Mundwinkel in die Höhe. »Er ist nur ein Mensch.«

Ich schaute wieder in seine dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen auf. »Nimm das nicht auf die leichte Schulter, Zero. Er ist immer noch ein König.«

»Und du bist eine Königin«, erwiderte er energisch. »Ich verstehe nicht, weshalb du dich bestrafen willst, indem du den Thron an deinen Vater abgibst.«

Ich riss mich von ihm los und machte mich auf den Weg zur Bibliothek. »Weil ich eine Krone nicht verdient habe.«

Zero folgte mir, offenbar wollte er von dem Thema nicht so schnell ablassen. »Ach, denkst du, Loucas hat die Krone verdient? Oder der Herrscher Snowcrows? Pyronons? Oder gar Acarts? Sie alle sind nur Erben, nichts weiter. Niemand hat sich diesen Platz erkämpft. Er wurde ihnen in den Schoß gelegt.«

Ich schritt weiter, da ich ungern über das Thema sprach.

Allerdings schien Zero viel daran zu liegen, weswegen er sich vor mich stellte und meine Oberarme packte, um mich aufzuhalten. »Du willst Menam zu neuer Blüte verhelfen und ich kenne niemanden, dessen Willen so entschlossen ist wie deiner. Also hör endlich auf, dich als nicht würdig zu empfinden.«

Ich griff nach Zeros Handgelenken und sah ihn verärgert an. »Es ist aber meine Schuld, dass das Land verkommen ist.«

»Herrgott, Freyja! Du warst nicht du selbst. Man machte dich dazu. Schon vergessen? Dein Fluch?«

Sofort fielen mir die Worte der Natur ein, die mir vor wenigen Tagen die weiße Magie ›Wiederherstellung‹ gewährt hatte. Dank ihrer Zustimmung erlangte ich Mächte, die ich als Wesen der Dunkelheit gar nicht besitzen dürfte.

»Der Fluch war nur der Anfang.«

Eigentlich wollte ich gar nicht wissen, was das zu bedeuten hatte. Stand mir noch Schlimmeres bevor? Die Drachen prophezeiten mir auf ihrer Furcht einflößenden Insel etwas Ähnliches.

Ich zischte und löste mich aus Zeros Umklammerung. »Ich sagte: Nein.«

Damit verließ ich ihn und steuerte die Bibliothek an. Zero blieb im Thronsaal zurück.

Zwischen den etlichen Regalen und Tausenden von Geschichten fand ich schließlich meine Freundin Nara. Sie saß an einem Tisch, beugte sich über ein aufgeschlagenes Buch und blätterte durch die Seiten.

Als ich den riesigen Raum betrat, schaute die weiße Hexe zu mir auf. In ihren dunkelbraunen Augen lag Sorge. »Eure Diskussion war bis hierher zu hören.« Sie legte den Kopf schief, wobei ihr eine graue Strähne aus dem Haarknoten fiel. »Ich will nicht Partei ergreifen, aber Zero hat recht. Es wäre klüger, du trügest die Krone. Es würde dir nicht nur Autorität verleihen, sondern auch Stärke. Dein Vater ist zu alt und schwach für ein solches Amt.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Wie kannst du es wagen, so über ihn zu reden?«

Nara schien von meiner Wut unbeeindruckt. »Es ist die Wahrheit und das weißt du.« Sie widmete sich wieder dem Buch und zupfte am Kragen ihres grauen Bauernkleides. »Außerdem musst du deinen Vater mit zu diesem Ball nehmen, um ihn den Ländern vorzustellen. Ansonsten würden sie deinen Worten keinen Glauben schenken.«

»Nein«, rebellierte ich gleich. »Das kommt auf keinen Fall infrage. Wenn überhaupt, gehen nur Zero und ich. Noron bringt uns hin.«

Nara lachte. »Du hast keinerlei Beweise, dass Aurum lebt. Wie willst du sie davon überzeugen?«

Wütend knirschte ich mit den Zähnen, fand allerdings kein Gegenargument, um ihr zu widersprechen. Der Gedanke war mir ebenfalls gekommen, doch ich wollte ihn nicht weiterspinnen, da ich sonst der Wahrheit ins Auge blicken müsste.

Damit mein Vater als König akzeptiert würde, müsste er vor die anderen Länder treten und seine Rückkehr kundtun.

Ich seufzte. Zum Glück hatte ich noch ein paar Tage Zeit, um mir dieses Vorhaben durch den Kopf gehen zu lassen. »Irgendwelche Hinweise bezüglich Vaters Besessenheit?«, lenkte ich rasch vom Thema ab.

Nara zuckte mit den Schultern. »Seine Symptome deuten auf eine solche hin, allerdings müsste er irgendwelche Symbole an seinem Körper tragen, die die Verbindung zu dem Höllenwesen herstellen. Aber da ist nichts – Zero hat ihn gründlich untersucht.«

Ich fasste mir nachdenklich ans Kinn und versuchte mich an Ravagas Lehren zu erinnern. Da ich mich selbst nie für Bücher interessiert hatte, fehlte mir einiges an Wissen über die schwarze Magie. Allerdings besaß ich immer ein offenes Ohr, wenn die alte Hexe mich belehren wollte.

Leider fiel mir nichts Sinnvolles ein. »Vielleicht beeinflusst jemand seinen Geist.«

Nara schüttelte zuerst den Kopf, doch dann schien sie sich an etwas zu erinnern und riss die Augen weit auf. Blinzelnd schaute sie mich an. »Du hattest ihn über hundert Jahre lang in einen Sarg gesperrt, oder?«

Obgleich ich nicht gerne an diese Tat erinnert wurde, nickte ich.

»Freyja, eine gefangene Seele kann sich von ihrem Körper trennen und mit anderen Geistern kommunizieren. Was ist, wenn das deinem Vater passiert ist und jemand zusammen mit ihm in den Körper zurückgekehrt ist?«

Ich runzelte die Stirn und lief zu ihrem Tisch hin, um mich an deren Kante zu lehnen. Mit verschränkten Armen sah ich sie zweifelnd an. »Das wüsste Vater.«

»Oder eben nicht. Es ist wie bei Zero. Übernimmt ein Geist den anderen, bekommt der unterdrückte Teil nichts mit – was auf seinen aktuellen Zustand zutreffen würde«, erklärte sie grüblerisch und erhob sich von ihrem Stuhl.

Eilig lief sie zu den Bücherregalen und suchte nach etwas.

Ich folgte ihr. »Bekommen wir den fremden Geist wieder aus seinem Körper?«

Als die alte Hexe abwesend nickte, entfloh mir ein erleichterter Seufzer.

»Allerdings ist es nicht so einfach. Wir müssten beide Geister in eine Illusionswelt schaffen und …« Sie blieb stehen und schien das gesuchte Buch gefunden zu haben. »Ah! Da ist es ja.«

Sie zog es heraus und kehrte an den Tisch zurück. Erneut haftete ich mich an ihre Fersen.

»Ist das nicht gefährlich?«, fragte ich besorgt.

Sie warf den dicken Einband polternd auf den Tisch und schlug die ersten paar Seiten auf. Anschließend suchte sie eine Textstelle und las sich diese durch. »Sie müssen in der Illusionswelt gegeneinander antreten. Derjenige, der siegt, darf zurück in den Körper.«

Angst überkam mich. Mein gebrechlicher, alter Vater sollte kämpfen? War das ihr verdammter Ernst? »Es muss eine andere Lösung geben!«

»Tut mir leid«, entgegnete die weiße Hexe. »Es geht nur auf diese Weise oder der Geist wird immer mehr seinen Körper übernehmen, sofern dein Vater ihm nicht standhält.«

Das Herz schlug panisch in meiner Brust. Er würde scheitern. Vater war viel zu alt für solch einen Kraftakt. »Nara, er …«

Bedauernd schlug sie das Buch zu und stieß einen langen Atemzug aus. »Ich weiß, Kind. Sieht nicht gut für ihn aus.«

Ich darf ihn nicht verlieren. Nicht schon wieder.

Wütend erhob ich mich und kehrte der Hexe den Rücken zu. Allerdings tat ich das nur, damit sie die Tränen in meinen Augen nicht bemerkte. »Ich erzähle es Zero. Vielleicht hat er eine andere Idee.«

Damit verließ ich die Bibliothek.

Obwohl ich mich ein wenig ausruhen wollte, war jetzt nicht mehr daran zu denken.

Der dunkle Engel

Lucien

 

»… keine eigenen Nachfahren hatte, und somit war es des Königs letzter Wunsch, dass Lucien, der wie ein Bruder für ihn war, sein Amt übernähme. Ein Testament bezeugt, dass Lucien Meridiem das Erbe der Königsfamilie Greystones erhält und damit all seine Reichtümer und den Thron«, verkündete der Sprecher auf der Empore, während unter ihm die ganze Hauptstadt seinen Worten lauschte.

In seinen Händen hielt er das Pergament, das mich nicht nur zum neuen König Greystones machte, sondern mir auch die mächtigste Position des Landes verlieh.

Oh, diese dummen, armen Menschen. Sie haben ja keine Ahnung.

Der Sprecher begann über Loucas’ heldenhafte Taten als König zu reden, die dem Volk noch einmal klarmachen sollten, was für einen gutherzigen Regenten sie gehabt hatten.

Alles Heuchelei. Loucas war egoistisch und zu selbstüberzeugt gewesen – wie mir im Nachhinein immer bewusster wurde.

Aber woher sollten sie das auch wissen? Sie sahen nur das, was man ihnen in der Öffentlichkeit zeigte. Einen Mann mit goldener Krone auf dem Kopf und einem Lächeln, das jeden blendete.

Die letzten Wochen hatten mir einen vollkommen neuen Blickwinkel gezeigt und ich war mehr als zufrieden. Dank der Finsternis in mir, die mir hilfreiche Ratschläge gab, hatte ich es erst so weit geschafft. Sie war der Grund, weshalb ich nun der neue König von Greystone wurde.

Als ich nach der Schlacht auf dem Heiligen Berg zum Palast zurückkehrte, war ich ein verschüchterter, ängstlicher Engel gewesen, der geglaubt hatte, es allen recht machen zu müssen. Doch ich hatte gelernt, Mut zu fassen, meine eigenen Ziele zu verfolgen und dem Guten die Stirn zu bieten. Denn das Licht versuchte über die Welt zu regieren, ihm Regeln aufzubürden und Kontrolle zu erlangen.

Dabei war es nicht besser als die Dunkelheit.

Wo war das Licht gewesen, als meine Schwester in die ewigen Jagdgründe geschickt wurde? Wo war das Licht gewesen, als die fortwährende Nacht über alle Länder hereinbrach? Wo war das Licht gewesen, als Valerius Loucas tötete, um seine Rolle zu übernehmen?

Ich lachte heimlich in mich hinein. Alles Lügen und Täuschung. Es gab kein Gut und Böse – sie waren alle gleich. Machthungrige Wesen, die sich nach Kontrolle sehnten.

Allerdings mit einem Unterschied: Die Finsternis hatte meine Entscheidungen unterstützt und mich stärker gemacht – was das Licht zu unterdrücken versuchte.

Also wenn ich eine Seite wählen müsste, würde ich die Dunkelheit vorziehen. Sie war so viel einflussreicher, als es die Engel jemals sein könnten.

Nachdem meine Ehefrau und ich Valerius getötet hatten, entschieden wir uns, umgehend das Königshaus über Loucas’ Tod in Kenntnis zu setzen. Wir schrieben ein gefälschtes Testament und versteckten es in Loucas’ Zimmer.

Eine seiner Gelehrten fand das Dokument und teilte mir mit, dass ich nun König über Greystone sei.

Monarchie ist so einfach.

›Mit deinen Fähigkeiten wird dir die ganze Welt zu Füßen liegen, kleiner Engel‹, ertönte das Flüstern der Finsternis in mir.

›Daran arbeite ich.‹

Eine Hand wanderte sanft von meinen Schultern bis zu meiner Elle hinunter. Schmale Arme hakten sich bei mir ein und jemand lehnte seine Wange an meinen rechten Oberarm.

Der Duft von Rosen kroch in meine Nase und ich wusste sofort, wer sich an mich geschmiegt hatte.

Katharina Ashana Grimaldi, die in Wahrheit Tivana Albasanguis, Freyjas leibliche Mutter und zugleich Erzdämonin Lilith war.

Sie schenkte mir ein stolzes Lächeln, als ich zu ihr hinunterblickte. »Sieh sie dir an, Lucien.« Etwas Dunkles beschlich ihre sonst so liebliche Miene. »Ahnungslos. Schwach. Verängstigt.«

Ich wusste ganz genau, was sie meinte, und zog ebenfalls einen Mundwinkel nach oben. Mir gefiel es, wie sehr der Tod des Königs das Volk bekümmerte. Wir ließen sie in dem Glauben, dass er an einer Krankheit gestorben sei. »Wir werden sie auf den dunklen Pfad führen. Weg vom Licht und dessen Kontrolle.«

»Ja«, säuselte sie zufrieden. »Das werden wir.«

»… unseren zukünftigen König und dessen Gattin begrüßen. Lucien und Katharina Meridiem«, verkündete der Sprecher und heiterte damit die betrübte Menge wieder auf.

Ich rückte den Kragen meines edlen Gewandes aus rotem Stoff und goldenen Rändern zurecht, bevor ich gemeinsam mit Katharina auf die Empore trat und mich dem Volk stellte.

Wir blieben nur eine Armeslänge vor dem Abgrund stehen und blickten mit einem aufgesetzten Lächeln in die Menge. Dieser Moment erinnerte mich daran, wie ich einst hier gestanden hatte – schüchtern und beklommen. Ich hatte keinen einzigen Satz zustande gebracht, bis die Finsternis mir schließlich meine Angst nahm. Seitdem war ich wie ausgewechselt, ein völlig neuer Lucien.

Ehrfurchtgebietend hob ich meinen Arm und brachte damit die Menge zum Schweigen. Mit erhobenem Kinn und aufrechter Haltung schaute ich auf die Menschen hinab. »Verehrte Bewohner von Greystone, ich weiß, dass ich euch heute keine guten Nachrichten überbringen konnte. Der Verlust meines Freundes und Bruders, Loucas des Siebten, schmerzt mich zutiefst. Er hatte mir seine Krankheit verschwiegen aus Angst, mir dadurch Kummer zu bereiten, aber letztendlich hat sie über ihn gesiegt.«

Katharina hatte sich darum gekümmert, dass niemand die Leiche zu sehen bekam. Wir entsorgten seinen Körper weit außerhalb der Hauptstadt, verbrannten seine Knochen zu Asche. Schließlich erschuf Katharina aus Lehm und Erde eine perfekte Nachahmung des verstorbenen Königs, um sie den Bediensteten zu präsentieren. Die Heiler und Magier hielten wir davon ab, die Fälschung näher anzusehen, indem wir die Beerdigung so schnell wie möglich vollzogen.

»Der Verlust stellt uns vor neue Herausforderungen, doch ich bin bereit, diese gemeinsam mit euch zu bewältigen. Als euer Held der fünf Lande verspreche ich euch, alles dafür zu tun, um Greystone vor dem Bösen zu beschützen«, redete ich weiter und spürte, wie Katharina ihre Hand mit meiner verschränkte. »Meine Ziehmutter Anna, die Schwester von Loucas dem Sechsten, ertrug den Verlust ihres Neffen nicht länger und schlief gestern Nacht friedlich in ihrem Bett ein. Sie hat schon damals den Tod ihres Bruders nicht gut verkraftet, der von Loucas überstieg ihre eigenen Kräfte«, erklärte ich, womit ich alle Thronfolger beiseitegeschafft hätte.

Im Testament beschrieben wir ausführlich, weshalb nicht Anna den Thron im Falle von Loucas’ Tod übernehmen sollte, sondern ich.

Ich war der Held der fünf Lande. Niemand wäre perfekter dafür geeignet als ich.

Unter meinen Fingerkuppen konnte ich noch immer den Druck spüren, den ich ausübte, als ich den Dolch in Annas Bauch gerammt hatte. Mir wurde bewusst, dass sie nur ein Hindernis für meine Krone gewesen wäre, weshalb ich umso erleichterter war, sie getötet zu haben.

»Mit meinen Engelsfähigkeiten und dem Glauben an die Hoffnung werde ich mich meinen neuen Aufgaben als König stellen.« Ich streckte den linken Arm aus und deutete mit einer ausschweifenden Bewegung auf alle Anwesenden. »Aber was ist mit euch? Akzeptiert ihr mich als euren Regenten? Als euren Beschützer, der über euch wachen wird?«

Amen, hätte ich am liebsten sarkastisch hinterhergeworfen.

Kurz war es still und die Menge starrte mich mit ausdruckslosen Mienen an. Als ich schon glaubte, nicht genügend Mut in ihnen geschürt zu haben, brachen sie in Jubel aus.

»Geheiligt sei König Lucien Meridiem! Geheiligt sei König Lucien Meridiem!«, riefen sie begeistert. »Unser Held! Ein Engel wird über uns wachen!«

Ein diabolisches Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

Zwar entdeckte ich immer noch strenge Blicke in den Reihen des Volkes, allerdings sprach sich der Großteil für meine Amtsübernahme aus. Wer hätte auch sonst den Thron besteigen sollen? Loucas besaß keine Nachfahren, geschweige denn Geschwister, die über Greystone regieren könnten.

Abgesehen davon war Katharina Grimaldi eine weit entfernte Verwandte des alten Königs. Ihr Vater, der Herzog, war über drei Ecken mit der Königsfamilie verwandt. Hätten die Kardinale und engen Vertrauten von Loucas gegen mich gestimmt, hätte Tivana diesen besonderen Trumpf eingesetzt.

Wir warteten noch eine Weile, bevor wir uns mit einem Nicken von der Menge verabschiedeten und von der Empore stiegen.

Tivana blieb an meiner Seite, und gemeinsam kehrten wir, begleitet von den Königswachen, ins Schloss zurück.

 

In unserem Gemach, in dem wir uns aktuell am Ungestörtesten fühlten, setzte ich mich auf einen mit rotem Leder verkleideten Stuhl. Die Armlehnen glänzten golden.

Es tat so verdammt gut, mächtig zu sein.

»Hast du dir schon überlegt, ob du deine Gestalt komplett ablegen willst? Wenn ich die Nebelbarriere um das Land ziehe, werden sie wissen, dass etwas nicht ganz stimmt«, begann ich und glitt mit den Fingern über die Maserungen des polierten Goldes. »Lange wollte ich mein wahres Gesicht sowieso nicht verbergen.«

Tivana ließ sich auf das Bett fallen und seufzte. »Tivana ist auch nur ein Name von vielen, die ich getragen habe. Sie haben keinerlei Bedeutung für mich. Daher kann es gerne bei Katharina und ihrer Gestalt bleiben.« Sie lächelte verzückt. »Außerdem weißt du ja, wie ich in Wirklichkeit aussehe.«

Ich erinnerte mich an meine geplante Hinrichtung auf dem Heiligen Berg zurück. Tivana und ihr Geliebter Valerius – jedenfalls dachte ich einmal, dass sie ihn lieben würde –, wollten mein Herz vor den Anhängern des Roten Korns herausreißen. Bevor es jedoch losging, zeigte sie ihr wahres Gesicht in Gestalt eines nebelartigen Geschöpfes namens Lilith.

Ravaga hatte mich zuvor gefangen gehalten, da sie Freyja und mir in der Tundra von Snowcrow eine Falle gestellt hatte. Sie ließ uns durch ihre Schatten glauben, dass sie sich dort aufhielte, dabei hatte sie nur darauf gehofft, mich in eine Art Portal zu ziehen, hinter dem mich ein Gefängnis erwartete. Bereits dort sah ich zum ersten Mal Liliths Gestalt, konnte mir aber bis zur Hinrichtungszeremonie keinen Reim darauf machen.

Tivana war eine Meisterin der Täuschung. Trotz oder gerade wegen ihres Verrates an ihrem ehemaligen Geliebten Valerius konnte ich ihr nicht zu einhundert Prozent vertrauen. Sie legte mich schon damals mit Zett herein, einer untoten Frau, welche mir auf der Reise mit Freyja immer zur Seite stand. Erst später stellte sich heraus, dass dies alles zu ihrem diabolischen Plan zählte.

Des Weiteren hatte sie mich erneut in Gestalt von Katharina hinters Licht geführt. Also weshalb sollte sie es kein drittes Mal tun?

Seitdem ich mich verändert hatte und keine Angst mehr spürte, besaß Tivana etwas äußerst Anziehendes. Vielleicht war es ihre Dunkelheit, die sie in sich trug, oder der Gedanke, einer mächtigen Erzdämonin ebenbürtig zu sein. Womöglich erkannte ein kleiner Teil von mir auch ihre Tochter Freyja in ihr. Der Drachenhexen-Version, nicht der verweichlichten Prinzessin, die mit einem Mal an das Gute glaubte.

Wie auch immer, Lilith sah in mir großes Potenzial, auch wenn ich noch nicht herausgefunden hatte, wofür sie es einsetzen wollte.

»Dann soll ich dich auch weiterhin Katharina nennen?«, wollte ich wissen.

Sie nickte und erhob sich vom Bett, um auf mich zuzugehen. Ihre Hüften wiegten dabei galant, sodass sie mich an eine Katze erinnerte, die spielen wollte.

Sie hob den Saum ihres Kleides an und setzte sich mit gespreizten Beinen auf meinen Schoß. Ihre wunderschönen, nach Rosen duftenden Haare fielen ihr über die Schulter. Die Farbe der seichten Wellen glich einem Abendrot, geküsst von der einkehrenden Nacht.

Meine Hände umschlangen wie von selbst ihre Taille und glitten seitlich an ihren Brüsten bis zu ihren Oberarmen hoch.

Sie verschränkte die Finger in meinem Nacken. »Du kannst mich nennen, wie du willst, mein König.«

Mir gefiel ihr kleines Wortspiel und ich hob amüsiert einen Mundwinkel. Eines musste man ihr lassen, ihrem unbeschreiblich schönen Körper konnte ich keinesfalls widerstehen.

Sie beugte sich zu mir und ließ ihre Lippen über den meinen schweben.

»Noch besitze ich die Krone nicht«, raunte ich.

»Aber so gut wie.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, unterbrach sie unser kurzes Gespräch mit einem innigen Kuss. Lust überkam mich, brennende Begierde, der ich nachgeben wollte.

Es war nicht Liebe, was ich verspürte, da ich nicht mehr wusste, wie sich diese anfühlte. Seitdem ich so voller Hass gegenüber Freyja gewesen war, die mich im Orden zurückgelassen hatte, um ihr kostbares Land zu retten, sperrte die Finsternis in mir jegliches Gefühl weg, das einen Menschen ausmachte.

Mitleid, Güte, Vergebung … das waren für mich nur noch leere Worte. Dinge, die mich die Kirche lehrte, um mich zu einem besseren Menschen zu machen. Alles Lügen.

Ich war jetzt besser. Stärker. Mächtiger.

Ein Regent. Ein Held. Ein Engel, der sowohl himmlisches Blut als auch die Dunkelheit in sich trug. Ich war Chaos und Ordnung zugleich.

Angetrieben von meiner Eigenmotivation und dem Stolz, der in meiner Brust anschwoll, packte ich Katharina und erhob mich mit ihr gemeinsam vom Stuhl.

Ich griff unsanft ihren Arm und stieß sie auf das Bett. Bereitwillig ließ sie sich fallen und ich machte mich ungestüm an ihrem Kleid zu schaffen, dessen Schnüre ich hastig aufriss.

Währenddessen beugte sie sich erneut zu mir und drückte verlangend ihre Lippen auf meine. Ein Teil ihres Ärmels riss, als ich meine Kraft nicht ganz unter Kontrolle bekam. Das Feuer, welches sie in mir schürte, brannte förmlich unter meiner Haut.

Mein Glied drückte sich unangenehm gegen die enge Lederhose. Mein Kopf war wie leer gefegt und außer dem schmutzigen Gedanken, Katharina auf meine eigene Art zu erobern, gab es nichts, was mir in diesem Moment wichtig erschien.

Es dauerte nicht lange, bis ich einen Blick auf Katharinas nackten Körper erhaschte, den sie zwischen den weißen Laken präsentierte. Ich schnürte rasch meine eigene Hose auf, indes Katharina mir das Gewand von den Schultern zerrte und mein Hemd über den Kopf zog.

Unsere Lippen trafen sich erneut, meine Küsse wanderten bis zu ihren Brüsten hinab. Genussvoll berührte ich mit der Zunge ihre Brustwarzen, wobei sie laut aufstöhnte.

Ihre Hand glitt an meinem Bauch entlang, sie umrandete mit der Fingerkuppe die Muskelstränge und den hervorstechenden Beckenknochen. Sie packte meine Männlichkeit, drückte sie sanft und entlockte mir dadurch ein erregtes Keuchen.

Verlangend zog ich sie an mich, doch Katharina ließ sich nicht gerne erobern. Sie war diejenige, die lieber die Zügel in die Hand nahm und den Spieß umdrehte.

Sie biss mir leicht in den Hals, was ein Prickeln auslöste. Ein warmer Schauer glitt durch meinen Körper, während sie meine Arme ergriff und sich mit mir drehte.

Dieses Mal saß sie auf mir, noch immer meine Erektion in der Hand. Mit einem verführerischen Ausdruck im Gesicht beugte sie sich über mich und ließ den harten Schaft langsam in sich hineingleiten.

Mein ganzer Körper spannte sich an, ein lustvolles Ziehen zog sich von der Spitze meines Gliedes bis zum Bauchnabel.

Katharina presste ihre Lippen erneut auf meine und stöhnte in meinen Mund. Ihre Zunge bahnte sich einen Weg hinein. Gierig krallten sich ihre Hände in meinem schwarzen Haar fest, während sie sich auf meiner Hüfte vor- und zurückbewegte.

Ich grub meine Fingernägel in ihren Rücken, atmete ihren Duft ein und genoss jede ihrer Berührungen.

Wir waren wie ein stürmisches Meer, dessen Wellen mit aller Kraft gegen die Brandung schlugen. Wie Hölle und Fegefeuer. Wie der Mond und die finsterste Nacht.

Uns hielt niemand auf.

Die Sehnsucht einer Frau

Freyja

 

»Freyja?«, hörte ich eine kindliche Stimme nach mir rufen, während ich in der Bibliothek saß und eines der vielen Bücher durchstöberte.

Ich hoffte inständig, in einem von ihnen die Lösung für den Schatten-und-Licht-Fluch zu finden.

Marielle, meine kleine Zofe, die ich im Orden Alexandrias kennenlernte, stürmte in den Raum herein. Sie hielt ein paar Blumen in den Händen. Sie liebte den Garten, den uns die Natur geschenkt hatte. Wenn sie gerade keiner Aufgabe nachging, verbrachte sie dort gemeinsam mit meinem Vater die meiste Zeit.

Nun ja, der alte Mann schlief stets irgendwann auf der Bank ein, indes Marielle ihm von ihrem Alltag berichtete.

Ihr braunes Haar hatte sie zu einem Knoten gebunden, was ihre Narben im Gesicht nur noch mehr zur Geltung brachte. Zuvor hatte sie das nie getan, aus Angst, jemand würde sie verachtend ansehen. Ihr Bruder hatte ihr einst diese scheußlichen Striemen verpasst, und obwohl Zero ihr vorgeschlagen hatte, die Narben zu heilen, wollte sie es nicht.

»Die sind für dich.« Sie lachte und reichte mir ein paar blaue Veilchen.

Mit einem sanften Lächeln nahm ich diese an. »Vielen Dank. Ich schaue gleich, ob ich sie in eine Vase stellen kann.«

Sie nickte beschämt und wollte gerade umkehren, als ich sie aufhielt.

»Marielle, warte.«

Sie wandte sich nochmals zu mir um, dieses Mal ehrfürchtig. Offensichtlich schien es sie nicht ganz kaltzulassen, dass ich Drachenflügel besaß und in Wahrheit ein ziemlich gefährliches Höllenwesen war. Respekt hatte sie jedenfalls.

»Weshalb hast du Zeros Vorschlag abgelehnt? Er wird dir nicht wehtun, versprochen. Ich werde auch dabei sein.« Theoretisch hätte ich ebenfalls ihre Narben entfernen können, allerdings vertraute ich meiner frisch erlangten weißen Magie noch nicht ganz.

Sie schürzte die Lippen und verschränkte die Hände unschuldig hinter dem Rücken. »Ich bin auch mit den Narben schön, oder?«

Das entlockte mir ein mütterliches Lächeln. Sie war so selbstlos. »Ja, das bist du.« Ich zwinkerte ihr zu. »Die Schönste im ganzen Land.«

Sie grinste breit. »Siehst du?«

»Kannst du denn damit leben? Ich meine, sie erinnern dich doch an diesen schrecklichen Tag zurück.«

Sie ging auf mich zu und nahm meine Hände in ihre. Marielles Gesten überraschten mich aufs Neue. Ihre Berührung erweichte mein Herz, und in ihren dunkelbraunen Augen erkannte ich Hoffnung. »Das stimmt, aber irgendwann muss man anfangen die Dinge zu akzeptieren, die zwar dein Leben zur Hölle machten, dir jedoch auch zur Stärke verhalfen.«

Ich war erstaunt, dass aus dem Mund eines so jungen Mädchens solch weise Worte kamen. Beeindruckt hob ich eine Braue. »Das ist sehr klug von dir, Marielle.«

»Danke«, sagte sie, löste sich von mir und lief besonnen aus dem Raum hinaus.

Ich wünschte, ich könnte meine Narben ebenfalls auf diese Weise betrachten. Allerdings mangelte es mir weiterhin an Mut und Zuversicht.

Mit einem genervten Seufzer schlug ich das Buch zu und beschloss, eine Pause einzulegen.

Um meine Gedanken zu klären, machte ich mich in den wunderschönen Schlossgarten auf, der nur so vor blühender Natur strotzte. Ich lief unter dem Baldachin aus Ranken und blauen Nachtsprösslingen hindurch, die jedoch am Tag in sich gekehrt waren. Ihre Blüte zog sich wie ein Kokon zusammen und sobald es dunkler wurde, öffnete sie sich wie eine Rose in ihrer schönsten Pracht.

Ich erreichte den Mittelpunkt des Gartens, in dem nun statt des Brunnens zwei Statuen standen. Es handelte sich dabei um zwei Frauen, die sich die Hände reichten. Ein bisschen erinnerte mich die Position an einen Kampf und Tanz zugleich. Denn die linke Dame trug eine Krone und ein Schwert, während die andere ein Kleid aus Pflanzen anhatte und auf ihrem Kopf ein Blumenkranz prangte. Sie wirkte unschuldig, ihr Gegenüber entschlossen.

Ich wollte noch immer nicht glauben, dass dies die Natur und ich sein sollten. Sie hatte mir die Statuen zum Abschied vermacht und im Sockel des davorstehenden Altars eine Nachricht für mich hinterlassen.

Eine Bürde, die mehr wiegt als der Wunsch nach Frieden. Ein Frieden, der noch in weiter Ferne liegt. In der Ferne ein Schicksal verborgen, das niemand zu ersehen vermag. Um deinen Weg zu finden, schenke ich dir die Kraft der Wiederherstellung. Nutze sie weise.

Noch immer wurde ich aus der Erdenmutter nicht schlau. Sie war keine Kreatur wie die Drachen oder Baumgeister, sondern ein wichtiger Bestandteil dieser Welt. Genau wie Himmel und Hölle.

Ohne sie würde alles verkommen und zu einem einzigen Schattentod werden. Darin gäbe es kein Leben, keine Farben, keine Freude.

»Weißt du, deine Mutter war auch sehr nachdenklich«, ertönte es hinter mir.

Überrascht schaute ich über meine Schulter und entdeckte meinen Vater Aurum, der auf der weißen Marmorbank saß. Die Sonne schien ihm ins Gesicht, was die Falten unter seinen Lidern und um die Mundwinkel hervorhob.

Von Weitem hätte man ihn für einen gebrechlichen, alten Greis halten können. Das wenige, graue Haar war ihm durch die Strapazen in den letzten Tagen teilweise ausgefallen. Obwohl er in seinem Grab, in dem er hundert Jahre lang geschlafen hatte, nicht gealtert war, befürchtete ich nun, dass ihn die Zeit einholte.

Mit einem müden Lächeln setzte ich mich neben ihn. Vater wusste noch immer nicht, wer seine damalige Frau gewesen war. Doch lieber ließ ich ihn eine Lüge glauben, als ihn an der Wahrheit zerbrechen zu sehen. »Ach ja, war sie das?«

Er nickte. »Sie dachte viel über die Zukunft nach – vor allen Dingen über dich.«

»Mich?« Vermutlich ließ sie meinen Vater glauben, sehr besorgt um mich zu sein.

Wenn ich etwas über Tivana wusste, dann, dass sie eine ausgezeichnete Täuscherin war. Sie hatte schon damals meinen Vater hinters Licht geführt, danach mich und schließlich Lucien.

Er nahm meine Hand in seine. Sie fühlte sich kalt und rau an. »Deine Mutter hat dich über alles auf dieser Welt geliebt. Als sie hörte, dass du aus dem Turm geflohen bist, ertrug sie den Gedanken nicht länger, dich für immer verloren zu haben. Der Kummer machte sie krank und brachte sie letztendlich ins Grab.« Er rieb mit seinem Daumen über meine schlanken Finger. »Bitte, gib dir niemals an ihrem Tod die Schuld. Du warst ein verfluchtes Kind, deine Seele wurde gespalten und mit mächtiger Magie weggesperrt.« Er ließ das Kinn auf seine Brust sinken. »Wir hätten besser auf unser Kind aufpassen sollen.«

Ich löste mich aus seinen Händen und legte tröstend einen Arm um seine Schulter. »Du darfst nicht immer zu sehr in der Vergangenheit verweilen, Vater. Wie du siehst, hat die Zukunft für dich ebenfalls etwas Gutes bereitgehalten.«

Er zuckte kurz zusammen und erstarrte schließlich. »So denkst du, ja?«

Ich neigte den Kopf zur Seite. »Ja. Ich bin zurückgekehrt, und das Königreich ist zum größten Teil gerettet.«

Er schwieg und blickte zerstreut auf den Boden. Ich schien irgendetwas in ihm losgetreten zu haben. Allerdings konnte ich nicht erahnen, was das sein sollte.

Gerade als ich ihn auf andere Gedanken bringen wollte, schaute er ernst zu mir auf. »Freyja, du musst mir etwas versprechen.«

Bevor ich ihm diesen Schwur gäbe, musste ich erst wissen, um was es sich handelt. »Und was?«

»Wenn … ich nicht ich selbst bin und auch nicht mehr zu mir zurückkehren kann, musst du mein Leben beenden, in Ordnung?«

Entsetzt über seine Worte ließ ich von ihm ab und stemmte die Arme in die Hüfte. »Wie bitte? Warum sollte ich das tun? Ich töte nicht meinen eigenen Vater.«

Er atmete tief ein und aus. »Freyja, hier geht es nicht um dich oder irgendjemanden von uns. Du musst lernen, deinen Verstand vor dein Herz zu stellen – so hart das auch klingen mag. Es gibt Mächte auf der Welt, die wir beide nicht bekämpfen können, weswegen der Tod manchmal die einzige Lösung ist.«

Ich zog die Brauen zusammen. »Aber Aufgeben ist keine Option für mich.«

Seine Miene blieb weiterhin eisern, was ich von meinem sonst so ruhigen Vater nicht gewohnt war. Was ging nur in seinem Kopf vor? Ob er gerade erneut manipuliert wurde? »Das ist kein Aufgeben, sondern ein notwendiges Übel.«

»Vater, ist alles in Ordnung mit dir? Verschweigst du mir etwas?«, hinterfragte ich skeptisch. Ich musste an das Gespräch mit Zero denken. Spürte mein Vater etwa, dass er seinen Körper nicht mehr für sich allein hatte? Hatte Zero mit seiner Vermutung recht?

»Mir geht’s gut …« Er seufzte wieder, dieses Mal zermürbt. »Was ich dir eigentlich sagen will, ist: Ganz gleich, was mit mir nicht stimmt, ich möchte, dass du meinen Tod nicht ausschließt. Denn ich würde es verstehen. Meine Jahre sind verstrichen.«

Ich erhob mich verärgert und ballte die Hände neben meinem Körper zu Fäusten. »Hör auf, so zu reden!«

»Zero hat recht«, ging er erst gar nicht auf meinen Appell ein. »Dasselbe solltest du auch für deinen geflügelten Freund in Erwägung ziehen. Wenn ihn die Dunkelheit bereits bekehrt hat, würde die Rettung seiner Seele nur noch einem Wunder gleichen.«

Fassungslos klappte mir die Kinnlade herunter. »Willst du damit sagen, du bist Zeros Meinung? Lucien ist verloren?«

»Ja.«

Ich zischte.

»Du kannst das nicht sehen, Freyja, weil dein Herz an ihm hängt. Du bist zu blind, um zwischen Aussichtslosigkeit und Hoffnung zu unterscheiden.«

Hörte er sich eigentlich selbst zu? »Anfangs erschien es mir, als wärst du noch anderer Meinung gewesen.«

Er löste sich von mir und schaute ins Leere. »Ich habe in Ruhe darüber nachgedacht und bin zu diesem Entschluss gekommen. König zu sein bedeutet nicht immer das Richtige zu tun. Das kannst du nicht. Deine Entscheidungen werden schwer sein, aber du musst sie gemeinsam mit deinem Verstand, deinem Bauch und deinem Herzen treffen. Nur so kann man weise herrschen.«

Ich sollte ihm schon früher von meinem Plan berichten, als ich es eigentlich vorgehabt hatte. »Ich möchte, dass du den Thron zurücknimmst und über Menam herrschst.«

Er riss seine blauen Augen auf, die mich an das Meer erinnerten. »Ich soll regieren?«

Da die Frage rhetorisch gemeint war, wartete ich ab.

»Auf gar keinen Fall! Ich bin für den Thron nicht mehr geeignet.«

»Wieso?«, wollte ich wissen. »Ich will ihn auch nicht!« Nun ja, das war nicht ganz richtig. Mit einer Regentschaft konnte ich Menam zumindest vor einer Übernahme retten. Solange nicht die letzte Spielfigur gefallen war, musste man auch kein Feld freiräumen.

»Doch, das tust du. Und du wirst dieses Königreich führen. Mit deiner neuen Magie kannst du es aufbauen und zu einem blühenden Land wachsen lassen. Bestraf dich nicht für etwas, woran du keine Schuld trägst, Freyja.«

Das warf gerade mein gesamtes Vorhaben um. »Du lehnst also ab?«

Er verzog keine Miene. »Ja, ich nehme die Krone nicht an.«

Unfassbar!

Gerade als ich erneut auf ihn einreden wollte, mischte sich Norons Stimme in meine Gedanken ein. ›Auf meinem Rundflug habe ich mehrere Menschen wahrgenommen. Sie sind auf dem Weg nach Greystone und haben eine ganze Armee bei sich.‹

Armee? Tatsächlich brauchte ich nicht lange darüber nachzudenken, um wen es sich handeln könnte. ›Womöglich die Eskorte für einen der Regenten?‹

Dabei gäbe es nur einen Herrscher, der mein Land durchqueren müsste, um nicht zu spät zu Loucas’ Fest zu kommen. Der König von Snowcrow.

›Daran habe ich auch gedacht. Wenn du erlaubst, behalte ich sie im Auge.‹

›Ja, aber bitte lass nicht zu, dass sie dich sehen. Wir sollten zurzeit keine Aufmerksamkeit auf das Schloss lenken‹, bat ich ihn.

Ein Schatten flog über den Garten hinweg, bevor Norons gigantischer Körper hinter den Palasttürmen verschwand.

Da ich wirklich Ruhe brauchte, wendete ich mich im Gehen kurz meinem Vater zu. »Ich werde zurück ins Schloss kehren. Wir reden später weiter.«

Seine Lippen wurden zu einer schmalen Linie. »Ich bleibe bei meiner Entscheidung.«

Als könnte er Gedanken lesen.

Ich lief in den Tunnel aus Schling- und Kletterpflanzen hinein und erreichte am anderen Ende die große Tür, die in den Korridor führte. Das Schloss fühlte sich nun viel lebendiger an mit all den wiederhergestellten Wänden, Möbeln und Ausschmückungen. Fast so wie früher, als ich noch ein Kind war.

Auf dem Flur begegnete ich erneut Zero, der mich bereits zu suchen schien.

»Freyja!«, rief er, nachdem er mich entdeckt hatte. Innerhalb eines Wimpernschlages stand er vor mir und fegte mir durch seine unnatürlich schnelle Geschwindigkeit eine Böe ins Gesicht. »Eine ganze Armee ist in dein Land gekommen und sie …«

Ich hob eine Hand und grinste. »Das weiß ich bereits.«

Zero verzog grimmig das Gesicht. »Noron, oder?«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie kommst du auf ihn? Ich könnte sie genauso gut aufgespürt haben!«

Zero zog einen Mundwinkel in die Höhe und sah mich höhnisch an. »Verzeih mir, aber wer noch nicht einmal tausend Baumgeister um sein eigenes Schloss wahrnimmt, wird ganz bestimmt keinen Trupp aufspüren, der sich fast auf der anderen Seite des Landes befindet.«

Als ich damals von meinem Ritual am See zurückgekehrt war, hatte mir die Natur neben der Statue und der weißen Magie auch noch unzählige Baumgeister geschickt, die mein Schloss bewachten.

Zero war recht erschüttert darüber, dass sie mir nicht sofort aufgefallen waren. Allerdings benutzte ich meine Kräfte nicht zu jeder Stunde, und mir mangelte es aktuell auch an Vitalität. Die Wiederherstellung hatte mich förmlich ausgesaugt.

Zero schüttelte den Kopf. »Dieser Drache beschwört regelrecht ein Kräftemessen herauf. Immer ist er mir einen Schritt voraus …«

Das war Noron in letzter Zeit tatsächlich. Ich wusste, er tat all das, um mich in Sicherheit zu wissen, doch Zero sah dies anders. Er glaubte, mein Drache fordere ihn heraus. »So ein Unsinn. Noron würde an so etwas nicht einmal denken. Du hast nur ein Problem damit, dass deine Selbstachtung bedroht wird.«

Er schnaubte verächtlich. »Jetzt redest du Unsinn.«

Ich verdrehte die Augen und lief auf die Bibliothek zu. »Die Armee muss zum König von Snowcrow gehören. Er wird sich auf den Weg zum Fest machen, zu welchem wir ebenfalls eingeladen sind.« Ich drehte mich zu ihm um und hob den Zeigefinger warnend in die Höhe. »Und bevor du fragst: Nein, ich habe keine Ahnung, wie ich auftreten soll, wenn ich in Greystone ankomme.«

»Stark und ehrfurchtgebietend?«, neckte mich Zero.

Ich warf ihm einen tödlichen Blick zu.

Als wir uns damals zu meinem Vater aufgemacht hatten, der in einem Labyrinth eingeschlossen war, bezeichnete ich die Verschmelzung der Drachenhexe und der Prinzessin als stark und ehrfurchtgebietend. Später hatte Zero diese Behauptung angezweifelt, da mein Versuch, das Gefängnis meines Vaters aufzulösen, ohne seine Hilfe misslungen wäre.

Diesen Triumph schien er sich jedenfalls gemerkt zu haben. »Spiele nicht mit dem Feuer, Zero«, warnte ich ihn knurrend.

Daraufhin grinste er nur noch breiter. Er ging an mir vorbei und streifte mit dem Oberarm sanft meine Schulter. »Aber darin bin ich ziemlich gut.«

Dieser Wichtigtuer, dachte ich. Allerdings hinterließen seine Worte einen unerwarteten, warmen Schauer in mir. Selbst in meinem Magen regte sich ein kaum merkliches Kribbeln.

Ich atmete tief durch.

Zugegeben, Zero besaß etwas Anziehendes. Schon allein seine onyxfarbenen Augen und das unverschämte Lächeln auf seinen Lippen lösten ständig in meinem Körper irgendwelche Reaktionen aus.

Anfangs waren sie unscheinbar gewesen, aber seitdem er mir versprochen hatte, im Schloss zu bleiben, spürte ich sie deutlicher denn je.

Was war nur mit mir geschehen? Hatte seine Entscheidung ein klammheimliches Gefühl in mir entfacht? Etwas, das mich meine Enttäuschung über Lucien vergessen ließ und stattdessen Begehren in mir wachrief?

Nein, nein, Freyja. Dazu darf es niemals kommen, schalt ich mich.

Ich konnte es mir nicht verdenken. Ich war eine Frau mit gebrochenem Herzen, die ihr Leben lang Schmerz und Grauen ertragen hatte. Lucien war mein Lichtblick gewesen, der einzige Hoffnungsschimmer, der mich zu Glück und Liebe führte.

Nun war er mir genommen worden, und Zeros neckende Spielchen riefen genau diese Sehnsucht in mir wieder wach. Ich lechzte nach Zuneigung – so sehr, dass es Worte nicht einmal beschreiben konnten.

»Freyja?«, hakte Zero nach und riss mich dabei aus meiner tiefen Zerstreutheit. »Hast du mich verstanden?«

Da mir entgangen war, dass er etwas gesagt hatte, blinzelte ich ihn ahnungslos an. »Was?«

Er verdrehte die Augen. »Du solltest dir wirklich eine Auszeit gönnen.«

»Ich … kann mir so etwas nicht leisten. Es gibt zu viel zu tun«, lehnte ich seinen Vorschlag ab und ging wieder voraus, um mich von seinem Blick loszureißen.

Zero seufzte, folgte mir jedoch.

Die Nebelbarriere

Lucien

 

Am Abend …

 

Der ganze Adel war gekommen. Alte, Junge, Mitglieder des hohen Kreises, Freunde des ehemaligen Königs und sogar die Stellvertreter der anderen Länder. Sie würden Zeuge werden, wenn der Papst die Krone auf mein Haupt setzte.

Julius Victor Quistoire, der mich an die Kirche gebunden und damals meine Unterrichtung über Gott und die Welt geleitet hatte, würde heute die Krönung vollziehen.

Obwohl der Mann nicht mehr der Jüngste war und tiefe Falten sein eingefallenes Gesicht zeichneten, gab er sich bei seiner Rede erhaben und stark.

Die rot-goldene Robe verlieh ihm eine gewisse Autorität, auch wenn er mit meiner königlichen Ausstrahlung nicht mithalten konnte. Schließlich durfte niemand prunkvoller in diesem Raum erscheinen als der zukünftige Regent.

Julius sprach endlich seinen letzten Satz zu Ende. Seine dunkelgrünen Augen richteten sich auf mich. »Sir Lucien Meridiem, tretet bitte vor mich.«

Ich musste ein breites Grinsen unterdrücken, denn die Vorfreude wuchs mit jedem Schritt mehr. Wie würde es sich anfühlen, wenn das vergoldete Schmuckstück auf meinem Kopf säße? Wenn das Zepter mir gebührte?

Obwohl es nur ein belangloser Gegenstand war, besaß er dennoch eine ungeheure Macht. Katharina hatte mir erklärt, dass die Krone an sich keine magischen Kräfte habe, dafür aber das Symbol und die offizielle Anerkennung. Wir konnten das Land für uns gewinnen, wenn sich nicht nur die Kunde über meine Herrschaft verbreitete, sondern es auch einen offiziellen Beweis dafür gab. Der Adel war mein Zeuge.

Der Glaube konnte eine bedeutende Waffe sein.

Ich blieb vor dem Papst stehen, unter dessen Tiara vereinzelte, grauweiße Strähnen hervorlugten. »Knie nieder, Sohn des Himmels.«

Anerkennend tat ich, was er verlangte, und ging auf ein Knie. Im Augenwinkel erhaschte ich Katharinas siegreiches Lächeln. Sie stand neben den Mitgliedern des hohen Kreises.

»Mit der Kraft des mir verliehenen Amtes ernenne ich dich hiermit …«

Ich hielt das Kinn gesenkt, kam jedoch nicht drumherum, dabei zuzusehen, wie jemand dem Papst Loucas’ Krone auf einem pompösen Kissen brachte. In die goldenen Zacken war das Wappen des Landes eingraviert.

Julius nahm das Schmuckstück in seine Hände und ich schaute wieder zu Boden. »… zum neuen König von Greystone.« Das kalte Edelmetall wurde auf meinen Kopf gesetzt. Ich spürte die Schwere und Umrisse der Krone. Es fühlte sich so verdammt gut an! »Erhebe dich.«

Stolz stellte ich mich hin und wandte mich mit einem triumphierenden Lächeln zu der Menge um.

»Lang lebe König Lucien Meridiem«, rief der Papst.

»Lang lebe König Lucien Meridiem«, echote die Masse.

Das Volk brach in Jubel aus.

›Diese Narren‹, jauchzte das Flüstern amüsiert in mir.

Katharina trat an meine Seite. Ich nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. »Wir haben es geschafft«, raunte ich.

Sie lachte leise. »Nein, du hast es geschafft.«

›Nun tu es, kleiner Engel! Zeig diesen Menschen, wie mächtig du wirklich bist.‹

›Nur Geduld, meine Freunde‹, sagte ich voller Vorfreude.

Es dauerte eine Weile, bis der Adel sich beruhigte und man mir das Wort überließ. »Ich danke euch.« Auch wenn viele mir kalte Blicke zuwarfen, erkannte ich in den Gesichtern anderer Stolz und Hoffnung. Menschen waren so unfassbar leichtgläubig. »Als König gelobe ich hiermit, uns vor den wahren Feinden zu beschützen. Mit meinen Engelskräften können wir das Böse bekämpfen und eine Ordnung schaffen, wie es sie zuvor noch nie gegeben hat.«

Erneuter Jubel.

Die Spannung verpasste mir ein aufgeregtes Magenkribbeln, als ich daran dachte, meinen und Katharinas Plan endlich in die Tat umzusetzen. »Selbst wenn es mir von Herzen schwerfällt, werde ich die Feier, die der alte König angekündigt hatte, absagen müssen. Stattdessen möchte ich erste Maßnahmen ergreifen und Greystone den Schutz geben, den es verdient hat. Das Volk hat immer Priorität.«

Sie jauchzten erneut, doch dieses Mal erkannte ich, dass nicht alle darin einstimmten. Misstrauische Blicke trafen mich. Anscheinend gab es einige unter ihnen, die genauer hinhörten. Natürlich würde es ihnen nicht gefallen, was ich vorhatte.

Ordnung schaffte man nur durch Kontrolle und Macht. Wenn ich das Land beschützen wollte, musste ich es von den anderen vier Ländern fernhalten. Dasselbe hatte auch die Drachenhexe damals getan.

Zum ersten Mal verstand ich ihre Beweggründe.

»Mit meiner Kraft, die der Himmel mir verliehen hat, erschaffe ich eine Mauer, die uns vor dem Bösen bewahren wird.« Die Menge verstummte augenblicklich, doch ich ließ mich davon nicht beirren. »Sie wird uns helfen, unser Land sicherer zu machen. Habt also keine Angst vor ihrer Erscheinung, denn Magie ist der Schlüssel zum Frieden.«

Katharina verschränkte ihre Hand mit meiner. Sie drückte dabei so fest zu, dass ich den Magiestrom, den sie mir über unsere Berührung schenkte, deutlich in meinen Adern pulsieren spürte.

Es ist so weit, spornte ich mich selbst an.