Die Frauen von Cornwall - Daphne du Maurier - E-Book

Die Frauen von Cornwall E-Book

Daphne du Maurier

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Beschreibung

Starke Frauen und der Ruf des Meeres

Janet ist mit dem Werftbesitzer Thomas Coombe verheiratet, sie leben mit ihren Kindern scheinbar glücklich in dem beschaulichen kornischen Hafenstädtchen Plyn. Doch Janet ist ruhelos – immer wieder zieht es sie an die Klippen, und sie träumt davon, ein Mann und frei zu sein und um die Welt zu segeln. Diesen Drang und die unstillbare Liebe zum Meer gibt sie an ihren Sohn Joseph weiter – und als er, wild und ungebärdig, auf einem Schiff anheuert und sein Glück in der Ferne sucht, ist es, als würden ihre Träume wahr. Doch die Rivalität zwischen Joseph und seinem Bruder Philip droht die Familie zu zerreißen …

Daphne du Mauriers umjubeltes literarisches Debüt, das auf Anhieb zum Bestseller wurde und ihren Ruf als eine der besten Schriftstellerinnen ihrer Generation begründete, führt uns tief in die inneren Welten ihrer Protagonistinnen und lässt das raue, romantische Cornwall lebendig werden – eine dramatische Familiensaga über Leidenschaft, dunkle Geheimnisse, Intrigen und eine Liebe, die stärker ist als der Tod.

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Seitenzahl: 618

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Cover

Titel

Daphne du Maurier

Die Frauen von Cornwall

Eine Familiensaga

Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich Vollständige Neuübersetzung

Insel Verlag

Impressum

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Die englische Originalausgabe erschien 1931 unter dem TitelThe Loving Spirit.Die Übersetzungen der Verse von Emily Brontë wurden zitiert nach:Emily Brontë, Ums Haus der Sturm. Gedichte. Englisch und deutsch. Ausgewählt, übertragen und mit einem Nachwortversehen von Wolfgang Held. Insel Verlag Frankfurt am Mainund Leipzig 1998.Die Übertragung von Günter Plessow ist erschienen bei Signaturen: https://signaturen-magazin.de/emily-bronte--drei-gedichte.html

eBook Insel Verlag Berlin 2025

Der vorliegende Text folgt der xx. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 5097.

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Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

eISBN 978-3-458-78309-1

www.insel-verlag.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Buch eins. Janet Coombe

(1830 ‌– ‌1863)

1

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Buch zwei. Joseph Coombe

(1863 ‌– ‌1900)

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Buch drei. Christopher Coombe

(1888 ‌– ‌1912)

1

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Buch vier. Jennifer Coombe

(1912 ‌– ‌1930)

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Informationen zum Buch

Buch eins

Janet Coombe (1830 ‌– ‌1863)

Feig, das ist meine Seele nicht,

Sie bebt nicht in der sturmdurchtosten Welt,

Ich sehe herrliches Himmelslicht,

Und lichter Glaube schützt auch, wo mich Angst befällt.

Leer sind die tausend Credos all,

Wie herzbewegend auch, unsäglich leer

Wertloses Unkraut im Verfall

Nur eitel Schaum in einem grenzenlosen Meer,

Um Zweifel aufzustör'n in der,

Die sich geklammert an die Ewigkeit,

So fest verankert ist in Meer

Am unverrückten Felsen der Unsterblichkeit.

Emily Brontë

(Übersetzung Wolfgang Held)

1

Janet Coombe stand auf dem Hügel über Plyn und blickte hinunter auf den Hafen. Obwohl die Sonne bereits hoch am Himmel strahlte, war das Städtchen noch in frühmorgendlichen Nebel gehüllt. Wie eine dünne, helle Decke lag er über Plyn und verlieh dem Ort etwas leise Unwirkliches, als würde alles von geisterhaften Fingern berührt. Die Flut zog sich zurück, das Wasser floss ruhig und geräuschlos aus dem Hafen ab und wurde eins mit dem Meer, glatt und unbewegt. Keine versprengte Wolke, kein Luftzug störte die friedvolle Schönheit des stillen, hellen Himmels. Kurz schwebte eine Möwe in der Luft, reckte ihre ausladenden Schwingen der Sonne entgegen, dann tauchte sie mit einem unvermittelten Kreischen ab und verlor sich im Nebel. Für Janet war dieser Hügel ihre Welt, ein kleiner Kosmos von seltsamer Klarheit und Erkenntnis; hier wurden alle unangenehmen Gedanken und sonderbaren Grübeleien des Herzens beschwichtigt und kamen zur Ruhe.

Der weiße Dunst begrub die Kümmernisse und Zweifel des Alltags und mit ihnen all die leidigen Pflichten und Stumpfsinnigkeiten der menschlichen Natur. Hier oben gab es keinen Nebel, keinen Platz für Schatten, sondern nur die warme Behaglichkeit der Mittagssonne.

Hier herrschte Freiheit, eine Freiheit der Luft und der See, wie das heitere Fallen der Blätter im Herbst oder das scheue Flattern eines Vogelflügels. Ganz anders als in Plyn. Dort musste man sich nach den Bedürfnissen der anderen richten, und von morgens bis abends waren da die Sorgen und Nöte der Hausarbeit – mal war zu helfen, mal waren mit einem freundlichen Wort die anderen aufzumuntern, aber sündhaft war es, selbst eins zu erwarten. Und jetzt sollte sie zur Frau werden und über die Schwelle ihres eigenen Lebens treten, hatte der Pfarrer gesagt. Vielleicht würde es sie verändern, sie würde auf ihrem Weg Sorgen, aber auch Freuden begegnen, doch wenn sie treu an ihrem Glauben an Gott, unser aller Vater, festhielte, würde sie schließlich Frieden finden und den Himmel schauen. Am besten richtete man sich nach diesen rechtschaffenen Worten, auch wenn es schien, als sei der Pfad zum Himmel ein langer, beschwerlicher Weg und viele würden sich unterwegs versündigen und dafür bestraft werden.

Der Pfarrer sagte zwar die Wahrheit, verlor aber kein Wort über die herrlichen Dinge des Herzens. Gott allein war großer Liebe wert. Hier auf dem Hügel schliefen die gravitätischen Schafe in kühlen Nächten Seite an Seite, und die Mutter schützte ihre Lämmer vor dem sich anpirschenden Fuchs, der im Schatten der Hecken räuberte – selbst die hohen Bäume lehnten sich abends zum Trost aneinander.

Dennoch kenne keines dieser Wesen die Liebe Gottes, sagte der Pfarrer.

Es könnte doch sein, dass er nicht um die Wahrheit jedes Vogels, Tiers, einer jeden Blume wusste und dass sie ebenso unsterblich waren wie der Mensch.

Janet kniete am Bach und berührte eine blasse, vergessene Schlüsselblume, die hartnäckig nah am Wasser wuchs. Auf einem Ast über ihrem Kopf rief eine Amsel und flog davon, und weiße Blütenblätter rieselten auf Janets Haar. Die flammenden Ginsterbüsche atmeten in der Sonne und erfüllten die Luft mit einem üppigen, süßen Duft, einer Mischung aus Honig und frischem Tau.

Es war Janet Coombes Hochzeitstag. Zu Hause würde ihre Mutter das Festmahl für die erwarteten Gäste vorbereiten, und ihre Schwestern würden mit sehnsüchtigen, ehrfürchtigen Fingern das schöne Hochzeitskleid auf dem Bett ausbreiten.

Gleich würden die Glocken der Kirche von Lanoc läuten, und sie und Cousin Thomas, ihr zukünftiger Mann, würden vor den Altar treten und vor Gottes Angesicht eins werden.

Thomas würde in geziemender Ehrerbietung die Augen niederschlagen und auf die frommen Worte des Pfarrers lauschen, doch Janet wusste, dass ihr Blick sich zu dem Leuchten reinen Lichts davonstehlen würde, das durch die Kirchenfenster fiel, und ihr Herz würde über den Sonnenstrahl hinweg zu den stillen Hügeln fliegen.

Der Hochzeitsgottesdient würde ihr trübe und unwirklich vorkommen, wie die Stadt Plyn im Morgennebel, und mochte sie es auch noch so sehr versuchen, sie könnte unmöglich zuhören, wenn sie selbst woanders war. Es war ihre sündige Seele, die der Aufforderung des Pfarrers nicht nachkam; sündig und säumig, wie sie stets gewesen war, schon als kleines Ding, damals am Knie ihrer Mutter.

Ihre Schwestern hatten brav und ordentlich die Schule besucht und nähen und lesen gelernt, während Janet immerzu schwänzte und sich an den Strand hinter dem Hafen davonstahl. Dort stand sie auf den hohen, bröckelnden Klippen an der alten Burgruine und hielt Ausschau nach den braunen Segeln der Penlivy-Fischerboote, die am fernen Horizont glänzten.

»Bitte, lieber Gott, mach mich zu einem Jungen, bevor ich erwachsen werde«, betete sie und war da kaum größer als ein Stiefel, den Nacken voller Locken. Ihre Mutter tadelte und schlug sie und schimpfte sie ein ungehobeltes Kind mit heidnischen Manieren, doch es war alles umsonst. Ihre Mutter hätte sich die Rute sparen können, so wenig nützte sie.

Sie wuchs wie ein Junge heran, groß und aufrecht, mit ruhigen Händen und furchtlosem Blick, die Liebe zum Meer lag ihr im Blut. Und doch war sie im Herzen ein Mädchen, mit ihrer Liebe zu Tieren und schwachen, hilflosen Geschöpfen; deshalb legte sie später auch Wert auf ihre Kleidung und heftete sich eine Blume ans Mieder und kämmte die schwarzen Locken aus der Stirn. Die Männer hatten immer vor dem Haus ihres Vaters am Tor gewartet und sie gebeten, sonntags mit ihnen den Klippenpfad hinaufzuspazieren; dort standen sie dann mit Schafsblick und wussten nicht, wohin mit ihren Händen, als wäre die Zunge zu groß in ihrem Mund, doch Janet lachte nur und schüttelte ihre Locken.

Sie ging mit den Jungen, wenn sie mit ihnen laufen und über Hecken klettern und sich für ihre Geschicklichkeit bewundern lassen konnte; doch nicht, um neben ihnen her zu gehen, während die Hände sich berührten, vor aller Augen wie Liebende. Allzu bald würde sie ohnehin verheiratet werden, einen Ehemann und ein Heim haben, um die sie sich kümmern musste, dazu einen lästig langen Rock um die Fesseln und auf dem Kopf eine Haube, adrett und respektabel.

Doch sie würde einen Mann wollen, keinen großen, ungeschlachten Jungen, der nichts zu sagen wusste und nichts Besseres im Sinn hatte, als herumzulungern und auf einen liebevollen Blick oder ein nettes Wort zu hoffen. So überlegte Janet, als sie achtzehn geworden war und ihre Schwestern nichts anderes im Sinn hatten, als sich Bänder ins Haar zu flechten und in der Kirche über den Rand der Gesangbücher hinweg verstohlen die Männer zu mustern.

Janet hatte für dieses Benehmen nur Verachtung übrig, auch wenn sie den Worten des Pfarrers keineswegs besser zuhörte: Ihre Gedanken wanderten davon über das Meer, wo die Schiffe in fremde Reiche und ferne Länder segelten.

Häufig ging sie hinunter zur Werft am Fuß des Hügels von Plyn, in der Nähe der Helling am Hafen. Der Betrieb gehörte ihrem Onkel und war noch klein, wuchs jedoch von Jahr zu Jahr. Außerdem erhielt der Onkel Hilfe von seinem hart arbeitenden Neffen, dem jungen Thomas Coombe, Janets Cousin zweiten Grades.

Cousin Thomas hatte in Plymouth gelernt, war ernsthaft und solide und hatte ein ruhiges Wesen, das sowohl seinen Onkel beeindruckte als auch die faulen Tunichtgute auf der Werft.

Vielleicht schon bald würde die Firma härtere und schwierigere Arbeiten übernehmen als den Bau von Fischerbooten. Der junge Thomas würde Partner werden; nach dem Tod seines Onkels würde das Geschäft ihm gehören.

Er war ein stattlicher Mann, dieser Cousin Thomas, wortgewandt und ziemlich ansehnlich, wenn man es recht bedachte. Er hatte keine Zeit für Liebeleien oder sonntägliche Spaziergänge zum Klippenpfad, aber dennoch ein Auge auf Janet geworfen, und er dachte bei sich, was für eine hervorragende Ehefrau sie doch abgeben würde, eine würdige Lebensgefährtin für jeden Mann.

Und so geschah es, dass der junge Thomas eines Abends im Haus vorsprach, mit Vater und Mutter plauderte und dabei nur Janet im Sinn hatte.

Er stellte sich ein Haus auf halber Höhe des Hügels von Plyn vor, efeuüberwachsen und mit Blick auf den Hafen, wo Janet ihn nach getaner Arbeit erwartete, die Kinder am Rockzipfel.

Er wartete ein Jahr, bevor er sich Janet offenbarte; er wartete, bis sie ihn so gut kannte wie ein Mitglied ihrer Familie, ihm vertraute und ihn respektierte.

Bald nach ihrem neunzehnten Geburtstag erklärte er ihrem Vater und ihrer Mutter, dass er Janet zur Frau nehmen wolle. Sie waren erfreut darüber, denn Thomas machte seinen Weg und war so vernünftig und ehrlich, wie Eltern es sich nur wünschen konnten.

Eines Abends kam er ins Haus und bat darum, Janet allein sehen zu dürfen.

Sie kam die Treppe heruntergestürmt, hübsch und adrett gekleidet, das Medaillon vor der Brust, das dunkle Haar ordentlich in der Mitte gescheitelt.

»Ah, Cousin Thomas«, rief sie, »heute Abend kommst du aber früh, das Abendessen ist noch nicht bereit, und nur ich kann dir Gesellschaft leisten.«

»Ja, Janet«, antwortete er ruhig, »ich bin aus einem bestimmten Grund gekommen; es gibt da eine Frage, die ich dir gern stellen möchte.«

Janet errötete und sah zum Fenster. Hatten ihre Schwestern ihr nicht vor wenigen Abenden etwas Derartiges zugeflüstert, und sie hatte sie ausgelacht?

»Sprich offen, Cousin Thomas«, sagte sie, »vielleicht finde ich es gar nicht unangenehm oder schwierig, dir zu antworten.«

Er nahm sie bei der Hand und zog sie zu einem Stuhl am Kamin.

»Seit zwölf Monaten, Janet, komme ich regelmäßig in dieses Haus, ich habe dich beobachtet und zugehört, was du zu sagen hast. Das, was ich dir gleich sagen werde, ist weder überstürzt noch das Ergebnis wilder Spekulationen. Ich sehe dich seit zwölf Monaten und habe mich in dich verliebt, wegen deines aufrichtigen Herzens und deiner Bescheidenheit, und jetzt drängt es mich, mich dir zu erklären. Mein Wunsch ist, dass du meine Frau wirst und mein Heim und mein Herz mit mir teilst; und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, dir Frieden und Zufriedenheit zu schenken.«

Sie ließ zu, dass er weiter ihre Hand hielt, und überlegte eine Weile.

Ihr schien, als sei sie doch gerade erst vom Kind zum Mädchen geworden und müsse sich nun in eine Frau verwandeln – und das für immer. Sie würde nicht mehr mit angehobenem Rock über die Felsen springen, auch nicht zwischen den Schafen über die Hügel wandern können. Ein Heim müsste geführt werden, sie würde einen Mann haben und später vielleicht, so Gott wollte, ein Kind als Folge des Ehestands.

Bei diesem Gedanken legte etwas den Finger auf ihre Seele, wie die Erinnerung an einen Traum oder etwas halb Vergessenes: ein Erkenntnisblitz, der den Menschen in wachen Momenten verborgen bleibt, sie aber in besonderen Zeiten wunderlich trifft. Das widerfuhr Janet jetzt, schwächer als ein Ruf, eher ein stilles, leises Gewisper.

Sie wandte sich mit einem Lächeln an Thomas.

»Es macht mich stolz, dass du mir diese Ehre erweist, Thomas, obwohl ich gewiss für jemanden wie dich weder würdig noch weise genug bin. Dennoch ist es schrecklich schön für ein Mädchen, mit eigenen Ohren zu hören, dass da jemand ist, der sie lieben und ehren wird. Und wenn es dein Wunsch ist, mich zu wählen, Thomas, und mit meinen Eigenheiten auszukommen – denn ich bin manchmal schrecklich stürmisch –, empfinde ich es als Glück, dein Heim mit dir zu teilen und für dich zu sorgen.«

»Janet, Liebes, es gibt heute in Plyn sicherlich keinen stolzeren Mann als mich, und es wird auch niemals einen geben bis zu dem Tag, an dem ich dich zum ersten Mal bitte, an unserem eigenen Herd Platz zu nehmen.«

Dann stand er auf und zog sie an sich. »Da nun ausgemacht ist, dass wir heiraten werden, ich schon vor einigen Tagen mit deinen Eltern gesprochen und sie zugestimmt haben, hielte ich es nun für angemessen und durchaus für angebracht, dich zu küssen, Janet.«

Sie überlegte kurz, denn sie hatte, mit Ausnahme ihres Vaters, noch nie einen Mann geküsst.

Sie legte beide Hände auf seine Schultern und hielt ihm ihr Gesicht entgegen.

»Auch wenn es nicht schicklich sein mag, Thomas«, erklärte sie ihm danach, »es fühlt sich äußerst gut an.«

Und so versprach sich im Jahre 1830 Janet ihrem Cousin Thomas Coombe aus Plyn in Cornwall; er war fünfundzwanzig Jahre alt, und sie war gerade erst neunzehn geworden.

Der Nebel hatte sich inzwischen gelichtet, Plyn war nicht länger ein Ort der Schatten. Vom Hafen waren Stimmen zu hören, die Möwen stürzten sich ins Wasser, und die Menschen standen in den Türen ihrer Cottages.

Janet war immer noch auf dem Hügel und blickte aufs Meer, und es hatte den Anschein, als gebe es zwei Seiten in ihr; eine, die Ehefrau eines Mannes sein, ihn umsorgen und zärtlich lieben wollte, und eine andere, die sich einzig und allein danach sehnte, Teil eines Schiffs zu sein, Teil des Meeres und des Himmels, mit dem frohen, freien Leben einer Möwe.

Dann drehte sie sich um und sah Thomas den Hügel heraufkommen. Sie eilte lächelnd auf ihn zu.

»Ich nehme an, es ist frevelhaft, am Morgen der Hochzeit seinen Mann zu begrüßen«, sagte sie. »Eigentlich sollte ich zu Hause sein und mich auf die Kirche vorbereiten, nicht hier auf dem Hügel mit meiner Hand in der deinen.«

Er nahm sie in die Arme.

»Vielleicht ist jemand in der Nähe, aber ich kann nicht anders«, flüsterte er. »Janie, ich liebe dich so sehr.«

Die Schafe grasten auf dem Feld, und der süße Duft des Ginsters erfüllte die Luft.

Wann würden die Glocken der Kirche von Lanoc zu läuten beginnen?

»Ein seltsamer Gedanke, dass wir nie wieder getrennt sein werden, Thomas«, sagte sie. »Nachts nicht, und tagsüber, wenn du arbeitest und ich im Haus herumwerkle, werden unsere Gedanken stets beieinander sein.«

Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Ist verheiratet sein eine sehr ernste Angelegenheit, Thomas?«

»Ach, Liebste, der heilige Stand der Ehe hat Gottes Segen, und wir müssen uns keine Sorgen machen. Das hat der Pfarrer mir gesagt. Er hat mir vieles erklärt, denn es gab einiges, von dem ich fürchtete, es könnte mir unangenehm sein und schwerfallen. Aber ich werde gut zu dir sein, Janie.«

»Es wird Zeiten geben, in denen wir uns zanken, böse und jähzornig sind, glaube ich, und dann wirst du es bedauern und dir wünschen, du wärst wieder allein.«

»Nein, nie, nein, nie!«

»Seltsam, dass unser ganzes Leben hier in Plyn stattfinden wird, Thomas. Kein Umherschweifen für dich und mich, wie für manch andere. Unsere Kinder werden an unserer Seite aufwachsen, sie werden heiraten und nach ihnen ihre Kinder. Wir werden alt werden, und dann werden wir beide auf dem Friedhof von Lanoc die letzte Ruhe finden. All das wird geschehen, wie bei den Blumen, die im Sommer ihre Blüten öffnen, und den Vögeln, die mit dem Fallen der ersten Blätter gen Süden fliegen. Und hier sind wir nun, Thomas, und wissen nicht, was uns erwartet.«

»Es ist sündhaft, Janie, vom Tod zu sprechen, und von dem Leben, das sein wird. Alles liegt in Gottes Hand, wir dürfen nicht daran zweifeln. Es sind nicht unsere Kindeskinder, an die ich denken will, sondern an uns beide, die wir heute heiraten werden. Ich liebe dich sehr, Janie.«

Sie umarmte ihn fest und blickte dabei über seine Schulter.

»In hundert Jahren werden zwei andere hier stehen, Thomas, so wie wir heute – und sie werden Blut von unserem Blut sein, Fleisch von unserem Fleisch.«

Sie zitterte in seinen Armen.

»Du redest sonderbar und wild daher, Janie, bleib mit den Gedanken bei uns und halte dich fern von den Zeiten, wenn wir tot und vergangen sein werden.«

»Nicht um mich habe ich Angst«, flüsterte sie, »sondern um die, die nach uns kommen. Vielleicht sind es viele, die auf uns angewiesen sein werden – in weiter, weiter Zukunft. Und in der Morgensonne auf dem Hügel über Plyn stehen werden.«

»Wenn du dich fürchtest, Janie, such den Pfarrer auf und bitte ihn, dich zu beruhigen. Er weiß am besten Rat, das kommt daher, dass er nachts die Bibel liest.«

»Weder die Bibel noch die Worte des Pfarrers noch meine ewigen Gebete zu Gott werden uns retten, Thomas; nicht einmal das Beobachten der Vögel und Tiere, es hilft auch nicht, in der Sonne zu stehen und still den Wellen zuzuhören, oder der liebe Anblick des dunstverhüllten Plyn – obwohl ich diese Dinge schrecklich liebe.«

»Was ist es dann, Janie?«

»Es gibt vieles, worüber die Menschen reden, aber tief im Herzen glaube ich, dass nur eines zählt: dass du und ich einander lieben und auch jene, die nach uns kommen.«

Sie wanderten schweigend den Hügel hinunter.

An der Haustür erwartete Janets Mutter das Paar.

»Wo habt ihr gesteckt?«, rief sie. »Es ist weder schicklich noch recht, Thomas, das Wort an Janet zu richten, noch bevor du sie gleich in der Kirche als deine Braut begrüßt. Und du, Janet, ich schäme mich, dass du an deinem Hochzeitsmorgen in deinem alten Kleid den Hügel hinaufrennst. Oben in deinem Zimmer warten die Schwestern und wollen dich ankleiden; die Gäste kommen gleich, und du bist noch nicht fertig. Fort mit dir, Thomas, und mit dir ebenfalls, Janet.«

Janet ging die Treppe hinauf in ihr kleines Schlafzimmer, das sie mit ihren beiden Schwestern teilte.

»Schnell, Janie«, riefen sie. »Hat es je ein Mädchen gegeben, das an einem Tag wie diesem die Zeit vergisst?«

Sie strichen sehnsüchtig über das weiße Gewand auf dem Bett.

»Wenn man bedenkt, dass du in zwei Stunden verheiratet sein wirst, Janie, und eine Frau. Ich an deiner Stelle brächte bei dem Gedanken kein Wort heraus. Heute Nacht wirst du neben Cousin Thomas liegen und nicht hier bei uns. Fürchtest du dich?«

Janet überlegte und schüttelte dann den Kopf.

»Wenn man jemanden liebt, gibt es nichts, wovor man Angst haben müsste.«

Sie kleideten sie in das Hochzeitsgewand und befestigten den Schleier in ihrem Haar.

»O Janie – du siehst wie eine Königin aus.« Sie hielten ihr den winzigen, gesprungenen Spiegel hin, damit sie ihr Gesicht sehen konnte.

Wie fremd sie sich selbst vorkam. Nicht die alte, ungestüme Janet, die über den Strand rannte, sondern eine blasse, stille mit ernsten dunklen Augen.

Die Mutter rief vom Fuß der Treppe nach ihnen.

»Ihr werdet noch ohnmächtig, wenn ihr nicht einen Bissen esst. Kommt herunter.«

»Ich möchte nichts essen«, antwortete Janet. »Aber ihr beide geht hinunter und lasst mich ein Weilchen allein. Ich wäre jetzt gern für mich.«

Sie kniete sich vors Fenster und blickte über den Hafen. In ihrem Herzen wirkten viele unerklärliche, widersprüchliche Gefühle, die sie alle nicht benennen konnte. Sie liebte Thomas sehr, doch tief in ihrer Seele wusste sie, dass etwas sie erwartete, das größer war als diese Liebe zu Thomas. Etwas Starkes, Ursprüngliches, schimmernd in immerwährender Schönheit.

Eines Tages würde es so weit sein, aber noch nicht jetzt.

Leise läuteten die Glocken der Kirche von Lanoc jenseits des Hügels – dann lauter; sie hallten durch die Luft.

»Janie – wo steckst du?«

Sie erhob sich und ging hinunter, wo die Hochzeitsgäste sie schon erwarteten.

2

Es war, als habe Janet Coombe sich nach ihrer Hochzeit verändert. Sie war ruhiger, nachdenklicher geworden und unterließ es, in alter, unbändiger Manier die Hügel zu durchstreifen. Ihrer Mutter und den Nachbarn fiel es auf, sie unterhielten sich lächelnd darüber und machten vielsagende Bemerkungen.

»Sie hat sich verändert, seit sie einen Mann hat, und was wäre natürlicher? Jetzt ist sie eine Frau und möchte nichts lieber, als die Anliegen ihres Mannes zu verfolgen. Für ein Mädchen wie Janet ist das der einzige Weg, sich das Meer und die Hügel und all diesen Unsinn aus dem Kopf zu schlagen. Der junge Thomas hat einen Weg gefunden, sie zu besänftigen, und die richtigen Instinkte in ihr geweckt.«

In gewissem Sinn traf dies zu, denn tatsächlich hatte Janet durch die Heirat mit Thomas Frieden und eine wohltuende Zufriedenheit kennengelernt, die sie so bisher nicht gekannt hatte und sich nicht erklären konnte. Es war, als besäße er die Macht, sie mit seiner Liebe und Fürsorge über alle sorgenvollen Gedanken und ruhelosen Gefühle hinwegzutrösten.

Es war jedoch nur das Ergebnis dieser seltsamen neuen Nähe zwischen ihnen, die sie für eine Weile scheinbar veränderte, ohne ihren ruhelosen Geist zu beschwichtigen.

Der hatte nur so lange Ruhe gefunden, wie sie in ihrem neu gefundenen Stolz und ihrer Freude schwelgte. Sie ließ die Hügel und den Hafen sein, hörte auf, die Schiffe weit draußen auf dem Meer zu beobachten, und machte sich den ganzen Tag in ihrem Haus zu schaffen.

Thomas hatte einen schönen Fleck ausgewählt für ihr gemeinsames Heim, dieses efeubewachsene Haus abseits neugieriger Nachbarsaugen. Auch einen Garten gab es, wo Thomas abends gern hantierte, und Janet an seiner Seite, die eigene Arbeit in den Händen. Sie trieb sich nicht länger bei den rauen Booten herum, sondern flickte und hielt Thomas' Kleider instand oder nähte Vorhänge für das geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer.

Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, über sich selbst, über den Stolz und die Liebe, die sie für das gemeinsame Heim empfand.

Sie musste an die vielen Male denken, als sie ihre Schwestern ausgelacht und verspottet hatte. »Nein, ich werde nie eine sein, die heiratet und ihre Zeit mit einem Haus vergeudet. Eigentlich hätte ich ein Junge werden und auf einem Segelschiff anheuern sollen.«

Doch jetzt gab es in Plyn kaum ein gepflegteres Haus als das Janets, und nach jeder staunenden Frage ihrer Schwestern warf sie den Kopf in den Nacken und hatte schlagfertig eine scharfzüngige Antwort parat. »Ja, ihr könnt lachen, soviel ihr wollt, aber ich bin es, die ein eigenes Haus hat und einen Mann, der für mich arbeitet, während ihr nichts habt außer ein paar Süßholz raspelnde Jungen, mit denen ihr sonntags den Klippenpfad entlangspaziert.«

»Ich sehe es vor mir«, sagte sie, »wie euch ihr albernes Gerede langweilt, während ich mit Thomas am eigenen Kamin sitze. Denkt daran.«

Wenn man sie so reden hörte, dann hatte es tatsächlich noch nie ein Haus wie ›Ivy House‹ gegeben, mit seinen ordentlichen, sauber gefegten Räumen, dem großen Schlafzimmer über der Veranda, den weiteren Zimmern, »für später vielleicht«, und ihrer eigenen, modernen Küche. Sie war auch stolz auf ihre Kochkunst, nachdem sie herausgefunden hatte, dass Kochen beinahe ebenso faszinierend war, wie in den Hügeln im Heidekraut herumzustapfen, wenn sie ihm nur genügend Aufmerksamkeit widmete. Ihr Safrankuchen sei so gut wie der ihrer Mutter, erklärte Thomas mit stolzgeschwellter Brust.

»Wenn ich's mir genauer überlege, Janie, ist er sogar noch besser. Dein Kuchen hat eine Leichtigkeit, die ich anderswo sicher noch nie gekostet habe.«

Darauf verbarg sie ihr Lächeln und mied seinen Blick.

»Du schmeichelst mir und machst mir etwas vor«, entgegnete sie und tat bescheiden.

Dann erhob er sich vom Tisch, umfasste ihr Gesicht mit den Händen und küsste sie, bis sie außer Atem war. »Hör auf, Thomas, hör auf, sag ich«, dann schob er sie seufzend von sich. »Schlimm, Janie, wie ich mich aufführe.«

In der Dunkelheit hielt sie Thomas dicht an sich gedrückt, während er mit dem Kopf an ihrer Wange schlief. Sie liebte ihn für seine Kraft und Sanftheit ihr gegenüber, für seinen Ernst, wenn ihm danach war, und für die Momente, wenn er sich wie ein unbeholfenes Kind an ihr festhielt und vor sich selbst fürchtete.

»Du bist doch mein für immer, Janie, für immer und ewig? Sag ganz leise, dass es wahr ist, denn es ist so schön, es zu hören!« Und sie flüsterte es ihm zu, denn sie wusste sehr wohl, dass sie bis zum Tod seine liebende, treue Frau bleiben würde, aber sie wusste auch, dass eine größere Liebe als diese sie erwartete. Woher sie kommen würde, wusste sie nicht, doch sie war da, hinter der Biegung des Hügels, und wartete, bis sie bereit war.

So vergingen die ersten Wochen, und sie gewöhnten sich aneinander. Janet gewöhnte sich daran, dass Thomas in ihrer Nähe war und ihr immerzu nahe sein wollte.

Morgens beschäftigte sie sich im Haus, und wenn er gerade hart arbeitete, brachte sie ihm das Essen zur Werft und setzte sich eine Weile neben ihn.

Sie liebte die riesigen alten, gut abgelagerten Baumstämme, die darauf warteten, zu Planken geschnitten zu werden, liebte das Sägemehl auf dem Boden, den Geruch nach neuem Tau und Teer und die klobigen, unförmigen Umrisse der Schiffe. Ihr kam der Gedanke, diese Planken würden eines Tages lebendige Wesen sein, die in Gesellschaft des Windes über die Meere reiten und vielleicht die weite Welt durchstreifen – und sie, nur eine Frau in Plyn, mit einem Mann und einem Haus. Und sie bemühte sich, solche Gedanken zu verbannen, die Teil der alten, wilden Janet waren und der Frau von Thomas Coombe nicht angemessen. Sie musste sich klarmachen, dass sie jetzt gemusterte Kleider trug und eine gebügelte Schürze um die Taille, nicht mehr länger einen grob gewebten Rock, mit dem sie unterhalb der Burgruine auf die Felsen geklettert war. Manchmal setzte sie nachmittags ihre Haube auf und ging den Hügel hinauf zum Haus ihrer Mutter, wo im Wohnzimmer Tee serviert wurde und die Nachbarinnen zu Kuchen und Geplauder vorbeikamen.

Es war merkwürdig, von diesen Frauen als eine der ihren behandelt zu werden, schließlich war es noch nicht lange her, dass man sie ein ungezogenes Mädchen geschimpft und zurechtgewiesen hatte. Wie oft hatte sie durch das Schlüsselloch ins Wohnzimmer gespäht und sich aus Angst, laut herauszuplatzen, ein Taschentuch vor den Mund gehalten, und dem Klatsch und Tratsch der Nachbarinnenstimmen gelauscht? Und jetzt war sie eine von ihnen, balancierte überaus adrett Tasse und Untertasse in der Hand, erkundigte sich bei der alten Mrs Collins nach deren Rheuma und reagierte wie alle anderen kopfschüttelnd auf Albie Trevases schockierendes, verwerfliches Handeln, das das Mädchen von der Polmear Farm in Schwierigkeiten gebracht hatte.

»Wie es scheint, haben die jungen Leute heutzutage weder für sich noch für andere Respekt«, meinte Mrs Rogers. »Von morgens bis abends nach Lust und Laune nichts als Herumgerenne und Gekicher. Die Burschen wollen nicht mehr warten, bis sie verheiratet sind, wie es sich gehört, und die Mädchen ebenso wenig. Sie sollten Gott auf Knien danken, dass Sie in Sicherheit sind, Mrs Coombe«, wandte sie sich an Janet, »Ihr einsames heidnisches Herumstromern als Mädchen hat Ihrer Mutter nämlich einen gehörigen Schrecken eingejagt.«

»Ja, danke, Mrs Rogers«, erwiderte Janets Mutter, »aber meine Janie war dennoch nie eine von denen, die den Burschen Freiheiten erlaubten.«

»Nein, so war ich nicht«, erklärte Janet im Brustton der Entrüstung einer jungen Braut.

»Mag sein – mag sein, ich sage nicht, dass es so war, meine Liebe. Sie sind jetzt verheiratet und können tun, was Ihr Mann verlangt, ohne sich vor Gottes Zorn zu fürchten. Wenn Sie ihn gut behandeln, dann wird er bei Ihnen bleiben, das sage ich Ihnen, und wenn Sie es vergessen, werden Sie sehen, wie Ihr Thomas um die Bauernmädchen herumscharwenzelt, solche wie Albie Trevase. Denken Sie immer daran, Mrs Coombe.«

Janet schüttelte geringschätzig den Kopf. Mochten sie über ihren Thomas sagen, was sie wollten, es gab in ganz Cornwall gewiss keinen ruhigeren, vernünftigeren Mann.

Doch sie hielt den Mund und verweigerte die Antwort auf die neugierigen, forschenden Fragen. In Plyn war es nämlich üblich, dass die Nachbarn alles voneinander wussten, und so ließen sie stundenlang nicht von ihr ab und jagten ihr große Angst ein.

»Wenn Ihnen morgens übel ist oder Sie sich komisch fühlen, dann sagen Sie es gleich Ihrer Mutter, meine Liebe«, meinte eine andere und musterte Janet ungeniert von Kopf bis Fuß wie eine Sau am Markttag.

»Wenn Sie es zuerst unter dem Herzen fühlen, dann ist es mit Sicherheit ein Junge«, meinte eine andere.

»Ich kann selbst auf mich aufpassen, danke, ohne Bemerkungen von dieser oder jener Seite«, antwortete Janet, die ihre neugierigen Fragen nicht ausstehen konnte. Selbst Thomas schien sich wegen der Gesundheit seiner Frau Sorgen zu machen.

»Du bist blass heute Morgen, Janie«, mochte er sagen, »vielleicht fühlst du dich müde und seltsam. Du würdest es mir doch sagen, Liebste, wenn etwas wäre – oder nicht?«

Es war, als würde er es herbeisehnen, dass sie es zugab, und sich doch vor der Antwort fürchten.

»Wieso, Lieber, ich verberge nichts vor dir, wenn es so weit ist«, antwortete Janet ein wenig matt.

Es stimmte, sie hatte sich morgens müde gefühlt, und ihr war übel gewesen, doch sie dachte sich nichts dabei und glaubte, es werde vorübergehen. Aber Thomas wusste es besser. Er zog Janet an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem langen dunklen Haar.

»Ich dachte, ich sei stolz und zufrieden, als ich dich geheiratet habe, Janie, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es einen so süßen Moment geben würde. Mir ist, als wäre ich der großartigste Mann auf Erden, Janie, weil ich dich liebe. Mir ist, als könnte ich unseren Jungen auf deinen Knien sehen, und uns alle vor dem Kamin.«

Janet lächelte und umfasste sein Gesicht.

»Ich bin froh, dass ich dir eine Freude machen kann, das stimmt«, sagte sie.

Bald wusste jeder in Plyn, dass Janet Coombe ›in anderen Umständen‹ war.

Ihre Mutter redete, als wäre es alles ihr zu verdanken, und schon jetzt wählten die Schwestern feine weiße Wollmuster aus, um die nötigen Kleidchen anzufertigen.

Thomas sang bei der Arbeit auf der Werft, mit einem Lächeln auf den Lippen und dennoch ernst, und blickte in Gedanken in die Zukunft. Bald würde er einen Sohn haben, und später würde der Junge an seiner Seite arbeiten und lernen, wie man eine Säge handhabte und das richtige Holz auswählte. Denn natürlich würde das Kind ein Junge werden.

Janet fand, es werde wegen einer Kleinigkeit eine Menge Wirbel veranstaltet, und wer Thomas und ihre Mutter reden hörte, hätte den Eindruck gewinnen können, es wäre noch nie vorher ein Baby zur Welt gekommen.

Was sie selbst anging, so wusste sie nicht recht, was sie von alldem halten sollte. Es war etwas Natürliches, verheiratet zu sein, und es würde anders sein, angenehm, ein Kind zu umsorgen und anzukleiden. Außerdem machte es sie glücklich, Thomas so zufrieden zu sehen. Abends saß sie im Schaukelstuhl am Feuer, denn langsam wurde es Winter und kühl in den Nächten, und Thomas betrachtete sie zärtlich.

Sie hatten ein beschauliches Heim, der kalte Regen und die feuchten, nebligen Hügel blieben draußen, und das Geräusch des aufgewühlten Wassers im Hafen kam ihr nicht in den Sinn. Der pfeifende Kessel, das Abendessen auf dem Tisch bereit, die leise flackernden Kerzen; dazu Thomas' Hand in ihrer und das Baby unterwegs.

Janet fühlte sich aufgehoben und zufrieden, sie hatte keine Angst vor den Schmerzen, die kommen würden, trotz der schrecklichen Geschichten, mit denen die Nachbarinnen ihr in den Ohren lagen. In ganz Plyn gab es kein glücklicheres Heim.

Abends las Thomas ihr manchmal mit seiner tiefen, ernsten Stimme aus der Bibel vor, nachdem er die schwierigen Wörter zuvor sorgfältig für sich buchstabiert hatte.

»Sonderbar, all diese Menschen, die einander hervorbringen, von alters her in einer langen Reihe«, sagte sie versonnen und schaukelte in ihrem Stuhl vor und zurück.

»Wenn die Ersten nicht damit begonnen hätten, wäre nichts daraus geworden. Es ist eine große Verantwortung für zwei Menschen, Kinder zu haben. In der Bibel heißt es: ›seid fruchtbar und mehret euch‹.«

»Ja, Thomas, weil wir uns lieben, entstehen Menschen aus uns, und immer so weiter, niemand kann sie zählen.«

»Hör auf, dir Sorgen zu machen, Liebste. Du denkst immer hundert Jahre voraus, das ist wunderlicher, fantastischer Unsinn. Denk an den Jungen, der zu uns kommt. Das sollte reichen für deinen Kopf, meine ich.«

»Ich weiß nicht, Thomas. Die Wege des Lebens und der Liebe sind sehr sonderbar. Menschen sterben und all das.«

»Aber, Janie, der Pfarrer sagt, alle wahren Christen, all die, die wirklich glauben, kommen direkt zu Gott in den Himmel und zu den Engeln.«

»Und wenn sie jemanden zurücklassen, den sie lieben, der schwach ist und übel dran, der nicht den Mut hat, sich allein in der Welt zu behaupten?«

»Gott achtet auf jeden, Janie.«

»Aber niemand könnte im Himmel in Frieden leben, Thomas, wenn er sich wegen der geliebten Menschen sorgen müsste, die er zurückgelassen hat. Denk doch, dass sie nach ihm rufen und um Hilfe bitten.«

»Du darfst nicht so wilde Reden führen, Liebste. Die Bibel sagt die Wahrheit. Das Glück im Himmel geht über unseren Verstand. Die Menschen dort sind so von Frieden erfüllt, sie denken überhaupt nicht mehr an die sündhafte Welt.«

Der Wind blies ums Haus, seufzte und klopfte an die Fensterscheibe, klagte wie eine verlorene Seele. Die Kerzenflamme flackerte und bebte. Dann vermischten sich Regen und Wind, und die Nacht war erfüllt von Heulen und Kummer. Am Fuß der Klippen donnerte das Meer gegen die Felsen. Die Bäume bogen sich unter der Gewalt des Windes, und die letzten nassen Blätter wirbelten von den Bäumen.

Thomas zog die Vorhänge zu und rückte den Schaukelstuhl näher ans Feuer.

»Halt dich warm, Liebste, und kümmere dich nicht um Wind und Regen.«

Janet zog den Schal um die Schultern und sah den tanzenden, flackernden Flammen zu.

»Ich bleibe nicht im Himmel, auch nicht hier in meinem Grab. Meine Seele wird bei denen sein, die ich liebe – und wenn sie unglücklich sind, komme ich zu ihnen; und nicht einmal Gott persönlich wird mich aufhalten.«

Thomas klappte seufzend die Bibel zu und stellte sie wieder zurück auf das Regal in der Ecke.

Er durfte Janet wegen ihrer Worte nicht zurechtweisen, Frauen hatten in Zeiten wie diesen nun einmal merkwürdige Ideen.

Er hob das winzige Söckchen auf, das zu Boden gefallen war.

»Das ist furchtbar klein, Janie«, sagte er besorgt. »Wird der Fuß des Jungen nicht größer sein als so?«

3

Die langen Wintermonate zogen sich hin, Weihnachten kam und verging, und in der Luft lag der erste Hauch des Frühlings. Der scharfe weiße Morgenfrost war nicht mehr so hart, die Bäume reckten die Äste zum Himmel und entfalteten die festen runden Triebe.

Auf den Wiesen über Plyn sprangen weiße Lämmer umher, und an tiefgelegenen, geschützten Stellen wuchsen blasse Schlüsselblumen.

In Ivy House herrschte eine frohe, geheimnisumwitterte, erwartungsvolle Stimmung, denn Janet Coombe stand kurz vor der Niederkunft.

Ihre Mutter ging im Haus ein und aus und half auf ihre hektische, geschäftige Art beim Kochen und Putzen. Thomas war auf der Werft aufbrausend und übellaunig, gelegentlich wies er die Männer mit scharfen Worten zurecht und war seinem gutmütigen, verwirrten Onkel gegenüber kurz angebunden.

Doch man verzieh es ihm, denn für einen jungen Mann war es eine sorgenvolle, nervenaufreibende Zeit.

Janet selbst beobachtete die ganze Aufregung und Unruhe mit amüsiertem und verwundertem Blick.

Sie fühlte sich nicht im Geringsten krank; es war nur natürlich, dass das Baby im Frühjahr zur Welt kommen sollte.

Wie viele Male hatte sie doch geholfen, die neugeborenen Lämmer von den Wiesen zur Polmear Farm zu tragen; sie hatte den geduldigen, waidwunden Blick der Kühe gesehen, mit dem sie ihre kräftigen, furchtsamen kleinen Kälber leckten, die zitternd auf ihren vier Beinen standen.

Ihr schien, als gebe es nichts Einfacheres und Natürlicheres als die Geburt eines jungen Wesens, sei es ein Kind in einem Cottage oder ein Lamm auf den Hügeln. Am Ende war alles gleich. Die Lämmer riefen nach Futter und Trost und pressten sich an das Schaf, das es ihnen gab, während eine Frau ihr Kind an die Brust drückte. Janet sah beim besten Willen keinen Grund für dieses vielsagende Nicken und unterdrückte Geflüster, für die Bänder, die im Schlafzimmer an die Wiege geknüpft wurden, für das vielsagende Lächeln ihrer Mutter den neugierigen Nachbarinnen gegenüber und Thomas' ängstliches Flehen, sie solle sich hinlegen und ausruhen.

»Ich wünschte, ihr wärt alle weit fort, gingt euren Geschäften nach und ließet mich in Ruhe. Ich habe keine Angst vor Schmerzen oder irgendwelchen Schwierigkeiten, und wenn es nach mir ginge, würde ich euch eurem Bänderknüpfen und Suppenkochen überlassen und auf die stillen Wiesen hinausgehen und mein Baby dort bekommen, ja, inmitten der Schafe und Rinder, die das verstehen würden.«

»Gütiger Gott, wenn du so etwas denkst, dann gehörst du ins Bett, und zwar schnell«, rief ihre Mutter und zerrte die Arme ohne viel Aufhebens nach oben.

Zwei Tage später, am 5. März, wurde Janets Sohn Samuel geboren.

»Es war eine schöne Entbindung«, erklärte die alte Mrs Coombe den Nachbarinnen. »Einfacher und leichter, als der Doktor und ich je gedacht hätten. Sie hat es wunderbar ertragen, liebes, tapferes Mädchen, das sie ist, und es geht ihr ausgezeichnet. Und der Junge ist kerngesund und seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.«

Im Garten wurde eine Leine mit Wimpeln gespannt und den Männern zu Ehren des freudigen Ereignisses eine Runde ausgegeben.

Janet lehnte in ihren Kissen, das dunkle Haar aus dem blassen Gesicht gestrichen, den Blick nachdenklich auf das Baby in ihren Armen gerichtet.

Was für ein sonderbar winziges Wesen, mit dem kleinen, kahlen Kopf und den wasserblauen Augen. Sie konnte keinerlei Ähnlichkeit mit Thomas erkennen, sosehr sie sich auch bemühte. Sie hoffte, sie würde daran denken, das Baby ›er‹ zu nennen, nicht ›es‹.

Es war seltsam und angenehm, einen warmen kleinen Körper neben sich zu spüren und zu wissen, dass man ihn selbst hervorgebracht hatte. Und Thomas zu sehen war eine Freude.

Mit schweren, knarrenden Stiefeln betrat er auf Zehenspitzen das Zimmer.

»Janie, fühlst du dich nicht ganz furchtbar?«, fragte er sie in leisem, heiserem Flüsterton. Sie schüttelte den Kopf und verkniff sich ein Lächeln aus Angst, er könnte wütend werden. Dann schlug sie die Decke zurück und zeigte ihm den Jungen. Thomas riss den Mund weit auf, er wusste nicht, wohin mit seinen langen Beinen, während er dastand und schaute und bis über beide Ohren grinste. Janet konnte nicht anders, sie musste lachen, als sie ihn so sah, wie er mit rot angelaufenem, strahlendem Gesicht auf den Füßen wippte und kein Wort herausbrachte.

»Du hast wohl noch nie ein Baby gesehen«, sagte sie zu ihm. »Fass ihn an, er ist lebendig!«

Thomas streckte vorsichtig einen Finger aus – und legte ihn seinem Sohn an die Wange.

Das Baby öffnete die Augen und blinzelte.

»Hast du das gesehen?«, rief Thomas begeistert. »Wirklich, er kennt mich schon.«

»Ach was, Unsinn«, sagte die alte Mrs Coombe. »Das arme Baby kann noch nicht einmal sehen. Hat man je so etwas gehört?«, und sie schob ihn aus dem Zimmer, besorgt, sein albernes Verhalten könnte ihre Tochter ermüden.

Es dauerte nicht lange, und Janet war wieder ganz die Alte und überall im Haus zugange.

Samuel war ein liebes Kind und machte kaum Umstände. Er war weder zu unruhig, noch schrie er zu oft, sondern benahm sich wie ein normales, gesundes Baby. Thomas wollte ihn kaum eine Minute allein lassen und erledigte nur ungern seine Arbeit auf der Werft. Seine Freude und sein Stolz waren schier grenzenlos, wenn er seinen Sohn sonntagnachmittags auf dem Weg zur Großmutter auf seinen Armen trug.

Janet stapfte dann neben ihm her und war froh, ihre Last eine Weile los zu sein. Thomas ging langsam, festen Schrittes und erhobenen Hauptes, und blieb immer wieder stehen, um das Baby einem Nachbarn zu zeigen.

»Ja, Sie mag er am liebsten, das sieht man, Mr Coombe«, sagten sie. »Er hat die gleichen Augen wie Sie und ist genauso blond.«

»Meinen Sie wirklich?«, fragte Thomas lächelnd. »Hast du gehört, Janie? Mrs Rogers meint, der Junge kommt nach mir.«

»Ganz bestimmt«, seufzte Janet, denn sie hatte es schon so oft gehört und fand es keineswegs überraschend, dass ein Kind seinem Vater ähneln sollte.

Im Haus ihrer Mutter wurde das Kind von einer Nachbarin zur anderen weitergereicht, von den Tanten geherzt und von der Großmutter auf den Knien geschaukelt, während Thomas das alles mit ängstlichen, eifersüchtigen Augen überwachte. »Passen Sie auf, Sie lassen ihn noch fallen.«

Janet saß weit weg auf der anderen Seite des Feuers und hörte dem Stimmengemurmel zu, wenn sie in Babysprache auf das Kind einredeten.

Sie beobachtete verwundert die endlosen Liebkosungen und Hätscheleien, wusste sie doch, dass der Junge allein in seinem Bettchen oder nackt nach dem Baden mit den Armen wedelnd am glücklichsten war. Seltsam, dass die Leute kein Gespür dafür hatten, und Thomas ebenso wenig. Aber er war widerstandslos wie Wasser, ihr Thomas, wenn es um den kleinen Samuel ging.

Wenn Janet ihren Jungen abends entkleidete und er seine kleinen, geballten Fäustchen in die Luft reckte, interpretierte sein Vater das als Zeichen von Kraft.

»Schau mal, Janie, schau dir die Muskeln in seinen Armen an. Der Junge wird eines Tages gut mit einer Säge umgehen können.«

Und so verging das erste Jahr der drei in ihrem Heim, glücklich und zufrieden.

Im Herbst 1831 musste der alte Onkel Coombe sich mit Rheumatismus ins Bett legen, und die ganze Verantwortung für die Werft fiel Thomas zu. Er nahm Veränderungen und Verbesserungen vor, wo es ihm nötig erschien. Die Helling wurde vergrößert und der Strand weiter unten vom Schlick befreit, so dass auch größere Boote sicher zu Wasser gelassen werden konnten.

Nacheinander trudelten Aufträge herein für robuste, solide gebaute Fischerboote, die den Winterstürmen standhalten konnten, und Thomas hatte nur noch wenig Zeit, mit seinem Jungen zu spielen. Wer in Plyn Bescheid wusste, zeigte voller Stolz auf ihn, bemerkte, was für ein feines, florierendes Geschäft der junge Coombe da aufbaute.

»Ein guter Mann, dein Thomas, Janet«, sagten sie zu seiner Frau. »Was für eine glückliche Frau du doch bist, mit so einem Mann und einem schönen, gesunden Jungen obendrein.«

Janet freute sich, wenn sie ihren Mann lobten, denn die Leute von Plyn waren sonst stets bereit, bei der kleinsten Kleinigkeit einen Fehler zu finden. Samuel krabbelte zu ihren Füßen auf dem Boden herum und rollte sich auf den Rücken; er griff mit den Händen nach dem Himmel und blickte mit seinem kleinen, nachdenklichen Gesichtchen, das seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war, ernst seine Mutter an. Häufig brachte Janet ihn erst ins Bett, wenn Thomas abends nach Hause kam, dann wurde er neben dem Küchenherd in seine Wiege gelegt, während sich das Paar glücklich und zufrieden zum Abendessen niedersetzte und die Ereignisse des vergangenen Tages besprach.

»Mit dem großen Boot geht es gut voran, Janie. Morgen bringen wir noch vor Mittag die Planken an. Ich bin äußerst zufrieden mit dem Holz, das wir vor zehn Monaten aus dem Wald von Truan hergeholt haben. Ich schätze, kein Boot, das ich gebaut habe, wird je auseinanderfallen, wenn sie es nicht gegen die Felsen steuern, Janie.«

»Thomas, sie sagen, dass du schneller und besser baust als Onkel Coombe.«

»Das sagen sie?«

»Ja, ganz Plyn redet darüber, wie ich höre. Ich bin stolz auf dich, Thomas.«

»Das ist alles für dich und den Jungen, Janie. Schau ihn dir an, gesegnet sei er. Wer weiß, in wenigen Jahren wird er mit mir arbeiten, oder nicht, mein Sohn?«

Samuel strampelte in seiner Wiege, wollte nicht einschlafen und begann, lautstark zu schreien.

Thomas stand auf und kniete sich neben die Wiege.

»Na, Sammie, na; du musst nicht schreien, mein lieber Junge.«

Er nahm die kleine geballte Faust und küsste sie. »Pssst, Junge, pssst. Du brichst deinem Vater das Herz, wenn du so schreist.«

Samuel schrie, das Gesicht dunkelrot angelaufen.

Janet schüttelte lächelnd den Kopf. Sie trat an die Wiege, legte das Kind auf den Bauch und tätschelte seinen kleinen Po.

»Was für ein Wirbel und was für ein Theater«, sagte sie spottend zu ihrem Ehemann, »nur wegen ein paar Blähungen.«

Thomas seufzte und ließ den Kopf hängen. Sie wusste mehr über Babys als er.

4

Im Sommer des darauffolgenden Jahres verkühlte sich Onkel Coombe, der ungeachtet seines Rheumas mit Hilfe zweier Stöcke umherhumpelte, bei einem plötzlichen Kälteeinbruch, und nicht einmal vierundzwanzig Stunden später war der alte Mann tot.

Das Geschäft gehörte nun Thomas, auf Gedeih und Verderb, und es war an ihm, hart zu arbeiten und es weiter wachsen zu lassen. Eine große Verantwortung lag damit auf den Schultern des jungen Mannes, denn er war erst siebenundzwanzig, doch Thomas war zäh und beharrlich und würde sich nicht geschlagen geben.

Es schien, als hätte ihn seine frühere, unbekümmerte Art, die allerdings stets von dem ihm eigenen Ernst eingehegt gewesen war, mit den neuen Pflichten ein für alle Mal verlassen. Nichts erinnerte mehr an den einstigen Jungen. Er war nun ein Mann, der in Begriffen von Pfund, Shilling und Pence dachte, und obwohl er behauptete, einzig und allein für seine Frau und seinen Sohn zu arbeiten, war nicht zu leugnen, dass sie ihm nicht einmal in den Sinn kamen, wenn er über dem Eingang zur Werft voller Stolz das Schild betrachtete: ›Thomas Coombe, Schiffsbauer‹. Er hatte sich in Plyn bereits einen größeren Namen gemacht als sein Onkel.

Janet hatte mit ihrer Heirat eine gute Partie gemacht, dachte Thomas, und was mehr konnte sich eine Frau wünschen als dieses Heim, das er ihr verschafft hatte, seine Fürsorge und obendrein noch den Jungen, dem, so Gott wollte, weitere folgen würden.

So weit zu Thomas, wenn seine hochgewachsene, aufrechte Gestalt in der Werft stand und er mit herrischer Stimme seinen Arbeitern scharfe Befehle zurief.

Janet war die Veränderung an Thomas nicht entgangen, doch sie machte ihm keine Vorwürfe. Die Art und Weise der Männer war ihr kein Rätsel, sie nahm sie als naturgegeben hin. Dass seine Arbeit nun Vorrang hatte, schien ihr gerechtfertigt. Sie hätte ihn verachtet, wenn er wie sein Onkel das Geschäft auf die alte, schluderige Weise sich selbst überlassen hätte, um ihr zuliebe seine Zeit im Haus zu vertrödeln.

Sie hatte einen klaren Blick aufs Leben, konnte Wahrheit von Unwahrheit unterscheiden und wusste, dass man Veränderungen in Menschen nachvollziehen und erklären kann und sie weder beklagen noch davor die Augen verschließen muss. Sie wusste, dass Thomas' Liebe zu ihr stark und wahrhaftig war und er nie anderswo nach Trost Ausschau halten würde, aber sie wusste auch, dass die eigenartige, unbändige Verehrung – die süße, verwirrende Leidenschaft, die einen jungen Mann überwältigt, wenn er zum ersten Mal mit einer Frau zusammen ist – vorbei war – für immer.

Samuel hatte die Bande zwischen ihnen gestärkt, aber nicht mehr. Sie würden füreinander sorgen, in guten wie in schlechten Zeiten, würden durch das Leben gehen und Freud und Leid miteinander teilen, nachts Seite an Seite in dem kleinen Zimmer über der Veranda schlafen, alt und hinfällig werden und schließlich, vereint, auf dem Friedhof von Lanoc die letzte Ruhe finden – und doch von Anfang an bis hin zum Ende nichts voneinander wissen.

Janets Gefühle für Samuel waren andere als für Thomas. Der eine war ihr Mann, der andere ihr Kind. Samuel war von ihr abhängig, musste umsorgt und getröstet werden, bis er alt genug wäre, für sich selbst zu sorgen. Sie wusch ihn und kleidete ihn, setzte ihn bei Tisch neben sich in den Hochstuhl und fütterte ihn, half ihm bei seinen ersten Schritten und seinen ersten Worten, schenkte ihm all die Zärtlichkeit und Zuneigung, die er von ihr forderte. Sie schenkte beiden, Thomas und Samuel, ihre Spontaneität und eine große Einfachheit des Herzens; doch Janets Geist war frei und unabhängig, wartete darauf, sich aus der selbstgewählten Zurückgezogenheit zu befreien und sich mit ungreifbaren Dingen zusammenzutun, wie Wind, Meer und Himmel. Dann würde auch sie für immer Teil davon werden, abstrakt und unsterblich.

Weil sie wusste, dass es so kommen würde, bemühte Janet sich, die Verzagtheit fernzuhalten. Sie verbarg ihre Einsamkeit und wirkte anderen gegenüber stets gutwillig und fröhlich.

Es war, als gäbe es zwei Seiten an ihr. Da war die zufriedene Ehefrau und Mutter, die sich die Pläne ihres Mannes und das endlose Gerede über sein großartiges Geschäft anhörte und über das Geplapper ihres Babys lachte, mit echtem Vergnügen ihre Familie und die Nachbarn in Plyn besuchte und die Freuden des Alltags genoss; und dann gab es eine zweite Person, distanziert, ungebunden, triumphal, die auf den Hügeln stand, vom Nebel vor der Welt verborgen, der das Sonnenlicht strahlend ins Gesicht schien.

All das war in Janets Kopf nicht klar definiert, denn Innenschau war Anfang des neunzehnten Jahrhunderts weder Sache der Menschen von Plyn noch die der einundzwanzigjährigen Frau eines kornischen Bootsbauers. Das Einzige, was sie verstand, war, dass sie Gottesfrieden nicht kannte, am nächsten kam sie ihm in der freien Natur, in Wald und Feld oder auf den Felsen nahe dem Wasser, nicht bei ihren Leuten in Plyn.

Sie erlebte nur kurze Momente des Friedens, Anflüge von Klarheit in halb bewussten Augenblicken, die ihr bewiesen, dass er existierte und dass sie sein Geheimnis eines Tages entschlüsseln würde.

So wartete Janet auf ihren Moment und verbrachte ihre Tage wie alle anderen Ehefrauen in Plyn mit Backen und Putzen und damit, die Kleider ihres Mannes und des Jungen zu flicken. Sonntags ging man zur Kirche und beteiligte sich danach bei einer Tasse starken Tees und einem Stück Safran- oder Kümmelkuchen am Klatsch der Nachbarinnen, dann ging es nach Hause zum Abendessen, der Junge wurde in sein Bettchen gelegt, und sie und ihr Mann schliefen tief und fest Seite an Seite bis zum nächsten Morgen.

Im Frühjahr 1833, vierzehn Tage nach Samuels zweitem Geburtstag, wurde seine Schwester geboren.

Sie war blond und blauäugig, Samuel sehr ähnlich und bereitete genauso wenige Umstände wie er in diesem Alter.

Das kleine Mädchen wurde auf den Namen Mary getauft, und Thomas war beinahe so stolz auf seine Tochter wie auf Samuel.

Auch wenn Thomas glauben wollte, er habe das Sagen, hatte im Allgemeinen Janet das letzte Wort. Sie warf ihrem Mann ein Wort hin, mehr nicht, dann ging er zur Arbeit mit dem unbestimmten Gefühl, dass sie gewonnen hatte. Er nannte das ›Janet nachgeben‹, doch es war mehr als das, es war die instinktive Unterwerfung unter eine stärkere Persönlichkeit.

Er hätte es niemals zugegeben, aber tatsächlich wusste er nicht so recht, was er von Janet halten sollte, um seine eigene, unausgesprochene Formulierung zu benutzen. Sie war seine Frau, und er liebte und respektierte sie; da waren das Heim und die beiden Kinder, die sie aneinanderbanden, doch ihre Gedanken blieben ihm verschlossen. Es war eigenartig, wie sie sich manchmal in ihr Schweigen zurückzog und vom Fenster aufs Meer hinausblickte, einen sonderbar abwesenden Ausdruck in den Augen.

Er bemerkte es abends, wenn er sich nach der Arbeit einen Moment Zeit nahm, um mit den Kindern zu spielen, und Janet dabeisaß, ihre Arbeit auf den Knien, ganz in sich selbst versunken.

»Was denkst du gerade, Janie?«, fragte er sie dann, und sie schüttelte entweder lächelnd den Kopf und schwieg oder erzählte irgendeinen Unsinn wie zum Beispiel – »Ich wäre ein Mann, wenn es nach mir gegangen wäre.«

Das zu hören war wenig ermutigend. Was würde sie machen wollen als Mann, wo es doch in ganz Plyn kein besseres Zuhause gab, keine süßeren Kinder oder tatsächlich keinen treueren, liebevolleren Ehemann?

»Manchmal bist du mir ein Rätsel, Janie«, sagte er dann mit einem Seufzer, und ihre Stimmung veränderte sich mit der Geschwindigkeit eines sommerlicher Blitzschlags, sie gesellte sich zu ihm und den Kindern auf den Boden und nahm vielleicht an ihren Spielen teil oder befragte ihn zu wirklich vernünftigen Dingen, die ein Mann auch beantworten konnte, etwa zu der Arbeit in der Werft oder etwas Ähnlichem. Doch ehe er sich's versah, konnte sie wieder irgendeine impulsive, alberne Bemerkung machen, zum Beispiel ihr Mitgefühl mit dem alten Dan Crabb ausdrücken, der endlich bei seinen Schmuggeltricks ertappt und in Sudmin vor Gericht gebracht worden war.

»Aber, mein Herz, der Mann ist ein Schurke, ein böser, scheinheiliger Gauner; er führt die Beamten Seiner Majestät hinters Licht, bricht das Gesetz und erhebt die Hand gegen ehrliche, friedliebende Leute.«

»Ja, Thomas, trotz allem ist es ein Spiel unter Männern.«

»Du nennst es ein Spiel unter Männern? So eine heimliche, verderbte Sache wie Schmuggel? Ich würde keinem Einzigen von ihnen die Hand geben, aus Angst, mich anzustecken.«

»Ich glaube, ich würde es tun und ihm folgen. Ich habe mir so ein Leben schon oft vorgestellt. Eine pechschwarze Nacht in Lannywhet Cove, lautlose Wellen. Dann ein schwaches Licht, das durch die Dunkelheit schimmert, und gleichmäßige, knarrende Ruderschläge. Ein gedämpfter, schwacher Pfiff, und deine Stiefel würden über den Kies knirschen, wenn du dich leise dem Boot näherst. Stimmengemurmel, während die Ware entladen wird, dann ein Ruf und ein Schrei oben vom Hügel, und am Strand ein wildes Durcheinander; du würdest um dein Leben laufen, fliegende Haare wehen im Wind, und bis zu sechs Finanzbeamte sind dir keuchend auf den Fersen. Das ist Leben, Thomas, und Sterben, alles in einem – kein Haushalten mit der Zeit.«

Sie lachte über sein schockiertes, gequältes Gesicht.

»Wirst du mich jetzt eine unverschämte, schamlose Frau schimpfen?«

Und er antwortete ihr, feierlich wie ein Richter: »Ach, Janie, wie du loslegst.«

Die beiden Kinder sahen zu ihrer Mutter; Samuel hielt die Hand seines Vaters, und das Baby Mary war in seine Armbeuge gebettet; alle drei glichen einander aufs Haar. Janet musste lächeln, als sie sie so sah; sie gehörten zu ihr und waren vielleicht auch Teil von ihr, doch ihr zweites Ich stahl sich aus dem warmen, fröhlichen Zimmer davon, fort von den lieben, freundlichen Gesichtern, und floh weit, weit weg, sie wusste selbst nicht, wohin, irgendwo jenseits der stillen Hügel und der heilen Hafenwelt von Plyn, über Himmel und Meer – fort in die unberührte Luft und zu den namenlosen Sternen.

5

Zu Weihnachten fiel Schnee in Plyn. Er legte sich sacht über die Hügel und Felder, wie die Berührung einer weißen Hand, die die Erde beschützt. Sogar im Tal von Polmear war der Fluss vereist, und die dunklen Bäume wirkten fremd und finster. Schließlich schien die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und die harten Fröste verschwanden mit dem schmelzenden Schnee und ließen nichts als eine dünne, helle Decke zurück.

Thomas ging in den Wald von Truan und brachte große Bündel Stechpalmzweige mit flammend roten Beeren nach Hause. Dazwischen steckte er Efeuranken und verteilte sie mit Janet da und dort in den Zimmern; außerdem fertigte er aus einem biegsamen Stechpalmzweig geschickt ein einfaches Kreuz und hängte es über die Veranda.

Janet war in der Küche beschäftigt und buk in Vorbereitung auf den großen Freudentag. Nachmittags würden zum Tee Gäste kommen, und Janet wusste, sie würden mit den Kuchen und Desserts und Pasteten kurzen Prozess machen und vielleicht auch noch eine Tasse heiße Brühe erwarten, ehe sie sich verabschiedeten und wieder in die abendliche Kälte aufbrachen.

Thomas saß mit der Bibel auf den Knien am Feuer, und die beiden Kinder hingen an Janets Rockzipfel und bettelten darum, probieren zu dürfen, was in dem Topf auf dem Herd so wundervoll roch.

»Jetzt lasst eure Mutter in Ruhe wie brave Kinder, sonst gibt es vor Weihnachten nichts Süßes«, schimpfte sie, und ihr Vater konnte es nicht lassen, seine Autorität spielen zu lassen und Samuel scharf zurechtzuweisen: »Lass deine Mutter in Ruhe, Sammie, du und deine Schwester hört auf, sie zu plagen. Kommt her zu eurem Vater und hört zu, wenn er euch aus dem guten Buch vorliest.«

Sie gehorchten schweigend, und der Junge zerrte seine kleine Schwester, die noch kaum laufen konnte, hinter sich her. Thomas las mit tastender Stimme die ersten Kapitel aus dem Matthäus-Evangelium, doch es war unwahrscheinlich, dass zwei kleine Kinder ihres Alters verstanden, worum es ging; dennoch saßen sie friedlich zu seinen Füßen und spielten mit einer Stoffpuppe, die beiden gehörte.

Janet streckte den Rücken und machte eine Pause, eine Hand in die Hüfte gestemmt. Wenn sie aufgeräumt, das Abendessen aufgetragen und die Kinder ins Bett gebracht hätte, würde es an der Zeit sein, Umschlagtuch und Haube zu holen. Während eine freundliche Nachbarin Haus und Kinder hütete, würden Thomas und sie Seite an Seite zu Fuß über den frostigen Hügel zur Kirche von Lanoc marschieren, um die Mitternachtsmesse zu besuchen.

Eigentlich war ihr heute nicht danach. Sie hatte keine Lust, den Worten des Pfarrers zu lauschen, Kirchenlieder zu singen oder am Altar zu knien, um das heilige Sakrament zu empfangen. Am liebsten hätte sie sich in der Dunkelheit zum Klippenpfad davongestohlen, von dem aus man aufs Meer blicken konnte. Der Mond würde über dem Wasser stehen und wie ein silberner Pfad vom schwarzen Wasser zum Himmel führen; dort würde sie dem Frieden näher sein als auf Knien in der Kirche von Lanoc. Näher an etwas, für das es keinen Namen gab, würde sie der Welt entfliehen und sich verlieren, sich mit Dingen verbinden, die kein Heute und kein Morgen kannten.

Sie versuchte, an etwas anderes zu denken, begann, den Tisch für das Abendessen zu decken, und suchte unterdessen nach einer Ausrede, dem Gottesdienst fernzubleiben. Es war Thomas, der ihr schließlich dazu verhalf.

»Du hast Schatten unter den Augen, Janie, und dein Gesicht ist ganz bleich und abgespannt. Geht es dir nicht gut?«

»Es kommt wohl vom Kochen, weil ich immer nur gebückt am Herd stehe; seitdem habe ich Schmerzen im Kopf und im Rücken. Vielleicht ist es besser, wenn ich zu Hause bleibe, und du gehst ohne mich nach Lanoc.«

»Ich lasse dich nur sehr ungern allein, Liebste. Es wäre der erste Weihnachtsgottesdienst ohne dich seit unserer Hochzeit.«

»Aber es ist besser so. Morgen, wenn all die Gäste kommen, darf ich nicht krank sein.«

Und so geschah es. Als die Kirchenglocken von Lanoc leise über die Felder schallten, machte Thomas sich auf den Weg, die Laterne in der Hand, und Janet schaute ihm nach, wie er aus dem Schutz der Veranda trat und den Hügel hinaufstieg, während das Stechpalmkreuz über ihrem Kopf knarrte und seufzte. Die Nachbarin, deren Anwesenheit nicht länger nötig war, wünschte ihr gute Nacht und frohe Weihnachten und ging nach Hause. Janet war jetzt allein mit den zwei Kindern, die beide im oberen Stock tief und fest schliefen. Sie bereitete für ihren Mann eine heiße Brühe vor, wenn er aus der Kirche zurückkäme, hungrig und durchfroren nach den Gebeten und dem Fußweg.

Dann schlang sie das Umschlagtuch um die Schultern und beugte sich aus dem Fenster. Noch immer bedeckte eine dünne Schneeschicht den Boden.

Der Mond stand hoch am Himmel, und kein Geräusch war zu hören außer dem ruhigen Glucksen des Wassers, das vor dem Hafen an den Felsen leckte. Sie wusste plötzlich, dass sie dem Ruf ihres Herzens folgen und auf die Klippen steigen musste.