Die Eisbärin: Bergmann und Klein ermitteln – Der erste Fall - Matthias Gereon - E-Book + Hörbuch

Die Eisbärin: Bergmann und Klein ermitteln – Der erste Fall Hörbuch

Matthias Gereon

4,8

Beschreibung

Wo das Böse lauert … Der packende Thriller „Die Eisbärin“ von Matthias Gereon jetzt als eBook bei dotbooks. Es gibt kein Entkommen! Die albtraumhaften Erlebnisse ihrer Kindheit verfolgen Sabine Kleiber noch immer. Als sie an der Supermarktkasse plötzlich ihren einstigen Peiniger vor sich sieht, fühlt sie sich erneut hilflos, ausgeliefert, missbraucht. Sabine kann nicht anders – sie folgt ihm, sie beobachtet ihn und bald ist sie sich sicher: Hinter der Maske des Anstands lebt der ehemalige Lehrer seine grausamen Triebe weiterhin aus. Schwebt jetzt etwa ihre kleine Tochter in schrecklicher Gefahr? Sabine ist fest entschlossen, das Ungeheuer um jeden Preis aufzuhalten – doch mehr und mehr beschleicht sie der schreckliche Verdacht, nur eine Schachfigur in seinem perfiden Spiel zu sein … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Thriller „Die Eisbärin“ von Erfolgsautor Matthias Gereon. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:11 Std. 16 min

Sprecher:Svenja Pages

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Über dieses Buch:

Was tust du, wenn die Vergangenheit dich einholt und dein einstiger Peiniger plötzlich vor dir steht? Für Sabine wird dieser Alptraum Realität. Doch als sie auf solch brutale Art mit den Dämonen ihrer Kindheit konfrontiert wird, weiß sie: Sie will kein Opfer mehr sein. Aber vor allem will sie ihre kleine Tochter beschützen. Und so ersinnt sie einen Plan: Sie wird das Monster töten. Doch auch ihr Peiniger hat sie erkannt, und er will sein einstiges Opfer erneut beherrschen. Als Sabine wieder in seine Fänge gerät, scheint es, als müsse sie den Alptraum ihrer Kindheit erneut durchleben …

Düster und atemlos – ein verstörender Kriminalroman, der unter die Haut geht!

Über den Autor:

Matthias Gereon, Jahrgang 1979, entschloss sich nach Abitur, Zivildienst und ein paar Jahren in Freiheit für ein Studium an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung. Seit 2006 ist er als Polizeibeamter im Ruhrgebiet tätig.

Der Autor im Internet: www.facebook.com/pages/Matthias-Gereon/453354348039717?fref=ts

***

Originalausgabe April 2013

Copyright © 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © erdbeersüchtig / photocase.com

ISBN 978-3-95520-186-9

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Matthias Gereon

Die Eisbärin

Kriminalroman

dotbooks.

Prolog

I. Teil

Donnerstag, 23. September, 19.40 Uhr

Freitag, 24. September, 11.00 Uhr

Freitag, 24. September, 12.10 Uhr

Freitag, 24. September, 12.15 Uhr

Freitag, 24. September, 12.30 Uhr

Freitag, 24. September, 16.15 Uhr

Samstag, 09. Oktober, 11.30 Uhr

Samstag, 09. Oktober, 12.05 Uhr

Samstag, 09. Oktober, 19.30 Uhr

Sonntag, 09. Oktober, 02.30 Uhr

Freitag, 15. Oktober, 09.50 Uhr

Samstag, 16. Oktober, 14.30 Uhr

Samstag, 16. Oktober, 17.15 Uhr

Samstag, 16. Oktober, 19.15 Uhr

Montag, 18. Oktober, 10.30 Uhr

Montag, 18. Oktober, 17.30 Uhr

Freitag, 29. Oktober, 10.35 Uhr

Samstag, 30. Oktober, 16.15 Uhr

Samstag, 30. Oktober, 18.05 Uhr

Samstag, 30. Oktober, 19.40 Uhr

II. Teil

Mittwoch, 17. November, 12.30 Uhr

Mittwoch, 17. November, 13.10 Uhr

Donnerstag, 18. November, 08.00 Uhr

Donnerstag, 18. November, 10.30 Uhr

Donnerstag, 18. November, 14.45 Uhr

Freitag, 19. November, 00.25 Uhr

Freitag, 19. November, 09.00 Uhr

Freitag, 19. November, 10.00 Uhr

Freitag, 19. November, 18.15 Uhr

Freitag, 19. November, 18.30 Uhr

Freitag, 19. November, 19.30 Uhr

Samstag, 20. November, 12.30 Uhr

Samstag, 20. November, 18.00 Uhr

Sonntag, 21. November, 15.00 Uhr

Sonntag, 21. November, 19.45 Uhr

Montag, 22. November, 09.40 Uhr

Montag, 22. November, 12.55 Uhr

Montag, 22. November, 20.20 Uhr

Dienstag, 23. November, 16.40 Uhr

Dienstag, 23. November, 17.00 Uhr

Mittwoch, 24. November, 00.45 Uhr

III. Teil

Mittwoch, 24. November, 03.05 Uhr

Mittwoch, 24. November, 07.35 Uhr

Mittwoch, 24. November, 09.40 Uhr

Mittwoch, 24. November, 13.15 Uhr

Mittwoch, 24. November, 15.20 Uhr

Freitag, 26. November, 10.30 Uhr

Samstag, 27. November, 08.50 Uhr

Samstag, 27. November, 11.15 Uhr

Samstag, 27. November, 16.20 Uhr

Samstag, 27. November, 23.10 Uhr

Sonntag, 28. November, 10.15 Uhr

Sonntag, 28. November, 13.10 Uhr

Sonntag, 28. November, 15.10 Uhr

Mittwoch, 01. Dezember, 10.45 Uhr

Mittwoch, 01. Dezember, 11.05 Uhr

Mittwoch, 01. Dezember, 11.20 Uhr

Montag, 06. Dezember, 10.40 Uhr

Epilog

Montag, 06. Dezember, 21.16 Uhr

Montag, 13. Dezember, 15.30 Uhr

Montag, 18. April, 12.00 Uhr

Du breitest aus deine eisigen Schwingen und legst sie auf uns nieder,

quälst und erstickst uns mit kaltem, bleichem Gefieder.

Du gierst, raffst hinweg, vernichtest wie ein dämonischer Krieger,

steigst mächtig empor, im ungleichen Kampf der ewige Sieger.

Du hast viele Gesichter, hässlich, erschütternd und kalt,

bist unweigerlich nah, machst vor niemandem halt.

Kommst als Unfall, Krankheit, Feuer und rollende Flut,

benutzt die Menschen, schickst Terror und Kriege, unbändige Wut.

Das Grauen, dir zu begegnen, dich zu erforschen, verstehen,

wie viel Hass, Zerstörung und Leid habe ich schon im Leben gesehen.

Du Geißel der Menschheit, man nennt dich flüsternd den Tod,

doch gehörst du zum Leben wie die Luft und das tägliche Brot.

Dennoch versuchen wir stets zu fliehen, letztlich jeder vergebens,

du wartest und lauerst, besiegelst das Ende des irdischen Lebens.

Du fühlst dich als Herrscher, als kühner, erhabener Held,

doch in Wahrheit bist du nur das Tor in die andere, bessere Welt.

Günther Klein, Oktober 2009

Prolog

Sie lag wach in ihrem Bett und zog sich die dünne Decke bis unters Kinn. Sie fror. Die gedimmte Lampe auf dem Nachttisch warf nur spärliches Licht in den karg möblierten Raum. Sie horchte ins Halbdunkel hinein und hörte das Bollern der Heizung, die es kaum schaffte, das Zimmer zu erwärmen.

Außer den ruhigen, flachen Atemzügen ihrer Freundin, die aus dem Bett nebenan leise zu ihr herüberwehten, war nur das regelmäßige Ticken der Wanduhr zu hören. Sie strengte sich an, um die Zeiger zu erkennen. Es war zwanzig Minuten vor zehn. Über eine halbe Stunde lag sie also schon da und konnte nicht einschlafen. Wie so oft.

Sie dachte an die schönen, schaurigen und lustigen Geschichten, die ihre Mutter ihr früher vorgelesen hatte, wenn sie nicht schlafen konnte. Ronja Räubertochter, Aschenputtel, Rapunzel und die Brüder Löwenherz. All diese liebenswürdigen Gestalten waren treue Begleiter auf ihrem Weg ins Land der Träume gewesen. Als sie anfing, selber zu lesen, waren es die Geschichten von Hanni … Plötzlich riss sie etwas aus ihren Gedanken. Das Geräusch von Schritten auf dem Linoleumboden des Flures drang in das Zimmer. Sie erstarrte, während lähmende Angst in ihren kleinen Körper kroch und sich wie ein wucherndes Geschwür ausbreitete.

Sie kannte die Schritte und wusste nur zu gut, was sie erwartete. Wie gelähmt starrte sie auf die Zimmertür. Sie würde das Böse nicht aufhalten können. Panisch sah sie mit an, wie die Klinke sich bewegte, die Tür langsam aufglitt und hinter der eingetretenen Gestalt geräuschlos ins Schloss fiel.

Der Mann verharrte im trüben Schein der Nachttischlampe und durchmaß den Raum mit einem prüfenden Blick. Dann sah er ihr direkt in die Augen. Im selben Moment zogen sich seine Mundwinkel nach oben und verliehen seinem Gesicht einen schauderhaften Ausdruck.

„Wie ich sehe, schläft deine Freundin.“

Der Klang seiner Stimme ließ alles in ihr verkrampfen.

„Wollen wir sie wecken?“

Das Flüstern wurde noch leiser, während er auf sie zukam.

„Nein, heute Abend kümmere ich mich nur um dich.“

Seine Worte drangen wie durch Watte an ihr Ohr und verursachten Übelkeit.

Langsam schritt er bis zum Fußende ihres Bettes, schlug wortlos die Decke beiseite und ließ seine Blicke gierig an ihrem Körper herabgleiten. Sie sah, wie das widerwärtige Lächeln erneut seine Mundwinkel umspielte, als er sich an dem Reißverschluss seiner Hose zu schaffen machte. Dann packte er sie an den Füßen und zog ihren Körper näher zu sich heran. Er beugte sich vor, griff in den Bund ihres Schlüpfers und zerrte ihn zusammen mit der Schlafanzughose von ihren dünnen Beinen. Der beißende Geruch von Schnaps stieg ihr in die Nase. Unter die quälende Angst und die Übelkeit mischte sich das Gefühl unbeschreiblichen Ekels.

Sie spürte seinen eisernen Griff an ihren Fußgelenken, das grobe Auseinanderdrücken ihrer Beine. Als er kurz darauf mit einem Stöhnen in sie eindrang, explodierte ein flammender, stechender Schmerz in ihrem Körper. Sie durfte nicht schreien, das wusste sie. Wenn sie schrie, würde er ihr noch viel größere Schmerzen zufügen, damit hatte er wieder und wieder gedroht.

Völlig benommen vor Angst und Schmerz und unfähig, ihrem Peiniger ins Gesicht zu schauen, drehte sie den Kopf zur Seite.

Julia hatte sich vollständig unter der Bettdecke vergraben. Sie war also wach.

Selbst in ihrer grenzenlosen Qual hoffte sie, dass er ihre Freundin heute verschonen würde. Sie wollte ihn nicht provozieren, lag einfach nur da und ertrug den Rhythmus seines massigen, schwitzenden Leibs.

Nach und nach legte sich ein Schleier über ihr Bewusstsein. Die Geräusche wurden leiser, der Schmerz wurde dumpfer, die Gefühle verschwammen. Sie wurde leicht. Das alles geschah nicht ihr, stellte sie sich vor. Sie lag gar nicht mehr in diesem Bett. Sie war hochgeflogen und saß wie ein kleiner Vogel in einem sicheren Versteck weit oben im Baum. Von dort schaute sie auf eine völlig Fremde herab.

Ein erneutes Aufwallen des Schmerzes ließ sie zurückkehren und kündigte endlich an, dass das Martyrium für dieses Mal zu Ende war.

„Danke, Kleine“, raunte der Mann spöttisch, nachdem er von ihr abgelassen hatte, und schloss mit zittrigen Fingern den Reißverschluss seiner Hose. Einen kurzen Moment starrte er sie ohne erkennbare Gefühlsregung an. Dann wandte er sich zum Gehen. Mit dem Gesicht zur Tür, die Hand lag bereits auf der Klinke, hielt er inne und flüsterte: „Ihr wisst, was mit euch passiert, wenn ihr jemandem davon erzählt. Denkt an meine Worte.“ Dann ließ er sie allein.

Die Stille legte sich wie ein bleierner Schleier über die Sinne der beiden Mädchen.

„Ist er weg?“ Julias angstvolle, brüchige Stimme drang kaum durch die Decke.

Das Herz schlug so laut in ihren Ohren, dass sie Julias Worte kaum verstand.

„Ja“, antwortete sie schließlich, „es ist vorbei. Versuch zu schlafen.“

Es dauerte eine Weile, bis sie wieder fähig war, sich zu bewegen. Vorsichtig tastete sie nach ihren Sachen, zog sich die Schlafanzughose an, presste die Knie ganz dicht an die Brust und schmiegte ihren Kopf an das alte Stofftier. Der Eisbär war ein Geschenk ihres Vaters zu ihrer Geburt gewesen, und seit sie denken konnte, hielt sie ihn jede Nacht in ihren Armen.

Sie wünschte sich so sehr zu ihren Eltern, klammerte sich so intensiv an jeden Gedanken, den sie fassen konnte, dass die Eindrücke der gerade erlittenen Grausamkeiten mehr und mehr von ihr abrückten.

Lautlose Tränen liefen ihr übers Gesicht, während sie dalag und in ihren Gedanken nach Nangijala reiste, jenem Ort aus der Geschichte der Brüder Löwenherz, wo alle Menschen, denen es schlechtgeht in dieser Welt, stark, gesund und glücklich sind.

Draußen hatte starker Regen eingesetzt, der böige Wind ließ die Tropfen gegen das Fenster prasseln. Es war eine kalte Oktobernacht, wenige Wochen nach ihrem elften Geburtstag.

I. Teil

Donnerstag, 23. September, 19.40 Uhr

Herbert Lüscher saß in der Küche und betrachtete die Anzeige der brummenden Mikrowelle. Drei – zwei – eins – Pling! Er stand auf, lud die dampfende Pizza auf den Teller und setzte sich auf den einzigen Stuhl in dem kleinen Raum.

Während er kaute, fiel sein Blick auf die trübe, verregnete Welt jenseits des Küchenfensters. Sie war ihm zutiefst zuwider.

Seine Gedanken schweiften zu der kleinen Holzhütte, wo er im Frühjahr wieder Station machen und Fische fangen würde. Nur dort, an diesem abgeschiedenen Ort, fühlte er sich wohl. Nur in der menschenleeren Stille war er frei. Doch bis er wieder aus der verhassten Stadt abreisen konnte, musste er noch einige dumpfe Monate hinter sich bringen.

Nachdem er das letzte Stück Pizza verzehrt hatte, stand er auf, stellte den Teller ins Spülbecken und legte den leeren Karton zu den anderen in den Schrank. Vier Stück. Er würde bald wieder einkaufen müssen. Sein Blick wanderte hinüber zu der kleinen Kuckucksuhr. Ärger wallte in ihm auf, als er feststellte, dass er sich mit dem angesammelten Tagesabwasch beeilen musste, wenn er die Sendung um 20.15 Uhr nicht verpassen wollte.

Schließlich galt es vorher noch einen wichtigen Anruf zu tätigen. Beim Gedanken daran verbesserte sich seine Stimmung augenblicklich.

Freitag, 24. September, 11.00 Uhr

„Verflucht!“, schrie Sabine Kleiber auf und riss ihren Arm hastig zurück. Beim Versuch, einen Teebeutel aus dem Wandschränkchen zu ziehen, war sie zu nah an die Ausgussöffnung des Wasserkochers geraten. Der heiße Dampf hatte ihren rechten Unterarm verbrüht und ließ einen kleinen, roten Flecken auf ihrer Haut zurück.

Während sie die Stelle unter das kalte Wasser des Küchenhahns hielt, klingelte das Telefon. Mit tropfendem Arm ging sie hinüber ins Wohnzimmer und erkannte die Nummer auf dem Display des Wandapparates sofort.

Mit einer Mischung aus Überraschung und plötzlicher Besorgnis nahm sie ab.

„Ja, Sabine hier, was ist los?“

„Mami, ich bin’s. Mathe fällt heute aus!“ Die Stimme ihrer Tochter klang hell und aufgeregt. „Frau Braun ist krank geworden. Kannst du mich abholen?“

„Ach Liebes, du bist es“, versuchte Sabine, die leichte Irritation in ihrer Stimme plausibel erscheinen zu lassen. „Was ist denn los, warum läufst du nicht?“

„Wegen Nicole. Kannst du sie auch nach Hause bringen? Ihre Mama ist nicht da, und der Papa ist arbeiten.“

„In Ordnung, wartet vor dem Haupteingang, ich bin in fünf Minuten da.“

Als sie auflegte, merkte sie, wie sich ihre Anspannung wieder löste. Markus und sie hatten ihrer Tochter Laura für Notfälle ein Handy geschenkt, auch wenn sie erst acht Jahre alt war. Es war ein Prepaid-Gerät, und soweit Sabine es überblicken konnte, ging Laura sparsam mit ihrem Guthaben um. So erklärte sie sich die Alarmglocken in ihrem Kopf, die bei jedem der seltenen Anrufe ihrer Tochter sofort schrillten.

Drei Minuten später saß Sabine im Wagen und fuhr Richtung Heisingen, einem Stadtteil von Essen, der wie eine Halbinsel von den Wassern der Ruhr umschlossen war. Hier ging Laura in die dritte Klasse der Georgschule, einer kleinen Grundschule mit ausgezeichnetem Ruf, die weniger als einen Kilometer Fußweg von zu Hause entfernt lag.

Als Sabine in die letzten 200 Meter der Heisinger Straße einfuhr, erkannte sie Laura schon an ihrem langen blonden Zopf, der roten Jacke und dem bunten Tornister. Das Mädchen neben ihr war Nicole Kraus, zurzeit ihre beste Freundin. Laura kannte sie erst seit dem Sommer, als Nicole neu in die Klasse gekommen war, aber die Mädchen verstanden sich blendend. Sie verbrachten viel Zeit miteinander und übernachteten oft gemeinsam bei ihnen oder Nicoles Eltern.

„Hi Mami“, rief Laura, als Sabine neben den beiden anhielt. Vergnügt verstaute ihre Tochter die beiden Tornister im Kofferraum des dunkelblauen BMW Kombi. Sie schien über den frühzeitig beendeten Schultag nicht allzu traurig zu sein. Lachend kletterten die Kinder auf die Rückbank und legten die Gurte an.

„Hallo, ihr zwei“, begrüßte Sabine die Mädchen. „Soll ich dich nach Hause fahren, oder möchtest du erst einmal mit zu uns?“, fragte sie Nicole.

„Nö, ich hab einen Schlüssel, und Mama ist bestimmt nur kurz einkaufen.“

„Hast du Bescheid gesagt, falls sie vom Einkaufen direkt hierherfährt?“, erkundigte sich Sabine.

„Hab ich unserer Klassenlehrerin gesagt.“

„Mathe fällt noch die ganze nächste Woche aus“, verkündete Laura fröhlich. „Aber ab Montag haben wir eine Vertretung“, fügte sie mit gespielt ernster Miene hinzu. „So ein Mist.“

Gut gelaunt berichteten die beiden Mädchen während der Fahrt von ihrem Tag, und Sabine ließ sich von der fröhlichen Ausgelassenheit anstecken.

Nachdem sie Nicole kurz nach halb zwölf am Steinhagen im Stadtteil Steele abgesetzt und gewartet hatte, bis das Mädchen mit einem Winken im Haus verschwunden war, wandte sie sich an Laura: „Was möchtest du heute essen, Liebes?“

„Hm“, Laura gab vor, angestrengt nachzudenken, „am liebsten Kartoffelbrei mit Fischstäbchen!“

Sabine schmunzelte, denn natürlich hatte sie die Antwort schon vorher gekannt. „Oje, da muss ich aber erst nachschauen, ob ich das Rezept noch irgendwo finde!“ Sie grinste, und beide mussten lachen.

Sabine dachte nach, Kartoffeln und Milch hatte sie noch zu Hause, doch der Vorrat an Fischstäbchen hielt dem scheinbar unstillbaren Verlangen ihrer Tochter nie lange stand. Sie steuerte den nächstgelegenen Supermarkt an, und schon bald hatten Mutter und Tochter alles in den Einkaufswagen geladen, was sie für die nächsten Tage brauchen würden. Auf dem Weg zur Kasse fiel Sabine noch etwas ein.

„Liebes, ich habe meinen Tee vergessen, er müsste dort drüben stehen.“ Sie sah ihre Tochter an und zwinkerte verschwörerisch. „Gegenüber von den Süßigkeiten.“

Nach diesem Zauberwort folgte Laura ihrer Mutter mehr als bereitwillig zurück durch die Gänge des Supermarkts. Es dauerte nicht lange, bis Sabine den klassischen schwarzen Darjeeling gefunden hatte. Sie nahm die Packung aus dem Regal und drehte sich zum Einkaufswagen hin. Für den Bruchteil einer Sekunde streifte ihr Blick dabei die Warteschlange vor der Kasse.

Es war ein Blick in den Abgrund der Hölle.

Freitag, 24. September, 12.10 Uhr

„Mach nur den Mund weit auf. Ja, so ist es gut.“

Er richtete die Leuchte aus und fing an, den Mundraum des Jungen mit dem kleinen Handspiegel zu untersuchen. Der Zehnjährige war kurz zuvor mit akuten Zahnschmerzen und seiner besorgten Mutter in die Praxis gekommen und lag nun verängstigt und kleinlaut auf dem großen Untersuchungsstuhl.

Nachdem die Spritze ihre betäubende Wirkung erreicht hatte, rückte Markus Kleiber mit geübten Handgriffen dem kariösen Zahn zu Leibe. Kurze Zeit später konnte er Mutter und Sohn verabschieden und ließ sich für einen kurzen Moment erschöpft auf einen Stuhl sinken. Es war ein stressiger Tag gewesen, und er freute sich sehnlichst auf den Dienstschluss am Nachmittag. Er freute sich, nach Hause zu kommen und seine Frau Sabine zu sehen. Ja, er freute sich sogar sehr auf Sabine.

Sie kannten sich bereits zwölf Jahre, von denen sie rund neun Jahre verheiratet waren, und er liebte sie noch wie am ersten Tag. Er hatte Sabine in Münster kennengelernt, auf einer der zahlreichen Studentenpartys im Jahr vor seinem Abschluss. Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Gern und oft dachte er an jenen Abend zurück, wo er sie plötzlich in der tanzenden Menge entdeckt und sie zunächst aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. Das hellblaue Sommerkleid, das sich eng um ihre zierliche Gestalt schmiegte, die schulterlangen, kastanienbraunen Locken, die ihr bei jeder ihrer anmutigen Bewegungen ins Gesicht fielen, ihre sanften braunen Augen, die Kraft und intensive Wärme ausstrahlten.

Für Sabine hatte er sich so sehr ins Zeug gelegt, so viel Zeit, Anstrengungen und Kreativität investiert wie bei keiner anderen Frau zuvor. Nur wenige Monate später hielt er nach einem romantischen Abendessen um ihre Hand an und wäre vor Glück und Stolz beinahe zersprungen, als sie lächelnd einwilligte. Als fünf Monate nach der Hochzeit ihre Tochter geboren wurde, war er der glücklichste Mensch auf Erden. Er liebte Laura ebenso sehr wie Sabine und hoffte, dass sich seine Familie in Zukunft noch vergrößern würde.

Lächelnd nahm er sich vor, seine Frau am Abend mit einer kleinen Aufmerksamkeit zu überraschen.

Freitag, 24. September, 12.15 Uhr

Es war, als gefröre die Welt um sie herum zu Eis, während in ihrem Inneren ein rasender Sturm tobte. Sabines Herz pochte mit ungeheurer Wucht gegen die Brust und dröhnte hämmernd in ihren Ohren. Eine plötzliche, übermächtige Angst kam auf sie zu und schwappte wie eine riesige Brandungswelle über sie hinweg. Blitzbilder schossen durch ihren Kopf. Sie war unfähig zu denken.

So verharrte sie ein paar Augenblicke, die Augen geschlossen, die Finger krampfhaft um den Griff des Einkaufswagens geklammert, das Gefühl für Raum und Zeit verloren, vor Angst erstarrt.

Eine ferne Stimme schien etwas zu rufen, erst leise, dann immer lauter und fordernder. Aus den undeutlichen Worten glaubte sie ihren Namen herauszuhören. Plötzlich rissen die Laute die Blockade ein und drangen mit solcher Wucht in ihr Bewusstsein, dass es schmerzte.

„Mami, Mami! Was ist mit dir? Ich hab Angst!“

Laura hatte sich fest an Sabine gedrückt und schaute hinauf in das bleiche Gesicht ihrer Mutter.

Sabine betrachtete ihre Tochter und hörte sich selber sagen: „Nichts, Liebes. Mir ist nur plötzlich schwindelig geworden. Ich bekomme wohl Kopfschmerzen.“ Sie spürte, dass ihre Tochter noch immer große Angst hatte. „Es geht gleich wieder“, bemühte sie sich, Laura zu beruhigen, „such dir was von den Süßigkeiten aus.“

Irritiert widmete sich das Mädchen der riesigen Auswahl an Schokolade und Weingummi, blieb aber in der Nähe ihrer Mutter.

Es gab keinen Zweifel. Er war es.

Ein kurzer Augenblick hatte gereicht, um sicher zu sein. Sabine sammelte alle Kraft, die sie nach der Panikattacke noch hatte. Natürlich hatte sie oft daran gedacht, wie es wäre, diesem Mann wieder zu begegnen. Doch die Realität, die sie nun vorwarnungslos überkommen hatte, war weitaus brutaler, als jede ihrer Vorstellungen es je gewesen war.

Trotz allem musste sie sich der Situation stellen. Glücklicherweise stand sie weit abseits, so dass ihr Verhalten niemandem aufgefallen war. Sabine atmete tief ein und zwang ihren Blick, in Richtung Kasse zu wandern. Dann beobachtete sie den Mann. Er war gerade damit beschäftigt, seine Einkäufe auf das Band zu legen. Dabei stand er seitlich zu ihr, so dass sie sein Profil betrachten konnte.

Die gleiche gedrungene Gestalt, der gleiche deutliche Bauchansatz. Das rundliche, fleischige Gesicht, der nun vollkommen ergraute Haarkranz, die dichten, buschigen Augenbrauen. Die fahrigen, unbeholfenen Bewegungen.

Es gab keinen Zweifel. Er war es.

Der Mann in der Schlange war Herbert Lüscher. Lehrer für Erdkunde und Geschichte am Internat aus Sabines Kindheit.

Freitag, 24. September, 12.30 Uhr

Jürgen Kohlmeyer saß auf seiner Pritsche und warf alle paar Sekunden einen nervösen Blick auf seine Armbanduhr. Obwohl es ihm lächerlich vorkam, konnte er sich nicht dagegen wehren. Eine innere Unruhe, wie er sie lange Zeit nicht mehr erlebt hatte, ergriff Besitz von ihm.

In wenigen Minuten würde er auf den einzigen Mann treffen, zu dem er einen engeren Kontakt außerhalb der Justizvollzugsanstalt pflegte. Dieser Mann hieß Lothar Nienhaus und war seit vielen Jahren sein Anwalt. Heute wollte er ihm offenbar etwas sehr Wichtiges mitteilen.

Als er sich telefonisch angekündigt hatte, hatte Kohlmeyer sofort gespürt, dass es diesmal nicht um ein gewöhnliches Treffen ging. Allerdings hatte sich der Anwalt strikt geweigert, nähere Einzelheiten am Telefon zu nennen.

„Herr Kohlmeyer, Ihr Besuch ist da.“

Die Stimme von Freddy, einem der Schließer, riss ihn aus seinen Gedanken und beendete die quälende Warterei.

Die Zellentür wurde geöffnet, und Jürgen Kohlmeyer folgte dem Mann über die langen, wohlvertrauten Gänge. Dass er dies in bürgerlicher Kleidung und ohne Handfesseln tun konnte, war eines der Zugeständnisse, die er erhalten hatte, als er nach einigen Jahren Haft in diesen Trakt der JVA umgezogen war.

Endlich gelangten sie zu dem kleinen Besucherraum, wo er mit seinem Anwalt allein sein konnte. Durch das Fenster in der Stahltür konnte er vorab einen flüchtigen Blick auf die dicke Gestalt des Mannes werfen, der stets einen hektischen und gestressten Eindruck machte. Auch jetzt wühlten seine Finger in der aufgeklappten Aktentasche. Freddy klopfte kurz an und öffnete. Kohlmeyer trat ein und hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Er wusste, dass der Wärter sie die ganze Zeit über im Auge behalten würde.

Lothar Nienhaus stand auf und schüttelte seinem Mandanten die Hand.

„Schön, Sie zu sehen, Herr Kohlmeyer, wie geht es Ihnen?“, begann er das Gespräch, höflich wie immer.

„Ich muss zugeben, ich hab schon deutlich besser geschlafen hier im Garten Eden.“ Kohlmeyer machte aus seinem Misstrauen keinen Hehl. „Ich frage mich, was so schrecklich wichtig ist, dass du alles stehen und liegen lässt, um hierherzukommen. Wenn ich sonst deine Hilfe brauche, dauert es Wochen, bis du aufkreuzt.“

„Herr Kohlmeyer, ich habe Neuigkeiten, die Sie sehr interessieren dürften. Ich weiß, dass es unter Umständen nicht leicht …“

„Verdammt noch mal, jetzt spuck’s einfach aus!“ Kohlmeyer hatte die Geheimnistuerei satt.

„Na schön“, sagte Nienhaus und nestelte an seiner Brille herum, „wie Sie wollen. Es gibt deutliche Anzeichen, dass … nun ja … ich meine, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich jüngst mit einer Klage zu beschäftigen, die Ihrem Fall, wie soll ich sagen, durchaus recht ähnlich …“

„Herrgott noch mal, jetzt reicht’s!“

Jürgen Kohlmeyer war aufgesprungen und funkelte seinen Anwalt böse an. Erschrocken wich dieser einen Schritt zurück, hob abwehrend die Hände und sprach den Grund seines Kommens unverblümt aus:

„Sie kommen frei. Nicht heute, aber Sie kommen frei.“

Kohlmeyer sank zurück auf seinen Stuhl und betrachtete aufmerksam das rundliche Gesicht seines Anwalts, auf dessen Stirn nun Schweißperlen standen.

„Lothar, jetzt hörst du mir mal zu“, sagte er betont langsam, und Zorn sprühte aus seinen Augen. „Wir kennen uns schon verdammt lange, und ich kann dich ganz gut leiden, aber wenn du mich verarschen willst, wenn das hier ein schlechter Witz sein soll … Ich werde schneller an deiner verdammten Gurgel sein, als der gute alte Freddy auch nur die Klinke runterdrücken kann.“

„Nein, Sie verstehen mich falsch.“

Mit diesen Worten kramte Lothar Nienhaus wieder in seiner Aktentasche und hielt seinem Mandanten mit zittrigen Fingern die aktuelle Ausgabe der Aachener Rundschau entgegen.

„Hier, das ist für Sie.“

Mit einem verächtlichen Schnauben lehnte Kohlmeyer ab. „Erklär’s mir lieber, aber tu es nicht in deiner aufgeblasenen Anwaltssprache, in Ordnung?“

Wie immer eingeschüchtert von der schroffen Art seines Mandanten, versuchte der Anwalt zunächst, Sicherheit zu gewinnen, indem er eine kleine Zusammenfassung gab.

„Herr Kohlmeyer, Sie sind aufgrund der durch Sie begangenen Straftaten und der anschließenden Beweisführung im Jahre 1981 vom Landgericht Essen verurteilt worden. Das Urteil lautete auf lebenslängliche Freiheitsstrafe. Das war jedoch leider nicht alles. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete die anschließende Sicherungsverwahrung an.“

„Ja, ich war dabei, Lothar. Wann wird es endlich interessant?“

„Warten Sie ab, der spannende Teil kommt noch. Mit Ablauf Ihrer fünfzehnjährigen Gefängnisstrafe, anno 1996, wurden Sie in einen anderen Gebäudetrakt hier in der JVA verlegt. In dieser Abteilung verbringen Sie seitdem Ihre Zeit in der Sicherungsverwahrung. Wie Sie wissen, war die gesetzliche Höchstfrist für die Verwahrung zunächst auf zehn Jahre beschränkt. Spätestens im Jahre 2006 hätten Sie also auf freien Fuß kommen müssen.“

„Ja, nur leider haben diese Drecksäcke …“

„Ganz recht“, unterbrach ihn Nienhaus, „leider hat im Jahre 1998 die damalige Bundesregierung ein Gesetz erlassen, das die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung ermöglicht. In Ihrem Fall hat man diese neugeschaffene Möglichkeit angewandt und die Dauer der Verwahrung auf unbestimmte Zeit hinaufgesetzt.“

Der Anwalt machte eine kurze Atempause.

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du jetzt langsam zum Punkt kommst“, warf Kohlmeyer mit einer theatralischen Handbewegung ein.

Nienhaus wurde schlagartig bewusst, dass er seinem Mandanten noch nie Sympathie entgegengebracht hatte. In Wahrheit konnte er ihn nicht ausstehen. Und dieses Gefühl der Abneigung hatte nicht in erster Linie mit Jürgen Kohlmeyers Straftaten zu tun, die allesamt bestialisch und abscheulich waren. Vielmehr war es die befremdliche Kälte, die den Mann umgab wie ein unsichtbarer Mantel. Dazu seine stechenden blauen Augen, die in keinem Moment durchschimmern ließen, was dahinter in seinem Kopf vor sich ging.

Er versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, und fuhr fort: „Nun ja, jedenfalls hatte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg unlängst mit einer Klage zu beschäftigen, die sich genau auf die damals beschlossene Möglichkeit zur nachträglichen Verlängerung der Fristen bezog. Vor zwei Wochen ist das Urteil gefällt worden. Das Gericht hat es als Verstoß gegen die Menschenrechte gewertet, dass die 1998 geschaffene Rechtslage rückwirkend angewandt wurde. Gemeint ist also die Anwendung auf jene Straftäter, die ihre Tat vor Inkrafttreten der Neuregelung begangen haben. Diese Entscheidung betrifft zwar einen konkreten Einzelfall, jedoch ist sie selbstverständlich auch für vergleichbare Fälle heranzuziehen. Herr Kohlmeyer, um genau so einen Parallelfall handelt es sich bei Ihnen.“

Jürgen Kohlmeyer war den Ausführungen seines Anwaltes aufmerksam gefolgt. Jedes Wort hatte er aufgenommen und versuchte nun, die Konsequenzen zu ermessen.

„Das heißt, diese Richter haben gesagt, dass ich hier zu Unrecht festgehalten werde, weil es gegen die … gegen die Menschenrechte verstößt?“

Er spürte, wie erneut heftige Unruhe in ihm aufstieg.

„Wenn Sie so wollen, ja, so ist es.“

„Und wenn diese oder andere Richter sich nun wieder alles anders überlegen und neue Gesetze machen?“

„Nein, die Richter machen die Gesetze nicht, sie sprechen lediglich Urteile. Und dieses hier ist unanfechtbar. Es ist absolut bindend, und die Bundesrepublik Deutschland muss danach handeln. Sie werden in absehbarer Zeit in Freiheit leben.“

Jürgen Kohlmeyer begann langsam, die Bedeutung dieser Informationen zu erkennen. Doch anstatt aufzuspringen und seinem Anwalt vor Freude um den Hals zu fallen, saß er still und reglos auf seinem Stuhl, in Gedanken versunken. Seit nunmehr 29 Jahren, was rund der Hälfte seines Lebens entsprach, saß er im Gefängnis.

Was er vorher von diesem Gespräch erwartet oder erhofft hatte, vermochte er nicht mehr zu sagen. Mit der Aussicht auf ein Leben in Freiheit hatte er jedenfalls nicht gerechnet. Nachdem sich die Wogen in seinem Innern ein wenig geglättet hatten, kristallisierte sich ein Gefühl heraus, das alles andere zu überlagern begann.

Jürgen Kohlmeyer hatte Angst.

Freitag, 24. September, 16.15 Uhr

Während der Fahrt vom Supermarkt nach Hause hatten Sabine und Laura kaum ein Wort miteinander gesprochen. Es tat Sabine weh, ihre Tochter anlügen zu müssen, aber die vorgeschobenen Kopfschmerzen waren die einzige Möglichkeit, die Fassade zu wahren, hinter der sie ihren Schock, ihre Angst verbergen konnte. Laura wusste, dass ihre Mutter bei einem Migräneanfall vor allem Ruhe brauchte.

Nach dem Mittagessen war Nicole zum Spielen gekommen. Sabine war erleichtert, dass die beiden Mädchen beschlossen hatten, im Schwimmbecken zu planschen, das sich im Kellergeschoss ihres Hauses befand. Sie selbst verbrachte die Nachmittagsstunden am Klavier und flüchtete in eine andere Welt, eine angenehme Illusion aus sanfter, melodischer Trance.

Gegen Viertel nach sechs saß Sabine mit einer dampfenden Tasse Tee auf dem Sofa und starrte ins Leere, während ihr Geist unaufhaltsam in die dunkle Vergangenheit reiste. Er kehrte zurück an jenen Ort, der den dramatischen Wendepunkt in ihrem Leben markierte und der seit vielen Jahren tief in ihrem Bewusstsein vergraben und verschüttet lag.

Seit der Begegnung im Supermarkt hatten die schützenden Schichten jedoch Risse bekommen. Risse, die wie Vorboten einer riesigen Explosion immer größer wurden. Das glühende, zerstörerische Magma ihrer Erinnerung drang mit aller Macht zurück an die Oberfläche.

Sie war wieder elf, lag in ihrem Internatsbett und spürte vor allem eines. Einsamkeit.

Mama, Papa, warum habt ihr mich allein gelassen? Warum helft ihr mir denn nicht? Jetzt, wo auch noch Oma bei euch da oben ist. Warum könnt ihr mich nicht beschützen? Ihr habt mir doch immer gesagt, dass ihr mich liebhabt, warum könnt ihr nichts tun? Helft mir. Bitte …

Plötzlich waren die Schritte wieder da. Sie war sich sicher, nein, sie irrte sich nicht. Sie hörte tatsächlich die Schritte.

Sabine schrak hoch und stieß einen kurzen, schrillen Schrei aus. Der heiße Tee schwappte aus der Tasse und ergoss sich schmerzhaft über ihre rechte Hand und die Hose. Sie ließ die Tasse fallen, sprang auf und rannte in die Küche, um ihre Hand zu kühlen. Im selben Moment ging die Haustür auf, und Markus stand im Flur.

„Hallo, Schatz, ich bin zu Hause“, hörte Sabine ihn rufen.

„Hallo“, antwortete sie, doch ihr ohnehin schwaches Flüstern wurde vom Rauschen des Wassers verschluckt.

„Hey, da bist du ja.“

Markus stand plötzlich hinter ihr. Er lehnte am Rahmen der Küchentür und hatte die Hände hinter dem Rücken versteckt. Mit einer Kopfbewegung deutete er auf ihre Hand. „Was ist passiert?“

„Ach, ich hab mich verbrüht. Heißer Tee. Der Rest davon klebt im Wohnzimmerteppich.“

„Verbrüht?“, fragte er. „Du solltest umsteigen auf ein weniger lebensgefährliches Getränk, probier’s doch mal mit Alkohol.“ Lächelnd präsentierte er eine Flasche Dom Perignon, ihrem Lieblingschampagner.

Sabine drehte den Kopf in seine Richtung und bemühte sich, ebenfalls zu lächeln: „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“

Markus löste sich aus dem Türrahmen und ging ein paar Schritte auf sie zu.

„Alles in Ordnung mit dir?“

„Ja“, entgegnete Sabine, „ich habe nur wieder Kopfschmerzen.“

„Das tut mir leid“, sagte er, stellte die Flasche auf die Ablage und legte die freie Hand auf ihre Schulter. „Aber vielleicht kann dich das hier ein bisschen aufheitern.“

Er zauberte einen großen Strauß Blumen hervor und gab ihr lächelnd einen Kuss auf die Wange.

Kaum merklich zuckte Sabine zusammen.

„Lieb von dir, aber … hör zu, es tut mir leid. Die Kopfschmerzen sind stark, schlimmer als sonst. Ich lege mich besser hin. Vorher muss ich mich noch um den Teppich …“

„Lass nur“, unterbrach er sie. „Ich mach das schon. Ruh dich aus und sag mir Bescheid, wenn du etwas brauchst.“

„Danke“, sagte sie und lächelte erleichtert. „Sieh später bitte nach Laura, sie ist unten mit Nicole im Becken. Essen steht im Kühlschrank. Bitte sei mir nicht böse.“

Ohne ihrem Mann in die Augen zu sehen, drückte sie sich an ihm vorbei und ging die Treppe hoch zu ihrem Schlafzimmer.

Irritiert sah Markus ihr hinterher. So hatte er sich die Begrüßung nicht vorgestellt. Enttäuscht griff er nach der erstbesten Vase und stellte die Blumen auf den Wohnzimmertisch.

Nachdem er den Teeflecken beseitigt hatte, fand er im Kühlschrank neben den Fischstäbchen noch einen kleinen Vorrat an Bier. Er öffnete eine Flasche und blickte auf die Küchenuhr. 18.30 Uhr.

„Na dann – auf einen schönen Freitagabend“, stieß er mit sich selber an, „und danke für die Blumen.“

Samstag, 09. Oktober, 11.30 Uhr

Jürgen Kohlmeyer saß auf seinem Bett und betrachtete die vorbeiziehenden Wolken durch das vergitterte Zellenfenster. Nun hatte er also Gewissheit. Seine Zeit in der JVA war unwiderruflich abgelaufen.

Die riesige, unsichtbare Sanduhr seines Schicksals hatte 10 613 Tage durchrieseln lassen, und nun blieben lediglich Körner für 15 weitere Tage übrig. Der Brief des zuständigen Landgerichtes lag aufgefaltet vor ihm auf dem Tisch. Der Schlüssel in eine plötzliche, unerwartete Freiheit.

Sein Anwalt leistete gute Arbeit und war dafür verantwortlich, dass die Dinge so schnell ins Rollen kamen. Als er am Morgen da gewesen war, hatte Jürgen Kohlmeyer erfahren, dass er zunächst unter ständiger polizeilicher Beobachtung stehen sollte. Staatliche Wachhunde, wie Nienhaus sie nannte, die ihn 24 Stunden am Tag auf Schritt und Tritt verfolgen würden. Im Grunde wusste Kohlmeyer, dass er all das nicht wollte und sein Leben lieber innerhalb der Strafanstalt fortsetzen würde. Aber die Entscheidungen waren gefallen, und er konnte nichts daran ändern. Der Anwalt hatte vorgeschlagen, dass Kohlmeyer sich telefonisch mit seinem Bruder in Verbindung setzt, um zumindest für die ersten Wochen eine feste Bleibe zu haben. Von dort aus könne er dann alle wichtigen Dinge regeln, wie die Suche nach Arbeit und einer eigenen Wohnung.

Doch Kohlmeyer sträubte sich gegen den Gedanken. Als er seinen Bruder das letzte Mal während einer Besuchszeit gesehen hatte, waren sie in einem fürchterlichen Streit auseinandergegangen. Seit diesem Vorfall vor 16 Jahren hatte er keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder. Wie hätte er nur den ersten Schritt tun können? Als sein Anwalt sich am Morgen schließlich erboten hatte, selbst diesen ersten Kontakt herzustellen, war ihm ein Stein vom Herzen gefallen.

Die Scheu vor dem Wiedersehen mit dem Bruder war jedoch nicht seine einzige Sorge. Er hatte Angst vor der Welt außerhalb der Mauern, Angst davor, sich nicht mehr zurechtzufinden. Seine Heimat war die JVA, und das schon länger, als er denken konnte.

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