Die Entführung der Dinharazade - Christina Wermescher - E-Book

Die Entführung der Dinharazade E-Book

Christina Wermescher

0,0

Beschreibung

"Ich entschuldige mich im Vorfeld für alle Unannehmlichkeiten, liebe Dinharazade. Aber ich werde Euch nun entführen." Dinharazade wird vom berüchtigten Wüstenkönig Khan Bassam direkt aus dem Palastgarten ihres Schwagers entführt. Wider Erwarten stellt sich die Situation völlig anders dar und sie kann sich in Khans Oase freier entfalten als zu Hause in Samarqand. Doch bald geht es nicht mehr nur um eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, denn ihrem Glück steht eine magische Intrige entgegen, die alles zu zerstören droht. Ein düster-romantischer Fantasyroman aus tausendundeiner Nacht.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 285

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Epilog

Die Entführung der Dinharazade

Christina Wermescher

© 2021 Amrûn Verlag Jürgen Eglseer, Traunstein15/2021

Covergestaltung: Julia Dibbern Lektorat: Noah Stoffers | textpfade

Printed in the EUISBN TB 978-3-95869-471-2ISBN ebook 978-3-95869-473-6

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie unsere Webseite:amrun-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

v1/21

Für André,

meinen Tüftler

Kapitel 1

Dinah raffte ihr pfirsichfarbenes Seidenkleid und nahm im Laufschritt die ausgetretenen, steinernen Stufen, die zu Abdis Atelier hinaufführten. Der hatte sich bei ihrem letzten Besuch sehr geheimnisvoll gegeben und stand wohl wieder einmal kurz vor der Fertigstellung einer neuen Erfindung. Neugierig öffnete sie die Tür zur Werkstatt, die sie als Hort von Betriebsamkeit und Tüftelei fast ebenso sehr liebte wie den alten Waffenbaumeister selbst. Abdi war ihr in den vergangenen Jahren nicht nur ein Lehrer, sondern auch ein wahrer Freund geworden.

Kein Klappern, kein Hämmern, nicht das leiseste Geräusch drang aus der Werkstatt. Irritiert über die Stille hielt sie am Eingang inne und ließ den Blick suchend durch den halbdunklen Raum gleiten. Brütete der Meister über den Plänen zu seinem nächsten Projekt?

Im Atelier war es angenehm kühl, und lediglich durch ein verhängtes Fenster drang etwas Licht. Dinah atmete den Duft der Werkstatt ein. Diese Mischung aus Papyrus, Öl, Metall und Holz war längst ein wohliger Hauch von Heimat für sie geworden. Sie sah sich suchend um, und als ein leichter Luftzug ihre Haut streifte, bemerkte sie, dass die Tür zur Dachterrasse einen Spalt offenstand. Dinah durchschritt das Halbdunkel des Raumes. Silhouetten von Schriftrollen und allerlei Gerätschaften zeichneten sich schemenhaft ab. Als sie die Holztür aufschob, blendeten die Strahlen der Mittagssonne sie nach dem Dämmerlicht des Ateliers. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab. Noch ehe sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte und irgendetwas erkennen konnte, hörte sie Abdis freudiges Rufen.

»Da bist du ja, Dinah! Ich habe dich schon erwartet!«

Er erhob sich von dem Lager aus bunten Kissen, die unter einem purpurnen Stoffdach lagen. Üppige Stauden verliehen der Terrasse den Charme einer Oase.

»Komm näher, Dinah! Setz dich zu mir«, bat er. Er hatte das blaue Tuch, das er üblicherweise um den Kopf gebunden trug, abgelegt, und sein Haar stand wirr in alle Richtungen ab. Es war weiß wie der unberührte Schnee auf den höchsten Gipfeln des Hissargebirges.

#Dinah ging zu ihm und ließ sich lächelnd neben ihm auf dem farbenfrohen Kissenlager nieder. Aus dem Rohr eines silbernen Samowars qualmte es beachtlich.

Abdi schien sie wirklich erwartet und dem Teewasser bereits kräftig eingeheizt zu haben. Der dicke Stoff über ihr schützte sie vor den Sonnenstrahlen. Dieses angenehm schattige Plätzchen lud zu einem Gläschen Tee ein. Außerdem kochte niemand so guten Chai wie Abdi. Da konnten selbst die Diener am königlichen Hof noch etwas lernen.

Gewissenhaft nahm der alte Mann das Rohr vom Samowar und füllte eine silberne Kanne, in der er bereits Tee und seine geheime Gewürzmischung vorbereitet hatte, mit heißem Wasser.

Dann stellte er die Kanne vor ihnen auf einen niedrigen Holztisch, auf dem auch zwei verzierte Gläser bereitstanden und ein Gegenstand, der jedoch unter Abdis blauem Kopftuch verborgen war. Neugierig begutachtete Dinah die Umrisse, die sich durch den Stoff abzeichneten. Was mochte das sein?

Abdi lächelte verschmitzt, als er ihren Blick bemerkte. Um seine Augen spielten zahlreiche Lachfältchen, und sie schauten Dinah abenteuerlustig an wie die eines Kindes. Sein wacher Geist hatte ihr schon oft atemloses Staunen und interessante Erkenntnisse beschert. Auch heute hatte er also wieder einmal eine Überraschung für sie.

»Was führst du denn im Schilde, Abdi?«, fragte sie ihn schmunzelnd. Er rieb sich voller Vorfreude die Hände.

»Nur Geduld, meine Liebe. Jetzt trinken wir erst einmal einen Chai auf diesen wunderschönen Tag.«

Aus der silbernen Teekanne stieg ihr bereits ein verführerisch würziger Duft in die Nase. Er vermischte sich mit dem süßlichen Geruch der blühenden Stauden, die in großen Steinbottichen gepflanzt waren.

Endlich befand der königliche Waffenbaumeister, dass der Tee lange genug gezogen hatte und füllte die beiden Gläser mit der dampfenden, dunkelbraunen Flüssigkeit. Dann nahm er unter Dinahs gespanntem Blick das Tuch von dem geheimnisvollen Gegenstand. Doch auch nun, wo sie ihn betrachten konnte, verstand Dinah nicht, was es mit dieser Ansammlung von Metallteilen und dem glänzenden Rädchen auf sich hatte, auf der oberhalb ein filigraner Schmetterling angebracht war. Sie beugte sich vor, um besser sehen zu können, und beobachtete Abdi dabei, wie er die Apparatur behutsam auf eines der Teegläser setzte.

Nach kurzem Zögern begann das kleine Rad sich wie von Geisterhand zu drehen. Zwei Stäbchen führten davon über kleine Übersetzungsrädchen zur Unterseite der Schmetterlingsflügel, die nun schlugen, als würde das metallene Insekt jeden Moment abheben.

Entzückt klatschte Dinah in die Hände, und Abdi strahlte über das ganze Gesicht.

»Wunderbar! Wie hast du das gemacht?«, rief sie. Sie liebte es, seine Basteleien zu betrachten. Aber noch mehr liebte sie es, ihre Mechanismen zu ergründen.

»Das ist ein Motor, der die Wärme unseres Chais als Antriebsquelle nutzt«, verkündete der Meister stolz.

Dinah zog überrascht die Luft ein. »Ein Motor ohne Feuer und Dampf?«

Abdi nickte lächelnd.

»Erzähl mir alles darüber!«, bat sie und hing an seinen Lippen, als er ihr die Funktionsweise erklärte von der Kammer mit dem sich ausdehnenden und wieder verdichtenden Gas, in der sich eine Platte als Verdränger über dem Teeglas auf und ab bewegte, bis hin zu dem auf Hochglanz polierten Schwungrädchen. Dieser Mechanismus hätte völlig ausgereicht, um Dinah in Verzückung zu versetzen. Damit, dass der Motor einen Schmetterling scheinbar zum Leben erweckte, hatte Abdi noch eins draufgesetzt.

»Das ist ja unglaublich! Du hast dich wieder einmal selbst übertroffen!« Während Dinah den kleinen Motor beobachtete, hatte sie plötzlich eine Idee. »Das Rädchen erinnert mich an mein Spinnrad. Mutter besteht noch immer darauf, dass ich mich mit Handarbeiten beschäftige und gibt mir ständig neue Aufgaben.« Bei diesem Gedanken rollte sie genervt mit den Augen. »Könnten wir mein Spinnrad nicht mit solch einem Motor ausstatten?«

Abdi lachte laut auf. »Ich bin gerade dabei, verschiedene Anwendungsmöglichkeiten zu prüfen. An ein Spinnrad hatte ich nicht gedacht, aber bring es morgen mit. Dann überlegen wir uns etwas«, sagte er und zwinkerte ihr zu.

Dinah jubelte und umarmte ihn. Mit einem motorisierten Spinnrad würde ihr die Handarbeit vielleicht sogar Spaß machen.

Sie schwatzten noch eine ganze Weile über Abdis Erfindung und was man damit alles antreiben könnte, tranken Chai und genossen das lauschige Plätzchen unter dem purpurnen Stoffdach. Als die Sonne sank, bemerkte Dinah, dass es Zeit war, sich auf den Weg in den königlichen Palastgarten zu machen. Ihre Schwester Scheherazade würde dort bereits auf sie warten. Dinah verabschiedete sich von ihrem Lehrmeister und freute sich schon auf den nächsten Tag, wenn sie zusammen an ihrem Spinnrad basteln würden.

»Ich werde dir einen Diener schicken, um dein Spinnrad abzuholen.« Die beiden schmunzelten sich verschwörerisch an. Im Palast des Großwesirs, Dinahs Vaters, gab es natürlich eine stattliche Anzahl an Bediensteten, die das Spinnrad zu Abdi hätten bringen können. Doch sie wollten ihr kleines Experiment erst einmal geheim halten. Denn Dinas Mutter hatte sich die Arbeit ihrer Tochter am Spinnrad gewiss anders vorgestellt.

Sie drückte Abdi zum Abschied und lief dann gut gelaunt durch die Werkstatt und die steinernen Treppen hinunter. Zum Palastgarten war es nur ein Katzensprung. Schah Rayâr war darauf bedacht, alle wichtigen Menschen des Hofes und seine Berater stets in greifbarer Nähe zu haben. Und auch wenn Abdi sich nicht nur mit dem Bau von Waffen und Kriegsgerät beschäftigte, so hielt doch jeder im Reich große Stücke auf ihn und seine Fähigkeiten. Kein anderer im Dienst des Königs hätte sich so viele Spielereien erlauben können wie Abdi.

Beschwingt von dem schönen Nachmittag betrat Dinah die Pairidaeza. Dinah konnte es kaum erwarten, die Füße im kühlen Wasser dort zu baden. Gerade an solch heißen Tagen gab es kaum einen verlockenderen Ort in ganz Samarqand.

Der große, rechteckige Garten war zwischen den königlichen Privatgemächern und dem Regierungsgebäude mit seinen Empfangs- und Verhandlungssälen und den Unterkünften für hohe Staatsbesuche eingebettet. Erst einmal war Dinah dort drinnen gewesen. Sie erinnerte sich an die farbenprächtigen Mosaike in der Empfangshalle, die dem Gemach ihrer Schwester an Prunk und Raffinesse in nichts nachstand. An der Vorder- und Rückseite begrenzten jeweils zwei hohe Steinmauern mit großen Holztoren das weitläufige Areal, von denen die der inneren Mauern meist offenstanden. So boten die Durchgänge schattige Plätzchen für die Soldaten der königlichen Garde, die die Pairidaeza mit grimmigen Gesichtern und geschliffenen Säbeln bewachten. Als sie Dinah erblickten hellten sich ihre entschlossenen Mienen kurz auf. So mancher der Gardisten hätte ihrer hübschen Erscheinung nur zu gerne den Hof gemacht. Doch als Tochter des Großwesirs und Schwägerin des Königs war Dinah die wohl begehrteste junge Frau des Reiches. Für einen einfachen Soldaten kam es deshalb nicht infrage, ihr schöne Augen zu machen. Und so senkten sie stattdessen ehrfürchtig den Blick und verbeugten sich zum stillen Gruß.

Dinah war es längst leid, als gute Partie betrachtet zu werden. Gerne hätte sie mit den Soldaten gescherzt, doch sie wusste, dass sie mit solch unziemlichem Verhalten nur den Unmut ihrer Eltern oder gar des Königs selbst auf sich ziehen würde. Deshalb quittierte sie die Verbeugungen lediglich mit einem zurückhaltenden Lächeln.

Dinah lief einen Weg entlang, der linker Hand durch einen Wassergraben und auf der anderen Seite von ausladenden Dattelpalmen flankiert wurde. Aus jeder Himmelsrichtung kam einer dieser Gräben. Sie durchzogen das üppige Grün, teilten es in vier Rechtecke und mündeten in einem gekachelten Bassin im Zentrum der Pairidaeza. Dort sah sie Scheherazade schon von Weitem sitzen. Ihr violettes Kopftuch harmonierte märchenhaft mit den Grün- und Blautönen, die das Innere des Gartens beherrschten. Denn die Stauden, die in allen Farben des Regenbogens blühten, hielten sich ringsum an die Mauern gedrängt, wo sie ein bisschen Schatten ergattern konnten und überließen das Herz des Pairidaeza Palmen, Papyrus und Wasserspielen.

Dinah hätte ihre Schwester malen mögen inmitten dieser Idylle, doch dazu fehlte ihr die künstlerische Begabung. So hielt sie einen Moment inne, um sich das Bild einzuprägen. Eine friedliche Stille lag über der Szenerie. Nur die gelegentlichen Rufe der blauen Pfaue, die durch den Garten stolzierten, waren zu hören. Schah Rayâr hatte die Tiere als Geschenk von einem Maharadscha bekommen. In dessen Heimat galten diese schillernden Vögel als heilig. Ein Schmunzeln huschte über Dinahs Gesicht, als sie an den Fauxpas des hohen Gastes dachte. In Samarqand waren Pfaue ein Symbol der Unvollkommenheit, da ihre prachtvoll gefiederten Körper auf solch unschönen Füßen ruhten, und auch ihre Flugfähigkeit eines Vogels unwürdig war. Schah Rayâr hatte damals eines der Tiere sogleich schlachten und dem Maharadscha zum Abendessen vorsetzen lassen. Doch nach diesem Denkzettel hatte ihr Schwager Größe bewiesen und den restlichen Pfauenvögeln im Palastgarten eine neue Heimat geschenkt.

Kapitel 2

Ihre Schwester Scheherazade blickte erst auf, als Dinah sie von hinten umarmte. Sie sah aus, als hätte sie in der letzten Nacht kaum geschlafen. Der Grund dafür war wohl das kleine Bündel, das in ihren Armen lag. Dinahs kleiner Neffe hatte die Augen geschlossen und schlief wohlig in ein Tuch gekuschelt auf dem Schoß seiner Mutter. Dinah setzte sich zu den beiden auf eine Decke, die ihre Schwester ausgebreitet hatte. »Hallo Zayriddin«, flüsterte sie und streichelte dem Baby sanft über die rosige Wange.

»Jetzt schläft er selig«, meinte Scheherazade mit schiefem Lächeln. »Heute Nacht wollte er davon nur wenig wissen.« Liebevoll schaute sie ihr Kind an. So einem perfekten kleinen Geschöpf könnte man wohl auch dann nicht böse sein, wenn es einen um den Schlaf von tausendundeins Nächten brächte.

»Welche Geschichte hast du heute für mich?«, fragte Scheherazade.

Dinah hatte sich schon immer gerne Märchen und Abenteuer ausgedacht, doch dass das Geschichtenspinnen einmal einen so wichtigen Teil in ihrem Leben einnehmen würde, hätte sie niemals erwartet. »Denkst du denn wirklich, dass das noch notwendig ist, jetzt, wo du dem König sogar einen Thronfolger geschenkt hast?«, fragte Dinah skeptisch.

»Wenn ich das nur wüsste!« Ihre Schwester zuckte hilflos mit den Schultern. »Es stimmt schon, Rayâr ist ganz vernarrt in den Kleinen.« Sie lächelte nachdenklich, während sie das Bündel in ihrem Arm betrachtete. »Eigentlich kann ich nicht glauben, dass er im Stande wäre, Zayriddin die Mutter zu stehlen.« Scheherazades Blick verdunkelte sich. »Doch ich möchte es nicht darauf ankommen lassen.«

Beruhigend legte Dinah ihr die Hand auf die Schulter. Natürlich würde sie ihr auch heute wieder eine Geschichte liefern, mit der sie die Neugierde ihres königlichen Gemahls aufrechterhalten konnte.

»Aber da fällt mir etwas ein«, wechselte Scheherazade plötzlich das Thema. »Wie ich höre, kannst du dich inzwischen kaum noch retten vor Verehrern.« Sie zwinkerte verschmitzt, während Dinah die Nase krauszog.

»Ach, Schwester, davon will ich gar nichts hören!«

Scheherazade kicherte. »Sei unbesorgt, ich werde dir ein Geheimnis verraten über die Männer.«

Dinah horchte auf.

»Unsere Großmutter hat mir einst erzählt, wie man einen guten Mann erkennt. Und dieses Wissen gebe ich nun an dich weiter, kleine Schwester.«

Dinah strebte nicht im Geringsten danach, sich einen Mann zu suchen. Es nervte sie viel mehr, wenn ihre Mutter ihr immer wieder mit bedeutungsvoller Miene erzählte, welcher wohlhabende oder einflussreiche Herr im Dunstkreis des Palastes noch ledig war. Richtig schlimm wurde es, wenn der Betreffende sich auch noch nach ihr erkundigt hatte, was in der letzten Zeit immer öfter passierte. Plötzlich kam ihr Khan Bassam in den Sinn. Er war der Einzige, der bisher Dinahs Interesse geweckt hatte. Der berüchtigte Wüstenkönig tauchte immer wieder zu verschiedenen Gelegenheiten in der Stadt auf und versetzte die Samarqander in Aufruhr. Als sie ihm bei den letzten Schaukämpfen begegnet war, hatten sie sich sogar kurz unterhalten. Dinahs Mutter hatte ihr deshalb eine furchtbare Szene gemacht. Schnaubend schob Dinah den Gedanken an ihre Standpauke über Schicklichkeit und den richtigen Umgang für eine Dame von Rang beiseite und wandte sich wieder ihrer Schwester zu. Wenn das Geheimnis von ihrer Großmutter kam, dann wollte sie es auf jeden Fall erfahren. Denn sie war eine kluge und gewitzte Frau gewesen, die es mit ihrer forschen und ehrlichen Art auch in Kauf genommen hatte, in den noblen Kreisen, in denen sich ihr Sohn als Großwesir bald bewegt hatte, hier und da anzuecken. Neugierig beugte Dinah sich vor und fixierte Scheherazade, die sich augenscheinlich alle Mühe gab, ein wichtiges Gesicht aufzusetzen.

»Großmutters Rat ist so simpel wie genial: Wenn du wissen willst, was ein Mann für ein Liebhaber ist, dann beobachte ihn dabei, wie er einen Granatapfel isst. So wirst du es erkennen.«

»Einen Granatapfel?«, fragte Dinah ungläubig nach, und Scheherazade nickte mit ernster Miene.

Sie wusste selbst nicht, was für eine Art von Geheimnis sie eigentlich erwartet hatte, doch dieser angebliche Granatapfeltest verblüffte sie völlig. Wollte Scheherazade sie auf den Arm nehmen? Dinah zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe.

»Schau mich nicht so ungläubig an!«, rief Scheherazade. »Sei lieber froh um den Rat. So kannst du dir auf einfache und schlaue Art eine Enttäuschung ersparen.« Sie kicherte in sich hinein.

»Hast du Schah Rayâr auch diesem ominösen Test unterzogen, bevor du ihn geheiratet hast?«

»Also bitte!« empört sich Scheherazade nun. »Er ist der König und deshalb über jeden Zweifel erhaben!«

»So, so«, antwortete Dinah grinsend. »Da hast du ja Glück gehabt«.

Dinah war versucht, das Ganze als Quatsch abzutun, doch wenn ihre Großmutter das wirklich gesagt hatte, dann war vielleicht etwas Wahres dran, egal wie lächerlich es klang.

»Guten Abend, verehrte Damen!«, ertönte plötzlich eine Männerstimme hinter ihnen. Dinah drehte sich um und erkannte Khan Bassam, der wie selbstverständlich durch die Pairidaeza auf sie zuschritt. Gerade hatte sie noch an ihre letzte Begegnung gedacht, doch dass sie ihn so bald wiedertreffen würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Erst nach endlosem Betteln hatte sie ihren Vater vor ein paar Tagen zu den Schaukämpfen in der Stadt begleiten dürfen. Dort war auch Khan Bassam mit einigen Gefolgsleuten im Publikum aufgetaucht. Die meisten Zuschauer hatten deren Anwesenheit für interessanter befunden als die Kämpfe selbst. Und wenn Dinah ehrlich war, war es ihr nicht anders gegangen. Schließlich galt sein Volk zwar als roh und brutal aber auch als stark und geheimnisvoll. Das Getuschel war allgegenwärtig gewesen, und jeder schien etwas über ihn zu sagen gehabt zu haben. Zum Beispiel, dass er in einem magischen Palast wohne, der nicht gefunden werden kann, und dass sein Volk in der Lage war, mit Tieren zu sprechen. Insgeheim freute Dinah sich, ihn wiederzusehen. Doch in dieser vertrauten Umgebung wirkte er in seiner braunen Lederrüstung wie ein unerhörter Eindringling, und eine unterschwellige Bedrohung ging von ihm aus.

Khan Bassam ignorierte die erschrockenen Gesichter der Schwestern. Als er sie erreicht hatte, verbeugte er sich tief und setzte dabei ein Knie auf den sandigen Boden.

»Verehrte Scheherazade, eure Schönheit übertrifft die Erzählungen, die mir zu Ohren gekommen sind, bei Weitem.« Dann wandte er sich dem Baby zu. »Und welch eine Ehre, dass ich den kleinen Thronfolger Zayriddin auch gleich kennenlernen darf.«

Dinah beobachtete den Wüstenkönig irritiert. Er bewegte sich hier so selbstverständlich. Aber wäre er im Palastgarten nicht willkommen, so hätten die Wächter an den großen Pforten ihm sicherlich den Zutritt verweigert. Vermutlich bestand gar kein Grund zur Sorge. Und außerdem gab Khan Bassam sich überraschend galant.

»Meine teure Dinharazade«, wandte er sich nun an sie und ergriff ihre Hand. Überrumpelt zuckte sie zusammen und schaute ihn verdutzt an. Khan Bassams kinnlanges, gewelltes Haar, war so schwarz wie seine funkelnden Augen, die sie nun eindringlich anblickten. Sein Gesicht war ebenmäßig, die Züge fast sanft. Doch der Schatten an seinen Wangen, der verriet, dass die letzte Rasur schon ein paar Tage zurücklag, und eine kleine Narbe, die sich schräg über die rechte Augenbraue zog, verliehen ihm eine Spur von Verwegenheit.

»Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, Euch wiederzusehen.« Dabei senkte er den Kopf, doch anstatt den Handkuss nur anzudeuten, streifte er mit Nase und Lippen sanft über ihren Handrücken. Dinah zog scharf die Luft ein, und Khan Bassam beantwortete ihre Empörung mit einem unschuldigen Lächeln. Der Blick seiner schwarzen Augen hielt ihren fest. Und sie vergaß darüber völlig, ihre Hand zurückzuziehen.

»Was führt Euch zu uns?«, erkundigte Scheherazade sich. Ihre Stimme brach den Bann, und endlich lösten sich die beiden voneinander.

Khan Bassam setzte sich unaufgefordert zu ihnen und holte ein Holzkästchen und ein golden glänzendes, verziertes Fläschchen aus seiner Ledertasche.

»Ich habe Euch etwas mitgebracht, Königin Scheherazade.« Interessiert betrachtete sie seine Gaben. »Was ist das?«

In diesem Moment löste Khan Bassam ein weiteres Fläschchen von seinem Gürtel, öffnete es und legte es hinter sich in den Sand. Für Scheherazade war es wohl durch den Wüstenkönig verdeckt, doch Dinah beobachtete, wie etwa ein Dutzend Skorpione, die aus den Weiten des Gartens zu kommen schienen, auf das Fläschchen zu krabbelten. Die kleinen Tiere lösten sich an der Öffnung in blauen Dunst auf, der in die Flasche hineinzog.

Sie hielt den Atem an. Spannung kribbelte durch ihren ganzen Körper. Die Geschichten, die man über das Wüstenvolk und deren geheimnisvollen Bräuche und Geister erzählte, waren tatsächlich wahr! Die Leute sagten, das Getier der Wüste sei ihre mächtigste Waffe. Doch Dinah hatte sich darauf bislang keinen Reim machen können.

»Ich möchte Euch bitten, das Kästchen erst später zu öffnen. Darin ist lediglich ein Gesuch, das Euer Gemahl und Ihr in Eurer bekannten Weisheit und Güte bitte prüfen möget. Außerdem befindet sich darin eine Brieftaube, mit der Ihr mir Eure Antwort übermitteln könnt.«

Scheherazade runzelte misstrauisch die Stirn. »Ich werde die Kiste natürlich von unserem Waffenbaumeister untersuchen lassen, bevor sie zu Schah Rayâr gebracht wird.«

Khan Bassams Lächeln war unverrückbar, und Scheherazades Worte schienen ihn ehrlich zu belustigen. »Natürlich.«

Er drehte sich kurz um und nahm das Fläschchen mit den geisterhaften Skorpionen wieder an sich, verstöpselte es sorgfältig und hängte es zurück an seinen Gürtel. Dinah bemerkte interessiert, dass sich dort noch zwei weitere solcher Fläschchen befanden.

»Was war das?«, platzte Dinah heraus. Sie musste ihn einfach danach fragen. So etwas wie diese Skorpione hatte sie noch nie gesehen.

Khan Bassam legte den Kopf schief und erwiderte ihren Blick. »Diese Fläschchen hier meint Ihr?«, erkundigte er sich mit Unschuldsmiene. Dinah hatte das deutliche Gefühl, dass er versuchte, sich vor einer Antwort zu drücken.

Sie nickte ungeduldig, während Scheherazade überrascht zwischen ihnen hin und her blickte.

»Ich hätte wissen sollen, dass sie Eurem aufmerksamen Auge nicht entgehen«, meinte er lächelnd.

»Nun?«, fragte Dinah stur nach.

»Darin sind Flaschengeister«, gab er schließlich zu.

»Ihr dringt in den Palastgarten ein und tragt dabei magische Waffen an Eurem Gürtel?«, schaltete sich Scheherazade nun wieder in das Gespräch ein. Sie hatte die Augenbrauen zusammengezogen und machte ein Gesicht wie eine strenge Mutter. Die Rolle beherrschte sie schon jetzt ausgezeichnet.

»Aber, verehrte Königin«, antwortete Khan Bassam in beschwichtigendem Tonfall. »Nicht alle Flaschengeister sind Waffen. Viele von ihnen haben völlig andere Fähigkeiten.« Mit diesen Worten schob er das Fläschchen, das er zusammen mit der Holzkiste ausgepackt hatte, näher an Scheherazade heran. Es ähnelte jenen, die an seinem Gürtel hingen, nur dass es kunstvoll verziert war.

»Was ist das?« Nun konzentrierte auch Scheherazade sich auf das Fläschchen, das zwischen ihnen auf dem Boden stand und im Sonnenlicht golden glänzte.

»Das ist ein Flaschengeist. Ihr könnt ihn ebenfalls gerne überprüfen lassen, doch ich versichere Euch, dass seine Absichten gänzlich friedlicher Natur sind.« Khan Bassam hob lachend beide Hände, als wolle er sich ergeben. Sein Charme besänftigte ihre Schwester. Hätte sie gerade ebenfalls die Skorpione gesehen, würde sie sich bestimmt nicht so leicht um den Finger wickeln lassen und hätte längst um Hilfe gerufen.

»Aber …«, setzte sie erneut an.

»Gleich, Dinah«, würgte ihre Schwester sie ab. Khan Bassams Geschenk hatte ihr Interesse geweckt.

Unbehaglich schaute Dinah sich nach den Wachen um.

»Und was kann er?«, wollte Scheherazade nun wissen.

»Er ist ein fantastischer Geschichtenerzähler. Zwar wird er bestimmt Mühe haben, mit Dinharazades Fantasie und Erzählkunst mitzuhalten, doch ich denke, er wird während ihrer Abwesenheit trotzdem ein würdiger Ersatz sein.«

Entsetzt schauten die beiden Frauen ihn an, und Scheherazade schlug sich gar die Hand vor den Mund. Wie konnte Khan Bassam von ihrem Geschichtengeheimnis wissen? Und wieso ging er davon aus, dass Dinah Samarqand verlassen würde?

»Woher?«, stammelte die Königin.

Khan Bassam winkte ab.

»Ich bitte Euch, Majestät, verschwendet diesen wunderschönen Tag nicht mit einfältigen Fragen. Das steht Euch nicht gut zu Gesicht.« Der Wüstenkönig umfasste sein Knie mit beiden Händen und lehnte sich selbstgefällig zurück. Er genoss die Verwirrung, die er gestiftet hatte, sichtlich.

»Mit Verlaub, verehrte Scheherazade«, ergriff er wieder das Wort, »nur ein Narr könnte auf die Idee kommen, Euch töten zu lassen, wenn er sich stattdessen auch einfach jeden Tag aufs Neue an Eurer Schönheit erfreuen könnte. Noch dazu wo Ihr dem König jetzt auch noch einen solch prächtigen Erben geschenkt habt.«

Er beugte sich vor und fixierte Scheherazade, die während seiner Worte förmlich erstarrt war und seinen Blick ohne jede Regung wie eine steinerne Maske erwiderte. »Und Euer Schah ist doch wohl kein Narr, oder?«

Kapitel 3

Die Luft zwischen Scheherazade und Khan Bassam war während seiner Worte zum Schneiden dick geworden. Dinah war sich sicher, dass ihre Schwester ihm für seine Dreistigkeit am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte.

»Ich gehe nirgendwohin!«, rief sie in das bedrohliche Schweigen hinein. Khan Bassam wandte sich ihr zu und sah sie lange an. Dinah meinte, eine Spur von Bedauern oder gar Mitleid in seinen Zügen zu lesen.

»Doch, meine Teuerste, das werdet Ihr.« Damit stand er auf und klopfte sich den Staub von der Kleidung. Dann beugte er sich zu Dinah herunter und hielt ihr erwartungsvoll die Hand entgegen, als wolle er auch ihr aufhelfen. Verständnislos schaute sie ihn an.

»Was soll das?«, rief sie und war froh zu hören, dass ihre Stimme nicht zitterte, obwohl ihr immer mulmiger wurde.

Khan Bassam seufzte, als müsse er sich einem Schicksal ergeben, das er hatte vermeiden wollen. »Ich entschuldige mich für alle Unannehmlichkeiten, liebe Dinharazade. Aber ich werde Euch nun entführen.«

Ihre Schwester japste nach Luft und rief nach den Wachen, was dem Wüstenkönig jedoch keinerlei Reaktion entlockte. Er stand nur da, hielt Dinah die Hand entgegen und schaute sie fast bittend an.

Überfordert knetete Dinah ihren kleinen Finger, wie sie es immer tat, wenn sie angestrengt nachdachte. »Das ist völlig absurd!« Sie versuchte, Bestimmtheit und Ablehnung in ihre Stimme zu legen.

Scheherazades Rufe nach der Garde blieben vergeblich. Nun wiegte sie hilflos ihr Kind hin und her, das in der Aufregung drohte aufzuwachen. Wo blieben die Wachen bloß? Gab es hier womöglich eine Verschwörung?

Khan Bassam löste ein Fläschchen von seinem Gürtel. Einen Augenblick zögerte er, doch schließlich zog er den Korken heraus und machte eine Handbewegung, als wolle er den Inhalt herausschleudern. Dunkel­blauer Rauch stieg aus dem Fläschchen auf, der ebenso aussah wie jener, in den sich die Skorpione vorhin aufgelöst hatten. Doch Dinah hatte gesehen, dass er diesmal ein anderes Fläschchen gewählt hatte. Gespannt hielt sie den Atem an und beobachtete die dunkelblaue Wolke, die sich verdichtete und anwuchs, bis sie sich schließlich zu einem Körper materialisierte. Entsetzt erkannte Dinah, dass sie die Form einer großen, sich aufbäumenden Schlange annahm. Scheherazade schrie auf und drückte ihr Baby angsterfüllt an sich. Auch Dinaharazade zuckte geschockt vor dem großen, schwarzen Tier zurück. Es züngelte ihnen entgegen und schien sich dann tatsächlich vor dem Wüstenkönig zu verbeugen.

»Lauf!«, flüsterte Dinah ihrer Schwester zu. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Keuchen, doch Scheherazade verstand. Einen Moment, der Dinah unerträglich lang erschien, zögerte sie, dann schaute sie auf ihr Baby, das hilflos in ihren Armen lag. Endlich riss Scheherazade sich aus ihrer Schockstarre und rappelte sich auf. Prompt drehte die Schlange sich zu ihr um. Dinah sprang in die Hocke und schleuderte Sand auf die Geisterkobra und ihren Herrn, um sie von Scheherazade abzulenken. Die stolperte in ihrer Hast mehr davon, als dass sie rannte. Die Schlange bäumte sich erbost auf und zischte Dinah an. Dann züngelte das Tier ihrer Schwester hinterher und wiegte den Kopf, ganz so, als sei es unschlüssig, ob es ihr folgen oder sich auf Dinah konzentrieren sollte.

»Ihr beeindruckt mich, Dinharazade«, hörte sie Khan Bassam sagen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Dinah konnte weder an seinem Tonfall noch an seiner Miene ablesen, ob sie ihn verärgert hatte. Selbst wenn. Wenigstens würden Scheherazade und Zayriddin gleich in Sicherheit sein.

Da schnipste Khan Bassam mit den Fingern, und die Schlange wandte sich von Dinah ab. Gerade, als sie erleichtert ausatmen wollte, bemerkte sie entsetzt, dass das geisterhafte Tier mit schnellen kräftigen Schwüngen die Verfolgung ihrer Schwester aufnahm. Sekunden später hatte es sie eingeholt und baute sich bedrohlich vor ihr auf. Dinah schlug sich erschrocken die Hand vor dem Mund.

»Genug jetzt!«, rief Khan Bassam. Die Schlange verharrte vor Scheherazade, die sich ängstlich duckte und keinen Schritt mehr wagte. Zayriddin beschwerte sich lautstark, dass seine Mutter ihn mit ihrer Flucht so unsanft geweckt hatte. Sein Schreien schallte durch den Palastgarten und zerrte an Dinahs strapazierten Nerven.

Erst als sie ihren Blick von Scheherazade löste, bemerkte sie, dass Khan Bassam sich wieder zu ihr gebeugt hatte und ihr seine Hand auffordernd entgegenhielt. Zögerlich legte sie ihre hinein und ließ sich von ihm auf die wackligen Beine ziehen. Sie konnte ihre Schwester und ihren Neffen unmöglich solcher Gefahr aussetzen. Galant bot Khan Bassam ihr seinen Arm, was Dinah angesichts der gegenwärtigen Situation äußerst höhnisch fand. Doch sie hatte keine andere Wahl, als sich bei ihm einzuhängen.

Als sie an ihrer Schwester vorbeikamen, hatte Zayriddin sich wieder etwas beruhigt. Doch Scheherazade stand der Schock nach wie vor ins Gesicht geschrieben. Sie zwinkerte unkontrolliert, als die Schlange sich von ihr und ihrem Kind abwandte, und Tränen quollen aus ihren Augen.

»Entschuldigt, meine Damen. So dramatisch war dieses Zusammentreffen eigentlich nicht geplant gewesen«, sagte Khan Bassam. Dinah schüttelte ungläubig den Kopf. Bei allen guten Mächten, sie wurde gerade tatsächlich entführt!

Wie ein Paar, das die Pracht der Pairidaeza bei einem Spaziergang genoss, schritten sie am Wassergraben entlang in Richtung des hinteren Ausgangs, wo sich die königlichen Plantagen am Rande der Stadt erstreckten. Nur die große, schwarze Schlange, die als geisterhafter Herold vor ihnen her kroch, trübte das friedliche Bild.

Als sie sich der Mauer näherten, die den Palastgarten begrenzte, keimte eine leise Hoffnung in Dinah auf. Sie hatte noch nie erlebt, dass die Wachen dort ihre Posten verlassen hätten. Und mit ihren blanken Säbeln würden sie dieser seltsamen Entführung sicherlich gleich ein längst fälliges Ende bereiten.

Doch als sie durch eines der großen Holztore in den Zwischengang schritten, in dem die königliche Garde sonst stand und den Palastgarten mit Adleraugen bewachte, da erstarb das zarte Pflänzchen von Dinahs Hoffnung, ehe es Gelegenheit bekommen hatte, Knospen zu tragen. Denn dort standen keine kampfbereiten Soldaten, um sie aus Khan Bassams Fängen zu befreien. Stattdessen lagen sie im Schatten der Mauer und hatten die Augen geschlossen. Fast hätte man meinen können, sie hätten ihre Pflicht vergessen und wären eingeschlafen. Doch einer von ihnen lag verrenkt, was nicht nach einem gemütlichen Nickerchen aussah. Und Dinah wusste ohnehin, dass sie niemals freiwillig ihre Posten verlassen hätten.

»Seid unbesorgt, meine Liebe, sie sind lediglich betäubt«, versicherte Khan Bassam, der wohl ihren entsetzten Blick bemerkt hatte. Dinah dachte an die Skorpione in der kleinen Flasche an seinem Gürtel. Sie hoffte inständig, er würde die Wahrheit sagen, sodass die Soldaten sich bald verdutzt aufrappeln konnten. Vor dem Palastgarten wurden sie von zwei prächtigen Pferden erwartet.

»Könnt Ihr reiten?«, wollte der Wüstenkönig wissen.

»Selbstverständlich!«, rief Dinah und gab sich kämpferisch. Sie war keine exzellente Reiterin, doch hatte sie durchaus einige Übung, da ihre Schwester geradezu verrückt nach Pferden war. Außerdem weckten die Tiere neue Hoffnung in Dinah. Vielleicht würde sich doch noch eine Gelegenheit zur Flucht ergeben. Dinah war fest entschlossen, sie zu nutzen. Khan Bassam lächelte sein unergründliches Lächeln, und ehe er ihr aufs Pferd helfen konnte, saß sie bereits im Sattel. Der Wüstenkönig schnalzte anerkennend mit der Zunge und wandte sich seinem eigenen Pferd zu. Schnell griff Dinah nach den Zügeln und trieb den Araberhengst an. Sie musste es nur in die verwinkelten Gassen von Samarqand schaffen. Dann würde sie ihren Heimvorteil nutzen und Khan Bassam leicht abhängen können.

Doch so sehr sie sich auch abmühte, das Pferd blieb stoisch stehen und tat keinen einzigen Schritt. Khan Bassam tat ganz so, als würde er ihre Anstrengungen nicht bemerken. Stattdessen pflückte er das Fläschchen von seinem Gürtel und lockte die große, schwarze Schlange dahin zurück, wo sie hergekommen war.

Als er selbst im Sattel saß, gab er Dinahs Pferd einen Klaps auf die Flanke, und schon setzte es sich, ohne zu zögern, in Bewegung. Die beiden Araber jagten durch die Plantagen. Dinahs Pferd blieb Khan Bassams nah auf den Fersen, egal in welche Richtung sie versuchte, es zu lenken.

Da erblickte sie in der Ferne eine Gruppe Männer, die mit groben Hacken ein Feld bearbeiteten. Dinah fing an, zu schreien. Obwohl sie weit weg waren, wurde einer der Arbeiter auf sie aufmerksam. Dinah dankte den guten Mächten im Stillen und fuchtelte wild mit einem Arm. Doch der Mann schien ihr Gestikulieren völlig falsch zu verstehen und winkte ihr zögerlich zurück. Dinahs Hilferufe verhallten irgendwo auf halbem Weg zwischen Obstbäumen und Gemüsestauden.

Enttäuscht gab sie ihre Bemühungen auf und sich dem Galopp hin. Ihre Gedanken rasten mit den Pferden um die Wette. Was hatte das nur alles zu bedeuten? Nahm der Wüstenkönig sie womöglich als Geisel, um ihren Vater oder Schah Rayâr zu erpressen? Und was würde er wohl für ihre Freilassung fordern? Dinah war sich sicher, dass ihre Familie alles tun würde, um sie zu retten. Der Gedanke beruhigte sie. So grotesk die ganze Situation auch war, schon bald würde dieser Spuk ein Ende haben.

Wenig später hatten sie Schah Rayârs Plantagen und auch die letzten Häuser Samarqands hinter sich gelassen und ritten immer weiter am Goldfluss entlang in Richtung der roten Wüste.

Als die Stadt außer Sichtweite geraten war, und nur noch die wilde, zerklüftete Natur mit schroffen Felsen und dem Rauschen des Flusses sie umgab, wurde Dinah mit jedem Augenblick mulmiger zumute. Im Grunde hatte sie nicht angenommen, dass Khan Bassam es mit dieser Entführung soweit schaffen würde, ohne aufgehalten zu werden. Nun allein mit ihm durch die Wildnis zu reiten, war beängstigender, als ihr lieb war.

Dass der Wüstenkönig den Pfad, der am Goldfluss entlang führte, plötzlich verließ und die Pferde durch die Felsen gen Norden klettern ließ, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Bisher waren sie leicht zu verfolgen gewesen, doch Steppe und Wüste waren seine Gefilde. Hier war er im Vorteil, und ihre Spur würde sich verlieren. Dinah schaute panisch zurück zur Stadt, doch weit und breit war niemand zu sehen. Keiner kam, um sie zu retten.

Als die Pferde den kurzen, beschwerlichen Aufstieg geschafft hatten, konnte Dinah die Dünen der Wüste sehen. Wellen aus rotem Sand küssten den blauen Himmel am Horizont. Unter anderen Umständen wäre sie wohl von der Schönheit des Augenblicks geblendet gewesen. Doch nun raubte ihr Angst statt Bewunderung den Atem.

»Die Soldaten des Palastes haben sicherlich längst die Verfolgung aufgenommen! Irgendwann müssen wir rasten, und spätestens dann werden sie uns finden!«, rief sie verzweifelt.