Die drei Zeittänzerinnen - Peter Rupprecht - E-Book

Die drei Zeittänzerinnen E-Book

Peter Rupprecht

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Beschreibung

Es war einmal ein junger König der alles hatte, was das Herz begehrte. Sein Reich war groß, seine Macht unermesslich. Dennoch legte sich über sein Land innerhalb kürzester Zeit und auf rätselhafte Weise in eine unbarmherzige Sandwüste. In diese seltsame Begebenheit wird Jahrzehnte später die Fürstentochter Soreya hineingezogen, als eine schreckliche Dürre das Reich ihres Vaters austrocknet. Unwillkürlich findet sie sich in einer Geschichte aus Verrat und Fanatismus wieder, der den gesamten Erdkreis zu vernichten droht. Dieses Ereignis wird für die junge Frau zu einer harten Bewährungsprobe und zu einem Wettlauf mit dem wohl unberechenbarsten Gegner, der ihr auf Schritt und Tritt im Nacken sitzt: die Zeit.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Eine von vielen Möglichkeiten

Kapitel 2 Soreyas Ausblick

Kapitel 3 Der Tempel

Kapitel 4 Mutu

Kapitel 5 Durch die Kalahan

Kapitel 6 Shan Xi

Kapitel 7 Wettlauf

Kapitel 8 Ursprung

Was ist Zeit?

Sag mir, was ist die Zeit?

Zukunft oder Vergangenheit?

Etwa ein ewig Zyklus gar,

Bei dem nichts bleibt, wie es mal war?

Pulsiert sie wie eine Einheit?

Steht sie nie still? Hat sie die Ewigkeit?

Ist Eile ihr ein fremdes Wort?

Ist Sie überall und an jedem Ort?

Rotiert sie oder fließt sie dahin?

Ist dies allein ihr Daseinssinn?

Wird und vergeht in ihr der Raum?

Ist Materie in ihr wie Schaum?

Dabei ist nur eines klar.

Man nimmt sie meist nicht wahr.

Aber wenn es kommt, Spitz auf Knopf,

packt sie dich an deinem Schopf.

Gnädig kann sie schon sein,

auch furchtbar, dreckig und gemein.

Wie ein Bruder ist sie, der mit dir geht,

und den man doch nie ganz versteht.

Gleich dem Sturz des Stundenglas,

gibt und nimmt sie dies und das.

Ihr ist egal, ob sie verrinnt.

Nur uns nicht, weil wir sterblich sind.

Peter Rupprecht

Kapitel 1

Eine von vielen Möglichkeiten

Vor langer langer Zeit lebte einmal ein junger König, der alles besaß, was das Herz begehrte. Sein Reich war mächtig, sein Land fruchtbar und durchzogen von immergrünen Flussauen. Niemand hungerte innerhalb der weitläufigen Grenzen seines Imperiums oder litt an Durst. Man erntete bis zu drei Mal im Jahr und füllte die Vorratsspeicher reichlich. Seine Untertanen erbauten prächtige Städte und durchzogen sie mit breiten Flusskanälen, auf denen sie ihre selbst erzeugten Waren in alle Welt verbrachten. Von ihren Metropolen wetteiferte die eine mit der anderen um die Pracht. Deren Einwohner errichteten in diesen Orten Anlagen, die ein Leben dort angenehm und begehrenswert machte. Luxuriöse Bäder und Basare für den Zeitvertreib befanden sich ebenso darunter wie Theater und ausgedehnte Parkanlagen. Deren liebevoll gestalteten Bepflanzungen nebst den kuriosen Wasserspielen suchten auf dem Erdball ihres gleichen. All das zeugte von dem gigantischen Reichtum, der die selbstbewussten Einwohner stolz auf sich und ihren König machte. Der Herrscher selbst residierte in einem glanzvollen Palast, mit tausenden von Räumen. An Herrlichkeit gab es nichts Vergleichbares auf der Welt. Hinter seinen erhabenen Mauern aus weißen Kalksteinen mit majestätischen Zinnen befand sich der schmuckvollste Garten des gesamten Reiches. In ihm gab es die kunstvollsten Statuetten, die harmonischsten Bilder und die lieblichsten Frauen, welche in einem sprichwörtlich goldenen Harem lebten. Es handelte sich hierbei nicht nur die schönsten und edelsten Damen des ganzen Reiches. Nein, wenn nicht gar des gesamten Erdkreises. Aus allen bekannten Ländern stammten diese sorgsam gehüteten Frauen. Man kleidete sie mit den wertvollsten Stoffen, schmückte sie mit den kostbarsten Juwelen. Sie wurden mit den nur besten Speisen und Getränken verköstigt, die es in der Welt gab. Ihnen mangelte es an nichts, denn der Machthaber verspürte eine große Schwäche für die Schönheiten, welche er verehrte, wie wenn sie Göttinnen wären.

Auf Grund seines Standes heiratete der junge König früh. Doch obwohl seine Hauptfrau zu einer der Schönsten der Welt zählte und auch von der Bevölkerung wegen ihrer Anmut in Gedichten gerühmt wurde, war sie für den Monarchen nur eine von Vielen an seinem Hofe. Immer, wenn der König Lust verspürte, lies er sich eine von seinen leibhaftigen Göttinnen aus dem Harem kommen. Aber egal, wer ihn vergnügte, bei keiner empfand er wirklich Liebe. Etwas wonach er sich von ganzem Herzen sehnte. Sie alle, die im Harem lebten, versuchten dem jungen König zu gefallen und buhlten fanatisch um seine Gunst. Aber der König fand keinen Gefallen an ihnen. Wusste er doch, dass nicht er hinter dem Begehren stand, sondern nur sein Status und den damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstieg. Aus dieser Gewissheit mied er schon bald den Harem und widmete sich geradezu besessen seinen Staatsgeschäften. Durch seine Tatkräftigkeit versuchte der junge König seinen seelischen Schmerz zu lindern, in dem er durch sein Reich reiste, um auf andere Gedanken zu kommen. Schon lange glaubte er nicht mehr daran, sich je einmal zu verlieben. Er begrub in seinem Herzen jenen allzu menschlichen Wunsch den Rausch der Liebe anheimfallen zu können. Immer wieder redete er sich ein, dass sein Amt und seine Bürde es einfach nicht zuließen. Er bemühte sich ein guter König sein. Ein Vorbild für seine Zeit. Ein König, von dem man noch lange nach seinem Tod mit Hochachtung sprach. So zog er mit seinem Tross durch sein großes Reich, um nach den Rechten zu sehen. Er besuchte all seine Städte, hielt dort Audienzen und Rechtsprechung ab. Auf Grund seiner mangelnden Erfahrung handelte er nicht immer gerecht, aber das Volk spürte, das er sich seiner Verantwortung stellte und sich nicht lethargisch in seinem Palast vergrub. Egal wo er auf seinen Reisen hinkam, empfing ihn das Volk mit Wohlwollen. Sie liebten ihren Herrscher und zeigten dies mit Hingabe. Lange vor seinem Eintreffen bereiteten sich die Einwohner auf seinen Besuch vor und putzten ihre Stadt heraus. Schon bald erlangte sein Reich durch seine umsichtige Herrschaft eine ungeahnte Blüte. Der Fernhandel florierte und trug so den Ruhm seines Imperiums in alle Welt bis in die entferntesten Winkel hinein.

Während der König sein großes Reich bereiste, überlies er seinem Wesir die Verwaltung des heimischen Königspalastes. Jener, zunächst schüchtern in seinen neuen Befugnissen als Hausherr der Residenz, legte die Scheu in der Heimstatt seines lang abwesenden Herren bald ab. Anstelle des Königs vergnügte sich nun der hohe Beamte mit dessen fleischlichem Besitz. Er lies in den Gemächern pompöse Orgien veranstalten und ergötzte sich an dem erlesenen Angebot und dem Reichtum in mehrfacher Art. Seine Gier wurde mit jedem Tag immer dreister und er unterließ es sogar nicht, ein Verhältnis mit der Königin zu beginnen, welche der König sträflich vernachlässigte. Die Königin reagierte nicht abgeneigt dazu und führte bald mit dem Wesir eine leidenschaftliche Beziehung. Vom Palast ging alsbald das Gerücht aus, dass der König nicht mehr der eigentliche Herr in seinem Hause war. Es habe sich ein eigener Staat im Staate gebildet. Den König aber berührte dies nicht. Lieber hielt er sich auf seinen Reisen auf, anstatt in seinem goldenen Käfig unglücklich zu darben. Er zog es vor, die sich ausbreitenden Gerüchte zu ignorieren. Solange man ihn in Ruhe ließe und seine Herrschaft über das Reich nicht streitig machte, sah er keinen Grund einzugreifen. So vergingen viele Monate und es wären vielleicht sogar Jahre daraus geworden, wenn nicht ein Ereignis den Lebenswandel des Herrschers radikal veränderte.

Auf seinen Wegen durch das Reich kam der König eines Tages mit seinem Tross zu einem Wasserloch. An ihm befahl er, seine Elefanten tränken zu lassen. Von dort sah er in seiner Elefantenkanzel sitzend einer jungen Frau zu, welche sich mühevoll mit einem übergroßen Tonkrug auf ihrem Kopf abschleppte. Sie befüllte ihn mit Wasser an der Tränke. Dabei verschüttete das wohlgeformte Mädchen das klare Wasser und es ergab sich, dass es ihre leichten Kleider erotisierend benetzte. Darunter schimmerte ihre begehrenswerte Anmut hervor, was den König sehr erregte. Ihr edler Körper, ihre fein geformten Rundungen. Ihr strahlendes Lächeln und ihre seidigen Haare betörten den jungen Monarchen sehr. So befahl er seinen Dienern, sie zu sich holen zu lassen. Die Begleiter des Königs brachten die von dem Befehl überraschte Frau zu ihrem Herren. Voller Ehrfurcht und mit einer gewissen Angst warf sich die Schönheit vor ihm in den Staub, aber der junge König stieg zu ihr vom Elefanten herab. Er kniete sich zu ihr nieder, hob ihren Kopf an und sah der hübschen Dame in die strahlenden Augen, welche ihn an zwei Saphire erinnerten.

„Du bist wunderschön“, sagte er von ihrer Grazie ergriffen. „Nicht du sollst dich vor mir in den Staub werfen. Ich tue es vor dir“, antwortete er und verbeugte sich ehrfürchtig. Das geehrte Mädchen wusste nicht, wie ihr geschah, als sich der König vor ihr verneigte.

„Herr“, sagte sie. „Ich verdiene das nicht. Ich bin doch nur eine Dienerin.“

„Von heute an nicht mehr“, antwortete der König.

„Du wirst zu meiner Lieblingsfrau werden. Niemals sollst du mehr Wasser schöpfen müssen. Von heute an wird man es dir bringen.“

„Nein“, rief die junge Frau entsetzt. „Ich bin bereits verlobt. Ich habe doch schon einen Mann.“

Der König starrte sie nun seinerseits überrascht an. Noch nie wies eine Frau ihn ab.

„Du widersprichst deinen Herren?“, fragte der König nun erst recht an dieser Frau interessiert und fragte herausfordernd: „Ist dein Geliebter etwa besser als ich es bin?“

„Bitte Herr, tut ihm nichts. Ich würde sterben für ihn. Ich liebe ihn von ganzem Herzen“, flehte das Mädchen ihn an.

Gerade diese Aufrichtigkeit imponierte dem Herrscher. Er lies den jungen Mann zu sich holen. Ein hübscher Jüngling, dessen Aussehen kräftig und gesund wirkte.

Der König fragte ihn: „Deine Verlobte sagte, dass sie für dich sterben würde. Würdest du es auch für sie tun?“

Der junge Mann wusste um die Wichtigkeit der Antwort, die er seinem König gab. Daher sagte er ihm: „Ja Herr. Auch ich wäre bereit für meine Liebe mein Leben zu geben.“

Dem König überkam ein Gefühl des Wohlgefallens an den Beiden. „Ich beneide euch“, sagte er zufrieden.

„Ich wünschte, dass ich dies auch von den Meinen in meinem Palast sagen könnte. Von heute an sollt ihr meine Gäste sein. Ich werde euch ein Haus im Palastgarten bauen lassen. Dort sollt ihr auf ewig ohne Sorgen leben und es wird euch dort gut ergehen. Dafür gebe ich mein Wort.“

Vor lauter Glück wusste das junge Paar nicht darauf zu reagieren, sie glaubten nicht so recht an diese noble Tat.

„Herr, meint ihr das wirklich ernst?“, fragten sie ihn.

„Natürlich“, antwortete der König und Beide bedankten sich überschwänglich bei ihm.

Der König nahm das junge Paar mit zu seinem Zug und kehrte nach langer Abwesenheit in seinen Palast zurück. Dort befahl er seinem Hofarchitekten ein Haus in den Garten zu zimmern, in dem es seinen beiden Gästen an nichts fehlte. Alle Dinge, die das Beieinandersein eines Paares bedurften, von der Versorgung ihres täglichen Bedarfs bis zur Perfektionierung ihres Liebeslebens, lies er darin einbauen. Jedoch wies er seinen Hofarchitekten im Geheimen an, das Haus so zu konstruieren, dass durch Spiegel alle Räume einsehbar wurden. Die Reflexionen der Spiegel wurden in einem dem König zugänglichen Raum geleitet. Dort spionierte er den Liebenden nach Lust und Laune nach. Der Ingenieur löste diese Aufgabe so genial, dass die Beobachteten nicht merkten, wenn ihnen Fremde von einem entfernten Ort bei ihrem Alltagsleben zusahen. So kam es, dass nach nur kurzer Bauzeit das Paar darin einzog. Überschwänglich genossen die neuen Palastbewohner das luxuriöse Leben bei Hofe und merkten nicht, wie der König sie genauestens dabei beobachtete. Der junge Herrscher fand Gefallen daran, den Zweien bei jeglicher Tätigkeit zuzusehen, die der Alltag mit sich brachte. Er lies es sich auch nicht nehmen deren Beziehung zueinander auf eine harte Probe zu stellen. Die Versorgung der Gäste übernahmen seine Damen aus dem Harem, welche gekonnt den Verlobten der jungen Frau in Versuchung zu führen wussten. Im Gegenzug veranlasste der König auch junge adrette Männer dazu, die anmutige Frau aufzusuchen. Jene bekamen die Aufgabe sie zu massieren oder einfach nur durch Kunstvorführungen zu unterhalten. Alsbald fing das junge Paar an, sich gegenseitig zu misstrauen. Ihr unliebsames Gefühl der Eifersucht gipfelte sich oft in Streit, wobei es ihnen dank ihrer starken Liebe zueinander immer wieder gelang, ihn beizulegen. Der König amüsierte sich so sehr an ihren Beziehungskrisen und auch daran, Beide in ihrer Liebe auf die Prüfung zu stellen. Dass er sein Reich dabei vollkommen vernachlässigte, interessierte ihn nicht. Für seine Regierungsgeschäfte im Reich bestellte er den zuvor als Palastherr eingesetzten Wesir. Diese an ihm neu übertragene Aufgabe nahm er seinen Herren durchaus übel. Seine Geliebte, die Königin, sah er gezwungenermaßen nur selten. Er konnte sie nur aufzusuchen, wenn der König nicht im Palast weilte. Dieser Umstand zwang ihn, seine Liebschaft zu verheimlichen, weil der König sich mit seinen „Versuchskaninchen“ befasste. So schmiedete der Wesir vor Wut getrieben, einen Plan den König zu entmachten. Bei diesem scheute er keine Mittel und Möglichkeiten. Eine Stimmung der Missgunst und des Neides lag von jenem Tage an über dem Herrscherhaus wie ein undurchdringlicher Schleier. Das Gerücht über eine bevorstehende Revolte machte in der Bevölkerung die Runde. Es hieß, dass sich in dem Palast Parteien bildeten, die den König stürzen.

Eines Tages kam niemand mehr aus dem Herrscherhaus heraus. Man sah zwar Leute hineingehen, aber auch diese kamen nie wieder zurück. Das Volk rätselte alsbald über das seltsame Phänomen des Menschen verschlingenden Palastes. Bedeutete dies doch eine Katastrophe. Denn wenn vom Königspalast keine Befehle mehr ins Land hinausgingen, dann drohte dem Reich ein Chaos. Niemand sorgte mehr für Recht und Ordnung. Zu allem Übel fiel bald darauf kein Regen mehr über dem Land ab. Die Flüsse, welche vorher für Nahrung im Überfluss sorgten, trockneten in nur wenigen Monaten vollkommen aus. Wenig später verdorrten die Felder und es folgte eine schreckliche Hungersnot. Das Volk schickte in seiner Verzweiflung weitere Boten zum König in den Palast. Aber da niemand aus seiner Residenz zurückkam, glaubte man bald an einen Fluch. Es hieß, der König erzürnte die Göttin der Fruchtbarkeit und dies wäre nun die Rache für seinen Frevel. Mit jedem Tag, der verging, nahm das Unheil immer schlimmere Ausmaße an. Aus Sandkörnern wurden Haufen. Die Sandhaufen wuchsen zu Dünen heran. In absehbarer Zeit entstanden immer mehr von diesen Sandbergen, so dass sie bald ganze Landstriche unter sich verschluckten. Bald erkannte man das einstige Großreich der Kalahan nicht wieder. Es legte sich eine unbarmherzige Sandwüste mit jenen riesenhaften Dünen darüber, dessen flüchtende Bewohner ihr den Namen Kalahan gaben. Benannt nach dem untergegangenen Reich, dass einst Glück und Wohlstand für sie bedeutete. Ihrer Heimat beraubt flohen die Untertanen des Königs aus dem verödeten Reich in die umliegenden Länder. Sie suchten nun ihr Heil in der Ferne. Von dem Königspalast aber ging seit jener Zeit das Gerücht mit dem Fluch um. Ein jeder fürchtete sich davor, auch nur in seine Nähe zu kommen. Eigenartigerweise erstrahlte die Residenz des Herrschers so erhaben wie eh und je über die Gegend. Dieser Prachtbau passte nicht zu den vertrockneten Wäldern, Kanälen und den verlassenen Gehöften ringsherum, dessen Mauern der scharfkantige Sand der Wüste zerschliff. Die Göttin der Fruchtbarkeit bestrafte ihn, hieß es. Man schenkte ihr zu wenig Aufmerksamkeit und nun sind alle verflucht, die mit dem Königshaus im Bunde sind. Niemand weis, was aus dem König, dem Wesir und dem jungen Liebespaar im Palast geworden ist. Die Antwort darauf liegt im ewigen Sand der Kalahanwüste begraben, der dort seither wie eine nicht endenwollende Flut durch die heißen Lüfte zieht.

So jedenfalls berichtet es die Legende. So beschrieben es die Überlebenden, die einstmals in diesem blühenden Reich, der Kalahan, lebten …

Kapitel 2

Soreyas Ausblick

Soreya starrte entrückt in das weite Land hinein. Von oben besaß sie einen wahrlich traumhaften Ausblick über das durch den Jahanfluß zweigeteilte Reich ihres Vaters. Der Maharadscha von Janapur regierte es schon seit vielen Jahren. Immer, wenn sie traurig und bekümmert war, stieg sie zu dem Ausguck des schlanken Turmes der Herrscherresidenz hinauf. Er bestand, wie auch der Rest des Gebäudes, aus weißen Kalksteinblöcken. Wenn morgens das Licht der Sonne darauf fiel, schimmerte seine leuchtende Farbe gleich eines Sterns in der Nacht. Es blendete selbst in der Weite den Besucher, wenn er sich der malerischen Residenz näherte. Jener Beobachtungsstand auf dem Soreya in der letzten Zeit immer öfters verweilte, war etwas Besonderes für sie. Mit feinen Steinmustern auf seiner Spitze verziert, lud er sie zum Innehalten und Träumen ein. Dort suchte sie mit einem entrückten Blick in die Ferne ihrem vorherbestimmten Schicksal zu entgehen. Unausweichlich war es. Lange schon entrann sie diesem Los nicht mehr. Seit ihrer Geburt praktisch nicht.

Früher, als ihr der sechzehnte Geburtstag unerreichbar erschien, fand sie Trost auf dem hohen Turm. Für einen Moment entschwand sie dort oben mit ihrer Seele dem Reich ihres Vaters. Doch heute zerstob ihre Zuversicht wie die mächtigen Sanddünen der unwirtlichen Kalahan. Jener Wüste, die weit oben im Norden jenseits der hohen Feuerberge lag. Soreya sah diesen Ort noch nie. Aber sie hörte viel von ihm. Am Tage war es dort glutheiß und in der Nacht bitterkalt. Vieles trug man ihr von Unberechenbarkeiten zu, welche die Karawanen durchlitten, wenn sie tagelang in dieser Einöde ohne Wasser unterwegs waren. Die Händler auf dem Markt erzählten oft davon und sie behaupteten, dass es mit jedem Jahr schwieriger wurde, überhaupt hindurchzukommen. Auch von einer alten Legende hörte sie, die unverrückbar mit der Wüste in Verbindung stand. Sie erzählte von einem jungen König, der ein Liebespaar in Versuchung führte und von einem Wesir, der gegen ihn putschte. Welchen wahren Umstand es für die Entstehung der Wüste gab, lies die Legende zwar offen, doch unterschieden sich die Deutungen der Nachwelt. Nur die Wenigsten meinten, dass diese Wüste, ebenso wie die anderen Einöden auf der bekannten Welt, eine Laune der Natur wäre. Solche Wüsten kamen und gingen. Irgendwann grünte es auch in der Kalahan wieder. Selbst wenn es wiederum Jahrtausende dauerte. Die Meisten ihrer Zeitgenossen freundeten sich nicht mit einer so einfachen Erklärung an. Die alten Könige der Kalahan verehrten schon immer die alles sehende Göttin der Fruchtbarkeit. Der junge König forderte die Göttin heraus, was zur Austrocknung des Landes führte. Er schenkte der Gottheit zu wenig Beachtung. Besonders die Priester der Göttin pflegten diese Version, weil sie viele Pilger in deren Heiligtum anlockte und so ihre Klöster zu einem unübersehbaren Wohlstand verhalfen. Doch egal, was es wirklich war. Die Nachfahren der einstigen Bewohner siedelten sich im Umkreis des Kalahanreiches an. Sie brachten ihre Fertigkeiten mit, was die angrenzenden Länder zu einem ungeahnten wirtschaftlichen Aufstieg verhalf. Besonders die Handwerker, die sich im Jahantal niederließen, galten als die Fähigsten ihrer Zeit.

Im Nordosten lag in einem weit verzweigten Flussdelta das geheimnisvolle Reich der Chasin. Sie handelten mit Papier, Porzellan und einem Stoff, der in Soreyas Heimat sehr begehrt war. Er kam in großen gefärbten Ballen auf Eseln über die Berge. Diese Ware handelte sich so wertvoll wie die Gewürze, die Janapur selbst den Reichtum bescherten. Der feine Stoff schmiegte sich weich an die Haut und brachte ein wohliges Gefühl über den Träger. Es hieß, dass aller Gram von dem abfiel, der sich damit verhüllte. Die Chasiner betitelten das Erzeugnis, das sie wie ein Staatsgeheimnis hüteten, mit dem Wort Seide. Aus diesem Stoff bestanden auch die Kleider die Soreya jetzt auf ihrem Leib trug. Ihr azurblauer Schleier flatterte vom aufkommenden Wind in die Lüfte. So, als sehnte auch er sich danach davongetragen zu werden. Er wirkte wie eine Fahne in der aufsteigenden Wärme des Tages. Trotz des erhabenen Bildes und des wohligen Gefühls ihrer Kleider vermochten sie nicht ihr trauriges Gemüt zu trösten. Sie hielt sich an dem fein verzierten Fensterbogen mit dem kunstvollen Relief des Turmes fest. An diesem einzigartigen Meisterwerk brachte der Steinmetz gut und gerne mehrere Wochen zu. Man erkannte, dass er alles tat, um sein Werk zur Perfektion zu treiben. In den feinen Stein meißelte er Vögel mit prächtigem Gefieder. Tiere, für die das Jahantal sich rühmte und dessen Luft sie majestätisch durchschnitten. Immer war es ein erhabener Anblick, wenn diese leichten Geschöpfe vorübersegelten. Soreya sah ihnen gerne zu. Auch von ihrem Turm aus. Frei und ungebunden flogen sie dahin. Genau so wollte sich Soreya jetzt fühlen. So wie jene Vögel einfach davon fliegen und diesen ungeliebten Ort für immer hinter sich lassen.

Der Jahan, der mächtige Strom auf dem ihr verzweifelter Blick fiel, teilte die weitgehend trockene Gegend in zwei Hälften. Auf dem Fluss schipperten die Lastkähne der Händler und die Boote der Flussfischer umher. Er schenkte seinen Anwohnern einen unermesslichen Reichtum. Jener gründete sich nicht ausschließlich auf den Anbau von Hirse und Rüben, welche die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellten. Nein, auch die allseits begehrten Gewürze lies er bestens gedeihen. Ob es Kardamom, Ingwer, Pfeffer oder der heiß begehrte Safran war, sie alle gaben dem Volk, dem sie angehörte, den großzügigen Wohlstand. Das erkannte ein jeder Besucher deutlich, der sich dem kleinen Fürstentum des Maharadschas näherte. Gerade in den Häusern der Hauptstadt Jahanapur am Fluss spiegelte sich jene Ergiebigkeit wieder. Sie ergaben mit ihrer architektonischen Schönheit den weltweit bekannten Spitznamen des Ortes. Das Juwel von Jahanapur nannte es alle Welt. Die Stadt mit den zahllosen Kuppelbauten, die mit ihren verschnörkelten Mustern, das Ortsbild farbig gestalteten. Ihre fein verzierten Kacheln erstrahlten wie leuchtende Mosaike in der Sonne. Dann gab es da die breiten Straßen mit den immergrünen Palmen. Sie spendeten den Menschen in den Straßen genügend Schatten für ihr Alltagsleben dort. Alle Händler, die von Nah und Fern zu dem Handelsumschlagplatz kamen, nahmen diese harmonischen Eindrücke mit nach Hause. Sie trugen dessen Ruhm über seine Grenzen hinaus.

Soreya hörte das bunte Treiben auf dem belebten Marktplatz nur unterschwellig. Obwohl deutlich die Marktschreie der Kaufleute zu ihr hinauf bis in den mächtigen Palast ihres Vaters drangen, hörte sie kein einziges Wort davon. Die Rufer priesen die Waren an, die aus allen ihr bekannten Ländern stammten. Wäre ihr Gemüt an diesem Tage glücklicher, dann hätte sie ihren Worten neugieriger gelauscht. Dort unten warben die Händler mit verlockenden Worten für den Kauf von kupfernen Kesseln aus Peresien. Einem Land weit jenseits der der Savanne im Westen. Von ihm sagte man sich ebenso ungeheueren Reichtum nach, wie von dem Land, in dem sie lebte. Die Menschen dort trieben einen schwunghaften Handel mit dem Reich ihres Vaters. Vor allem tauschten sie ihre feinen Kupferwaren gegen die allseits begehrten Gewürze ein. Von weit her kamen die Händler. Auch von einem Kontinent, der den Namen Atafra trug. Dessen Kaufleute brachten kostbare Edelsteine und lange Stoßzähne von Elefanten mit. Die geschickten Handwerker in den Gassen von Jahanapur wussten sie zu hübschen Figuren zu schnitzen. Nicht umsonst begehrten die Kunden jene Elfenbeinprodukte des Landes. Hier in den Handwerkstätten schliffen die Juweliere die erlesenen Edelsteine aus Atrafa zu kostbarem Schmuck. Dadurch, dass man unweit ihres Herrscherhauses Gold fand, siedelten sich die Juweliere hier in der Hauptstadt Janapurs an. Diademe, Ringe und Ketten, die an Kunstfertigkeit in der Welt ihres gleichen suchten. Sauber ausgearbeitete Verzierungen mit stilvollen Linien und Mosaiken. Ein jedes Herz widerstand so einer Schönheit nicht. Niemand. Eine solche Kette trug auch Soreya um ihren Hals, als sie auf dem schlanken Turm in das Land hinein starrte. Trotz dessen unübersehbaren Glanz vermochte sich ihr Herz nicht im Geringsten daran zu erfreuen. Sie beachtete das herrliche Stück nicht einmal. Geschweige denn, dass sie es fühlte. Vor einem Jahr, da schenkte es ihr Vater zum fünfzehnten Geburtstag. Damals gewann sie daran noch ein Lächeln ab. Jetzt, da der Tag näher rückte, an dem sie sechzehn Jahre alt wurde, empfand sie dafür nur Verachtung und Bitterkeit. Allein der Gedanke daran, lies ihr die Tränen in die Augen steigen.

Ihr Blick wandte sich auf das Gewirr der engen Gassen unter ihr. Von dort stiegen die nasenfreundlichsten Gerüche empor, die man sich nur vorstellte. In diesem Teil der Stadt stellten die Adepten neben den Heilessenzen auch Düfte her, welche die Seele umschmeichelten. Ihre Aromen trösteten über jeden Seelenschmerz hinweg, den ein Herz befiel. Besonders dann, wenn sich der Leib vor Trennung und Abschied beutelte. Man gab sich unbelastet der Welt der Gerüche hin, ohne sich darum zu kümmern, was morgen kam. Als kleines Mädchen lief Soreya gerne durch die duftende Gasse der Parfümmacher. Neugierig beobachtete sie die Parfümeure bei der Zubereitung der Essenzen. Sie folgte mit ihren Augen, wie sie die Aromen aus den Pflanzen gewannen, die Parfüms kreierten und haltbar machten. Aber nun, da sie bald sechzehn wurde und den Palast bis dahin nicht mehr verlassen durfte, blieb ihr nur der schwache Geruch der betörenden Substanzen hier oben im Turm übrig. Er mischte sich mit den vielen anderen Gerüchen der Stadt. Sei es, dass er von dem Dung der Kamele oder von den vielen Garküchen der Stadt stammte. Fein säuberlich trennte sie in der Vergangenheit hier oben die verschiedenen Gerüche auf ihrem Turm voneinander und bestimmte sie. Eine Lieblingsbeschäftigung, die sie mit Freude betrieb. Aber jetzt fand sie keinen Gefallen mehr an dem Spiel irgendeinen Duft zu trennen. Die Welt um sie herum verkam zur Monotonie und Farblosigkeit. Sie verlor allen Reiz. Sie schluckte und kniete auf dem harten Kalksteinpflaster der Residenz nieder. Man unterwies sie in der Lehre der Liebe. Einer Lehre, für die die Menschen aus dem Jahantal berühmt waren. Zu diesem Thema gab es eine Vielzahl von literarischen Abhandlungen und Zeichnungen. Soreya studierte sie alle und man unterwies sie eigens zu diesem Zweck in der Kunst des Lesens. Man sagte seinerzeit, dass niemand es besser verstand die Sinne der Freuden anzuregen, wie die Prüflinge der jahanischen Liebeslehre. Sie bekam den sinnlichen Tanz geschult. Für diese Kunst waren die Bewohner des kleinen Fürstentums ebenso berüchtigt. Man sagte, dass sich kein Mensch so geschmeidig und gezielt im Takt der Musik bewegte, wie die Leute aus dem Jahantal. Kurz um. Man bläute ihr alle künftigen Fertigkeiten ein, die sie ab ihrem sechzehnten Geburtstag tagtäglich ausführte. Sie wusste nicht, ob ihr Los nicht vielleicht ein Besseres war, als für jene jungen Frauen, die ebenfalls an demselben Tag wie sie Sechzehn wurden. Wie man es auch drehte und nahm. Immer bestimmten andere Menschen über ihr Leben und setzten das durch, was für sie das Richtige wäre.

Soreya erinnerte sich daran, dass vor wenigen Tagen der junge König von Peresien hier war, um ihr den Hof zu machen. Ihr Vater lehnte aber sein Freien höflich ab. Ihre zukünftige Aufgabe wäre wichtiger, als das politische Bündnis mit Peresien zu bekräftigen. Verschämt verfolgte sie versteckt das Treffen damals hinter einer der großen Säulen des Audienzsaales und verkam zur Zeugin des vergeblichen Werbeversuchs des Nachbarfürsten. Der Prinz aus Peresien galt durchaus als attraktiv und wie auch Soreya bekannt war, behandelte er seine Haremsdamen gut. Der Prinz wollte Soreya zu seiner Königin nehmen. Auch um die Beziehungen ihrer Länder zu stärken.

„Wenn mein Kind nicht der Göttin der Fruchtbarkeit dient, dann wird die Göttin den Zorn über mich und mein Reich bringen. Also wird er auch euer Reich irgendwann heimsuchen“, erklärte ihr Vater dem enttäuschten Bräutigam als Grund für die Zurückweisung. „Dies ist in unser aller Interesse. Auch für euer Reich. Ich nehme an, dass ihr bemerkt habt, wie der Regen immer spärlicher wird und die Flusspegel bereits sinken. Die Lastkähne können nicht mehr wie sonst unbeschwert den Fluss beschiffen.“

„Nur ungern lasse ich euer schönes Kind ziehen“, reagierte der Kronprinz enttäuscht. „Es ist schade. Sie hätte ein gutes Leben als meine Königin führen können. Ich hätte euer Kind zu meiner Auserwählten gemacht.“

„Ich weiß euer Interesse zu schätzen“, erklärte der Maharadscha anerkennend. „Es geht nun mal nicht anders. Nichts ist wichtiger als das. Ihr wisst es genau. Euer Vater wird es euch bereits erzählt haben.“

„Mein Vater berichtete nie viel über seine Vergangenheit. Er sagte nur, dass eines Tages der Regen schwindet und dass …“