Die fabelhafte Welt der fiesen Tiere - Frank Nischk - E-Book

Die fabelhafte Welt der fiesen Tiere E-Book

Frank Nischk

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Beschreibung

Was hat eine Grille mit einem Streichinstrument gemeinsam? Gibt es tatsächlich Käfer, die ihre Leuchtorgane dimmen können? Und wie kann es sein, dass man Heuschrecken einer bestimmten Spezies mal mit roten, mal mit grünen Beinen findet? Nur eine Laune der Natur, oder hat die Evolution hier eine neue Art hervorgebracht? Kakerlaken, Ameisen, Wespen, Quallen und Würmer – oft sind es die unscheinbaren, die stechenden, die vermeintlich ekligen Tierchen, die uns mit ihren faszinierenden Geschichten besonders überraschen. Frank Nischk, passionierter Zoologe und Insektenliebhaber, lässt uns staunen über die verborgene Schönheit, die unglaubliche Formenvielfalt und die komplexen Verhaltensweisen der Insekten, sei es im heimischen Baggersee oder im tropischen Regenwald. Verblüffende Einblicke in die unbekannten Lebenswelten unterschätzter Tierarten!

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Seitenzahl: 255

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Entdeckungsreise in einen faszinierenden Kosmos

Was hat eine Grille mit einem Streichinstrument gemeinsam? Gibt es tatsächlich Käfer, die ihre Leuchtorgane dimmen können? Und wie kann es sein, dass man Heuschrecken einer bestimmten Spezies mal mit roten, mal mit grünen Beinen findet? Nur eine Laune der Natur, oder hat die Evolution hier eine neue Art hervorgebracht?

Frank Nischk, passionierter Zoologe und Insektenlover, lässt uns staunen über die verborgene Schönheit, die unglaubliche Formenvielfalt und die komplexen Verhaltensweisen der Insekten, sei es im heimischen Baggersee oder im tropischen Regenwald. Verblüffende Einblicke in die unbekannten Lebenswelten unterschätzter Tierarten!

FRANK NISCHK

DIE

FABELHAFTE

WELT DER

fiesen

TIERE

Von fürsorglichen Schaben,

tauchenden Libellen und boxenden Krebsen

Eine Liebe auf den zweiten Blick

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Copyright © 2020 by Ludwig Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angelika Lieke

Covergestaltung: Eisele Grafik-Design, München

unter Verwendung der Illustrationen von LiliiaKyrylenko/Bigstock, Decentstock/Bigstock, Evgenia_1990/Bigstock und irkus/Bigstock

Innenillustrationen: Stephanie Raba

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN: 978-3-641-23896-4V001

www.ludwig-verlag.de

Inhalt

EINLEITUNG

Forscher, nicht Streichelbiologe

Erster Teil

Das Schabenjahr

Kakerlaken statt Kolibris

Die (nicht-)Deutsche Schabe

Höhere und niedere Tiere

Schaben verleihen, Schaben vergolden

Die Säugetiere unter den Insekten

Auf Fabres Spuren

Der Schabentsunami

Wozu sind Kakerlaken eigentlich gut?

Zweiter Teil

Rückkehr in den Regenwald

Bei Anruf Liebe

Welcome to the jungle

Das Urwalddorf

Grillenqual

Opernhaus Tropenwald

Die Wandelbare

Die Jagd nach der Spinnengrille

Der Schmerz-Gourmet

Die Invasion der Treiberameisen

Abschied von San Pablo

Dritter Teil

Rettet die Vielfalt

Vom Schädling zum Schützling

Das stille Land

Von Brillenbären, Ameisenpittas und kleinen Stinkern

Ein Netz aus Biotopen

Thriller im Baggersee

Lieblingstiere

Dank

Anmerkungen

Für Martin Dambach

EINLEITUNG

Forscher, nicht Streichelbiologe

Der Herr der Ratten und der Mäuse

Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse …

Johann Wolfgang von Goethe:

Faust, der Tragödie erster Teil

»Fränkie, komm schnell! Im Garten ist ein Waran!« Es war die Stimme meiner Mutter, die durchs Haus drang und mich sofort in Alarmbereitschaft versetzte. Die Vorstellung, dass sich ein indonesisches Raubtier, ein Riesenreptil, durch die Tulpenbeete meines Vaters schlängelte, manifestierte sich sofort in meinem noch unreifen Gehirn. Die geringe Plausibilität dieses Gedankens blendete ich aus und stürzte ans Fenster. »Wo? Wo? WOISTER?« Meine Augen scannten jeden Quadratzentimeter unseres Ziergartens. Mein Forscherherz schlug wild.

Reptilien waren mein Ding, als ich klein war. Dafür habe ich mich nie besonders für Ponys interessiert. Und es war nie mein Herzenswunsch, einen Hund als Spielgefährten zu haben. Ich war immun gegenüber den Verlockungen knopfäugiger Hundewelpen, tapsiger Kätzchen oder putziger Goldhamster. Stattdessen war, so lange ich zurückdenken kann, einer meiner Lieblingsorte das große Terrarium der Bindenwarane im Aquarium des Kölner Zoos. Stundenlang hätte ich den schlanken Riesenechsen dabei zusehen können, wie sie träge auf dem Betonboden ihres Kölner Zuhauses herumlagen. Ab und an schwamm eines der Tiere durch das Wasserbecken des Geheges. Viel mehr passierte dort nicht. Dennoch konnte ich mich nicht von den Reptilien losreißen, was mir bei meinen Eltern und meinem zwei Jahre älteren Bruder den Ruf eines kleinen, nervigen Spinners einbrachte. Und was gemeinsame Zoobesuche in eine für meine Familie sehr zähe Angelegenheit verwandelte.

Wir wohnten damals in Wesseling, einer Kleinstadt vor den Toren Kölns. »Stadt« war zu jener Zeit und auch heute noch ein Euphemismus für diese Siedlung am Rhein. Gewaltige Chemiefabriken und Raffinerien umzingeln die etwa dreißigtausend Bewohner. Silos, Kamine und Öfen überragen die höchsten Gebäude. Nachts, wenn die Fabriken von Tausenden Neonlampen beleuchtet sind und die Fackeln der Raffinerien brennen, erinnert das Ganze fast ein bisschen an die Skyline Manhattans. Am Tag findet man sich allerdings in einem ziemlich hässlichen Industrieort wieder.

Wir wohnten in einer kleinen Werkssiedlung, die direkt an eines der Fabriktore grenzte, alles einen Steinwurf vom Rhein entfernt. Uns Kindern war es strengstens verboten, sich dem großen Strom zu nähern, der damals eine stinkende Kloake war. Während sich die Wasserqualität des Rheins dank immer effizienterer Kläranlagen bis heute gravierend zum Guten gewendet hat, war etwas anderes besser als heute: Selbst in der kleinen Industriestadt, direkt neben der großen Fabrik, erstreckten sich verwilderte Gärten, die einem Jungen, der sich für Natur begeisterte, immer neue Entdeckungen bescherten. Unter dem Dach unseres Werkshauses brüteten Mehlschwalben, aber diese Sommergäste, die ihre Nester an die Wand klebten, waren einfach zu normal, sodass ich sie kaum eines Blickes würdigte. Meine kleinen Expeditionen führten mich zu zirpenden Heuschrecken. Liefen wir Kinder durch die wilden Gärten, spritzten die Grashüpfer aus den üppigen Blumenwiesen. Wir fingen die Insekten und stellten zugegebenermaßen grausame Experimente mit ihnen an. Was passierte, wenn man das kleine Kerbtier in eines der vielen Spinnennetze warf? Kreuzspinnen waren in der Werkssiedlung fast genauso häufig zu finden wie Heuschrecken, Käfer, Wanzen und andere Insekten.

Aber ein Waran, eine exotische Echse, in unserem Garten? Der Wunsch, mein Lieblingstier einmal in freier Wildbahn zu sehen, war so groß, dass ich das Wort Waran hören WOLLTE, als mich meine Mutter rief. Man muss dazu sagen, dass sie Österreicherin ist. Und dass bei ihr ein hartes F gerne mal wie ein weiches W klingt – und umgekehrt. Ich löcherte sie also immer noch aufgeregt, wo das Biest denn sei. Sie zeigte in den Garten, in dem ein großer Vogel mit langen, auffälligen Schwanzfedern umherstolzierte. Kein Waran, ein Fasan, genauer ein Goldfasan, hatte sich in unsere Werkssiedlung verirrt. Meine Enttäuschung war riesig. Bis heute kann ich Fasanen, mögen sie auch noch so schön sein, nicht viel abgewinnen.

Wenn ich jetzt, fast fünfzig Jahre später, durch die Straße meiner Kindheit laufe, sehe ich, wie sich alles verändert hat. Es stehen dort zwar immer noch die alten Werkshäuser, die einst verwilderten Grundstücke aber sind bebaut oder zubetoniert und dienen als Parkplätze. In den Gärten drehen Mähroboter ihre Runden. Ein Fasan wird sich in diesen Teil Wesselings kaum mehr verirren. Auch die meisten Insekten sind verschwunden – mit ihnen die Spinnen und die Mehlschwalben. Insektenjäger machen dort keine fette Beute mehr.

Na und?, könnte man denken. Wen kümmern schon ein paar Grashüpfer?

Die Geschichte aus meiner Kindheit steht jedoch für zweierlei: Langsam dämmert es nicht nur Wissenschaftlern, dass wir uns inmitten eines dramatischen Artensterbens befinden. Aber nicht nur Tiger, Nashörner und Gorillas sind in Gefahr. Zehntausende anderer Tierarten, die meisten von ihnen kaum größer als ein Daumennagel, verschwinden ganz lautlos. Wir bemerken es erst, wenn wir uns an die kleinen Jagden unserer Kindheit erinnern.

Das andere, was man wissen muss: Ich bin ein Nerd, ein Insektenlover. Ich interessiere mich also für die oftmals eher unbeliebten kleinen Tierchen. Es ist einfach, Pandas und Ponys zu lieben. Kindchenschema, Knopfaugen, weiches Fell – so funktioniert Tierliebe normalerweise. Streichelbiologen suchen im Tier das Menschliche, den besten Freund, vielleicht sogar den besseren Menschen. Was aber ist mit Blutegeln, Kakerlaken, den Seegurken und den Fadenwürmern? Ja – und natürlich auch den Bindenwaranen? 99,9 Prozent der Lebewesen sind keine Stars, aber vielleicht genauso interessant wie ein riesiger Blauwal oder ein schillernder Kolibri. Ich wollte schon als Kind kein Streichelbiologe sein, sondern als Tierforscher mithelfen, zumindest einige der unzähligen spannenden Geschichten zu erzählen, die die Evolution geschrieben hat und immer noch schreibt. Das ist der Grund, warum ich Biologe wurde, warum ich ein Jahr lang das Verhalten von Babykakerlaken erforschte und warum es mich immer wieder auf Entdeckungsreisen in die Regenwälder Südamerikas zieht. Dort ist es vor allem das unfassbare nächtliche Konzert Tausender Insekten, Frösche und Vögel, das mich jedes Mal aufs Neue begeistert.

In diesem Buch soll es um solche Geschichten gehen, die zeigen, wie sich das Leben seinen Weg sucht. Oft sind es die unscheinbaren, die stechenden, die vermeintlich ekligen und nervenden Tierchen, die uns mit ihren Storys überraschen. Nur was wir kennen, verstehen und vielleicht sogar bereit sind zu lieben, wollen wir auch erhalten. Warum sollten am Ende nicht sogar Babykakerlaken dazugehören?

ERSTER TEIL

Das Schabenjahr

Kapitel Eins

Kakerlaken statt Kolibris

Jede Reise hat ihren Anfang. Meine Expedition zu den unbeliebten Tieren dieses Planeten begann im Jahr 1993 in einem einfachen Hotelzimmer der kolumbianischen Millionenstadt Cali. Damals ging mein Biologiestudium in Köln dem Ende entgegen, und ich musste mir dringend ein Thema für meine Diplomarbeit suchen. Doch genauso sehr, wie ich Biologe sein mochte, wollte ich auch die Welt entdecken. Es sind die Regenwälder der Tropen, die mich seit meinen Kindertagen faszinieren. Der Amazonas, der gewaltigste Strom der Erde, war mein Sehnsuchtsort, den ich mit dem Finger im Schulatlas immer wieder nachfuhr. Also fragte ich mich durch bei Kölns Biologieprofessoren: »Wer kennt Kollegen in Südamerika, die einen Diplomanden suchen?« Zwar war ich komplett ahnungslos, was die Grundlagen der Tropenökologie betraf, dafür aber hoch motiviert.

Glücklicherweise bekam ich rasch Kontakt zu einer deutsch-kolumbianischen Forschergruppe, die mich als Praktikanten wollte. Praktikant, immerhin! Die Wissenschaftler, so erfuhr ich, hatten eine kleine Forschungsstation aufgebaut. Und zwar in einem der letzten Urwälder auf der Westseite der Anden in Kolumbien, zwei Busstunden entfernt von Cali, der drittgrößten Stadt des Landes. Der Amazonas fließt freilich auf der anderen, der Ostseite der Anden, aber das Wort Urwald elektrisierte mich sofort.

Auch das Forschungsobjekt der Biologen klang nach einem Hauptgewinn. Alles drehte sich um Kolibris, die schillernden kleinen Vögel, die brummend wie Helikopter von Blüte zu Blüte schwirren. Atemberaubende Flugakrobaten, die sogar rückwärts fliegen können und die im Schwirrflug, ohne landen zu müssen, den Nektar, ihren Treibstoff, aus den Blüten schlürfen. Eigentlich war ich damals kein »Birder«, also nur mäßig interessiert an der Vogelwelt. Für schillernde Kunstflieger als Eintrittskarte in den Dschungel wollte ich aber gerne eine Ausnahme machen.

Ich sagte also sofort zu und kaufte mir mein Flugticket nach Kolumbien. Die Aussichten für die folgenden Monate erschienen mir bestens – abgesehen von ein paar nicht unbedeutenden Ängsten, die langsam in mir wuchsen.

Nur wenige Länder hatten in den 1990er-Jahren so einen schlechten Ruf wie Kolumbien. Las man in der Zeitung über den Andenstaat, ging es ausschließlich um Gewalt: Drogen, Todesschwadronen und Guerillas. Jeder kannte den Namen des Drogenbosses Pablo Escobar, doch wie hieß noch mal der Präsident des Landes? Keinen Schimmer. Sicher, alle Schlagzeilen über die Mordopfer, die Entführten und die Gewalt entsprachen der Wahrheit. Doch dass es in Kolumbien auch Universitäten, Biologen und einen ganz normalen Alltag gab, war damals unvorstellbar für einen Durchschnittseuropäer.

Deshalb also saß ich in meinem billigen Hotelzimmer und wagte mich nicht hinaus in die fremde Großstadt Cali. Doch was sollte das für ein Tropenforscher werden, der schon am Großstadtdschungel scheitert? Also überlegte ich mir eine Konfrontationsstrategie, die mir helfen sollte, meine Ängste zu überwinden: Ich wollte auf direktem Weg zu Calis belebtester Straße gehen. Mir dort auf der Avenida Sexta einen Fensterplatz in einem Restaurant suchen und beim Lunch das Treiben auf der Straße beobachten – mit ausreichend Sicherheitsabstand. Wenn da Geschäftsleute, Schulkinder und andere normale Menschen auf dem Bürgersteig entlangkämen, sollte auch ich am normalen Leben Kolumbiens teilnehmen können. So mein Plan.

Zunächst lief alles wie erhofft. Nach kurzer Zeit saß ich in einem netten Restaurant, vor mir ein Teller mit Reis, Bohnen, Kochbananen und einem großen gegrillten Fisch. Auf der Straße, wie ich es mir gedacht hatte, waren Menschen wie du und ich unterwegs. Ich begann mich zu entspannen und widmete mich dem Mittagessen. Eines hatte ich aber nicht bedacht. Cali ist eine tropische Stadt, die Fenster des Lokals waren wegen der Hitze nicht verglast, keine schützende Schicht zwischen mir und den Gefahren der Metropole. Es dauerte nicht lange, und ein Obdachloser bemerkte mich im Restaurant. Er schlurfte ans Fenster, streckte seine Hand durch den glaslosen Rahmen und schaute mich fordernd an.

Gibt man einem Bettler in Cali etwas am Restaurantfenster? Der Mann sah mir beim Denken zu. Weil ihm das aber alles zu lange dauerte, schnappte er sich einfach meinen Fisch und schlenderte mampfend davon.

Mein Plan, mich langsam an das Leben in Kolumbien zu gewöhnen, schien vorerst gescheitert. Du wirst dieses Land nicht überleben, dachte ich.

Zum Glück hatte ich mich geirrt. Schon wenige Tage später war ich verliebt in das Land, in die Stadt Cali und in die fantastische tropische Natur. Mit dem Bus ging es weiter nach Bajo Anchicayá, einem kleinen Wasserkraftwerk an der alten Bergstraße, die von Cali zum Pazifikhafen Buenaventura führt. Im Gegensatz zu vielen Gegenden in den Anden waren dort die Hügel und Berge noch mit dichtem Urwald bewachsen. Vom Pazifik zogen jeden Nachmittag dicke Regenwolken auf. Kaum eine Region ist so regenreich wie Kolumbiens Westen. Steile Berge und viel Niederschlag sind die ideale Kombination, um mit der Kraft des Wassers Strom zu erzeugen. Zum Elektrizitätswerk gehörten ein Stausee, ein paar Baracken für Angestellte und Arbeiter, Werkstätten, eine Kantine und das Generatorhaus, in dem Turbinen und Generatoren Tag und Nacht surrten. Dort waren auch wir Biologen untergebracht: eine Kolumbianerin, ein deutscher Doktorand und drei Praktikanten aus Deutschland. Um uns herum, so weit wir schauen konnten, erstreckte sich der Urwald.

In den Wäldern sausten sie von Blüte zu Blüte: Kolibris mit Namen, die ebenso schillernd waren wie ihr Gefieder: Violett-Langschwanzsylphen, Andenamazilien und Smaragde schwirrten zwischen den Bäumen umher, brüteten und zogen ihre winzigen Küken groß. Ich befand mich inmitten meines Kindheitstraums. Noch nie war ich von so viel Schönheit umgeben gewesen, die Bäume hingen voller Bromelien und Orchideen. Baumfarne wuchsen mehrere Meter in die Höhe. Wir sahen langschnäblige Tukane und hörten die Rufe der Brüllaffen. Ich hielt meine erste Boa constrictor, eine drei Meter lange Würgeschlange, in der Hand. Alles schien perfekt.

Doch das stimmte nur zur Hälfte. Ich hatte es zwar in die Tropen geschafft, aber ein Tropenforscher war ich damit noch lange nicht. Stattdessen waren wir Praktikanten zwischen die Fronten eines Streits geraten. Die Biologen der Universität in Cali und mein deutscher Chef bezichtigten sich gegenseitig, Absprachen nicht einzuhalten. Das Dumme für uns war, dass die Kolumbianer am längeren Hebel saßen (zudem schienen sie obendrein im Recht zu sein). Jede Arbeitserlaubnis war für alle Deutschen – ob Professor, Doktorand oder Praktikant – von heute auf morgen erloschen. Der Traum von der Diplomarbeit im Urwald war somit gestorben. Zwar durften wir noch weiter im Paradies wohnen, waren aber zur Untätigkeit verdonnert. Das renke sich wieder ein, hörten wir aus Deutschland. Also warteten wir auf bessere Nachrichten. Eine, zwei, drei Wochen. Irgendwann dämmerte mir, dass ich im Wald von Bajo Anchicayá meine Zeit vertrödelte. So schön es dort auch war und so nett uns die Arbeiter des kleinen Elektrizitätswerkes behandelten – mein Plan war gescheitert.

Das war es dann also mit den Kolibris, dachte ich. Zwei Monate blieben mir noch bis zum Heimflug. Zwei Monate als Tourist in Kolumbien: Ich schwamm im Pazifik, bestieg Vulkane, tanzte Salsa in Calis Salsotecas, dann musste ich zurück nach Deutschland, mich um meine berufliche Zukunft kümmern. Kein Diplomthema würde an die Aussicht herankommen, Kolibris in Kolumbiens Urwald zu beobachten, das war mir klar. Also wollte ich mich wenigstens bei der sympathischsten Arbeitsgruppe meiner Uni bewerben – so lautete mein Plan B.

Martin Dambach war damals einer der wenigen Professoren an der Kölner Uni, der noch klassische Verhaltensforschung lehrte. Genau mein Ding also, wollte ich doch lebende Tiere und ihr Verhalten studieren. »Ja«, sagt der grauhaarige und backenbärtige Zoologe zu mir, er hätte ein Diplomthema für mich. Und ich hätte doppeltes Glück, die Arbeit sei sogar mit einer Anstellung als studentische Hilfskraft verbunden. Eine bezahlte Diplomarbeit, das war die absolute Ausnahme und somit wie ein Sechser im Lotto. Ob die Sache einen Haken habe, fragte ich. Als Antwort führte mich der Professor in eine kleine Kammer. Dort stand eine große rote Plastikbox auf dem Fußboden. Genauer, sie schwamm in einem Wassertank. Das Wasser, so erklärte er mir, sollte den Bewohnern der Kiste das Entkommen erschweren. Dann hob er den Gazedeckel von der Kiste. Den oberen Rand der Box umspannten drei schmale Metallschienen. Sie wurden laufend unter Strom gehalten. Der Grund für dieses elektrische Hindernis war derselbe wie für den Wassergraben. Die Flucht der Versuchstiere musste unbedingt verhindert werden. In der Box waren Eierkartons auf dem Boden verteilt, zwischen denen es wimmelte, alles war in Bewegung. Hunderte, nein, Tausende kleiner Schaben liefen dort umher. Mir stieg ein unangenehmer Geruch in die Nase, der mich das kommende Jahr ständig begleiten sollte.

»Wir erforschen das Aggregationsverhalten der Deutschen Schabe, Blattella germanica«, eröffnete mir Professor Dambach. »Die Firma Bayer interessiert sich für eine Substanz, die in den Faeces der Tiere enthalten ist. Diese Substanz bewirkt, dass die Tiere eng in Gruppen beisammensitzen, anders ausgedrückt, sie aggregieren. Darum Aggregationsverhalten. Bayer bezahlt Ihre Stelle.«

»Faeces?«

»Ja, die Kotpartikel der Schaben«, lernte ich noch im Schabenzuchtraum.

Schabenscheiße statt Regenwald, so tief kann man fallen, dachte ich. Dennoch willigte ich ein. Mein Diplomthema stand damit fest: nicht Kolibris in Kolumbien, sondern Kakerlaken in Köln. Wenig glamouröse Aussichten für das folgende Jahr. Oder sollte ich mich irren?

Kapitel Zwei

Die (nicht-)Deutsche Schabe

Sie ist sicher eines der unbeliebtesten Tiere der Welt, die Deutsche Schabe Blattella germanica. Läuft einem in der Küche ein Exemplar dieses Hausschädlings über den Weg, schrillen alle Alarmglocken. Zu Recht! Auf die eine Kakerlake, der man begegnet, kommen tausend versteckte, sagen Experten. Die Deutsche Schabe hat sich mit dem Menschen über die ganze Welt verbreitet. Die mit unter zwei Zentimetern Länge recht kleine Art besitzt ein paar Eigenschaften, die ihre einmalige Erfolgsgeschichte erklären:

Deutsche Schaben sind sehr genügsam. Ein bisschen Wärme, ein paar flache Ritzen als Unterschlupf und wenige Krümel als Nahrung reichen, und Blattella germanica fühlt sich bei uns Menschen zu Hause. Jede im Winter beheizte Hütte mit einer kleinen Vorratskammer ist ein potenzielles Biotop dieser Art.

Der Mensch lebt seit schätzungsweise zehn- bis zwanzigtausend Jahren in festen Behausungen. Irgendwann in diesem Zeitraum muss sich die Deutsche Schabe Homo sapiens angeschlossen haben. Das Erstaunliche aber ist, dass es heute keine bekannte Wildpopulation der Art mehr gibt. Blattella germanica hat sich komplett dem Leben an unserer Seite verschrieben. Ein paar Tausend Jahre sind in den Dimensionen der Evolution zwar nur ein Lidschlag, denkbar ist dennoch, dass sich die Hausschabe inzwischen so auf das Zusammenleben mit uns Zweibeinern spezialisiert hat, dass sie gar nicht mehr ohne menschliche Gesellschaft überleben kann. Dann würde sie das Schicksal vieler Tier-, Pflanzen- und Pilzarten teilen, die ausschließlich in sogenannten Indoor-Lebensräumen existieren.

Was zunächst wie eine extreme Spezialisierung erscheint, ist in Wahrheit eine enorm erfolgreiche Strategie. Menschliche Behausungen machen heute schon, je nach Schätzung, ein bis drei Prozent der eisfreien Landfläche weltweit aus. Und während Urwälder, Moore oder Feuchtwiesen schrumpfen, wachsen Dörfer und Städte immer weiter, gerne auch in die Höhe. Beispielsweise New York: Der Stadtteil Manhattan erstreckt sich über 59 Quadratkilometer. Weil fast alle Häuser aber aus weit mehr als einer Etage bestehen, ist der potenzielle Lebensraum der Deutschen Schabe auf Manhattan dreimal größer als die Halbinsel selbst. Die Zukunft von Blattella germanica erscheint angesichts des unaufhaltsamen Wachstums der Städte mehr als rosig.

Die meiste Zeit verbringen Schaben in ihren Verstecken, nachts wagen sie sich nach draußen und suchen Fressbares. Wenn einem tagsüber eine Schabe über den Weg läuft, ist das ein eher ungutes Zeichen. Dann, so sagen Kammerjäger, »ist der Befall sehr hoch«. Übersetzt soll das heißen, dass dann alle Schabenverstecke pickepacke voll sind. Hausschaben lieben Gesellschaft. In den Unterschlupfen sitzen sie eng beisammen, dabei halten sie mit ihren Fühlern Kontakt zu Nebenmann oder Nebenfrau.

So ein Schabenversteck ist kein besonders einladender Ort (außer natürlich man ist eine Schabe). Die Insekten entleeren sich gerne dort, wo sie sich verstecken. Oder anders ausgedrückt: Sie lassen sich gerne auf ihrem eigenen Kot nieder. Kein Wunder also, dass Menschen solche Mitbewohner eklig finden. Wer tagsüber auf seinen Exkrementen schläft, den hat man nachts nicht gerne zu Gast in seinem Vorratsschrank.

Dabei ist die Deutsche Schabe ein eher harmloser Hausgenosse. Sie sticht nicht wie eine Bettwanze, und sie macht keinen Lärm wie ein Heimchen, eine singende Grillenart, die ebenfalls gerne beim Menschen zu Gast ist. Ja, Blattella kann Allergien auslösen und wohl auch Krankheiten verbreiten, aber verglichen mit Zecken (Gehirnhautentzündung) oder Flöhen (man denke an das Wüten der Pest) spielt auch das kaum eine Rolle. Dennoch ist die Kakerlake zum Inbegriff für Verwahrlosung geworden. Wer Schaben hat, putzt zu wenig, Schaben sind ein Zeichen schlechter Hygiene, so heißt es. Niemand will die Viecher haben und auch keinen Kontakt zu denen, die sie haben.

Das fängt schon mit dem Namen an. Warum heißt der kleine Plagegeist ausgerechnet Deutsche Schabe? Nicht etwa, weil die Art ursprünglich aus Deutschland stammt. Bis heute ist nicht klar, wo der Ursprung der Art liegt. Erst galt Europa als die eigentliche Heimat von Blattella germanica. Die meisten wild lebenden verwandten Arten aus der Gattung Blattella bewohnen allerdings tropische Wälder in Südostasien. Ob der Ursprung von Blattella germanica auch in Asien zu suchen ist, weiß man nicht. Warum also Deutsche Schabe? Die ernüchternde Antwort ist, dass Blattella germanica immer schon nach der Volksgruppe benannt wurde, die man gerade gerne diffamieren wollte. Der österreichische Verhaltensforscher Karl von Frisch schrieb über Blattella:

»In manchen Teilen Süddeutschlands sind sie als Preußen bekannt, im Norden als Schwaben, in Westdeutschland heißen sie Franzosen, im Osten Russen. In Russland sind sie wieder die Preußen. Selbst der gelehrte Schwede Carl von Linné verfiel diesem Brauch, als er der Hausschabe den Artnamen ›germanica‹ verlieh.«

Carl von Linné war Professor an der schwedischen Universität Uppsala, als er im 18. Jahrhundert auf die geniale Idee kam, alle Tier- und Pflanzenarten zu benennen. So entstand das noch heute gültige System der binären Nomenklatur: Jede Bezeichnung für eine Tierart besteht erstens aus dem Namen der Gattung, zu der die Art gehört, und zweitens dem Artnamen. Für die Deutsche Schabe bedeutet das: Blattella ist die Gattung, germanica die Art. Die binäre Nomenklatur hat unschlagbare Vorteile. Sie ist präzise und weltweit gültig – über alle Sprachbarrieren hinweg. Außerdem gibt der Name Aufschluss über die Zugehörigkeit einer Art zu einer Gruppe von Lebewesen und damit über ihre Stellung innerhalb der Tier- und Pflanzenwelt. Im Falle von Blattella germanica ist für einen Biologen klar, dass es um ein Insekt aus der Gruppe der Schaben geht. Warum Carl von Linné die Art aber zu einer deutschen gemacht hat, dieses Geheimnis nahm er im Jahr 1778 mit ins Grab.

Viel spannender ist die Frage, warum Blattella germanica zu einem so überaus erfolgreichen Lästling werden konnte. Man findet die Plagegeister in jedem Land der Erde. Schädlingsbekämpfer nennen Blattella auch »the perfect bug«, den perfekten Schädling. Es beginnt schon beim Schabensex, also dem Sexualverhalten der Art. Bei der Paarung überträgt das Schabenmännchen ein Spermienpaket auf das Weibchen. Über Monate kann das so begattete Weibchen immer neue sogenannte Ootheken produzieren. Das sind Eipakete, die es bis kurz vorm Schlüpfen von 15 bis 35 farblosen Minischaben, den Nymphen, mit sich herumträgt. Dann genehmigt sich das Schabenweibchen eine große Portion Wasser und erhöht so seinen eigenen Innendruck. Das lässt die Oothek vom Hinterleib der werdenden Mutter abfallen. Wenige Stunden später befreit sich der Nachwuchs aus dem Eipaket. In nur sechs bis zehn Wochen durchlaufen die Nymphen mehrere Larvenstadien bis zur Imago, der erwachsenen Schabe, die sich möglichst bald wieder mit ihresgleichen paart. Nur fünf begattete Schabenweibchen könnten so theoretisch – inklusive Kinder und Kindeskinder – 45 Millionen Nachkommen in nur einem Jahr produzieren. In der Realität sind es wohl »nur« 100 000 pro Schabenpaar. Ein paar begattete Schabenweibchen im Proviant einer Karawane sollten trotzdem reichen, ein neues Dorf, eine neue Stadt oder ein ganzes Land zu erobern.

So gelang Blattella ihr Feldzug über die ganze Erde. Schaben wurden schon in Fernsehern, Mikrowellenöfen, in U-Booten und Flugzeugen gefunden. Der amerikanische Biologe Eugene Garfield nannte Blattella germanica deshalb »the most frequent flyer« – den eifrigsten Vielflieger. Wer Samen- und Eipakete mit sich herumträgt, ein regelmäßiger Fluggast ist und Tausende von Nachkommen hervorbringt, dem steht die Welt offen.

Aber auch lange vor Erfindung des Flugzeugs waren Schaben schon mobil. Der englische Freibeuter Francis Drake berichtete im 16. Jahrhundert von gekaperten spanischen Galeeren voller Kakerlaken. Auch heute noch reisen Deutsche Schaben in Handels- und Passagierschiffen über alle Weltmeere. Ihr robuster und flacher Körper, der in jede kleine Ritze passt, macht Blattella germanica zum perfekten blinden Passagier.

Doch Fortpflanzung und Mobilität sind noch nicht alles, was die Schabe zum gefürchteten Schädling macht. Die Insekten sind außerdem nicht wählerisch, was ihre Ernährung betrifft. Nahezu alle menschlichen Vorräte und Speisereste sind gut genug für die Deutsche Schabe. Die Tiere beherbergen in speziellen Zellen, Myzetozyten genannt, Bakterien, die ihnen helfen, aus einfachen organischen Substanzen lebenswichtige und weitaus komplexere Verbindungen herzustellen. Diese Symbiose mit Bakterien ermöglicht den Schaben einen vielfältigen Speiseplan. So sollen zwölf Schaben eine Woche lang vom Klebstoff einer einzigen Briefmarke gelebt haben. Blattella wurde dabei beobachtet, wie sie sich über Schuhputzmittel, Textilien und menschliche Haare hermachte.

Die Genügsamkeit der Schaben macht ihre Bekämpfung doppelt schwierig. Haben sich die Krabbler erst einmal irgendwo eingenistet, reicht nicht der lapidare Hinweis: »Mehr Ordnung, mehr putzen!« Manchmal bewirkt man damit sogar das Gegenteil. Als ich 1993 meine Diplomarbeit im Zoologischen Institut in Köln begann, erzählte man sich dort folgende Geschichte:

Über Jahre kämpften die Biologen des Instituts selbst gegen eine wahre Schabenplage. Wer nachts in seinem Labor nach dem Rechten schauen wollte und das Deckenlicht anschaltete, mochte seinen Augen nicht trauen ob des Anblicks, der sich bot. Der gesamte Fußboden war braun, komplett bedeckt von Tausenden kleiner Schaben. Vom Licht aufgescheucht verdrückten sich die Tiere unter Labormöbel und in Ritzen in der Wand. Innerhalb von Sekunden nahm der Boden so wieder das Hellblau des universitären Linoleums an. Über Nacht fraßen die Insekten alles, was sie finden konnten – bis hin zu den Beschichtungen zum Trocknen aufgehängter Fotonegative. Vorsichtsmaßnahmen wurden verordnet. Kein Butterbrotrest sollte im Papierkorb entsorgt werden, nichts Essbares offen herumliegen. Doch vergeblich, die Kakerlakenplage war nicht zu stoppen. Im Gegenteil – je häufiger die Uni-Putzkolonne anrückte, desto schlimmer wurde es.

Des Rätsels Lösung war das Bohnerwachs, das die Putzkräfte verwendeten. Früher hatten die Hersteller dem Putzmittel geringe Mengen des Insektizids DDT zugemischt. In den 1970ern aber wurde die Substanz verboten, weil sie sich in der Natur anreicherte. Vögel, die zu viel von diesem Gift im Blut hatten, wurden unfruchtbar und legten Eier mit zu dünnen Schalen. Ein gewaltiges Vogelsterben drohte. Deshalb wurde der Insektenkiller auf den Index gesetzt. Ohne es zu wissen, bereitete man so aber Blattella und ihren symbiontischen Bakterien mit jedem Putzgang ein Festmahl. Statt die lästigen Schädlinge durch Wienern des Bodens auszumerzen, fütterte man sich erst eine richtige Plage heran. Heute mischen Hersteller von Bohnerwachs oder Möbelpolitur ihre Produkte mit Stoffen, die Insekten abschrecken, sogenannten Repellents. Das verdirbt den Winzlingen den Appetit auf Putzmittel.

Mit diesem quasi unbesiegbaren Schädling, einem Tier, das Bohnerwachs frisst, sollte ich es also in meiner Diplomarbeit aufnehmen. Je mehr ich über die Deutsche Schabe las, umso mehr faszinierte sie mich. Sicher, mein eigenes Zuhause wollte auch ich nicht mit Blattella teilen. Penibel untersuchte ich an jedem Feierabend, ob sich auch kein sechsbeiniger Mitbewohner in spe in meine Taschen geschlichen hatte. Doch Kakerlaken, so dämmerte mir, sind alles andere als langweilig. Keine bunten Flugakrobaten wie Kolibris, aber zähe Überlebenskünstler und die perfekten reisefreudigen Begleiter des Menschen. Kurz: »The perfect bug!«

Kapitel Drei

Höhere und niedere Tiere

Was klingt aufregender, Kakerlaken- oder Kolibriforschung? Für die meisten Menschen liegt die Antwort sicher auf der Hand: Sie würden sich lieber den quirligen Vögeln Amerikas verschreiben als den so unbeliebten Küchenschaben.

Doch warum ist das überhaupt so? Warum sind die Menschenaffenbiologinnen Jane Goodall und Dian Fossey weltbekannt, während Heerscharen anderer Zoologen niemals für ähnliche Schlagzeilen sorgen werden? Das ist dem Gegenstand ihrer Forschung geschuldet. Es liegt daran, dass der Mensch aus dem Tierreich eine Zweiklassengesellschaft gemacht hat.

Ich möchte mich hier eines Vergleichs aus der Welt des Fußballs bedienen: In der Bundesliga spielen die Wirbeltiere, insbesondere unsere nächsten Verwandten, die Säugetiere und vielleicht auch noch die Vögel. Für Reptilien, Amphibien und Fische ist die zweite Liga reserviert. Der große Rest, die Kreaturen aus der tausendfach artenreicheren Gruppe der Wirbellosen, spielt in den verschiedenen Amateurklassen. Sie, die Schwämme, Schnecken, Platt-, Ringel- und Fadenwürmer, die Nessel-, die Hohltiere und viele, viele mehr sind eine Sache für absolute Enthusiasten, für Nerds und irgendwie anderweitig Gestörte. Je ähnlicher uns ein Tier ist, umso interessanter ist es. Menschenaffen spielen demnach in der Champions League, Rädertierchen oder Regenwürmer gehören in die Kreisklassen des Lebens.

Lange waren Biologen mit schuld an dieser einfältigen Einteilung, sprachen sie doch selbst von »niederen« und »höheren« Tieren. Doch solche Begriffe führen in die Irre, wie schon Blattella germanica, die so unendlich anpassungsfähige Küchenschabe, beweist.

Natürlich sind manche Tiere um einiges »einfacher« gestrickt, also weniger komplex als andere, sowohl in ihrem Körperbau als auch in ihrem Verhalten. Bei einigen Tieren gilt das allerdings nur so lange, bis man genauer hinschaut. Dann findet man bei den vermeintlich simpelsten Kreaturen ganz erstaunliche Anpassungen für den großen Überlebenskampf.

Quallen beispielsweise schwimmen wohl schon länger als 500 Millionen Jahre durch die Weltmeere. Meistens lassen sie sich einfach mit den Meeresströmungen treiben. Sie können sich aber auch aktiv fortbewegen, indem sie ihren Schirm ruckartig zusammenziehen und auf diese Weise Wasser nach hinten ausstoßen. Diese Bewegung katapultiert die Qualle ein Stückchen weiter nach vorne. Bis zu zehn Kilometer in der Stunde können manche Quallenarten so zurücklegen.

Besonders komplex ist die Gestalt der Quallen wahrlich nicht. Sie bestehen aus einem schirmförmigen Körper und den Tentakeln, die die Tiere mit Nahrung versorgen. Quallen haben einen Magen und einen Mund, aber noch nicht mal einen After. Hinzu kommen ein paar Nerven- und Geschlechtszellen – das war’s dann auch schon fast. Aber eben nur fast. Wer jemals Kontakt mit einer Qualle hatte, weiß, dass sie – bei aller Schlichtheit – über gefährliche und schmerzhafte Waffen verfügen.

Die Tentakel der Quallen sind gespickt mit ganz besonderen Zellen, den sogenannten Nematocyten, den Nesselzellen. Sie sind wahre Hochleistungs- und Hochgeschwindigkeitswaffen. Und sie gehören zu den komplexesten Zelltypen im gesamten Tierreich. Vielleicht mag der Vergleich hinken, aber eine Qualle mit ihren tödlichen Nesselzellen mutet ein wenig an wie ein altes Wikingerschiff, bewaffnet mit modernsten lasergesteuerten Lenkraketen.

Nesselzellen haben nur eine, für die Qualle aber überlebenswichtige Funktion: Sie sollen möglichst effektiv eine Ladung Gift in den Körper anderer Lebewesen injizieren – sei es in den von Feinden oder in den von Beutetieren, die sich das Nesseltier einverleiben will.