Die Erlöser des Wüstenplaneten - Herbert Brian - E-Book

Die Erlöser des Wüstenplaneten E-Book

Herbert Brian

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Beschreibung

Immer noch ruft mich die Wüste. Sie singt in meinem Blut …

Die Menschheit steht vor ihrer endgültigen Auslöschung. Eine Maschinenarmee rückt an allen Fronten vor, erobert einen Planeten nach dem anderen, löscht die Bevölkerung mit Seuchen aus und überzieht unzählige Welten mit Feuer aus ihren riesigen Schlachtschiffen. Die Streitkräfte der Menschheit sind hoffnungslos unterlegen und unterwandert von den Gestaltwandlern der Maschinen. Die Vereinigte Schwesternschaft und die Geehrten Matres haben ihre letzte Hoffnung auf den Ghola von Paul Atreides gesetzt, doch die Pläne schlagen fehl: Paul ist nicht der erhoffte Kwisatz Haderach, der nach den alten Überlieferungen die Menschheit in die letzte Schlacht führen soll. Doch wer ist der verheißene Erlöser, der den grausamen Krieg zwischen Menschen und Maschinen beenden kann?

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Seitenzahl: 808

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BRIAN HERBERT &

KEVIN J. ANDERSON

 

 

 

DIE ERLÖSER DES

WÜSTENPLANETEN

Ein Roman aus dem Wüstenplanet-Zyklus

 

 

 

 

 

 

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Mit dem Wüstenplanet-Zyklus hat Frank Herbert eine Zukunftssaga geschaffen, die den größten Teil unserer Galaxis und einen Zeitraum von Tausenden von Jahren umfasst und in ihrer epischen Wucht und ihrem außerordentlichen Detailreichtum nur mit J. R. R. Tolkiens »Herr der Ringe« zu vergleichen ist. Nach dem Tod des Autors 1986 schien diese Saga – zum Bedauern von Millionen von Leserinnen und Lesern rund um die Welt – zu einem Abschluss gekommen zu sein. Doch nun geht das Abenteuer weiter: Gestützt auf den umfangreichen Nachlass seines Vaters und gemeinsam mit dem bekannten Star-Wars-Autor Kevin J. Anderson setzt Frank Herberts Sohn Brian Herbert das atemberaubende Epos fort.

 

Die Menschheit steht vor ihrer endgültigen Auslöschung. Eine jegliches Leben vernichtende Maschinenarmee rückt an allen Fronten vor, erobert einen Planeten nach dem anderen, löscht mit tödlichen Seuchen die Bewohner aus, verwandelt ganze Planeten mit dem Feuer ihrer riesigen Schlachtschiffe in Ödland. Billionen Menschen haben bereits den Tod gefunden, denn die Streitkräfte der Menschheit sind hoffnungslos unterlegen. Die Mannschaften ihrer Schiffe sind von Gestaltwandlern unterwandert, die im Dienst des Allgeistes Omnius stehen, des galaktischen Universalcomputers. Sie sabotieren die Antriebe und machen die Waffen unbrauchbar. Die Vereinigte Schwesternschaft und die Geehrten Matres haben ihre letzte Hoffnung auf den Ghola von Paul Atreides gesetzt, den legendären Paul Muad'dib von Arrakis, doch die Pläne schlagen fehl: Er ist nicht der erhoffte Kwisatz Haderach, der nach den alten Überlieferungen die Menschheit in den Kralicek, die »Letzte Schlacht«, führen soll. Doch wer ist der verheißene Erlöser? Wer kann den grausamen Krieg zwischen Mensch und Maschine beenden?

 

 

 

 

Die Autoren

Brian Herbert, der Sohn des 1986 verstorbenen Wüstenplanet-Schöpfers Frank Herbert, hat selbst SF-Romane verfasst, darunter den in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstandenen »Mann zweier Welten«.

 

Kevin J. Anderson ist einer der meistgelesenen SF-Autoren unserer Zeit. Zuletzt ist von ihm die gefeierte »Saga der Sieben Sonnen« erschienen.

 

Die beiden Autoren haben mit »Die Chroniken des Wüstenplaneten« und »Die Legenden des Wüstenplaneten« bereits die große Vorgeschichte von Frank Herberts Epos erzählt.

 

Eine chronologische Liste des Wüstenplanet-Zyklus finden Sie am Ende dieses Buches.

 

 

 

 

 

www.diezukunft.de

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Titel der Originalausgabe

 

SANDWORMS OF DUNE

 

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen

 

 

 

Copyright © 2007 by Herbert Properties LLC

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlagbild: Stephen Youll

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München

Satz: Thomas Menne

 

ISBN 978-3-641-21014-4 V002

 

 

 

Auch dieses Buch ist für Frank Herbert, einen Mann mit großartigen und wunderbaren Ideen. Dem Genie, das diese unglaubliche Serie geschaffen hat, sind wir auf ewig zu Dank verpflichtet. Er war unser Mentor, seit wir neue Geschichten in seinem phantastischen Dune-Universum schreiben. Die Erlöser des Wüstenplaneten ist chronologisch das große Finale, wie er es sich vorgestellt hatte, und wir sind besonders glücklich darüber, es endlich seinen Millionen Fans zugänglich machen zu können.

Danksagung

 

Wie bei allen vorangegangenen Dune-Romanen wurden wir von sehr vielen Menschen darin unterstützt, das Manuskript so gut wie möglich zu gestalten. Wir danken Pat LoBrutto, Tom Doherty und Paul Stevens von Tor Books, Carolyn Caughey von Hodder & Stoughton, Catherine Sidor, Louis Moesta und Diane Jones von WordFire, Inc., Penny Merritt, Kim Herbert und Byron Merritt von Herbert Properties LLC sowie Mike Anderson für die Internetseite dunenovels.com und Dr. Attila Torkos für die Überprüfung von Fakten und Schlüssigkeit.

Darüber hinaus hatten wir viele weitere Helfer bei der Arbeit an den neuen Dune-Romanen: John Silbersack, Robert Gottlieb und Claire Roberts von der Trident Media Group, Richard Rubinstein, Mike Messina, John Harrison und Emily Austin-Bruns von New Amsterdam Entertainment, Ron Merritt, David Merritt, Julie Herbert, Robert Merritt, Margaux Herbert und Theresa Shackleford von Herbert Properties LLC.

Und selbstverständlich würde es diese Bücher nicht geben, wenn wir nicht die ständige Hilfe und Unterstützung unserer Ehefrauen Janet Herbert und Rebecca Moesta Anderson hätten.

Kurz nach der Rückkehr der Geehrten Matres in das Alte Imperium lernte die Schwesternschaft der Bene Gesserit, sie zu hassen und zu fürchten. Die Eindringlinge setzten ihre schrecklichen Auslöscher ein, um Planeten der Bene Gesserit und der Tleilaxu zu vernichten. Auch die Industriewelt Richese mit ihren gewaltigen Waffenfabriken und selbst Rakis fiel ihnen zum Opfer.

Doch die Geehrten Matres benötigten verzweifelt das Wissen, das nur die Schwesternschaft besaß, um gegen den noch größeren Feind zu bestehen, der sie verfolgte. Um dieses Wissen zu erlangen, griffen sie wie gereizte Schlangen mit grausamer Gewalt an.

Nach der Schlacht auf Junction wurden die zwei verfeindeten Gruppen gezwungen, sich zur Neuen Schwesternschaft zu vereinigen. Dennoch setzten die Fraktionen ihren Kampf um die Vorherrschaft fort. Welche Verschwendung von Zeit, Begabung und Blut! Die wahre Bedrohung kam von außen, aber wir kämpften weiterhin gegen den falschen Feind.

Mutter Befehlshaberin Murbella,

Ansprache an die Neue Schwesternschaft

 

 

Zwei Menschen treiben in einem Rettungsboot über das offene Meer. Der eine sagt: »Da! Ich sehe eine Insel. Wir sollten die Chance nutzen, an Land zu gehen, uns eine Unterkunft zu bauen und auf Rettung zu warten.« Der andere sagt: »Nein, wir müssen weiter über das Meer treiben und hoffen, dass wir auf eine Schifffahrtsroute stoßen. Das ist unsere beste Chance.« Weil sie sich nicht einigen können, kämpfen die beiden gegeneinander, das Rettungsboot kentert, und sie ertrinken.

Das ist die Wesensart des Menschen. Selbst wenn es im gesamten Universum nur noch zwei von ihnen gäbe, würden sie unweigerlich gegensätzliche Standpunkte einnehmen.

Akoluthen-Handbuch der Bene Gesserit

 

 

Durch die Wiedererschaffung bestimmter Gholas verändern wir das Gewebe der Geschichte. Nun lebt Paul Muad'dib wieder unter uns, zusammen mit seiner geliebten Chani, seiner Mutter Lady Jessica und seinem Sohn Leto II., dem Gottkaiser des Wüstenplaneten. Die Präsenz des Suk-Arztes Wellington Yueh, dessen Verrat ein großes Haus in die Knie zwang, ist zugleich verstörend und tröstlich. Auch der Krieger-Mentat Thufir Hawat, der Fremen-Naib Stilgar und der große Planetologe Liet-Kynes existieren wieder. Welche Möglichkeiten sich daraus ergeben!

Sie bilden eine mächtige Armee. Wir werden ihre Genialität nötig haben, denn wir stehen einem Feind gegenüber, der schrecklicher ist, als wir uns vorstellen können.

Duncan Idaho,

Bekenntnisse nicht nur eines Mentaten

 

 

Ich habe fünfzehntausend Jahre lang gewartet, geplant und mich vorbereitet. Ich habe mich weiterentwickelt und bin stark geworden. Es wird Zeit.

Omnius

 

 

 

ERSTER TEIL

 

 

 

21 Jahre nach der Flucht

von Ordensburg

 

 

 

 

1

 

So viele Menschen, die ich einst gekannt habe, sind noch nicht wiedergeboren. Sie fehlen mir, obwohl ich mich nicht an sie erinnere. Die Axolotl-Tanks werden bald Abhilfe schaffen.

Lady Jessica, der Ghola

 

 

Während der Irrfahrt des Nicht-Schiffes Ithaka erlebte Jessica die Geburt ihrer Tochter, aber nur als Beobachterin. Sie war gerade erst vierzehn geworden, als sie sich gemeinsam mit vielen anderen in der medizinischen Abteilung drängte und zusah, wie sich zwei Suk-Ärzte der Bene Gesserit im Nebenraum bemühten, das winzige Mädchen aus einem Axolotl-Tank zu holen.

»Alia«, sagte eine Ärztin leise.

Dieses Kind war nicht Jessicas leibliche Tochter, sondern ein Ghola, der aus konservierten Zellen herangezüchtet worden war. Bisher war noch keiner der jungen Gholas an Bord des Nicht-Schiffes mit sich selbst identisch. Sie hatten noch keinen Zugang zu ihrer ursprünglichen Persönlichkeit und zu ihren Erinnerungen an die Vergangenheit gefunden.

Im Hintergrund ihres Bewusstseins versuchte etwas, an die Oberfläche zu gelangen, und obwohl es Jessica wie ein lockerer Zahn zu schaffen machte, konnte sie sich nicht an Alias erste Geburt erinnern. Im Archiv hatte sie immer wieder die legendären Berichte gelesen, die von Muad'dibs Biographen verfasst worden waren. Aber sie hatte keine eigene Erinnerung daran.

Sie kannte nur die Bilder in den historischen Aufzeichnungen: Fremen umstanden einen trockenen, staubigen Sietch auf Arrakis. Jessica und ihr Sohn Paul waren auf der Fluchtund wurden von den Wüstenmännern aufgenommen. Herzog Leto war tot, von den Harkonnens ermordet. Als Schwangere hatte Jessica das Wasser des Lebens getrunken und den Embryo in ihr nachhaltig verändert. Seit dem Augenblick ihrer Geburt war die ursprüngliche Alia anders als normale Säuglinge gewesen. Sie hatte Zugang zu uraltem Wissen und Wahnsinn, sie konnte die Weitergehenden Erinnerungen anzapfen, ohne sich der Gewürzagonie aussetzen zu müssen. Sie war die Abscheulichkeit.

Das war eine andere Alia gewesen. Zu einer anderen Zeit und unter anderen Voraussetzungen.

Nun stand Jessica neben ihrem »Sohn« Paul, dem Ghola, der chronologisch ein Jahr älter als sie war. Paul wartete an der Seite seiner geliebten Fremen-Gefährtin Chani und dem neunjährigen Ghola eines Jungen, der wiederum ihr gemeinsames Kind war, Leto II. In ihrer ersten Lebensversion war dies Jessicas Familie gewesen.

Der Orden der Bene Gesserit hatte diese historischen Gestalten wiederbelebt, damit sie den Kampf gegen den schrecklichen Äußeren Feind unterstützten, von dem sie gejagt wurden. Sie hatten Thufir Hawat, den Planetologen Liet-Kynes, den Fremen-Führer Stilgar und selbst den berüchtigten Dr. Yueh. Und nun, nachdem man sie innerhalb des Ghola-Programms fast ein Jahrzehnt lang zurückgehalten hatte, war auch Alia zur Gruppe gestoßen. Andere würden bald folgen. Die drei noch übrigen Axolotl-Tanks waren bereits mit neuen Kindern schwanger: Gurney Halleck, Serena Butler, Xavier Harkonnen.

Duncan Idaho warf Jessica einen fragenden Blick zu. Der ewige Duncan mit sämtlichen Erinnerungen aus all seinen früheren Leben … Sie fragte sich, was er über das neue Ghola-Baby denken mochte, eine Blase aus der Vergangenheit, die an die Oberfläche der Gegenwart stieg. Vor langer Zeit war der erste Duncan-Ghola Alias Gemahl gewesen …

 

Duncan war nicht anzumerken, wie alt er war. Der erwachsene Mann mit dem dunklen, drahtigen Haar sah genauso aus wie der Held aus den vielen historischen Aufzeichnungen, von der Zeit des Muad'dib über die fünfunddreißig Jahrhunderte währende Herrschaft des Gottkaisers bis jetzt, weitere fünfzehn Jahrhunderte später.

Verspätet und gehetzt stürmte der alte Rabbi in die Geburtskammer, begleitet vom zwölfjährigen Wellington Yueh. Die Stirn des jungen Yueh wurde nicht von der karoförmigen Tätowierung der berühmten Suk-Schule geziert. Der bärtige Rabbi schien zu glauben, er könnte den schlaksigen Jungen davor bewahren, die schrecklichen Verbrechen zu wiederholen, die er in seinem früheren Leben begangen hatte.

In diesem Moment blickte der Rabbi mürrisch drein, wie er es unweigerlich tat, wenn er in die Nähe der Axolotl-Tanks kam. Da die Bene-Gesserit-Ärzte ihn ignorierten, ließ der alte Mann sein Missfallen an Sheeana aus. »Nach Jahren der Vernunft haben Sie es wieder getan! Wann werden Sie damit aufhören, Gott herauszufordern?«

Nach einem unheilvollen prophetischen Traum hatte Sheeana einen vorläufigen Aufschub für das Ghola-Projekt verhängt, das sie von Anfang an mit großer Leidenschaft verfolgt hatte. Doch ihr kürzliches Martyrium auf dem Planeten der Bändiger, wo sie beinahe von Jägern des Feindes gefangen genommen worden war, hatte Sheeana gezwungen, diese Entscheidung zu überdenken. Die große historische und strategische Erfahrung der wiedererweckten Gholas mochte sich als stärkste Waffe erweisen, die das Nicht-Schiff aufzubieten hatte. Sheeana hatte sich entschieden, das Risiko einzugehen.

Vielleicht wird Alia eines Tages unsere Rettung sein, dachte Jessica. Oder einer der anderen Gholas …

Sheeana hatte das Schicksal herausgefordert und an diesem ungeborenen Ghola ein Experiment vorgenommen, damit das Kind der ursprünglichen Alia noch ähnlicher wurde. Sie hatte den Zeitpunkt geschätzt, als die ursprüngliche Jessica während ihrer Schwangerschaft das Wasser des Lebens zu sich genommen hatte, und die Suk-Ärzte der Bene Gesserit angewiesen, den Axolotl-Tank mit einer fast tödlichen Überdosis Gewürz zu fluten. Um den Fötus damit zu sättigen. Um zu versuchen, eine zweite Abscheulichkeit zu erschaffen.

Jessica war entsetzt gewesen, als sie davon erfahren hatte – aber zu spät, um noch etwas dagegen unternehmen zu können. Wie würde das Gewürz den Embryo beeinflussen? Eine Überdosis Melange war etwas anderes, als sich der Agonie zu unterziehen.

Eine Suk-Ärztin sagte zum Rabbi, dass er sich aus der Geburtskammer entfernen sollte. Mit finsterer Miene hob der alte Mann zitternd die Hand, als wollte er das blasse Fleisch des Axolotl-Tanks segnen. »Ihr Hexen glaubt, dass diese Tanks keine Frauen mehr sind, dass sie nicht mehr menschlich sind – aber das ist immer noch Rebecca. Sie ist und bleibt ein Kind meiner Herde.«

»Rebecca erfüllt eine überlebenswichtige Aufgabe«, sagte Sheeana. »Alle Freiwilligen wussten genau, was sie taten. Sie hat ihre Verantwortung angenommen. Warum können Sie es nicht?«

Der Rabbi wandte sich verzweifelt dem jungen Mann an seiner Seite zu. »Sprich du zu ihnen, Yueh. Vielleicht werden sie auf dich hören.«

Jessica hatte den Eindruck, dass der bleiche junge Ghola die Tanks eher mit Faszination als mit Empörung betrachtete. »Als Suk-Arzt«, sagte er, »habe ich schon viele Kinder zur Welt gebracht. Aber noch nie eins wie dieses. Zumindest glaube ich es nicht. Manchmal bin ich verwirrt, weil ich keinen Zugang zu meinen Ghola-Erinnerungen habe.«

»Rebecca ist ein Mensch, nicht nur irgendeine biologische Maschine, die Melange und Gholas ausbrüten soll. Das musst du doch einsehen!« Die Stimme des Rabbi wurde lauter.

Yueh zuckte die Achseln. »Weil ich auf dieselbe Weise geboren wurde, kann ich das nicht völlig objektiv beurteilen. Wenn meine Erinnerungen wiederhergestellt wären, würde ich Ihnen vielleicht zustimmen.«

»Du brauchst keine Originalerinnerungen, um denken zu können! Du kannst doch denken, oder?«

»Das Baby ist bereit«, unterbrach sie eine Ärztin. »Wir müssen es jetzt dekantieren.« Sie wandte sich ungeduldig an den Rabbi. »Lassen Sie uns jetzt unsere Arbeit tun – sonst könnte auch der Tank Schaden erleiden.«

Mit angewidertem Schnauben drängte sich der Rabbi durch die Menschen in der Geburtskammer. Yueh blieb und sah weiter zu.

Eine der Suk-Frauen band die Nabelschnur ab, die vom organischen Tank zum Kind führte. Eine kleinere Kollegin durchschnitt die fleischfarbene Verbindung. Dann wusch sie das blutverschmierte Baby und hob die kleine Alia in die Luft. Das Kind stieß sofort einen lauten Schrei aus, als hätte es kaum erwarten können, geboren zu werden. Jessica seufzte erleichtert über die gesunde Stimme, die ihr verriet, dass dieses Mädchen keine Abscheulichkeit war. Die Original-Alia hatte bei ihrer Geburt angeblich mit den Augen und der Intelligenz eines Erwachsenen in die Welt hinausgeblickt. Das Geschrei dieses Babys klang normal. Doch dann verstummte es abrupt.

Während sich eine Ärztin um den erschlafften Axolotl-Tank kümmerte, trocknete die andere das Kind ab und hüllte es in eine Decke. Jessica spürte unwillkürlich ein Zerren an ihrem Herzen und hätte am liebsten nach dem Baby gegriffen, um es zu halten, aber sie konnte diesen Impuls unterdrücken. Würde Alia plötzlich zu sprechen beginnen, mit Stimmen aus den Weitergehenden Erinnerungen? Doch das Baby blickte sich nur in der medizinischen Abteilung um, offenbar ohne den Blick auf etwas Bestimmtes konzentrieren zu können.

Andere würden sich um Alia kümmern, ähnlich wie die Bene-Gesserit-Schwestern neugeborene Mädchen unter ihre Fittiche nahmen. Die erste Jessica, die unter den prüfenden Augen von Zuchtmeisterinnen zur Welt gekommen war, hatte niemals eine Mutter in herkömmlicher Hinsicht gehabt. Genauso wenig wie diese Jessica, diese Alia oder irgendein anderes der Ghola-Babys. Die neue Tochter würde gemeinschaftlich in einer improvisierten Gesellschaft aufgezogen werden, und man würde ihr mehr wissenschaftliche Neugier als Liebe entgegenbringen.

»Was sind wir doch für eine seltsame Familie«, flüsterte Jessica.

2

 

Menschen sind niemals zur absoluten Genauigkeit fähig. Trotz all des Wissens, das wir von zahllosen »Botschaftern« der Gestaltwandler übernommen haben, stehen wir vor einem verwirrenden Bild. Dennoch gewinnen wir durch die mangelhaften Berichte aus der menschlichen Geschichte amüsante Einsichten in die Irrungen der Menschheit.

Erasmus,

Aufzeichnungen und Analysen, Backup-Version 242

 

 

Trotz jahrzehntelanger Bemühungen hatten die Denkmaschinen das Nicht-Schiff und seine kostbare Fracht immer noch nicht aufspüren können. Das hielt den Computer-Allgeist jedoch nicht davon ab, seine gewaltige Vernichtungsflotte gegen die Reste der Menschheit in Marsch zu setzen.

Duncan Idaho konnte sich Omnius und Erasmus immer wieder entziehen, obwohl sie ständig aufs Neue ihr schimmerndes Tachyonennetz ins Nichts auswarfen, um nach ihrer Beute zu fischen. Die Tarnungsfähigkeit des Nicht-Schiffes machte es unter normalen Umständen unsichtbar, aber von Zeit zu Zeit erhaschten die Verfolger einen flüchtigen Blick, als wäre es hinter Gebüsch versteckt. Anfangs war die Jagd eine Herausforderung gewesen, aber nun wurde der Allgeist immer frustrierter.

»Du hast das Schiff schon wieder verloren«, drang Omnius' dröhnende Stimme aus den Lautsprechern in der Wand der zentralen, kathedralengleichen Halle in der Technologiemetropole Synchronia.

»Unzutreffend. Ich muss es zuerst finden, bevor ich es verlieren kann.« Erasmus bemühte sich, unbesorgt zu klingen, als er seine Flussmetallhaut veränderte und die Maske einer liebenswürdigen alten Frau gegen die vertrautere Erscheinung eines Roboters mit Platinhaut austauschte.

Wie majestätische Baumstämme ragten Metallspitzen über Erasmus auf und bildeten eine gewölbte Kuppel innerhalb der Maschinenhalle. Photonen flirrten von den aktivierten Oberflächen der Säulen und badeten sein neues Labor in helles Licht. Er hatte sogar einen leuchtenden Brunnen installiert, in dem Lava brodelte – eine sinnlose Dekoration, aber der Roboter gönnte sich häufig solche künstlerischen Schwächen. »Werde nicht ungeduldig. Denke an die mathematischen Extrapolationen. Alles ist wunderbar vorherbestimmt.«

»Deine mathematischen Extrapolationen sind vielleicht nicht mehr als Wunschdenken. Wie kann ich wissen, ob sie korrekt sind?«

»Weil ich gesagt habe, dass sie korrekt sind.«

Mit dem Start der Maschinenflotte hatte endlich der seit langem vorhergesagte Kralizec begonnen. Kralizec … Armageddon … die Schlacht am Ende des Universums … Ragnarök … Arafel … die Endzeit … die Wolkenfinsternis. Es war eine Zeit fundamentaler Veränderungen, wenn sich die kosmische Achse des gesamten Universums verschob. Legenden der Menschen hatten ein derartiges kataklysmisches Ereignis seit den Anfängen der Zivilisation vorhergesagt. Die Menschheit hatte sogar schon mehrere Wiederholungen ähnlicher Kataklysmen durchlaufen: Butlers Djihad, Paul Muad'dibs Djihad, die Herrschaft des Tyrannen Leto II. Durch die Manipulation von Computerextrapolationen hatte Erasmus Erwartungen in Omnius geweckt und die Kette von Ereignissen initiiert, die eine andere fundamentale Verschiebung auslösen würden. Der Einfluss von Prophezeiungen auf die Realität oder umgekehrt – im Grunde spielte die Reihenfolge gar keine Rolle.

Wie ein Pfeil zielten Erasmus' sämtliche komplexen Kalkulationen, die mittels unendlich verzweigter Routinen Trillionen von Daten abarbeiteten, auf ein einziges Resultat: Der finale Kwisatz Haderach – wer auch immer es sein würde – musste den Ablauf der Ereignisse am Ende des Kralizec bestimmen. Außerdem offenbarten die Extrapolationen, dass sich der Kwisatz Haderach an Bord des Nicht-Schiffes befand. Also war Omnius natürlich daran interessiert, dass eine solche Macht auf seiner Seite stand. Demzufolge mussten die Denkmaschinen dieses Schiff in ihre Gewalt bringen. Der Erste, der den finalen Kwisatz Haderach unter seine Kontrolle bekam, würde den Sieg erringen.

Erasmus verstand noch nicht zur Gänze, was dieser Übermensch tun könnte, wenn sie ihn lokalisiert und vereinnahmt hatten. Obwohl der Roboter die Menschheit über einen sehr langen Zeitraum studiert hatte, war er immer noch eine Denkmaschine, während das auf den Kwisatz Haderach nicht zutraf. Die neuen Gestaltwandler, die seit geraumer Zeit die Menschheit infiltriert hatten und dem Synchronisierten Imperium wichtige Informationen lieferten, standen irgendwo dazwischen, wie hybride biologische Maschinen. Sowohl er als auch Omnius hatten so viele Leben absorbiert, die von den Gestaltwandlern gestohlen worden waren, dass sie manchmal vergaßen, wer sie waren. Die ursprünglichen Tleilaxu-Meister hatten die Bedeutung dessen, was unter ihrer Mitwirkung erschaffen worden war, nicht vorhergesehen.

Der autonome Roboter wusste jedoch, dass er Omnius weiter unter Kontrolle behalten musste. »Wir haben genug Zeit. Du musst noch eine ganze Galaxis erobern, bevor wir den Kwisatz Haderach an Bord dieses Schiffes brauchen.«

»Ich bin froh, dass ich nicht gewartet habe, bis deine Suche Erfolg hat.«

Seit vielen Jahrhunderten hatte Omnius seine unbesiegbare Streitmacht aufgebaut. Mit konventionellen, aber äußerst leistungsfähigen Unterlichttriebwerken schwärmten die Abermillionen Maschinenraumschiffe nun aus und eroberten ein Sonnensystem nach dem anderen. Der Allgeist hätte auch die mathematischen Kompilatoren benutzen können, die neuen Ersatzsysteme zur Navigation, die seine Gestaltwandler der Raumgilde »geschenkt« hatten, doch es gab ein Element der Holtzman-Technologie, das zu unverständlich war. Etwas undefinierbar Menschliches wurde benötigt, um durch den Faltraum zu reisen, ein unfassbarer »Vertrauensvorschuss«. Der Allgeist würde niemals zugeben, dass diese bizarre Technik ihn tatsächlich sehr nervös machte.

Nach einer Reihe erster Scharmützel war die Flotte der robotischen Kriegsschiffe auf einen abgelegenen Vorposten der Menschen gestoßen, der in kürzester Zeit vernichtet worden war. Die Vorhut aus Drohnen erkundete die Planeten, die vor ihnen lagen, und verbreitete mit biologischen Waffen, die Erasmus entwickelt hatte, Seuchen. Wenn die eigentliche Maschinenflotte über einer Welt auftauchte, waren militärische Aktionen gegen die bereits im Sterben liegende Bevölkerung häufig überflüssig geworden. Jede Schlacht, selbst Zusammenstöße mit versprengten Gruppen der Geehrten Matres, war gleichermaßen entscheidend.

Um sich zu beschäftigen, ging der unabhängige Roboter die Datenströme durch, die von der Flotte geschickt wurden. Das war für ihn der vergnüglichste Teil. Ein summendes Wächterauge schwirrte vor ihm herum, und er verscheuchte es mit der Hand. »Wenn du mir gestatten würdest, mich zu konzentrieren, Omnius, finde ich vielleicht eine Möglichkeit, wie wir den Sieg über die Menschen beschleunigen können.«

»Wie kann ich mir sicher sein, dass du keine weiteren Fehler begehst?«

»Weil du volles Vertrauen in meine Fähigkeiten hast.«

Das Wächterauge huschte davon.

Während die Maschinenflotte einen Menschenplaneten nach dem anderen vernichtete, schickte Erasmus zusätzliche Anweisungen an die Invasionsstreitmacht. Wenn die infizierten Menschen von Krämpfen geschüttelt wurden, sich übergaben und aus allen Poren bluteten, plünderten Maschinenscouts beiläufig Datenbanken, Archive, Bibliotheken und andere Quellen. Das alles war etwas ganz anderes als die Informationen, die aus den Personen gewonnen werden konnten, die eher zufällig von Gestaltwandlern assimiliert wurden.

Mit den vielen neuen Daten, die hereinströmten, konnte sich Erasmus endlich wieder als Wissenschaftler betätigen, wie er es auch schon vor sehr langer Zeit getan hatte. Die Suche nach wissenschaftlichen Wahrheiten war stets der eigentliche Sinn seiner Existenz gewesen. Nun war die Flut größer als je zuvor. Froh über so viele neue Informationen und unverarbeitete Daten widmete er seinen komplexen Geist den nackten Fakten und Lebensgeschichten.

Nach der angeblichen Vernichtung der Denkmaschinen vor über fünfzehntausend Jahren hatten sich die fruchtbaren Menschen ausgebreitet, verschiedene Kulturen aufgebaut und vernichtet. Erasmus war fasziniert, wie die Familie Butler nach der Schlacht von Corrin ein Imperium begründet und es zehntausend Jahre lang unter dem Namen Corrino beherrscht hatte, abgesehen von ein paar Lücken und Interregna, nur um schließlich von einem fanatischen Anführer namens Muad'dib gestürzt zu werden.

Paul Atreides. Der erste Kwisatz Haderach.

Doch eine viel fundamentalere Veränderung war von seinem Sohn Leto II. ausgelöst worden, der auch als Gottkaiser oder Tyrann bezeichnet wurde. Ein weiterer Kwisatz Haderach, eine einzigartige Symbiose aus Mensch und Sandwurm, der dreitausendfünfhundert Jahre lang eine drakonische Herrschaft ausgeübt hatte. Nach seiner Ermordung hatte sich die menschliche Zivilisation fragmentiert. Die Menschen waren in die fernsten Regionen der Galaxis geflohen, und in der Diaspora hatte die Not sie härter gemacht, bis die schlimmste Art von Menschen – die Geehrten Matres – ins neu erwachte Maschinenimperium eingefallen war.

Ein anderes Wächterauge huschte herbei und scannte die Daten, die Erasmus las. Omnius sprach durch die Resonanzflächen in den Wänden. »Ich finde ihre Widersprüchlichkeit – als Tatsache betrachtet – äußerst beunruhigend.«

»Sie mag beunruhigend sein, aber sie ist auch faszinierend.« Erasmus wandte sich von den historischen Daten ab. »Ihre Lebensgeschichten zeigen, wie sie sich selbst und das Universum sehen. Offenkundig brauchen diese Menschen wieder jemanden, der eine strenge Herrschaft ausübt.«

3

 

Warum ist die Religion von so großer Bedeutung? Weil die Logik allein niemanden zu großen persönlichen Opfern bewegen kann. Doch mit genügend religiösem Eifer werden sich die Menschen auch dem aussichtslosesten Kampf stellen und darin die Erfüllung finden.

Missionaria Protectiva, Erstes Lehrbuch

 

 

Während einer angespannten Sitzung erschienen zwei männliche Arbeiter an der Tür zu Murbellas Ratssaal, der auf kühle Weise pompös wirkte. Mit Hilfe von Suspensorklammern trugen sie gemeinsam einen großen, bewegungslosen Roboter herein. »Mutter Befehlshaberin? Sie wollten, dass Ihnen das hier geliefert wird.«

Die Kampfmaschine bestand aus blauem und schwarzem Metall, und die Konstruktion wurde durch Streben und Panzerplatten verstärkt. Der kegelförmige Kopf enthielt mehrere Sensoren und Zielvorrichtungen, und vier motorengetriebene Arme wurden von Kabeln umhüllt und waren mit Waffen ausgestattet. Der Kampfroboter, der vor kurzem bei einem Scharmützel beschädigt worden war, wies dunkle Rußflecken auf dem klobigen Torso auf, wo Energieschüsse seine internen Prozessoren verkohlt hatten. Die Maschine war deaktiviert, tot, endgültig besiegt. Trotzdem wirkte sie auf die Anwesenden wie etwas aus einem Albtraum.

Murbellas Berater wurden aus ihren Diskussionen gerissen und starrten auf den großen Roboter. Alle versammelten Frauen trugen die schlichten schwarzen Ganzkörperanzüge der Neuen Schwesternschaft, gemäß der Vorschrift, Einheitskleidung zu tragen, die keinen Hinweis auf ihre ehemalige Zugehörigkeit zu den Bene Gesserit oder den Geehrten Matres gab.

Murbella winkte den eingeschüchtert wirkenden Arbeitern. »Bringt das Ding herein, damit wir es ständig vor Augen haben, wenn wir über den Feind reden. Es wird uns helfen, an den Widersacher erinnert zu werden, mit dem wir es zu tun haben.«

Trotz der Unterstützung durch die Suspensorklammern schwitzten die Männer, als sie die Maschine in den Raum wuchteten. Murbella trat zu dem klobigen Kampfroboter und blickte auf die stumpfen optischen Sensoren. Dann wandte sie sich ihrer Tochter zu und sagte stolz: »Bashar Idaho hat dieses Exemplar aus der Schlacht von Duvalle mitgebracht.«

»Man sollte es auf den Schrottplatz schaffen. Oder in den Weltraum schießen«, sagte Kiria, eine eisenharte ehemalige Geehrte Mater. »Was ist, wenn dieses Ding passiv immer noch spionieren kann?«

»Es wurde gründlich deaktiviert«, erklärte Janess Idaho. Als frisch ernannte Befehlshaberin der militärischen Streitkräfte der Schwesternschaft war sie zu einer sehr pragmatischen jungen Frau geworden.

»Eine Trophäe, Mutter Befehlshaberin?«, fragte Laera, eine dunkelhäutige Ehrwürdige Mutter, die Murbella häufig aus dem Hintergrund unterstützte. »Oder ein Kriegsgefangener?«

»Das war die einzige Maschine, die unsere Armee intakt bergen konnte. Wir haben vier Maschinenschiffe vernichtet, bevor wir uns vom Planeten zurückzogen und zuließen, dass sie ihn verwüsteten. Sie hatten bereits Seuchen auf Ronto und Pital freigesetzt, sodass es keine Überlebenden gab. Die Zahl der Verluste geht in die Milliarden.«

Duvalle, Ronto und Pital waren nur die jüngsten Opfer des Feldzugs der Maschinenarmee durch die Randsysteme. Aufgrund der großen Entfernungen und der überwältigenden Macht der angreifenden Schiffe waren die Berichte häufig unvollständig oder überholt. Flüchtlinge und Kuriere zogen sich aus den Kampfgebieten in den Ausläufern der Diaspora zurück.

Murbella wandte dem ausgeschalteten Roboter den Rücken zu und sah die Schwestern an. »Wir wissen, dass ein Sturm aufzieht, und haben die Möglichkeit der Evakuierung. Alle Brücken hinter sich abzubrechen wäre die Methode der Geehrten Matres.«

Einige Schwestern zuckten bei dieser Bemerkung zusammen. Vor langer Zeit hatten die Geehrten Matres es vorgezogen, vor dem Feind davonzulaufen. Unterwegs hatten sie geraubt und geplündert und gehofft, dem Sturm immer einen Schritt voraus zu sein. Für sie war das Alte Imperium nicht mehr als eine simple Barrikade gewesen, die sie vom direkten Zugriff des Feindes schützte. Sie hatten einfach nur gehofft, dass sie lange genug halten würde, bis sie selbst entkommen waren.

»Oder wir verriegeln unsere Fenster, verstärken unsere Festungsmauern und stehen die Sache durch. Und hoffen, dass wir den Sturm überleben.«

»Dies ist mehr als nur ein Sturm, Mutter Befehlshaberin«, sagte Laera. »Die Auswirkungen spüren wir schon jetzt. Flüchtlinge aus der Kampfzone überrennen die Welten der zweiten Verteidigungsstaffel, die sich ihrerseits schon auf die Evakuierung vorbereiten. Die Menschen werden nicht bleiben und kämpfen.«

»Wie vom Wasser umringte Ratten, die sich in der Ecke eines sinkenden Floßes drängeln«, murmelte Kiria.

»Sagt die Geehrte Mater, die genau das getan hat«, erwiderte Janess vom Ende des Tisches. Dann versuchte sie ihre Bemerkung zu überspielen, indem sie mit lautem Schlürfen von ihrem Gewürzkaffee trank. Kiria wandte sich mit einer ruckhaften Kopfbewegung zu ihr um.

»Ein tiefer Schatten, der über unserer Vergangenheit als Geehrte Matres liegt«, sagte Murbella. »Ihre Hybris und ihre gewalttätige Neigung, zuerst zuzuschlagen und später zu verstehen, haben letztlich zu all diesen Problemen geführt.« Als sie tief in ihren Geist und ihre Geschichte eingetaucht war, hatte sie sich als Erste daran erinnert, wie ihre Schwestern vor langer Zeit aus Dummheit die Denkmaschinen provoziert hatten.

Kiria war empört und identifizierte sich offensichtlich immer noch mit den Geehrten Matres, was Murbella als beunruhigend empfand. »Sie selbst haben offenbart, warum die Geehrten Matres sind, wie sie sind, Mutter Befehlshaberin. Sie stammen von gefolterten Tleilaxu-Frauen, abtrünnigen Ehrwürdigen Müttern und ein paar Fischsprechern ab. Sie hatten jedes Recht dazu, Rache zu üben.«

»Aber sie hatten nicht das Recht dazu, sich dumm zu verhalten!«, gab Murbella schroff zurück. »Schmerzhafte Erfahrungen in der Vergangenheit gaben ihnen nicht das Recht, alles anzugreifen, was ihnen in die Quere kam. Sie konnten ihr Gewissen nicht damit beruhigen, dass sie wussten, was sie taten, als sie einen Außenposten der Maschinen überfielen und Waffen stahlen, deren Funktion sie gar nicht verstanden.« Sie lächelte matt. »Wenn überhaupt, dann kann ich ihren Rachefeldzug gegen die Tleilaxu-Welten verstehen – auch wenn ich ihn nicht billige. Aus den Weitergehenden Erinnerungen weiß ich, was die Tleilaxu meinen Vorfahrinnen angetan haben. Ich erinnere mich, wie ich ein abscheulicher Axolotl-Tank war. Aber täuschen Sie sich nicht – diese Art von provokanter und schlecht geplanter Gewalt hat der Menschheit unermesslichen Schaden zugefügt. Schauen Sie sich an, womit wir es jetzt zu tun haben!«

»Wie können wir uns gegen diesen Sturm wappnen, Mutter Befehlshaberin?« Die Frage kam von der uralten Accadia, einer Ehrwürdigen Mutter, die das Archiv der Ordensburg gehütet hatte. Accadia schlief kaum und erlaubte dem Sonnenlicht nur äußerst selten, ihre pergamentartige Haut zu berühren. »Womit können wir uns verteidigen?«

Die kauernde Gestalt des Kampfroboters schien sie aus der Ecke des Raums zu verspotten, wo die Männer ihn abgestellt hatten.

»Wir besitzen die Waffe der Religion. Insbesondere Sheeana.«

»Sheeana ist für uns ohne Nutzen!«, sagte Janess. »Ihre Anhänger glauben, dass sie vor Jahrzehnten auf Rakis starb.«

Die Priesterinnen von Rakis hatten einst sehr viel von dem Mädchen gehalten, das über die Sandwürmer gebot. Die Bene Gesserit hatten um Sheeana herum eine Graswurzelreligion geschaffen, und die Vernichtung des Wüstenplaneten hatte nur den höheren Zielen der Schwesternschaft gedient. Nach ihrem angeblichen Tod wurde das gerettete Mädchen auf Ordensburg isoliert, damit es eines Tages unter großem Getöse »aus dem Grab zurückkehren« konnte. Doch in Wirklichkeit war Sheeana mit Duncan vor über zwanzig Jahren mit dem Nicht-Schiff entkommen.

»Es ist nicht notwendig, dass wir sie haben. Suchen Sie einfach nach Schwestern, die ihr ähnlich sind. Alles Weitere lässt sich durch Make-up und Veränderungen des Gesichts bewerkstelligen.« Murbella tippte sich mit den Fingern gegen die Lippen. »Ja, wir werden mit zwölf neuen Sheeanas beginnen. Bringt sie zu den Flüchtlingswelten, denn die heimatlosen Überlebenden werden sich am leichtesten als neue Anhänger gewinnen lassen. Die wiederauferstandene Sheeana wird überall gleichzeitig erscheinen, als Messias, als Prophetin, als Führerin.«

Laera meldete sich in ausgesprochen vernünftigem Tonfall zu Wort. »Man wird mit genetischen Tests beweisen, dass unsere Sheeanas falsch sind. Dieser Plan wird sich gegen uns wenden, wenn die Menschen erkennen, dass wir versucht haben, sie zu übertölpeln.«

Kiria hatte bereits über die offensichtliche Lösung nachgedacht. »Wir können dafür sorgen, dass Ärztinnen der Bene Gesserit – Suk-Ärzte – die Tests durchführen … und für uns die Ergebnisse fälschen.«

»Außerdem solltet ihr nicht den größten Vorteil unterschätzen, den wir haben.« Murbella streckte die Hände aus wie ein Bettelmönch, der um Almosen bat. »Die Menschen wollen glauben. Seit vielen tausend Jahren hat unsere Missionaria Protectiva religiöse Gedanken ausgestreut. Jetzt müssen wir diese Techniken nicht nur zu unserem eigenen Schutz einsetzen, sondern als zweckmäßige Waffe, als Mittel zur Beeinflussung von Armeen. Nicht mehr zur passiven Protektion, sondern als aktive Macht. Als Missionaria Aggressiva.«

Den anderen Frauen, insbesondere Kiria, schien diese Idee zu gefallen. Accadia blickte finster auf ihre ridulianischen Kristallblätter, als würde sie im eng geschriebenen Text nach tiefsinnigen Antworten suchen.

Murbella warf einen trotzigen Blick zum Kampfroboter. »Die zwölf Sheeanas werden Gewürz aus unseren Vorräten mit sich führen. Alle werden großzügige Mengen davon verteilen, wenn sie ihre Botschaften verkünden. Sie werden sagen, Shaitan hätte ihnen in einem Traum gesagt, dass das Gewürz schon bald wieder fließen wird. Obwohl Rakis verbrannt und leblos ist wie Sodom und Gomorrah, werden anderswo viele neue Wüstenplaneten erscheinen. Das wird Sheeana ihnen versprechen.« Vor Jahren waren mehrere Gruppen Ehrwürdiger Mütter in einer geheimen Diaspora ausgesandt worden, mit Raumschiffen und Sandforellen, um diese wertvolle Saat auf verschiedenen Planeten auszubringen und neue Wüstenplaneten für die Sandwürmer zu schaffen.

»Falsche Propheten und die Sichtung des Messias. Das gab es schon einmal.« Kiria klang gelangweilt. »Erklären Sie uns, welchen Nutzen wir davon haben sollen.«

Murbella bedachte sie mit einem berechnenden Lächeln. »Wir nutzen den Aberglauben, der sehr schnell sprießen wird. Die Menschen glauben, dass sie schwere Zeiten durchstehen müssen, einen Zyklus, der so alt ist wie die ältesten Religionen, älter als die Erste Große Bewegung oder der Zensunni-Hadj. Also passen wir diesen Glauben unseren Zwecken an. Die Denkmaschinen sind das größte Übel, und wir müssen es besiegen, bevor die Menschheit die Früchte ihrer Bemühungen ernten kann.«

Sie wandte sich der alten Archivmutter zu. »Accadia, lies alles, was du über Butlers Djihad finden kannst, und wie Serena Butler ihre Krieger geführt hat. Mach es genauso mit Paul Muad'dib. Wir könnten sogar sagen, dass der Tyrann uns auf diese Zeit vorbereitet hat. Studier seine Schriften und suchte Passagen heraus, die unsere Botschaft unterstreichen, damit die Menschen überzeugt sind, dass dieser finale universale Konflikt schon von Anfang an geweissagt wurde – der Kralizec. Wenn sie an die Prophezeiungen glauben, werden sie immer noch weiterkämpfen, auch wenn es längst keine rational begründete Hoffnung mehr gibt.«

Sie gab den Frauen ein Zeichen, dass sie sich um ihre Aufgaben kümmern sollten. »Als Nächstes habe ich ein Treffen mit Ixianern und Vertretern der Gilde vereinbart. Nach der Zerstörung von Richese verlange ich von ihnen, dass sie ihre gesamten Produktionskapazitäten in den Dienst unserer Kriegsvorbereitungen stellen. Wir brauchen jeden Funken Widerstand, den die Menschheit aufbringen kann.«

Bevor sie ging, fragte Accadia: »Und was ist, wenn sich die uralten Prophezeiungen als wahr erweisen? Wenn tatsächlich die Endzeit bevorsteht?«

»Dann wären unsere Handlungen um so mehr gerechtfertigt. Und wir werden trotzdem kämpfen. Mehr können wir ohnehin nicht tun.« Murbella betrachtete den Roboter und sprach, als könnte die Maschine sie hören. »Und so werden wir euch besiegen.«

4

 

Ich bin der Hüter privaten Wissens und ungezählter Geheimnisse. Du wirst niemals wissen, was ich weiß! Ich würde dich bemitleiden, wenn du kein Ungläubiger wärst.

Erscheinung auf der Shariat-Straße,

apokrypher Tleilaxu-Text

 

 

Im riesigen Heighliner der Gilde ahnte keiner der Passagiere, was der Navigator und der Tleilaxu-Meister in seiner Gefangenschaft gewissermaßen vor den Nasen der anderen taten.

Die Bene-Gesserit-Hexen hatten ihre Gewürzvorräte als Druckmittel benutzt, um die Raumgilde in die Enge zu treiben und sie zur Suche nach drastischen Alternativen zu zwingen. Angesichts des drohenden Todes durch Gewürzentzug drängte die Fraktion der Navigatoren den Tleilaxu-Meister Waff zu größerer Eile bei der Bewältigung seiner Aufgabe. Waff verspürte ebenfalls den Drang, sich zu beeilen, da auch er zu sterben drohte, wenn auch aus anderen Gründen.

Waff wandte der Beobachtungslinse den Rücken zu und schluckte heimlich eine weitere Dosis Melange. Das zimtartige Pulver wurde ihm ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung gestellt. Auf Lippen und Zunge spürte er die brennende Substanz, und er schloss vor Ekstase die Augen. Bereits eine so geringe Menge – weniger als eine Prise – genügte heutzutage, um sich davon ein Haus auf einer Kolonialwelt zu kaufen! Der Tleilaxu spürte, wie neue Energie seinen kränklichen Körper durchströmte. Edrik würde ihm bestimmt nicht dieses bisschen Melange missgönnen, das ihm half, wieder klar zu denken.

Normalerweise lebten die Tleilaxu-Meister in immer neuen Körpern und erlangten durch die Gholas eine Form von Unsterblichkeit. Der Große Glaube hatte sie Geduld und die Fähigkeit zur Langzeitplanung gelehrt. Hatte nicht Gottes Bote selbst dreieinhalb Jahrtausende lang gelebt? Doch Waffs Wachstum im Axolotl-Tank war durch verbotene Techniken beschleunigt worden. Die Zellen seines Körpers verbrannten schneller als unter normalen Umständen, sodass er in nur wenigen Jahren von der Kindheit zur Reife gelangt war. Waffs Gedächtnisrekonstruktion war unvollständig gewesen und hatte nur Fragmente seiner früheren Leben und seiner Erfahrung zurückgebracht.

Auf der Flucht vor den Geehrten Matres war Waff gezwungen gewesen, sich in die Obhut der Navigatoren zu begeben. Schließlich hatten Edrik und seine Gefährten die finanziellen Mittel beigesteuert, damit er überhaupt als Ghola wiederbelebt werden konnte. Warum sollte er also nicht bei ihnen um Asyl ersuchen? Obwohl der kleine Mann sich nicht erinnerte, wie man Melange in Axolotl-Tanks herstellte, behauptete er, das Unmögliche bewerkstelligen zu können – er würde die angeblich ausgestorbenen Sandwürmer zurückbringen. Eine wesentlich spektakulärere und dringender benötigte Lösung.

Im isolierten Labor an Bord des Heighliners hatte Edrik ihm alle Forschungsinstrumente, technischen Systeme und Genproben zur Verfügung gestellt, die er nach menschlichem Ermessen brauchte. Waff tat, was die Navigatoren von ihm verlangten. Die Rekonstruktion der großartigen Würmer, die auf Rakis ausgerottet worden waren, ermöglichte ihm die Verwirklichung gleich zweier Ziele: die Herstellung von Gewürz und die Wiederauferstehung seines Propheten.

Ich muss es schaffen! Ein Scheitern kommt nicht in Frage.

Angesichts seiner beschleunigten körperlichen Entwicklung würde Waff nur noch für kurze Zeit in bester Verfassung sein, was seine Gesundheit und seine geistige Klarheit betraf. Bevor die unvermeidliche schnelle Degeneration einsetzte, musste er noch sehr viel leisten. Die gewaltige Verantwortung trieb ihn an.

Konzentriere dich!

Er stieg auf einen Hocker und lugte in einen Tank aus Plazwänden, der mit Originalsand von Rakis gefüllt war. Der Wüstenplanet. Aufgrund der religiösen Bedeutung des Planeten begnügten sich Pilger, die sich die interstellare Reise nicht leisten konnten, mit Reliquien, Steintrümmern von Muad'dibs Palast oder aus Gewürzfasern gewobenen Stofffetzen, die mit den Weisheiten Letos II. bestickt waren. Selbst die ärmsten der frommen Anhänger wollten eine Probe vom Rakis-Sand, um damit die Fingerspitzen zu bestäuben und sich vorzustellen, dem Zerlegten Gott näher zu sein. Die Navigatoren hatten mehrere hundert Kubikmeter echten Sandes vom Wüstenplaneten erworben. Obwohl es zweifelhaft war, dass der Ursprung der Sandkörner irgendeinen Einfluss auf die Sandwurmexperimente hatte, zog Waff es vor, möglichst viele potenzielle Störfaktoren zu eliminieren.

Er beugte sich über den offenen Tank, sammelte Speichel in der Mundhöhle und ließ einen Tropfen in den weichen Sand fallen. Wie Piranhas in einem Aquarium rührte sich etwas unter der Oberfläche und schlängelte sich auf die plötzlich aufgetauchte Feuchtigkeit zu. An einem anderen Ort vor langer Zeit war Spucken – die Opferung eigener Körperflüssigkeit – unter den Fremen ein Zeichen von Respekt gewesen. Waff benutzte es nun, um die Sandforellen ans Licht zu locken.

Kleine Bringer. Sandforellen, die weitaus kostbarer waren als der Sand vom Wüstenplaneten.

Vor Jahren hatte die Gilde ein geheimes Schiff der Bene Gesserit abgefangen, das im Frachtraum Sandforellen transportiert hatte. Als sich die Hexen an Bord geweigert hatten, über ihre Mission zu reden, waren alle getötet und die Sandforellen konfisziert worden, und auf Ordensburg wusste niemand, was geschehen war.

Als Waff erfahren hatte, dass die Gilde ein paar der unausgereiften Sandwurmlarven besaß, hatte er verlangt, sie für seine Arbeit benutzen zu dürfen. Obwohl er sich nicht erinnern konnte, wie man mit einem Axolotl-Tank Melange herstellte, hatte dieses Experiment ein viel größeres Potenzial. Wenn er neue Würmer erschaffen konnte, würde er nicht nur das Gewürz, sondern den Propheten selbst zurückbringen!

Ohne Furcht vor den Sandforellen griff er mit der Hand ins Terrarium. Er packte eins der ledrigen Geschöpfe und zog das zappelnde Lebewesen aus dem Sand. Als sie die Feuchtigkeit auf Waffs Haut spürte, wickelte sich die Sandforelle um seine Finger, die Handfläche und das Handgelenk. Sie veränderte ständig ihre Gestalt, während er gegen die weiche Oberfläche stupste.

»Kleine Sandforelle, welche Geheimnisse kannst du mir verraten?« Er ballte die Hand zur Faust, und das Wesen umfloss sie, bis es sich wie ein geleeartiger Handschuh anfühlte. Waff spürte, wie seine Haut langsam austrocknete.

Er trug die Sandforelle zu einem sauberen Labortisch und stellte eine flache Schale bereit. Er versuchte das Geschöpf von der Hand zu ziehen, doch jedes Mal floss die Membran wieder zurück. Inzwischen fühlte sich seine Hand wie ausgedörrt an. Also goss er etwas Wasser in die Schale. Die Sandforelle ließ sich von der größeren Feuchtigkeitsmenge anlocken und hineinfallen.

Für Sandwürmer war Wasser ein tödliches Gift, aber nicht für das Larvenstadium dieser Lebewesen. Die Sandforellen hatten eine völlig andere Biochemie, bevor ihre Metamorphose zum Erwachsenenstadium einsetzte. Es war paradox. Wie konnte etwas in einem Stadium des Lebenszyklus geradezu gierig nach Wasser sein, während es später davon getötet wurde?

Waff spannte die Finger, um das unnatürliche Gefühl der Trockenheit zu vertreiben, während er fasziniert beobachtete, wie das Wesen das Wasser umschloss. Instinktiv hortete die Larve Feuchtigkeit, um eine völlig trockene Umwelt für die erwachsenen Exemplare der Spezies zu schaffen. Aus Erinnerungen an frühere Leben, die ihm geblieben waren, wusste er von uralten Experimenten der Tleilaxu zur Überwachung und Umsiedlung von Sandwürmern. Normale Versuche, ausgewachsene Würmer auf trockene Planeten zu verpflanzen, waren jedes Mal gescheitert. Selbst die extremsten Trockenregionen waren immer noch zu feucht für eine so empfindliche Lebensform wie die Sandwürmer.

Doch nun verfolgte er eine andere Strategie. Statt die Welten zu verändern, auf denen Sandwürmer angesiedelt werden sollten, konnte er vielleicht etwas an den Würmern im Larvenstadium ändern, damit sie sich besser an ihre Umgebung anpassten. Die Tleilaxu verstanden die Sprache Gottes, und mit ihrem genetischen Talent hatten sie schon viele Male scheinbar Unmögliches hervorgebracht. War Leto II. nicht Gottes Prophet gewesen? Es war Waffs heilige Pflicht, Ihn in die Welt zurückzubringen.

Das Prinzip und die Chromosomenmechanik schienen sehr einfach zu sein. An irgendeinem Punkt der Entwicklung der Sandforellen veränderte ein biochemischer Schalter die Reaktion des Organismus auf etwas so Simples wie Wasser. Wenn er diesen Schalter fand und ihn blockieren konnte, müsste die Sandforelle nach der Metamorphose nicht mehr so empfindlich darauf reagieren. Das wäre in der Tat ein Wunder!

Aber würde sich eine Raupe, wenn man sie daran hinderte, einen Kokon zu spinnen, immer noch in einen Schmetterling verwandeln? Waff würde äußerst behutsam vorgehen müssen.

Wenn er verstand, was die Hexen auf Ordensburg getan hatten, wäre er einen großen Schritt weiter. Sie hatten eine Möglichkeit gefunden, Sandforellen in einer planetaren Umwelt freizusetzen – der Heimatwelt der Bene Gesserit. Dort vermehrten sich die Wurmlarven und lösten einen Prozess aus, mit dem das komplette Ökosystem verändert wurde. Aus einer grünen Welt wurde eine Trockenzone. Am Ende würden sie den ganzen Planeten in eine Wüste verwandelt haben, in der die Sandwürmer überleben konnten.

Auf diese Fragen folgten viele weitere, eine nach der anderen. Warum hatten die Bene-Gesserit-Schwestern Sandforellen an Bord ihrer Flüchtlingsschiffe? Wollten sie sie zu anderen Welten bringen und auf diese Weise noch mehr Wüstenplaneten erschaffen? Weitere Lebensräume für die Würmer? Ein solcher Plan konnte nur in einer großen gemeinsamen Anstrengung bewältigt werden. Es würde Jahrzehnte dauern, bis er Früchte trug, und dazu musste das gesamte einheimische Leben eines Planeten geopfert werden. Sehr ineffektiv.

Waff war auf eine viel schnellere Lösung gekommen. Wenn er eine Variante der Sandwürmer züchten konnte, die Wasser vertrug, vielleicht sogar darin gedieh, konnten die Geschöpfe auf zahllose Welten gebracht werden, wo sie heranwachsen und sich vermehren würden. Die Würmer mussten nicht die komplette Ökologie eines Planeten umstrukturieren, bevor sie mit der Produktion von Melange beginnen konnten. Allein dadurch ließen sich Jahrzehnte überspringen, die Waff nicht hatte. Seine modifizierten Würmer würden mehr Gewürz produzieren, als die Navigatoren der Gilde jemals verbrauchen konnten – und gleichzeitig würden sie Waffs Zwecken dienen.

Hilf mir, Prophet!

Die Sandforelle hatte sämtliches Wasser absorbiert, das sich in der Schale befunden hatte, und bewegte sich nun zum Rand, um die Grenzen des Gefäßes zu erkunden. Waff holte Forschungsinstrumente und Chemikalien – Alkohole, Säuren, Brenner und seine Probenextraktoren.

Der erste Schnitt war der schwierigste. Dann machte er sich an die Arbeit, dem formlosen, sich windenden Geschöpf auf jede erdenkliche Art die genetischen Geheimnisse zu entreißen.

Er hatte die besten DNS-Analysegeräte und Gensequenzierer, die die Gilde hatte beschaffen können … und sie waren in der Tat äußerst leistungsfähig. Es dauerte sehr lange, bis die Sandforelle gestorben war, aber Waff war davon überzeugt, dass der Prophet sein Tun gutheißen würde.

5

 

Ein übler Geruch entströmt meinen Poren. Es ist der Gestank des Todes.

Scytale,

der letzte bekannte Tleilaxu-Meister

 

 

Das kleine grauhäutige Kind blickte besorgt auf sein älteres, ansonsten jedoch identisches Gegenstück. »In diesem Bereich hat nicht jeder Zutritt. Der Bashar wird sehr wütend auf uns sein.«

Der ältere Scytale zog ein finsteres Gesicht, enttäuscht, dass ein Kind mit einem so großen Schicksal so furchtsam sein konnte. »Diese Leute haben gar kein Recht, mir irgendwelche Vorschriften zu machen – ganz gleich, welcher Version von mir!« Trotz der jahrelangen Vorbereitung, Anweisung und Beharrlichkeit wusste Scytale, dass der Ghola-Junge immer noch nicht verstanden hatte, wer er eigentlich war. Der Tleilaxu-Meister hustete und zuckte zusammen. Er war nicht mehr in der Lage, seine körperlichen Beschwerden zu mildern. »Du musst dein genetisches Gedächtnis erwecken, bevor es zu spät ist!«

Das Kind folgte seinem älteren Ich durch den düsteren Korridor des Nicht-Schiffes, aber seine Schritte waren zu unsicher, um als verstohlen bezeichnet werden zu können. Gelegentlich benötigte der gebrechliche Scytale Unterstützung von seinem zwölf Jahre alten »Sohn«. Jeder Tag, jede Unterrichtsstunde sollte den Jungen näher an den kritischen Punkt heranführen, an dem die verborgenen Erinnerungen an die Oberfläche brechen würden. Dann konnte der alte Scytale endlich beruhigt sterben.

Vor Jahren war er gezwungen gewesen, seinen kostbarsten Besitz – seinen Geheimvorrat an wertvollem Zellmaterial – herzugeben, um die Hexen zu bestechen. Scytale bereute es, in diese Situation geraten zu sein, aber zum Dank für die Produktion von Helden aus der Vergangenheit, mit denen die Hexen ihre Ziele verfolgten, war Sheeana einverstanden gewesen, dass er in den Axolotl-Tanks einen Klon von sich heranzüchtete. Er hoffte nur, dass es nicht schon zu spät war.

Seit einigen Jahren verstärkte er mit jedem Satz, mit jedem Tag den Druck auf den jüngeren Scytale. Sein »Vater«, ein Opfer geplanten Zellverschleißes, bezweifelte, dass ihm überhaupt noch ein Jahr blieb, bevor er völlig zusammenbrach. Wenn der Junge sein Gedächtnis nicht bald – sehr bald – erlangte, wäre das gesamte Wissen des Tleilaxu verloren. Der alte Scytale zuckte angesichts dieser grausamen Vorstellung zusammen, die ihn mehr quälte als jeder körperliche Schmerz.

Sie erreichten eins der ungenutzten unteren Decks, wo sich eine Testkammer in den leeren Weiten des Schiffes verbarg. »Ich werde die Unterrichtsgeräte der Powindah einsetzen, um dir zu zeigen, wie die Tleilaxu nach Gottes Willen leben sollen.« Die Wände waren glatt und gekrümmt, die Leuchtflächen auf ein mattes Orange eingestellt. Der Raum schien voller schlaffer, geistloser Gebärmütter zu sein – der einzige Zustand, in dem Frauen einer wirklich zivilisierten Gesellschaft von Nutzen sein konnten.

Scytale lächelte bei diesem Anblick, während sich der Junge mit finsterer Miene umschaute. »Axolotl-Tanks. So viele! Woher kommen sie alle?«

»Bedauerlicherweise sind es nur holografische Projektionen.« Die nahezu perfekte Simulation schloss die Geräusche ein, die die Tanks normalerweise von sich gaben, sowie die Gerüche nach Desinfektionsmitteln und Medikamenten.

Als Scytale inmitten der wunderbaren Bilder stand, sehnte sich sein Herz nach der Heimat, die er so sehr vermisste, einer Heimat, die nun restlos zerstört war. Vor Jahren, bevor ihm erlaubt worden war, noch einmal das heilige Bandalong zu betreten, hatten sich Scytale und andere Tleilaxu einem langwierigen Reinigungsverfahren unterzogen. Seit die Geehrten Matres ihm keine andere Wahl gelassen hatten, als mit seinem Leben und ein wenig kostbarem Besitz zu fliehen, hatte er versucht, die Rituale und Praktiken so oft wie möglich zu beobachten. Und er hatte versucht, sie dem jungen Ghola beizubringen. Doch es gab Beschränkungen. Scytale hatte sich lange Zeit als nicht ausreichend gereinigt empfunden. Aber er wusste, dass Gott Verständnis für ihn haben würde.

»So sah ein typisches Brutlabor aus. Präg dir alles genau ein. Ruf dir ins Gedächtnis, wie die Dinge waren und wie sie sein sollten. Ich habe diese Bilder aus meiner Erinnerung geschaffen, und dieselben Erinnerungen liegen auch in dir. Finde sie.«

Scytale hatte die gleichen Worte immer wieder gesagt und sie dem Kind eingebläut. Seine jüngere Version war ein guter und sehr intelligenter Schüler. Alle Informationen waren ihm bereits bekannt, weil er sie auswendig gelernt hatte, aber das Wissen war nicht in seiner Seele verankert.

Sheeana und die anderen Hexen verstanden nicht, wie gravierend die Krise war, die ihm bevorstand. Vielleicht war es ihnen auch gleichgültig. Die Bene Gesserit verstanden überhaupt nur sehr wenig von den Feinheiten der Wiederherstellung des Gedächtnisses eines Gholas. Sie sahen nicht, in welchem Moment ein Ghola bereit war. Doch Scytale konnte sich den Luxus des Wartens vielleicht nicht erlauben. Das Kind war auf jeden Fall alt genug. Der Junge sollte längst erwacht sein! Bald wäre er der einzige überlebende Tleilaxu, und dann würde niemand mehr seine Erinnerungen wecken können.

Als er die Reihen der Bruttanks musterte, trat der Ausdruck von Ehrfurcht und Einschüchterung ins Gesicht des jüngeren Scytale. Er sog alles in sich auf. Gut. »Dieser Tank in der zweiten Reihe ist der, aus dem ich geboren wurde«, sagte er. »Die Schwesternschaft hat die Frau Rebecca genannt.«

»Ein Tank hat keinen Namen. Er ist keine Person und war auch nie eine. Selbst wenn er sprechen könnte, wäre er nur ein weibliches Wesen. Wir Tleilaxu haben unseren Tanks niemals Namen gegeben, auch nicht den Frauen, aus denen sie entstanden sind.«

Er erweiterte das Bild und ließ die Wände verschwinden, sodass die Projektion eines riesigen Bruthauses sichtbar wurde. Ein Tank reihte sich an den anderen, und draußen waren die Straßen und Türme von Bandalong zu erkennen. Diese visuellen Hinweise hätten eigentlich genügen müssen, aber Scytale wünschte sich, er hätte weitere Sinnesempfindungen hinzufügen können, die weiblichen reproduktiven Gerüche, das Gefühl des heimatlichen Sonnenlichts, das tröstliche Wissen, dass zahllose Tleilaxu die Straßen, die Gebäude, die Tempel füllten.

Er verspürte schmerzende Einsamkeit.

»Ich sollte nicht immer noch am Leben sein und vor dir stehen. Es kränkt mich, einen alten, schmerzenden, allmählich versagenden Körper zu haben. Der Kehl der wahren Meister hätte mir schon vor langer Zeit die Gnade der Euthanasie erweisen und mich in einem neuen Ghola-Körper weiterleben lassen sollen. Aber in diesen Zeiten ist vieles nicht so, wie es sein sollte.«

»Es ist nicht so, wie es sein sollte«, wiederholte der Junge und schritt rückwärts durch eins der Holobilder. »Du musst Dinge tun, die du andernfalls nicht dulden würdest. Du musst heroische Anstrengungen unternehmen, um lange genug zu überleben, bis ich erwacht bin. Aber ich verspreche dir aus ganzem Herzen, dass ich Scytale sein werde. Bevor es zu spät ist.«

Der Erweckungsprozess eines Gholas verlief weder einfach noch schnell. Jahr um Jahr hatte Scytale Druck ausgeübt und den Geist dieses Jungen beschäftigt. Jede Unterrichtsstunde und jede Forderung, die er an ihn stellte, erhöhte den Haufen aus Kieselsteinen, und früher oder später würde er so hoch sein, dass das instabile Gebilde ins Rutschen geriet. Und nur Gott und sein Prophet konnten wissen, welcher kleine Stein der Erinnerung diese Lawine auslösen und die Gedächtnisbarriere niederreißen würde.

Der Junge beobachtete die wechselnden Stimmungen, die über das Gesicht seines Mentors zogen. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, zitierte er eine tröstliche Lektion aus seinem Katechismus. »Wer vor einer unmöglichen Entscheidung steht, muss stets den Weg des Großen Glaubens wählen. Gott führt den, der geführt zu werden wünscht.«

Dieser bloße Gedanke schien Scytale seiner letzten Kraft zu berauben, und er ließ sich auf einen Stuhl im Simulationsraum sinken, um sich zu erholen. Als der Ghola an seine Seite eilte, strich Scytale seiner jüngeren Version über das schwarze Haar. »Du bist jung, vielleicht zu jung.«

Der Junge legte dem alten Mann tröstend die Hand auf die Schulter. »Ich werde es versuchen, das verspreche ich dir. Ich werde mir alle Mühe geben.« Er schloss die Augen und schien geistigen Druck ausüben zu wollen, als würde er sich gegen die immateriellen Mauern in seinem Gehirn stemmen. Schließlich, als ihm bereits der Schweiß ausgebrochen war, gab er es auf.

Der ältere Scytale war niedergeschlagen. Er hatte bereits sämtliche Techniken, die er kannte, eingesetzt, um den Ghola über die Grenze zu stoßen. Krisen, Paradoxa, gnadenlose Verzweiflung. Doch er spürte es deutlicher als der Junge. Klinisches Wissen genügte einfach nicht.

Die Hexen hatten eine Methode sexueller Verwirrung eingesetzt, um die Persönlichkeit des Bashars Miles Teg zu aktivieren, als sein Ghola erst zehn Jahre alt gewesen war, und Scytales Nachfolger hatte diese Marke bereits um zwei Jahre überschritten. Doch er konnte die Vorstellung nicht ertragen, wie die Bene-Gesserit-Frauen ihre unreinen Körper benutzten, um diesen Jungen zu brechen. Scytale hatte schon so viel geopfert und fast seine gesamte Seele verkauft, um einen Hoffnungsschimmer für die Zukunft seines Volks zu erhalten. Der Prophet würde Scytale angewidert den Rücken zukehren. Das durfte nicht sein!

Er stützte den Kopf in die Hände. »Du bist ein fehlerhafter Ghola. Ich hätte schon vor zwölf Jahren deinen Embryo entsorgen und einen neuen ansetzen sollen!«

Die Stimme des Jungen klang rau und wie zerfasert. »Ich werde mich konzentrieren und die Erinnerungen aus meinen Zellen hervorholen!«

Der Tleilaxu-Meister spürte schweren Kummer auf seinen Schultern lasten. »Es ist ein instinktiver Vorgang, kein intellektueller. Es kann nur mit dir geschehen. Wenn deine Erinnerungen nicht zurückkehren, bist du für mich ohne Nutzen. Warum sollte ich dich am Leben lassen?«

Der Junge gab sich sichtlich Mühe, aber Scytale sah kein Aufblitzen der Ehrfurcht und Erleichterung, keine plötzliche Flut aus Erfahrungen eines ganzen Lebens. Beide Tleilaxu schienen zum Scheitern verdammt zu sein. Mit jedem verstreichenden Augenblick spürte Scytale, wie er mehr und mehr starb.

6

 

Das Schicksal unserer Spezies hängt von den Taten einer unwahrscheinlichen Ansammlung von Außenseitern ab.

Aus einer Bene-Gesserit-Studie

über die menschliche Natur

 

 

In seinem zweiten Leben ging es Baron Wladimir Harkonnen sehr gut. Mit nur siebzehn Jahren befehligte der erweckte Ghola eine große Burg voller antiker Relikte und eine Schar von Dienern, die ihm jeden Wunsch erfüllten. Und noch besser war, dass es sich um Burg Caladan handelte, den Stammsitz des Hauses Atreides. Er saß auf einem hohen Thron aus schwarzen Edelsteinen und blickte sich im großen Audienzsaal um, während die Angestellten ihren Pflichten nachgingen. Viel Pomp, wie es einem Harkonnen zustand.

Trotz des Anscheins hatte der Ghola-Baron jedoch nur sehr wenig wirkliche Macht, was er genau wusste. Die Gestaltwandler-Myriade hatte ihn zu einem bestimmten Zweck erschaffen, und trotz seiner erweckten Erinnerungen hatte sie ihn weiterhin fest im Griff. Zu viele wichtige Fragen waren unbeantwortet geblieben, und zu viel entzog sich seiner Kontrolle. Das gefiel ihm nicht.

Die Gestaltwandler schienen viel mehr am jungen Ghola von Paul Atreides interessiert zu sein – den sie »Paolo« nannten. Um ihn ging es eigentlich. Ihr Anführer Khrone sagte, dieser Planet und die restaurierte Burg würden aus dem einzigen Grund existieren, um Paolos Gedächtnis anzuregen. Der Baron war nur ein Mittel zum Zweck und in der »Sache Kwisatz Haderach« von zweitrangiger Bedeutung.

Das nahm er dem Atreides-Balg übel. Der Junge war erst acht und hatte noch viel von seinem Mentor zu lernen, obwohl der Baron noch nicht herausgefunden hatte, was die Gestaltwandler wirklich beabsichtigten.

»Bereite ihn vor und bilde ihn aus. Sorge dafür, dass er seinem Schicksal gerecht wird«, hatte Khrone gesagt. »Es gibt eine bestimmte Aufgabe, die er erfüllen muss.«

Eine bestimmte Aufgabe. Aber welche?

Du bist sein Großvater, sagte die nervtötende Stimme von Alia im Kopf des Barons. Kümmere dich um ihn und gib gut auf ihn Acht. Das Mädchen verspottete ihn ohne Unterlass. Seit dem Augenblick, in dem seine Erinnerungen geweckt worden waren, lauerte die Kleine ständig im Hintergrund seines Geistes. Ihre Stimme hatte immer noch ein kindliches Lispeln, genauso wie sie geklungen hatte, als sie ihn mit der vergifteten Nadel des Gom Jabbar getötet hatte.

»Ich würde mich lieber um dich kümmern, du kleine Abscheulichkeit!«, schrie er. »Ich würde dich würgen und dir das Genick brechen – einmal, zweimal, dreimal! Ich würde dir den zarten kleinen Schädel zerquetschen! Ha!«

Aber es ist doch dein eigener Schädel, lieber Baron.

Er presste die Hände an die Schläfen. »Lass mich in Ruhe!«

Da sich im Raum niemand in der Nähe des Barons aufhielt, warfen die Diener ihm verstörte Blicke zu. Der Baron tobte und sackte schließlich auf seinem glitzernden schwarzen Thron in sich zusammen. Nachdem sie ihn zu einer peinlichen Reaktion gereizt hatte, flüsterte die Alia-Stimme noch einmal spöttisch seinen Namen und zog sich dann zurück.

Genau in diesem Moment schritt Paolo unbeschwert und selbstbewusst in den Saal, gefolgt von seiner Leibwache aus androgynen Gestaltwandlern. Das Kind stellte eine übermäßige Zuversicht zur Schau, die der Baron gleichzeitig als faszinierend und beunruhigend empfand.

Baron Wladimir Harkonnen und dieser andere Paul Atreides waren unauflöslich miteinander verbunden. Sie zogen sich an und stießen sich ab wie zwei starke Magneten. Nachdem der Baron seine Erinnerungen wiedergewonnen und verstanden hatte, wer er war, hatte man Paolo nach Caladan gebracht und der Obhut des Barons anvertraut … mit der ernsten Ermahnung, dass ihm auf gar keinen Fall etwas zustoßen dürfe.

Von seinem hohen schwarzen Thron blickte der Baron auf den großspurigen Jungen hinab. Weshalb war Paolo etwas Besonderes? Was hatte es mit diesem »Kwisatz Haderach« auf sich? Was wusste der Atreides?

Eine Zeit lang war Paolo sensibel, nachdenklich, sogar sorgsam gewesen. Er hatte eine starke Ader angeborener Güte gehabt, die der Baron ihm in fleißiger Kleinarbeit ausgetrieben hatte. Wenn er genug Zeit hatte, würde er zweifellos auch den schwersten Fall von Atreides-Ehrenhaftigkeit kurieren können. Damit würde er Paolo wirksam auf sein Schicksal vorbereiten! Obwohl der Junge immer noch gelegentlich mit seinem Gewissen haderte, hatte er große Fortschritte gemacht.

Mit seiner üblichen Unverschämtheit blieb Paolo genau vor dem Podium stehen. Einer der Gestaltwandler aus seinem Gefolge drückte dem Jungen eine antike Schusswaffe in die Hand.

Wütend beugte sich der Baron vor, um sie genauer betrachten zu können. »Stammt diese Waffe aus meiner privaten Sammlung? Ich habe dir doch gesagt, dass du dich davon fernhalten sollst.«

»Dieses Stück gehörte einst dem Haus Atreides, also habe ich das Recht, es an mich zu nehmen. Eine Klingenpistole, die laut Beschriftung meine Schwester Alia benutzt haben soll.«

Der Baron rutschte unruhig auf dem Thron hin und her. Es machte ihn nervös, dass die geladene Waffe ihm so nahe war.

»Das ist nur eine Frauenwaffe.«

In den wuchtigen schwarzen Armlehnen hatte der Baron eine Auswahl seiner eigenen Waffen deponiert. Jede davon konnte den Jungen im Nu in einen schmierigen Fleck am Boden verwandeln – hmm, neues Material, um einen weiteren Ghola heranzuzüchten, dachte er. »Trotzdem ist sie eine wertvolle Antiquität, und ich möchte nicht, dass sie durch ein unachtsames Kind beschädigt wird.«

»Ich werde sie nicht beschädigen«, sagte Paolo nachdenklich. »Ich habe großen Respekt vor Dingen, die von meinen Vorfahren benutzt wurden.«

Der Baron stand auf, um den Jungen daran zu hindern, zu viel nachzudenken. »Wollen wir damit nach draußen gehen, Paolo? Wir könnten uns ein Bild machen, wie sie funktioniert.« Er klopfte Paolo jovial auf die Schulter. »Und anschließend können wir etwas mit bloßen Händen töten, wie wir es mit den Mischlingskötern und Frettchen gemacht haben.«

Paolo wirkte unsicher. »Vielleicht an einem anderen Tag.«

Trotzdem drängte der Baron ihn aus dem Thronsaal. »Lass uns diese lärmenden Möwen über den Abfallhaufen loswerden. Habe ich schon erwähnt, wie sehr du mich an Feyd erinnerst? Den liebreizenden Feyd?«

»Mehr als nur einmal.«

Bewacht von den Gestaltwandlern verbrachten sie die nächsten zwei Stunden in der Nähe des Müllplatzes der Burg, wo sie abwechselnd mit der Klingenpistole auf die kreischenden Vögel schossen. Ohne Sinn für die Gefahr kreisten die Möwen lärmend umeinander und stritten sich um regennasse Abfallhappen. Paolo schoss, dann der Baron. Obwohl sie uralt war, hatte die Waffe eine große Treffgenauigkeit. Jede rotierende, ultradünne Klingenscheibe zerriss einen Vogel in Stücke aus blutigem Fleisch und losen Federn. Dann zankten sich die überlebenden Möwen um die neuen Happen.

Insgesamt erlegten sie vierzehn Vögel, obwohl der Baron nicht annähernd so erfolgreich war wie der Junge, der ein ruhiger und konzentrierter Schütze war. Als der Baron die Klingenpistole hob und sorgfältig zielte, ertönte erneut die ärgerliche Stimme des Mädchens in seinem Kopf. Du weißt, dass das nicht meine Waffe ist.

Er schoss und verfehlte das Ziel. Alia kicherte.

»Was meinst du damit, dass es nicht deine ist?« Er ignorierte Paolos verwunderten Blick, als der Junge von ihm die Waffe annahm.

Sie ist eine Fälschung. Ich habe niemals eine solche Klingenpistole besessen.

»Lass mich in Ruhe!«

»Mit wem redest du?«, fragte Paolo.

Der Baron griff in die Tasche und bot die Kapseln mit orangefarbenem Gewürzersatz Paolo an, der sie gehorsam nahm. Er riss dem Jungen die Waffe wieder aus der Hand. »Red keinen Unsinn. Der Antiquitätenhändler hat mir die Waffe zusammen mit einem Echtheitszertifikat verkauft.«