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Ein Geisterschiff kreuzt vor der Küste von Rocky Beach. Justus, Peter und Bob trauen ihren Augen nicht: Der Dreimaster mit den zerfetzten Segeln gleitet durch die neblige See. Spuk oder Wirklichkeit? Die drei Jungs brauchen starke Nerven, denn Nachforschungen führen sie zu Piraten aus längst vergangenen Zeiten. Hat ein Fluch sie in die Gegenwart zurückgebracht? Um das Rätsel zu lösen, gibt es nur eine Möglichkeit: Die drei Detektive aus Rocky Beach müssen selbst an Bord gehen.
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Seitenzahl: 169
Veröffentlichungsjahr: 2013
und das Geisterschiff
erzählt von André Marx
Kosmos
Umschlagillustration von Silvia Christoph
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar, Girona, auf der Grundlage
der Gestaltung von Aiga Rasch (9. Juli 1941 – 24. Dezember 2009)
Unser gesamtes lieferbares Programm und viele weitere Informationen zu unseren Büchern, Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und Aktivitäten findest du unter kosmos.de
© 2013, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan
Based on characters by Robert Arthur.
ISBN 978-3-440-14188-5
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
»Und hier eine Warnung an alle Autofahrer, die zu dieser späten Stunde noch auf den Küstenstraßen unterwegs sind: Auf der Höhe von Malibu Beach herrscht dichter Nebel, die Sichtweite beträgt zum Teil unter fünfzig Meter. Also, Freunde der Nacht, wer den Durchblick behalten will, fährt besser durch die Berge nach Hause. Oder aber zur nächsten Party. Für diejenigen unter euch, für die die Nacht gerade erst beginnt, spiele ich jetzt einen besonders heißen Song. Hier kommt –«
»Danke, aber den Nebel hätte ich auch so bemerkt«, murmelte Peter und schaltete das Autoradio aus.
»He! Was soll denn das?«, rief Kelly empört.
»Ich hab keinen Bock mehr auf Musik. Der Abend hat mir gereicht. Außerdem muss ich mich aufs Fahren konzentrieren. Ist eine ganz schöne Suppe da draußen.«
»Na toll, du hast schlechte Laune. War ja klar.« Das Mädchen mit den knallroten Strähnen im blonden Haar verschränkte beleidigt die Arme. Doch bereits nach wenigen Sekunden begann sie angriffslustig aufs Neue: »Kannst du mir mal verraten, warum du mir jetzt die Stimmung vermiesen musst?«
Peter lachte kurz auf. »Ich vermiese dir die Stimmung? Wenn du wüsstest, wie sehr ich mich gerade anstrenge, nicht zu explodieren!«
»Du hast überhaupt keinen Grund dazu!«
»Ich bitte dich: Endlich haben wir mal einen Abend für uns, wollen in die neue Disco nach Malibu fahren und ein bisschen feiern und tanzen, und dann quatschst du stundenlang mit deinen Freundinnen und lässt mich links liegen.«
»Konnte ich denn ahnen, dass ich Sue und Betty treffen würde?«, verteidigte sich Kelly.
»Nein, aber eine Viertelstunde hätte gereicht. Geschlagene zwei Stunden habe ich blöd in der Ecke rumgestanden!« Peter hatte sich vorgenommen, nicht auszurasten, aber nun gab er sich keine Mühe mehr.
»Ach!«, rief Kelly patzig. »Kaum tanze ich mal nicht nach deiner Pfeife, bist du sauer! Hast du dich schon mal gefragt, wie oft ich in der letzten Zeit etwas mit dir unternehmen wollte und du nicht konntest, weil du ständig mit Bob und Justus herumhängst?«
»Wir hängen nicht herum!«
»Nein, ich weiß, ihr habt euer Detektivbüro und müsst ständig irgendwelche Fälle lösen. Das ist selbstverständlich viel wichtiger als alles andere. Aber wenn ich einmal ein paar Freundinnen treffe, ist gleich der Teufel los! Ich will dir mal was sagen, Peter Shaw: An mir liegt es nicht, dass wir uns in letzter Zeit so gut wie nie zu Gesicht bekommen.«
»Sonst warst du immer ganz begeistert, wenn ich dir von unseren Ermittlungen erzählt habe«, brummte Peter.
»Das war, bevor mir klar wurde, dass du nichts anderes mehr im Kopf hast als eure Zentrale, eure Recherchen und Besprechungen. Ich bedeute dir doch gar nichts mehr.«
Peter war klar, dass alles, was er jetzt sagen konnte, Kelly erneut auf die Palme bringen würde. Nichts zu sagen war natürlich genauso falsch. Aber er hatte keine Lust mehr auf diese Diskussion. Es war nicht das erste Mal, dass sie sie führten. Zu einem Ergebnis waren sie dabei allerdings noch nie gekommen.
Es waren noch einige Meilen bis nach Rocky Beach. Sie würden sich anschweigen, bis er Kelly zu Hause absetzte. Endlose, nervenaufreibende Minuten. Peter beschloss, sich ganz auf die Straße zu konzentrieren.
Die Bewohner von Kaliforniens Küste – besonders die Autofahrer – hatten um diese Jahreszeit oft mit Nebel zu kämpfen, doch Peter konnte sich nicht erinnern, dass es jemals so schlimm gewesen war. Er fuhr so langsam wie noch nie zuvor auf dieser Strecke. Die Scheinwerfer seines roten MG brachten die weißen Wände aus Luft zum Leuchten. Er konnte kaum dreißig Meter weit sehen. Die Warnung des Radiomoderators war eine glatte Untertreibung gewesen. Zum Glück war es schon so spät, dass auf den Straßen nicht mehr viel los war. Es schien fast, als wären sie die einzigen Menschen, die noch unterwegs waren: ein kleiner Wagen auf einer dunklen, einsamen Straße, die sich kurvenreich dicht an der Steilküste entlang durch die Landschaft schlängelte. Manchmal riss der Nebel auf, und man konnte einen Blick aufs Meer erhaschen. Die gespenstischen Nebelbänke trieben über das Wasser und schoben sich langsam die Böschung hinauf. Doch gleich darauf wurde die Aussicht erneut von der grauen Suppe verschluckt.
Kelly schaltete das Radio wieder ein und drehte die Lautstärke hoch. Alanis Morissette kreischte mit schriller Stimme aus den Lautsprechern.
»Geht das auch leiser?«, brüllte Peter.
»Wenn du schon nicht mit mir redest, will ich wenigstens Musik hören!«
»Aber nicht so laut!« Er drehte das Radio runter.
»Typisch!«, zischte Kelly.
»Hör zu, Kelly«, begann Peter so ruhig wie möglich. »Es ist neblig. Wenn du nicht gleich in hohem Bogen zwanzig Meter abwärts fliegen willst, muss ich mich auf die Straße konzentrieren. Aber das kann ich nicht bei diesem Gedröhne.«
»Das ist kein Gedröhne, das ist Alanis.« Sie drehte die Musik wieder lauter.
»Es ist mir scheißegal, wer das ist! Würdest du bitte –«
Kellys schriller Schrei zerriss die Musik und ließ ihn zusammenzucken: »Pass auf!«
Wie aus dem Nichts war eine dunkle Gestalt auf der Straße erschienen. Peter trat auf die Bremse und zerrte das Lenkrad herum. Mit quietschenden Reifen geriet der Wagen ins Schleudern und rutschte auf den Abhang zu. Peter hatte keine Kontrolle mehr über das Auto und klammerte sich nur noch panisch am Lenkrad fest, während Kelly aus Leibeskräften schrie. Die Motorhaube des MG bohrte sich in das Gestrüpp, hinter dem es steil abwärts ging, und bremste die Schleuderfahrt, bis das Auto endlich stehen blieb.
Das alles hatte höchstens zwei Sekunden gedauert, doch Peter war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Er schloss für einen Moment die Augen. Alanis Morissette sang weiter, als wäre nichts geschehen. Dann blickte er hinüber zu Kelly. »Alles in Ordnung?«
Sie nickte benommen und blickte aus dem Seitenfenster. »Hast … hast du sie erwischt?«
»Glaub nicht.« Peter stieß die Tür auf und wollte aussteigen, vergaß jedoch den Gurt und erwürgte sich fast damit. Als er endlich draußen war, lag die Straße verlassen vor ihm. Sofort schossen ihm Albtraumbilder durch den Kopf: Die Person war zur Seite gesprungen und den Abhang hinuntergestürzt. Oder er hatte sie angefahren, und nun lag sie schwer verletzt irgendwo im Gestrüpp.
»Hallo!«, rief Peter ängstlich. »Wo sind Sie?«
Ein Schatten löste sich aus dem Nebel. »Himmel, ist Ihnen was passiert?« Eine Frau kam auf ihn zu. Kein Humpeln, kein Stöhnen, sie schien unverletzt zu sein.
»Nein, alles okay.« Peter atmete auf. Doch als der Schock nachließ, wurde er wütend. »Sind Sie wahnsinnig geworden, einfach auf die Straße zu springen?«
»Tut mir leid. Ich hatte eure Scheinwerfer schon von Weitem gesehen und nicht daran gedacht, dass ich wegen des Nebels so gut wie unsichtbar bin. Schnell, ich brauche Zeugen!«
»Zeugen?«, wiederholte Kelly. »Wofür?«
»Später«, antwortete die Frau knapp. »Habt ihr zufällig eine Kamera im Wagen?«
»Nein«, erwiderte Peter irritiert. »Wofür –«
»Verflucht!« Sie drehte sich abrupt um und lief auf die Böschung zu. »Kommt mit! Schnell!«
»Aber … aber wohin denn?«, rief Peter hinter ihr her.
»Runter zum Strand!«
»Und der Wagen?«
»Unwichtig! Schnell! Sonst ist es gleich weg!«
Kelly und Peter sahen einander ratlos an, doch was immer die Fremde ihnen zeigen wollte, es schien ungeheuer wichtig zu sein. Peter warf einen Blick auf seinen MG. Er war so weit von der Straße abgekommen, dass er den Verkehr nicht mehr gefährden konnte. »Also schön«, murmelte er, lief zurück und kramte aus dem Handschuhfach eine Taschenlampe. Dann warf er beide Türen zu und folgte der Frau mit Kelly im Schlepptau.
Die Fremde hastete an der Böschung entlang, bis sie eine Stelle fand, an der die Sträucher eine kleine Lücke freigaben. Dahinter führten schroffe Felsen steil bergab, doch es gab einen Weg, den sie offenbar genau kannte, denn ohne zu zögern kletterte sie hinunter.
Wesentlich vorsichtiger und im Licht der Taschenlampe versuchten Kelly und Peter mit ihr Schritt zu halten.
»Sonst ist was gleich weg?«, keuchte Kelly.
Die Frau antwortete nicht.
Der Abstieg war beschwerlich. Mehrere Male gerieten Peter und Kelly ins Straucheln und stürzten fast, während ihre Führerin mit schlafwandlerischer Sicherheit von Felsen zu Felsen sprang, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Sie war bereits unten angelangt, als Peter und Kelly sich noch auf halber Höhe zwischen Straße und Strand befanden.
»Beeilt euch!«, rief sie ungeduldig. »Ihr müsst es sehen!«
Sie kletterten, so schnell sie konnten, und erreichten schließlich den breiten Sandstrand.
»Würden Sie uns bitte erklären, was das alles soll?«, forderte Peter ungehalten. »Gab es ein Verbrechen?«
»Gleich«, erwiderte die Frau einsilbig und setzte sich sofort wieder in Bewegung. »Kommt mit!«
Sie folgten ihr die hundert Meter bis ans Wasser. Dort blieb sie stehen und starrte angestrengt aufs Meer hinaus. »Verfluchter Nebel! Man kann überhaupt nichts sehen!«
»Was denn?«, versuchte Kelly es erneut.
Sie antwortete nicht, sondern suchte weiter die Lücken zwischen den Nebelbänken ab. Erst jetzt kam Peter dazu, die Fremde genauer in Augenschein zu nehmen. Sie war etwa Mitte dreißig, klein und drahtig und hatte kurze, dunkle Locken. Sie trug eine schwarze Jogginghose, ein kurzarmiges, schwarzes T-Shirt und Turnschuhe. Auf der linken Schulter ringelte sich eine tätowierte Schlange. Eine Joggerin mitten in der Nacht am Strand? Langsam wurde Peter bewusst, wie absurd diese Situation war. Was taten sie hier überhaupt? »Hören Sie!«, sagte Peter eindringlich. »Ihretwegen wären wir fast über den Abhang gefahren! Ihretwegen hätten wir uns beim Abstieg beinahe sämtliche Knochen gebrochen. Sagen Sie uns jetzt endlich, was das alles soll! Wofür brauchen Sie Zeugen? Was sollen wir uns ansehen?«
Wieder machte die Fremde keine Anstalten zu antworten, starrte weiterhin in die Dunkelheit, als hätte sie Peter gar nicht gehört. Doch schließlich sagte sie: »Das Schiff. Es war wieder da. Gerade eben habe ich es gesehen!«
»Das Schiff?«, echote Kelly. »Wir sollen uns ein Schiff ansehen? Hören Sie, dies ist die Küste von Malibu Beach! Hier gibt es tausend Schiffe!«
»Kein normales Schiff. Es … es tauchte plötzlich aus dem Nebel auf. Ein leuchtender Rumpf und zerfetzte Segel, die zu glühen schienen. Es war gespenstisch.«
»Ein leuchtendes Segelschiff? Was meinen Sie damit?«
Nun endlich wandte sie sich Peter zu. Ein gehetzter Ausdruck lag in ihren Augen. »Es war ein Geisterschiff!«
»Justus!« Tante Mathildas Stimme hallte unverkennbar über den Schrottplatz.
»Oh nein«, stöhnte Justus Jonas, der zusammen mit Bob Andrews in der Zentrale vor dem Computer saß. »Auch das noch: Arbeit für uns.«
»Das weißt du doch gar nicht«, widersprach Bob. »Vielleicht will sie etwas ganz anderes von dir.«
Doch der Erste Detektiv schüttelte den Kopf. »Lieber Bob, es gibt drei Arten, wie Tante Mathilda meinen Namen ruft. Justus!« Er ahmte den fröhlich trällernden Tonfall seiner Tante perfekt nach und erklärte: »So ruft sie, wenn Post für mich gekommen ist. Weil sie selbst so gern Post kriegt und sich automatisch für alle anderen mitfreut, nehme ich an. Hier kommt Nummer zwei: Juuustuuus!«
Der lang gezogene Ruf brachte Bob zum Kichern. »Und was hat das zu bedeuten?«
»Dass das Essen fertig ist«, erklärte der Erste Detektiv gelassen. »Ihre Stimme klingt freundlich, duldet aber keinen Widerspruch. Tante Mathilda möchte nicht, dass das Essen kalt wird. Gleichzeitig schwingt bereits ein Hauch ihrer Erwartungshaltung mit, dass ich alles aufesse und sie für ihre großartigen Kochkünste lobe.«
Bob fing an zu lachen. Zum einen über Justus’ herausragende schauspielerische Leistung, zum anderen darüber, wie geschwollen er ihm die Beispiele erläuterte. »Und Nummer drei?«
»Nummer drei kennen wir alle am besten: Justus! Laut, hart, fordernd, ohne eine Spur von Freundlichkeit. Wie ein Feldwebel. Und das bedeutet unter Garantie Arbeit.« Seufzend erhob er sich und öffnete die Tür nach draußen. »Ja, Tante Mathilda?«
»Hockt ihr etwa schon wieder den ganzen Tag in eurem Wohnwagen? Die Sonne scheint!«
»Dem Computer bekommt die Sonne nicht so gut.«
»Der Computer!«, stöhnte Tante Mathilda. »Selbstverständlich. Ihr sitzt ja ständig davor. Also, als ich in eurem Alter war, war ich immer an der frischen Luft!«
»Damals musste man auch noch keine Angst vor Hautkrebs haben, wenn man in die Sonne ging«, verteidigte sich Justus.
»Alles faule Ausreden. Hört zu, Jungs: Titus kommt jeden Moment von einem Großeinkauf zurück. Ihr helft ihm beim Abladen und Sortieren der neuen Ware. Zur Belohnung gibt es nachher Kirschkuchen, in Ordnung?«
Es war keine Frage. Es war ein Befehl. Vor einiger Zeit hatten die drei ??? versprochen, auf dem Schrottplatz zu helfen, wann immer es nötig war. Im Gegenzug durften sie den alten Campinganhänger auf dem Gelände weiterhin als Detektivbüro benutzen. Dass Tante Mathilda ihnen nun ihren erstklassigen Kirschkuchen für ihre Mitarbeit versprach, war lediglich ein Bonus.
»Na schön«, gab Justus sich geschlagen. »Komm, Bob. Wir machen nachher weiter.«
Auf dem Schrottplatz tummelten sich einige Besucher, die zwischen den Verkaufsständen umherschlenderten und nach nützlichen oder nutzlosen Dingen suchten. Samstags war das Gebrauchtwarencenter immer besonders gut besucht.
Der blaue Pick-up polterte durch die Einfahrt, gefolgt von einem Minitransporter. Beide Wagen waren bis obenhin vollgeladen mit alten Möbeln, Kisten und Kartons. »Ah, da stehen ja schon meine treuen Helfer bereit!«, rief Justus’ Onkel erfreut, als er ausstieg. »Ihr könnt mir sofort zur Hand gehen.«
Tante Mathilda kam aufgeregt angelaufen. »Titus Jonas! Das ist ja ein halber Umzug!«
»Ein Schnäppchen, Mathilda«, versicherte der kleine Mann mit dem dicken schwarzen Schnurrbart. »Nur leider etwas zu viel für meinen Wagen. Aber Mr Qin, der mir die Sachen seines Großvaters verkauft hat, war so freundlich, beim Transport zu helfen.«
Aus dem anderen Auto stieg ein junger Mann mit schwarzen Haaren und asiatischen Gesichtszügen, der noch etwas kleiner war als Onkel Titus und aussah wie eine Maus. Er nickte zum Gruß und begann sogleich die Waren abzuladen.
»Nein, nein, Mr Qin, das können die Jungs erledigen«, sagte Onkel Titus schnell. »Sie haben mir schon genug geholfen. Kommen Sie, wir gehen ins Büro, dort kann ich Ihnen den Scheck ausstellen.« Dann wandte er sich an Justus und Bob: »Und ihr, an die Arbeit!« Er zwinkerte ihnen verschmitzt zu, dann ging er mit Mr Qin zu dem kleinen Häuschen, das ihrem Unternehmen als Büro diente.
Bob betrachtete die Warenberge und verzog das Gesicht. »Da weiß man ja gar nicht, wo man anfangen soll. Als Patrick und Kenneth noch hier waren, fiel das in ihren Aufgabenbereich.«
»Tja, die sind wieder in Irland«, antwortete Justus und dachte wehmütig an die beiden irischen Brüder, die früher für Onkel Titus und Tante Mathilda auf dem Schrottplatz gearbeitet hatten. »Aber wenigstens Peter könnte helfen! Wo steckt er überhaupt?«
»Er wollte gestern mit Kelly nach Malibu in eine neue Disco. Wahrscheinlich ist es spät geworden, und er liegt noch in den Federn.«
»Typisch. Na, dann fangen wir mal an.« Unter Tante Mathildas wachsamen Blicken und Regieanweisungen hievten sie die schweren Möbel und Kisten von den beiden Ladeflächen. Das Abladen ging schneller, als sie erwartet hatten, doch danach stand ihnen der Schweiß auf der Stirn.
»In Ordnung«, stöhnte Bob. »Das war es.«
»Von wegen!«, widersprach Tante Mathilda. »Jetzt geht es erst los!«
»Wir sollen den Krempel sortieren«, vermutete Justus.
»Genau. Nach möglichen Sammlerstücken, nach normalem Trödel, nach Dingen, die noch repariert werden müssen, und nach Schrott, den wir entweder endgültig wegwerfen oder einem Künstler in die Hand drücken, der daraus vielleicht eine schöne Skulptur bastelt. Ich muss zurück zu den Kunden. Viel Spaß, Jungs!« Tante Mathilda winkte fröhlich und verschwand im Büro.
Sie öffneten die Kisten und Kartons und stöberten darin herum.
»Was für Zeug! Für dieses gute Stück«, sagte Bob und zog eine hässliche, alte Nachttischlampe heraus, »findest du jedenfalls niemals einen Käufer.«
»Da wäre ich nicht so sicher«, erwiderte Justus. »Die Leute kaufen fast alles. Und sie sammeln die verrücktesten Sachen. Nicht nur Briefmarken und Münzen. Einmal im Monat kommt zum Beispiel jemand aus L. A. auf der Suche nach antiken Brieföffnern. Und eine Dame aus der Nachbarschaft kauft regelmäßig Kaffeekannen. Mir hat sie mal erzählt, dass schon über zweihundert Stück in ihrem Haus stehen.«
»Zweihundert Kaffeekannen«, murmelte Bob verständnislos und öffnete eine weitere Kiste. Darin befanden sich Dutzende alter Hutschachteln. »Die müssen Mr Qins Großmutter gehört haben. Was machen wir damit?«
»Verkaufen! Die sehen doch noch ganz gut aus.«
»Schon. Aber wer braucht heutzutage noch Hutschachteln? Selbst wenn sie wie neu aussähen, würde sie niemand haben wollen. Oder?«
»Man kann nie wissen«, sagte der Erste Detektiv.
Bob grinste gequält. »Nein, natürlich kann man nie wissen. Aber das gilt für alles, was hier herumliegt. Man kann nie wissen, ob in den nächsten hundert Jahren nicht doch noch jemand kommt, der ein paar alte Autoreifen haben will. Oder eine fußbetriebene Nähmaschine. Oder ein Kaffeeservice, bei dem jede Tasse einen Sprung hat und jedem Teller eine Ecke fehlt.« Er seufzte. »Warum kauft dein Onkel eigentlich so viel unnützes Zeug ein?«
»Weil genau deshalb die Leute zu uns kommen. Sie wissen, dass sie hier alles finden, was es woanders nicht gibt: Gipsbüsten, Tierkäfige, seltsame Wecker, antike Spiegel und so weiter.« Justus griff nach einem großen Pappkarton und untersuchte dessen Inhalt Stück für Stück. Eine Schneekugel, in der bunte Plastikfische mit weißen Flocken um die Wette tanzten, wenn man sie schüttelte, landete auf dem Stapel ›billiger Kitsch‹. Eine Handvoll dutzendfach geflickter Fahrradschläuche wanderte zum ›wertlosen Müll‹ und eine alte Kaffeekanne zu den ›Sammlerstücken‹. »Für die Dame aus der Nachbarschaft«, erklärte Justus augenzwinkernd.
»Sieh mal, das ist schick!« Bob hielt ein großes verstaubtes Flaschenschiff in die Höhe. »Sieht richtig wertvoll aus. Jedenfalls ist es keins von diesen Fertigbausätzen, die man kaufen kann. Was meinst du – zu den Sammlerstücken?«
Justus zuckte die Schultern. »Weiß nicht.«
»He! Da sind noch mehr! Die ganze Kiste ist voll mit Flaschenschiffen.« Sie sahen einander an, nickten und sagten gleichzeitig: »Zu den Sammlerstücken.«
Eine Frau mittleren Alters mit einem großen Strohhut auf dem Kopf, die schon seit einigen Minuten über den Schrottplatz gestreift war und die Ware betrachtet hatte, kam auf die beiden zu. Unsicher fragte sie: »Gehört ihr zum Betrieb?«
Justus nickte. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Nun ja, wahrscheinlich nicht. Ich suche nämlich schon seit Wochen alle Trödelläden und Flohmärkte der Umgebung ab, ohne fündig zu werden. Doch gestern sagte mir ein Händler, ich solle es mal beim Gebrauchtwarencenter T. Jonas in Rocky Beach versuchen, dort könnte ich Glück haben. Ich suche Hutschachteln.«
Der Erste Detektiv grinste breit, während Bob Mühe hatte, sich das Lachen zu verkneifen.
»Entschuldigt, was ist denn so lustig daran?«, fragte die Frau entrüstet.
»Verzeihung, überhaupt nichts«, erwiderte Justus und räusperte sich. »Selbstverständlich haben wir Hutschachteln. Gerade frisch eingetroffen.« Er wies einladend auf den Stapel. »Suchen Sie sich eine aus!«
»Oh!«, rief die Frau erfreut und stürzte sich sogleich auf die Objekte ihrer Begierde. »Wie teuer sind sie denn?«
»Das kann Ihnen meine Tante sagen. Dort drüben im Bürohäuschen.«
Dankbar und mit vier Hutschachteln unter dem Arm verabschiedete sie sich.
»Was habe ich dir gesagt«, triumphierte Justus. »Die Leute kommen zu uns, wenn sie Hutschachteln suchen.«
»Unglaublich«, sagte Bob kopfschüttelnd und musste erneut grinsen. »Mich hätte es fast zerrissen, als sie von den Hutschachteln anfing. Hey, da kommt Peter. Der wird sich ärgern, dass er das nicht mitbekommen hat.«
Gerade schoss der Zweite Detektiv mit seinem Mountainbike auf den Schrottplatz. Er entdeckte seine Freunde und kam mit quietschenden Bremsen neben ihnen zum Stehen.
»Du kommst gerade richtig, Peter«, begrüßte Justus ihn. »Arbeit für uns!«
»Arbeit? Sag bloß nicht, wir haben einen neuen Fall. Dabei wollte ich doch diesmal derjenige sein, der in etwas Mysteriöses stolpert.«
»Nein, nein, bloß einen der üblichen Tante-Mathilda-Jobs.«
»Da bin ich aber froh.« Peter stellte sein Fahrrad ab und fuhr fort: »Ihr glaubt nämlich nicht, was mir gestern Nacht passiert ist.«
»Du hast dich mit Kelly gestritten«, vermutete Bob.
Der Zweite Detektiv runzelte irritiert die Stirn. »Woher weißt du das?«
»Ihr streitet doch immer und überall. Ist dir das etwa noch nicht aufgefallen?«
»Ich würde sagen, sie streiten, seit sie sich kennen, Bob«, feixte Justus. »Daran ist nun wirklich nichts Mysteriöses. Höchstens die Tatsache, dass sie immer noch zusammen sind.«
»Nun hört schon auf«, knurrte Peter. »Ich rede von etwas ganz anderem. Kelly und ich hätten gestern auf dem Heimweg fast eine Frau überfahren.«
»Was?«