Die Frauen der Hemlock Street - Alice Hoffman - E-Book
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Die Frauen der Hemlock Street E-Book

Alice Hoffman

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Beschreibung

Eine Begegnung, die alles verändert: der meisterhafte Roman »Die Frauen der Hemlock Street« von Bestsellerautorin Alice Hoffman als eBook bei dotbooks. Gefühle kann man leugnen, Kompromisse lang erdulden – aber nichts vermag unseren Wunsch nach Freiheit auf Dauer zu bändigen … New Jersey in den 50er Jahren. Eine Frau wie Nora Silk hat es in der konservativen Kleinstadt Janus noch nie gegeben: so selbstbewusst, so verführerisch, so wenig an einem ordentlichen Haushalt interessiert … und dann auch noch geschieden! Während die »anständigen« Vorstadtfrauen entrüstet tuscheln und ihre Männer kaum wissen, wohin mit ihren neugierigen Blicken, zeigt sich immer mehr, das hinter den gepflegten Vorgärten und sauberen Fassaden nichts so ist, wie es bisher schien. Mit jedem Tag, den Nora in Janus verbringt, mit jedem Schritt, den sie durch die Hemlock Street geht und jedem Lächeln, das sie schenkt, verändert sie das Leben ihrer Nachbarn auf ungeahnte und wunderbare Weise … »Dieser Roman ist von leiser Magie durchzogen; das Reale, Gewöhnliche wird auf unmerkliche Weise verzaubert.« Harper’s Bazaar Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Die Frauen der Hemlock Street« der New-York-Times-Bestsellerautorin Alice Hoffman ist eine hinreißende Liebeserklärung an alles, was im Leben wirklich zählt – ein bewegendes Lesevergnügen für die Fans von Alice Munro und dem Bestseller »Eine Frage der Chemie« von Bonnie Garmus. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 384

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Über dieses Buch:

Gefühle kann man leugnen, Kompromisse lang erdulden – aber nichts vermag unseren Wunsch nach Freiheit auf Dauer zu bändigen … New Jersey in den 50er Jahren. Eine Frau wie Nora Silk hat es in der konservativen Kleinstadt Janus noch nie gegeben: so selbstbewusst, so verführerisch, so wenig an einem ordentlichen Haushalt interessiert… und dann auch noch geschieden! Während die »anständigen« Vorstadtfrauen entrüstet tuscheln und ihre Männer kaum wissen, wohin mit ihren neugierigen Blicken, zeigt sich immer mehr, das hinter den gepflegten Vorgärten und sauberen Fassaden nichts so ist, wie es bisher schien. Mit jedem Tag, den Nora in Janus verbringt, mit jedem Schritt, den sie durch die Hemlock Street geht und jedem Lächeln, das sie schenkt, verändert sie das Leben ihrer Nachbarn auf ungeahnte und wunderbare Weise …

»Dieser Roman ist von leiser Magie durchzogen; das Reale, Gewöhnliche wird auf unmerkliche Weise verzaubert.« Harper’s Bazaar

Über die Autorin:

Alice Hoffman, geboren 1952 in New York, studierte Creative Writing an der Stanford University. Sie hat über vierzig Romane und Jugendbücher veröffentlicht, die mehrfach preisgekrönt, verfilmt und in viele Sprachen übersetzt wurden. Die besondere Eindringlichkeit, die ihr Werk auszeichnet, wurde von der amerikanischen Zeitschrift Entertainment Weekly treffend zusammengefasst: »Alice Hoffman scheint in die Haut ihrer Figuren zu schlüpfen, ihre Luft zu atmen und ihre Gedanken zu denken – und dies mit einer Könnerschaft, die einen vergessen lässt, dass es sich um erfundene Charaktere handelt.« Und auch das renommierte Nachrichtenmagazin Newsweek spricht LeserInnen und KritikerInnen gleichermaßen aus der Seele: »Alice Hoffman ist eine der besten Erzählerinnen ihrer Generation!«

Die Website der Autorin: alicehoffman.com

Bei dotbooks veröffentlichte Alice Hoffman ihre Romane »Ein Sommer in Fox Hill«, »Die Geheimnisse der Sparrow-Frauen« und »Am Ufer des Haddon River«.

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eBook-Neuausgabe März 2021

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1990 unter dem Originaltitel »Seventh Heaven« bei G. P. Putnam’s Sons, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1991 unter dem Titel »Der siebte Himmel« im Goldmann Verlag, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1990 by Alice Hoffman

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1991 by Wilhelm Goldmann Verlag, München. Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann.

Copyright © der Neuausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Bildmotives von © shutterstock/IvaFoto

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-393-3

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Alice Hoffman

Die Frauen aus der Hemlock Street

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elke vom Scheidt

dotbooks.

Für Jake und Zachary,für Ross und Jo Ann,für Carol DeKnight,für Sherry Hoffman,für meinen Großvater,Michael Hoffman,

in Liebe

Im Andenkenan Houdini

1959

Kapitel 1IM LAND DES KÖNIGS

Ende August bezogen drei Krähen Quartier im Kamin des Eckhauses in der Hemlock Street. Morgens veranstalteten sie einen Spektakel, der Tote aufwecken konnte. Sie pickten mit den Schnäbeln Steine auf und warfen sie gegen die Fensterscheiben; sie rupften an ihrem Gefieder, so daß man den ganzen Tag über an den merkwürdigsten Stellen schwarze Federn fand: in Schüsseln mit Frühstücksflocken, in den Taschen von Hemden, die zum Trocknen auf der Wäscheleine hingen, in Milchflaschen, die in der Morgendämmerung geliefert worden waren.

Alle Bewohner der Siedlung waren vor sechs Jahren eingezogen. Damals hatte man die Kartoffelfelder parzelliert, und bevor die Bauarbeiter ihre Arbeit aufgenommen hatten, war Janus nur ein Postamt oben am Harvey's Turnpike gewesen, umgeben von Farmland. Während des ersten Frühjahrs stießen die Männer der Hemlock Street immer wieder auf versprengte Kartoffeln, wenn sie ihre Rasenflächen anlegten oder Mimosen und Pappeln pflanzten; an dem Tag, an dem die Müllabfuhr kam, lagen Haufen von Kartoffeln neben den silbern glänzenden Mülltonnen.

Alles war neu in Janus: die Grundschule, die High School, das A&P-Kaufhaus, das Polizeirevier oben am Turnpike. Selbst die Luft schien neu; war man nicht daran gewöhnt, so fühlte man sich benommen, und Verwandte, die aus Brooklyn oder Queens zu Besuch kamen, mußten sich manchmal auf die Couch legen, ein feuchtes Taschentuch an die Schläfen gepreßt.

Alle Häuser der Siedlung waren gleich, und lange Zeit fuhren Ehemänner nach der Arbeit in die falschen Einfahrten, Kinder wanderten zu Keksen und Milch in die falschen Häuser, und junge Mütter, die ihre Kinder in neuen Kinderwagen ausfuhren, verirrten sich in identischen Straßen zwischen identischen Häusern.

Für Außenstehende mochten die Häuser noch immer so aussehen wie vor sechs Jahren, aber diejenigen, die hier wohnten, konnten sie nun mühelos an der Farbe des Putzes auf den Ziegelmauern, den Blumenkästen oder den Hecken neben den Einfahrten unterscheiden. Wenn die Kinder jetzt an Sommerabenden Fußball spielten, wußten sie genau, welche Drahtgittertür zur Küche sie öffnen mußten und in welchem Schlafzimmer sie ihre feuchten, verschwitzten Kleider auszuziehen hatten. Die Mütter banden ihren Kleinkindern keine Adreßschildchen mehr um die Handgelenke, wenn sie sie zum Spielen in die Hintergärten schickten, und selbst die Hunde, die im ersten Jahr so verwirrt gewesen waren, daß sie sich mittags an Straßenecken versammelt und geheult hatten, wußten nun genau, wo ihre Knochen vergraben waren und wo sie sich für die Nacht ausstrecken würden.

Um Frieden mit den Nachbarn zu haben, brauchte man sich nur an zwei unausgesprochene Regeln zu halten: Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten und Halten Sie Ihren Rasen in Ordnung. Und weil alle in der Nachbarschaft aus den gleichen Verhältnissen kamen, und weil dies das erste Haus war, das sie oder die anderen Mitglieder ihrer Familie je besessen hatten, wurde diese Übereinkunft gehalten, bis Mr. Olivera den Pakt brach, indem er starb. An einem Tag im vergangenen November, als der Himmel um halb fünf dunkel wurde und die Kinder beim ersten Anzeichen von Schnee ihre Schlitten hinüber zum Dead Man's Hill auf der anderen Seite der Allee zogen, legte sich Mr. Olivera unter zwei wollenen Decken ins Bett, drehte sich auf die Seite, atmete dreimal tief durch, dachte daran, Frostschutzmittel in den Kühler seines Chrysler zu geben, schlief ein und wachte nie wieder auf.

Oliveras Frau, die altmodisch war und Marmelade aus den Trauben kochte, die ihr Mann neben dem Haus angepflanzt hatte, zog sofort nach Virginia zu ihrer verheirateten Tochter. Während Mrs. Olivera sich noch überlegte, ob sie bei ihrer Tochter bleiben oder zurück in eine Siedlung gehen sollte, in der sie die einzige Frau über Sechzig sein würde, begann aus unbegreiflichen Gründen das Haus zu zerfallen. Weihnachten waren die Fensterläden geborsten und aus den Angeln gerutscht. Im Februar zerbröckelte der Zement an der vorderen Veranda, und am Ende des Frühlings stand das Gras im Vorgarten so hoch, daß die Leute schworen, dort brüteten Moskitos; wenn sie daran vorbeikamen, wechselten sie auf die andere Straßenseite. Joe Hennessy, der seit fünf Jahren bei der Nassau County Police war und sich ein bißchen um das Haus kümmern sollte, holte schließlich seinen neuen Motorrasenmäher heraus und machte sich an die Arbeit. Hennessy war einssiebenundachtzig groß und kräftig gebaut, aber nachdem er die Hälfte des Vorgartens gemäht hatte, war er so erschöpft, daß er sich auf die Vortreppe setzen mußte, um wieder zu Atem zu kommen. Bis Mrs. Olivera beschlossen hatte, das Haus zu verkaufen, war es bereits zu spät. Ein eigenartiger, süßlicher Geruch ging von dem Haus aus, obwohl die Fenster geschlossen und verriegelt waren, und brachte die Leute in der Nachbarschaft auf den Gedanken, ein Topf Marmelade sei zu lange gekocht und dann auf dem hinteren Brenner des Herdes vergessen worden.

Den ganzen Sommer über blieb der Geruch bestehen und vertrieb potentielle Käufer. Die Frauen in der Straße kauften Frischluftsprays und putzten ihre Fußböden mit Lysol, aber der Geruch drang durch die drahtvergitterten Fenster und schien ihnen ins Gesicht zu schlagen. Ace McCarthy, der siebzehn war und sich vor sehr wenigen Dingen dieser Welt fürchtete, wohnte direkt neben dem Haus der Oliveras, und obwohl er das nie jemandem gesagt hätte, gab es Zeiten spät in der Nacht, wo er hätte schwören können, jemanden stöhnen zu hören. Irgendein Spaßvogel aus einer anderen Straße setzte das Gerücht in Umlauf, in dem Haus spuke es, und samstags abends parkten Autos voller Teenager davor. Die Jungen drückten auf die Hupen und forderten einander heraus, die Nacht im Haus der Oliveras zu verbringen, nannten einander Feiglinge und küßten ihre Freundinnen, und sie wichen nicht von der Stelle, bis Joe Hennessy herauskam, die Tür seines Streifenwagens öffnete und die Sirene einschaltete.

Niemand wußte, wieso das ausgerechnet in ihrer Straße passieren mußte. Hatten sie nicht alle jeden Oktober die welken Blätter zu Haufen zusammengefegt, um sie am Randstein zu verbrennen? Hatten sie nicht Zitronenkuchen und Schokoladenkekse für die Grundschulbasare gebacken? Ihre Kinder waren ruppig, aber gutartig, und ihre Töchter im Teenageralter ließen schlimmstenfalls im Drugstore einen Lippenstift mitgehen oder aßen beim Babysitten eine ganze Tüte Chips leer. Die Nachbarn suchten nach einer Erklärung. Irgendwie war eine Strafe über sie verhängt worden, aber gegen wen richtete sie sich? Sicher nicht gegen John McCarthy, dem die Texaco-Tankstelle oben am Harvey's Turnpike gehörte, obwohl er der logischste Kandidat gewesen wäre, weil sein Haus direkt neben dem der Oliveras stand; vielleicht richtete sich der Fluch gegen seine beiden wilden Söhne, Jackie und Ace, die ihren Vater hinter seinem Rücken den Heiligen nannten. Die Shapiros auf der anderen Seite der McCarthys verdienten eher etwas, das sie von ihrem hohen Roß herunterholte. Sie hatten mit ihren Kindern verdächtiges Glück: Danny war klüger, als gut für ihn war, und Rickie liebte es, sich direkt vor der Nase der Leute ihr rotes Haar zu kämmen, um damit anzugeben. Es war unwahrscheinlich, daß die Strafe sich gegen die Durgins – Donna Durgins Haus war so sauber, daß sie alle anderen Frauen beschämte – oder die Winemans richtete, und Joe Hennessy war ganz bestimmt nicht gemeint; schon bei seinem Anblick wußte man, daß er ein guter Ehemann und Vater war. Man konnte von Glück sagen, mit jemandem wie Joe in der gleichen Straße zu leben.

Aber trotzdem war die Strafe über sie gekommen, und niemand war im geringsten überrascht, als aus dem Süden die Krähen erschienen. Die Leute schalteten ihre Radios und Fernseher aus und gingen nach draußen, um sie zu beobachten. Es waren große Vögel mit Augen wie Rubine, und sie waren mutig genug, Cockerspaniels und Irish Setters aus dem Garten der Oliveras zu verjagen. Als der Sohn der Hennessys, Stevie, mit seinem Luftgewehr auf eine der Krähen schoß, packte die größte das Luftgewehr mit dem Schnabel und jagte dann Stevie über die Straße, nachdem es ihr gelungen war, einen Fetzen aus seiner Bluejeans zu reißen, ehe er in das Haus fliehen und nach seiner Mutter rufen konnte. Ellen Hennessy schloß Stevie in die Arme, und nachdem sie sich vergewissert hatte, daß er nicht verletzt war, rannte sie auf die Straße und versuchte, den Angriff der Krähe durch Schwenken ihrer Schürze zu parieren, aber der Vogel ignorierte sie einfach und flog zurück auf den Schornstein der Oliveras.

Es mußte etwas geschehen. An einem Freitagabend trafen sich Phil Shapiro und John McCarthy in Hennessys Partykeller. Hennessys Frau hatte Chips in eine Schüssel gefüllt und einen Dip aus saurer Sahne und Zwiebeln bereitet, den sie auf die Bartheke aus Resopal stellte. Phil Shapiro und John McCarthy versuchten, es sich auf der schwarzen Plastikcouch bequem zu machen. Hennessy nahm das Tischhockeyspiel vom Couchtisch und setzte sich ihnen gegenüber. In den sechs Jahren seit dem Einzug war keiner der Männer in den Häusern der anderen gewesen. Ihre Frauen hatten ihnen natürlich alles über die genaue Anordnung der Möbel in den identischen Wohnzimmern der Nachbarn erzählt. Trotzdem war ihnen nicht sonderlich wohl dabei, nun Hennessy gegenüber zu sitzen und ein Bier von ihm anzunehmen. Hinter der mit Fichtenbrettern verkleideten Wand hörte man die Waschmaschine rumpeln. Phil Shapiro hatte das Treffen vorgeschlagen, denn er hatte herausgefunden, daß der Makler sich nicht einmal mehr die Mühe machte, das Haus möglichen Käufern zu zeigen. Phil war direkt von A& P gekommen, wo er Chef der Buchhaltung war, und obwohl er sich nicht die Zeit zum Abendessen genommen hatte, wünschte er, er hätte zumindest seinen Anzug ausgezogen, da John McCarthy seine Texaco-Uniform und Hennessy alte Baumwollhosen und ein kurzärmeliges Sporthemd trug.

»Gott, ist das heiß«, sagte Phil. Er nahm die Krawatte ab und steckte sie in die Tasche. Um höflich zu sein, trank er ein Budweiser.

»Heiß«, stimmte John McCarthy zu.

Die drei Männer bedachten dies und schlürften schweigend ihr Bier. Sie konnten noch immer den überreifen Geruch des Olivera-Hauses riechen, selbst hier im Partykeller auf der anderen Straßenseite.

»Ich bin der Meinung«, sagte Phil Shapiro, »daß unsere Grundstücke gewaltig an Wert verlieren, wenn wir nichts unternehmen.«

»Der Meinung bin ich auch«, stimmte Hennessy zu.

»Jedesmal, wenn ich das Haus anschaue, habe ich Angst, ein Kind könnte in die Kellerschächte fallen oder sich in Oliveras Garage einsperren«, sagte John McCarthy.

Hennessy und Phil Shapiro schwiegen einen Augenblick lang betreten über ihre scheinbare Geldgier. Hennessy hatte gehört, wie die McCarthy-Kinder sich über ihren Vater lustig machten und ihn den Heiligen nannten, und es stimmte: Unter seinem Blick fühlte man sich schuldig, auch wenn man ein noch so reines Gewissen hatte.

»Ja, stimmt«, sagte Phil Shapiro endlich. »Genau. Jemand könnte zu Schaden kommen. Diese Krähen könnten eine Schachtel Streichhölzer finden, sich damit zu schaffen machen, und, puff, geht das Haus in Flammen auf.«

»Daran habe ich noch nie gedacht«, sagte John McCarthy besorgt. »Und vergeßt nicht, jemand könnte über den Rasen gehen, sich im Unkraut verheddern, fallen und sich das Bein brechen.«

»Ja«, sagte Phil Shapiro. »Wir müssen da was unternehmen.«

Ellen Hennessy öffnete oben die Tür und rief herunter: »Soll ich euch Männern ein Sandwich machen?«

»Schon gut, Ellen, wir haben alles«, rief Hennessy. »Oder vielleicht doch?« fragte er seine Nachbarn. »Schinken und Käse?«

Beide Männer schüttelten höflich den Kopf; sie zogen es vor, zu Hause zu essen.

»Alles da«, rief Hennessy nach oben. »Nun?« sagte er zu seinen Nachbarn.

»Wir könnten eine Anzeige in der Zeitung aufgeben«, sagte Phil Shapiro. »Und der Käufer soll sich dann mit Mrs. Olivera in Verbindung setzen.«

»Wer wird sich die Bruchbude schon anschauen?« sagte Hennessy. »Ob wir den dann in unserer Straße haben wollen?«

»Wir brauchen einen Heimwerker«, sagte John McCarthy. »Einen, der das Haus selbst instand setzen kann.«

Hennessy stand auf, holte die Schüssel mit den Chips und nahm sich eine Handvoll. Es schien irgendwie nicht richtig, sich in fremde Angelegenheiten einzumischen, aber nach einer Stunde war alles entschieden. Phil Shapiro würde sich mit der alten Mrs. Olivera in Verbindung setzen und ihr Einverständnis einholen, Hennessy würde Anzeigen im Immobilienteil von drei Zeitungen aufgeben, und John McCarthy würde abends das Haus zeigen.

Von der anderen Straßenseite sah man das gelbe Licht im Partykeller der Hennessys. Für Danny Shapiro und Ace McCarthy, die auf dem Kotflügel von Jackie McCarthys blauem Chevy saßen, war das ein wirklich erstaunlicher Anblick. Was in aller Welt hatten sich ihre Väter und Hennessy wohl über eine Stunde lang zu sagen? Keiner der Väter sprach pro Tag mehr als ein paar Sätze mit den Kindern, außer in Notfällen, und nun blieben die Männer bis halb neun; dann wurde endlich das Licht ausgeschaltet. Die Männer kamen die Kellertreppe herauf und drückten sich verlegen an Ellen Hennessy vorbei.

»Na, hoffentlich ist euch etwas eingefallen«, sagte Ellen zu Hennessy, nachdem er seine Nachbarn zur Haustür begleitet hatte ... als würden sie in ihren Häusern nicht tagtäglich den gleichen Weg zurücklegen. Hennessy sah zu, wie seine Frau die mit Resopal belegte Arbeitsfläche in der Küche mit einem rosa Schwamm abwischte. Sie trug karierte Bermudashorts und eine weiße Bluse mit rundem Kragen; ihr Haar war kurz geschnitten, so daß er ihren Nacken sehen konnte.

»Klar«, sagte Hennessy. Er hatte die Schüssel Chips mit nach oben gebracht, hielt sie noch in der Hand und bediente sich daraus.

Sie konnten das Krächzen der Krähen hören, die sich für die Nacht niederließen. John McCarthy hatte den anderen Männern erzählt, daß er wegen dem Lärm im Bett Ohrenschützer trage.

»Wir sprengen das Ding mit Dynamit in die Luft.«

»Ha«, sagte Ellen. »Gute Idee.«

In der Nacht störten Ellen die Krähen nicht besonders. Abends drehte sie ihr Haar auf große Drahtwickler, und ehe sie das Haarnetz darüber band, legte sie sich Wattebäusche auf die Ohren.

»Ich mag dein Haar glatt«, sagte Hennessy immer wieder zu ihr. »Laß es einfach herunterhängen.«

»Bitte«, sagte Ellen dann. »Laß mich zufrieden.«

Hennessy ging zu ihr und legte einen Arm um ihre Taille. Das Haus war klein, aber bei solchen Anlässen konnte Hennessy fast vergessen, daß die Kinder noch nicht wieder in ihren Zimmern waren. »Laß uns früh zu Bett gehen«, sagte er.

»Hu, hu«, sagte Ellen. Mit gleichmäßigen Bewegungen wischte sie die Kochplatten des Elektroherdes sauber.

Hennessy ließ sie los und wartete, ob sie sich umdrehen würde. Als sie es nicht tat, ging er in den kleinen Flur, der in die Garage führte. Er betrat die Garage, schaltete das schwache Licht ein und drückte das Tor hoch. Drinnen war es kühler; einige Falter sammelten sich um die Birne, die von der Decke hing. Hennessy war nicht einmal mehr ärgerlich, wenn sie nein sagte. Er bückte sich und suchte hinter seiner Werkbank nach einem Kanister Benzin, und als Ellen kam und in der Tür stehenblieb, konnte sie ihn nicht sehen.

»Joe?« rief sie.

Hennessy nahm den Benzinkanister und zog seinen neuen Rasenmäher aus der Ecke.

»Ich mache den Rasen bei den Oliveras fertig«, sagte er.

Er rollte den Mäher an ihrem in der Einfahrt geparkten Auto vorbei und schob ihn dann über die Straße. Ace und Danny Shapiro sahen ihn näher kommen; von seinem Sohn Stevie wußten sie, daß Hennessy seine Pistole oft auch noch außerhalb seines Dienstes trug.

»Langweilig, Jungs?« fragte Hennessy, als er den Rasenmäher an ihnen vorbeischob.

»Nein, Sir«, antwortete Danny Shapiro prompt.

»Ihr könntet nämlich einen Rasen mähen«, sagte Hennessy.

»Oh, nein, Sir«, sagte Ace so leichthin, daß man niemals erraten hätte, wie schwer es ihm fiel. »Heute ist Freitagabend, und da haben wir viel, viel bessere Sachen zu tun.«

»Kann ich mir vorstellen«, sagte Hennessy, der argwöhnte, daß Ace in die Fußstapfen seines Bruders treten würde, der die Taschen voll falscher Papiere hatte und diese spitzen schwarzen Stiefel trug. Vermutlich hatte er eine Sechserpackung Bier in dem Flüßchen hinter der High School kalt gestellt.

Die Rasenhälfte, die Hennessy gemäht hatte, war schon fast wieder so hoch gewachsen wie die ungemähte Hälfte. Er blieb in der Einfahrt der Oliveras stehen und schaute zum Schornstein auf. Die Krähen beugten sich aus dem Nest und spähten auf ihn herunter. Hennessy mußte den Anlasser des Rasenmähers dreimal ziehen, bis der Motor ansprang; als er es schließlich tat, startete die Maschine mit einem Brüllen, das die Krähen kreischend aufflattern ließ. Hennessy brauchte fast eine Stunde, um den Rasen im Vorgarten fertig zu mähen, und die ganze Zeit warfen die Krähen Steine nach ihm. Schließlich gaben sie es auf und flogen zum Schornstein zurück, beobachteten aber aufmerksam, wie er sich abmühte.

Als Hennessy fertig war, war der Rasen zwar stellenweise noch ungleichmäßig, aber McCarthy würde das Haus abends besichtigen lassen, und in der Dunkelheit kam es nicht so genau darauf an. Hennessy schwitzte stark; er wischte sich das Gesicht mit dem Hemd ab. Dann schleppte er den Mäher in den hinteren Garten. Er blieb nur einen Augenblick stehen, neben den Traubenranken. Im August färbten sich die Trauben immer rot; weil niemand sie geerntet hatte, waren sie überreif zu Boden gefallen. Es wurde dunkler. Man sah schon schlechter, und Hennessy mußte sich beeilen. Obwohl er ohne Pause arbeitete, schliefen die Kinder der Hemlock Street bereits, als er endlich fertig war. Auf allen Seiten des verlassenen Hauses konnten die Nachbarn nun ihre Fenster aufreißen, dankbar, daß der verstörende Geruch zumindest zeitweilig durch einen anderen ersetzt worden war: durch den Geruch von frisch gemähtem Gras, einem Geruch, der die Kehle verengte und alle daran erinnerte, wie gut es war, hier zu leben.

An Sommerabenden wie diesen, wenn die Kinder gut zugedeckt in ihren Betten schliefen, war Geborgenheit fast mit den Händen greifbar. Niemand verschloß die Fenster, niemand sperrte seine Türen ab. Die Kühlschränke summten, und die Sterne waren strahlend weiß. Am Morgen würde der Verkehr auf der Southern State-Schnellstraße laut genug sein, um die Schläfer in ihren Betten zu wecken, aber spät abends war er nicht mehr als ein Flüstern, der die Kinder unter ihren weißen Laken und ihren mit Schaukelpferden gemusterten Decken einlullte.

Im Mondlicht konnte man sehen, wie sauber alles war: Lunchdosen und Fahrräder, Sofas und Schlafzimmereinrichtungen, Autos und Hollywoodschaukeln. Es gab nicht einmal Risse im Zement. Dieses Jahr waren die Glühwürmchen endlich zurückgekehrt. Als damals die Bulldozer den sandigen Boden durchpflügten, waren die Glühwürmchen so verwirrt, daß sie eines Nachts in einer leuchtenden Wolke davonflogen. Doch jetzt waren sie zurückgekommen und schwebten durch die Rosenbüsche und die Holzapfelbäume. Keines der Kinder aus der Siedlung hatte vorher je Glühwürmchen gesehen, aber trotzdem wußten alle instinktiv, was zu tun war: Sie rannten nach leeren Gurkengläsern und Rillten sie mit den Glühwürmchen, die sie mit den Händen fingen. Unter den Betten dieser Kinder lagen grüne Lichtbirnen, die bis zum Morgen nicht erloschen. »Gute Nacht«, hatte man diesen Kindern gesagt, und sie glaubten immer daran. »Schlaft schön«, hatte man ihnen gesagt, und sie taten es. Wenn Ungeheuer in den Wandschränken oder unter den Trompetenbäumen erschienen, so behielten die Kinder das für sich. Sie erzählten es niemals ihren Eltern und tuschelten niemals darüber. Manchmal tauchten die Monster in der Schule auf dem Papier wieder auf, gezeichnet mit Bleistiften und Buntstiften; sie hatten purpurrotes Haar und gelbe Augen, und man sah ihnen an, daß sie nicht an »Gute Nacht« und »Schlaf schön« glaubten.

In einigen Häusern in der Hemlock Street schliefen brave Mädchen mit gekreuzten Fingern. Sie glaubten, es sei falsch, wenn Jungen ihre Brüste berühren wollten. Sie dachten nie daran, wie die Babys gemacht werden, und wenn sie es doch taten, dann hätten sie nicht einmal ihrer besten Freundin davon erzählt. Dennoch fühlten sie an Sommerabenden, daß sie weiche Knie hatten. Sie saßen auf der Tribüne der High School und sahen den Jungen beim Baseball zu; sie kauten Kaugummi und kämmten ihr Haar und hatten plötzlich das Gefühl, aus Glas zu sein, als stünden sie am Rand von etwas, das sie in ihrem tiefsten Inneren als böse empfanden.

Wenn der Himmel sich verfärbte, in der späten, blauen Sommerdämmerung, stolperten Jungs von sechzehn und siebzehn Jahren in der herannahenden Dunkelheit auf dem Spielfeld herum. Jungs, die sich niemals über etwas Gedanken gemacht hatten, stellten fest, daß sie sich besiegt fühlten. Sie dachten an ihre Väter, dachten daran, wie sie die Mülltonnen an den Randstein stellten, wie man sie samstags abends immer am Küchentisch antraf, vor sich ihre Scheckbücher und Stapel von Rechnungen, Wasser, Strom, Hypothek. Die Jungs hatten keine Ahnung, warum sie stolperten, wenn sie an ihre Väter dachten, warum sie sich immer wieder fragten, wie der Mund eines Mädchens sein mochte, wie ihre Finger sich auf ihrer Haut anfühlten, wie blaß die Lider eines Mädchens aussahen, wenn sie die Augen schloß.

Die Väter dieser Jungs hatten auch einmal die schreckliche Freiheit einer Sommernacht gefühlt. Aber in letzter Zeit gefielen ihnen merkwürdige Dinge; sie ertappten sich beim Grinsen, wenn sie Rechnungen bezahlten, dachten »dies gehört mir«, und es machte ihnen nicht mehr viel aus, samstags abends zu Hause zu bleiben. Nun dachten sie an Pokerspiele und an Beförderungen im Beruf, sie hatten bonbonfarbene Autos mit langen Antennen in der Einfahrt. Warum wurden sie dann so unruhig, wenn sie sahen, daß ihre ältesten Söhne ihre weißen Hemden zuknöpften und sich mit Wasser die Haare zurückkämmten? Warum wurde ihnen vor Sehnsucht die Kehle eng, wenn sie die jüngsten ihrer Söhne sahen, die furchtlosen, die auf den Kletterstangen bis ganz oben kletterten und darum bettelten, länger aufbleiben zu dürfen?

An Augustabenden prüften die Frauen dieser Männer nicht mehr ihr Spiegelbild, wenn sie sich die Cold Cream vom Gesicht wischten. Viele von ihnen konnten noch immer nicht glauben, daß sie Kinder hatten; man hatte sie in Dämmerschlafversetzt und ihnen ein Baby ausgehändigt, das sie kaum als ihr eigenes erkannten, und nun waren sie plötzlich viel älter, als sie je zu werden geglaubt hatten. Kurz vor Wintereinbruch nahmen sie jedes Jahr die roten Stiefel aus dem obersten Fach des Garderobenschrankes. Kurz vor Frühlingsbeginn holten sie leichte Jacken und Übergangsmäntel aus dem Keller, hängten sie zum Lüften in die Hintergärten. Sie besaßen Rezepte für Kokosnußkuchen; sie kochten Hühnersuppe mit Reis für die kleinsten Kinder, die mit Halsweh zu Hause geblieben waren; sie hatten neue Servierwagen mit laminierten Platten bestellt, die wie echtes Holz aussahen, sich aber nach dem Essen leicht abwischen ließen.

Im August dieses Jahres aber sahen die Frauen die zurückgekehrten Glühwürmchen, sahen Lichtblitze an ihren Fenstern, als sie gerade zu Bett gehen wollten. Die blaßgrünen Lichter zogen sich wie eine Sternenkette an den Hintergärten entlang. Wenn die Frauen ins Badezimmer gingen, konnten sie durch die dünnen Gipswände den gleichmäßigen Atem ihrer Kinder hören. Sie rauchten heimlich eine Zigarette, auf dem Rand der Badewanne sitzend, die sie früher am Tag mit Scheuerpulver geputzt hatten. Dann stellten sie sich vor den Spiegel, zogen die Haarnadeln aus dem Haar und kämmten die eingedrehten Locken aus, aber bis sie wieder ins Schlafzimmer zurückkamen, schliefen ihre Männer schon, und die Glühwürmchen versteckten sich zwischen den Grashalmen in den Vorgärten.

***

Es war so heiß, daß man die Straße im Auge behalten mußte, weil überall auf der Southern State der Asphalt Blasen geworfen hatte und dann geborsten war. Die Hitze hatte durch den Westwind noch zugenommen.

Nora Silk versuchte, den Möbelwagen nicht aus den Augen zu verlieren, aber jedesmal, wenn sie fest aufs Gaspedal trat und hundert Stundenkilometer erreichte, geriet der Volkswagen grundlos ins Flattern, und sie mußte das Steuerrad fest umklammern, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Sie konzentrierte sich aufs Fahren, bis sie das Klicken des Zigarettenanzünders hörte.

»Laß das augenblicklich los«, sagte sie zu Billy.

Er war acht und konnte die Finger nicht vom Anzünder lassen. Am Ende, das wußte Nora, würde dieser herunterfallen, die Fußmatten würden Feuer fangen, und sie würde am Straßenrand anhalten müssen. Sobald sie das täte, würde das Baby vom Rücksitz rutschen und aufwachen, und Nora würde nach hinten klettern müssen, es trösten und anfangen, nach einer sauberen Windel zu suchen.

»Aber augenblicklich!« sagte Nora. »Und gib mir eine Zigarette.«

Billy nahm das neue Päckchen aus dem Handschuhfach und riß das Zellophanpapier ab. »Laß sie mich anzünden«, sagte er.

»Kommt nicht in Frage«, sagte Nora.

»Nur dieses eine Mal«, flehte Billy.

In manchen Dingen war er wirklich stur. Ständig mußte man mit ihm kämpfen, und wenn man nicht die Energie hatte, wenn die Hitze einem zusetzte und die Wimperntusche schmolz und der Asphalt platzte, dann mußte man ihm nachgeben.

»Dieses eine Mal«, sagte Nora düster.

Billy drückte rasch auf den Zigarettenanzünder und ließ die Zigarette zwischen seinen Lippen baumeln. Nora vergewisserte sich im Rückspiegel, daß James nicht vom Rücksitz gefallen war. Er war mit einer baumwollenen Babydecke zugedeckt und sah so niedlich aus. Nora blies ihren Pony hoch. Dann bemerkte sie, daß Billy inhalierte.

»Gib sie mir«, sagte sie.

Billy hielt die Zigarette hoch in die Luft. Er war ein schönes Kind, blond mit seidenweicher, heller Haut, aber wenn er seinen schrecklichen, spöttischen Blick bekam, dann mußten sogar völlig Fremde den Drang beherrschen, ihn zu ohrfeigen.

»Sofort«, sagte Nora.

Sie nahm ihrem Sohn die Zigarette aus der Hand und inhalierte. Immer, wenn sie Billy anschrie, zitterten ihre Hände. »Und dreh dein Fenster hoch«, fügte sie hinzu. »Willst du, daß Mr. Popper aus dem Wagen springt und überfahren wird?«

Der schwarze Kater, der so faul war, daß er sich nur selten die Mühe machte zu blinzeln, lag zusammengerollt auf dem Boden, den Kopf auf einen von Billys Turnschuhen gelehnt. Der Kater hatte gar nicht die Absicht zu fliehen, aber Billy ging es nicht gut, und so tat er ausnahmsweise einmal das, was man ihm gesagt hatte. Nora sah verstohlen zu ihm hinüber. Dann wandte sie sich wieder der Straße zu, zog an ihrer Zigarette und blies eine Rauchwolke aus. Sie wußte, daß Billy nach Weinen zumute war, aber vielleicht ging es ihr selbst genauso. Sie hatte einen Sohn, der gern mit Feuer spielte, ein Baby, das nicht die leiseste Ahnung hatte, was ein Vater war, und einen Kater, der ihr mit seinen Krallen über die Beine fuhr, sobald sie ein neues Paar Nylonstrümpfe anzog. Jedenfalls brauchte sie Billy nicht anzusehen, um zu wissen, was er tat.

»Und hör auf, an deinen Haaren zu ziehen«, sagte Nora.

Seit Rogers Auszug hatte Billy die Gewohnheit angenommen, sein Haar so fest zu zwirbeln, daß er sich ganze Büschel davon ausriß. Überall auf seiner rechten Kopfseite waren kahle Stellen.

»Das Haus wird dir gefallen«, sagte Nora. »Du bekommst ein eigenes Zimmer.«

»Es wird mir überhaupt nicht gefallen«, sagte Billy mit weinerlicher Stimme, die in Nora den Wunsch aufsteigen ließ, ihn zu erwürgen.

Nora trat fester auf das Gaspedal; der Wagen vibrierte, und der Motor gab ein helles Wimmern von sich. Sie hatte gewußt, daß sie aus ihrer Wohnung ausziehen mußte, als sie das Baby am Fenster fand, wo es in aller Ruhe abgeblätterte Farbe von der Fensterbank aß. Sie hatte letzten Winter zu suchen angefangen, unmittelbar nachdem Roger weggegangen und die Heizung ausgefallen war; sie hatte begonnen, Billy und das Baby abends zu sich ins Bett zu nehmen, damit keiner fror. Die ganze Nacht spürte sie die kleinen Füße wie Eiswürfel an ihrem Rücken, und immer, wenn es ihr gelang einzuschlafen, träumte sie von Häusern. Sie fingen an, jeden Sonntag auf Long Island zu suchen, und jeden Sonntag klebte Billy Kaugummireste unter die Küchenschränke der besichtigten Häuser und pinkelte in die Badewannen frisch gefliester Badezimmer, wohl wissend, daß Nora ihn in Gegenwart des Maklers nicht packen und ohrfeigen konnte. Sie konnte nur mit den Zähnen knirschen und sich das Baby über die Schulter legen, während sie durch Vorräume mit knorrigen Fichtenpaneelen und Wohnzimmer mit glänzendem Eichenparkett geführt wurden. Wenn die Besichtigungen beendet waren, blieb Nora in den Vorgärten von Häusern stehen, die sie sich nicht leisten konnte, und wollte nicht gehen.

Sie war im Begriff, die Hoffnung aufzugeben, als sie die Annonce für das Haus in der Hemlock Street entdeckte. Sie rief sofort die angegebene Nummer an, um sich zu vergewissern, daß der genannte Preis kein Irrtum war. Als sie feststellte, daß er stimmte, ließ sie die Kinder bei Mrs. Schneck – die gute Nudelsuppe kochte und für fünfzig Cents die Stunde die Kinder hütete – und fuhr hinaus nach Long Island. Die Ausfahrt der Southern State war ziemlich leicht zu finden, aber in der Siedlung verfuhr sie sich und irrte fast eine Stunde lang herum. Sie schaltete das Fernlicht ein und konnte trotzdem die identischen Häuser nicht voneinander unterscheiden. Verzweifelt und mit ihrem letzten Benzin bog sie rechts ab, und plötzlich war sie da, direkt vor dem Haus. Der Nachbar, mit dem sie am Telefon gesprochen hatte, erwartete sie in der Einfahrt. Er hatte sich Sorgen gemacht und hatte vorgehabt, ihr noch fünf Minuten zu geben und dann die Streife auf dem Highway anzurufen. Sie hätte ja einen Unfall haben können. Als er Nora durch die Seitentür einließ, entschuldigte er sich für den Zustand des Hauses. Vielleicht war es Dummheit, vielleicht lag es auch daran, daß der Strom abgeschaltet war und Nora nicht richtig sehen konnte – sie mußte sich im Dunkeln an den Wänden entlangtasten –, aber sie verliebte sich sofort in das Haus. Bei diesem Preis konnte sie sich das leisten.

Am nächsten Tag setzte sie sich mit Roger in Verbindung. Er arbeitete in Las Vegas und drängte ständig auf Scheidung. Jetzt rief Nora ihn an und willigte endlich ein, aber unter einer Bedingung: Roger mußte den Hypothekenvertrag ebenfalls unterschreiben, damit die Bank nicht merkte, daß sie keinen Ehemann mehr hatte. Roger war natürlich einverstanden. Er hatte so viele Kredite aufgenommen – darunter auch einen für den Volkswagen, den Noras Ansicht nach kein vernünftiger Mensch jemals gekauft hätte, weder auf Raten noch sonstwie –, daß ein weiterer nun auch keine Rolle mehr spielte. Sobald die Hypothek bewilligt war, unterzeichnete Nora die Scheidungspapiere, die Roger ihr zugeschickt hatte. Die Dokumente beschuldigten sie, die Ehe zerrüttet zu haben. Es war ihr egal. Zwei Wochen später schickte er ihr die Scheidungsurkunde, zusammen mit einem Foto von ihm und seinem Kaninchen vor einem Motel in der Wüste. Er war so begeistert, wieder ledig zu sein, daß er von einer roten Aura des Entzückens umgeben war, obwohl es eine Schwarzweißaufnahme war. Das Kaninchen, das Happy hieß, war Teil von Rogers Nummer, aber Billy hatte es immer als Haustier betrachtet, und nach Rogers Abreise konnte Nora Billy nicht von der Stelle wegbringen, an der der Käfig des Kaninchens gestanden hatte.

»Es war schon immer falsch, hier bei Mr. Popper ein Kaninchen zu halten«, hatte sie zu Billy gesagt. »Du weißt doch, daß Happy ihn verrückt gemacht hat.«

Und das stimmte. Immer, wenn Happy nicht arbeitete, saß Mr. Popper oben auf seinem Käfig, und das Kaninchen pflegte übertrieben die Nase zu rümpfen, als wolle es Mr. Popper herausfordern. Ach Gott, wie schrecklich Nora sich damals gefühlt hatte! Sie hätte Roger mit einer echten 4.5er erschießen können, nicht mit der imitierten, die er für seine Nummer brauchte und aus der nur Konfetti und Luftschlangen kamen. Jedesmal, wenn sie Billy dabei ertappte, wie er sein Haar zusammenzwirbelte, fragte sich Nora, warum sie Roger überhaupt geheiratet hatte. Selbst als sie einander gerade kennengelernt hatten und nicht aufhören konnten, sich zu berühren, hatte Nora gespürt, daß er etwas Falsches an sich hatte. Sie wollte an ihn glauben, aber es schien täglich weniger an ihm zu geben, woran sie glauben konnte. Er war nicht mit dem Herzen dabei. Er war beispielsweise nicht die Art von Zauberer, die man für eine Kinderparty engagieren würde, denn die Kinder merkten sofort, daß mit ihm etwas nicht stimmte. Sie waren kein bißchen überrascht, wenn er Seidenschals aus dem Ärmel zog oder eine Münze hinter ihren Ohren fand, sondern gähnten und verlangten nach Bonbons. Sie sahen mit einem Blick, daß sein Zauberstab nur aus Holz war. Erwachsene dagegen fanden Roger charmant. Er mochte nachlässig sein, wenn er das Kaninchen aus dem Hut zog, aber er hatte eine besondere Begabung, sein Publikum mit zynischen Einzeilern zu begeistern. Er war ein erfahrener Künstler mit eindeutiger Bühnenpräsenz, und trotzdem konnte Billy, wenn er sich seinen Vater vorzustellen versuchte, Roger immer nur bei seinem Blackout-Trick sehen, einer Täuschung, bei der Roger als körperloser Mann in Frack und Zylinder erschien, ohne Gesicht und ohne Hände.

Billy versuchte vergeblich, sich seinen Vater vorzustellen, als sie das Haus erreichten. Der Möbelwagen versperrte die Einfahrt, daher mußte Nora auf der Straße parken. Als sie den Schlüssel, den John McCarthy ihr zugeschickt hatte, aus ihrer Tasche kramte, fühlte er sich heiß an; Nora mußte ihn hochhalten und darauf blasen. Sie stieg aus dem Volkswagen und klappte die Rückenlehne um, damit sie das Baby herausnehmen konnte.

»Wir sind zu Hause«, raunte sie James zärtlich zu.

Billy saß steif auf dem Beifahrersitz, und er starrte vor sich hin. Sein Haar war eine Masse honigfarbener Knoten.

»Komm, du Spielverderber«, sagte Nora zu ihm. »Steig aus.«

Billy stieg aus und ging um den Wagen herum, um sich neben seine Mutter zu stellen. Er war schlank und hatte schmale Schultern, und in dieser Hinsicht ähnelte er Roger: Er hatte den perfekten Körper, um sich in Kisten und Truhen zu zwängen. Nora hielt das Baby im Arm. Der Rasen war ungleichmäßig gemäht, und überall an der Einfahrt wuchsen Büschel von Löwenzahn.

»Das bißchen Unkraut spielt keine Rolle«, sagte Nora zu Billy.

Sie gingen zur Vordertür; Billy folgte ihr so dicht, daß er gegen die Absätze von Noras hochhackigen Schuhen trat. Der Schlüssel paßte nicht, daher gingen sie zur Seitentür. Nora gab den drei Möbelpackern, die sich an einen Gartentisch aus Holz gesetzt hatten und aus ihren Thermosflaschen Kaffee tranken, ein Zeichen.

»Schaut euch alles gut an«, sagte Nora zu ihren Kindern, als die Möbelpacker sich daran machten, ihre Habseligkeiten aus dem Wagen zu tragen.

Sie hörten den Verkehr auf der Southern State und das Dröhnen eines niedrigfliegenden Flugzeugs. Das Haus hatte in der Dunkelheit entschieden einen besseren Eindruck gemacht.

»Macht euch nichts draus, wie es jetzt aussieht«, sagte Nora. »Denkt daran, wie es aussehen wird.«

James klatschte in die Hände und zeigte auf die Drahtgittertür, die in ihren Angeln vor- und zurückschwang. Aber Billy starrte nur seine Mutter an. Sie war hübscher als die Mütter der meisten anderen Kinder, obwohl sie heute kein Make-up trug und ihr glattes, schwarzes Haar nicht frisiert war. Nora ertappte Billy dabei, daß er sie betrachtete; sie hob James auf ihre Schultern, klopfte ihm auf den Rücken und biß sich auf die Lippen, als sie sah, daß der Anstrich des Hauses abblätterte. Sie sah so besorgt aus, daß Billy beinahe etwas Nettes gesagt hätte. Statt dessen rümpfte er die Nase.

»Hier stinkt's«, sagte er.

»Vielen herzlichen Dank«, sagte Nora, obwohl es stimmte. »Ich wußte, ich kann mich darauf verlassen, daß du etwas Aufmunterndes sagst.«

Nora sperrte die Seitentür auf und trat ins Haus. Sobald die Möbelpacker James Laufstall gebracht hatten, stellte Nora ihn in der Küche auf und setzte das Baby hinein. Sie ging durchs Haus, um die Vordertür aufzuschließen, ging dann an der Couch und den Bettgestellen in der Einfahrt vorbei und holte aus dem Volkswagen die Tüte mit Lebensmitteln, die sie mitgebracht hatte. Sie ignorierte den entsetzlichen Geruch in der Küche und öffnete mit einem Messer einen großen braunen Umzugskarton. Sie fand ihre Backbleche auf Anhieb. Der Herd qualmte, als sie ihn einschaltete. Auf dem hinteren Brenner stand ein vergessener Topf mit irgend etwas undefinierbarem Roten darin, aber Nora packte einfach eine Rührschüssel aus und begann, Päckchen mit Backpulver und Vanille aufzureißen.

»Hmmm«, sagte Nora zu dem Baby, das aufgestanden war und sich an den Gittern des Laufstalls festhielt, um ihr zuzusehen.

Nora maß die Zutaten nie ab. Sie war keine gute Köchin, aber mit dem Backen hatte sie immer Glück. Roger, dieser eingebildete Bastard, war meist zu besorgt um sein Aussehen, um Kekse oder Kuchen zu essen. Er liebte die Art, wie Frauen ihn umschwärmten; er fuhr sich dann mit den Fingern durchs Haar und tat so, als bemerkte er es nicht, aber Nora war sicher, daß er eine ganze Menge bemerkte, wenn sie nicht anwesend war.

»Wer ist ein eingebildeter Bastard?« fragte Billy.

Er hatte sich nicht gerührt, seit sie das Haus betreten hatten, stand noch immer mit dem Rücken zur Drahtgittertür und zwirbelte sein Haar.

»Niemand«, sagte Nora. Sie drehte sich zu ihm um und winkte mit der Kuchenform in seine Richtung. »Bastard darfst du nie sagen.«

Es war eine Spezialität von Billy, Leute zu durchschauen, als seien sie aus Glas. Gott sei Dank fing er niemals einen vollständigen Gedankengang auf, sondern immer nur Fetzen davon. Trotzdem war Nora nie ganz sicher, ob sie einen Gedanken laut ausgesprochen hatte oder ob Billys Antennen einen stummen Fluch oder Wunsch aufgefangen hatten.

»Such dir was zu tun«, sagte Nora. Sie hielt sich die Nase zu, nahm den Topf mit dem roten Zeug vom Herd und schüttete den Inhalt in den Ausguß.

»Es gibt nichts zu tun«, sagte Billy.

Nora sah, daß er nach einer Schachtel Streichhölzer schielte, die Mr. Olivera zurückgelassen hatte.

»Schlag sie dir aus dem Sinn«, sagte Nora. »Mach doch dein Zimmer sauber.«

Billy stöhnte, aber er ging ins Eßzimmer. Er hörte, wie Nora einen der Möbelpacker fragte, ob jemand ihre Elvis-Sammlung gesehen habe – neben ihrer abgenutzten Samtcouch vermutlich das Wertvollste, was sie besaßen. Das Wohnzimmer und das Eßzimmer waren eigentlich nur ein einziger, L-förmiger Raum. An der Decke hingen Spinnweben. Eine dünne weiße Staubschicht lag auf den Fensterbrettern und der Klimaanlage, die in ein Fenster eingebaut war. Am Ende des Flurs gab es ein Badezimmer und drei kleine Schlafzimmer. James' Bettchen stand zerlegt im kleinsten der Zimmer, und im größten waren Noras Koffer. Im dritten Schlafzimmer, das auf die Straße hinausging, fand Billy seine Cowboystiefel und seinen Globus, der im Dunkeln leuchtete, wenn man den Stecker in die Steckdose steckte. Vom Fenster aus konnte er die identischen Häuser auf der anderen Straßenseite sehen. Er sah auch den Volkswagen, der achtlos geparkt war, mit einem Rad auf dem Randstein, und die Rhododendronbüsche, die Mr. Olivera gepflanzt hatte. Billy setzte sich hin, den Rücken an die Wand gelehnt. Er hatte nicht gemerkt, wie müde er war. Kaum hatte er den Kopf nach vorn geneigt, war er auch schon eingeschlafen. Während er schlief, spann eine Spinne an der Decke einen langen, dünnen Faden, ließ sich daran herunter und war im Nu in der Brusttasche von Billys Hemd verschwunden.

Im Gegensatz zu den Müttern der meisten anderen Kinder glaubte Billys Mutter, Spinnen brächten Glück. Sie mußte immer die Augen schließen, ehe sie sich dazu durchringen konnte, einen Besen zu nehmen, ihn mit einem Geschirrtuch zu umwickeln und ein Spinnennetz zu entfernen. Da sie sehr wenig davon gehabt hatte, wußte sie eine Menge über Glück. Sie wußte, daß man eine Wunde mit einem Spinnennetz bedecken und so die Blutung stillen konnte. Geister verschwanden, wenn man eine Untertasse mit Salz aufstellte. Drei regnerische Tage hintereinander versprachen eine Ankunft, und wenn ein Mann im Schlaf sprach, bedeutete das Untreue. Auch das konnte Nora bestätigen.

Daher fiel es ihr leicht, das Durcheinander um sich herum zu ignorieren und mit dem Backen fortzufahren. Sie unterbrach sich nur, um ein Fenster zu öffnen und das Haus zu lüften, und dann, um den Möbelpackern einen Scheck auszuschreiben. Die Männer standen an der Küchentheke und sahen ihr zu, stumm gemacht durch den Duft von Vanille und die Art, wie Nora die Zunge leicht herausstreckte, während sie ihren Namen schrieb. Als die Möbelpacker fort waren und das erste Blech mit Plätzchen aus dem Ofen kam, klopfte Nora sich das Mehl von den Händen und hob James aus seinem Laufstall.

»Pa pa«, sagte James.

»Bitte«, sagte Nora. »Erwähn seinen Namen nicht.«

Nora wußte, daß sie bei Roger geblieben wäre, wenn er sie nicht verlassen hätte. Roger hätte sich darauf verstanden, ein undichtes Dach zu reparieren, er hätte gewußt, daß es Dinge wie Sicherungen gab. Und außerdem – wenn sie noch mit ihm verheiratet gewesen wäre, hätte Nora sich sagen können, sie sei nicht allein.

Das Baby griffnach ihren Brüsten, deshalb setzte sich Nora zum Stillen an den Küchentisch und streifte die hochhackigen Schuhe von den Füßen. Ihr war klar, daß sie James bald würde entwöhnen müssen, denn er wollte an den unpassendsten Orten – im Lebensmittelgeschäft oder auf der Post – und immer dann gestillt werden, wenn er verwirrt war, nur so zum Trost. Während das Baby trank, wurde es wärmer, wie immer, wenn es kurz vor dem Einschlafen war. Es war ein gutes Zeichen, wenn ein Baby in einem neuen Haus sofort einschlief, soviel stand fest.

Vorsichtig zog Nora James die gelben, gestrickten Babyschuhe aus; das Baby saugte heftiger und krümmte die Zehen. James war jetzt neun Monate alt und jedesmal, wenn er einen neuen Zahn bekam, rieb Nora sein Zahnfleisch mit Whisky ein und weinte, weil er immer weniger babyhaft wurde. Er schlief mit ausgestreckten Armen und offenem Mund ein. Nora legte ihn in den Laufstall und deckte ihn mit einem warmen Küchenhandtuch zu. Sie schob ein zweites Blech mit Plätzchen in den Backofen und schloß sorgfältig die Tür.

Irgendwo miaute Mr. Popper. Nora fand ihn im Wohnzimmer, wo er auf der Klimaanlage hockte. Der Kater sprang auf ihre Schulter und blieb dort sitzen, während Nora durchs Haus ging und über Kartons stieg, über Töpfe und Pfannen, die Schneestiefel, die Elvis-Sammlung und den Plattenspieler, der eine neue Nadel brauchte. Das Zimmer des Babys hatte einen Anstrich nötig, die Toilette rauschte, und Noras Bett schienen die Möbelpacker beschädigt zu haben. Nora hob die Hand und streichelte Mr. Popper. Dann trat sie in die Tür des dritten Schlafzimmers und sah, daß Billy schlief. Er hatte das Gesicht in den Armen verborgen, und sein Haar stand vom Kopf ab, elektrisiert durch all den Staub im Haus. Hier in Billys Zimmer hörte man ganz leise den Verkehr auf der Southern State.

Die Kinder waren vom Umzug so erschöpft, daß Nora sie schlafen ließ. Sie wischte den Boden des Badezimmers und hängte ihre Kleider und ihren Mantel in den Wandschrank. Später ging sie in den hinteren Garten, und dort rauchte sie eine Zigarette, als die Krähen zurückkamen. Sie machten sofort ein schreckliches Geschrei, krächzten und schüttelten ihr Gefieder und pickten Steine auf, die sie herunterwarfen, einen nach dem anderen, so daß Steine auf die Bretter des Gartentischs prasselten wie Hagelkörner. Nora rauchte ihre Zigarette zu Ende. Mit Vögeln mußte man vorsichtig sein; sie konnten ebensogut Glück wie Unglück bringen. Nora wartete also, und als sie ihrer Sache sicher war, ging sie auf die Seite des Hauses, wo die Trauben wuchsen. Große, dunkelrote Trauben lagen überall auf dem Boden, und Nora stieg vorsichtig über sie hinweg, als sie eine verrostete Leiter aufstellte, die Mr. Olivera nicht mehr hatte wegräumen können. Sie kehrte ins Haus zurück, und während das Baby sich im Schlaf den Daumen in den Mund schob, griff Nora in die Tüte mit den Lebensmitteln, nahm eine Packung Salz heraus und ging wieder nach draußen.