5,99 €
Arkamon, ein Reich, geschaffen von den Göttern, beherrscht von ihren Kindern und Kindeskindern. Drachen- und andere Gestaltwandler leben hier seit Jahrtausenden in Krieg und Frieden. Dies ist die Geschichte einer lang verschollenen Prinzessin. Erwacht in den Tiefen der Eiswüste, begibt sie sich auf eine Reise nach sich selbst. Adryana ist fassungslos, als sie feststellen muss, dass sie fast fünfhundert Jahre geschlafen hat. Gefangen in einem Käfig aus Eis, erschaffen durch ihre eigene Magie. Ihr Geheimnis wahrend, versucht sie sich in dieser neuen Zeit zurechtzufinden, doch nicht jeder ist glücklich mit ihrem Erscheinen. Während sie einen Neubeginn wagt, überschlagen sich die Ereignisse und sie wird erneut gezwungen eine Entscheidung zu treffen. Kann sie ihre Vergangenheit wirklich hinter sich lassen? Lass dich entführen in eine Welt voller Gestaltwandler, Magie und unerwarteter Wendungen. Ein einzigartiges Abenteuer, düster mit einem Hauch von Liebe und Spice. Die Geschichte ist hauptsächlich aus der Sicht von Adryana geschrieben. Im Laufe des Buches wechselt diese auch zu anderen Charakteren.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Darum geht‘s
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Epilog
Dahana – Übersetzung
Über die Autorin
Impressum
Arkamon, ein Reich, geschaffen von den Göttern, beherrscht von ihren Kindern und Kindeskindern. Drachen- und andere Gestaltwandler leben hier seit Jahrtausenden in Krieg und Frieden.
Dies ist die Geschichte einer lang verschollenen Prinzessin.
Erwacht in den Tiefen der Eiswüste, begibt sie sich auf eine Reise nach sich selbst.
Adryana ist fassungslos, als sie feststellen muss, dass sie fast fünfhundert Jahre geschlafen hat. Gefangen in einem Käfig aus Eis, erschaffen durch ihre eigene Magie.
Ihr Geheimnis wahrend, versucht sie sich in dieser neuen Zeit zurechtzufinden, doch nicht jeder ist glücklich mit ihrem Erscheinen.
Während sie einen Neubeginn wagt, überschlagen sich die Ereignisse und sie wird erneut gezwungen eine Entscheidung zu treffen.
Kann sie ihre Vergangenheit wirklich hinter sich lassen?
Dies ist die Geschichte des Drachenlands…
Rötlich schimmert bereits die Abenddämmerung über die Ebene und lässt das Eis leuchten. Doch er wollte unbedingt diese letzte Bohrung zu Ende bringen. Sein Chef hatte ihm klare Anweisungen gegeben. Irgendwo, in dieser unendlichen Weite aus Eis, musste sich eine gewaltige magische Quelle befinden. Selbst er, mit seinem verwässerten Magierblut, spürte wie die Luft um ihn leicht vibrierte, als er sich dem aktuellen Bohrloch näherte. Sein Team suchte nun bereits seit drei Monaten in der Eiswüste - wie die Bevölkerung diesen Ort nannte - nach dieser starken magischen Signatur. Er war sich sicher, diesmal an der richtigen Stelle zu sein. Da war einfach dieses Gefühl in ihm, dass ihn drängte weiterzumachen. Die Sonne war fast untergegangen und normalerweise hätten sie die Arbeit für heute bereits beendet, aber die Neugierde in ihm war zu stark und er spornte sein Team an weiterzumachen. Sein Blick war starr auf das Eis gerichtet und eine leise Stimme in ihm sagte, sie müssen aufhören. Sonst würde die Kälte der Eiswüste ihnen allen den Tod bringen, sobald keine Sonne mehr am Himmel steht. Nicht ohne Grund mieden selbst die grässlichsten aller Kreaturen diesen Ort.
Sein Blick glitt in die Ferne und er stellte sich vor, wie es hier einst gewesen sein mag. Wie das Wasser des Meeres, wie tausend Diamanten funkelte und der Boden unter seinen Füßen mit Gras und Blumen übersät war, wie ein Wald sich in der Ferne erhob und die Tiere durch das Dickicht schlichen. Als er noch ein Kind war, hatte ihm seine Mutter oft die Geschichte über die berüchtigte Eiswüste erzählt. Dies hier soll einst ein fruchtbares und weites Land gewesen sein und habe an das Diamantmeer gegrenzt. Doch eines Tages durchzog plötzlich eine undurchdringbare Eisschicht das Land und einen Teil des Meeres. Das Ganze ist nach dem großen Krieg geschehen. Die Leute erzählen sich, dass die Götter über diesen Krieg so erzürnt waren, dass sie diesen Ort verfluchten.
Ihn überzog eine Gänsehaut, während er darüber nachdachte, dass hier vor über fünfhundert Jahren Tausende den Tod fanden.
Er war kein Krieger, nicht einmal ein großer Magier, nur ein einfacher Mann der Wissenschaft. Deshalb hatte er, als der Auftrag kam nach dem Ursprung der magischen Quelle zu suchen, mit Freude zugestimmt. War dies doch eine einmalige Gelegenheit, an etwas Bedeutsamen mitzuwirken.
Er zuckte zusammen und wurde aus seinen Gedanken gerissen, als ein gewaltiges Beben den Boden erschütterte. Einige der Männer stürzten und sahen sich unsicher um. Er selbst konnte sich gerade so auf den Beinen halten, als eine erneute Erschütterung das Eis zum Beben brachte und sich erste Risse auf der Oberfläche abzeichneten.
Sie mussten etwas getroffen haben. Der Magiekern, schoss es ihm durch den Kopf und eine freudige Erwartung erfüllte ihn. Sein Team, welches hauptsächlich aus einfachen Arbeitern bestand, versuchte bereits panisch, sich vom Bohrloch zu entfernen. Erst jetzt realisierte er, dass der Bohrer sich in einer starken Schieflage befand. Es reizte ihn, sich näher an die Ursache der Erschütterung zu begeben, um besser sehen zu können, aber er war kein Narr und so entfernte er sich weiter von dem immer größer werdenden Loch.
Er stolperte, als der Boden unter seinen Füßen erneut bebte und sich weitere Risse durch das Eis zogen. Er hatte eigentlich angenommen, dass sie sich noch auf dem von Eis überzogenen Teil des Landes befunden hätten, aber spätestens jetzt wurde ihm klar, dass sie bereits auf dem Eis bohrten, welches das Meer gefroren hatte. Vielleicht hatten sie eine Luftkammer getroffen oder tatsächlich einen der magischen Kerne. Er wusste nur, dass er so schnell wie möglich von hier wegmusste. Wenn er in die eisigen Fluten stürzen würde, wäre dies sein Tod. Er rappelte sich wieder auf und rannte so schnell ihn seine erschöpften Beine trugen.
Durch seinen keuchenden Atem, drangen die Schreie seines Teams nur gedämpft an seine Ohren und er konnte sich nicht davon abhalten, sich nach der Ursache umzudrehen. Sein Körper erstarrte, denn wo einst der teure Bohrer stand, tat sich nun ein riesiges Loch auf. Er sah, wie einige Männer in die Tiefe stürzten, ohne etwas dagegen tun zu können. Kurz überlegte er ihnen zu helfen, aber er verwarf den Gedanken sofort. Er war kein Held.
Er versuchte sich zu besinnen und trat auf wackligen Schritten rückwärts von dem Krater weg, aber er konnte seinen Blick nicht abwenden. Es war kein schwarzes tiefes Loch, wie man sich eine Luftkammer, die zusammenbrach, vorstellte. Nein. Alles, absolut alles um ihn herum, leuchtete hell auf. Es war, als würde eine Sonne aus dieser Tiefe aufgehen und die Landschaft um ihn herum zu erstrahlen. Das Eis spiegelte und brach die Strahlen tausendfach und so musste er seine Augen zusammenkneifen, um überhaupt etwas sehen zu können. Er war wie erstarrt vor Angst und Faszination. Sein Herz raste, wie verrückt in seiner Brust und sein Verstand kämpfte zwischen Neugierde und Flucht. Er hatte einen Magiekern gefunden. Nein, den Magiekern. Den Ursprung der Eiswüste. Eine unvorstellbare Kraft, welche ihm bis in seine Knochen erschütterte. Es gab keine andere Erklärung.
Sein Körper hatte sich, ohne sein zutun, dem Krater wieder langsam genähert.
Die Wucht, mit der er in der nächsten Sekunde nach hinten geschleudert wurde und hart auf dem Rücken landete, presste die gesamte Luft aus seinen Lungen und seine Sicht verschwamm für einen Augenblick. Als sich sein Blick langsam klärte, schnappte er erschrocken nach Luft. Vor ihm stand ein Drache, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Er hatte Schuppen, die in allen Blautönen leuchteten. Sein riesiger Körper war überzogen davon, von den Nüstern bis hin zu seinem Schwanz. Dieser war dreigeteilt und die Enden peitschten aufgebracht durch den Wind. Jede seiner Krallen war so groß wie ein Mann und jede Einzelne würde sein Ende bedeuten. Die Augen des Geschöpfes waren zu schmalen Schlitzen verzogen und als das Wesen seinen Atem ausstieß, gefror dieser in der Luft.
Konnte dies sein? Hatte ein Drache in diesen Untiefen geschlafen und sie hatten ihn geweckt? Nein, kein einfacher Drache. Etwas, was als nahezu ausgestorben galt. Ein Eisdrache. Riesig. Majestätisch. Aus einer längst vergessenen Zeit.
Sein Team hatte sich anscheinend schneller an die gefährliche Situation angepasst und sie griffen das haushohe Wesen bereits an. Er sah wie Pfeile auf den Drachen geschossen wurden und spürte die Vibration der Zauber in der Luft. Über diese Idiotie konnte er nur den Kopf schütteln. Es gibt nicht mehr allzu viel, was über diese Wesen bekannt ist, aber Pfeile und Zauber waren gegen seine Eisschuppen und die angeborene Magieresistenz nahezu nutzlos. Nur wirklich mächtige Magier waren imstande, überhaupt Schaden anzurichten. Das Eis dieses Geschöpfes würde jeden Zauber ersticken, bevor dieser etwas ausrichten könnte. Er erinnerte sich an die Geschichten seiner Mutter, über die alte Zeit vor dem großen Krieg, als der Himmel voll dieser Wesen war und die Eisdrachen das Land beherrschten.
Der Drache brüllte wütend und schlug mit seinen Schwänzen um sich, als würde er lästige Insekten verscheuchen. Er ging zum Angriff über und packte den ersten Mann mit seinen Krallen und zerquetschte ihn augenblicklich, während er mit einer seiner Schwanzspitzen einen weiteren aufspießte. Zeitgleich riss er einem Magier die Hälfte seines Körpers mit seinen rasiermesserscharfen Zähnen ab. Er tötete einen nach dem anderen, bis das Eis mit Blut überzogen war. Die Schreie der Männer holten ihn aus seinem Delirium und er sprang auf die Beine und rannte so schnell er konnte. Sein rasselnder Atem und sein schnell pochendes Herz dröhnten in seinen Ohren. Als er die Stille um sich herum bemerkte und einen Blick zurückwarf, sah er nur noch die Zähne des Monsters und hoffte, dass es schnell geht.
Die Schwärze, die mich gefangen hält, zieht sich zurück und ich spüre meinen Körper langsam wieder. Ich versuche die Augen zu öffnen, aber meine Lider fühlen sich so schwer an. Es kommt mir so unendlich lange vor, bis ich es schaffe sie auch nur einen Millimeter zu bewegen. Ein helles Licht brennt in meinen Augen und ich drehe meinen Kopf weg. Die Bewegung schmerzt höllisch und ich kann ein qualvolles Stöhnen nicht unterdrücken. Ich spüre etwas Kühles auf meiner Stirn und höre leises Gemurmel.
„Shh, ganz ruhig.“
Meine Augen zwinge ich, sich erneut zu öffnen und ich versuche meinen Körper wieder unter meine Kontrolle zu bekommen. Schmerzen zucken durch meinen Körper und lassen mich sofort wieder schwarzsehen. Bei Vishap, was ist mit mir passiert?
Ich beiße die Zähne zusammen und versuche mich aufzurichten. Angestrengt öffne ich meine Augenlider und erkenne sofort das Licht, welches mich geblendet hat. Es ist der Schein einer Kerze und lässt mich meine Umgebung nur schemenhaft wahrnehmen. Meine Augen gewöhnen sich nur langsam an die Helligkeit und ich blinzle mehrere Male bis sich mein Blick endlich schärft. Der Schmerz, der mich erfasst, als ich versuche mich weiter aufzusetzen, lässt mich nach Luft schnappen und ich sinke sofort wieder zurück auf das Bett.
Ein überraschter Laut entweicht dem Mann neben mir und er hilft mir mich etwas aufzurichten.
„Du bist wach.“
Es ist eine Feststellung, keine Frage, somit würdige ich dieser keine Antwort, bin ich mir doch nicht mal sicher, ob ich sprechen könnte. Meine Erinnerungen spielen mir einen Streich und ich kann mit diesen Kopfschmerzen nur schwer darauf zugreifen, aber ich bin zutiefst verwirrt. Müssten meine Selbstheilungskräfte nicht längst eingesetzt haben? Selbst wenn diese versagen, sollte ein Heiler mich aus diesem schmerzhaften Zustand mit Leichtigkeit herausholen können. Meine Eismagie ist stark und egal welche Verletzungen ich bisher hatte, ich hatte niemals solche Schmerzen. Mir ist übel und meine Sicht verschwimmt immer wieder, während ich versuche mich zu erinnern, was passiert ist. Jedes meiner Glieder schmerzt wie unter dutzend Peitschenhieben. Vielleicht hat der Mann mich vergiftet. In dem Moment, wo dieser Gedanke aufkommt, verdränge ich ihn bereits, schließlich gibt es nicht viele Gifte, die mir gefährlich werden könnten und meine Familie hütet dieses Geheimnis schon seit Jahrtausenden. Ich versuche erneut einen Blick neben mich zu richten und mustere den Fremden vorsichtig. Sein Gesicht und seine Körperhaltung sind freundlich und offen. Er muss bereits älter sein, da sein Körper von Falten gezeichnet ist. Sein Haar ist ergraut und in seinen Augen erkenne ich eine Weisheit, die nur durch das Alter erlangt werden kann. Er mustert mich besorgt und ich ziehe seinen Geruch unauffällig ein, auch wenn das tiefe Einatmen weitere Schmerzwellen durch meinen Körper schickt. Definitiv ein Wandler, das erklärt auch seinen durchaus noch muskulösen Körperbau für sein fortgeschrittenes Alter. Um genau zu bestimmen, was er ist, müsste ich seine Aura lesen, wofür ich allerdings meine Magie einsetzen müsste und so wie ich mich fühle, benötige ich jedes Quäntchen für meine Heilung.
Er ist keine Gefahr für mich und selbst in diesem Zustand würde ich mich gegen ihn wehren können, zumindest hoffe ich das. Ich entspanne mich wieder leicht und merke sofort, wie erschöpft ich von dieser kurzen Phase der Wachsamkeit bin. Ich werfe nur einen schnellen Blick durch das Zimmer, in dem ich mich befinde. Ein Tisch mit Stuhl und einer Kerze darauf. Ein Schrank zu meiner linken und eine kleine Kochnische im vorderen Teil des Raumes. Die Hütte ist nicht gerade luxuriös, aber ich habe auch schon schlimmer genächtigt. Es gibt eine Tür und zwei Fenster die nach draußen führen und ich erkenne, dass es Nacht ist. Meine Kehle ist wie ausgedörrt und ich räuspere mich leicht, um meine Stimme fest klingen zu lassen. Der Fremde erkennt wohl meine Notlage und reicht mir schnell ein Glas Wasser, welches ich gierig herunterschlinge.
„Immer langsam.“
„W … wie … euer Name? Was ist geschehen?“, krächzte ich heiser.
Der Mann und ich zucken beide leicht zusammen, was mir erneut ein gequältes Stöhnen entlockt. Wie lange habe ich meine Stimme nicht mehr verwendet?
„Ich heiße Eduard Baltimore, aber was genau passiert ist, kann ich dir auch nicht sagen. Ich habe vor, mmh.“ Er zieht nachdenklich seine Augenbrauen zusammen, bevor er weiterspricht.
„Ja, genau. Vier Tage. Ich habe vor vier Tagen ein lautes Geräusch gehört. Eigentlich hat es eher wie ein Einschlag geklungen. Die ganze Hütte hat gewackelt und als ich nach draußen bin um nachzusehen. Ja, da lagst du dort. Es war ein schreckliches Bild was sich mir bot, du hast an mehreren Stellen geblutet und deine Schulter war unnatürlich verdreht.“
Er schüttelt, mit vor Grauen verzogenem Gesicht, seinen Kopf, als hätte er zum ersten Mal in seinem Leben Blut gesehen.
„Ich dachte erst, du bist tot, doch als ich deine Atmung wahrnahm, habe ich mich sofort daran gemacht, deine Wunden zu versorgen. Es war nicht leicht, selbst in dieser Verfassung bist du ziemlich stark.“
Sein vorwurfsvoller Blick landet auf mir, als hätte ich irgendeinen Einfluss auf meinen Körper während meiner Bewusstlosigkeit.
„Du hattest hohes Fieber und ich dachte, du schaffst es nicht. Um sich von solchen Wunden zu erholen, muss dein Geist sehr stark sein.“
Eine Frage schwang in diesem Satz mit, aber ich hatte gelernt, auf so etwas nicht zu antworten. Der Nebel in meinem Kopf lichtete sich langsam und eine Erinnerung erreicht mich.
„Dein Volk braucht dich hier“, schreit er.
„Es ist auch dein Volk und du weißt ebenso gut wie ich, dass ich hinter diesen Mauern nichts ausrichten kann.“
„Du könntest ihnen Mut zusprechen, ihnen Hoffnung geben.“
Ich schnaube abfällig. „Hoffnung, dass ich nicht lache. Ich werde ihn töten. Das ist meine Hoffnung, die ich dem Volk geben kann und werde. Selbst du wirst mich nicht aufhalten.“
Er schüttelt den Kopf und versucht sich zu beruhigen.
„Ein Kampf ist nicht für alles die Lösung. Geliebte Schwester, dieser Krieg hat bereits so viele Leben gekostet. Lass es nicht auch deines verschlingen.“
Ich versuche, ebenfalls meine Stimme ruhiger zu halten. „Bruder, bitte verstehe doch. Nur durch seinen Tod, kann das Land wieder Ruhe finden. Kann ich wieder Ruhe finden. Ich weiß, dies ist nicht dein Weg. Es ist meiner.“
Meine Hand ruht auf seiner Schulter und ich sehe den Sturm in seinen Augen. Er hat Angst. Angst um mich.
So schnell wie die Erinnerung gekommen ist, verschwindet sie auch wieder.
„Kind, geht es dir gut? Du bist plötzlich ganz blass. Kannst du mir sagen, was dir passiert ist?“
Ich bin noch halb in der Erinnerung gefangen, als dass ich angemessen auf diese Beleidigung reagieren könnte.
„Kind? Wisst ihr, wen ihr hier vor euch habt, Eduard Baltimore?“
Ich kneife meine Augen zusammen und fange seinen irritierten Blick auf. Wie schlimm zugerichtet muss ich aussehen, wenn mein eigenes Volk mich nicht erkennt? Vielleicht gehört er aber auch gar nicht meinen Gefolgsleuten an, sondern denen des Feindes. Ich mustere ihn erneut skeptisch.
„Wo befinden wir uns?“, frage ich weiter, als er keine Antwort gibt.
„Wir sind auf Valyra, du kennst sie vielleicht besser als Toteninsel.“
Ich horche auf und blicke ihn noch misstrauischer an.
„Wieso sollte mir diese als Toteninsel bekannt sein? Ist dies ein neumodischer Begriff, um den König in Verruf zu bringen“, brause ich auf.
Er weiß definitiv nicht, wer ich bin, sonst hätte er nicht gewagt, die Königsfamilie zu beleidigen. Trotz meiner Schmerzen richte ich mich weiter auf und spanne meinen Körper an. Ein falscher Satz und er würde seinen letzten Atemzug nehmen. Eduard sieht mich mit geweiteten Augen an und entfernt sich etwas von mir. Gut, er spürt, dass ich selbst in meinem lädierten Zustand noch ein ernst zu nehmender Gegner bin.
„N ... nein, ich diene der Königsfamilie seit nun fast vierhundert Jahren, das ist einfach der Name der Insel.“
Ich entspanne mich wieder leicht, allerdings verwirrt mich seine Aussage mehr als dass es diese sollte. Auf Valyra wurde ich geboren und bin aufgewachsen. Hier habe ich mein ganzes Leben verbracht und dieser Begriff ist mir noch nicht untergekommen, dabei bin ich trotz meines Standes viel in Kontakt mit dem Volk. Ich schüttle über meine ziellosen Gedanken den Kopf und richte mein Wort erneut an den Fremden.
„Informieren Sie meinen Bruder über meinen Verbleib. Ich fürchte, ich werde mich nicht verwandeln können, um alleine nach Hause zu fliegen. Er soll einen Transportdrachen schicken, der mich abholt.“
Eduard blickt nach wie vor etwas verunsichert und mir fällt wieder ein, dass er vermutlich immer noch nicht weiß, wer ich bin und daher auch nicht wissen kann, wer mein Bruder ist. Ich schenke ihm mein strahlendstes Lächeln.
„Ihr befindet euch in Gegenwart der Prinzessin Adryana von Elymo.“
Mein Lächeln gefriert, als ich den Schock in seinen Augen erkenne. Er gehört wohl doch zum Feind und hatte mich bisher nur nicht erkannt. Wie einfältig von mir. Ich springe auf die Beine und schwanke stark, aber ziehe dennoch ein Schwert mit meiner Magie aus der Luft. Diese einfache Bewegung verlangt mir bereits einiges ab. Doch bevor der Fremde reagieren kann, halte ich ihm meine Waffe an die Kehle.
„Ihr arbeitet für den schwarzen Lord?“
Ich muss an mich halten, um nicht zu zittern. Mein ganzer Körper schreit mich an, mich wieder hinzulegen und die Schmerzen trüben meine Sicht, nur die Wut lässt meinen Körper weiterarbeiten. Steht doch nichts weiter als Abschaum vor mir. Nur ein Moment der Unaufmerksamkeit und mein Leben könnte verwirkt sein. Ich blinzle und fokussiere meinen Blick wieder auf den Feind. Er schluckt und schaut mich mehr als nur ängstlich aus seinen alten Augen an. Ein kleines Rinnsal Blut läuft an seinem Hals herab, an dem mein Schwert ihn geschnitten hat und er zittert am ganzen Körper.
„Ich … ich arbeite nicht für den schwarzen Lord. Miss. Mylady, bitte lasst es mich erklären.“
Ich nehme mein Schwert ein kleines Stück von seinem Hals, damit er ungehinderter sprechen kann, gebe meine Haltung allerdings nicht auf. Mein Körper ist zum Zerreißen gespannt und ich spüre, wie meine Kraft bereits schwindet. Er fasst sich schockiert an den Hals und blickt auf seine nun blutigen Finger.
„Sprich!“
Sein Blick schnellt wieder hoch zu mir.
„Prinzessin Adryana, ihr erkennt mich vielleicht nicht, aber wir sind uns bereits begegnet, das ist allerdings lange her und ich war noch ein kleiner Junge. Mein Vater war ein Berater ihres Vaters und dann ihres Bruders. Ich weiß nicht, wie viel ihr im politischen Geschehen mitgewirkt habt, aber vielleicht kanntet ihr ihn. Sein Name war Erwin Baltimore. Ich erzähle euch gerne alles, aber ihr solltet euch setzen. Ihr seht sehr blass aus.“
Ich schwanke leicht und versuche das eben gehörte zu verarbeiten.
„Erwin Baltimore ist ein Berater meines Bruders. Wieso sagst du war?“
Der alte Mann seufzt traurig und blickt erneut auf.
„Er ist tot, Prinzessin. Wisst ihr, welches Jahr wir haben?“
Ich bin verwundert über diese eigenartige Frage und muss selbst kurz nachdenken.
„Wir schreiben das Jahr 1515.“
Seine Augen weiten sich kurz.
„Adryana.“
„Es heißt Prinzessin Adryana“, weise ich ihn zurecht.
Meine Verletzungen waren doch stärker als angenommen und ich muss mich zwingen stehen zu bleiben. Er seufzte erneut, als würden die Sorgen der Welt auf seinen Schultern lasten.
„Prinzessin Adryana, wir haben das Jahr 2022.“
Er blickt zu Boden und weicht meinem Blick aus. Ich hatte gelernt eine Lüge zu erkennen, wenn ich sie hörte und das war definitiv keine Lüge. Weder sein Herzschlag beschleunigte sich zu dem bereits extremen Schlagen, noch schwitzte er mehr, als er es sowieso schon tat. Er wirkt auf mich nicht wie ein ausgesprochen guter Lügner oder er war hervorragend ausgebildet. Dennoch kann ich mir nicht erklären, welch Sinn hinter dieser Unwahrheit stecken sollte. Er hatte mich nicht einmal erkannt. Wenn er der Feind wäre, hätte er mir sonst unter keinen Umständen geholfen, sondern eher ein Messer in mein Herz gerammt. Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Ich sehe, wie er mich neugierig mustert und versucht mich gleichzeitig nicht anzuschauen. Er ringt um Worte, aber ich höre nichts mehr, von seinen gestammelten Lauten. Meine Waffe lasse ich verschwinden und schwanke mehr, als ich laufe.
Ich reiße die Tür auf und laufe so schnell ich kann hinaus in die Dunkelheit. Eduard ruft meinen Namen hinter mir, aber ich erfasse alle Geräusche wie durch Watte. Ich blicke mich um und meine verbesserte Wandlersicht ermöglicht es mir, im Dunkeln zu sehen. Alles, was ich sehe, ist Sand und der unendliche Ozean der sich vor mir erstreckt. Ich drehe mich in Richtung des Inselkerns und sehe nur ein überwuchertes und verwachsenes Dickicht eines Dschungels, welcher mir alles andere als vertraut vorkommt. Meine Magie lasse ich frei, entfessle sie so schnell, dass ich beinahe stürze und schnappe erschrocken nach Luft. Ich suche die Umgebung ab. Ich bin zu Hause. Ich spüre es in jeder meiner Fasern. Dies ist meine Heimatinsel, aber auch wieder nicht. Meine Magie wühlt durch die Umgebung und sucht nach anderen Magiesignaturen, aber ich finde auf der gesamten Insel nur zwei höher entwickelte Lebewesen. Eduard und mich.
Ich weiß nicht, wie lange ich gestern Abend im Sand kniete und stumme Tränen des Verlustes über meine Wangen flossen. Selbst jetzt ringt mein Verstand zwischen der Realität und meinem Unglauben. Will die Wahrheit nicht erkennen.
Irgendwann hat mich Eduard nach innen getragen und mich ins Bett gelegt. Meine Nacht war voll von wirren Träumen und Erinnerungen, doch nun wo ich vollständig erwacht bin, waren all diese fort. So wie alles andere in meinem Leben. Mein Körper heilt langsamer, wie ich es gewohnt bin und so habe ich heute Mühe überhaupt zu sitzen.
Ich habe letzte Nacht einen Entschluss gefasst, ich muss die ganze Geschichte erfahren. Es würde schmerzhaft sein, aber ich muss wissen, was passiert ist. Ich weiß, dass keiner aus meiner Familie mehr lebt. Ich würde spüren, wenn es ihnen gut ginge, aber da ist nichts in meinem Inneren. Nur die unendliche Leere, die zu verschlingen mich droht. Vermutlich ist dies ebenfalls ein Grund meiner schlechten Verfassung. Der Geist muss gesund sein, damit der Körper heilen kann. Dies hatte Mutter immer gesagt. Sie war eine gute Heilerin, eine der Besten des Landes und hatte mich vieles gelehrt. Außer einem ‚Guten Morgen‘ hat Eduard noch nicht gesprochen am heutigen Tag. Wer konnte es ihm verübeln, ich hatte schließlich sein Leben bedroht. Dennoch halte ich diese eisige Stille nicht mehr aus, in denen meine Gedanken und Erinnerungen sich überschlagen.
Ich renne durch die Gänge des Palastes, als ich plötzlich mit jemanden zusammenstoße. Erschrocken blicke ich auf und sehe in das strenge Gesicht meines Vaters. Mein Bruder befindet sich knapp hinter mir und ich höre seine Schritte, als er sich nun ebenfalls nähert. Genauso wie ich, läuft er gegen unseren Vater. Er blickt genauso erschrocken, wie ich mich fühle und entschuldigt sich sofort, wie es sich gehört. Er war schon immer der Folgsamere von uns beiden. Ich hingegen bin eher von der rebellischen Sorte und schaue meinen Vater erwartungsvoll an. Würde er uns jetzt ermahnen nicht mehr zu rennen. Wir sind schließlich nicht irgendwelche Kinder, sondern der Prinz und die Prinzessin des Reiches. Vielleicht würde er Meister Rodus rufen lassen, der uns wieder zu einer seiner Erzählungen zwingt oder über die Etikette philosophiert. Ich erschaudere bei diesem Gedanken. Geschichten langweilten mich schon immer, aber eine Prinzessin muss stets über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft ihres Reiches informiert sein, ebenfalls wie sie sich zu verhalten hat und bla.
„Adryana, hatte ich euch nicht erst kürzlich ermahnt, nicht im Palast zu rennen?“
Der König versucht streng zu klingen, aber ich höre das Schmunzeln in seinem Ton. Er ist wohl selbst im Herzen immer noch ein Kind und würde lieber mit uns spielen als mit all den alten Arkanern über irgendwelche - nicht - superwichtigen Dinge zu sprechen. Verständlich.
„Jaa Vater, das hattet ihr.“
Ich blicke etwas betreten zu Boden, wenn ich geknickt wirke, würde es vielleicht keine Strafe geben. Eigentlich ist es auch immer nur eine Strafe für mich. Mein Bruder freut sich auf jede der langweiligen Geschichten von Meister Rodus und ist sowieso eher das, was Vater sich unter einem Nachfolger vorstellt. Mikkai ist so ein braver, folgsamer Sohn, eigentlich stellt er nur etwas an, wenn ich ihn dazu ermutige. Ich muss über meinen eigenen Gedanken schmunzeln, besinne mich aber schnell wieder, da ich doch bedrückt wirken wollte.
„Na gut, seid bitte nun etwas leiser und geht hinaus in den Hof. Meister Hiron erwartet euch bereits für euer tägliches Schwerttraining.“
Mein Bruder stöhnt lustlos, während ich meinen Elan zügeln muss, um nicht erneut loszurennen. Das war tatsächlich alles andere als eine Strafe für mich.
Ich blinzele die Erinnerung aus meiner Kindheit weg und schaue zu dem alten Mann. „Eduard, erzählt mir, was mit meiner Familie geschehen ist.“
Eduard verschluckt sich an seinem Wasser und versuchte sich vergeblich zu räuspern. Nach einigen Momenten wendet er sich mit rotem Kopf mir zu.
„Prinzessin Adryana, ich verstehe eure innere Unruhe, aber ich halte das für keine gute Idee. Ihr … ihr seid noch geschwächt und ...“
„Genug“, schneide ich ihm das Wort ab. „Eure Sorge ist ehrenhaft, aber ich alleine spreche für mich.“
Er schluckt mehrmals, sich sichtlich unwohl fühlend.
„Nun, ich war selbst noch ein Kind, als dies alles geschah, aber ich versuche mich so gut es geht daran und an die Erzählungen meiner Eltern zu erinnern.“
Seine Miene erhellt sich ein Stück und er springt fast schon agil von seinem Stuhl und läuft zu einem Regal an der Wand. Nach einigen Momenten des Suchens greift er nach einem dicken Wälzer und schlägt mehrere Seiten um, bis er scheinbar findet, was er gesucht hat und reicht mir das Buch. Ich blicke kurz auf den verblichenen Titel Die Geschichte des Reiches. Ein Geschichtsbuch. Ich stöhne innerlich auf, doch schließlich ist das genau das, wonach ich gefragt habe. Nur diesmal ist es eine Geschichte, die mich wirklich interessiert.
„Ich denke über den Konflikt des großen Krieges brauchen wir nicht sprechen, du kennst dich vermutlich besser aus, als jeder sonst noch so gut gebildete Historiker.“
Er zeigt auf ein äußerst schlecht gezeichnetes Bild auf der aufgeschlagenen Seite, die zwei Drachen kämpfend zeigt. Unter dem Bild in klarer Schrift steht: Prinzessin Adryana von Elymo und der schwarze Lord in der letzten Schlacht. Mich überzieht eine Gänsehaut, als ich zurück an diesen grausamen Tag denke und in eine meiner Erinnerungen gezogen werde.
Der Wind rauscht in meinen empfindlichen Ohren, aber ich werde nicht langsamer. Im Gegenteil, meine Flügel schlagen kräftiger, um schneller an mein Ziel zu gelangen. Ich höre bereits das Kampfgeschrei der Krieger und tauche kurz später aus der Wolkendecke heraus. Das Schlachtfeld breitet sich vor mir aus, wie ein roter Teppich aus Blut und Leichen.
Vor zehn Jahren hatte dieser Krieg begonnen. Als der schwarze Lord - ein äußerst starker Feuerdrache - sich erhob und vom König forderte, alle Halbblüter aus unserem Land zu verbannen und die Mischung der Rassen zu verbieten. König Adlas, mein Vater, ließ ihn aus dem Thronsaal entfernen und dachte damit hätte sich alles erledigt. Aber Vater wusste nicht, wie groß bereits seine Gruppe von Anhängern war. Es war die erste Nacht in der gemordet wurde. Dutzende Halbblüter wurden im Schlaf erstochen und niedergemetzelt. Man brannte ganze Viertel nieder. Es gab Hunderte Tote in dieser Nacht. Danach war nichts mehr wie zuvor, der schwarze Lord stellte sich offen gegen meinen Vater und erhob sich mit seiner Armee von Vollblüter, um die ‚Unreinen‘, wie er sie bezeichnete, zu vernichten. Ich blicke wieder auf das vor mir liegende Schlachtfeld und sehe, wie meine Leute sterben und alles für ihr Königreich geben. Ich würde ihnen gerne helfen, aber ich kann mir keine Ablenkung erlauben. Mein Ziel ist weiter vorne.
Ich schüttle die Erinnerung ab und mein Blick schärft sich zurück auf das Bild vor mir.
„Die letzte Schlacht, wie die Historiker sie gerne nennen. Ich denke hier sollte ich ansetzen, schließlich ist das euer offizieller Todestag“, spricht Eduard.
Ich blicke geschockt auf und mir wird bewusst, dass ich für Tod erklärt wurde, aber wie kann das sein, da ich doch sehr lebendig bin.
„In dieser Schlacht kämpft ihr gegen den schwarzen Lord und tötet ihn. Man vermutet, dass ihr ebenfalls in diesem Kampf gestorben seid, da ihr nicht zurückgekehrt seid. Ich kann mich noch daran erinnern, dass unendlich viele Ressourcen aufgebracht wurden, um euch zu finden. Der König hatte über die Jahre viele Truppen nach euch suchen lassen, aber ihr wurdet nie gefunden.“
Ich kann mir vorstellen wie mein Bruder krank vor Sorge um mich war, das Loch in meinem Herzen schmerzt und ich errichte eine Mauer um meine Gefühle, damit kann und will ich mich jetzt nicht beschäftigen. Eduard hat meinen emotionalen Aussetzer nicht bemerkt und spricht weiter.
„Jedenfalls, ihr wart verschwunden, der Krieg war vorbei, aber es gab Tausende Tote auf beiden Seiten. Das Land hatte gelitten und benötigte eine starke Führung, aber der König, er war in keiner guten Verfassung. Der Krieg hatte ihm seine beiden Söhne genommen. Die Königin, sie starb nur wenige Monate darauf. Man sagt, sie hätte den Verlust ihrer Kinder nicht verkraftet.“
Mari, die Frau meines Bruders war wie er, eher sanfter Natur. Ich vermag es mir nicht vorzustellen, wie grausam es sein muss, seine beiden Kinder zu begraben. Mein Bruder wird sich in seinem Kummer zurückgezogen und auf seine Aufgaben konzentriert haben, wie er es immer tat, wenn ihn seine Gefühle überschwemmten. Er wird sich die Verantwortung dafür gegeben haben, aber er hätte nichts tun können. Ich denke an seine Söhne. Ich habe sie geliebt, als wären sie meine eigenen Kinder. Es hatte mich zutiefst erschüttert, als ich erfuhr, dass sie bei der Verteidigung des Palastes gefallen waren. Zu diesem Zeitpunkt war ich in einen der Außenlager bei einer Besprechung. Ich wünschte ich könnte diese Entscheidung rückgängig machen.
„Adrya, bitte sprich mit Vater. Er wird uns nicht kämpfen lassen, aber wir wollen das Reich auch verteidigen. Wenn du ihn bittest ...“
„Adian, Mecho“, unterbreche ich die beiden. „Ihr beide wisst, dass ich das niemals von ihm verlangen könnte.“ Ich lege beiden eine Hand auf die Schulter und blicke sie eindringlich an. „Es wird andere Kämpfe geben. Ich zweifle nicht an euren Fähigkeiten, aber um in so eine Schlacht zu ziehen, benötigt man auch Erfahrung. Diese kann nur durch die Jahre kommen.“
„Tantchen, wie sollen wir die Erfahrung bekommen, wenn wir nie weiter als zu den Palastmauern dürfen“, quengelt Adian.
Ich lache vergnügt auf.
„Mein Junge, halte mich nicht zum Narren. Ich kenne jeden deiner nächtlichen Ausflüge zu gewissen Damen.“
Adians Gesicht überzieht eine leichte Röte und er blickt betreten zu Boden. Die beiden wissen, dass sie vor mir nichts verbergen können. Mein Bruder ist manchmal zu leichtgläubig und denkt immer noch, dass die beiden sich zu einem Lesestammtisch in den Abendstunden treffen. Das Adian bei seinem Frauenverschleiß vermutlich bald in eine andere Stadt ziehen muss und Mecho regelmäßig im Käfig kämpft, sollte man Mikkai aber wohl auch besser verschweigen. Vermutlich würde ihm vor lauter Schreck das Herz stehen bleiben. Die Jungs sind nun mal fünfundzwanzig Jahre alt, in diesem Alter hatte ich auch nur Flausen im Kopf.
Ich rufe mich zurück zur Realität und überlege, was ich den beiden als Aufgabe gebe. Wenn ich ihnen einfach nur sage, sie dürfen mich nicht begleiten, habe ich entweder zwei blinde Passagiere oder sie ziehen auf eigene Faust los. Ich senke meine Stimme.
„Hört gut zu, ich kann euch nicht mitnehmen. Es gibt eine viel wichtigere Aufgabe, der ihr euch widmen müsst.“
Ich spreche so leise, dass selbst ein Wandler, mit seinem ausgeprägten Gehör, mich nicht mehr verstehen kann.
„Ihr müsst für mich die Augen und Ohren im Palast sein. Ich will über jeden Schritt des Rates informiert werden. Jede noch so kleine Entscheidung ist wichtig. Alles, was euch gewöhnlich oder ungewöhnlich erscheint. Habt ihr das verstanden?“
Beide nicken synchron und strotzen nur so vor Tatendrang. Ich weiß, dass ich mich auf meine beiden Neffen verlassen kann, sie eifern mir schon seit sie klein sind nach. Allerdings gebe ich ihnen diese Aufgabe wirklich nicht nur zur Freizeitbeschäftigung. Ich hege den Verdacht, mindestens einen Spion des Feindes hier im Palast zu haben. Mein Bruder ist über meinen Verdacht in Kenntnis, aber er glaubt wie immer an das Gute in jedem.
Meine Stimme zittert, als ich die Frage stelle, die mir seit gestern auf der Zunge liegt.
„Was ist mit meinem Bruder geschehen?“ Eduard blickt betreten zu Boden.
„Er war fest davon überzeugt, dass ihr noch lebt und hat Jahre nach euch gesucht, er hat das Volk und Königreich vollständig vernachlässigt. Seine Berater haben alles versucht, aber er war nicht mehr zurechnungsfähig. Ein anderer Drache hat ihn herausgefordert. Er wurde im Hamacha besiegt.“
Ich zittere bei dieser Vorstellung und Tränen laufen über mein Gesicht. Das Hamacha ist heilig. Es ist ein Zweikampf vor den Göttern, der so lange geführt wird, bis einer aufgibt oder getötet wird. Ein Einmischen ist strengstens untersagt und Gnade demjenigen, der diese Regel missachtet. Im Hamacha ist alles erlaubt, außer man entscheidet vorher, etwas auszuschließen. Ich habe in meinem Leben schon einige Hamachas geführt und gesehen. Sie werden für Ansehen und Profit geführt. Für den Aufstieg zu einer höherrangigen Position oder einfach um sich zu beweisen, aber auch, um einen König zu stürzen oder um einen Krieg zu beenden. Mein Bruder hatte diese Art des Kampfes immer gehasst. Er muss sehr von seiner Trauer gefesselt worden sein, damit er einem Hamacha zustimmte. Der Schmerz zerreißt mich beinahe, ich will ihn nicht fühlen und schließe meine Augen, um in den Schlaf zu finden.
Die Luft ist schwer und dicht von all den Zaubern und Feuern des Schlachtfeldes. Ich nähere mich dem Zentrum der Schlacht und zwinge mich noch schneller zu fliegen. Meine Augen suchen den Boden und Luftraum vor mir nach meinem Ziel ab. Mein Atem stockt kurz, als ich den riesigen schwarzen Drachen vor mir entdecke. Er brennt mehrere seiner Feinde mit nur einem Feuerstrahl nieder und wirkt nicht mal erschöpft. Er steht inmitten eines Feldes aus verkohlten Leichen und schreitet langsam voran. Ich nehme meine Geistergestalt von mir und stürze mich auf meine Beute. Heute wird der Krieg enden. Mein Feind hat mich nicht kommen sehen, meine Geistergestalt ist so undurchdringbar, wie außergewöhnlich, aber ich will keinen Hinterhalt. Er soll sehen, wer ihm das Ende bereitet. Das, was ich vorhabe, ist mehr als ein gesunder Drachenverstand zustande bringen würde. Ein Kampf auf Leben und Tod, um einen Krieg zu beenden, der nie hätte beginnen dürfen.
Der Feuerdrache erhebt sich vor mir in die Luft und brüllt sein Kampfgebrüll heraus. Meine Ohren klingeln von dem Lärm, aber ich rühre mich nicht. Ich schwebe in der Luft vor ihm und halte seinem Blick stand. Wir beide wissen, dass sich hier und jetzt alles entscheiden wird. Sollte ich verlieren, wird die königliche Armee ebenfalls fallen. Beide Armeen sind nahezu gleichstark und das ist genau der Grund, warum ich mich zu diesem Schritt entschieden habe. Ich kann nicht mehr dabei zusehen, wie Unmengen Soldaten jeden Tag ihr Leben lassen. Ich bin das Töten und alle diese Verluste so leid.
Meine seit Jahren angestaute Wut und meinen Zorn, schreie ich hinaus in den Himmel und höre wie die Kämpfe kurz unter mir zum Erliegen kommen, nur um mit noch mehr Härte wieder zuzuschlagen. Mein Volk kämpft noch erbitterter, als sie mich erblicken, als ich ihnen neuen Mut, neue Hoffnung auf den Sieg gebe. Mein Blick weicht keine Sekunde von meinem Gegenüber und ich studiere seine Bewegungen so wie er die meinen studiert. Sein Körper ist größer als meiner und das zeigt bereits seine Stärke. Die Größten unserer Art gehören immer der königlichen Familie an, den alten Blutlinien, welche man bis zu unserem Gott und Vorfahre Vishap zurückverfolgen kann und somit ebenfalls mit Macht gleichzusetzen ist. Aber hier geht es nicht nur um angeborene Stärke, sondern auch um trainierte Fähigkeiten und ich müsste Lügen, wenn ich nicht behaupten würde, eine der besten Kämpfer des Reiches zu sein.
Mit diesem Gedanken spanne ich meinen Körper an und schieße wie ein Blitz auf meinen Gegner zu, meine Krallen sind auf seinen empfindlichen Bauch gerichtet, an dem sein Schuppengeflecht nicht so dicht sitzt, doch er weicht zur Seite aus und ich erwische ihn nur leicht mit einer meiner Schwanzspitzen, die ich im letzten Moment zur Seite reiße. Er brüllt vor Wut und greift mich frontal an. Unsere massigen Körper kollidieren und ich höre mindestens eine meiner Rippen knacksen. Jeder versucht, die Oberhand zu bekommen. Wir rasen durch die Luft und verbeißen uns immer wieder in den anderen. Ich spüre, wie mehrere seiner Zähne und Krallen über meine Schuppen scharen und diese teilweise ausreißen und blutige Krater zurücklassen. Er verbeißt sich, in einer Sekunde meiner Unachtsamkeit in meiner Schulter. Ich brülle auf vor Schmerz und versuche meine Krallen in seinen Körper zu schlagen. Mein Kopf schlägt immer wieder auf seinen Schädel, damit seine Kiefer meine Schulter freigeben und meine Flügel schlagen kräftig, um mich aus seiner Reichweite zu bringen. Als ihn eine meiner Schläge hart genug trifft, spüre ich, wie sich sein Maul lockert und ich reiße meinen Körper zurück. Meine Schulter schmerzt höllisch und ich bin sicher, dass dort eine blutige Wunde klafft. Mehrere Feuerbälle rasen auf mich nieder und ich lösche einige mit meinem Eisatem und versuche anderen auszuweichen, aber ich kann nicht allen entgehen. Der Rausch des Kampfes fließt durch meinen Körper, aber der hohe Blutverlust und der Schmerz verzerren alles um mich herum. Es ist ein unerbittlicher Kampf und ich spüre bereits, wie erschöpft mein Körper ist. Wir verbeißen uns immer wieder und schlagen stellenweise auf dem Boden auf und reißen mehrere Krieger in den Tod, als wir sie mit unseren Körpern zerquetschen. Ich greife auf meine Magie zurück und schleudere ihm Eisspeere mit meinem dreigeteilten Schwanz entgegen, denen er allen geschickt entgeht.
Dies hier ist ein Kampf auf Leben und Tod und ich muss alles, was ich habe, einsetzen. Ich zapfe meine Eismagie erneut an und lasse einen Sturm aus Eissplitter auf ihn nieder. Ich kann keine Rücksicht auf die Krieger unter uns nehmen. Er muss sterben, um jeden Preis. Kälte und Eis schwächt einen Feuerdrachen, so wie Hitze einen Eisdrachen schwächt und so sehe ich, dass seine Bewegungen langsamer und abgehackter werden. Ich stürze mich durch meinen eigenen Sturm. Mir kann Eis und Wasser nichts anhaben. Es ist mein Element, meine Natur. Eine Schicht aus Eis überzieht meine Schuppen und bringt mir somit noch einen zusätzlichen Schutz dar und lässt mich schneller durch den Sturm gleiten. Er versucht mir auszuweichen und dreht sich in der Luft, aber er ist zu langsam, um mir vollständig zu entkommen und so versenke ich meine Reißzähne in seinen Rücken und reiße ein großes Stück Fleisch und Schuppen heraus. Mein Gegner brüllt vor Schmerz und greift mich blind vor Wut an. Er erwischt mein Bein und reißt daran. Ich versuche ihn mit einem Flugmanöver abzuschütteln, aber er lässt nicht los. Ich blicke nach unten und sehe, dass wir uns bereits weit auf dem offenen Meer befinden. Das ist meine Chance, ich setze zum Sturzflug an und ziehe den schwarzen Drachen mit mir in die Wellen. Er lässt notgedrungen mein Bein los, um nicht in das Wasser gezogen zu werden. Seine Art kann im Gegensatz zu Wasser- und Eisdrachen nicht schwimmen, geschweige denn unter Wasser atmen. Ich tauche in das Meer und nehme einen tiefen Atemzug durch meine Kiemen, bevor ich wieder nach oben schieße. Diese wenigen Sekunden der Auszeit haben mir die Möglichkeit gegeben, meine Wunden leicht zu heilen, damit die starke Blutung gestoppt wird. Als ich durch die Wasseroberfläche breche, wartet er bereits mit einem monströsen Feuerstrahl auf mich. Ich kann diesem in letzter Sekunde ausweichen, allerdings erwischt er mich an der Seite und ich rieche mein verkohltes Fleisch. Ein Feuerstrahl, in Vollbesitz meiner Kräfte, würde mir nichts ausmachen, aber ein Schild um meinen bereits geschwächten Körper zu legen, würde mir meine letzte Kraft rauben.
Er fliegt mir hinterher und hat anscheinend seine Taktik geändert und speit nun konstant Feuer auf mich und trifft immer wieder Teile meines bereits lädierten Körpers. Meine Erschöpfung ist so greifbar und ich spüre den Schmerz umso deutlicher. Er jagt mich durch den Himmel und ich frage mich, wann ich zur Beute geworden bin. Alles in mir schreit mich an, dass ich ganz sicher keine Beute bin und so drehe ich mich in der Flugbewegung um und sehe gerade wie ein riesiger Feuerstrahl auf mich zukommt und ein Instinkt von mir speit einen Eisstrahl direkt auf die Flammen. Die Wucht des Eises lässt das Feuer sofort verstummen und es gefriert innerhalb einer Sekunde, bis weit in den Rachen des anderen Drachens hinein. Er verliert aufgrund des Gewichtes sofort an Höhe und schüttelt seinen Kopf wild, um das Eis loszuwerden. Als es aus seinem Kiefer bricht, reißt es viele angefrorene Stellen seines Fleisches mit sich in die Tiefe. Er brüllt vor Schmerz, doch ich lasse ihm keine Zeit sich zu sammeln und stürze mich auf ihn, um mich in seinen Hals zu verbeißen. Seine Schuppen brechen eine nach der anderen, unter der Gewalt meiner Kiefer. Er versucht sich zu befreien, ist wie ein wild gewordenes Tier. Beißt und tritt nach mir, ob er sich damit selbst mehr verletzt, interessiert ihn nicht mehr. Er kämpft, um dem Tod zu entrinnen. Einer seiner Tritte erwischt mich an einer bereits verwundeten Stelle und bohrt sich tief in mein Fleisch. Der Schmerz nimmt mir kurzzeitig die Sicht und ich muss meine gesamte Willensstärke aufbringen, um nicht loszuschreien. Meine Kraft ist erschöpft und ich kann nicht gleichzeitig gegen ihn und meinen Schmerz kämpfen.
Nein. Ich darf diesen Gedanken nicht zulassen. Er muss sterben. Eine Entschlossenheit legt sich über mich und ich gebe meine Schwänze zur Koordination des Fluges auf und ramme diese in ihn, während ich ihn mit meinen Flügeln in Position halte. Er heult auf und mit meiner letzten Kraft breche ich ihm das Genick. Sein Körper erschlafft in meinem Maul und fällt mit rasender Geschwindigkeit zurück auf die Erde. Er zieht mich mit sich, bis seine Rückverwandlung beginnt. Im Tod verwandeln sich alle Wandler in ihre menschliche Gestalt zurück. Seine Wandlung hilft mir, mich endlich komplett aus unserer Verkeilung zu befreien und ich versuche, mit meinem Flügel wieder an Höhe zu gewinnen. In meiner Sicht tanzen schwarze Punkte und der Blutverlust lässt eine Taubheit durch meine Knochen fließen. Ich werde nicht mehr lange durchhalten, bis ich ohnmächtig werde.
Mein Körper schlägt auf der Meeresoberfläche auf, wie auf Stein und der Schmerz, der mich überkommt, ist alles verzehrend. Ich sinke in die Fluten und ein letzter Gedanke erfasst mich, bevor alles dunkel wird. Der schwarze Lord ist tot.
Einige Tage sind vergangen und mein Körper hat sich vollständig erholt, aber meine Seele ist zersplittert und ich weiß nicht, ob ich sie jemals wieder zusammensetzen kann oder das überhaupt will. Nach dem Sturz meines Bruders ging die Thronfolge auf die Feuerdrachen über. Selbst zu meiner Zeit zählten diese bereits zu den Stärksten und Zahlreichsten, aber mit dem großen Krieg wurden sie noch mächtiger, da viele Eisdrachen an meiner Seite kämpften und starben. Meine Art ist nahezu ausgestorben. Der Feuerdrache Herion von Seiliz sitzt aktuell auf dem Thron und das, was mir Eduard erzählt hat, soll er ein sehr strenges Regiment führen. Sein Vater war es, der gegen meinen Bruder gekämpft hatte. Er hat auch den Umbruch in das neue Zeitalter eingeläutet. Viele Dinge haben sich geändert. Der Königssitz liegt nun in der Hauptstadt Calimera am Fluss Rigamon und nicht mehr auf Valyra, meiner Heimat oder wie man sie heute bezeichnet Toteninsel. Eigentlich will ich mich überhaupt nicht mehr mit Politik befassen und einfach nur meiner Trauer nachgehen. Wir haben noch nicht so genau darüber gesprochen, wie es weitergehen soll, aber wir sind uns einig, dass meine wahre Herkunft unter allen Umständen geheim bleiben muss. Mein Anspruch auf den Thron ist stärker als von jedem anderen Arkaner, aber ich habe niemanden hinter mir stehen. Ich bin stark, ohne Frage, aber ohne Familie und Unterstützer bin ich ein niemand. Es sind viele Jahre vergangen ohne mich. Vermutlich würde man mich der Ketzerei bezichtigen, wenn ich mich wirklich als Prinzessin bekennen würde. Wie sollte man auch einer so unglaubwürdigen Geschichte Glauben schenken? Was haben sich die Götter nur dabei gedacht, mich über Jahrhunderte im Eis zu lassen? Ich kann weder an meinem alten Leben anknüpfen, noch etwas Neues anfangen. Im Moment fühle ich mich einfach zerrissen, zwischen dem Wunsch, meiner Familie in die nächste Ebene zu folgen und dem Wunsch zu leben. Wohin wird mich mein Weg führen und bin ich bereit ihn zu gehen?
Eduard reißt mich aus meinen Gedanken, als er den gebratenen Fisch vor mich stellt. Er war heute fischen, um mich, wie er so schön sagt, bei Kräften zu halten. Er ist ein Wasserdrache, somit kann er in seiner gewandelten Form sowohl schwimmen als auch unter Wasser atmen, was die ganze Sache natürlich um einiges leichter macht.
„Was habt ihr jetzt vor? Ihr könnt nicht ewig hier bleiben, so sehr ich eure Gesellschaft auch schätze, aber ihr seid zu jung, um eure Lebensaufgabe der Gesellschaft eines alten Mannes zu widmen.“
Er hat nicht ganz unrecht, ich bin gerade mal 178 Jahre alt. Das ist für einen Drachen die Blütezeit seines Lebens und für mich erst recht, da als eine Nachfahrin der alten Blutlinie meine Lebenserwartung das der anderen Drachen um Weiten übersteigen sollte. Ein Drache wird normalerweise zwischen fünfhundert und sechshundert Jahre alt, aber je höher der Anteil des göttlichen Blutes in einem ist, kann es durchaus vorkommen an die tausend Jahre alt zu werden. Wenn man allerdings beachtet, dass ich fünfhundertsieben Jahre lang in einem riesigen Meer aus Eis gefangen war, bin ich wohl auch nicht mehr so jung.
Mein Körper hat sich dennoch nicht verändert, so vermute ich, dass ich in der Zeit auch nicht gealtert bin, dennoch hat er Recht und mein Leben sollte irgendwie weitergehen.
Ich sollte eine Aufgabe haben. Ich hatte immer eine Aufgabe, aber alles, was ich weiß und fühle, ist, dass ich allein bin, dass meine Familie und alle meine Freunde tot sind. Ich bin allein in einer mir fremden Welt erwacht. Früher, fühlt sich an, als wäre es gestern gewesen, da hatte ich eine Familie, ein Volk und eine Zukunft, für die es sich zu kämpfen lohnte, aber wofür soll ich jetzt jeden Morgen aufstehen. Mein Herz ist schwer und von Trauer beherrscht und der Gedanke, in die Nachwelt zu meinem Bruder zu gehen, klingt mehr als verlockend.
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht“, antworte ich nach einiger Zeit zögerlich.
„Das ist verständlich. Du hast viel verloren. Deswegen habe ich mir ein wenig Gedanken gemacht. Wir müssen dich als Erstes in die Gesellschaft wieder eingliedern und das am besten, ohne dass jemand erfährt, wer du bist oder gar, dass du ein Eisdrache bist.“
Ich blicke ihn empört an, denn meine Identität geheim zu halten ist schon schmerzhaft genug für mich, entspringe ich doch einer direkten Linie von Vishap, aber ich soll meinen Drachen verstecken. Mein Tier hebt seinen Kopf und schnaubt empört einen eisigen Atem aus, aber Eduard spricht einfach weiter, als wäre nichts gewesen.
„Ein Eisdrache ist heutzutage selten. Ich denke, man kann sie an zwei Händen abzählen und dazu gehören ein paar sehr alte Exemplare, die das nächste Jahrhundert definitiv nicht mehr erleben werden. Somit würde das nur Fragen aufwerfen. Du bist aus der königlichen Familie, daher solltest du deine Aura unterdrücken können. Es gibt zwar nicht viele die heutzutage noch in dieser Kunst ausgebildet werden, aber es ist besser, wenn wir auf Nummer sicher gehen.“
Er räuspert sich kurz und sieht etwas verlegen aus.
„Ich habe mir überlegt, dich als Halbblut, welches sich nicht verwandeln kann, in die Gesellschaft zu bringen. Ich würde als dein Vormund gelten.“
Aufgebracht werfe ich meinen Stuhl nach hinten, als ich aufspringe.
„Ich werde mich doch nicht als ein Halbblut ausgeben. Ich bin Prinzessin Adryana von Elymo, Tochter von Königin Myrina Rkyaro und König Adlas von Elymo. Ich bin aus der ältesten Blutlinie der Drachen gezeugt, in meinen Adern fließt das Blut des Drachengottes. Meine Familie herrscht über dieses Land seit Anbeginn der Zeit. Allein der Gedanke an dieses Unterfangen bringt Schande über meine gesamte Familie.“
Sein Gesicht verdüstert sich und er spricht harsch. „Sie herrschten über dieses Land, aber so zeigt sich nun deine wahre Natur. Ein Vollblut, das gegen Halbblüter ist, so wie der schwarze Lord seinerzeit.“
Meine Hand liegt schon um seine Kehle, bevor sein letztes Wort gefallen ist und er schnappt verzweifelt nach Luft, während seine Beine nutzlos in der Luft hängen.
„Vergleicht mich noch einmal mit diesem Abschaum und es wird das Letzte sein, was ihr getan habt“, spreche ich mit ruhiger, dennoch vor Wut unterdrückter Stimme.
Ich sehe die Panik in seinen Augen und wie er sich verzweifelt an meine Arme klammert. Er will nicht sterben, er hat Angst. Dabei gibt es nichts, vor dem er Angst haben muss, wir verlassen einfach diese Ebene und gehen in eine andere. Mein Zorn verraucht leicht, als ich diesen kläglichen Anblick eines alten Mannes betrachte und lasse ihn fallen. Er schlägt hart auf dem Boden auf und schnappt röchelnd nach Luft.
„So viele Jahre wandelt ihr bereits auf dieser Ebene und klammert euch dennoch so verzweifelt an das Leben.“ Mein Blick verweilt einige Sekunden auf ihm, bevor ich mich abwende und die Hütte verlasse, bevor ich noch etwas tue, was ich bereue.
Die Sonne geht langsam unter und meine Füße tragen mich zum Ozean. Das Wasser hatte schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich, aber diesmal reicht es nicht aus, um meinen rasenden Puls zu verlangsamen. Mit einem letzten tiefen Atemzug verwandle ich mich in meinen Drachen und fliege davon. Seit meinen Verletzungen war ich nicht mehr in dieser Gestalt und ich habe es wirklich vermisst. Ich atme tief ein und spüre, wie der Geist meines Tieres stärker hervorkommt. Ich überlasse ihm die Kontrolle und hoffe so etwas Ruhe meiner rastlosen Gedanken zu erhalten. Das Tier, das wir Wandler in uns tragen, ist kein richtig eigenständiges Wesen, es fühlt das, was wir fühlen. Es hat seine natürlichen Instinkte, wie jagen, fressen, schlafen, fortpflanzen. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Wenn wir uns das erste Mal mit unserem Tier verbinden, nehmen wir auch viele Eigenschaften dieser Wesen an. Drachen haben zum Beispiel einen enormen Beschützerinstinkt gegenüber ihrer Familie und sie lieben die Freiheit. Fliegen bedeutet Freiheit.
Ich fliege knapp über dem Wasser und schaue meiner Spiegelung im Meer zu, wie sie verschwimmt, da ich eine Kralle über die Wasseroberfläche fahren lasse. Es ist so ruhig und friedlich hier draußen. Das Festland ist zu weit weg, als dass sich ein anderer Drache hier her verirren könnte. Ich fühle mich zum ersten Mal seit meinem Erwachen wieder wie ich selbst.
Ich brülle meinen Schmerz und meinen Frust heraus und hoffe, dass mein Herz sich danach leichter fühlt. Wir, das Wesen und ich, haben so viel verloren. Dennoch haben wir noch uns. Man kann uns nicht als etwas Getrenntes betrachten, was wohl auch der Grund meines Ausrastens war. Mein Name, mein Titel, all das bedeutet mir nichts, hat es nie, aber meinen Drachen zu verleugnen ist, als würde ich mich selbst verleugnen. Mein Drache spürt meine Unruhe, meine Verzweiflung und will dies genauso wenig wie ich, aber er gibt mir auch Mut und Hoffnung weiterzumachen. Denn ich glaube fest daran, dass alles aus einem Grund geschieht, auch wenn dieser sich mir nicht offenbaren will. Noch nicht.
„Hey, na was ist der neuste Klatsch und Tratsch im Palast?“, fragt mich Nia.
„Ach, du weißt doch, das übliche. Der Rat hat heute stundenlang über den Bau der neuen Brücke gesprochen. Ich bin vor Langeweile fast gestorben.“
Ich werfe mich theatralisch auf ihr Bett.
„Jetzt übertreibst du aber Ary“, kichert meine Freundin und kommt auf mich zu, um mir einen Kuss zu geben.
Sie will sich zurückziehen, aber ich packe sie und ziehe sie neben mich auf das Bett und vertiefe unseren Kuss. Nach einigen Sekunden löst sie sich dennoch von mir und sieht mich mit diesem unleserlichen Blick an.
„Was ist los, Süße?“, frage ich sie.
Ihre Stimme zittert leicht. „Stimmt es, dass heute ein Mann im Schloss war und die Auslöschung aller Halbblüter gefordert hat?“
Sie blickt betreten an mir vorbei und ich weiß, dass sie sich für ihre Herkunft schämt. Ihre Mutter ist eine dunkle Magierin und ihr Vater ist ein Mensch, was für mich ihren Wert in keiner Weise schmälert. Sie ist eine der begabtesten dunklen Magierinnen, die ich kenne, ebenso ist sie freundlich und gütig. Sie respektiert jede Art von Leben und hat ein Herz aus Gold. Natürlich ist sie auch wunderschön, mit ihren schulterlangen schwarzen Haaren, ihrer fast weißen Haut und einem Gesicht wie ein Engel. Es ist immer ein sehr starker Kontrast, wenn wir nebeneinander stehen. Meine Haare sind silbern mit blauen Strähnen und ich habe dunkel gebräunte Haut im Gegensatz zu ihr. Wir sind schon seit vier Jahren ein Paar, aber natürlich nicht offiziell. Es würde sie nur in Gefahr bringen und ich könnte nicht damit leben, wenn ihr meinetwegen etwas zustoßen würde. Ihre Mutter und auch meine Familie wissen über uns Bescheid und es stört sie nicht weiter. Meine Eltern wissen, dass ich viel länger leben werde und dann noch die Möglichkeit habe Nachkommen zu zeugen. Meine Eltern haben meinen Bruder und mich ebenfalls erst im sehr hohen Alter von siebenhundert Jahren bekommen, auch wenn sie es über dreihundert Jahre versucht hatten, sollte es wohl vorher nicht sein. Ich hole mich in die Gegenwart zurück und schüttle meine Verliebtheit ab.
„Süße, mein Vater hat ihn aus dem Schloss geworfen. Es waren nur Worte eines einfältigen Mannes, mach dir keine Gedanken.“
Ich küsse sie erneut und diesmal schmiegt sie sich glücklich an mich.
Ich schüttle die Erinnerung ab. Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Sie kam bei dem ersten Anschlag des schwarzen Lords ums Leben. Meine Glieder werden langsam müde, ich weiß nicht seit wie vielen Stunden ich bereits umherfliege, aber es wird Zeit nach Hause zu gehen. Insofern man die Insel noch als mein Zuhause bezeichnen kann.
Ich erwache in meiner Drachenform am Strand, wo ich mich zum Schlafen hingelegt hatte und wundere mich, was mich so früh geweckt hat. Die Wellen rauschen nicht weit von hier und der beruhigende Klang lässt mich wieder etwas eindösen, als ich den Geruch von Eduard aufschnappe. Ich drehe meinen Kopf in seine Richtung und stoße ein warnendes Eisschnauben aus, was ihn in etwa zwanzig Meter Entfernung anhalten lässt.
„Darf ich mich nähern?“, fragt er und ich senke mein Kinn leicht als Zustimmung, lasse ihn aber keine Sekunde aus meinen zu Schlitzen gezogenen Augen.
Er bleibt einige Meter vor mir stehen und sieht mich ehrfürchtig an. Mir wird bewusst, dass er mich noch nicht in meiner Drachengestalt gesehen hat und ich lasse ihn mich in Ruhe betrachten. Meine Drachin sonnt sich in seinen bewunderten Blicken, sie ist eindeutig die Eingebildetere von uns beiden. Ich stoße eine kleine Eiswolke aus, um seine Aufmerksamkeit zurückzubringen. Sein Kopf schnellt wieder zu meinem Gesicht und er wirkt verlegen.
„Bitte entschuldigt, aber euer Drache ist wunderschön. Ich habe seit Jahrzehnten keinen Eisdrachen mehr aus der Nähe gesehen und selbst diese kommen nicht an euch heran.“
Mein dreigeteilter Schwanz, ein Zeichen meines göttlichen Blutes, peitscht unruhig von einer Seite zur anderen. Ich mag die Lobeshymnen nicht. Nicht für etwas, was mir durch meine Geburt gegeben wurde. Anscheinend spürt er mein Unbehagen, denn er spricht zügig weiter.
„Ich muss mich entschuldigen. Meine Aussage gestern war unangebracht und selbstverständlich unwahr. Natürlich ist es allein eure Entscheidung, wohin euch euer zukünftiger Lebensweg bringt und ich unterstütze euch, wie diese auch ausfallen mag.“
Ich verwandle mich binnen eines Wimpernschlags zurück und lege meine Hand auf seine Schulter, was ihn erschrocken zusammenzucken lässt. Eine Wandlung in so schneller Zeit erfordert jahrelanges Training und die meisten machen sich nicht die Mühe diese zu perfektionieren.
„Ich nehme eure Entschuldigung an. Ich bitte ebenfalls um Entschuldigung. Ihr tut so viel für mich und wollt nur das Beste für mich. Meine Gefühle sind aktuell etwas ungehalten. Dies wird nicht mehr vorkommen, Eduard.“
Er lächelt sichtlich erleichtert und stößt die angehaltene Luft aus.
Einige Tage sind vergangen und ich habe mich tatsächlich zu seinem Plan überreden lassen. Wir haben uns geeinigt, dass es das Beste wäre, mich auf das Apdahem Internat zu schicken. Sie ist eine der renommiertesten Schulen des Landes und ein alter Freund von Eduard ist dort zufällig Direktor. Somit würden nicht allzu viele Fragen gestellt werden. Ich bin zwar alles andere als begeistert, erneut zur Schule zu gehen, aber diese Welt ist mir völlig fremd und so ist meine ‚Unwissenheit‘, wie der alte Mann es so schön nennt, nicht so schlimm.
Meine Geschichte ist, ich bin ein Wandlerhalbblut ohne Fähigkeit zu wandeln und meine Eltern lebten mit mir weit im Süden in einem kleinen Dorf und sind vor kurzem verstorben.
So weit im Süden leben hauptsächlich Abkömmlinge von Kurap, dem Hufgott. Das Land dort besteht nur aus Steppe und Sand. Soweit ich weiß, wird dort Magie nicht wirklich praktiziert. Nicht unbedingt die besten Voraussetzungen. Das einzig Gute ist, dass die beiden Regionen vollkommen getrennt voneinander sind. Diese Trennung wurde schon weit vor meiner Zeit durchgeführt. Kurap bringt Pferde- und Hirschwandler hervor und so ziemlich alles was Hufe hat. Bei uns allerdings sind das nichts weiter als Beutetiere, daher leben diese beiden Völker vollständig getrennt. Es gibt nur eine wirkliche Überschneidung der Regionen, der Ort Calkur, weit im Süden. Meine Familie hat sich für dieses kleine Dorf schon nicht interessiert und so wie Eduard es erzählt hat, interessiert sich der neue König auch nicht dafür.
Wir müssen heute einige Besorgungen machen und da ich ebenfalls Kleidung und Schulsachen benötige, sind wir auf dem Weg in die Hafenstadt Jsana. Da ich ja offiziell kein Drache bin, muss ich auf dem Rücken des alten Mannes fliegen. Es ist nicht so dass es mich stört mich transportieren zu lassen. Selbst in meiner Zeit gab es bereits Transportdrachen, aber Eduard zählt nicht unbedingt zu den größten seiner Gattung und ist ebenfalls schon in einem stolzen Alter. Ich spüre seinen viel zu schnellen Puls und seine hektische Atmung unter mir. Über dem großen Teich, habe ich ihm mit meiner Magie etwas Rückenwind gegeben. Aber wir sind bald da und die Gefahr, dass jemand meine Magiesignatur erkennt, ist einfach zu groß, weswegen ich alles in mir verschlossen habe.