Die Familie Selicke. Drama in drei Aufzügen - Arno Holz - E-Book

Die Familie Selicke. Drama in drei Aufzügen E-Book

Arno Holz

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Beschreibung

Mit schonungslosem Blick beschreiben Arno Holz und Johannes Schlaf in ihrem Stück die ökonomische Verelendung und Bindungslosigkeit einer Berliner Kleinbürgerfamilie. Seit seiner Uraufführung im Jahr 1890 gilt das Drama des Autorenduos als Mustertext des Naturalismus. Hier kommen Verfahrenstechniken und Schreibweisen zur Anwendung, die Theodor Fontane bewundernd als dramatisches »Neuland« bezeichnete. Die Ausgabe enthält Anmerkungen und ein neues Nachwort. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 124

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Arno Holz / Johannes Schlaf

Die Familie Selicke

Drama in drei Aufzügen

Mit einem Nachwort und Anmerkungen von Ingo Stöckmann

Reclam

1966, 2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961977-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019655-7

www.reclam.de

Inhalt

Die Familie Selicke

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Literaturhinweise

Nachwort

[5]Die Familie Selicke

[6]Personen

EDUARD SELICKE, Buchhalter

Seine FRAU

TONI, 22 Jahre alt

ALBERT, 18 ”  ”

WALTER, 12 ”  ” ihre Kinder

LINCHEN, 8 ”  ”

GUSTAV WENDT, cand. theol., Chambregarnist bei ihnen

Der alte KOPELKE

 

ZEIT: Weihnachten

ORT: Berlin N

[7]Erster Aufzug

Das Wohnzimmer der Familie Selicke.

Es ist mäßig groß und sehr bescheiden eingerichtet. Im Vordergrunde rechts führt eine Tür in den Korridor, im Vordergrunde links eine in das Zimmer Wendts. Etwas weiter hinter dieser eine Küchentür mit Glasfenstern und Zwirngardinen. Die Rückwand nimmt ein altes, schwerfälliges, großgeblumtes Sofa ein, über welchem zwischen zwei kleinen, vergilbten Gipsstatuetten »Schiller und Goethe« der bekannte Kaulbach’sche Stahlstich »Lotte, Brot schneidend« hängt. Darunter im Halbkranze, symmetrisch angeordnet, eine Anzahl photographischer Familienporträts. Vor dem Sofa ein ovaler Tisch, auf welchem zwischen allerhand Kaffeegeschirr eine brennende weiße Glaslampe mit grünem Schirm steht. Rechts von ihm ein Fenster, links von ihm eine kleine Tapetentür, die in eine Kammer führt. Außerdem noch, zwischen den beiden Türen an der linken Seitenwand, ein Tischchen mit einem Kanarienvogel, über welchem ein Regulator tickt, und, hinten an der rechten Seitenwand, ein Bett, dessen Kopfende, dem Zuschauerraum zunächst, durch einen Wandschirm verdeckt wird. Über ihm zwei große, alte Lithographien in fingerdünnem Goldrahmen, der alte Kaiser und Bismarck. Am Fußende des Bettes, neben dem Fenster, schließlich noch ein kleines Nachttischchen mit Medizinflaschen. Zwischen Kammer- und Küchentür ein Ofen; Stühle.

 

Frau Selicke, etwas ältlich, vergrämt, sitzt vor dem Bett und strickt. Abgetragene Kleidung, lila Seelenwärmer, Hornbrille auf der Nase, ab und zu ein wenig fröstelnd. Pause.

 

[8]FRAU SELICKE(seufzend). Ach Gott ja!

WALTER(noch hinter der Szene, in der Kammer). Mamchen?!

FRAU SELICKE(hat in Gedanken ihren Strickstrumpf fallen lassen, zieht ihr Taschentuch halb aus der Tasche, bückt sich drüber und schnäuzt sich).

WALTER(steckt den Kopf durch die Kammertür. Pausbacken, Pudelmütze, rote, gestrickte Fausthandschuhe). Mamchen? Darf ich mir noch schnell ’ne Stulle schneiden?

FRAU SELICKE(ist zusammengefahren). Ach, geh, du ungezogner Junge! Erschrick einen doch nich immer so! (Ist aufgestanden und an den Tisch getreten.) Kannst du denn auch gar nich ’n bisschen Rücksicht nehmen?! Siehst du denn nich, dass das Kind krank ist?

WALTER(ist unterdessen aufs Sofa geklettert und trinkt nun nacheinander die verschiedenen Kaffeereste aus. Den Zucker holt er sich mit dem Löffel extra raus). Aber ich hab doch noch solchen Hunger, Mamchen?

ALBERT(ebenfalls noch hinter der Szene, in der Kammer, deren Tür jetzt weit aufsteht. Man sieht ihn vor einer kleinen Spiegelkommode, auf der ein Licht brennt. Knüpft sich grade seine Krawatte um. Hemdärmel). Ach was, Mutter! Jieb ihm lieber ’n Katzenkopp un denn is jut!

FRAU SELICKE(die jetzt Walter die Stulle schneidet). Na, du, Großer, sei doch man schon ganz still! Du verdienst ja noch alle Tage welche! Ich denk, ihr seid überhaupt schon lange weg?

ALBERT(ärgerlich). Ja doch! Gleich! Aber ich wer’ mir doch wohl noch erst den Rock abbürschten können?

FRAU SELICKE. Na ja, gewiss doch! Steh du man immer recht vorm Spiegel und vertrödle recht viel Zeit! Da [9]werd’t ihr ja euern lieben Vater sicher noch finden! Der wird heute grade noch auf ’m Kontor sitzen!

ALBERT. Ach Jott! Nu tu doch man nicht wieder so! Vor sechs kann er ja doch heute sowieso nich aus ’m Geschäft!

FRAU SELICKE. So! Na! Und wie spät denkste denn, dass es jetz’ is? (Hat während des Streichens der Stulle einen Augenblick innegehalten, den Schirm von der Lampe gerückt, die Brille auf die Stirn gerückt und nach dem Regulator gesehen.) Jetz’ is gleich drei Viertel!

ALBERT. Ach, Unsinn? Die jeht ja vor!

FRAU SELICKE(für sich, fast weinend). Hach nee! Ich sag schon! Sicher is er nu wieder weg, und vor morgen früh wer’n wir ’n ja dann natürlich nich wieder zu sehn kriegen! Nein, so ein Mann! So ein Mann! …

ALBERT(noch immer in der Kammer und vorm Spiegel). Hurrjott, Mutter! Räsonier doch nicht immer so! Du weißt ja noch gar nich!

FRAU SELICKE. Ach was! Lass mich zufrieden! Beruf mich nich immer! Ich weiß schon, was ich weiß! (Unwirsch zu Walter.) Da – haste! Klapp se dir zusammen und dann macht, dass ihr endlich fortkommt! Aus euch wird auch nischt!

  (Es klingelt.)

  (Einen Augenblick lang horchen beide. Frau Selicke ist zusammengefahren, Walter starrt, die Stulle in der Hand, mit offenem Munde über die Lampe weg nach der Tür, die ins Entree führt.)

FRAU SELICKE(endlich). Na? Machste nu auf, oder nich?

  (Walter hat die Stulle liegen lassen und läuft auf die Tür zu. Er klinkt diese auf und verschwindet im Entree.)

[10]ALBERT(der eben aus der Kammer getreten ist, in der er das Licht ausgelöscht hat. Zieht sich noch gerade seinen Überzieher an. Aus der Brusttasche stecken Glacés, zwischen den Zähnen hält er eine brennende Zigarette, an einem breiten, schwarzen Bande baumelt ihm ein Kneifer herab. Modern gescheitelt. Hut und Stöckchen hat er einstweilen auf den Stuhl neben dem Sofa platziert. Zu Frau Selicke, indem er mit dem Fuße die Tür hinter sich zudrückt). Nanu? Das kann doch unmöglich schon der Vater sein?

FRAU SELICKE(die sich wieder mit dem Kaffeegeschirr zu tun macht, unruhig). Ach wo!

  (Unterdessen ist draußen die Flurtür aufgegangen, und man hört die Stimme des alten Kopelke: »Brrr … is det heit ’n Schweinewetter!?« – Die Tür klappt wieder zu, und jetzt schreit Walter laut auf, ausgelassen: »Ach! Olle Kopelke! Olle Kopelke!« – »Nich doch, Kind, nich doch; du tust mir ja weh! Du drickst mir ja! Du musst doch abber ooch heern! Da – nimm mir mal lieber hier ’n bissken det Menneken ab! … Brrr … nee … äh!«)

ALBERT(zu Frau Selicke, sich die Handschuhe zuknöpfend).

Ach, der alte Quacksalber?!

FRAU SELICKE. Na, du Großmaul, wirst doch nich immer gleich das Geld geb’n für ’n Dokter!

ALBERT(aufgebracht). Ach, Blech! Nich wahr? Nu fang wieder davon an! …

WALTER(noch halb im Entree). Au, Mamchen, sieh mal! ’n Hampelmann! Mamchen, ’n Hampelmann! (Er kommt mit ihm ins Zimmer getanzt. Zum alten Kopelke zurück.) Wah? Den schenken Se mir?

KOPELKE(behutsam hinter ihm drein. Klein, kugelrund, [11]freundlich. Vollmondsgesicht, glattrasiert. Sammetjoppe, Pelzkappe, Wollschal). Sachteken! Sachteken!

ALBERT(hat sich den Stock schnell unter den Arm geklemmt und sich den Kneifer aufgesetzt, affektiert). Ah, gut’n Abend, Herr Kopelke!

KOPELKE. ’n Abend! ’n Abend, junger Herr! (Reicht Frau Selicke die Hand.) ’n Abend! (Nach dem Bett hin.) Na? Und meene kleene Patientin? Ick muss doch mal sehn kommen?

FRAU SELICKE(weinerlich). Ach Gott ja! Na, ich kann wohl schon sagen!

KOPELKE(sie beruhigend). Ach wat, wissen Se! Det … det … e …

WALTER(hat sich unterdessen mit seinem Hampelmann abgegeben, ihm die Zunge gezeigt, »Bah!« zu ihm gemacht und tänzelt nun mit ihm um den alten Kopelke rum, diesen unterbrechend). Olle Kopelke! Olle Kopelke!

KOPELKE(sanft abwehrend). Ach, nich doch, Kind! Det ’s jo unjezogen! Du musst nich immer Olle Kopelke sagen! Det jeheert sick nich!

WALTER(Rübchen schabend). Oh …! Olle Kopelke! …

ALBERT(wütend). Hörst du denn nich, du Schafskopp? Du sollst still sein!

WALTER(den Ellbogen gegen ihn vor). Nanu? Du hast mir doch jar nischt zu sagen?

ALBERT (holt mit der Hand aus).

FRAU SELICKE(mit dem Strickstrumpf, den sie unterdessen wieder aufgenommen hat, dazwischen). Nein! Nein! Nun sehn Sie doch bloß! Die reinen Banditen! Das Kind! Das Kind! Nehmt doch wenigstens auf das Kind Rücksicht!

[12]ALBERT(der sich achselzuckend wieder abgewandt hat). Natürlich! So is recht! Bestärk ihn man noch immer! Dem lässt du ja alles durchgehn! Der kann ja machen, was er will! Aus dem Bürschchen erziehst du ja schon was Rechtes! Vater hat janz recht!

FRAU SELICKE. Nein! Nein! Nu hören Se doch bloß! Und da soll man sich nich gleich schlagrührend ärgern?

KOPELKE(zu Albert). Sachteken, werter junger Herr, sachteken … (Zu Frau Selicke.) Immer in Jiete, Mutter! Det ville Jehaue un det ville Jeschumpfe nutzt zu janischt, zu reen janischt! … Ibrijens … (Er hat sich mitten in die Stube gestellt und schnuppert nun nach allen Seiten in der Luft rum.) … wat ick doch jleich noch sagen wollte … det … det … riecht jo hier so anjenehm nach Kaffee? … Hm! Pf! Brrr! … Nee, dieset Schweinewetter?! Ick bin – wahrhaftijen Jott – janz aus de Puste! (Er hat sich seinen großen, dicken Wollschal abgezerrt und schlenkert ihn nun nach allen Seiten um sich rum.) Kopp wech! (Zu Walter, den er dabei getroffen hat.) He? Wah det deine Neese?

WALTER(der sich den Schnee von den Backen wischt, vergnügt lachend). Hohohoo!

ALBERT(bereits äußerst ungeduldig, den Hut in der Hand). Na, jedenfalls ich jeh jetzt! Wir kommen ja sonst wahrhaftig noch zu spät!

FRAU SELICKE. Ja, ja! Macht man, dass ihr fortkommt!

KOPELKE(zu Albert). Aha! Wol zu Papa’n uf ’t Kontor?

ALBERT(ausweichend). Ach! Ja! Das heißt … eh … wir wollten so … bloß ’n bisschen vorbeijehn!

KOPELKE(ihm mit einer Handbewegung gutmütig zublinzelnd, verschmitzt). Weeß schon! (Zu Frau Selicke, [13]halb ins Ohr.) Edewachten kenn ick doch? … (Wieder zu Albert.) Na, denn … eh … denn beeilen sick man! So wat looft weg!

ALBERT(schon unter der Tür stehend zu Walter, der sich eben seinen Hampelmann an die Jacke knöpft). Na, willst nu so jut sein oder nich?

WALTER(gibt dem alten Kopelke die Hand). Atchee!

KOPELKE. Atchee, mein Sohn, Atchee! Un jrieß ooch Vatern!

FRAU SELICKE. Na, und die Stulle? (Reicht sie ihm noch schnell nach, Walter beißt sofort in sie hinein.) Und dann, sagt, er soll gleich hierherkommen! Sagt, Toni is auch schon da! Wir warten schon!

ALBERT(hat die Tür bereits aufgeklinkt und macht nun zum alten Kopelke hin eine stumme, zeremonielle Verbeugung).

KOPELKE. Wah mich sehr anjenehm, werter junger Herr! Wah mich sehr anjenehm! (Die beiden verschwinden. Draußen im Entree schlägt Walter hin. Schreit. Albert: »Na, du Ochse!«)

FRAU SELICKE. Ei Herrgott! Was is denn nu schon wieder … (Will auf die Korridortür zu, draußen schlägt die Flurtür zu.) Hach! Gott sei Dank, dass man die Gesellschaft endlich los ist!

KOPELKE(sich die Hände reibend, schmunzelnd). Jo! Wah is’t! ’n bissken wiewe sind se! Abber – Jotteken doch! Det is doch nu mal nich anders! Det …

  (Vom Bett Geräusch und Husten.)

FRAU SELICKE(wirft ihr Strickzeug in das Kaffeegeschirr und eilt auf das Bett zu). Ach, nein! Ich sag schon! Nu haben sie ja das arme Kind glücklich wieder [14]wachkrakeelt … Na, mein liebes Herzchen? … Wie ist dir, mein liebes Linchen, he? (Kleine Pause. Frau Selicke hatte sich übers Bett gebeugt, leises Stöhnen.) Hast du Schmerzen, mein liebes Puttchen?

LINCHEN(feines, rührendes Stimmchen). Ma – ma – chen?

FRAU SELICKE. Ja, mein Herzchen? Hm?

LINCHEN. Ma – ma – chen?

FRAU SELICKE. Hast du Appetit, mein Schäfchen? … Nein? Ach, du mein Mäuschen!

LINCHEN. Ich – bin – so – müde …

FRAU SELICKE. Ach, mein Herzchen! Aber, nicht wahr? Du willst jetzt noch einnehmen?! Onkel Kopelke ist ja da!

LINCHEN. On – kel – Ko – pel – ke?

KOPELKE(hat sein rotbaumwollenes Schnupftuch gezogen und schnäuzt sich).

FRAU SELICKE(halb zu ihm zurückgewandt). Wollen Sie se mal sehn? Ich misch solange die Tropfen! (Lässt ihn ans Kopfende treten und mischt während des Folgenden am Fußende des Bettes, auf dem Nachttischchen, die Medizin.)

KOPELKE (hat sich jetzt ebenfalls über das Bett gebeugt. Täppisch-zärtlich). Na, Lin’ken? Kennste mir noch? Ach Jotteken doch, die Ärmken! Nich wah? Det – watt doch mal, Kind, ’n Oogenblickchen! – Det … tut doch nich weh? … Na, sehste!! Ick sag ja! Det … det is allens man auswendig! Det ’s janich so schlimm! Uf de Woche kannst all dreist widder ufstehn! Denn jehste for Mama’n bei’n Koofmann! Denn jehste mit ihr uf ’n Marcht! Inholen! He? Weeßte noch? Uf ’n Pappelplatz? Der mit ’t Schielooge? »Jungens«, sag ick, »Bande! Wer’t ihr [15]wol det Meechen sind lassen?« Abber da!! Heidi! Wat haste, wat kannste! … Nich wah? Nu nehmste abber ooch sauber in? (Zu Frau Selicke, während er diese ans Bett treten lässt.) Wat det Kind bloß for ’n Schwitz hat?!

FRAU SELICKE(besorgt). Nich wahr? Ach Gott ja!

KOPELKE(beruhigend). Abber det … eh … wissen Se! … Det … det is immer so! Det is nu mal nich anders! Det … (Schnäuzt sich abermals.)

FRAU SELICKE(kommt mit dem Löffel). Na, Linchen? Ist dir wieder besser?

LINCHEN. Ach – ich – will – nicht – einnehmen!

FRAU SELICKE. O ja, meine Kleine! Du willst doch wieder gesund werden!

LINCHEN. Es – schmeckt – so – bitter!

FRAU SELICKE. Nicht weinen, mein Schäfchen! … Komm! … Sonst zankt der Herr Doktor wieder! Nicht wahr, Onkel Kopelke?

KOPELKE(eifrig nickend). Ja, ja, Kindken! Det muss nu mal so sind! Det jeheert sick!

FRAU SELICKE. Nicht wahr? Hörst du? Komm mein Liebling! Ja?

LINCHEN. Es – schmeckt – so – bitter!

FRAU SELICKE. Aber nachher kannst du ja wieder spazieren gehn, mein Mäuschen?! Und Emmchen zeigt dir auch ihre Bilderbücher! Ja? … Komm! … Na, nu mach doch, Linchen! … Du musst doch aber auch folgen! … Gucke doch! … Ich verschütte ja das ganze Einnehmen? … (Sie hat ihr leise die Hand unters Köpfchen geschoben.)

LINCHEN. Au! Au! … Du – ziepst – mich!

FRAU SELICKE. Oh! … Na so! … Nicht wahr? … Fest! [16]Drück die Augen zu! … Schlucke! Tüchtig! … Siehst du? … Nicht weinen, nicht weinen! … So! Nicht wahr? Nu is alles wieder gut! Nu is alles vorbei!

LINCHEN (dreht sich jetzt unruhig in ihren Kissen rum und hustet gequält).

FRAU SELICKE. Mein armes, armes Herzchen! Der alte, böse Husten! … So! … Nu rücken wir bloß noch ’n bisschen das Kissen höher, nicht wahr? Und dann schläfst du schön wieder ein! (Bückt sich über sie und küsst sie.) Ach, du mein süßes Puttchen! (Nachdem sie den Wandschirm jetzt noch näher ans Bett gerückt, zum alten Kopelke.) Ach, Gott nein! Nu sagen Se doch bloß? Muss man da nich rein verzweifeln? Das geht nu schon tagelang so! Sie wacht geradezu nur noch auf Minuten auf!

KOPELKE(die Hände in den Taschen seiner Joppe, nachdenklich vor sich hin). Hm! …

FRAU SELICKE. Und aus dem Doktor wird man auch nicht mehr klug! Der sagt einem ja nichts! Der kommt kaum noch! Und … und … na ja, wenn wir Sie nicht noch hätten …

KOPELKE(leichthin). Jo! … na! … Wissen Se: Det kommt jo bei mir nich so druf an! (Begütigend.)