Die Eissphinx - Jules Verne - E-Book

Die Eissphinx E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Der amerikanische Weltreisende und Forscher Joerling wartet auf einer der einsamen Kergueleninseln auf ein Schiff, das ihn weiterbringt. Der Kapitän der "Halbrane", Len Guy, ein geheimnisumwobener Mann, nimmt ihn nach Prüfung und Zögern auf seinen Schoner. Nach und nach erfährt Joerling, wohin die Reise geht. Der Kapitän glaubt, daß alles, was in dem Roman "Die Abenteuer Gordon Pyms" von Edgar Allan Poe beschrieben wird, keine Erfindung, sondern ein wahrer Bericht ist, und er will den Spuren des über zehn Jahre zurückliegenden Geschehens nachgehen. Joerling, bald überzeugt davon, daß der Kapitän kein Phantast ist, nimmt an der abenteuerlichen, manchmal gespenstischen Suche teil, die bis weit in die antarktischen Gewässer führt. Packeis, Eisberge bedrohen das Schiff, das schließlich untergeht, Meuterei und Wirrnisse und zuletzt das Geheimnis der Eissphinx und die Lösung aller Rätsel.

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Seitenzahl: 608

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Jules Verne

Die Eissphinx

Dem Andenken Edgar Poe's,

Inhaltsverzeichnis
Jules Verne
Die Eissphinx
Erster Band
Erstes Capitel
Die Kerguelen-Inseln
Zweites Capitel
Die Goëlette »Halbraue«
Drittes Capitel
Der Kapitän Len Guy
Viertes Capitel
Von den Kerguelen nach der Prinz Eduard-Insel
Fünftes Capitel
Der Roman von Edgar Poe
Sechstes Capitel
»Wie ein sich aufschlagendes Bahrtuch«
Siebentes Capitel
Tristan d'Acunha
Achtes Capitel
Auf dem Wege nach den Falklands-Inseln
Neuntes Capitel
Ausrüstung der »Halbrane«
Zehntes Capitel
Der Anfang der Fahrt
Elftes Capitel
Von den Sandwich-Inseln nach dem Polarkreise
Zwölftes Capitel
Zwischen dem Polarkreis und dem Packeise
Dreizehntes Capitel
Längs des Packeises
Vierzehntes Capitel
Eine Stimme im Traume
Fünfzehntes Capitel
Die Insel Bennet
Sechzehntes Capitel
Die Insel Tsalal
Zweiter Band
Erstes Capitel
Und Pym?...
Zweites Capitel
Beschlossen!
Drittes Capitel
Die verschwundene Inselgruppe
Viertes Capitel
Vom 29. December bis zum 9. Januar
Fünftes Capitel
Eine Abschweifung
Sechstes Capitel
Land?...
Siebentes Capitel
Der Umsturz des Eisberges
Achtes Capitel
Der Gnadenstoß
Neuntes Capitel
Was nun?
Zehntes Capitel
Sinnestäuschungen
Elftes Capitel
Inmitten des Nebels
Zwölftes Capitel
Gelagert
Dreizehntes Capitel
Dirk Peters im Meere
Vierzehntes Capitel
Elf Jahre... auf wenigen Seiten.
Fünfzehntes Capitel
Die Eissphinx
Sechzehntes Capitel
Zwölf von Siebzigen!
Impressum

Erster Band

Erstes Capitel

Die Kerguelen-Inseln

Die hier »Eissphinx« genannte Erzählung wird jedenfalls niemand für wahr halten wollen. Immerhin dürfte es meines Erachtens nach gut sein, sie zu veröffentlichen, mag einer nun daran glauben oder nicht.

Als Ausgangspunkt für diese wunderbaren und schrecklichen Abenteuer könnte es schwerlich einen geeigneteren geben, als das Desolationsland, ein Name, der der Hauptinsel der betreffenden Gruppe 1779 vom Kapitän Cook gegeben wurde. Nach dem, was ich in mehrwöchigem Aufenthalte hier gesehen habe, kann ich allerdings bestätigen, daß sie den traurigen Namen, den ihr der berühmte englische Seefahrer einst beilegte, mit vollem Rechte verdient.

Ich weiß, daß man in den geographischen Namenlisten noch immer die Bezeichnung Kerguelen-Inseln (oder Kerguelenland) fortführt, der ja allgemein für diese unter 49°54' südl. Breite und 69 1/2 bis 70 1/2 östl. Länge von Greenwich gelegene Inselgruppe angenommen worden ist, was daher kommt, daß der französische Seefahrer Ives Joseph de Kerguelen Tremarer im Jahre 1772 von den im südindischen Ocean verlorenen Inseln die erste Kunde gab. Bei seiner ersten Fahrt hierher hatte der Leiter der Expedition ein neues Festland an der Grenze des antarktischen Meeres vor sich zu sehen geglaubt, eine zweite Reise klärte ihn aber über diesen Irrthum auf – er erkannte, daß es sich nur um eine Inselgruppe handelte. Der Leser glaube indeß meiner Versicherung, daß der Name Desolationsland der einzig richtige ist, der dieser Gruppe von dreihundert Inseln und Eilanden zukommt – diesem verlassenen Erdenwinkel inmitten der oceanischen Einöde, durch die fast unablässig wüthende Südstürme dahinfegen.

Die Gruppe ist trotzdem bewohnt und am 2. August 1839 hatte sich, Dank meiner Anwesenheit in Christmas-Harbour, die geringe Zahl von Europäern und Amerikanern, die den eigentlichen Kern der kerguelischen Bevölkerung bilden, sogar um eine Einheit erhöht. Freilich wartete ich jetzt nur auf eine Gelegenheit, den Ort zu verlassen, da ich meine geologischen und mineralogischen Forschungen – den eigentlichen Zweck meiner Reise – hier längst vollendet hatte.

Der Christmas-Hafen liegt an der bedeutendsten Insel dieses Archipels, die eine Ausdehnung von viertausendfünfhundert Quadratkilometern (fast doppelt so viel wie das deutsche Herzogthum Anhalt) hat. Er ist sehr sicher, meist leicht zugänglich und bietet Schiffen in vier Faden Tiefe einen guten Ankergrund. Nach Umschiffung des Cap François im Norden, das der zwölfhundert Fuß hohe Tafelberg beherrscht, blickt man durch die Basaltarkade, die sich an dessen Spitze weit öffnet. Da bemerkt man eine enge Bai, eine Art Fjord, der durch kleine Eilande gegen heftige Ost- und Westwinde geschützt ist. Im Hintergrunde liegt Christmas-Harbour. Die Schiffe fahren, sich mehr rechts haltend, gerade darauf zu und brauchen sich, an Ort und Stelle angelangt, nur vor einen einzigen Anker zu legen, was ihnen, so lange kein Eis in der Bai steht, ein leichtes Wenden gestattet.

Die Kerguelen weisen übrigens noch Hunderte anderer Fjorde auf. Ihre Küsten sind zerrissen, ausgefranst, möchte man fast sagen, vorzüglich an dem zwischen Norden und Südosten gelegenen Theile. Inseln und Eilande ragen in großer Menge empor. Der Boden von vulkanischem Ursprung besteht in der Hauptsache aus Quarz, der mit einem bläulichen Gestein vermengt ist. Im Sommer bedeckt er sich mit grünem Moose, grauen Flechtenarten, verschiedenen phanerogamischen Gewächsen, meist steifen, harten Saxifragen (Steinbrech). Daneben kommt noch eine strauchähnliche Staude, eine Art Kohl von sehr herbem Geschmack vor, der sich in anderen Ländern wohl kaum wiederfindet.

Solche Bodenstrecken eignen sich ganz besonders als Wohnstätten für Königspinguine und ähnliche Vögel, die diese Gebiete denn auch in unzähligen Schaaren bevölkern. Von gelb und weißem Gefieder, den Kopf nach rückwärts geworfen, und mit Flügeln, die wie Aermel eines Talars aussehen, erscheinen die dummen Vögel von ferne gesehen wie ein Zug von Mönchen, der sich längs des Strandes hin bewegt..

Außerdem bieten die Kerguelen vielen Pelzseehunden, Rüsselrobben und See-Elephanten vorzügliche Schlupfwinkel. Die Jagd oder der Fang dieser werthvollen Amphibien gab auch Anlaß zu einem lohnenden Handel, der damals zahlreiche Schiffe nach jenen Gegenden lockte.

An genanntem Tage lustwandelte ich eben am Hafen, als mein Gastwirth unerwartet an mich herantrat.

»Täusche ich mich nicht, begann der Mann, so fängt die Zeit an, Ihnen etwas lang zu werden, Herr Jeorling?«

Es war ein starker, großer Amerikaner, seit etwa fünfzehn Jahren in Christmas-Harbour seßhaft und bewirthschaftete hier das einzige Gasthaus des Hafenorts.

»Freilich, etwas gar zu lang, muß ich wohl gestehen, Meister Atkins, unter der Voraussetzung, daß Sie sich durch meine Antwort nicht verletzt fühlen.

– Keineswegs, versicherte der wackre Mann. Sie können sich wohl denken, daß ich gegen solche Klagen gefeit bin wie die Felsen des Cap François gegen den Anprall der Wogen...

– Und Sie leisten ebenso festen Widerstand wie dieses...

– Natürlich! Von dem Tage an, wo Sie in Christmas-Harbour eintrafen, wo Sie bei Fenimore Atkins, im »Grünen Cormoran« einkehrten, hab' ich mir gesagt: Binnen vierzehn, wenn nicht schon binnen acht Tagen wird mein neuer Gast des Aufenthalts hier überdrüssig sein und es bedauern, an den Kerguelen gelandet zu haben...

– O nein, Meister Atkins, ich bedauere nie etwas, was ich gethan hatte!

– Eine löbliche Gewohnheit, lieber Herr!

– Bei Durchstreifung der hiesigen Inselgruppe hab ich übrigens mancherlei merkwürdige Beobachtungen machen können. Ich bin durch die weiten hügeligen und von Torfmooren unterbrochenen Ebenen gewandert, die von harten Moosarten bedeckt sind, und nehme davon seltene mineralogische und geologische Fundstücke mit heim. Ich habe an den Seekälber- und Robbenjagden theilgenommen und die Einöden besucht, wo Pinguine und Albatrosse in guter Kameradschaft hausen – das ist mir schon der Beachtung werth gewesen. Sie haben mir zuweilen einen Balthasar-Sturmvogel, von eigener Hand zubereitet, vorgesetzt, und den kann sich, wer guten Appetit hat, schon gefallen lassen. Endlich fand ich im »Grünen Cormoran« die beste Aufnahme, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin.... Doch, wenn ich zählen gelernt habe, sind es nun zwei Monate, seit mich der chilenische Dreimaster »Pênas« im Christmas-Harbour, mitten im tiefen Winter absetzte....

– Und nun haben Sie das Verlangen, nach Ihrer Heimat, die auch die meinige ist, Herr Jeorling, zurückzukehren, nach Connecticut zu kommen, Providence, unsere Hauptstadt, endlich wiederzusehen....

– Gewiß, Meister Atkins, denn schon seit fast drei Jahren schweife ich in der Welt umher. Heute oder morgen muß das doch ein Ende nehmen, muß ich wie der Wurzel schlagen...

– Ei, ei, wenn man einmal Wurzel schlägt, fiel der Amerikaner mit den Augen blinzelnd ein, dann treibt man schließlich auch Zweige!

– Ganz richtig, Meister Atkins; doch da ich keine Familie mehr habe, werd' ich höchst wahrscheinlich die Reihe meiner Vorfahren abschließen. Bei meinen vierzig Jahren wird es mir kaum einfallen, noch Zweige treiben zu wollen, wie Sie, mein lieber Herr Wirth, denn Sie sind schon ein Baum, sogar ein schöner Baum...

– Eine Eiche, eine immergrüne Eiche, wenn Sie gestatten, Herr Jeorling!

– O, Sie haben sehr wohl daran gethan, den Gesetzen der Natur zu gehorchen. Und gab die Natur uns Beine zum Gehen...

– So gab sie uns auch Gelegenheit, uns irgendwo festzusetzen, ergänzte Fenimore Atkins den Satz. Deshalb hab' ich mich vor nun fünfzehn Jahren in Christmas-Harbour niedergelassen und hier geheiratet... mein Weib Betsey hat mich mit zehn Kindern beschenkt, diese werden mir wieder Enkel bescheeren, die mir wie Kätzchen an den Beinen hinaufklettern...

– Und Sie werden nie nach Ihrem Vaterlande zurückkehren?

– Was sollte ich dort beginnen, Herr Jeorling, und was hätte ich da gehabt? Das reine Elend! Hier auf den Desolations-Inseln (Inseln der Verlassenheit), wo ich nie dazu kam, mich verlassen zu fühlen, hier blühte mir und den Meinen das Glück!

– Gewiß, Meister Atkins, und ich gratuliere Ihnen dazu, daß Sie sich glücklich fühlen! Immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß Sie eines Tages den Wunsch empfänden...

– Mich in anderen Boden zu verpflanzen, Herr Jeorling? O, was denken Sie! Ich bin eine Eiche, sagte ich Ihnen, nun verpflanzen Sie einmal eine Eiche, wenn diese bis zum halben Stamm im Kieselgestein der Kerguelen festgewurzelt ist!«

Es war ein Vergnügen, dem würdigen Amerikaner zuzuhören, dem Manne, der sich so vollständig auf diesem Archipel eingewohnt und gegen die rauhe Unbill des Klimas hier abgehärtet hatte. Er lebte mit seiner Familie, wie die Pinguine in ihren Rockerys... Die Mutter, eine kräftige Matrone, die von Gesundheit strotzenden Söhne, die nichts von Rachenkatarrhen und Magenerweiterung wußten, Alles hatte gedeihlichen Fortgang. Der gut besuchte »Grüne Cormoran« erfreute sich der Kundschaft von allen Schiffen, von Walfängern und anderen, die die Kerguelen aufsuchten. Das Haus lieferte ihnen Seife, Fette, Pech, Theer, Gewürze, Zucker, Thee, Conserven, Wisky, Gin und Branntwein Ein zweites Gasthaus hätte man in Christmas-Harbour übrigens vergeblich gesucht. Die Söhne Fenimore Atkins' waren Zimmerleute, Segelmacher und Fischer und singen in der warmen Jahreszeit Amphibien vom Grunde aller engen Wasserzüge. Kurz, es waren tüchtige junge Leute, die ohne zu mäkeln ihrer Bestimmung nachkamen.

»Mit einem Wort, Meister Atkins, erklärte ich, ich bin geradezu entzückt nach den Kerguelen gekommen zu sein, und werde mich ihrer mit Freuden erinnern. Immerhin wäre ich jetzt nicht böse darüber, wieder abfahren zu können....

– Oho, nur etwas Geduld, Herr Jeorling! ermahnte mich dieser Philosoph. Man soll eine Trennungsstunde nie herbeiwünschen oder gar beschleunigen! Vergessen Sie auch nicht, daß die schönen Tage nun bald wiederkommen. In fünf bis sechs Wochen...

– Ja wohl, rief ich, inzwischen bleiben Berg und Ebene, Felsen und Strand von dicker Schneelage bedeckt und die Sonne hat nicht einmal Macht genug, die Nebel des Horizonts aufzulösen...

– Aber ich bitte, Herr Jeorling! Schon sieht man die Grashalme durch die weiße Hülle sprießen! Sehen Sie nur gut hin....

– Ja wohl, mit der Loupe!... Doch, unter uns, Atkins, würden Sie zu behaupten wagen, daß das Eis jetzt im August, dem Februar unserer nördlichen Halbkugel, nicht die Buchten und Baien hier bedeckt?

– Zugegeben, Herr Jeorling. Doch noch einmal: nur etwas Geduld! Der Winter ist dieses Jahr recht mild gewesen. Bald werden im Osten oder Westen Schiffe auftauchen, denn die Fangzeit ist nahe.

– Möge der Himmel Sie hören, Meister Atkins, und möge er das Schiff, das ja nicht mehr lange ausbleiben kann – die Goëlette »Halbrane« – glücklich in den Hafen führen....

– »Halbrane«, Kapitän Len Guy, vervollständigte der Gastwirth. Das ist ein echter Seemann, obwohl ein Engländer – es gibt ja überall tüchtige Männer – der seine Bedürfnisse aus dem »Grünen Cormoran« bezieht.

– Sie meinen, daß die »Halbrane«...

– Vor Verlauf von acht Tagen von jenseits des Cap François gemeldet wird, Herr Jeorling, es müßte denn keinen Kapitän Len Guy mehr geben, doch dann... dann ist auch die »Halbrane« zwischen dem Cap der Guten Hoffnung und den Kerguelen untergegangen!«

Mit einer bezeichnenden Handbewegung, die mir sagte, daß ein solcher Fall außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liege, verließ mich Fenimore Atkins.

Im übrigen hoffte ich, daß die Vorhersage meines Wirthes bald eintreffen würde, denn die Zeit wurde mir wirklich lang. Konnte man ihm glauben, so zeigten sich schon die Symptome der schönen Jahreszeit – was man hier eben schöne Jahreszeit nennt. Wohl liegt die Hauptinsel etwa in gleicher Breite mit Paris in Europa und mit Quebec in Canada. Hier handelt es sich aber um die südliche Halbkugel der Erde und man weiß, daß, infolge der elliptischen Bahn, die die Erde beschreibt und in deren einem Brennpunkte die Sonne steht, diese Halbkugel im Winter kälter ist als die nördliche und im Sommer wiederum wärmer als diese. Jedenfalls ist die Winterperiode auf den Kerguelen wegen heftiger Stürme geradezu schrecklich und das Meer liegt mehrere Monate erstarrt, obwohl die Kälte hier nicht besonders streng ist, denn sie hält sich im Mittel bei – 2° Celsius im Winter (bei einer Sommertemperatur von +7° Celsius), wie an den Falklandsinseln oder am Cap Horn.

Es versteht sich von selbst, daß Christmas-Harbour diese Zeit über kein einziges Schiff beherbergt. Zur Zeit, von der ich spreche, gab es noch nicht viele Dampfer. Segelschiffe aber suchten, aus Besorgniß, hier vom Eis eingeschlossen zu werden, die Häfen Südamerikas an der Küste von Chile, oder die Afrikas – meist Capstadt am Cap der Guten Hoffnung – als Zuflucht auf. Einige Schaluppen, die einen im Eise festsitzend, die anderen auf dem Strande liegend und bis zur Mastspitze hinauf von Rauhfrost überzogen, das war Alles, was der Christmas-Hafen meinen Blicken darbot.

Sind die Temperaturunterschiede auf den Kerguelen auch nicht beträchtlich, so ist das Klima im allgemeinen doch feucht und kalt. Sehr häufig, und vorzüglich im nördlichen Theile, wird die Inselgruppe von wilden, mit Graupeln und Regen vermischten Nord- oder Weststürmen gepeitscht. Nach Osten zu hält sich der Himmel klarer, obwohl auch hier ein halbverschleiertes Licht herrscht, und von dieser Seite reicht die Schneegrenze auf den Bergen bis auf nur fünfzig Toisen (117 Meter) ü. d. M. hinab.

Nach meinem zweimonatigen Verweilen auf dem Archipel der Kerguelen, erwartete ich also mit einiger Ungeduld die Gelegenheit, an Bord der Goëlette »Halbrane« davon wieder abzureisen, eines Schiffes, dessen Seetüchtigkeit und sonstige Eigenschaften mein enthusiastischer Wirth zu rühmen nicht aufhörte.

»Sie könnten es gar nicht besser treffen! wiederholte er mir früh und spät. Von allen Kapitänen langer Fahrt in der englischen Handelsflotte kann sich, was Kühnheit und Erfahrung im Berufe betrifft, mit meinem Freunde Len Guy kein einziger messen. Nur noch etwas redseliger und mittheilsamer, und er wäre vollkommen.«

Ich hatte mir denn auch vorgenommen, die Empfehlungen des Meister Atkins zu befolgen und wollte hier so lange bleiben, bis die Goëlette bei Christmas-Harbour eintreffen würde. Nach einem Aufenthalt von sechs bis sieben Tagen sollte sie dann wieder auslaufen und nach Tristan d'Acunha gehen, wohin sie eine Ladung Zinn- und Kupfererz zu bringen hatte.

Auf letztgenannter Insel wollte ich in der schönen Jahreszeit einige Wochen verweilen und hoffte, von da aus nach Connecticut heimzukehren. Dabei übersah ich jedoch keineswegs den Antheil, der bei menschlichen Entschließungen dem Zufall zukommt, denn es ist, wie Edgar Poe gesagt hat, allemal weise, immer »mit dem Unerwarteten, Unvorhergesehenen und Unbegreiflichen zu rechnen, nicht zu vergessen, daß Nebensachen, unvermuthete, rein zufällige Zwischenfälle oft ein gewichtiges Wort reden, das man bei streng vorsichtiger Rechnung nicht außer Acht lassen darf.«

Wenn ich hier unseren großen amerikanischen Schriftsteller anführe, obwohl ich sehr nüchternen Geistes, ernsten Charakters und wenig phantastischer Natur bin, so geschieht es, weil ich den geistvollen Dichter menschlicher Sonderlichkeiten dennoch warm bewundere.

Um jedoch auf die »Halbrane« oder vielmehr auf die Gelegenheiten zurückzukommen, die sich mir in Christmas-Harbour zur Wiedereinschiffung bieten dürften, so brauchte ich keine Enttäuschung zu fürchten. In der herannahenden Jahreszeit wurden die Kerguelen gewiß von vielen, mindestens fünfhundert, Schiffen aufgesucht. Der Fang von Celaceern lieferte hier reichen Ertrag, dafür spricht schon die Thatsache, daß man von einem See-Elephanten eine ganze Tonne oder ebenso viel Thran gewann, wie von tausend Pinguinen. In den letzten Jahren liefen den Archipel freilich nur etwa noch ein Dutzend Fangschiffe an, da die unbeschränkte Vernichtung der Walthiere deren Zahl sehr stark vermindert hat.

Vorläufig brauche ich mich also gar nicht zu beunruhigen, daß und ob mir Gelegenheit geboten würde, aus Christmas-Harbour wegzukommen, selbst in dem unwahrscheinlichen Falle, daß die »Halbrane« nicht eintreffen und der Kapitän Len Guy nicht kommen sollte, seinem Freunde Atkins die Hand zu drücken.

Tag für Tag lustwandelte ich in der Umgebung des Hafens. Die Sonne gewann allmählich an Macht. Die Felsen, Terrassen und die vulkanischen Säulenreihen legten nach und nach ihre weiße Winterkleidung ab. Am Strande unter dem basaltischen Steilufer sproßten weingelbe Moose auf und draußen auf dem Wasser schwammen und wanden sich fünfzig bis sechzig Yards lange Bänder von Algen hin. Im Hintergrunde der Bucht erhoben schon einzelne Gramineen schüchtern die grünen Spitzchen, darunter die aus den Anden stammende phanerogame Lyella neben solchen, die die Flora des Feuerlandes erzeugte, und auch der einzige Strauch des Landes, die schon erwähnte riesige Kohlart, die wegen ihrer antiskorbutischen Eigenschaften ganz besonders geschätzt wird.

Was die Landsäugethiere betrifft – denn von Seesäugethieren wimmelte es hier – so habe ich kein einziges zu Gesicht bekommen, auch keine Batrachier oder Reptile. Nur vereinzelte Insecten, Schmetterlinge und andere, zeigten sich hin und wieder, zur Zeit aber noch ohne Flügel, und zwar deshalb, weil sie, ehe sie sich deren bedienen könnten, von den heftigen Luftströmungen auf die rollenden Wogen des Meeres verschlagen worden wären.

Ein- oder zweimal hatte ich mich einer der festen Schaluppen anvertraut, mit denen die Fischer den Windstößen trotzen, die wie Katapulte gegen die Felsen der Kerguelen donnern. Mit diesen Fahrzeugen könnte man die Ueberfahrt nach Capstadt wagen und würde, wenn auch nach längerer Zeit, den Hafen gewiß erreichen. Meine Absicht war es indeß keineswegs, Christmas-Harbour in einer solchen Nußschale zu verlassen... nein ich »erhoffte« die Goulette »Halbrane«, und diese konnte nicht mehr lange ausbleiben.

Bei den Spaziergängen von einer Einbuchtung zur anderen sah ich verwundert die verschiedenen Formen dieser zerrissenen Küste, dieses seltsamen Knochengerüstes rein vulkanischen Ursprungs, das jetzt, das weiße Bahrtuch des Winters durchbrechend, die bläulichen Glieder seines Skeletts hervortreten ließ.

Wie packte mich da manchmal die Ungeduld, trotz der weisen Rathschläge meines Gastwirths, der sich in seinem Hause in Christmas-Harbour so glücklich fühlte! Wie selten sind doch in dieser Welt die Leute, die die Praxis des Lebens zu Philosophen gemacht hat. Bei Fenimore Atkins hatte übrigens das Muskelsystem entschieden das Uebergewicht über das Nervensystem. Vielleicht war ihm weniger Intelligenz als eine Art Instinct gegeben. Derlei Leute sind gegen Widerwärtigkeiten des Lebens besser gewappnet, und im ganzen sind ihre Aussichten, das Glück zu finden, vielleicht verheißender.

»Nun, und die Halbrane?... fragte ich ihn jeden Morgen.

– Die »Halbrane«, Herr Jeorling?... antwortete er dann in zuverlässigstem Tone. O, die wird jedenfalls heute eintreffen, na, und wenn nicht heute, dann morgen!... Es muß doch unbedingt erst einen Tag vor dem geben, an dem die Flagge des Kapitän Len Guy an der Einfahrt von Christmas-Harbour flattert!«

Um mein Gesichtsfeld zu erweitern, hätte ich nur den Table-Mount (Tafelberg) zu ersteigen brauchen. In einer Höhe von zwölfhundert Fuß kann man schon vierunddreißig bis fünfunddreißig Meilen (etwa 57 Kilometer) weit sehen und selbst durch leichten Dunst wäre die Goëlette vielleicht vierundzwanzig Stunden früher zu bemerken gewesen. An ein Erklimmen dieses Bergs aber, dessen Abhänge bis zum Gipfel hinauf noch mit Schnee bepackt waren, hätte nur ein Tollkopf denken können.

Wenn ich über die Strandflächen hinwanderte, trieb ich nicht selten eine Menge Amphibien in die Flucht, die in das Schmelzwasser tauchten. Die stumpfsinnigen und schwermüthigen Pinguine ließen sich durch meine Annäherung indeß nicht stören. Hätten sie nicht das charakteristische dumme Aussehen, so wäre man wirklich versucht, sie anzusprechen, vorausgesetzt, daß man sich ihrer schreienden, ohrbetäubenden Sprache bedienen könnte. Die Sturmvögel dagegen, die schwarzen und die weißen Wasserscheerer, die Silbertaucher, Seeschwalben und Trauerenten flatterten eiligst von dannen.

Der Albatros, der erst regungslos auf einem hohen Felsen am Ende der Bucht von Christmas-Harbour saß, schaute dabei auf das Meer hinaus, dessen Brandung wüthend gegen die Uferklippen schäumte.

Plötzlich erhob sich der stolze Vogel mit weit ausgespannten Schwingen, angezogenen Beinen und gleich einem Schiffsschnabel vorgestrecktem Kopfe, ließ einen scharfen Schrei ertönen, und wenige Minuten später verschwand er schon, in den hohen Luftschichten zu einem schwarzen Punkte zusammengeschrumpft, in den Dunstmassen des Südens.

Zweites Capitel

Die Goëlette »Halbraue«

Dreihundert Tonnen groß, mit schräg stehenden Masten, was ihr gestattete, auch scharf am Winde noch schnell vorwärts zu kommen, und mit einer Segelausrüstung, die für das Schiff ziemlich reichlich erschien – das war der in Christmas-Harbour erwartete Schooner, die Goëlette »Halbrane«.

An Bord befanden sich ein Kapitän, ein Lieutenant, ein Hochbootsmann, ein Koch und acht Matrosen, zusammen zwölf Mann, die zur Schiffsführung vollständig ausreichten. Sehr fest gebaut, die Schanzkleidung mit Kupfer bezogen, mit angepaßten Segeln versehen und am Achter weit ausladend, machte das seetüchtige, gut steuerbare Fahrzeug mit seiner für Reisen zwischen dem vierzigsten und sechzigsten Grad südlicher Breite berechneten Einrichtung den Werften von Birkenhead alle Ehre.

Diese Mittheilungen erhielt ich, von vielfachen Lobsprüchen untermischt, aus dem Munde des Meister Atkins.

Der Kapitän Len Guy aus Liverpool war zu drei Fünfteln Eigenthümer der »Halbrane«, die er seit ungefähr sechs Jahren befehligte. Er befuhr die südlichen Meere Afrikas und Amerikas, wobei er von einer Insel zur anderen und von einem Festland zum anderen steuerte. Seine Goëlette beschränkte sich auf eine Besatzung von nur zwölf Köpfen, weil sie ausschließlich Handelszwecken diente. Für die Jagd auf Amphibien, Robben und Seekälber hätte es, abgesehen von einer Ausrüstung mit Apparaten, Harpunen, Fischgabeln und dazu gehörigen Leinen, einer zahlreicheren Mannschaft bedurft. Ich bemerke auch, daß die »Halbrane« in diesen etwas unsicheren Meerestheilen, wo jener Zeit verschiedene Seeräuber ihr Unwesen trieben, und auch in der Nähe recht verdächtiger Inseln, von einem Ueberfall nicht unvorbereitet überrascht worden wäre: vier kleine Kanonen, eine hinreichende Menge Kugeln und Kartätschenhülsen, eine wohlversorgte Pulverkammer, Gewehre, Pistolen, an einer Flintenbank hängende Carabiner und Schanzkleidungsnetze verliehen ihr weitgehende Sicherheit; die Leute auf dem Schiffe schliefen auch sozusagen immer nur mit einem Auge.

In diesen Gewässern umherzusegeln, ohne solche Vorsichtsmaßregeln getroffen zu haben, wäre auch unverzeihliche Unklugheit gewesen.

Als ich am Morgen des 7. August noch im Halbschlummer lag, wurde ich durch die laute Stimme des Gastwirths und sein ungestümes Pochen an der Thür aus dem Bett gejagt.

»Herr Jeorling, sind Sie wach?

– Natürlich, Meister Atkins. Wie sollte das einer bei solchem Lärm auch nicht sein?

– Sechs Meilen weit draußen, im Nordosten ist ein Schiff sichtbar, das auf Christmas-Harbour zusteuert!

– Sollte es die »Halbrane« sein? rief ich und warf schnell die Kleider über.

– Das wird sich in wenigen Stunden zeigen, Herr Jeorling. Jedenfalls ist es in diesem Jahre das erste Fahrzeug, das unbedingt einen guten Empfang verdient.«

Ich kleidete mich im Handumdrehen an und trollte mit Fenimore Atkins nach dem Quai an eine Stelle, wo sich der Horizont zwischen den beiden Landspitzen von Christmas-Harbour unter weitem Winkel öffnet.

Das Wetter war ziemlich klar, die Dünste über dem Wasser fast verschwunden und ein leichter Wind strich über das weite Meer. Infolge ziemlich regelmäßiger Winde ist der Himmel über dieser Küste der Kerguelen meist reiner als über der entgegengesetzten.

Etwa zwanzig Einwohner, meist Fischer, umringten Meister Atkins, der ohne Widerrede die bedeutendste und geachtetste Persönlichkeit der Insel war und dessen Worten man hier am meisten lauschte.

Der Wind begünstigte gerade die Einfahrt in die Bucht. Bei der eben herrschenden niedrigsten Ebbe aber manövrierte das gemeldete Schiff – ein Schooner – ohne Eile, um jedenfalls die Fluth abzuwarten.

Die Männer tauschten ihre Ansichten aus und ich folgte sehr gespannt dem Gespräche, ohne mich einzumischen. Die Meinungen erschienen getheilt und wurden von beiden Seiten mit großer Hartnäckigkeit vertheidigt.

Ich muß freilich gestehen – und das bekümmerte mich etwas – daß die Mehrheit der Ansicht war, in jenem Schooner die Goëlette »Halbrane« nicht vor sich zu sehen. Nur zwei oder drei, und darunter der Besitzer des »Grünen Cormoran«, glaubten diese darin zu erkennen.

»Es ist doch die »Halbrane«! wiederholte Atkins. Der Kapitän Len Guy sollte nicht als Erster nach den Kerguelen kommen... Das wäre mir! Er ist es, dessen bin ich so sicher, als wenn er schon hier wäre, seine Hand in die meine legte und zur Erneuerung seines Proviants um hundert Piculs Kartoffeln handelte!

– Ihre Augen sind wohl heute nicht ganz klar, Herr Atkins, ließ sich ein Fischer vernehmen.

– Jedenfalls klarer als Dein Gehirn! erwiderte der Gastwirth beleidigt.

– Das Schiff dort hat gar nicht den Rumpf eines Engländers, erklärte ein Anderer. Bei seinem schlanken Vordertheile und der starken Ausbauchung des Mitteltheils würde ich es für ein amerikanisches halten.

– Nein, es ist ein englisches, widersprach Atkins, und ich möchte mich fast anheischig machen, zu sagen, wo es vom Stapel gelaufen ist... ja, an den Werften von Birkenhead bei Liverpool, wo die »Halbrane« gebaut wurde!

– Nichts da! versicherte ein alter Seemann. Der Schooner da draußen ist in Baltimore bei Nipper und Stronge auf Stapel gelegt worden und das Wasser des Chesapeake hat seinen Kiel zuerst aufgenommen.

– Sag' doch, das Wasser der Mersey, Du Tropf! erwiderte Meister Atkins. Putz' einmal Deine Fernrohrgläser und sieh zu, welche Flagge nach der Gaffelspitze emporsteigt.

– Die englische!« riefen jetzt alle Versammelten.

In der That entfaltete sich eben das rothe Flaggentuch des Vereinigten Königreichs mit dem britischen Jack in der oberen inneren Ecke.

Jetzt schwand jeder Zweifel, daß es ein englisches Schiff war, das auf die Einfahrt nach Christmas-Harbour zuhielt; doch wenn das auch feststand, so folgte doch noch nicht, daß es die Goëlette des Kapitän Len Guy sein mußte.

Zwei Stunden später wäre darüber nicht mehr zu streiten gewesen. Vor der Mittagszeit lag die »Halbrane« schon bei vier Faden Wasser inmitten des Hafens vor Anker.

Meister Atkins begrüßte mit Handbewegungen und lauten Zurufen den Kapitän der »Halbrane«, der sich mir dabei kühler zu verhalten schien.

Als ein guter Vierziger von sanguinischem Temperament, von ebenso solidem Bau wie seine Goëlette, schon ergrauendem Barte, mit schwarzen Augen, deren Pupille unter den dichten Brauen in dunkler Gluth leuchtete, gebräunter Haut, schmalen, scharf geschnittenen Lippen, die eine in der mächtigen Kinnlade fest eingewurzelte Zahnreihe erkennen ließen, mit einem durch einen noch röthlichen Knebelbart verlängerten Kinn und kräftigen Armen und Beinen – so erschien mir der Kapitän Len Guy. Sein Gesichtsausdruck war etwas hart, oder mehr kalt, wie der eines verschlossenen Individuums, das seine Geheimnisse nicht leicht preisgiebt – das wurde mir noch am nämlichen Tage von einem Manne hinterbracht, der darüber offenbar besser unterrichtet war als Meister Atkins, obgleich der Gastwirth sich als vertrauter Freund des Kapitäns aufzuspielen liebte. Im Grunde konnte sich eigentlich niemand schmeicheln, diese etwas widerspenstige Natur ganz durchschaut zu haben.

Hier sei gleich eingeschoben, daß der von mir erwähnte Mann der Hochbootsmann der »Halbrane« war. Hurliguerly mit Namen, stammte er von der Insel Wight, war vierundvierzig Jahre alt, mittelgroß, untersetzt und kräftig, hatte vom Brustkasten abstehende Arme, etwas gekrümmte Beine, einen kugelrunden Kopf auf einem Stiernacken, sehr breite Brust, die gleich zwei Lungen hätte aufnehmen können – und ich fragte mich, ob er die nicht besäße, so verschwenderisch ging er mit der Luft beim Athmen um – immer blasend, immer schwatzend, mit listigen Augen, lachender Miene, und dabei breitete sich unter den Augen ein Netz von Furchen aus, das von der immerwährenden Zusammenziehung des großen Jochbeinmuskels herrühren mochte. Auch eines Ohrrings – eines einzigen – der vom Ohrläppchen linkerseits herabhing, sei hier erwähnt. Welch ein Unterschied von dem Befehlshaber der Goëlette, und wie konnten zwei so verschiedene Wesen miteinander auskommen! Und doch war das der Fall, denn schon seit fünfzehn Jahren segelten sie miteinander und zwar zuerst auf der Brigg »Power«, die sechs Jahre vor Anfang unserer Geschichte gegen den Schooner »Halbrane« vertauscht worden war.

Hurliguerly erfuhr gleich bei seiner Ankunft durch Fenimore Atkins, daß ich mit dem Kapitän Len Guy, wenn dieser damit einverstanden wäre, abzureisen gedächte. Ohne Vorstellung oder sonstige Umschweife trat der Hochbootsmann noch am ersten Nachmittage an mich heran. Er kannte bereits meinen Namen und begann ohne Zögern:

»Guten Tag, Herr Jeorling!

– Schönen Dank, guter Freund! antwortete ich. Was wünschen Sie?

– Ihnen meine Dienste anzubieten...

– Ihre Dienste?... Wozu denn?...

– Nun, wegen Ihrer Absicht, sich an Bord der »Halbrane« einzuschiffen....

– Wer sind Sie denn?

– Der Hochbootsmann Hurliguerly, so bezeichnet und in der Stammrolle der Besatzung aufgeführt, außerdem ein getreuer Gefährte des Kapitän Len Guy, der gern auf ihn, das heißt auf mich, hört, obwohl er sonst dafür bekannt ist, daß er auf niemand hört.«

Da kam mir der Gedanke, daß es gut sein möchte, mich dieses sich so gefällig erweisenden Mannes zu bedienen, der seinen Einfluß auf den Kapitän Len Guy gewiß nicht bezweifelte. Ich antwortete also:

»Schön, lieber Freund, so sprechen wir darüber, wenn Sie Ihre Pflicht augenblicklich nicht in Anspruch nimmt.

– Ich habe zwei Stunden freie Zeit, Herr Jeorling, und heute überhaupt nicht viel zu thun. Morgen sind einige Waarenballen zu löschen, etwas Proviant zu fassen... doch das ist für die Mannschaft so gut wie eine Ruhezeit. Im Fall Sie eben so frei sind... wie ich...«

Dabei deutete er mit einer Handbewegung nach dem Hintergrunde des Hafens in einer Richtung, die ihm wohlbekannt zu sein schien.

»Können wir denn nicht gleich hier miteinander reden? bemerkte ich, ihn zurückhaltend.

– Reden, Herr Jeorling, stehenden Fußes reden... und das mit trockener Kehle, wo wir's so bequem haben, uns bei ein paar Tassen Thee mit Wisky in einer Ecke des »Grünen Cormoran« häuslich niederzulassen?...

– Ich trinke keinen Wisky, Hochbootsmann.

– Thut nichts... ich trinke für Zwei. O, glauben Sie nicht, es mit einem Trunksüchtigen zu thun zu haben!... Nein, niemals mehr als gerade genug, doch auch niemals weniger!«.

Ich folgte dem Seebären, der offenbar im Fahrwasser der Schänken zu schwimmen gewöhnt war. Und während Meister Atkins auf dem Deck der Goëlette um Ein- und Verkaufspreise feilschte, nahmen wir im großen Zimmer seines Gasthauses Platz. Hier wendete ich mich an den Hochbootsmann mit den Worten:

»Ursprünglich rechnete ich auf Atkins, die Vermittlung zwischen mir und Kapitän Len Guy zu übernehmen, denn er kennt diesen, wenn ich mich nicht täusche, ja sehr genau.

– Pah! stieß Hurliguerly hervor. Fenimore Atkins ist ein ganz braver Mann und der Kapitän achtet ihn auch recht hoch. Mit mir kann er sich aber nicht messen. Lassen Sie mich die Sache ordnen, Herr Jeorling....

– Macht sie denn so große Schwierigkeiten, Hochbootsmann, und giebt es keine freie Cabine am Bord der »Halbrane«? Ich begnüge mich ja mit der kleinsten und bezahle gern...

– Sehr schön, Herr Jeorling! Wir haben am Ruff eine Cabine frei, die bisher niemand benützt hat, und wenn's Ihnen auf den Preis nicht zu sehr ankommt – im Fall das nothwendig wäre... doch, unter uns, man muß schon etwas pfiffiger sein, als Sie vielleicht glauben und als es mein alter Freund Atkins ist, um den Kapitän Len Guy zu bestimmen, einen Passagier aufzunehmen!... Ja, ich sage Ihnen, es gehört die ganze Verschlagenheit des gutmüthigen Kerls dazu, der jetzt gleich auf Ihre Gesundheit trinken wird und es nur bedauert, daß Sie ihm nicht Bescheid geben!«

Und wie schaute mich da Hurliguerly mit dem rechten Auge an, während er das linke zukniff! Es schien, als ob alle Lebhaftigkeit, die in seinen beiden Augen wohnte, durch die Pupille des einen hervorstrahlte. Ich brauche wohl kaum zu versichern, daß das Ende dieser langen Phrase bis in ein frisches Glas Wisky reichte, dessen Vorzüglichkeit der Hochbootsmann gewiß zu schätzen wußte, da der »Grüne Cormoran« diesen Stoff ausschließlich aus der Cambüse der »Halbrane« bezog.

Darauf zog der Teufelsbursche eine kurze schwarze Pfeife aus der Tasche, stopfte sie sorgsam, legte auch noch ein loseres Häuschen Tabak darüber, zündete sie an, nachdem er sie fest in die Lücke zwischen zwei Backenzähnen eingeschoben hatte, und hüllte sich nun, wie ein Dampfer bei voller Fahrt, in einen solchen Qualm, daß sein Kopf in einer blaugrauen Wolke fast verschwand.

»Herr Hurliguerly?... begann ich wieder.

– Herr Jeorling...

– Warum sollte mich Ihr Kapitän denn abweisen?

– Weil es ihm nie in den Sinn gekommen ist, Passagiere an Bord zu nehmen, und er bisher alle Gesuche dieser Art rundweg abgeschlagen hat.

– Welchen Grund mag er aber dazu haben?

– O, weil er sich in keiner Weise beschränkt sehen mag, weil er hinfahren will, wo es ihm gerade beliebt, jetzt plötzlich umzukehren oder wenn's ihm einfällt, nach Norden oder Süden, nach Westen oder Osten zu segeln, ohne daß er jemand wissen läßt, warum er das thut. Die südlichen Meere hier verläßt er dabei aber niemals, Herr Jeorling, und so sind wir schon manche schöne Jahre hier zusammen gefahren, zwischen dem östlichen Australien und dem westlichen Amerika, von Hobart-Town nach den Kerguelen, nach Tristan d'Acunha oder den Falklandsinseln, wobei wir immer nur so lange am Land lagen, bis unsere Fracht verkauft war. Manchmal drangen wir auch bis zum antarktischen Meere hinunter... Sie begreifen, daß ein Passagier unter solchen Umständen lästig werden könnte, und wer würde sich auf der »Halbrane« einschiffen wollen, da diese nie einen vorher bestimmten Curs einhält, sondern eigentlich hinfährt, wohin der Wind sie treibt!«

Ich fragte mich, ob der Hochbootsmann sich nicht ein wenig bemühte, seine Goëlette als eine Art geheimnißvollen Fahrzeugs hinzustellen, das planlos umherschweifte und an den Ankerplätzen kaum rastete, als ein Schiff, das unter Führung eines gespensterhaften Kapitäns durch die hohen Breiten irrte. Doch ohne eine dahin zielende Bemerkung zu machen, sagte ich zu ihm:

»Die »Halbrane« wird von den Kerguelen aber doch nach vier bis fünf Tagen absegeln?

– Gewiß...

– Und diesmal steuert sie nach Westen, um Tristan d'Acunha anzulaufen?

– Wahrscheinlich.

– Nun, Hochbootsmann, schon diese Wahrscheinlichkeit genügt mir ja, und da Sie mir Ihre guten Dienste anbieten, ersuche ich Sie, es beim Kapitän Len Guy zu vermitteln, daß er mich als Passagier aufnimmt.

– Das ist so gut wie abgemacht.

– Sehr schön, Hurliguerly, Sie sollen es auch nicht zu bereuen haben.

– O, Herr Jeorling, versicherte dieser seltsame Hochbootsmann, der den Kopf schüttelte, als wäre er eben aus dem Wasser aufgetaucht, ich habe bisher nie etwas zu bereuen gehabt und weiß, daß das auch nicht der Fall sein wird, wenn ich Ihnen eine Gefälligkeit erweise. Nun erlauben Sie mir aber, mich, ohne die Rückkehr des Freundes Atkins abzuwarten, zu verabschieden und nach meinem Schiffe zu begeben.«

Nachdem er sein letztes Glas Wisky auf einen Zug geleert hatte – ich fürchtete dabei, daß das Glas gleich mit dem Inhalte in seiner Kehle verschwinden werde – lächelte mich Hurliguerly noch gönnerhaft an; dann ging er, den mächtigen Rumpf auf dem Doppelbogen der Beine hin und her wiegend und von den scharfen, seiner Pfeife entströmenden Rauchwolken eingehüllt, hinaus und steuerte in nordöstlicher Richtung vom »Grünen Cormoran« davon.

Ich blieb noch mit recht wechselnden Empfindungen am Tische sitzen. Was war im Grunde dieser Kapitän Len Guy? Meister Atkins hatte ihn mir als tüchtigen Seefahrer und braven Mann geschildert. Ich hatte keine Veranlassung, an dem einen oder dem anderen zu zweifeln; jedenfalls war er, nach dem, was mir der Hochbootsmann mitgetheilt hatte, ein origineller Charakter. Nie war mir aber in den Sinn gekommen, daß mein Gesuch, mit der »Halbrane« zu reisen, Schwierigkeiten begegnen könnte, nachdem ich erklärt hatte, nicht auf den Fahrpreis zu sehen und mich der gewohnten Lebensweise an Bord zu fügen. Welchen Grund hatte der Kapitän Len Guy also, mein Gesuch abzuschlagen?... Höchstens könnte ich vermuthen, daß er sich durch die Mitanwesenheit eines Passagiers nicht binden und sich nicht verpflichten wollte, nach einem vorher bestimmten Orte zu segeln, wenn es ihm im Laufe der Fahrt einfiel, nach einem beliebigen anderen zu steuern. Vielleicht hatte er aber auch besondere Gründe, zu vermeiden, daß ein Fremder in seine Art und Weise umherzufahren Einblick bekäme. Führte er etwa Contrebande oder betrieb er Sklavenhandel, ein Geschäft, das jener Zeit in den südlichen Meeren noch lebhaft im Schwange war? Das wäre immerhin möglich, obwohl mein würdiger Gasthalter für die »Halbrane« und ihren Kapitän so warm eintrat. Fenimore Atkins garantierte für die Ehrbarkeit des Schiffes, wie für die seines Befehlshabers!... Das war ja schon etwas werth, wenn er sich nicht in Bezug auf beide täuschte. Er kannte ja den Kapitän Len Guy nicht weiter, als daß er ihn jährlich einmal sah, wenn dieser die Kerguelen anlief, wo er ganz ordnungsgemäße Geschäfte erledigte, die keinerlei Verdacht aufkommen lassen konnten.

Andererseits fragte ich mich, ob der Hochbootsmann, in der Absicht, dem Anerbieten seiner Dienste mehr Bedeutung zu verleihen, die Verhältnisse nicht falsch dargestellt habe. Vielleicht war der Kapitän sehr befriedigt, sehr glücklich darüber, einen so fügsamen Passagier an Bord zu bekommen, wie ich mir einer zu sein vorgenommen hatte, und der gleichzeitig nach dem Fahrpreis nicht groß fragte.

Eine Stunde später traf ich mit dem Gastwirth auf dem Quai zusammen und theilte ihm mit, was ich erfahren hatte.

»Ah, dieser verteufelte Hurliguerly, rief er da, der bleibt doch immer der alte! Seinen Reden nach müßte man glauben, daß der Kapitän sich nicht die Nase putzte, ohne ihn erst um Rath zu fragen! Na, es ist eben ein drolliger Kauz, der Hochbootsmann, mein Herr Jeorling. Weder bösartig, noch dumm, zieht er doch dem Gottseibeiuns die Dollars gern aus der Tasche. Fallen Sie ihm in die Hände, dann Gnade Ihrem Geldbeutel! Knöpfen Sie ja Weste und Hosentasche zu und lassen Sie sich nicht übers Ohr hauen!

– Danke für den guten Rath, Atkins! Doch sagen Sie, haben Sie mit dem Kapitän schon gesprochen, schon etwas ausgemacht?

– Noch nicht, Herr Jeorling. Dazu haben wir Zeit. Die »Halbrane« ist ja kaum eingelaufen und hat sich vor ihrem Anker noch nicht einmal nach dem Ebbestrom gedreht.

– Mag sein... doch... Sie begreifen, daß ich baldmöglichst wissen möchte, woran ich bin.

– Nur ein wenig Geduld!

– Es drängt mich aber zu erfahren, wie die Sache steht.

– O, Sie haben nichts zu fürchten, Herr Jeorling!... Das macht sich schließlich ganz allein! – Und wenn's die »Halbrane« nicht wäre, kommen Sie auch nicht in Verlegenheit. In der Fangzeit wird Christmas-Harbour bald mehr Schiffe zählen, als rings um den »Grünen Cormoran« Häuser stehen. Verlassen Sie sich getrost auf mich; ich stehe für Ihre Einschiffung ein!«

Das waren freilich auch nur schöne Worte, von dem Hochbootsmann auf der einen und von Meister Atkins auf der andern Seite. Trotz ihrer Versprechungen beschloß ich, mich selbst an den, wenn auch noch so unzugänglichen Kapitän Len Guy zu wenden und ihm mein Anliegen vorzutragen, sobald ich seiner allein habhaft werden konnte.

Diese Gelegenheit bot sich erst am folgenden Tage. Ich war immer am Quai auf und ab gegangen, betrachtete mir den Schooner, ein auffallend gebautes, doch gewiß recht schönes Schiff. Das ist auch nothwendig in diesen Meeren, wo man Eisbergen zuweilen noch diesseits des fünfzigsten Breitengrades begegnet.

Es war am Nachmittage. Bei meiner Annäherung an Kapitän Len Guy bemerkte ich, daß er mir gern ausgewichen wäre.

In Christmas-Harbour versteht es sich von selbst, daß sich die kleine Fischerbevölkerung kaum erneuert. Einzelne Einwohner der Kerguelen mögen wohl gelegentlich auf Schiffen, die in dieser Jahreszeit hier in großer Zahl eintreffen, Dienste nehmen, um fehlende oder davongelaufene Mannschaften zu ersetzen. Im Grunde verändert sich die Bevölkerung aber nicht, und der Kapitän Len Guy mußte gewiß alle Bewohner hier kennen.

Einige Wochen später, wenn die ganze Fischerflotte ihre Besatzungen nach den Quais gehen ließ, wo dann bis zur Beendigung der Saison ein ungewohntes Leben und Treiben herrschte, hätte er sich wohl täuschen können. Heute aber, im Monat August, lag die »Halbrane«, die sich den außergewöhnlich milden Winter zunutze gemacht hatte, allein mitten im Hafen.

Es war demnach unmöglich, daß der Kapitän Len Guy in mir nicht einen Fremden gewittert hätte, selbst wenn der Hochbootsmann und der Gastwirth ihm mein Anliegen noch nicht vorgetragen hatten.

Seine Haltung verrieth mir augenblicklich nur, daß ihm mein Gesuch entweder schon mitgetheilt war und er ihm keine Folge geben wollte, oder daß weder Hurliguerly noch Atkins seit gestern ihm davon gesprochen hatten. Wenn er sich – den letzten Fall angenommen – von mir entfernte, so folgte er dabei nur seiner wenig mittheilsamen Natur und zeigte, daß er zu einem Unbekannten in keine Beziehung treten wollte.

Ich wurde nun allgemach ungeduldig. Wenn dieser Seeigel mich abwies, dann würde ich mich dabei bescheiden. Mich auch gegen seinen Willen an Bord der »Halbrane« einzuschiffen, kam mir gar nicht in den Sinn. Ich war ja nicht einmal ein Landsmann von ihm und überdies gab es auf den Kerguelen keinen amerikanischen Consul oder Agenten, bei dem ich mich hätte beklagen können. Vor allem galt es mir ja zu wissen, woran ich war, und wenn ich wirklich einem Nein! des Kapitän Len Guy begegnete, nun, dann mußte ich eben die Ankunft eines anderen, gefälligeren Schiffs abwarten, was mich auch nur noch zwei oder drei Wochen zurückhalten konnte.

Gerade als ich auf den Kapitän zutreten wollte, näherte sich ihm der Lieutenant der Goëlette. Jener benützte die Gelegenheit, sich zu entfernen, und während er dem Officier winkte, ihm zu folgen, ging er am Hafen weiter und verschwand bald hinter einem Felsen, um den der Weg nach dem nördlichen Ufer der Bucht führte.

»Zum Teufel! dachte ich, es scheint mir doch schwierig zu werden, zu meinem Ziele zu kommen! Indeß – vorläufig ist die Sache nur aufgeschoben. Morgen begeb? ich mich frühzeitig an Bord der »Halbrane«. Ob er nun will oder nicht, anhören muß mich dieser Len Guy doch, dann mag er mit Ja oder Nein antworten!«

Es war auch nicht ausgeschlossen, daß der Kapitän Len Guy zur Essenszeit nach dem »Grünen Cormoran« kam, wo die Seeleute während ihres Aufenthaltes zu frühstücken und zu Mittag zu speisen pflegten. Nach mehrmonatlicher Seefahrt wechselt ja jeder gern einmal mit der Speisekarte, die so lange Zeit nur Schiffszwieback und Pökelfleisch aufwies.

Das verlangt sogar die Erhaltung der Gesundheit; doch während die Mannschaften frische Nahrungsmittel geliefert bekommen, ziehen es die Officiere vor, im Gasthaus zu essen. Ich zweifelte gar nicht daran, daß mein Freund Fenimore Atkins vorbereitet sein werde, den Kapitän, den Lieutenant und den Hochbootsmann der Goëlette zu verpflegen.

Ich wartete also und setzte mich erst sehr spät zu Tische – sollte aber eine Enttäuschung erfahren.

Weder der Kapitän Len Guy noch einer von seinem Schiffe beeyrte den »Grünen Cormoran« mit seiner Anwesenheit. Wie bereits seit zwei Monaten, mußte ich auch heute allein speisen, denn es ist ja erklärlich, daß sich zahlreiche Gäste bei Meister Atkins erst in der Fangperiode einstellten.

Nach beendigter Mahlzeit, gegen halb acht Uhr, war es schon dunkel geworden und ich erging mich noch ein wenig an der Seite der Häuser längs des Hafens.

Der Quai war menschenleer. Von den Fenstern des Gasthauses fiel einiges Licht darüber. Von der Besatzung der »Halbrane« befand sich kein Mann am Lande. Die Boote waren hinaufgezogen und schaukelten bei dem leichten Wellenschlage der steigenden Fluth an ihren Hißtauen.

Der Schooner bildete wirklich eine Art Kaserne, wo man die Insassen mit Sonnenuntergang zum Niederlegen anhält. Diese Maßregel mochte vorzüglich dem Schwätzer und Trinker Hurliguerly zuwider sein, denn diesem wär' es, meiner Ansicht nach, während des Aufenthalts am Lande gewiß lieber gewesen, von einer Schänke zur andern zu laufen. Doch von ihm sah ich jetzt nicht mehr als von seinem Kapitän in der Nähe des »Grünen Cormoran.«

Ich verweilte bis neun Uhr und ging immer die hundert Schritte gegenüber der Goëlette auf und ab. Nach und nach verschwand das Fahrzeug in der zunehmenden Dunkelheit. Im Wasser der Bucht glänzte nur noch ein schmaler Lichtstreifen von der Laterne des Vorderschiffes, die am Stagseile des Fockmastes hing.

Nach dem Gasthause zurückgekehrt, fand ich Fenimore Atkins, seine Pfeife rauchend, vor der Thür.

»Es scheint mir, Atkins, begann ich, daß der Kapitän Len Guy es nicht liebt, Ihr Gasthaus aufzusuchen.

– Er kommt zuweilen des Sonntags, heute haben wir Sonnabend, Herr Jeorling.

– Sie haben ihn noch nicht gesprochen?

– O doch, antwortete der Gastwirth, aber mit offenbar verlegenem Ausdruck.

– Sie haben ihm mitgetheilt, daß jemand aus Ihrer Bekanntschaft sich an Bord der »Halbrane« einzuschiffen wünschte?...

– Jawohl.

– Und wie fiel seine Antwort darauf aus?

– Nicht so wie ich es wollte und wie Sie es wünschen, Herr Jeorling.

– Er schlägt es ab?...

– Ja, wenn man das dafür ansieht, daß er mir sagte: »Atkins, meine Goëlette ist nicht darauf eingerichtet, Passagiere mitzunehmen... Ich habe solche noch niemals aufgenommen und denke es auch später nie zu thun«.

Drittes Capitel

Der Kapitän Len Guy

Ich schlief ziemlich schlecht. Mehrmals »träumte ich, daß ich träumte«, Edgar Poe hat übrigens schon beobachtet, daß man, wenn man zu träumen vermuthet, meist gleich aufwacht.

Ich erwachte also, und zwar ziemlich mißgestimmt gegen den Kapitän Len Guy. Der Gedanke, mich bei ihrer Abfahrt auf der »Halbrane« einzuschiffen, hatte sich in meinem Kopfe nun einmal festgesetzt. Meister Atkins hatte mir ja gerade dieses Schiff, das Christmas-Harbour alljährlich als das erste anlief, ganz besonders empfohlen. Die Tage und die Stunden zählend, hatte ich mich im Geiste schon so oft an Bord dieser Goëlette gesehen, während sie, draußen vor dem Archipel den Vordersteven nach Westen gewendet, der amerikanischen Küste zusteuerte. Mein Gastwirth setzte keinen Zweifel in das Entgegenkommen des Kapitän Len Guy, das ja eigentlich in seinem Interesse lag. Es kommt sonst fast nie vor, daß ein Handelsschiff die Aufnahme eines Passagiers verweigert, wenn es dadurch nicht gezwungen wird, von seinem Reisewege abzuweichen und jener die Mitfahrt gut bezahlt. – Wer hätte auch etwas anderes glauben sollen?...

Allmählich ergrimmte ich wirklich gegen den ungefälligen Mann. Die Galle lief mir über und meine Nerven singen an, sich zu spannen. Hier stellte sich mir ein Hinderniß in den Weg, vor dem ich mich aufbäumte.

Bei meiner fieberhaften Erregung hatte ich eine sehr schlechte Nacht und fand erst gegen Tagesanbruch einige Ruhe.

Uebrigens blieb ich entschlossen, mich mit dem Kapitän über sein beklagenswerthes Benehmen gegen mich auseinanderzusetzen. Vielleicht richtete ich bei diesem Stacheligel gar nichts aus, mindestens aber sollte ausgesprochen sein, was ich auf dem Herzen hatte.

Meister Atkins hatte sich im Gespräche mit jenem nur die schon erwähnte Antwort geholt. Ob der gefällige Hurliguerly, der es so dringlich zu haben schien, mir seinen Einfluß und seine Dienste anzubieten, es auch gewagt hatte, sein Versprechen zu halten, wußte ich nicht, da er mir noch nicht wieder zu Gesicht gekommen war. Jedenfalls würde er auch nicht glücklicher gewesen sein, als der Wirth vom »Grünen Cormoran«.

Gegen acht Uhr früh ging ich aus. Es war abscheulich draußen, das reine Hundewetter, wie man zu sagen pflegt. Regen mit Schnee vermengt, der über die im Westen gelegenen Berge herübertobte, während aus den niederen Schichten Wolkenmassen herunterwirbelten – eine richtige Lawine aus Luft und Wasser. Daß der Kapitän Len Guy jetzt ans Land gegangen wäre, um bis auf die Knochen naß zu werden, war nicht anzunehmen.

In der That befand sich keine Seele auf dem Quai. Einige Fischerboote mochten den Hafen schon vor dem Unwetter verlassen haben und hatten jetzt wahrscheinlich in einer der vielen kleinen Buchten, die gegen Wasser und Wind geschützt waren, Unterkommen gesucht. Um an Bord der »Halbrane« zu gelangen, hätte ich eines ihrer Boote herüberrufen müssen, und der Hochbootsmann würde es schwerlich auf sich genommen haben, ein solches zu senden.

»Uebrigens – so dachte ich – auf dem Deck seiner Goëlette ist der Kapitän bei sich zu Hause, und für das, was ich ihm antworten möchte, wenn er bei seiner unhöflichen Weigerung beharrt, eignet sich ein neutrales Gebiet entschieden besser. Ich werde von meinem Fenster aus nach ihm ausschauen, und wenn sein Gig ihn am Quai landet, soll er mir nicht wieder entgehen!«

Nach dem »Grünen Cormoran« zurückgekehrt, nahm ich hinter einer von Wasser überrieselten Fensterscheibe Platz, deren Beschlag an der Innenseite ich abgewischt hatte, und kümmerte mich nicht weiter um den Sturmwind, der sich im Schornstein fing und die Asche aus dem Kamine trieb.

Hier wartete ich... nervös, ungeduldig, an meiner Trense nagend und in immer zunehmender Erregung.

So verflossen zwei Stunden, und wie das bei der Unbeständigkeit der Winde an den Kerguelen vorkommt: das Wetter beruhigte sich eher, als ich mich fassen lernte.

Gegen elf überwogen schon die hohen Wolken aus dem Osten und der Sturm schlief jenseits der Berge langsam ein.

Ich öffnete das Fenster.

In diesem Augenblicke wurde ein Boot der »Halbrane« zum Niederlassen zurecht gemacht. Ein Matrose stieg hinein und ergriff allein zwei Riemen, während ein Mann sich im Hintertheil niedersetzte, ohne die Ruderpinne anzufassen. Zwischen dem Schooner und dem Quai lag nur eine Strecke von fünfzig Toisen. Das Gig legte an, der Mann sprang ans Land.

Es war der Kapitän Len Guy.

Binnen wenigen Secunden hatte ich die Schwelle des Gasthauses überschritten und stand sehr bald vor dem Kapitän, der eine Begegnung mit mir, so wenig ihm daran gelegen schien, doch nicht zu vereiteln wußte.

»Herr Kapitän...« begann ich trockenen und kalten Tones, so kalten, wie die Luft, seit der Wind nach Osten umgesprungen war.

Der Kapitän Len Guy sah mich fest an, ich wurde aber betroffen durch den traurigen Ausdruck seiner nachtschwarzen Augen. Dann fragte er mit tiefer, nur flüsternder Stimme:

»Sie sind ein Fremder?

– Auf den Kerguelen... ja, gab ich zur Antwort.

– Von englischer Nationalität?...

– Nein... von amerikanischer.«

Er begrüßte mich mit leichter Verbeugung und ich that desgleichen.

»Herr Kapitän, fuhr ich dann fort, ich habe Ursache zu glauben, daß der Meister Atkins vom »Grünen Cormoran« Ihnen einen mich betreffenden Vorschlag unterbreitet hat. Dieser Vorschlag oder dieses Gesuch verdiente, meiner Meinung nach, wohl eine günstige Aufnahme bei einem...

– Der Vorschlag, auf meiner Goëlette mitzureisen?... unterbrach mich Kapitän Len Guy.

– Ganz richtig.

– Ich bedauere, mein Herr, diesem Wunsche nicht entsprechen zu können...

– Würden Sie mir auch mittheilen, warum?

– Weil ich nie gewöhnt war, Passagiere an Bord zu haben – das der erste Grund.

– Und der zweite, Herr Kapitän?

– Weil die Reiseroute der »Halbrane« nie im voraus bestimmt wird. Sie segelt nach dem einen Hafen oder geht nach einem anderen, wie ich das eben für vortheilhafter erachte. Lassen Sie sich gesagt sein, mein Herr, daß ich nicht im Dienste eines Rheders stehe. Die Goëlette ist zum größten Theil mein persönliches Eigenthum und ich habe für ihre Fahrten von niemand Segelordre zu empfangen.

– So hängt es also ausschließlich nur von Ihnen ab, mir die Mitfahrt zu gestatten.

– Gewiß; doch ich kann Ihnen zu meinem größten Bedauern nur eine abschlägige Antwort geben.

– Vielleicht ändern Sie Ihre Anschauung, Herr Kapitän, wenn ich Ihnen sage, daß es mir ganz gleichgiltig ist, wohin Ihre Goëlette geht. Es ist doch wohl anzunehmen, daß sie überhaupt irgendwohin segelt....

– Irgendwohin... ja freilich!«

Da schien es mir, als ob der Kapitän einen langen Blick nach dem südlichen Horizont hinaussendete.

»Nun, Herr Kapitän, nahm ich wieder das Wort, hier- oder dorthin zu gehen, gilt mir fast ganz gleich. Mich verlangt vor allem nur, von den Kerguelen mit der ersten, sich darbietenden Gelegenheit wegzukommen.«

Der Kapitän Len Guy erwiderte nichts, sondern blieb im Nachdenken versanken, ohne daß er sich jedoch von mir wegstehlen zu wollen schien.

»Sie erweisen mir wohl wenigstens die Ehre, mich anzuhören, Herr Kapitän? fragte ich in ziemlich lebhaftem Tone.

– Warum sollte ich das nicht, mein Herr!

– Nun, wenn ich mich nicht verhörte und die Reiseroute Ihrer Goëlette keine Veränderung erlitten hat, so hatten Sie die Absicht, von Christmas-Harbour nach Tristan d'Acunha zu segeln.

– Vielleicht nach Tristan d'Acunha... vielleicht nach dem Cap... oder nach den Falklandsinseln... vielleicht noch anderswohin....

– Schön, Kapitän Guy, eben »anderswohin« wollt' ich gelangen!« antwortete ich ironisch, mußte mich aber anstrengen, meine Erregung zurückzudämmen.

Da trat eine seltsame Aenderung in der Haltung des Kapitän Len Guy ein. Seine Stimme wurde härter. In kurzen, nicht mißzuverstehenden Worten sagte er mir, daß jedes weitere Drängen unnütz sei, daß unsere Verhandlung schon zu lange gedauert und er Eile habe, da ihn Geschäfte nach dem Hafencontor riefen, kurz, daß wir, und in hinreichender Weise, uns alles gesagt hätten, was wir einander zu sagen haben könnten.

Ich hatte den Arm ausgestreckt, um ihn zurückzuhalten – ihn zu packen, wäre das richtige Wort – und das schon zu Anfang nicht gut verlaufende Gespräch drohte dann ein noch schlimmeres Ende zu nehmen, als der sonderbare Mann sich noch einmal zu mir umdrehte und in weit milderem Tone sagte:

»Glauben Sie mir, mein Herr, daß es mir sehr unangenehm ist, Ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können und gegen einen Amerikaner so wenig Gefälligkeit zeigen zu müssen. Ich kann mein Verhalten aber nicht ändern Während der Fahrt der »Halbrane« könnte sich der oder jener unvorhergesehene Zwischenfall ereignen, bei dem die Anwesenheit eines Passagiers – und auch eines so fügsamen wie Sie – störend wirken würde. Ich liefe damit Gefahr, nicht alle versprechenden Umstände, auf die ich immer ein Auge habe, ausnützen zu können.

– Ich habe es schon ausgesprochen und wiederhole Ihnen hiermit, Herr Kapitän, daß es mir, wenn ich auch nach Connecticut in Amerika zurückzukehren beabsichtige, doch ganz gleichgiltig ist, ob das in drei oder in sechs Monaten, auf dem einen oder einem anderen Wege geschieht, selbst wenn Ihre Goëlette bis in die Antarktischen Meere vordränge...

– In die Antarktischen Meere!« rief der Kapitän mit fast fragender Stimme und sein Blick schien mir ins Herz zu dringen, als ob er Spitzen hätte.

»Warum erwähnen Sie die Antarktischen Meere? begann er wieder, meine Hand ergreifend.

– O, ganz so, wie ich von den nördlichen Meeren, vom Nord- oder Südpole hätte reden können...«

Der Kapitän Len Guy antwortete nicht. Ich glaubte in seinen Augen eine Thräne schimmern zu sehen. Dann sagte er, einen anderen Gedankengang aufnehmend, als wollte er sich einer schmerzlichen Erinnerung entreißen:

»Ja, dieser Südpol, wer sollte sich dahin wagen...

– Ihn zu erreichen, ist freilich schwierig und wäre von keinem Nutzen erklärte ich. Zuweilen tauchen ja abenteuerlustige Charaktere auf, die sich in ein solches Unternehmen stürzen wollen...

– Ja... abenteuerlustige!... murmelte der Kapitän Len Guy.

– Doch, halt, fuhr ich fort, die Vereinigten Staaten machen eben noch einen solchen Versuch und zwar mit dem Geschwader Charles Wilkes', dem »Vancouver«, dem »Peacock«, der »Purpoise«, dem »Flying-Fish« und mehreren Begleitschiffen.

– Die Vereinigten Staaten, Herr Jeorling?... Sie behaupten, daß von der Bundesregierung eine Expedition nach den Antarktischen Meeren gesendet sei?

– Das ist Thatsache, und im vergangenen Jahre hörte ich, daß diese Expedition schon ausgelaufen sei. Jetzt ist seitdem ein Jahr verstrichen und es ist leicht möglich, daß der wagemuthige Wilkes schon weiter als andere Entdeckungsreisende vor ihm vorgedrungen wäre.«

Der Kapitän Len Guy war völlig stumm geworden und unterbrach sein unerklärliches Stillschweigen nur, um zu sagen:

»Sollte es Wilkes thatsächlich gelungen sein, den Polarkreis zu überschreiten und das Packeis zu durchbrechen, so wird er doch nicht höher hinaufdringen können...

– Als seine Vorgänger Bellingshausen, Forster, Kendall, Biscoe, Morrell, Kemps, Beleny... fiel ich ein.

– Und als... setzte der Kapitän Len Guy hinzu.

– Von wem wollen Sie noch sprechen?

– Sie sind aus Connecticut gebürtig, mein Herr? fragte er plötzlich.

– Aus Connecticut.

– Und dort woher?...

– Aus Providence.

– Keanen Sie die Insel Nantucket?

– Gewiß, von mehreren Besuchen derselben her.

– Dann wissen Sie, glaub' ich, auch, sagte der Kapitän Len Guy, mir scharf ins Auge sehend, daß Ihr Romandichter Edgar Poe seinen Helden Arthur Gordon Pym von dort herstammen läßt.

– Richtig, antwortete ich, dessen erinnere ich mich, der Anfang dieses Romans spielt auf der Insel Nantucket.

– Sie sagen, dieses Romans?... Bedienten Sie sich wirklich des Wortes »Romans«?

– Ohne Zweifel, Herr Kapitän!

– Ja, ja... Sie reden eben wie alle Welt. Doch entschuldigen Sie, mein Herr, ich kann nicht länger verweilen... Ich bedauere... aufrichtig... Glauben Sie, wenn es mir möglich gewesen wäre... doch glauben Sie nicht, daß eine weitere Erwägung meine Entscheidung über Ihren Vorschlag zu ändern vermöchte. Uebrigens werden Sie nur wenige Tage zu warten brauchen. Jetzt beginnt hier die Saison, wo Handelsschiffe und Walfänger in Christmas-Harbour erscheinen, und Sie haben dann die Wahl, sich auf dem einen oder dem anderen einzuschiffen, gleichzeitig mit der Gewißheit, dahin befördert zu werden, wohin Sie es wünschen. Ich bedauere lebhaft... und empfehle mich Ihnen!«

Mit diesen Worten zog sich der Kapitän Len Guy zurück und das Gespräch endete also ganz anders als ich gefürchtet hatte – in ziemlich höflicher, wenn auch förmlicher Weise.

Da es zu nichts dient, sich gegen das Unmögliche aufzulehnen, gab ich die Hoffnung, mit der »Halbrane« zu fahren, auf, bewahrte aber meinen Groll gegen deren so wenig zuvorkommenden Kapitän. Ich will nur ehrlich zugestehen, daß meine Neugierde erwacht war. Ich witterte ein Geheimniß im Grunde dieser Seemannsseele und wäre gar zu gern dahinter gekommen. Die unerwartete Wendung bei unserem Gespräch, die so plötzliche Erwähnung des Namens Arthur Pym, die Fragen über die Insel Nantucket, die Wirkung meiner Mittheilung, daß zur Zeit unter der Führung Wilkes' eine Forschungsreise nach dem südlichen Eismeere im Gange sei, seine Versicherung, daß kein amerikanischer Seemann weiter vordringen werde, als... Ja, von wem wollte der Kapitän Len Guy denn sprechen?... Alles das war doch geeignet, in mir ganz seltsame Gedanken zu erwecken.

Am nämlichen Tage erkundigte sich Meister Atkins noch, ob sich der Kapitän Len Guy etwas weniger abweisend gezeigt und mir vielleicht schon zugestanden habe, eine Cabine der Goëlette einzunehmen. Ich mußte dem Gastwirth erklären, daß ich mit meinen Verhandlungen nicht glücklicher als er gewesen sei, was ihn ziemlich stark überraschte. Er begriff die Halsstarrigkeit und Weigerung des Kapitäns nicht... wollte ihn gar nicht wiedererkennen. Woher mochte diese Veränderung kommen? Noch mehr persönlich berührte es ihn, daß der »Grüne Cormoran«, ganz entgegen der sonstigen Gepflogenheit während des Aufenthalts der »Halbrane«, weder von der Besatzung, noch von den Officieren besucht wurde. Es schien, als gehorchte die Mannschaft einem ausdrücklichen Befehle. Nur zwei- oder dreimal erschien der Hochbootsmann im Gastzimmer des Wirthshauses – das war alles. Meister Atkins fühlte sich darum natürlich höchst enttäuscht.

Was Hurliguerly betraf, erkannte ich, daß er nach seinen ersten, etwas voreiligen Versprechungen weitere unnütze Beziehungen zu mir nicht mehr zu unterhalten sachte. Ob er seinen Vorgesetzten zu meinen Gunsten zu beeinflussen gesucht hatte, konnte ich freilich nicht sagen.

Im Laufe der drei folgenden Tage, am 10., 11. und 12. August, wurde an Bord der Goëlette an deren Verproviantierung und einigen Ausbesserungen gearbeitet. Man sah die Mannschaft auf dem Decke hin und her gehen, die Matrosen die Masten erklettern, das laufende Gut untersuchen, die Strickleitern und Stagtaue nachspannen, die während der letzten Fahrt etwas erschlafft waren, ferner die obere Wand und die Schanzkleidung, die vom Anprall der Wogen entfärbt waren, neu anstreichen, sah sie frische Segel an den Raaen befestigen oder alte soweit ausbessern, daß sie bei gutem Wetter noch benutzt werden konnten, und da und dort die Nähte am Rumpf und am Verdeck mit kräftigen Hammerschlägen frisch kalfatern.

Diese Arbeiten gingen in großer Ordnung vor sich, ohne das Schreien, Rufen und Streiten, das man bei Matrosen, die still vor Anker liegen, gewöhnlich beobachtet. Die »Halbrane« mußte ebenso gut befehligt, wie ihre Mannschaft discipliniert und schweigsam sein. Nur der Hochbootsmann mochte sich von seinen Kameraden unterscheiden, denn mir schien es, als ob er stets zu lachen, zu scherzen und zu schwatzen bereit wäre – wenn er nicht etwa nur auf dem Lande seiner Zunge so freien Lauf ließ.

Schließlich verlautete, daß die Abfahrt der Goëlette auf den 15. August festgesetzt sei, und am Abend vorher hatte ich noch keine Ursache zu glauben, daß der Kapitän Len Guy von seiner so bestimmten Absage zurückgetreten wäre.

Ich dachte auch kaum noch an die Sache und hatte mich in das Unvermeidliche gefügt, ebenso wie mir jede Luft, mich zu beklagen, vergangen war. Wenn wir, der Kapitän Len Guy und ich, uns auf dem Quai begegneten, sah es aus, als hätten wir uns nie gekannt und fast noch niemals gesehen. Er ging an der einen Seite, ich an der anderen vorüber. Ich muß jedoch einfügen, daß mir seine Haltung ein- oder zweimal etwas zögernd erschien, so als wollte er mich anreden, als würde er durch eine geheime Macht dazu getrieben. Gethan hat er es nicht und ich war nicht der Mann dazu, eine neue Auseinandersetzung an den Haaren herbeizuziehen. Ueberdies – ich erfuhr das am nämlichen Tage – hatte sich Fenimore Atkins, gegen mein bestimmtes Verbot, noch einmal, und wiederum erfolglos, in meiner Angelegenheit an den Kapitän Len Guy gewendet. Nein, diese Sache war »abgethan«, wie man zu sagen pflegt, wenn das auch mit der Ansicht des Hochbootsmanns nicht übereinstimmte.

Vom Wirth des »Grünen Cormoran« darum befragt, bestritt Hurliguerly, daß die Partie gänzlich verloren sei.

»Möglicherweise, wiederholte er, hat der Kapitän sein letztes Wort doch noch nicht gesprochen!«

Auf die Redereien dieses Schwätzers zu vertrauen, wäre indeß dasselbe gewesen, wie die Einfügung eines falschen Gliedes in eine Gleichung, und ich versichere hier, daß mich die bevorstehende Abfahrt des Schooners bereits ganz kalt ließ. Ich dachte nur noch daran, das Erscheinen eines anderen Schiffes vor den Kerguelen abzuwarten.