Die fünfte Welle - Rick Yancey - E-Book
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Die fünfte Welle E-Book

Rick Yancey

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Beschreibung

Die erste Welle brachte Dunkelheit. Die zweite Zerstörung. Die dritte ein tödliches Virus. nach der vierten Welle gibt es nur noch eine Regel fürs Überleben: Traue niemandem! Das hat auch Cassie lernen müssen, denn seit der Ankunft der Anderen hat sie fast alles verloren: Ihre Freunde und ihre Familie sind tot, ihren kleinen Bruder haben sie mitgenommen. Das Wenige, was sie noch besitzt, passt in einen Rucksack. Und dann begegnet sie Evan Walker. Er rettet sie, nachdem sie auf der Flucht vor den Anderen angeschossen wurde. Eigentlich weiß sie, dass sie ihm nicht vertrauen sollte. Doch sie geht das Risiko ein und findet schon bald heraus, welche Grausamkeit Die fünfte Welle für sie bereithält ...

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Buch

Seit der Ankunft der Anderen existiert die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr. Eine Welle der Zerstörung folgte der nächsten. Die erste brachte Dunkelheit, die zweite Verwüstung, die dritte eine Seuche und die vierte sogenannte Silencer, die jeden umbringen, dem sie begegnen. Cassie hat alles überlebt. Jetzt ist sie völlig allein auf der Flucht. Alles, was ihr geblieben ist, passt in einen kleinen Rucksack. Doch noch hegt sie die schwache Hoffnung, vielleicht irgendwann ihren Bruder Sam wiederzusehen, den die Anderen mitgenommen haben. Aber auch diese Hoffnung schwindet, als sie sich von einem Silencer angeschossen und schwer verletzt auf einem Highway wiederfindet. Ihre letzte Stunde scheint geschlagen zu haben, als sie Evan Walker begegnet. Er rettet sie, und sie beginnt, ihm zu vertrauen. Aber ist er wirklich ein Freund – oder nicht doch eher ein Feind? Ist sie in eine tödliche Falle getappt? Vier Wellen der Zerstörung hat sie überlebt, welche Grausamkeit hält die fünfte Welle bereit? Sie wird es herausfinden, und sie wird kämpfen, mit allen Mitteln!

Weitere Informationen zu Rick Yancey finden Sie am Ende des Buches.

Rick Yancey

Die 5. Welle

Roman

Ins Deutsche übertragen von Thomas Bauer

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel»The Fifth Wave« bei G. P. Putnam’s Sons,an imprint of Penguin Young Readers Group, New York.
Copyright © 2013 by Rick YanceyCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013by Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: Penguin Group (USA) unter Verwendungeines Designs von Allied Integrated MarketingRedaktion: Alexander GroßSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad AiblingISBN 978-3-641-12015-3V004
www.goldmann-verlag.de
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Für Sandy,

deren Träume inspirieren

und deren Liebe andauert.

Falls uns jemals Außerirdische besuchen, wird das meiner Meinung nach ähnliche Folgen haben wie die Landung von Christopher Columbus in Amerika, was für die Ureinwohner nicht besonders gut ausging.

– Stephen Hawking

DIE ERSTE WELLE: Licht aus

DIE ZWEITE WELLE: Hohe Brandung

DIE DRITTE WELLE: Seuche

DIE VIERTE WELLE: Silencer

INTRUSION: 1995

Es wird kein Erwachen geben.

Die schlafende Frau wird am nächsten Morgen nichts spüren, nur ein vages Unbehagen und das hartnäckige Gefühl, von jemandem beobachtet zu werden. Ihre Unruhe wird sich in weniger als einem Tag legen und bald vergessen sein.

Ihr Traum wird ihr noch etwas länger in Erinnerung bleiben.

In diesem Traum sitzt eine große Eule vor dem Fenster und starrt sie mit ihren riesigen, weiß umrandeten Augen durch die Scheibe an.

Sie wird nicht aufwachen. Auch ihr Ehemann neben ihr nicht. Der Schatten, der über die beiden fällt, wird sie nicht im Schlaf stören. Und das Baby im Bauch der schlafenden Frau, dessentwegen der Schatten gekommen ist, wird nichts spüren. Die Intrusion lässt ihre Haut intakt, verletzt keine einzige Zelle ihres Körpers oder des Körpers ihres Babys.

Nach weniger als einer Minute ist alles vorbei. Der Schatten zieht sich zurück.

Der Mann, die Frau, das Baby in ihr und der Eindringling in dem Baby sind jetzt wieder allein und schlafen.

Die Frau und der Mann werden am Morgen erwachen, das Baby ein paar Monate später bei seiner Geburt.

Der Eindringling in ihm wird weiterschlafen und erst einige Jahre später erwachen, wenn die Unruhe der Mutter und die Erinnerung an den Traum längst verblasst sind.

Fünf Jahre später, bei einem Besuch im Zoo mit ihrem Kind, wird die Frau eine Eule sehen, die identisch ist mit der aus ihrem Traum. Der Anblick der Eule ist für die Frau beunruhigend – aus Gründen, die sie nicht versteht.

Sie ist nicht die Erste, die von Eulen in der Dunkelheit träumt.

Sie wird nicht die Letzte sein.

I. TEIL – DER LETZTE HISTORIKER

— 1. Kapitel —

Außerirdische sind doof.

Ich spreche nicht von echten Außerirdischen. Die Anderen sind nicht doof. Die Anderen sind uns so weit voraus wie der dümmste Mensch dem schlauesten Hund. Wir sind für sie keine Konkurrenz.

Nein, ich spreche von den Außerirdischen in unseren Köpfen.

Von denjenigen, die wir erfunden haben – die wir erfinden, seit uns bewusst geworden ist, dass es sich bei den funkelnden Lichtern am Himmel um Sonnen wie die unsere handelt, um die aller Wahrscheinlichkeit nach Planeten wie der unsere kreisen. Von den Außerirdischen, die wir uns vorstellen, die Art von Außerirdischen, von denen wir uns gerne angreifen lassen würden. Von menschlichen Außerirdischen, wie man sie schon x-mal gesehen hat. Die in ihren fliegenden Untertassen vom Himmel herabsausen, um New York, Tokio und London dem Erdboden gleichzumachen, oder in riesigen Maschinen durch die Landschaft marschieren, die aussehen wie Roboter-Spinnen, und mit Strahlengeschützen um sich feuern. Und jedes, wirklich jedes Mal begräbt die Menschheit ihre Zwistigkeiten und verbündet sich, um die Außerirdischen-Horde zu besiegen. David tötet Goliath, und alle – außer Goliath – gehen zufrieden nach Hause.

Was für ein Schwachsinn.

Als würde eine Kakerlake einen Plan aushecken, um den Schuh zu besiegen, der dabei ist, sie zu zerquetschen.

Wir werden es nie erfahren, aber ich wette, die Anderen wussten von den menschenähnlichen Außerirdischen, die wir uns vorgestellt hatten. Und ich wette, sie haben sich köstlich darüber amüsiert. Vermutlich haben sie sich vor Lachen den Bauch gehalten. Falls sie einen Sinn für Humor haben … und Bäuche. Sie haben bestimmt so gelacht, wie wir lachen, wenn ein Hund etwas total Niedliches und Drolliges macht. Ach, diese niedlichen, drolligen Menschen! Sie glauben tatsächlich, wir würden genauso denken wie sie! Ist das nicht hinreißend?

Vergessen Sie fliegende Untertassen und kleine grüne Männchen und riesige Roboter-Spinnen, die Todesstrahlen ausspucken. Vergessen Sie monumentale Schlachten mit Panzern und Kampfjets und dem letztendlichen Sieg von uns unerschrockenen, unbeirrten, unerschütterlichen Menschen über die glupschäugige Meute. Das ist so weit von der Wahrheit entfernt, wie ihr sterbender Planet von unserem lebendigen entfernt war.

Die Wahrheit lautet: In dem Augenblick, als sie uns entdeckten, schlug unsere letzte Stunde.

— 2. Kapitel —

Manchmal denke ich, dass ich womöglich der letzte Mensch auf Erden bin.

Was bedeuten würde, dass ich der letzte Mensch im Universum bin.

Mir ist klar, dass dieser Gedanke bescheuert ist. Sie können nicht alle getötet haben – noch nicht. Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass es irgendwann so weit sein wird. Und dann denke ich, die Anderen wollen, dass ich mir genau das vorstelle.

Erinnern Sie sich noch an die Dinosaurier? Genau.

Also bin ich wahrscheinlich nicht der letzte Mensch auf Erden, aber ich bin einer der letzten. Völlig allein – und das bleibe ich wahrscheinlich auch –, bis mich die Vierte Welle überrollt und unter sich begräbt.

Das ist einer meiner nächtlichen Gedanken. Einer von diesen Drei-Uhr-morgens-, Oh-mein-Gott-ich-bin-erledigt-Gedanken. Wenn ich mich zu einer kleinen Kugel zusammenrolle, solche Angst habe, dass ich es nicht wage, die Augen zu schließen, und mich eine so entsetzliche Panik überkommt, dass ich mich daran erinnern muss zu atmen und mein Herz dazu zwingen muss zu schlagen. Wenn mein Gehirn aussetzt und hängen bleibt wie eine verkratzte CD. Allein, allein, allein, Cassie, du bist allein.

So heiße ich nämlich: Cassie.

Nicht Cassie von Cassandra. Oder Cassie von Cassidy. Cassie von Cassiopeia, dem Sternbild, der am Nordhimmel an ihren Stuhl gefesselten Königin, die schön, aber eitel war und zur Strafe für ihr Prahlen vom Meeresgott Poseidon ans Himmelszelt verbannt wurde. Im Griechischen bedeutet ihr Name: »Die, deren Worte sich auszeichnen«.

Meine Eltern hatten keinen blassen Schimmer von diesem Mythos. Ihnen gefiel der Name einfach.

Selbst als noch Leute da waren, die mich beim Namen nennen konnten, nannte mich nie jemand Cassiopeia. Nur mein Vater, und auch nur dann, wenn er mich hänseln wollte, und immer mit richtig schlechtem italienischem Akzent: Cass-ie-oh-PEI-a. Das hat mich wahnsinnig gemacht. Ich fand es weder lustig noch nett, und es hat dafür gesorgt, dass ich anfing, meinen eigenen Namen zu hassen. »Ich heiße Cassie!«, fuhr ich ihn jedes Mal an. »Einfach nur Cassie!« Jetzt würde ich alles dafür geben, wenn ich es ihn nur noch ein einziges Mal sagen hören könnte.

Als ich zwölf wurde – vier Jahre vor der Ankunft –, schenkte mir mein Vater ein Teleskop zum Geburtstag. An einem frischen, klaren Herbstabend stellte er es im Garten auf und zeigte mir das Sternbild.

»Es sieht aus wie ein W, findest du nicht?«, fragte er mich.

»Warum haben sie es dann Cassiopeia genannt, wenn es die Form von einem W hat?«, erwiderte ich. »W wofür?«

»Na ja … ich weiß nicht, ob es überhaupt für irgendwas steht«, entgegnete er mit einem Lächeln. Mom hat ihm immer gesagt, sein Lächeln wäre das, was ihr am besten an ihm gefiele, deshalb stellte er es häufig zur Schau, vor allem, nachdem seine Haare angefangen hatten auszugehen. Um den Blick seines Gegenübers nach unten zu lenken. »Also steht es, wofür du möchtest! Wie wär’s mit wunderbar? Oder wohlwollend? Oder weise?« Er legte mir die Hand auf die Schulter, als ich durch das Okular die fünf Sterne betrachtete, die über fünfzig Lichtjahre von der Stelle entfernt leuchteten, an der wir standen. Ich spürte den Atem meines Vaters auf meiner Wange, warm und feucht in der kühlen, trockenen Herbstluft. Sein Atem so nah, die Sterne der Cassiopeia so unglaublich weit weg.

Jetzt wirken die Sterne viel näher. Näher als die dreihundert Billionen Meilen, die uns voneinander trennen. So nah, als könnte ich sie berühren, als könnten sie mich berühren. Sie sind mir genauso nahe, wie mir sein Atem war.

Das klingt verrückt. Bin ich verrückt? Habe ich den Verstand verloren? Man kann jemanden nur dann als verrückt bezeichnen, wenn es jemand anderen gibt, der normal ist. Wie gut und böse. Wenn alles gut wäre, dann wäre nichts gut.

Langsam! Das klingt, na ja … verrückt.

Verrückt: das neue Normal.

Ich nehme an, ich könnte mich als verrückt bezeichnen, da es eine andere Person gibt, mit der ich mich vergleichen kann: mich. Nicht mit meinem jetzigen Ich, das in einem Zelt tief im Wald zittert und zu verängstigt ist, um auch nur seinen Kopf aus dem Schlafsack zu recken. Nicht mit dieser Cassie. Nein, ich spreche von der Cassie, die ich vor der Ankunft war, bevor die Anderen ihre außerirdischen Hintern in der Umlaufbahn geparkt haben. Von der zwölfjährigen Cassie, deren größte Probleme die Ansammlung winziger Sommersprossen auf ihrer Nase, das gelockte Haar, mit dem sie nichts anzufangen wusste, und der süße Junge waren, der keinen blassen Schimmer hatte, dass sie existierte, obwohl er sie jeden Tag sah. Von der Cassie, die dabei war, sich damit abzufinden, dass sie nur okay war. Okay, was ihr Aussehen anbelangt. Okay in der Schule. Okay in Sportarten wie Karate und Fußball. Genau genommen waren das einzig Besondere an ihr der seltsame Name – Cassie von Cassiopeia, was sowieso niemand wusste – und ihre Fähigkeit, mit der Zungenspitze ihre Nase berühren zu können, eine Fertigkeit, die schnell ihre Wirkung verlor, als sie in die Mittelschule kam.

Wenn man die Maßstäbe dieser Cassie anlegt, bin ich wahrscheinlich verrückt.

Und wenn ich meine Maßstäbe anlege, ist sie auf jeden Fall verrückt. Manchmal schreie ich sie an, diese zwölfjährige Cassie, die Trübsal bläst wegen ihres Haars oder ihres seltsamen Namens oder weil sie nur okay ist. »Was soll das?«, brülle ich sie an. »Weißt du denn nicht, was auf dich zukommt?«

Aber das ist nicht fair. Tatsache ist, sie wusste es nicht, konnte es unmöglich wissen, und das war ihr Glück und ist der Grund, weshalb ich sie so vermisse, mehr als alle anderen, wenn ich ehrlich bin. Wenn ich weine – wenn ich es mir gestatte zu weinen –, dann ist sie diejenige, um die ich weine. Ich weine nicht um mich selbst. Ich weine um die Cassie, die es nicht mehr gibt.

Und ich frage mich, was diese Cassie von mir halten würde.

Von der Cassie, die tötet.

— 3. Kapitel —

Er kann nicht viel älter gewesen sein als ich. Achtzehn. Vielleicht neunzehn. Aber was sage ich, soweit ich weiß, könnte er auch siebenhundertneunzehn gewesen sein. Nach fünf Monaten bin ich mir immer noch nicht sicher, ob es sich bei der Vierten Welle um Menschen handelt oder um irgendeine Mischform oder sogar um die Anderen selbst, wobei ich mir nicht vorstellen will, dass die Anderen genauso aussehen wie wir, genauso sprechen wie wir und genauso bluten wie wir. Ich stelle mir lieber vor, die Anderen wären … na ja, anders eben.

Ich befand mich auf meinem allwöchentlichen Beutezug, um Wasser zu beschaffen. Nicht weit von meinem Camp entfernt gibt es einen Bach, aber ich mache mir Sorgen, dass er verseucht sein könnte, entweder von Chemikalien oder Abwasser oder vielleicht auch von ein oder zwei Leichen bachaufwärts. Oder vergiftet. Uns sauberes Wasser vorzuenthalten wäre eine ausgezeichnete Methode, um uns rasch auszurotten.

Deshalb schultere ich einmal in der Woche mein treues M16-Gewehr und marschiere aus dem Wald hinaus zum Highway. Zwei Meilen weiter südlich, unmittelbar neben der Ausfahrt 175, gibt es zwei Tankstellen mit Mini-Markt. Ich nehme so viele Wasserflaschen mit, wie ich tragen kann – also nicht allzu viele, da Wasser schwer ist –, und kehre dann so schnell wie möglich zum Highway und in den verhältnismäßig sicheren Schutz der Bäume zurück, bevor es ganz dunkel wird. Die Abenddämmerung ist die beste Zeit, um sich fortzubewegen. In der Dämmerung habe ich noch nie eine Drohne zu Gesicht bekommen. Ich sehe drei oder vier im Lauf des Tages und deutlich mehr in der Nacht, aber nie eine in der Abenddämmerung.

Von dem Augenblick an, als ich durch die kaputte Eingangstür der Tankstelle schlüpfte, wusste ich, dass irgendetwas anders war. Ich sah nichts anderes – der Laden präsentierte sich genauso wie eine Woche zuvor: die mit Graffiti beschmierten Wände, die umgestürzten Regale, der mit leeren Schachteln und vertrockneten Rattenexkrementen übersäte Fußboden, die aufgebrochenen Kassen und die geplünderten Bier-Kühlregale. Es herrschte das gleiche ekelerregende, stinkende Chaos, durch das ich seit einem Monat jede Woche watete, um zu dem Lagerraum hinter den Kühlregalen zu gelangen. Warum Leute das Bier und die Erfrischungsgetränke, das Bargeld aus den Kassen und dem Safe und die Rollen mit Lotterietickets mitgenommen, aber die beiden Paletten Mineralwasser zurückgelassen hatten, war mir ein Rätsel. Was haben sie sich dabei gedacht? Das ist die außerirdische Apokalypse! Schnell, schnappt euch das Bier!

Das gleiche Chaos aus Abfällen, der gleiche Gestank nach Ratten und verdorbenen Nahrungsmitteln, das gleiche sporadische Aufwirbeln von Staub im trüben Licht, das sich durch die verschmutzten Fenster zwängte – jeder deplatzierte Gegenstand an seinem Platz, unangetastet.

Trotzdem.

Irgendetwas war anders.

Ich stand in der kleinen Ansammlung von Glasscherben unmittelbar hinter der Türöffnung. Ich sah es nicht. Ich hörte es nicht. Ich roch und spürte es nicht. Aber ich wusste es.

Irgendetwas war anders.

Es ist lange her, dass Menschen Beutetiere waren. Etwa hunderttausend Jahre. Aber tief in unseren Genen ist die Erinnerung daran noch vorhanden: die Achtsamkeit der Gazelle, der Instinkt der Antilope. Der Wind streicht flüsternd durchs Gras. Ein Schatten huscht zwischen den Bäumen hindurch. Und schon meldet sich die kleine Stimme, die sagt: Psst, es ist nahe. Ganz nahe.

Ich erinnere mich nicht, mein M16 von der Schulter geschwungen zu haben. Im einen Moment hing es auf meinem Rücken, im nächsten hielt ich es in den Händen, entsichert, die Mündung gesenkt.

Nahe.

Ich hatte noch nie auf etwas Größeres als einen Hasen geschossen, und dabei hatte es sich um ein Experiment gehandelt, weil ich herausfinden wollte, ob ich das Ding überhaupt benutzen konnte, ohne mir dabei einen meiner eigenen Körperteile wegzuschießen. Einmal hatte ich einen Schuss über ein Rudel verwilderter Hunde abgegeben, die sich ein bisschen zu sehr für mein Camp interessiert hatten. Ein anderes Mal beinahe senkrecht in die Luft, nachdem ich einen winzigen, leuchtenden Fleck grünen Lichts erspäht hatte, bei dem es sich um ihr Mutterschiff handelte, das lautlos vor dem Hintergrund der Milchstraße dahinglitt. Okay, ich gebe zu, dass das bescheuert war. Ich hätte ebenso gut eine Plakatwand mit einem großen Pfeil, der auf meinen Kopf zeigt, und den Worten HUHU, HIERBINICH! aufstellen können.

Nach dem Hasen-Experiment – bei dem das arme kleine Häschen in Stücke gerissen wurde und Meister Lampe sich in eine unkenntliche Masse zerfetzter Eingeweide und Knochen verwandelte – gab ich die Idee auf, das Gewehr für die Jagd zu benutzen. Ich machte nicht einmal mehr Schießübungen. In der Stille, die herrschte, seit die Vierte Welle angerollt war, klang das Krachen der Salven lauter als eine atomare Explosion.

Trotzdem betrachtete ich das M16 als meinen allerbesten Freund. Immer an meiner Seite, sogar nachts, mit mir in meinem Schlafsack verborgen, treu und zuverlässig. Seit Beginn der Vierten Welle kann man sich nicht mehr darauf verlassen, dass Menschen noch immer Menschen sind. Aber man kann sich darauf verlassen, dass ein Gewehr immer noch ein Gewehr ist.

Psst, Cassie. Es ist nahe.

Nahe.

Ich hätte das Weite suchen sollen. Die kleine Stimme ist nämlich mein Schutzengel. Die kleine Stimme ist älter als ich. Sie ist älter als der älteste Mensch, der jemals gelebt hat.

Ich hätte auf diese Stimme hören sollen.

Stattdessen lauschte ich der Stille in dem verlassenen Laden, lauschte angestrengt. Irgendetwas war ganz nahe. Ich entfernte mich einen winzigen Schritt von der Tür, und die Glasscherben knirschten leise unter meinen Füßen.

Und dann gab das Etwas ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen einem Husten und einem Stöhnen lag. Es kam aus dem Lagerraum, von hinter den Kühlregalen, wo sich mein Wasser befand.

Das war der Moment, in dem ich keine kleine alte Stimme brauchte, die mir sagt, was zu tun ist. Es lag auf der Hand, verstand sich von selbst. Wegrennen.

Aber ich rannte nicht weg.

Die erste Regel zum Überleben der Vierten Welle lautet: Trau niemandem. Es spielt keine Rolle, wie jemand aussieht. Die Anderen sind in dieser Hinsicht äußerst clever – okay, sie sind in jeder Hinsicht clever. Es spielt keine Rolle, ob jemand richtig aussieht und das Richtige sagt und sich genauso verhält, wie man es von ihm erwartet. Hat der Tod meines Vaters das nicht bewiesen? Selbst wenn es sich bei dem Fremden um eine kleine alte Dame handelt, die reizender als Großtante Tilly ist und ein hilfloses Kätzchen knuddelt, kann man sich nicht sicher sein – kann man nie wissen –, ob sie nicht eine von ihnen ist und ob sich hinter dem Kätzchen nicht eine geladene .45er befindet.

Es ist nicht undenkbar. Und je länger man darüber nachdenkt, desto denkbarer wird es. Die kleine alte Dame muss weg.

Das ist der schwierige Teil, der Teil, der mich in meinen Schlafsack kriechen, den Reißverschluss schließen und langsam verhungern ließe, wenn ich zu viel darüber nachdenken würde. Wenn es niemanden gibt, dem man trauen kann, kann man keinem trauen. Besser das Risiko in Kauf nehmen, dass Tante Tilly doch keine von ihnen ist, als auf die Möglichkeit zu bauen, dass man auf einen anderen Überlebenden gestoßen ist.

Das ist verdammt teuflisch.

Es zermürbt uns. Es sorgt dafür, dass wir viel leichter zur Strecke gebracht und ausgelöscht werden können. Die Vierte Welle zwingt uns in die Einsamkeit, wo es keine zahlenmäßige Stärke gibt, wo uns die Abgeschiedenheit und die Angst und die fürchterliche Ahnung des Unausweichlichen langsam wahnsinnig machen.

Also bin ich nicht weggerannt. Ich konnte nicht. Ob es sich um einen von ihnen oder um eine Tante Tilly handelte, ich musste mein Revier verteidigen. Allein zu bleiben ist die einzige Möglichkeit, um am Leben zu bleiben. So lautet Regel Nummer zwei.

Ich folgte dem schluchzenden Husten oder hustenden Schluchzen oder wie auch immer man es nennen mochte, bis ich bei der Tür ankam, die in den Lagerraum führte. Kaum atmend, auf den Zehenballen.

Die Tür stand einen Spalt offen, der gerade breit genug war, dass ich seitlich hindurchschlüpfen konnte. Ein Stahlregal an der Wand direkt vor mir und zu meiner Rechten ein langer schmaler Gang, der hinter den Kühlregalen entlangführte. Hier hinten gab es keine Fenster. Das einzige Licht war das blasse Orange des sterbenden Tages hinter mir, das noch hell genug war, um meinen Schatten auf den klebrigen Fußboden zu werfen. Ich duckte mich; mein Schatten duckte sich mit mir.

Ich konnte nicht um die Ecke des Kühlregals in den Gang blicken. Aber ich konnte jemanden – oder etwas – am anderen Ende husten und stöhnen hören. Und sein gurgelndes Schluchzen.

Entweder ist er schwer verletzt, oder er tut so, als wäre er schwer verletzt, dachte ich. Entweder braucht er Hilfe, oder das ist eine Falle.

Das ist seit der Ankunft aus dem Leben auf Erden geworden: eine Entweder-oder-Welt.

Entweder ist er einer von ihnen und weiß, dass du hier bist, oder er ist keiner von ihnen und braucht deine Hilfe.

So oder so, ich musste mich aufrichten und um die Ecke biegen.

Also richtete ich mich auf.

Und bog um die Ecke.

— 4. Kapitel —

Er saß gut fünf Meter entfernt an der hinteren Wand auf dem Fußboden, seine langen Beine ausgestreckt und gespreizt, und hielt sich mit einer Hand den Bauch. Er trug einen Kampfanzug und schwarze Stiefel und war mit Schmutz und schimmerndem Blut bedeckt. Alles war voller Blut. Die Wand hinter ihm. Der kalte Betonfußboden, auf dem es sich sammelte. Seine Uniform. Sein verklebtes Haar. Im Halbdunkel glitzerte das Blut wie schwarzer Teer.

In der anderen Hand hielt er eine Pistole, und diese Pistole war auf meinen Kopf gerichtet.

Ich spiegelte ihn wider. Seine Pistole gegen mein Gewehr. Gekrümmte Finger am Abzug: seiner, meiner.

Dass er seine Pistole auf mich richtete, hatte nichts zu bedeuten. Vielleicht war er tatsächlich ein verwundeter Soldat und hielt mich für eine von ihnen.

Oder vielleicht auch nicht.

»Lass deine Waffe fallen«, zischte er mich an.

Von wegen.

»Lass deine Waffe fallen!«, schrie er. Die Worte kamen völlig abgehackt und zerstückelt heraus, erstickt von dem Blut, das aus seinem Mund quoll. Es rann über seine Unterlippe und hing in zitternden Tropfen an seinem stoppeligen Kinn. Auf seinen Zähnen glänzte ebenfalls Blut.

Ich schüttelte den Kopf. Ich stand mit dem Rücken zum Licht und betete, dass er nicht sehen konnte, wie stark ich zitterte, und dass ihm die Angst in meinen Augen verborgen blieb. Er war nicht irgendein verdammter Hase, der dumm genug war, eines sonnigen Morgens in mein Camp zu hoppeln. Er war ein Mensch. Und wenn er keiner war, sah er zumindest genau wie einer aus.

Die Sache mit dem Töten ist die, dass man nicht weiß, ob man dazu imstande ist, bevor man es tatsächlich versucht.

Er forderte mich ein drittes Mal auf, leiser als beim zweiten Mal. Es klang beinahe wie eine Bitte.

»Lass deine Waffe fallen.«

Seine Hand, in der er die Pistole hielt, zuckte. Die Mündung senkte sich zum Boden. Nicht weit, doch meine Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse gewöhnt, und ich sah einen Blutstropfen am Lauf herunterrinnen.

Und dann ließ er die Pistole fallen.

Sie landete mit einem scharfen Kling zwischen seinen Beinen. Dann hob er seine leere Hand über die Schulter und hielt sie mit der Handfläche nach vorn.

»Okay«, sagte er. »Jetzt bist du dran.«

Ich schüttelte den Kopf. »Die andere Hand«, sagte ich und hoffte, dass meine Stimme stärker klang, als ich mich fühlte. Meine Knie hatten zu zittern begonnen, meine Arme schmerzten, und mir war schwindlig. Außerdem kämpfte ich gegen das Bedürfnis an, mich zu übergeben. Man weiß nicht, ob man es kann, bevor man es versucht.

»Das geht nicht«, sagte er.

»Die andere Hand.«

»Ich habe Angst, dass mir der Magen rausfällt, wenn ich die Hand hier bewege.«

Ich rückte den Kolben meines Gewehrs an der Schulter zurecht. Ich schwitzte, zitterte, versuchte nachzudenken. Entweder/oder, Cassie. Was wirst du tun, entweder/oder?

»Ich sterbe«, stellte er nüchtern fest. Aus dieser Entfernung waren seine Augen nur winzige Punkte reflektierten Lichts. »Also erledigst du mich entweder ganz, oder du hilfst mir. Ich weiß, dass du ein Mensch bist …«

»Woher willst du das wissen?«, fragte ich schnell, bevor er mir vor der Nase wegsterben konnte. Falls er ein echter Soldat war, wusste er vielleicht, wie man den Unterschied erkennt. Das wäre eine extrem nützliche Information gewesen.

»Wenn du keiner wärst, hättest du mich bereits erschossen.« Er lächelte erneut, mit Grübchen in den Wangen, und mir wurde bewusst, wie jung er war. Nur ein paar Jahre älter als ich.

»Siehst du?«, sagte er leise. »Daher weißt du es bei mir ebenfalls.«

»Daher weiß ich was?« Meine Augen füllten sich mit Tränen. Sein gekrümmter Körper schlängelte sich in meiner visuellen Wahrnehmung wie ein Zerrspiegelbild. Doch ich wagte es nicht, eine Hand von meinem Gewehr zu nehmen, um mir die Augen zu reiben.

»Dass ich ein Mensch bin. Wenn ich keiner wäre, hätte ich dich erschossen.«

Das klang logisch. Oder klang es logisch, weil ich wollte, dass es logisch klang? Vielleicht hatte er seine Waffe fallen lassen, damit ich meine ebenfalls fallen ließ, und sobald ich das tat, würde die zweite Pistole zum Vorschein kommen, die er unter seinem Kampfanzug verbarg, und eine Kugel würde hallo zu meinem Gehirn sagen.

Das ist es, was die Anderen mit uns gemacht haben. Ohne gegenseitiges Vertrauen kann man sich nicht verbünden, um gemeinsam zu kämpfen. Und ohne Vertrauen gibt es keine Hoffnung.

Wie befreit man die Erde von den Menschen? Indem man die Menschen von ihrer Menschlichkeit befreit.

»Ich muss deine andere Hand sehen«, forderte ich ihn auf.

»Ich habe dir doch gesagt …«

»Ich muss deine andere Hand sehen!« Dann versagte mir die Stimme. Ich konnte nichts dagegen tun.

Er rastete aus. »Knall mich doch einfach ab, du Miststück! Bring’s hinter dich und knall mich ab!«

Sein Kopf kippte nach hinten gegen die Wand, sein Mund ging auf, und er stieß einen schrecklichen, gequälten Schrei aus, der von Wand zu Wand und vom Fußboden zur Decke geworfen wurde und mir in den Ohren dröhnte. Mir war nicht klar, ob er vor Schmerz schrie oder weil ihm bewusst wurde, dass ich ihn nicht retten würde. Er hatte die Hoffnung aufgegeben, und das bringt einen um. Das bringt einen um, bevor man stirbt. Lange bevor man stirbt.

»Wenn ich sie dir zeige …«, keuchte er und wippte an der blutverschmierten Betonwand vor und zurück. »Wenn ich sie dir zeige, hilfst du mir dann?«

Ich antwortete nicht. Ich antwortete nicht, weil ich darauf keine Antwort hatte. Ich spielte dieses Spiel von einer Nanosekunde zur nächsten.

Also nahm er mir die Entscheidung ab. Rückblickend glaube ich, er wollte die Anderen nicht gewinnen lassen. Er wollte nicht aufhören zu hoffen. Wenn ich ihn tötete, würde er zumindest einen kleinen Rest seiner Menschlichkeit mit ins Grab nehmen.

Mit einer Grimasse zog er langsam seine linke Hand hervor. Inzwischen war vom Tag nicht mehr viel übrig, und das verbliebene Licht schien von seiner Quelle wegzufließen, weg von ihm, an mir vorbei und zur halb geöffneten Tür hinaus.

Seine Hand war mit halb getrocknetem Blut verkrustet. Es sah aus, als trüge er einen purpurroten Handschuh.

Das verkümmerte Licht küsste seine blutige Hand und wurde von etwas Langem, Dünnem und Metallenem reflektiert, und mein Finger riss am Abzug, und der Gewehrkolben rammte hart gegen meine Schulter, und der Lauf zuckte in meinen Händen, als ich den Ladestreifen leerte, und aus weiter Ferne hörte ich jemanden schreien, doch es war nicht er, der schrie, sondern ich, ich und alle anderen, die noch übrig waren, falls überhaupt noch jemand übrig war, wir hilflosen, hoffnungslosen, dummen Menschen schrien alle gemeinsam, weil wir es falsch verstanden hatten, weil wir es völlig falsch verstanden hatten: Es gab keine Meute von Außerirdischen, die in ihren fliegenden Untertassen vom Himmel herabsausen, keine großen marschierenden Roboter wie in Krieg der Sterne und keine niedlichen, runzeligen E. T.s, die nur ein paar Blätter pflücken und ein paar Erdnussbutterdragees essen möchten, bevor sie wieder nach Hause gehen. So endet es nicht.

So endet es ganz und gar nicht.

Es endet damit, dass wir uns im sterbenden Licht eines Spätsommertages hinter einer Reihe leerer Bier-Kühlregale gegenseitig umbringen.

Ich ging zu ihm, bevor der letzte Rest des Lichts verschwand. Nicht, um nachzusehen, ob er tot war. Dass er tot war, wusste ich. Ich wollte nachsehen, was er in seiner blutigen Hand hielt.

Es handelte sich um ein Kruzifix.

— 5. Kapitel —

Das war der letzte Mensch, den ich zu Gesicht bekommen habe.

Inzwischen fallen die Blätter in rauen Mengen, und die Nächte sind kalt geworden. Ich kann nicht länger im Wald bleiben. Da kein Laub mehr an den Bäumen ist, das mir Tarnung vor den Drohnen bieten würde, kann ich kein Lagerfeuer mehr riskieren – ich muss hier weg.

Ich weiß, wohin ich muss. Das weiß ich schon lange. Ich habe ein Versprechen gegeben. Eine Art von Versprechen, das man nicht bricht, denn wenn man es bricht, bricht man einen Teil von sich selbst, den vielleicht wichtigsten Teil.

Doch man sagt sich Dinge. Dinge, wie: Ich muss mir zuerst etwas einfallen lassen. Ich kann mich nicht ohne einen Plan in die Höhle des Löwen begeben. Oder: Es ist hoffnungslos und hat keinen Sinn mehr. Du hast zu lange gewartet.

Aus welchem Grund auch immer ich nicht schon früher aufgebrochen bin, ich hätte an dem Abend aufbrechen sollen, an dem ich ihn getötet habe. Ich weiß nicht, welche Art von Verletzung er hatte, da ich seinen Leichnam nicht untersucht habe, was ich hätte tun sollen, ganz egal, wie fertig ich mit den Nerven war. Womöglich war er bei einem Unfall verletzt worden, doch die Wahrscheinlichkeit war höher, dass jemand – oder etwas – auf ihn geschossen hatte. Und wenn jemand oder etwas auf ihn geschossen hatte, war dieser Jemand oder dieses Etwas noch immer irgendwo da draußen … es sei denn, der Kruzifix-Soldat hatte sie/ihn/es umgelegt. Oder er war doch einer von ihnen gewesen und das Kruzifix eine Finte …

Eine weitere Methode, wie die Anderen dir im Kopf herumpfuschen: die unsicheren Umstände deiner sicheren Vernichtung. Vielleicht wird das die Fünfte Welle sein – dass sie uns von innen angreifen und unseren eigenen Verstand in eine Waffe verwandeln.

Vielleicht wird der letzte Mensch auf Erden nicht verhungern oder erfrieren oder von wilden Tieren gefressen werden.

Vielleicht wird der letzte, der stirbt, vom letzten, der noch lebt, getötet werden.

Okay, das ist kein Ort, an den du dich begeben möchtest, Cassie.

Um ehrlich zu sein, möchte ich eigentlich gar nicht von hier weg, auch wenn es Selbstmord wäre zu bleiben und ich ein Versprechen einzulösen habe. Dieser Wald ist seit langem mein Zuhause. Ich kenne jeden Pfad, jeden Baum, jede Kletterpflanze und jeden Busch. Ich habe sechzehn Jahre lang in ein und demselben Haus gewohnt und kann mich nicht mehr genau erinnern, wie unser Garten ausgesehen hat, aber ich könnte jedes Blatt und jeden Zweig in diesem Waldstrich im Detail beschreiben. Allerdings habe ich keinen blassen Schimmer, was hinter diesem Wald und dem zwei Meilen langen Highway-Abschnitt liegt, den ich jede Woche entlangmarschiere, um Vorräte zu hamstern. Ich nehme an, eine Menge mehr vom Selben: verlassene Städte, die nach Abwasser und verwesten Kadavern stinken, die Überreste ausgebrannter Häuser, verwilderte Hunde und Katzen, kilometerlange Massenkarambolagen auf dem Highway. Und Leichen. Eine Unmenge von Leichen.

Ich packe meine Sachen. Dieses Zelt war lange mein Zuhause, aber es ist zu sperrig, und ich muss mit leichtem Gepäck reisen. Nur das Wichtigste, wobei die Luger, das M16, die Munition und mein treues Bowie-Messer ganz oben auf der Liste stehen. Schlafsack, Verbandskasten, fünf Flaschen Wasser, drei Packungen Trockenwürstchen und ein paar Büchsen Ölsardinen. Vor der Ankunft habe ich Sardinen gehasst. Inzwischen habe ich richtig Geschmack an ihnen gefunden. Das Erste, wonach ich Ausschau halte, wenn ich auf einen Lebensmittelladen stoße? Sardinen.

Bücher? Die sind schwer und nehmen zu viel Platz in meinem Rucksack ein, der ohnehin schon prall gefüllt ist. Aber ich habe eine Schwäche für Bücher. Bei meinem Vater war das genauso. Unser Haus war bis unters Dach voll mit Büchern, die er fand, nachdem die Dritte Welle mehr als dreieinhalb Milliarden Menschenleben ausgelöscht hatte. Während der Rest von uns Trinkwasser und Nahrungsmittel bunkerte und sich mit Waffen für das letzte Gefecht eindeckte, mit dem wir fest rechneten, war Daddy mit dem Radio-Flyer-Handwagen meines kleinen Bruders unterwegs und karrte Bücher nach Hause.

Er ließ sich nicht von den überwältigenden Zahlen aus der Fassung bringen. Die Tatsache, dass wir binnen vier Monaten von sieben Milliarden auf ein paar hunderttausend dezimiert worden waren, vermochte seine feste Überzeugung, dass unsere Spezies überleben würde, nicht zu erschüttern.

»Wir müssen an die Zukunft denken«, behauptete er beharrlich. »Wenn das alles vorbei ist, müssen wir fast jeden Aspekt der Zivilisation neu aufbauen.«

Solartaschenlampe.

Zahnbürste und Zahnpasta. Ich bin fest entschlossen, zumindest mit sauberen Zähnen ins Gras zu beißen, wenn es so weit ist.

Handschuhe. Zwei Paar Socken, Unterwäsche, eine Reisepackung Waschmittel, Deodorant und Shampoo. (Ich werde einen sauberen Abgang hinlegen. Siehe oben.)

Tampons. Ich mache mir ständig Sorgen um meine Vorräte und ob es mir gelingen wird, Nachschub zu besorgen.

Mein Plastikbeutel voller Fotos. Dad. Mom. Mein kleiner Bruder Sammy. Meine Großeltern. Lizbeth, meine beste Freundin. Eines von Ben »Du warst echt ein verdammt Niedlicher« Parish, das ich aus meinem Jahrbuch ausgeschnitten habe, da Ben mein zukünftiger Freund und/oder vielleicht mein zukünftiger Ehemann war – nicht dass er davon etwas gewusst hätte. Ihm war kaum bewusst, dass ich überhaupt existiere. Ich kannte einige Leute, die auch er kannte, war aber immer nur ein Mädchen im Hintergrund, mehr als eine kleine Welt entfernt. Das einzige Problem an Ben war seine Größe: Er war fünfzehn Zentimeter größer als ich. Na ja, genau genommen sind es jetzt zwei Probleme: seine Größe und die Tatsache, dass er tot ist.

Mein Handy. Es hat während der Ersten Welle den Geist aufgegeben und lässt sich nicht mehr laden. Die Sendemasten funktionieren auch nicht mehr, und selbst wenn sie funktionieren würden, gäbe es niemanden, den man anrufen könnte. Aber es ist schließlich mein Handy.

Nagelschere.

Streichhölzer. Ich mache kein Feuer, aber irgendwann werde ich vielleicht etwas verbrennen oder in die Luft jagen müssen.

Zwei Notizbücher mit Spiralbindung, liniert, eines mit violettem Einband, das andere mit rotem. Meine Lieblingsfarben, und außerdem handelt es sich dabei um meine Tagebücher. Das fällt auch in die Kategorie Hoffnung. Falls ich jedoch tatsächlich die Letzte bin und es niemanden mehr gibt, der sie lesen könnte, wird sie vielleicht einer der Außerirdischen lesen und erfahren, was ich von ihnen halte. Falls Sie ein Außerirdischer sind und das hier lesen:

IHRKÖNNTMICHMAL.

Meine Starburst-Kaubonbons, aus denen ich die mit Orangengeschmack bereits herausgepickt habe. Drei Packungen Wrigley’s-Spearmint-Kaugummis. Meine letzten beiden Tootsie-Pops-Lutscher.

Moms Ehering.

Sammys schäbiger alter Teddybär. Nicht, dass er jetzt mir gehören würde. Nicht, dass ich jemals mit ihm kuscheln würde oder so.

Das ist alles, was ich in den Rucksack stopfen kann. Seltsam. Es scheint so viel zu sein und trotzdem nicht genug.

Der Platz reicht gerade noch für zwei Taschenbücher. Huckleberry Finn oder Früchte des Zorns? Die Gedichte von Sylvia Plath oder Sammys Shel Silverstein? Wahrscheinlich ist es keine gute Idee, Plath mitzunehmen. Deprimierend. Silverstein ist für Kinder, bringt mich aber immer noch zum Schmunzeln. Ich beschließe, Huckleberry (erscheint mir passend) und Wo der Gehweg endet einzupacken. Bis bald, Shel. Komm an Bord, Jim.

Ich hieve den Rucksack über eine Schulter, schwinge das Gewehr über die andere und marschiere auf dem Pfad in Richtung Highway los. Ich blicke mich nicht um.

Vor der letzten Baumreihe lege ich eine Pause ein. Eine gut fünf Meter hohe Böschung führt zu den Fahrspuren Richtung Süden hinunter, die übersät sind mit fahruntüchtigen Autos, Bergen von Kleidungsstücken, zerfetzten Plastik-Müllsäcken und den ausgebrannten Überresten von Sattelzügen, die alles Mögliche von Benzin bis Milch transportiert haben. Überall stehen Wracks herum, manche nur mit kleinen Blechschäden, andere in Massenkarambolagen, die sich meilenweit auf dem Highway entlangschlängeln, und die Morgensonne glitzert auf unzähligen Glassplittern.

Leichen sind keine zu sehen. Diese Autos stehen schon seit der Ersten Welle hier, zurückgelassen von ihren Besitzern.

Bei der Ersten Welle, dem gewaltigen elektromagnetischen Impuls, der am zehnten Tag um Punkt elf Uhr vormittags durch die Atmosphäre schoss, kamen nicht viele Menschen ums Leben. Nur etwa eine halbe Million, schätzte Dad. Okay, eine halbe Million klingt nach einer Menge Menschen, aber genau genommen ist das nur ein Tropfen im Bevölkerungsfass. Der Zweite Weltkrieg forderte über hundertmal so viele Opfer.

Und wir hatten ein wenig Zeit, um uns darauf vorzubereiten, wenngleich wir uns nicht ganz sicher waren, worauf wir uns vorbereiteten. Zehn Tage von den ersten Satellitenbildern vom Mutterschiff, als es am Mars vorbeiflog, bis zum Beginn der Ersten Welle. Zehn Tage Chaos. Ausnahmezustand, Sit-ins bei den Vereinten Nationen, Demonstrationen, Dachpartys, endlose Diskussionen im Internet und Berichterstattung rund um die Uhr in allen Medien. Der Präsident wandte sich an die Nation – und verschwand anschließend in seinem Bunker. Der Sicherheitsrat zog sich unter Ausschluss der Presse zu einer Dringlichkeitssitzung zurück.

Eine Menge Leute suchten einfach das Weite wie unsere Nachbarn, die Majewskis. Am Nachmittag des sechsten Tages packten sie alles in ihr Wohnmobil, was hineinpasste, und nahmen Reißaus. Sie schlossen sich einem Massen-Exodus an, da es überall anders sicherer erschien. Tausende Menschen machten sich auf den Weg in die Berge … oder in die Wüste … oder ins Sumpfland. Woandershin eben.

Das Woandershin der Majewskis war Disney World. Sie waren nicht die Einzigen. Disney verzeichnete während der zehn Tage vor dem elektromagnetischen Impuls Besucherrekorde.

Daddy fragte Mr Majewski: »Und warum ausgerechnet Disney World?«

Und Mr Majewski erwiderte: »Na ja, die Kinder waren noch nie dort.«

Seine Kinder gingen beide zur Uni.

Catherine, die am Tag zuvor nach ihrem ersten Jahr an der Baylor University nach Hause gekommen war, fragte mich: »Und, wohin fahrt ihr?«

»Nirgendwohin«, sagte ich. Und ich wollte auch nirgendwohin fahren. Ich verschloss noch immer die Augen vor der Realität und tat so, als würde diese ganze verrückte Außerirdischen-Geschichte gut ausgehen, obwohl ich nicht wusste, wie. Vielleicht mit der Unterzeichnung eines intergalaktischen Friedensvertrages. Vielleicht waren sie auch nur gekommen, um ein paar Bodenproben zu nehmen, und würden sich anschließend wieder auf den Weg nach Hause machen. Oder vielleicht machten sie hier Urlaub – wie die Majewskis in Disney World.

»Ihr müsst von hier verschwinden«, sagte sie. »Die Städte werden sie als Erstes heimsuchen.«

»Da hast du wahrscheinlich recht«, entgegnete ich. »Sie würden nicht im Traum dran denken, das Magic Kingdom zu vernichten.«

»Wie würdest du lieber sterben?«, fauchte sie mich an. »Während du dich unter deinem Bett versteckst oder bei einer Fahrt mit der Thunder-Mountain-Achterbahn?«

Gute Frage.

Daddy sagte, die Welt würde sich in zwei Lager teilen: in Ausreißer und Einnister. Die Ausreißer machten sich auf den Weg in die Berge – oder zum Thunder Mountain. Die Einnister verbarrikadierten ihre Fenster, deckten sich mit Konserven und Munition ein und hatten den Fernseher rund um die Uhr auf CNN gestellt.

Während jener ersten zehn Tage gab es keine Botschaften von unseren ungeladenen galaktischen Gästen. Keine Landung auf dem Südrasen des Weißen Hauses und keine glupschäugigen, stummelköpfigen Männchen in silberfarbenen Overalls, die verlangten, zu unserem Anführer gebracht zu werden. Keine leuchtenden Kreisel, aus denen die Universalsprache Musik dröhnte. Und keine Antwort, als wir unsere Botschaft sendeten. Etwas wie: »Hallo und willkommen auf der Erde. Wir hoffen, Sie genießen Ihren Aufenthalt. Bitte töten Sie uns nicht.«

Niemand wusste, was zu tun war. Wir nahmen an, die Regierung hätte zumindest eine vage Ahnung. Da die Regierung für alles einen Plan hatte, gingen wir davon aus, sie müsse auch einen Plan für den Fall haben, dass E. T. ungebeten und unangekündigt auftaucht wie der merkwürdige Cousin, über den niemand in der Familie sprechen will.

Die einen nisteten sich ein. Die anderen nahmen Reißaus. Die einen heirateten. Die anderen ließen sich scheiden. Die einen zeugten Babys. Die anderen begingen Selbstmord. Wir wandelten wie Zombies umher, mit ausdruckslosem Gesicht und roboterhaften Bewegungen, und waren nicht in der Lage, die Dimension der Geschehnisse zu begreifen.

Rückblickend ist es kaum zu glauben, aber meine Familie und ich gingen wie die meisten Leute unserem Alltagsleben nach, als würde das bedeutendste und beängstigendste Ereignis in der Geschichte der Menschheit nicht genau über unseren Köpfen stattfinden. Mom und Dad gingen zur Arbeit, Sammy ging in die Kindertagesstätte, und ich ging zur Schule und zum Fußballtraining. Alles war so normal, dass es völlig absurd war. Am Ende von Tag eins hatte jeder, der älter war als zwei Jahre, das Mutterschiff x-mal aus der Nähe gesehen, dieses grünlich grau leuchtende Monstrum von der Größe Manhattans, das zweihundertfünfzig Meilen über der Erde kreiste. Die NASA gab ihren Plan bekannt, ein eingemottetes Spaceshuttle wieder in Betrieb zu nehmen, um zu versuchen, Kontakt aufzunehmen.

Tja, das ist gut, dachten wir. Diese Stille ist erdrückend. Warum sind sie Milliarden von Meilen hierhergereist, wenn sie uns dann nur anstarren? Das ist echt unhöflich.

Am Tag drei ging ich mit einem Typen namens Mitchell Phelps aus. Na ja, genau genommen gingen wir nur nach draußen. Das Date fand wegen der Ausgangssperre in unserem Garten statt. Er fuhr auf dem Weg zu mir bei Starbucks am Drive-in-Schalter vorbei, und wir setzten uns auf die Terrasse hinter unserem Haus, schlürften unsere Getränke und taten so, als würden wir Dads Schatten, der sich hin und her bewegte, als er im Wohnzimmer auf- und abging, nicht bemerken. Mitchell war ein paar Tage vor der Ankunft in unsere Stadt gezogen und saß in Weltliteratur hinter mir. Ich hatte den Fehler gemacht, ihm meinen Leuchtmarker zu leihen. Ehe ich mich’s versah, bat er mich um eine Verabredung, denn wenn einem ein Mädchen seinen Leuchtmarker leiht, muss es einen heiß finden. Ich weiß nicht, warum ich einem Date zustimmte. Er war weder besonders süß noch besonders interessant, abgesehen von seiner Neulingsaura, und er war ganz sicher kein Ben Parish. Das war niemand – außer Ben Parish selbst, und genau das war das Problem.

Am dritten Tag sprach man entweder die ganze Zeit über die Anderen, oder man versuchte, gar nicht über sie zu sprechen. Ich fiel in die zweite Kategorie.

Mitchell gehörte zur ersten.

»Was ist, wenn sie wir sind?«, fragte er.

Nach der Ankunft dauerte es nicht lange, bis all die Verschwörungsfreaks anfingen, von streng geheimen Regierungsprojekten zu schwatzen oder von einem heimlichen Plan, eine Außerirdischen-Krise zu inszenieren, um uns unserer Freiheiten zu berauben. Ich vermutete, dass er darauf hinauswollte, und stöhnte.

»Was?«, fragte er. »Ich meine ja nicht wir wir. Ich meine, was ist, wenn sie wir aus der Zukunft sind?«

»Und es wie in Terminator ist, oder?«, sagte ich und verdrehte die Augen. »Sie sind gekommen, um den Aufstand der Maschinen zu stoppen. Oder vielleicht sind sie die Maschinen. Vielleicht handelt es sich bei ihnen ja um Skynet.«

»Das glaube ich nicht«, sagte er, als hätte ich es ernst gemeint. »Es handelt sich dabei um das Großvater-Paradox.«

»Wobei? Und was zum Teufel ist das Großvater-Paradox?« Er sagte das, als gehe er davon aus, dass ich wüsste, worum es sich beim Großvater-Paradox handelte, denn wenn ich es nicht wusste, war ich eine Idiotin. Ich hasse es, wenn Leute das tun.

»Sie – ich meine, wir – können nicht in die Vergangenheit reisen und irgendwas ändern. Wenn man in die Vergangenheit reisen und seinen Großvater töten würde, bevor man geboren wird, wäre man nicht in der Lage, in die Vergangenheit zu reisen, um seinen Großvater zu töten.«

»Warum sollte man denn seinen Großvater töten wollen?« Ich verdrehte den Trinkhalm in meinem Erdbeer-Frappucino, um das einzigartige »Trinkhalm im Deckel«-Quietschen zu produzieren.

»Der Punkt ist, dass es die Geschichte schon verändern würde, wenn man nur auftaucht«, sagte er. Als sei ich diejenige gewesen, die das Thema Zeitreisen angeschnitten hatte.

»Müssen wir darüber reden?«

»Was gibt es denn sonst zu bereden?« Seine Augenbrauen kletterten zu seinem Haaransatz. Mitchell hatte äußerst buschige Augenbrauen. Das war so ziemlich das Erste, was mir an ihm aufgefallen war. Außerdem kaute er an seinen Fingernägeln. Das war das Zweite, was mir aufgefallen war. Nagelpflege kann einem eine Menge über einen Menschen verraten.

Ich holte mein Handy hervor und schrieb Lizbeth eine SMS:

hilf mir

»Hast du Angst?«, fragte er, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Oder, um sich rückzuversichern. Er sah mich gespannt an.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nur gelangweilt.« Eine Lüge. Natürlich hatte ich Angst. Mir war bewusst, dass ich gemein war, aber ich konnte es mir nicht verkneifen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war ich wütend auf ihn. Vielleicht war ich in Wirklichkeit wütend auf mich selbst, weil ich ja zu einem Date mit einem Typen gesagt hatte, an dem ich eigentlich nicht interessiert war. Oder vielleicht war ich wütend auf ihn, weil er nicht Ben Parish war, wofür er nichts konnte. Aber trotzdem.

helfen wobei?

»Mir ist es egal, worüber wir reden«, sagte er. Er hatte den Blick auf das Rosenbeet gerichtet, ließ den Bodensatz seines Kaffees kreisen und wippte unter dem Tisch so heftig mit dem Knie, dass meine Tasse wackelte.

mitchell. Ich glaubte nicht, mehr sagen zu müssen.

»Wem simst du denn da?«

hab dir doch gesagt, du sollst dir das date mit ihm sparen

»Niemandem, den du kennst«, entgegnete ich. keine ahnung, warum ich es getan habe

»Wir können ja was anderes machen«, schlug er vor. »Möchtest du ins Kino gehen?«

»Es herrscht Ausgangssperre«, erinnerte ich ihn. Nach neun durfte niemand auf die Straße außer Militär- und Rettungsfahrzeugen.

lol, um ben eifersüchtig zu machen

»Bist du sauer oder was?«

»Nein«, entgegnete ich. »Überhaupt nicht.«

Er zog einen Schmollmund. »Ich versuche doch nur herauszufinden, wer sie sind«, sagte er.

»Du und alle anderen auf diesem Planeten«, erwiderte ich. »Niemand weiß es, und sie verraten es uns nicht, also sitzen alle da und spekulieren und theoretisieren, und das ist ziemlich sinnlos. Vielleicht sind sie raumfahrende Mäusemänner vom Planeten Käse und wegen unseres Provolone hier.«

bp weiß nichts von meiner existenz

»Weißt du«, sagte er, »es ist ziemlich unhöflich zu simsen, während ich versuche, mich mit dir zu unterhalten.«

Er hatte recht. Ich ließ mein Handy in der Hosentasche verschwinden. Was ist los mit mir?, fragte ich mich. Die alte Cassie hätte das niemals getan. Die Anderen veränderten mich bereits, aber ich wollte so tun, als hätte sich nichts verändert, vor allem nicht ich.

»Hast du es schon gehört?«, fragte er und kehrte damit genau zu dem Thema zurück, von dem ich gesagt hatte, dass es mich langweilt. »Sie bauen einen Landeplatz.«

Ich hatte es gehört. Im Death Valley. Ganz genau: Death Valley.

»Ich persönlich halte das für keine besonders gute Idee«, sagte er. »Ihnen den roten Teppich auszurollen.«

»Warum nicht?«

»Es sind bereits drei Tage vergangen. Drei Tage, und sie haben jeglichen Kontakt verweigert. Wenn sie freundliche Absichten haben, warum haben sie dann nicht schon hallo gesagt?«

»Vielleicht sind sie einfach nur schüchtern.« Ich wickelte mir eine Haarsträhne um den Finger und zog leicht daran, um diese halb angenehmen Schmerzen auszulösen.

»Als wären sie Neuzugänge?«, sagte er, der Neuzugang.

Es ist bestimmt nicht einfach, ein Neuzugang zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass es angebracht war, mich für meine Unhöflichkeit zu entschuldigen. »Ich war vorher ein bisschen gemein«, gab ich zu. »Tut mir leid.«

Er warf mir einen verwirrten Blick zu. Er sprach über Außerirdische, nicht über sich selbst, und dann sagte ich etwas über mich, was weder mit dem einen noch mit dem anderen etwas zu tun hatte.

»Schon okay«, sagte er. »Ich habe gehört, dass du nicht oft Dates hast.«

Autsch.

»Was hast du denn sonst noch gehört?« Eine von den Fragen, bei denen man die Antwort nicht hören möchte, die man aber trotzdem stellen muss.

Er schlürfte seine Latte macchiato durch das kleine Loch im Plastikdeckel.

»Nicht viel. Es ist nicht so, dass ich rumgefragt hätte.«

»Immerhin hast du jemanden gefragt, der dir gesagt hat, dass ich nicht viele Dates hätte.«

»Ich habe nur erzählt, dass ich darüber nachdenke, dich zu fragen, ob du mit mir ausgehst, und dann hieß es, Cassie ist ziemlich cool. Und als ich wissen wollte: Wie ist sie denn so?, hieß es, du wärst nett, aber ich solle mir keine großen Hoffnungen machen, weil du auf Ben Parish stehst …«

»Das haben sie dir gesagt? Wer hat dir das gesagt?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich erinnere mich nicht mehr an ihren Namen.«

»War es Lizbeth Morgan?« Ich bringe sie um.

»Ich weiß nicht, wie sie heißt«, sagte er.

»Wie sah sie denn aus?«

»Lange braune Haare. Brille. Ich glaube, sie heißt Carly oder so ähnlich.«

»Ich kenne keine …«

Oh, Gott. Irgendeine Carly, die ich nicht einmal kannte, wusste Bescheid, was zwischen mir und Ben Parish war – oder vielmehr, was nicht zwischen mir und Ben Parish war. Und wenn Carly-oder-so Bescheid wusste, dann wussten alle Bescheid.

»Tja, sie haben sich getäuscht«, haspelte ich. »Ich stehe nicht auf Ben Parish.«

»Für mich spielt das keine Rolle.«

»Für mich spielt es schon eine Rolle.«

»Vielleicht funktioniert das einfach nicht«, erwiderte er. »Egal, was ich sage, entweder langweilt es dich, oder du wirst sauer.«

»Ich bin nicht sauer«, fauchte ich ihn an.

»Okay, ich liege falsch.«

Nein, er hatte recht. Und ich lag falsch, weil ich ihm nicht sagte, dass es sich bei der Cassie, die er kennengelernt hatte, nicht um die Cassie handelte, die ich früher gewesen war, die Cassie vor der Ankunft, die keiner Mücke etwas zuleide hätte tun können. Ich war nicht bereit, die Wahrheit zuzugeben: Mit dem Eintreffen der Anderen hatte sich nicht nur die Welt verändert. Wir hatten uns verändert. Ich hatte mich verändert. In dem Moment, als das Mutterschiff aufgetaucht war, hatte ich einen Weg eingeschlagen, der im Lagerraum eines Mini-Markts hinter ein paar leeren Bier-Kühlregalen enden sollte. Jener Abend mit Mitchell war nur der Anfang meiner Entwicklung.

Mitchell hatte recht damit, dass die Anderen nicht nur vorbeigekommen waren, um hallo zu sagen. Am Abend der Ersten Welle erschien der weltweit führende theoretische Physiker, einer der klügsten Köpfe der Welt (Genau das wurde auf dem Bildschirm unter seinem Kopf eingeblendet, während er sprach: EINERDERKLÜGSTENKÖPFEDERWELT.), auf CNN und sagte: »Das Schweigen gefällt mir nicht. Mir fällt kein harmloser Grund dafür ein. Ich fürchte, wir müssen eher mit etwas wie der Landung von Christopher Columbus in Amerika rechnen als mit einer Szene aus Unheimliche Begegnung der dritten Art, und wir wissen alle, welche Folgen diese für die Ureinwohner Amerikas hatte.«

Ich drehte mich zu meinem Vater und sagte: »Wir sollten sie atomar vernichten.« Ich musste die Stimme erheben, um den Fernseher zu übertönen, da Dad die Lautstärke während der Nachrichten immer aufdrehte, damit er trotz Moms Fernseher in der Küche etwas verstehen konnte. Sie sah immer gerne TLC, während sie kochte. Ich nannte das den »Krieg der Fernbedienungen«.

»Cassie!« Dad war so geschockt, dass sich seine Zehen in seinen Sportsocken krümmten. Er war mit Unheimliche Begegnung der dritten Art,E. T. und Raumschiff Enterprise aufgewachsen und glaubte fest daran, dass die Anderen gekommen waren, um uns von uns selbst zu befreien. Kein Hunger mehr. Keine Kriege mehr. Die Ausrottung von Krankheiten. Die Enthüllung der Geheimnisse des Kosmos. »Begreifst du denn nicht, dass das der nächste Schritt in unserer Entwicklung sein könnte? Ein riesiger Sprung nach vorn. Riesig.« Er umarmte mich tröstend. »Wir können uns alle glücklich schätzen, dass wir hier sind und das miterleben dürfen.« Dann fügte er beiläufig hinzu, als würde er erklären, wie man einen Toaster repariert: »Außerdem kann eine Atombombe im Vakuum des Weltalls nicht viel Schaden anrichten. Dort gibt es nichts, was die Druckwelle transportieren könnte.«

»Dann labert dieses Superhirn im Fernsehen also nur Scheiße?«

»Nicht diese Ausdrucksweise, Cassie«, rügte er mich. »Er darf seine Meinung vertreten, aber mehr ist es nicht. Eine Meinung.«

»Aber was ist, wenn er recht hat? Was ist, wenn dieses Ding da oben ihre Version des Todessterns ist?«

»Durchs halbe Universum reisen, nur um uns in die Luft zu jagen?« Dad tätschelte mir das Bein und lächelte. Mom stellte den Fernseher in der Küche lauter. Er erhöhte die Lautstärke im Wohnzimmer auf siebenundzwanzig.

»Okay, aber was ist mit einer intergalaktischen Horde Mongolen, wie er gemeint hat?«, hakte ich nach. »Vielleicht sind sie gekommen, um uns zu erobern, um uns in Reservate abzuschieben, um uns zu versklaven …«

»Cassie«, sagte er. »Nur weil etwas passieren könnte, heißt das nicht, dass es auch passieren wird. Außerdem ist alles sowieso bloß Spekulation. Von diesem Typen. Von mir. Niemand weiß, warum sie hier sind. Ist es nicht genauso wahrscheinlich, dass sie den ganzen weiten Weg gekommen sind, um uns zu retten?«

Vier Monate nachdem mein Vater diese Worte gesagt hatte, war er tot.

Er hat sich getäuscht, was die Anderen anbelangt. Ich habe mich auch getäuscht. Und einer der klügsten Köpfe der Welt hat sich ebenfalls getäuscht.

Es ging ihnen nicht darum, uns zu retten. Und es ging ihnen nicht darum, uns zu versklaven oder uns in Reservate abzuschieben.

Es ging ihnen darum, uns zu töten.

Uns alle.

— 6. Kapitel —

Ich überlegte lange hin und her, ob ich mich tagsüber oder nachts auf den Weg machen sollte. Dunkelheit ist das Beste, wenn man Angst vor ihnen hat. Aber Tageslicht ist vorzuziehen, wenn man eine Drohne entdecken möchte, bevor man von ihr entdeckt wird.

Die Drohnen tauchten ganz am Ende der Dritten Welle auf. Zigarrenförmig und mattgrau gleiten sie schnell und lautlos in mehreren tausend Fuß Höhe dahin. Manchmal huschen sie über den Himmel, ohne anzuhalten. Manchmal kreisen sie wie Bussarde in der Luft. Sie können auf der Stelle umdrehen und unvermittelt anhalten, von Mach 2 auf null in weniger als einer Sekunde. Daher wussten wir, dass es sich bei den Drohnen nicht um unsere eigenen handelte.

Wir wussten außerdem, dass sie unbemannt (oder unbe-Andert) sind, da eine von ihnen ein paar Meilen von unserem Flüchtlingscamp entfernt abstürzte. Ein Ka-bumm!, als sie die Schallmauer durchbrach, ein ohrenbetäubendes Kreischen, als sie zur Erde herabgeschossen kam, und der Boden erbebte unter unseren Füßen, als sie in ein brachliegendes Maisfeld einschlug. Ein Aufklärungsteam marschierte zur Absturzstelle, um sich ein Bild zu machen. Okay, es handelte sich nicht wirklich um ein Team, sondern nur um Dad und Hutchfield, den Typen, der das Kommando über das Camp hatte. Als sie wieder zurückkamen, berichteten sie, dass das Ding leer gewesen sei. Ob sie sich sicher waren? Vielleicht war der Pilot ja vor dem Aufprall mit dem Fallschirm abgesprungen. Dad sagte, es sei randvoll mit Instrumenten gewesen; ein Pilot hätte darin keinen Platz gehabt. »Es sei denn, sie sind nur fünf Zentimeter groß.« Das löste großes Gelächter aus. Irgendwie machte es den Schrecken weniger schrecklich, wenn man sich die Anderen als fünf Zentimeter große Borger-Typen vorstellte.

Ich entschied mich dafür, tagsüber aufzubrechen. So konnte ich mit einem Auge den Himmel beobachten und das andere auf den Boden richten. Letzten Endes bewegte ich den Kopf auf und ab, auf und ab, hin und her, dann wieder nach oben, wie ein Groupie bei einem Rockkonzert, bis mir schwindlig und ein wenig übel war.

Außerdem muss man sich nachts nicht nur wegen der Drohnen Sorgen machen. Verwilderte Hunde, Kojoten, Bären und Wölfe, die aus Kanada heruntergekommen sind, vielleicht sogar ein Löwe oder ein Tiger, der aus einem Zoo entkommen ist. Ich weiß, ich weiß, das klingt nach einem Zauberer von Oz-Witz. Tut mir leid.

Und auch wenn es nicht viel bringen würde, ich glaube, dass ich bei Tageslicht bessere Chancen gegen einen von ihnen hätte. Oder auch gegen einen von uns, falls ich doch nicht die Letzte bin. Was ist, wenn mir ein anderer Überlebender über den Weg läuft, der beschlossen hat, dass es seine beste Option ist, mit jedem, der ihm begegnet, das zu machen, was ich mit dem Kruzifix-Soldaten gemacht habe?

Das wirft die Frage auf, was meine beste Option ist. Schieße ich beim ersten Sichtkontakt? Warte ich ab, bis der andere den ersten Schritt tut, und riskiere dabei, dass dieser Schritt tödlich ist? Ich frage mich nicht zum ersten Mal, warum zum Teufel wir uns nicht irgendeinen Code oder einen geheimen Händedruck haben einfallen lassen, bevor sie aufgetaucht sind – etwas, anhand dessen wir uns gegenseitig als die Guten identifizieren könnten. Wir konnten zwar nicht wissen, dass sie auftauchen würden, doch wir waren uns ziemlich sicher, dass früher oder später irgendetwas auftauchen würde.

Es ist schwierig, sich auf das vorzubereiten, was als Nächstes kommt, wenn man das, was als Nächstes kommt, nicht kennt.

Versuche, sie zuerst zu entdecken, nahm ich mir vor. Geh in Deckung. Kein Kräftemessen. Keine Kruzifix-Soldaten mehr!

Der heutige Tag ist klar und windstill, aber kalt. Der Himmel ist wolkenlos. Ich marschiere dahin, schaue nach oben und nach unten, nach links und nach rechts, wobei mein Rucksack rhythmisch gegen das eine Schulterblatt prallt, das Gewehr gegen das andere, gehe am Rand des Mittelstreifens entlang, der den Fahrstreifen Richtung Süden von dem Richtung Norden trennt, und bleibe alle paar Schritte stehen, um mich umzudrehen und den Blick über die Gegend hinter mir schweifen zu lassen. Eine Stunde. Zwei. Und ich bin noch nicht weiter als eine Meile gekommen.

Das Unheimlichste, noch unheimlicher als die verlassenen Autos und das Gewirr von zerknautschtem Metall und das zersplitterte Glas, das in der Oktobersonne glitzert, unheimlicher als all der Müll und der herumliegende Abfall, der zum größten Teil mit kniehohem Gras zugewuchert ist, sodass das Gelände uneben wirkt, als sei es mit Geschwüren übersät, das Unheimlichste ist die Stille.

Das Summen ist verschwunden.

Man erinnert sich an das Summen.

Sofern man nicht auf einem Berggipfel aufgewachsen ist oder sein ganzes Leben in einer Höhle verbracht hat, war man immer von dem Summen umgeben. So war das Leben. Es war das Meer, in dem wir schwammen. Die unablässigen Geräusche all der Dinge, die wir erschaffen haben, um uns das Leben einfacher und ein bisschen weniger langweilig zu machen. Das mechanische Lied. Die elektronische Symphonie. Das Summen von all unseren Dingen und von uns allen – weg.

So muss die Erde geklungen haben, bevor wir sie eroberten.

Spätabends in meinem Zelt bilde ich mir manchmal ein, die Sterne am Himmel kratzen hören zu können. So still ist es. Nach einer Weile kann ich es kaum noch ertragen und würde am liebsten aus vollem Hals schreien. Ich möchte singen, brüllen, mit den Füßen aufstampfen, in die Hände klatschen, alles tun, um meine Anwesenheit kundzutun. Was ich zu dem Soldaten gesagt hatte, waren die einzigen Worte, die ich seit Wochen ausgesprochen habe.

Das Summen verstummte am zehnten Tag nach der Ankunft. Ich saß in der dritten Unterrichtsstunde und tippte eine SMS an Lizbeth – die letzte, die ich jemals verschicken werde. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie sie lautete.

Elf Uhr vormittags. Ein warmer, sonniger Vorfrühlingstag. Ein Tag, um zu kritzeln und zu träumen und sich zu wünschen, man säße irgendwo, nur nicht in Ms Paulsons Infinitesimalrechnungsunterricht.

Die Erste Welle rollte ohne großes Trara heran. Ohne Dramatik. Ohne Schock und Schrecken.

Das Licht erlosch.

Ms Paulsons Overheadprojektor ging aus.

Das Display meines Handys wurde schwarz.

Im hinteren Teil des Klassenzimmers kreischte jemand. Typisch. Ganz egal, zu welcher Tageszeit es passiert – der Strom fällt aus, und irgendjemand schreit, als würde das Gebäude einstürzen.

Ms Paulson forderte uns auf, auf unseren Plätzen sitzen zu bleiben. Das ist das andere, was Leute tun, wenn der Strom ausfällt. Sie springen auf, um … Um was zu tun? Seltsam. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, Strom zu haben, dass wir nicht wissen, was wir tun sollen, wenn er ausfällt. Deshalb springen wir auf oder kreischen oder quasseln wie Idioten. Wir geraten in Panik, als hätte uns jemand den Sauerstoff abgedreht. Die Ankunft hatte das Ganze allerdings noch verschlimmert. Zehn Tage lang auf glühenden Kohlen zu sitzen und darauf zu warten, dass etwas passiert, während nichts passiert, macht einen nervös.

Deshalb rasteten wir ein wenig mehr aus als sonst, als sie uns den Stecker herauszogen.

Alle fingen gleichzeitig an zu reden. Als ich verkündete, dass mein Telefon tot sei, holten alle ihr totes Telefon hervor. Neal Croskey, der ganz hinten saß und auf seinem iPod Musik hörte, während Ms Paulson unterrichtete, zog seine Ohrstöpsel heraus und fragte sich laut, weshalb er nichts mehr hörte.

Nachdem einem der Stecker herausgezogen wurde und man in Panik geraten ist, rennt man zum nächsten Fenster, ohne wirklich zu wissen, warum. Vermutlich liegt es an diesem »Lieber sehen, was los ist«-Gefühl. Die Welt funktioniert von außen nach innen. Deshalb schaut man nach draußen, wenn das Licht ausgeht.