Die Gabe der Könige - Robin Hobb - E-Book
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Die Gabe der Könige E-Book

Robin Hobb

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Beschreibung

Er dient seinem König bis in den Tod – ein Meisterwerk voll Magie, Spannung und Emotionen.

Fitz ist ein Bastard, der Sohn eines Prinzen und eines Bauernmädchens. Doch schon in jungen Jahren nimmt ihn der König in seine Dienste. Noch ahnt Fitz nicht, was er für seine Treue aufgeben muss – seine Ehre, seine Liebe, sogar sein Leben! Denn die Intrigen bei Hofe sind mannigfaltig, und Fitz kann seine Augen nicht vor dem drohenden Unheil verschließen, das dem Reich droht. Doch da befiehlt ihm der König, genau das zu tun. Fitz muss sich entscheiden: Wird er gehorchen oder seinem eigenen Gewissen folgen?

Dieses Buch ist bereits unter dem Titel »Der Adept des Assassinen« im Bastei-Lübbe Verlag erschienen und unter dem Titel »Der Weitseher« im Heyne Verlag

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Buch

Fitz ist ein Bastard, der Sohn eines Prinzen und eines Bauernmädchens. Doch schon in jungen Jahren nimmt ihn der König in seine Dienste. Noch ahnt Fitz nicht, was er für seine Treue aufgeben muss – seine Ehre, seine Liebe, sogar sein Leben! Denn die Intrigen bei Hofe sind mannigfaltig, und Fitz kann seine Augen nicht vor dem drohenden Unheil verschließen, das dem Reich droht. Doch da befiehlt ihm der König, genau das zu tun. Fitz muss sich entscheiden: Wird er gehorchen oder seinem eigenen Gewissen folgen?

Autorin

Robin Hobb wurde in Kalifornien geboren, zog jedoch mit neun Jahren nach Alaska. Nach ihrer Hochzeit zog sie mit ihrem Mann nach Kodiak, einer kleinen Insel an der Küste Alaskas. Im selben Jahr veröffentlichte sie ihre erste Kurzgeschichte. Seither war sie mit ihren Storys an zahlreichen preisgekrönten Anthologien beteiligt. Mit Die Gabe der Könige, dem Auftakt ihrer Serie um Fitz Chivalric Weitseher, gelang ihr der Durchbruch auf dem internationalen Fantasy-Markt. Ihre Bücher wurden seither millionenfach verkauft. Robin Hobb hat vier Kinder und lebt heute in Tacoma, Washington.

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet und www.instagram.com/blanvalet.verlag.

Robin Hobb

Die Gabe der Könige

Die Chronik der Weitseher 1

Roman

Deutsch von Eva Bauche-Eppers

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.
Die Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel »Assassin’s Apprentice« bei Spectra, New York.
Dieses Buch ist bereits unter dem Titel »Der Adept des Assassinen« im Bastei-Lübbe Verlag erschienen und unter dem Titel »Der Weitseher« im Heyne Verlag.
Copyright der Originalausgabe © 1995 by Robin Hobb Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2017 by Penhaligon in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Alexander Groß Covergestaltung und -illustration: © Isabelle Hirtz, Inkcraft Karte: © Andreas Hancock HK · Herstellung: sam Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München
ISBN 978-3-641-17762-1V003 V002
www.penhaligon.de

Für Giles

und im Gedenken anRalph den OrangefarbenenundFreddie PumaPrinzen unter den AssassinenundKater ohne Fehl und Tadel

Kapitel 1

DIE ANFÄNGE

Eine Chronik der Sechs Provinzen ist notwendigerweise auch eine Chronik ihres Herrschergeschlechts, der Weitseher. Eine vollständige Aufzeichnung würde bis in die Zeit vor der Gründung des ersten Herzogtums zurückreichen und von Fernholmern berichten, die als Piraten zu diesen Gestaden gelangten und sie einladender fanden als die eisigen Küsten der Fernen Inseln, woher sie kamen. Jedoch sind die Namen jener frühesten Vorfahren in Vergessenheit geraten.

Wie auch von dem ersten wirklichen König kaum mehr als sein Name und einige fantasievoll ausgeschmückte Sagen künden. Als Nehmer steht er in den Annalen verzeichnet, schlicht und einfach, und vielleicht begann damit die Tradition, dass den Töchtern und Söhnen seines Geschlechts Namen gegeben wurden, die ihr Leben und ihren Charakter prägen sollten. Der Volksglaube behauptet, bei der Namensgebung sei Magie im Spiel, und diese Sprösslinge königlichen Blutes könnten ein Leben lang nicht wider die Tugend handeln, nach der sie benannt waren. Durch Feuer getragen, in Salzwasser getaucht und dem freien Wind dargeboten – so wurden die Kinder mit ihrem Namen verbunden. Erzählt man. Ein hübscher Glaube, und es mag sein, dass es einst ein solches Ritual gab, aber die Geschichte zeigt, dass es nicht immer genügt hat, um ein Kind der Tugend zu verpflichten, auf die es getauft war …

Die Feder entgleitet meinen knorrigen Fingern und hinterlässt eine geschlängelte Linie auf Fedwrens Papier. Ein weiterer Bogen des kostbaren Materials einem, wie ich befürchte, sinnlosen Unterfangen geopfert. Ich frage mich, ob ich diese Chronik schreiben kann oder ob jede Seite insgeheim von einer Bitterkeit getränkt sein wird, die ich längst überwunden glaubte. Zwar halte ich mich für befreit von dem Groll, doch sobald ich die Feder ansetze, blutet mit der Meerestinte der Schmerz eines Knaben auf das Papier, bis mir jeder sorgfältig gemalte schwarze Buchstabe wie Schorf eine alte, purpurne Wunde zu verdecken scheint.

Sowohl Fedwren als auch Philia legten so große Begeisterung an den Tag, wann immer das Thema einer geschriebenen Geschichte der Sechs Provinzen zur Sprache kam, dass ich mir einredete, die Verfassung einer solchen wäre ein lohnendes Unterfangen. Ich sagte mir, die Arbeit würde mich von meinem Schmerz ablenken und dazu beitragen, dass die Zeit schneller verginge. Doch jedes historische Ereignis, mit dem ich mich befasse, erweckt unfehlbar meine dunklen Erinnerungen von Einsamkeit und Verlust. Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl, als entweder diese Arbeit ganz aufzugeben oder mich den Erinnerungen an all das auszuliefern, was mich zu dem gemacht hat, der ich bin. Unschlüssig beginne ich wieder und wieder von neuem, nur um jedes Mal festzustellen, dass ich von meinen eigenen, statt den Anfängen dieses Landes berichte. Ich weiß nicht einmal, wem ich mich zu offenbaren versuche. Mein Leben ist ein Netz von Geheimnissen gewesen; Geheimnissen, die selbst jetzt noch besser im Dunkeln blieben. Soll ich sie alle dem geduldigen Papier anvertrauen, auf dass daraus Feuer und Asche entstehen? Vielleicht.

Mein Blick in die Vergangenheit reicht bis zu meinem sechsten Lebensjahr zurück. Davor ist nichts, eine absolute Leere, die keine Anstrengung meines Bewusstseins je zu füllen vermochte – als hätte ich erst an jenem Tag in Mondesauge zu existieren begonnen. Doch zu dem Zeitpunkt setzt die Erinnerung schlagartig ein, mit einer Schärfe und Deutlichkeit, die mich überwältigen, aber auch Zweifel wecken an ihrer Glaubwürdigkeit. Entstammen die Bilder meinem eigenen Gedächtnis oder den dutzendfachen Wiederholungen aus dem Mund von Mägden, Küchenjungen und Stallburschen, die sich gegenseitig meine Anwesenheit erklärten? Vielleicht habe ich die Geschichte so oft gehört und von so vielen Seiten, dass ich sie für meinen ureigenen Besitz halte. Lassen sich die vielen Einzelheiten dadurch erklären, dass ein Junge von sechs Jahren mit offenen Augen und Ohren alles ringsum in sich aufgenommen hat? Oder ist die Präzision der Erinnerungen eine Auswirkung der Gabe und der späteren Drogen, die ein Mann nimmt, um seine Sucht zu beherrschen, und die ihrerseits Schmerzen und Abhängigkeiten erzeugen? Letzteres ist durchaus möglich, sogar wahrscheinlich. Aber ich hoffe, es verhält sich nicht so.

Die Erinnerungen sind beinahe körperlich: das frostige Grau des zu Ende gehenden Tages, der schneidende Wind, der meine Kleidung durchdrang, das nassglänzende Kopfsteinpflaster der Straßen in der fremden Stadt, selbst die hornige Rauheit der großen Hand, die meine kleine umfasst hielt. Wenn ich über den Griff dieser Hand nachdenke, so war er nicht grob, nicht unduldsam. Nur fest. Er ließ mich nicht auf dem glatten Pflaster ausrutschen, ließ mich aber auch spüren, dass es kein Entkommen gab. Er war unerbittlich wie der kalte Regen, der den zertrampelten Schnee auf dem Kiesweg vor dem Portal des festungsähnlichen Gebäudes mitten in der Stadt mit einer glitzernden Eisschicht überzog.

Das Portal war hoch, nicht nur für einen Knirps von sechs Jahren, sondern wie für ein Geschlecht von Riesen gemacht, sodass selbst der hagere alte Mann, der mich weit überragte, davor klein wirkte. Und es kam mir fremd vor, obwohl ich keine Vorstellung davon habe, welche Art von Eingang oder Behausung mir damals vertraut gewesen wäre. Ich weiß nur, diese eisenbeschlagene Flügeltür, geschnitzt und verziert mit dem Kopf eines Hirschbocks und einem Klopfer aus Messing, gehörte zu Dingen außerhalb meines Erfahrungsbereichs. Graupel und Schneematsch hatten meine Kleidung durchnässt, auch die Schuhe. Dennoch kann ich mich an keinen weiten Fußmarsch durch diese letzten Unbilden des Winters entsinnen, oder dass mich jemand getragen hätte. Nein, hier fängt alles an, vor den Türen der Stadtfestung, meine Kinderhand gefangen in der des großen Mannes.

Fast mutet es an wie der Beginn zu einem Puppenspiel. Ja, so kann ich es sehen. Der Vorhang teilte sich, und da standen wir vor dem Portal. Der alte Mann hob den Messingklopfer und ließ ihn fallen, einmal, zweimal, dreimal. Wie zur Antwort ertönte eine Stimme, aber nicht aus dem Inneren des Hauses, sondern hinter uns, aus der Richtung, aus der wir gekommen waren. »Vater, bitte«, sagte die Frauenstimme flehend. Ich drehte mich nach ihr um, doch es schneite wieder, ein feines, pulvriges Geriesel, das an Wimpern und Mantelärmeln haften blieb. Gesehen habe ich niemanden, jedenfalls taucht in meiner Erinnerung kein Gesicht auf. Auch machte ich keinen Versuch, mich loszureißen, noch rief ich: »Mutter, Mutter!« Wie ein Zuschauer stand ich da, lauschte dem Klang schwerer Schritte im Haus und der Entriegelung der Tür.

Ein letztes Mal rief sie. Ich habe die Worte noch im Ohr, die Verzweiflung in einer Stimme, die sich für mich heute jung anhören würde. »Vater, bitte, habt Erbarmen!« Die Männerhand, welche die meine hielt, verkrampfte sich, ob vor Zorn oder aus einem anderen Gefühl heraus, vermag ich nicht zu sagen. Behände, wie eine Krähe ein zu Boden gefallenes Stück Brot aufpickt, bückte sich der alte Mann, schnappte sich einen gefrorenen Schneebrocken und warf ihn in Richtung der Stimme – ohne jede Warnung und mit solcher Kraft und Erbitterung, dass ich mich ängstlich duckte. Ich erinnere mich an keinen Schrei und an kein Geräusch eines getroffenen Körpers. Nur daran, wie die Türflügel nach außen schwangen, sodass der alte Mann gezwungen war, hastig einen Schritt zurückzutreten, während er mich hinter sich herzog.

Und da war noch etwas. Der Mann, der die Tür öffnete, war nicht etwa ein Dienstbote, wie er mir in meiner Vorstellung vorschwebte, als hätte ich die Geschichte nur erzählt bekommen. Nein, vor meinem inneren Auge sehe ich einen bewaffneten Wächter, einen Krieger, der in Ehren ergraut und etwas zu füllig um die Leibesmitte war, aber nichts mit einem wohlgesitteten Diener zu tun hatte. Er musterte uns beide, den alten Mann und mich, mit dem routinierten Argwohn des Veteranen und wartete dann schweigend ab, dass wir unser Anliegen vorbrachten.

Ich glaube, dieser Empfang verwirrte den alten Mann etwas und erregte seinen Unmut, denn plötzlich ließ er meine Hand los, packte mich stattdessen am Kragen und schwenkte mich nach vorn, als wäre ich ein Welpe, den er einem möglichen neuen Eigentümer zur Begutachtung präsentierte. »Ich bringe euch den Jungen«, sagte er mit rauer Stimme.

Und als der Türhüter ihn weiter nur anschaute, kommentarlos, ohne den geringsten Anflug von Interesse, holte er zu einer längeren Erklärung aus. »Ich habe ihn sechs Jahre lang unter meinem Dach beherbergt, und nie ein Wort von seinem Vater, kein roter Heller, kein Besuch, obwohl meine Tochter mir zu verstehen gegeben hat, er wüsste von dem kleinen Bastard. Ich werde ihn nicht länger durchfüttern und mir nicht am Pflug den Rücken krumm schuften, um ihn zu kleiden. Soll für ihn sorgen, wer ihn gezeugt hat. Es fehlt ohnehin an allen Ecken und Enden, wo mein Weib in die Jahre kommt, und dazu liegt mir die Mutter von diesem hier auf der Tasche. Kein Mann will sie mehr haben, keiner, erst recht nicht, solange der Bengel ihr an der Schürze hängt. Also nehmt ihn und bringt ihn seinem Vater.« Damit ließ er mich so unvermittelt los, dass ich dem Soldaten vor die Füße plumpste. Ich setzte mich auf – soweit ich mich erinnern kann, hatte ich mir nicht wehgetan – und wartete, wie es weitergehen mochte.

Der Wächter betrachtete mich mit vorgeschobener Unterlippe, nicht missbilligend, sondern noch im Zweifel, wie er mich einordnen sollte. »Wessen Spross?«, fragte er im Ton eines Mannes, der Informationen einholt, um einem Vorgesetzten möglichst genau Bericht erstatten zu können.

»Chivalrics«, antwortete der alte Mann, der mir bereits den Rücken zugewandt hatte und sich anschickte, den Kiesweg hinunter zur Straße zu gehen. »Prinz Chivalric«, fügte er hinzu, ohne sich noch einmal umzudrehen. »Der König-zur-Rechten. Er hat ihn gezeugt. Soll er ihn großziehen und froh sein, dass er sich einer Frucht seiner Lenden rühmen kann, wenn auch nicht vom rechten Stamm.«

Der Wächter blickte dem alten Mann hinterher, dann bückte er sich wortlos und zog mich am Kragen zur Seite, damit er die Tür schließen konnte. Nachdem er den Riegel vorgeschoben hatte, stand er da und schaute auf mich hinunter. Es war weniger Verwunderung, die sich in seinen Gesichtszügen abzeichnete, sondern eher die stoische Bereitschaft des Soldaten, sich auch mit den befremdlichen Aspekten seines Dienstes zurechtzufinden. »Steh auf, Junge, und setz dich in Bewegung«, forderte er mich schließlich auf.

Gehorsam folgte ich ihm einen dunklen Korridor entlang, vorbei an karg möblierten Gemächern mit gegen die Winterkälte verbarrikadierten Fenstern, bis wir zu einer weiteren Flucht geschlossener Türen kamen, diese aus wertvollem, glänzendem Holz und mit Schnitzereien verziert. Dort blieb mein Führer stehen und überprüfte kurz den Sitz seiner Uniform. Ich erinnere mich gut, wie er vor mir niederkniete, um mein Hemd zu richten und mir das Haar glattzustreichen – doch ob aus Gutherzigkeit, damit ich einen guten Eindruck machte, oder ob es ihm nur darauf ankam, dass sein Bündel ordentlich aussah, werde ich nie erfahren. Er stand auf und klopfte an, öffnete, ohne ein Herein abzuwarten, schob mich vor sich her ins Zimmer und schloss hinter seinem Rücken die Tür.

Das Gemach, in dem ich mich wiederfand, war so warm wie der Gang draußen kalt und so offensichtlich bewohnt wie die übrigen Räume verlassen. Ich entsinne mich an Unmengen von Möbelstücken, Teppichen und Wandbehängen, an Regale, vollgestopft mit Schreibtafeln und Schriftrollen, alles überlagert von einer Atmosphäre anheimelnder Unordnung. Ein Feuer prasselte in dem riesigen Kamin und verbreitete außer Hitze einen aromatisch-harzigen Geruch. Im rechten Winkel zum Kamin stand ein wuchtiger Schreibtisch, und der Mann dahinter beugte sich mit gerunzelter Stirn über einen Stapel Papiere, die auf der Platte ausgebreitet lagen. Er blickte nicht gleich auf, deshalb hatte ich ausführlich Gelegenheit, seinen wirren Schopf schwarzer Haare zu betrachten.

Als er den Kopf hob, erfasste er mit einem Blick seiner dunklen Augen sowohl mich als auch seinen Gefolgsmann. »Nun, Jason?«, fragte er, und trotz meiner Jugend spürte ich, dass er sich resigniert in eine unerfreuliche Störung fügte. »Was hat das zu bedeuten?«

Der Wächter beförderte mich mit einem sachten Schubs einen weiteren Schritt nach vorn. »Mit Verlaub, Prinz Veritas, ein alter Landmann hat den Jungen gebracht. Er behauptet, er wäre Prinz Chivalrics Bastard, Hoheit.«

Einen Moment lang musterte mich der vielbeschäftigte Mann hinter dem Schreibtisch verständnislos, dann legte sich so etwas wie ein belustigtes Lächeln über seine Züge. Er stand auf, trat vor mich hin und stützte die Fäuste in die Hüften. Ich fühlte mich von seiner Musterung nicht eingeschüchtert, vielmehr hatte es den Anschein, als ob irgendetwas an meinem Äußeren ihm ungemeines Vergnügen bereitete. Neugierig schaute ich zu ihm auf. Er trug einen kurzen schwarzen Bart, ebenso dicht und zerzaust wie sein Haupthaar, die Wangen darüber waren wettergegerbt, und die buschigen Brauen hatte er angehoben. Sein Hemd spannte sich über dem mächtigen Brustkorb und den ausladenden Schultern, seine Fäuste waren klobig und sahen aus, als scheuten sie vor derber Arbeit nicht zurück. Umso auffälliger die Tintenflecken an den Fingern seiner rechten Hand. Während er mich anstarrte, wurde sein Lächeln allmählich breiter, bis er schließlich ein schnaufendes Lachen ausstieß.

»Verdammt will ich sein«, sagte er. »Das Bürschchen ist Chiv wie aus dem Gesicht geschnitten, stimmt’s? Fruchtbare Eda! Wer hätte das gedacht von meinem so erlauchten und tugendsamen Bruder?«

Der Wächter gab weder eine Antwort, noch hätte man eine solche von ihm erwartet. Er hatte Haltung angenommen und harrte der nächsten Befehle. Soldat durch und durch.

Der andere Mann – Prinz Veritas – schien sich an seinem plötzlich aufgetauchten Neffen nicht sattsehen zu können. »Wie alt?«, wollte er wissen.

»Der Landmann sagt, sechs Jahre.« Der Wächter machte Anstalten, sich am Kinn zu kratzen, dann fiel ihm wieder ein, dass er im Dienst war, und er ließ die Hand sinken. »Hoheit«, fügte er hinzu.

Der Prinz schien den Lapsus nicht bemerkt zu haben. Seine schwarzen Augen wanderten über meine Gestalt, und das Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen. »Rechnen wir noch ein Jahr hinzu, derweil sie die süße Last unter dem Herzen getragen hat. Verflucht. Ja. Das war das erste Jahr, als die Chyurda versuchten, den Pass zu besetzen. Chivalric war drei, vier Monate da oben, um ihnen gut zuzureden, damit sie uns den Weg öffnen. Anscheinend war es nicht der einzige Weg, der sich ihm durch sein Zureden geöffnet hat. Teufel auch! Wer hätte das von ihm gedacht?« Er verstummte kopfschüttelnd. »Wer ist die Mutter?«, fragte er dann plötzlich.

Der Wächter trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Das weiß ich nicht, Hoheit. Da war niemand als der alte Landmann, und er sagte nur, das wäre Chivalrics kleiner Bastard, und er hätte keine Lust mehr, ihn durchzufüttern und zu kleiden. Der ihn gezeugt hätte, sollte auch für ihn sorgen, das waren seine Worte.«

Der Prinz tat die unergiebige Auskunft mit einem Schulterzucken ab. »Der Junge sieht gut gepflegt aus. Eine Woche, höchstens zwei, bis die Hündin winselnd an der Küchentür steht, weil sie ihren kleinen Welpen vermisst. Dann spätestens werde ich es herausfinden, wenn nicht schon vorher. Nun, Bürschchen, wie ruft man dich?«

Sein Lederkoffer hatte eine prächtig gearbeitete Schließe in Form des Kopfes eines Hirsches. Sie schimmerte messinggelb, dann golden, dann rot, je nachdem, welches Licht der Feuerschein auf sie warf. »Junge«, antwortete ich. Ich weiß nicht, ob ich nachplapperte, wie er und der Wächter mich genannt hatten, oder ob ich wirklich außer dieser Bezeichnung keinen Namen besaß. Der Prinz stutzte, und ein beinahe mitleidsvoller Ausdruck huschte über seine Züge. Doch ebenso schnell war der Schatten verflogen, und nur ein leichtes Unbehagen blieb zurück. Er blickte wieder auf die Karte, die er bei unserem Eintreten so begierig studiert hatte.

»Nun ja«, bemerkte er in die Stille hinein, »irgendetwas müssen wir mit ihm anfangen, wenigstens bis Chiv zurückkehrt. Jason, sieh zu, dass der Junge fürs Erste ein Abendessen und ein Nachtlager bekommt. Morgen werde ich mir überlegen, was mit ihm werden soll. Wir können nicht zulassen, dass königliche Bastarde in der Gegend herumstreunen.«

»Zu Befehl, Hoheit«, sagte Jason. Zu solchen Dingen eine Meinung zu haben war nicht Sache eines einfachen Soldaten. Er packte mich mit seiner schweren Hand an der Schulter und setzte mich Richtung Tür in Bewegung. Ich gehorchte nur widerstrebend, denn das Zimmer war hell und behaglich. Meine kalten Füße hatten angefangen zu kribbeln, und ich wusste, nur noch eine kleine Weile, und mir wäre schön warm. Aber die Hand des Soldaten bugsierte mich unerbittlich aus dem freundlichen Gemach zurück in das klamme Halbdunkel der tristen Korridore.

Sie kamen mir nach der Wärme und dem Licht umso düsterer vor und endlos, während ich mit meinem Führer Schritt zu halten versuchte. Entweder entschlüpfte mir dann ein Klagelaut, oder er verlor die Geduld, denn unvermittelt fuhr er herum, packte mich und schwang mich in die Höhe, als hätte ich kein Gewicht. »Ein rechter Unglückswurm bist du«, bemerkte er ohne Groll, und dann ritt ich auf seiner Schulter die Korridore entlang, Treppen hinauf und hinunter bis in die sattgelbe Helligkeit und Geräumigkeit einer großen Küche.

Dort saß essend und trinkend ein halbes Dutzend seiner Kameraden, die sich auf Bänken an einem langen, verschrammten Tisch vor einem Feuer niedergelassen hatten, das doppelt so groß war wie jenes im Arbeitszimmer des Prinzen. Eine Wolke von Gerüchen schlug mir entgegen: Koch- und Bierdunst, Männerschweiß, feuchte Wolle, Holzrauch und verbranntes Fett. An den Wänden reihten sich große und kleine Fässer, Räucherschinken hingen wie dunkle Schatten unter den Holzsparren der Decke. Der Tisch war übersät mit Tellern und Schüsseln. Ein gewaltiger Braten wurde aus der Reichweite der Flammen geschwenkt, und Fleischsaft tropfte auf die steinerne Herdeinfassung. Bei dem würzigen Duft krampfte sich mir der Magen zusammen. Jason hob mich von der Schulter und setzte mich ohne viel Federlesens auf die dem Feuer nächste Ecke der Tischplatte, dicht neben dem Ellbogen eines Mannes, dessen Gesicht hinter einem Bierkrug verborgen war.

»Hier, Burrich«, sagte er in sachlichem Ton. »Dieser Welpe ist von nun an dein Schützling.« Er wandte sich von mir ab. Ich beobachtete aufmerksam, wie er von einem dunklen Brotlaib ein faustgroßes Stück abbrach und dann sein Messer zog, um einen Keil aus einem Rad Käse zu schneiden. Er drückte mir beides in die Hände, bevor er zum Feuer trat und anfing, eine stattliche Portion von dem Braten herunterzusäbeln. Ich ließ mich nicht erst bitten und nahm Brot und Käse in Angriff. Der mit Burrich angesprochene Mann neben mir setzte den Krug ab und schaute Jason finster an.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte er und erinnerte dabei an den Mann in dem Zimmer mit dem großen Schreibtisch. Auch er hatte schwarzes, wildes Haar und einen ebensolchen Bart, aber sein Gesicht war schmal und kantig. Nach der dunklen Tönung seiner Haut zu urteilen hielt er sich viel im Freien auf. Seine Augen waren nicht schwarz, sondern braun, seine Hände sehnig und beweglich. Er roch nach Pferden und Hunden, Blut und Leder.

»Du sollst ihn in deine Obhut nehmen, Burrich. Prinz Veritas will es so.«

»Warum?«

»Du bist Chivalrics Mann, oder nicht? Sorgst für sein Ross, seine Hunde und seine Falken?«

»Und?«

»Und deshalb kannst du auch für seinen Abkömmling sorgen, wenigstens bis Chivalric zurückkehrt und etwas anderes bestimmt.« Jason hielt mir das Bratenstück hin. Ich sah von dem Brot in meiner rechten Hand zu dem Käse in meiner linken. Weder von dem einen noch von dem anderen mochte ich mich trennen, doch gleichzeitig lief mir beim Anblick des Fleisches das Wasser im Mund zusammen. Er hatte für mein Dilemma nur ein Schulterzucken übrig und warf mit dem praktischen Sinn des Kriegers das Fleisch neben mir auf den Tisch. Ich stopfte mir den Mund voll Brot und setzte mich so hin, dass ich meinen Schatz im Auge behalten konnte.

»Chivalrics Abkömmling?«

Jason nickte, während er sich selbst mit Brot, Fleisch und Käse versorgte. »Behauptet der alte Landmann, der ihn hergebracht hat.« Er schichtete Fleisch und Käse auf eine dicke Brotscheibe, nahm einen großen Bissen und fuhr mit vollem Mund fort: »Er sagte, er solle froh sein, dass er sich einer Frucht seiner Lenden rühmen könne, und sich von nun an gefälligst selbst um seinen Spross kümmern.«

Plötzlich setzte in der Küche ein angespanntes Schweigen ein. Die Männer hörten auf zu essen, und alle Augen richteten sich auf Burrich, der bedächtig seinen Humpen vom Rand zur Mitte der Tischplatte schob. Als er antwortete, sprach er leise und beherrscht. »Wenn mein Herr keinen Erben hat, ist es Edas Wille und nicht sein Unvermögen. Prinzessin Philia ist seit je von zarter Gesundheit und …«

»Ganz recht, ganz recht«, beeilte sich Jason zuzustimmen. »Und dort sitzt der lebende Beweis, dass es ihm als Mann an nichts gebricht – nur das habe ich gemeint.« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Prinz Chivalric wie aus dem Gesicht geschnitten, hat sein Bruder gerade vorhin noch gesagt. Es ist nicht die Schuld des Königs-zur-Rechten, wenn die Prinzessin Philia seinen Samen nicht austragen kann …«

Doch plötzlich hatte sich Burrich erhoben. Jason wich hastig ein, zwei Schritte zurück, bevor er merkte, dass Burrichs Interesse nicht ihm, sondern mir galt. Der fremde Mann griff nach meinen Schultern und drehte mich zum Feuer hin, dann umfasste er mein Kinn und hob es an, um mir ins Gesicht sehen zu können. Vor Schreck und Überraschung ließ ich Brot und Käse fallen. Er achtete nicht weiter darauf, sondern studierte meine Züge wie die Karte eines unbekannten Landes. Unsere Blicke trafen sich, und in seinen Augen flackerte eine Wildheit, als wäre das, was er in meinem Gesicht las, ein Schmerz, den ich ihm zufügte. Ich schrak zurück, aber seine Hand gab mich nicht frei. Also erwiderte ich seinen Blick mit so viel Trotz, wie ich aufzubringen vermochte, und sah, wie dann plötzlich eine Art widerwilliges Staunen seinen Unmut ablöste. Zu guter Letzt schloss er einen Atemzug lang die Augen, wie um einen heftigen Schmerz zu verbergen. »Dies ist etwas, das meiner Herrin Seelenstärke und die Wahrhaftigkeit ihres Namens bis aufs Äußerste herausfordern wird«, sagte er leise.

Er ließ mich los, bückte sich unbeholfen nach Käse und Brot, die mir aus den Händen gefallen waren, wischte die beiden Stücke ab und gab sie mir wieder. Ich starrte auf den dicken Verband an seinem rechten Bein, der ihn daran hinderte, das Knie zu beugen. Er kehrte an seinen Platz zurück, nahm eine Kanne vom Tisch und füllte damit seinen Krug. Während er trank, musterte er mich über den Rand des Kruges hinweg.

»Wer ist die Frau, die Chivalric geschwängert hat?«, erkundigte sich ein Unvorsichtiger am anderen Ende des Tisches.

Burrich setzte den Humpen ab und fasste den Mann ins Auge. Er ließ sich Zeit mit der Erwiderung, und ich spürte erneut das Gewicht dieses drückenden Schweigens. »Ich meine, das geht nur Prinz Chivalric etwas an und ist keine Sache, um sich in der Küche das Maul darüber zu zerreißen«, sagte er schließlich sanft.

»Ganz recht, ganz recht«, pflichtete ihm Jason hastig bei, während er wie ein balzender Vogel zustimmend nickte.

Jung wie ich war, fragte ich mich doch, was dies für ein Mann sein mochte, der die Macht besaß, trotz eines verletzten Beins einen Raum voll rauer Gesellen allein mit einem Blick oder einem Wort einzuschüchtern.

»Der Junge hat keinen Namen«, brach Jason den Bann. »Er heißt nur ›Junge‹.«

Auf diese Neuigkeit hin waren alle, selbst Burrich, um Worte verlegen. Die Stille dauerte an, während ich Brot, Käse und Fleisch vertilgte und mit ein, zwei Schlucken aus dem Humpen hinunterspülte, den Burrich mir reichte. Die übrigen Männer verließen nach und nach die Küche, in Gruppen zu zweien oder dreien, nur er blieb sitzen, trank und schaute mich an. »Nun«, sagte er nach einer geraumen Weile, »wie ich deinen Vater kenne, wird er die Verantwortung übernehmen und recht an dir handeln. Doch Eda allein weiß, was er glaubt, dass recht ist. Wahrscheinlich, was am meisten schmerzt.« Schweigend ließ er noch weitere Zeit verstreichen. »Satt geworden?«, fragte er schließlich. Als ich nickte, erhob er sich steifbeinig und stellte mich auf den Boden. »Dann komm mal mit, Fitz«, sagte er und benutzte damit den Begriff für einen königlichen Bastard. Er führte mich aus der Küche hinaus in einen anderen Korridor. Wegen des steifen Beins war sein Gang unbeholfen, aber vielleicht lag es auch am Bier. Jedenfalls bereitete es mir keine Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Wir gelangten zu einer Pforte und einem Wachposten, der uns mit einer Kopfbewegung hindurchwinkte, nicht ohne mich eindringlich gemustert zu haben.

Draußen wehte ein kalter Wind. Eis und Schnee, die untertags zu schmelzen begonnen hatten, gewannen mit Einbruch der Nacht ihre kristalline Schärfe zurück. Der gefrorene Boden knirschte unter meinen Schritten, und der Wind schien jede winzige Öffnung an meiner Kleidung zu finden. Schuhe und Hose waren vom Herdfeuer zwar durchgewärmt, aber noch nicht ganz trocken geworden, weshalb mich sofort wieder die Kälte durchdrang. Ich erinnere mich an Dunkelheit und die plötzliche Erschöpfung, die mich überfiel, eine schreckliche, weinerliche Müdigkeit, sodass ich mit bleischweren Gliedern hinter dem fremden Mann mit dem verbundenen Bein über den winterlichen, stockfinsteren Hof stolperte. Hohe Mauern umgaben uns, die Posten auf den Wehrgängen verrieten ihre Anwesenheit nur dann, wenn beim Auf- und Abgehen ihre Silhouette die Sterne am Himmel verdeckte. Die stechende Kälte kroch mir in die Knochen, und ich rutschte und schlitterte auf dem vereisten Pfad. Doch etwas an Burrich hielt mich davon ab, zu jammern oder ihn um Hilfe zu bitten. Stattdessen folgte ich ihm mit zusammengebissenen Zähnen. Wir erreichten ein Gebäude, und er zog eine schwere Tür auf.

Wärme und die Ausdünstungen von Tieren und ein mattgelbes Licht strömten heraus. Ein verschlafener Stallbursche richtete sich aus seinem Strohnest auf und blinzelte wie ein zerzauster junger Vogel. Auf ein Wort von Burrich legte er sich wieder hin, rollte sich zusammen und schloss die Augen. Wir gingen an ihm vorbei, nachdem Burrich die Tür zugedrückt und die nur noch leicht flackernde Laterne vom Haken genommen hatte.

Ich folgte ihrem unsteten Schein in eine fremde nächtliche Welt, in der Pferde sich in ihren Boxen bewegten und Hunde den Kopf von den gekreuzten Vorderpfoten hoben, um mich aus ihren grün oder gelb fluoreszierenden Augen anzusehen.

»Die Falken sind am anderen Ende«, erklärte Burrich, und ich akzeptierte diese Mitteilung als etwas, das ich wohl wissen sollte. »Da wären wir.« Er blieb stehen. »Das wird genügen. Fürs Erste jedenfalls. Hol mich der Teufel, wenn mir einfällt, was ich sonst mit dir anfangen soll. Wenn nicht Prinzessin Philia wäre, würde ich denken, dies hier wäre ein gelungener Streich, den das Schicksal Chivalric spielt. He, Naseweis, mach dem Jungen hier Platz im Stroh. So ist es recht, leg dich zu der guten alten Hexe. Sie wird dich unter ihren Schutz nehmen und jeden eines Besseren belehren, der dir Böses will.«

Wir hatten vor einer geräumigen Box haltgemacht, Schlafplatz von drei Hunden. Sie waren aufgewacht, und beim Klang von Burrichs Stimme klopften die peitschendünnen Schwänze das Stroh. Ich wagte mich zaghaft ein paar Schritte vor und suchte mir einen Platz neben einer alten Hündin mit ergrauter Schnauze und einem zerfledderten Ohr. Der Rüde begutachtete mich argwöhnisch, aber der dritte im Bunde war ein halbwüchsiger Welpe, Naseweis, der mich begeistert willkommen hieß. Ich nahm ihn in den Arm, um seinen Überschwang zu dämpfen, und kuschelte mich dann zwischen die warmen Tierleiber, wie Burrich es mir geraten hatte. Er warf eine Decke über mich, die streng nach Pferd roch. Ein mächtiger Grauschimmel in der Nachbarbox stampfte plötzlich mit den Hufen und hängte den Kopf über die Trennwand, um zu sehen, was die Störung der Nachtruhe zu bedeuten hatte. Burrich streichelte ihm geistesabwesend über die schnobernde Nase.

»Wir alle müssen uns in diesem Außenposten behelfen, so gut es geht. Du wirst feststellen, dass Bocksburg ein gastlicherer Ort ist. Doch für heute Nacht bist du hier sicher und hast es warm.« Er sah auf uns herab. »Ross, Hunde und Falken, Chivalric. Diese alle habe ich viele Jahre lang für dich gehütet und gut gehütet. Aber was ich mit den Folgen deines Seitensprungs, dem kleinen Bastard hier, tun soll, ist mir noch ein Rätsel.«

Seine Worte waren nicht an mich gerichtet. Ich beobachtete ihn über den Rand der Decke hinweg, während er die Laterne vom Haken nahm, sich entfernte und dabei in ein halblautes Selbstgespräch vertieft war. An diese erste Nacht erinnere ich mich genau: an die Wärme der Hunde, das knisternde Stroh und sogar den Schlaf, der mich zu guter Letzt überkam, als der Welpe sich zutraulich an mich schmiegte. Ich verschmolz mit seinem Bewusstsein und teilte seine verschwommenen Träume von einer endlosen Hatz, auf der Fährte einer Beute, die ich nie zu Gesicht bekam, deren frische Witterung mich aber unwiderstehlich weiterlockte, durch Nesseln und Dornen, über Stock und Stein.

Mit dem Traum des Hundes verwischen sich auch die scharfen Umrisse meiner Erinnerung. Die Tage, die jener ersten Nacht folgten, sind meinem Gedächtnis nur weit undeutlicher bewahrt geblieben. Ich entsinne mich an den ständigen Regen, während meine Füße sich mit dem Weg zwischen Stall und Küche vertraut machten. Manchmal traf ich den Koch, der mit seinen Töpfen hantierte oder Brotteig knetete oder ein neues Fass anschlug. War er nicht da, bediente ich mich von dem, was auf dem Tisch stand, und teilte großzügig mit dem Welpen, der bald nicht mehr von meiner Seite wich. Männer kamen und gingen, aßen und tranken und betrachteten mich mit abschätzender Neugier, an die ich mich nach einiger Zeit gewöhnte. Sie sahen sich alle in gewisser Weise ähnlich, vielleicht wegen der gleichen wollenen Umhänge und Hosen, mit ihren muskulösen Körpern und geschmeidigen Bewegungen und dem Wappen, das jeder von ihnen über dem Herzen trug. Meine Anwesenheit verursachte einigen von ihnen Unbehagen. Ich gewöhnte mich auch an das Stimmengemurmel, das einsetzte, sobald ich die Küche verließ.

Burrich war mein Fixpunkt. Er ließ mir dieselbe Pflege angedeihen wie Chivalrics Tieren. Ich wurde gefüttert, getränkt, gestriegelt und erzogen, Letzteres dergestalt, dass ich hinter ihm dreintrottete, während er seinen Pflichten nachging. Aber diese Erinnerungen sind nur bruchstückhafte Einzelheiten. Ob und wie oft ich mich gewaschen oder die Kleider gewechselt habe, fand vermutlich keinen dauerhaften Halt im Gedächtnis eines Sechsjährigen, der solche Dinge als selbstverständlich annimmt. Sehr genau erinnere ich mich an meinen Hundefreund Naseweis. Sein kurzes Fell war rot und glatt, und wenn wir uns nachts die Pferdedecke teilten, stachen mich die borstigen Haare durch den Stoff meiner Kleider. Seine Augen waren grün wie Kupfererz, seine Nase hatte die Farbe gekochter Leber. Wenn wir uns nicht in der Küche den Bauch vollschlugen, balgten wir uns im Hof oder im Stroh unseres Nachtlagers. Das war mein Leben während meines Aufenthalts dort. Er kann nicht lange gedauert haben, denn ich erinnere mich nicht, dass das Wetter sich geändert hätte. Wenn ich an jene Tage zurückdenke, erinnere ich mich nur an Kälte und böigen Wind. An Schnee und Eis, die tagsüber aufweichten und in der Kälte des Nachtfrosts wieder erstarrten.

Ein Ereignis aus jener Zeit hat sich mir eingeprägt, allerdings blieb mir auch dieses nur in den unbestimmten, weichen Farben eines kunstvollen alten Wandteppichs in einem halbdunklen Zimmer im Gedächtnis. Ich erinnere mich, vom Zappeln des Welpen aufgewacht zu sein und vom Schein einer Laterne, die in die Box gehalten wurde. Zwei Männer beugten sich über mich, aber Burrich war bei ihnen, deshalb hatte ich keine Furcht.

»Jetzt habt ihr ihn aufgeweckt«, warnte einer, und es war Prinz Veritas, der Mann aus dem behaglich warmen Gemach meines ersten Abends.

»Na und? Sobald wir fort sind, wird er weiterschlafen. Verflucht sei er, er hat sogar seines Vaters Augen. Ich schwöre, ich hätte die Blutsverwandtschaft erkannt, wo immer wir uns begegnet wären. Zwecklos, sie leugnen zu wollen, jeder, der ihn sieht, wüsste sofort Bescheid. Doch hat denn keiner von euch auch nur einen Fingerhut voll Verstand? Bastard oder nicht, man steckt ein Kind nicht in den Stall zu den Tieren. Gab es keinen anderen Platz, um ihn unterzubringen?«

Der, der hier nun redete, hatte Veritas’ Augen und Kinnpartie, aber damit endete die Ähnlichkeit. Dieser Mann war erheblich jünger. Er trug keinen Bart, sein parfümiertes und frisiertes Haar war feiner und braun. Die Kälte hatte seine Wangen und seine Stirn gerötet, aber das war nur vorübergehend und nicht mit Veritas’ wettergegerbtem Gesicht vergleichbar. Außerdem kleidete sich Veritas, wie seine Männer gekleidet waren, in derben, haltbaren Wollstoff und gedeckte Farben. Nur das Wappen auf seiner Brust glänzte heller, mit Gold- und Silberfaden gestickt. Sein jüngerer Begleiter jedoch leuchtete in Scharlachrot und Schlüsselblumengelb, und mit dem Stoff seines wallenden Umhangs hätte man einen Menschen zweimal einkleiden können. Das Wams darunter war cremefarben und reich mit Spitzen besetzt. Das Tuch an seinem Hals wurde von einer Brosche gehalten, auf der ein springender Hirsch in Gold prangte, dessen grünes Edelsteinauge mich anfunkelte. Und seine kunstvolle Redeweise erschien filigran neben Veritas’ geradliniger Schlichtheit.

»Darüber habe ich nicht nachgedacht, Edel. Schließlich, was weiß ich von Kindern? Ich habe ihn in Burrichs Obhut gegeben. Er ist Chivalrics Mann und …«

»Es lag nicht in meiner Absicht, die königliche Familie zu beleidigen, Hoheit«, erklärte Burrich in aufrichtiger Verwirrung. »Ich bin Chivalrics Mann und habe für den Jungen gesorgt, so gut ich es verstehe. Ich hätte ihn ins Mannschaftsquartier stecken können, doch meine ich, er ist noch zu jung für die Gesellschaft solcher Männer, die Tag und Nacht kommen und gehen, sich ständig Reibereien liefern und trinken und lärmen.« Aus dem Tonfall seiner Worte sprach deutlich seine eigene Abneigung gegen diese Art von Gesellschaft. »Hier dagegen hat er seine Ruhe und in dem Welpen einen Spielgefährten. Und solange meine gute Hexe nachts über ihn wacht, ist nicht zu befürchten, dass ihm jemand ein Leid zufügt. Ihr Herren, ich weiß selbst nicht viel von Kindern, und deshalb …«

»Schon gut, Burrich, schon gut«, unterbrach ihn Veritas beschwichtigend. »An mir wäre es gewesen, sich darüber Gedanken zu machen. Stattdessen habe ich die Entscheidung dir überlassen, und wie die Dinge nun einmal stehen, finde ich nichts daran auszusetzen. Die meisten Kinder in diesem Ort haben es weniger gut, Eda weiß. Vorläufig wollen wir es lassen, wie es ist.«

»In Bocksburg werden wir andere Vorkehrungen treffen müssen.« Edel hörte sich nicht sehr erfreut an.

»Dann wünscht unser Vater, dass er mit uns nach Bocksburg zurückkehrt?« Die Frage kam von Veritas.

»Unser Vater wünscht es. Unsere Mutter nicht.«

»Oh.« Veritas’ Ton verriet, dass er kein Interesse daran hatte, dieses Thema zu diskutieren, aber sein jüngerer Bruder ließ sich davon nicht beirren.

»Meine Mutter, die Königin, ist über diese Angelegenheit wenig erfreut. Sie hat sich bemüht, auf den König einzuwirken, aber vergebens. Mutter und ich waren dafür, den Knaben zu … beseitigen. Weshalb das Problem der Erbfolge noch weiter komplizieren?«

»Ich wüsste nicht, was an der Erbfolge kompliziert wäre.« Veritas sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Chivalric, ich, danach du. Dann unser Vetter August. Dieser Bastard käme erst an fünfter Stelle.«

»Mir ist wohl bewusst, dass du vor mir kommst, du brauchst es mir nicht bei jeder Gelegenheit unter die Nase zu reiben«, bemerkte Edel frostig. Er bedachte mich mit einem finsteren Blick. »Ich bin nach wie vor der Meinung, es wäre klüger, kein Risiko einzugehen. Was, wenn Philia unserem Bruder keinen legitimen Erben schenkt? Was, wenn er sich entschließt, diesen Bastard anzuerkennen? Das könnte den Adel entscheidend beeinflussen. Weshalb sollten wir sehenden Auges Verwicklungen heraufbeschwören? Das sagen meine Mutter und ich. Doch unser Vater, der König, handelt niemals vorschnell, wie wir alle wissen. Der beste Denker ist, wer zweimal denkt, heißt es ja wohl im Volksmund. Er hat uns verboten, etwas zu unternehmen. ›Edel‹, sagte er in seiner unnachahmlichen Art, ›tu nichts, was du nicht ungeschehen machen kannst, ohne zu überlegen, was du nicht mehr tun kannst, nachdem du es getan hast.‹ Dann lachte er.« Worauf Edel selbst ein kurzes, bitteres Gelächter ausstieß. »Wie ermüdend ich doch seinen Humor finde.«

»Oh«, sagte Veritas erneut, während ich still dalag und mich fragte, ob er versuchte, aus den Worten des Königs klug zu werden, oder einfach nicht willens war, auf die Kritik seines Bruders einzugehen.

»Seinen wirklichen Beweggrund kann man natürlich mit den Händen greifen«, sprach Edel weiter.

»Tatsächlich?«

»Chivalric ist immer noch sein Favorit.« Edel setzte eine gequälte Miene auf. »Trotz allem. Trotz seiner unvernünftigen Heirat und seiner exzentrischen Frau. Trotz dieses Dilemmas. Und jetzt denkt er, dieser wer weiß was für einer Liebschaft entsprungene Sohn wird ihm die Sympathie des Volkes einbringen. Wird die Zweifel an seiner Männlichkeit ausräumen und beweisen, dass Chivalric imstande ist, einen Erben zu zeugen. Oder aber beweisen, dass er ein Mensch ist und fehlbar, wie sie alle.« Edels Tonfall verriet, dass er mit keinem dieser Punkte übereinstimmte.

»Und das soll ihn beim Volk beliebter machen und ihn als zukünftigen König geeigneter erscheinen lassen? Dass er irgendein unbesonnenes Mädchen geschwängert hat, bevor er sich mit Prinzessin Philia vermählte?« Veritas schien der Logik dieser Argumentation nicht ganz folgen zu können.

Edels Stimme hatte einen säuerlichen Unterton. »Der König scheint dieser Ansicht zu sein. Bedrückt ihn nicht die Schande? Doch ich nehme an, Chivalric wird sich weigern, seinen Bastard um der Politik willen in den Vordergrund zu schieben. Schon aus Rücksicht auf die liebe Philia. Aber der König hat angeordnet, dass der Junge in deinem Tross mit nach Bocksburg kommen soll.« Wieder fixierte mich Edel mit unverhohlenem Missfallen.

Veritas wirkte beunruhigt, doch er nickte. Auf Burrichs Zügen lag ein Schatten, den auch der gelbe Schein der Laterne nicht zu vertreiben vermochte.

»Hat mein Herr keine Stimme in dieser Sache?«, wagte er einzuwenden. »Mir scheint, wenn er es für richtig hielte, der Familie der Mutter eine bestimmte Summe zu zahlen und den Jungen zurückzuschicken, sollte man ihm schon um der Prinzessin Philia willen gestatten, in dieser Art besonnen zu handeln …«

Prinz Edel schnaubte verächtlich. »Die Zeit für Besonnenheit war, bevor er der Dirne unter den Rock gegangen ist. Prinzessin Philia ist nicht die erste Frau, die sich mit dem Bastard ihres Gatten abfinden muss. Jeder hier weiß von seiner Existenz, dafür hat Veritas mit seiner Unbedachtheit gesorgt. Es hat keinen Zweck mehr, ihn jetzt noch verstecken zu wollen. Und da es um einen Bastard königlichen Blutes geht, darf keiner von uns sich derartige Zimperlichkeiten erlauben, Burrich. An einem Ort wie diesem wäre er die Saat künftigen Unheils, ein Schwert an seidenem Faden über des Königs Haupt. Selbst ein Stallmeister sollte das begreifen. Und wenn du es nicht begreifst, dein Herr wird es.«

Edels Stimme hatte eine eisige Schärfe angenommen, bei der Burrich erbleichte, wie ich es bei ihm nicht für möglich gehalten hätte. Das machte mir Angst, ich zog die Decke über den Kopf und verkroch mich tiefer im Stroh. Hexe neben mir knurrte leise. Ich möchte glauben, dass Edel einen Schritt zurückwich, aber sicher bin ich nicht. Gleich danach gingen die Männer, und falls sie noch mehr gesprochen haben, finde ich keinen Widerhall davon in meinem Gedächtnis.

Es muss zwei oder drei Wochen später gewesen sein, dass ich mich, an Burrichs Leibgurt geklammert, hinter ihm auf dem Rücken eines Pferdes wiederfand, als wir in Prinz Veritas’ Tross das winterliche Dorf verließen und eine mir endlos erscheinende Reise hinunter in wärmere Regionen antraten. Bestimmt war irgendwann während dieser Tage Chivalric gekommen, um einen Blick auf seinen Bastardsohn zu werfen, und hatte daraufhin eine Entscheidung getroffen. Doch ich habe keine Erinnerung an eine Begegnung mit meinem Vater. Das einzige Bild von ihm, das ich in Gedanken vor meinem inneren Auge sehe, ist das auf seinem Porträt in der Halle von Bocksburg. Jahre später erfuhr ich, dass seine diplomatische Mission von Erfolg gekrönt gewesen war. Er handelte einen Vertrag und einen Frieden aus, der lange Bestand hatte, und erwarb sich den Respekt, sogar die Zuneigung der Chyurda.

Tatsächlich war ich sein einziger Fehlschlag in jenem Jahr, aber dafür umso verhängnisvoller. Er traf vor uns in Bocksburg ein, wo er formell auf die Thronfolge verzichtete. Bei unserer Ankunft hatten er und Prinzessin Philia den Hof bereits verlassen, um künftig als Herr und Herrin von Weidenhag zu leben. Ich bin in Weidenhag gewesen. Es ist ein freundliches, weites Tal zwischen sanft ansteigenden, gewellten Bergausläufern, durchschnitten von einem behäbig fließenden Strom. Der rechte Ort, um milden Wein wachsen zu lassen, goldenes Korn und rotwangige Kinder. Ein kleines Paradies, fern der Grenze, fern den Vorgängen bei Hofe, fern allem, was bisher Chivalrics Leben ausgemacht hatte – idyllisches Exil für einen Mann, der König hätte sein können, und zudem ein weichgepolsterter Ruhesitz für einen Krieger, den man als erfahrenen und geschickten Diplomaten ruhigstellen wollte.

So kam ich nach Bocksburg, einziger Spross und Bastard eines Mannes, den ich nie kennenlernen sollte. Veritas wurde zum neuen König-zur-Rechten ausgerufen, und auch Prinz Edel rückte in der Thronfolge einen Platz vor. Hätte mein Gastspiel auf dieser Welt nur darin bestanden, geboren und entdeckt zu werden, hätte ich dennoch dem Reich für alle Zeiten meinen Stempel aufgedrückt. Vater- und mutterlos wuchs ich an einem Hof auf, wo alle mich als jemanden betrachteten, der alles verändern würde. Und genauso war es.

Kapitel 2

DER NEUE

Es existieren zahlreiche Sagen über Nehmer, den ersten Fernholmer, der Bocksburg eroberte und zum Stammvater des königlichen Geschlechts wurde. Eine davon berichtet, dass der Raubzug, auf dem er sich befand, seine erste und einzige Ausfahrt gewesen sei und er niemals wieder zu deröden, unwirtlichen Insel zurückkehrte, die seine Heimat war. Es heißt, als er der Palisadenbefestigung von Bocksburg ansichtig wurde, habe er ausgerufen: »Wenn es dort ein Feuer gibt und etwas zu essen, bringen mich keine zehn Pferde mehr von hier weg!« Es gab beides, und er blieb.

Nach der Familienüberlieferung jedoch war er ein erbärmlicher Seemann mit einer tiefen Abneigung gegen Wellen, schwankende Schiffsplanken und Pökelfischrationen, die für seine Landsleute das höchste Glück bedeuteten. Er und seine Mannschaft sollen tagelang ohne Orientierung auf dem Meer getrieben sein, und wenn es ihm nicht gelungen wäre, Bocksburg einzunehmen, hätten seine eigenen Leute ihn ersäuft. Trotzdem, der alte Gobelin im Großen Saal zeigt ihn als einen muskelbepackten, kühnen Freibeuter, der vom Bug seines Schiffes mit zähnefletschendem Grinsen auf ein altertümliches Bocksburg aus Holzhütten und Feldsteinhäusern blickt.

Bocksburg verdankt seine Existenz der günstigen Lage an der Mündung eines schiffbaren Flusses in einer Bucht, die einen natürlichen, geschützten Hafen bildete. Irgendein unbedeutendes Clanoberhaupt, dessen Name im Dunkel der Geschichte verlorengegangen ist, erkannte die Möglichkeit, den Schiffshandel zu kontrollieren, und erbaute die erste befestigte Siedlung an jenem Platz. Vorgeblich sollte sie dazu dienen, um sowohl den Fluss als auch die Bucht gegen die Piraten zu verteidigen, die jeden Sommer einfielen, um zu plündern und zu brandschatzen. Was er nicht voraussah, war, dass der Feind sich durch Verrat der Festung bemächtigen könnte. Die Fernholmer machten Bocksburg zu ihrem Stützpunkt, von dem aus sie ihren Siedlungs- und Einflussbereich den Fluss hinauf ausdehnten. Sie ersetzten Palisaden und Holzbaracken durch Türme und Mauern aus behauenem Stein. Bocksburg wurde das Zentrum des ersten Herzogtums und schließlich zur Hauptstadt des Königreichs der Sechs Provinzen.

Die Herrscherfamilie – die Weitseher – stammte von diesen ersten Fernholmern ab. Etliche Generationen hindurch hatten sie ihre Verbindung mit der Heimat aufrechterhalten, fuhren auf Brautschau übers Meer und brachten dralle, brünette Frauen zurück nach Hause. Deshalb war das Blut der Fernholmer in der königlichen Linie und den Familien des Adels nahezu rein erhalten; man sah es an den Kindern mit schwarzem Haar, dunklen Augen und untersetztem, kräftigem Körperbau. Zusammen mit diesen äußerlichen Merkmalen wurde eine Anlage für die Gabe vererbt, samt all den damit einhergehenden Gefahren und Schwächen. Auch von diesem Erbe hatte ich meinen Teil mitbekommen.

Doch meiner ersten Erfahrung mit Bocksburg haftete nichts von geschichtlicher Vergangenheit oder geheimnisvollem Erbe an. Ich lernte es zunächst nur als Endpunkt einer Reise kennen, ein Kaleidoskop von Geräuschen und Menschen, Karren und Hunden, Gebäuden und gewundenen Gassen, die letztendlich zu einer mächtigen Festung auf den Klippen über der Stadt führten. Burrichs Pferd war müde, und mit den beschlagenen Hufen geriet es auf den stellenweise glitschigen Pflastersteinen ins Rutschen. Ich hielt mich krampfhaft an seinem Gürtel fest, zu erschöpft und entkräftet, um auch nur zu klagen. Einmal legte ich den Kopf in den Nacken und blickte zu den hohen grauen Türmen und Mauern der Burg empor. Selbst in der mir ungewohnten Milde der Seeluft wirkte sie kalt und abweisend. Ich lehnte die Stirn an Burrichs Rücken und würgte an der Übelkeit, die der brackige Jodgeruch des ungeheuren Ozeans mir verursachte. So kam ich nach Bocksburg.

Burrichs Quartier lag über den Stallungen, unmittelbar neben der Remise. Dorthin brachte er mich, zusammen mit den Hunden und Chivalrics Falken. Um den Greifvogel kümmerte er sich zuerst, denn er hatte die Reise am schlechtesten überstanden. Die Hunde waren glücklich, wieder zu Hause zu sein, und überschlugen sich vor Übermut – schwer erträglich für jemanden wie mich, der sich kaum noch auf den Beinen zu halten vermochte. Naseweis stieß mich ein halbes Dutzend Mal um, bevor ich ihm klarmachen konnte, dass ich müde war, am Ende meiner Kräfte und nicht in der Laune zu spielen. Er reagierte wie jeder andere Welpe, indem er seine Geschwister suchte und prompt in eine halb ernsthafte Beißerei geriet, der Burrich mit einem scharfen Befehl ein Ende machte. Er mochte Chivalrics Mann sein, doch wenn er sich in Bocksburg aufhielt, war er der Meister von Hunden, Falken und Rössern.

Nachdem er seine eigenen Tiere versorgt hatte, unternahm er einen Gang durch die Ställe und inspizierte, was in seiner Abwesenheit getan worden oder ungetan gelassen war. Stallburschen, Pferdeknechte und Falkner erschienen wie durch Zauberei, um ihre Arbeiten gegen jedwede Kritik zu verteidigen. Ich trottete derweil hinter Burrich her, bis ich schließlich den Kampf gegen meine Müdigkeit aufgab und erschöpft in einen Strohhaufen sank. Erst da schien er sich meiner zu entsinnen. Ein Ausdruck von Unmut, gefolgt von Resignation, glitt über sein Gesicht.

»He du, Cob. Geh mit Fitz zur Küche, damit er etwas zu essen bekommt, und bring ihn anschließend zurück in mein Quartier.«

Cob war ein kleiner, dunkelhaariger Junge, vielleicht zehn Jahre alt, der soeben ein Lob für die prächtig geratenen Welpen eingeheimst hatte, die unter seiner Obhut geworfen worden waren. Doch jetzt erlosch das stolze Grinsen auf seinem Gesicht, und er schaute mich zweifelnd an. Wir musterten uns gegenseitig, während Burrich seinen Rundgang mit einem Gefolge von aufgeregten Gehilfen fortsetzte. Schließlich zuckte der Junge die Achseln und ging vor mir in die Hocke. »Du hast also Hunger, Fitz? Sollen wir nachsehen, ob wir für dich irgendwo einen Bissen finden?«, fragte er einladend, genau in demselben Ton, dessen er sich bedient hatte, um die Welpen hervorzulocken, damit Burrich sie begutachten konnte. Ich nickte, erleichtert, dass er von mir nicht mehr erwartete als von einem jungen Hund, und heftete mich an seine Fersen.

Er schaute sich häufig um, ob ich mit ihm Schritt hielt. Kaum hatten wir die Stallungen verlassen, kam Naseweis angesprungen, um mich zu begleiten. Die offensichtliche Zuneigung des Hundes mir gegenüber ließ mich in Cobs Achtung steigen, und er fuhr fort, uns beiden gut zuzureden: Gleich gäbe es etwas zu essen, nun kommt schön, nein, nicht hinter der Katze herschnüffeln, bei Fuß jetzt, so ist es brav.

Die Betriebsamkeit in den Stallungen, wo Veritas’ Männer ihre Pferde und Ausrüstung unterbrachten und Burrich an der während seiner Abwesenheit geleisteten Arbeit herummäkelte, war schon lebhaft gewesen, doch je näher wir dem inneren Burgbereich kamen, desto stärker und dichter wurde das Menschengewimmel. Leute drängten sich an uns vorbei und waren in allen möglichen Geschäften unterwegs: ein Junge, der eine riesige Speckseite auf der Schulter trug; ein Schwarm kichernder Mägde, die Arme voll Binsen und Heidekraut für Bodenmatten; ein verdrossener alter Mann mit einem Korb zappelnder Fische und drei junge Frauen in glöckchenbehangenen Festtagsgewändern, deren Stimmen so heiter tönten wie ihre Schellen.

Meine Nase verriet mir, dass wir uns der Küche näherten, doch mit jedem Schritt wurde auch das Gedränge dichter, bis wir zu einer Tür gelangten, durch die ein endloser Strom von Leuten ein und aus ging. Cob blieb stehen, Naseweis und ich ebenfalls. Uns lief beiden das Wasser im Mund zusammen.

Derweil betrachtete unser ortskundiger Führer die Menschentraube an der Tür und runzelte die Stirn. »Zum Bersten voll. Alles bereitet sich auf das Willkommensfest vor, für Veritas und Edel. Jedermann von Bedeutung ist nach Bocksburg gekommen; die Nachricht von Chivalrics Verzicht auf den Thron hat sich in Windeseile herumgesprochen. Sämtliche Herzöge sind da oder durch einen Abgesandten vertreten. Ich habe gehört, sogar die Chyurda hätten einen Mann geschickt, um sicherzustellen, dass die Verträge gültig bleiben, selbst wenn Chivalric nicht mehr am Hofe ist …« Er verstummte mitten im Satz, als wäre ihm plötzlich aufgegangen, dass ich immerhin der Auslöser der jüngsten Ereignisse war, aber vielleicht fand er es auch nur unpassend, zu einem Sechsjährigen und einem Welpen zu sprechen, als hätten sie Verstand. Statt weiterzureden, blickte er sich um und schätzte die Situation neu ein. »Ich gehe hinein und besorge etwas für euch. Mir ist es lieber, wenn ich nur auf mich achtgeben muss. Also bleibt hier und wartet, bis ich wiederkomme.« Er unterstrich den Befehl mit einer energischen Handbewegung.

Ich hockte mich hin, den Rücken an eine Mauer gelehnt, und Naseweis setzte sich gehorsam neben mich. Voller Bewunderung schaute ich zu, wie Cob sich an der Tür geschmeidig zwischen den Menschen hindurchschlängelte und im Inneren des Hauses verschwand.

Sobald Cob nicht mehr zu sehen war, nahm das allgemeine Treiben meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Bei den meisten Vorübergehenden handelte es sich um Dienstboten und Küchengesinde, darunter mischten sich fahrende Sänger, Kaufleute und Lieferanten. Ich verfolgte ihr Kommen und Gehen mit nur mäßiger Neugier, die Müdigkeit hatte mich abgestumpft. Fast noch mehr, als etwas zu essen, wünschte ich mir einen ruhigen Ort, abseits all dieser Geschäftigkeit. Ich saß auf dem Boden, im Rücken die sonnenwarme Burgmauer, legte die Stirn auf die Knie und döste ein.

Das Klopfen von Naseweis’ Schwanz auf der harten Erde weckte mich aus dem Halbschlaf. Ich hob den Kopf und sah ein Paar hoher brauner Stiefel vor mir. Mein Blick wanderte an abgewetzten Lederhosen hinauf, über ein Hemd aus grober Wolle und stieß auf ein bärtiges Gesicht unter einem pfeffergrauen Haarschopf. Der Mann, der auf mich heruntersah, balancierte ein kleines Fass auf der Schulter.

»He, Kleiner, bist du nicht der Bastard, von dem alle reden?«

Ich hatte das Wort oft genug gehört, um zu wissen, dass ich gemeint war, ohne jedoch seine volle Bedeutung zu begreifen. Als ich nickte, leuchtete das Gesicht des Mannes interessiert auf.

»Seht her«, sagte er laut, nun nicht mehr zu mir, sondern zu den Vorübergehenden. »Das ist der Bastard aus Stocksteif Chivalrics Seitensprung. Seinem Herrn Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, oder was meint ihr? Wer ist deine Mutter, Junge?«

Um den vorbeikommenden Leuten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Die meisten Leute schenkten ihm keine Beachtung und warfen höchstens einen flüchtigen Blick auf den Knaben an der Mauer, aber die Frage des Fassträgers erregte doch so viel Interesse, dass mehr als ein Kopf sich in unsere Richtung wandte, und einige Kaufleute, soeben aus der Küche getreten, kamen näher, um die Antwort zu hören.

Doch ich konnte keine Antwort geben. Mutter war einfach Mutter gewesen, und was immer ich von ihr gewusst hatte, verblasste bereits. Deshalb erwiderte ich nichts, sondern blickte stumm zu dem Mann auf.

»Du willst es nicht sagen? Verrätst du mir dann wenigstens, wie du heißt?« Zu seinem Publikum gewandt, verkündete er: »Ich habe gehört, er hat keinen Namen. Keinen hochgestochenen Adelsnamen, um ihn danach zu formen, nicht einmal einen Hausnamen, um ihn rufen zu können. Stimmt das, Junge? Oder hast du einen Namen?«

Die Gruppe der Zuschauer wuchs. In einigen Augen stand Mitleid, aber keiner mischte sich ein. Etwas von meinen Gefühlen übertrug sich auf Naseweis, der sich auf die Seite fallen ließ, unterwürfig den Bauch zeigte und schwanzklopfend signalisierte: »Ich bin nur ein Welpe. Ich kann mich nicht wehren. Verschone mich.«

Wären die Umstehenden Hunde gewesen, hätten sie mich beschnuppert und dann in Ruhe gelassen. Leider verfügen Menschen nicht über derartige angeborene Instinkte, deshalb trat der Mann einen Schritt näher und wiederholte: »Hast du einen Namen, Junge?«

Ich stand langsam auf, und die Mauer, die vor einem Moment noch meinen Rücken gewärmt hatte, war plötzlich ein feindseliges Hindernis, das meinen Rückzug vereitelte. Zu meinen Füßen wand Naseweis sich im Staub und winselte flehentlich. »Nein«, sagte ich leise, und als der Mann sich vorbeugte, um mich besser verstehen zu können, rief ich »NEIN!« und wehrte ihn ab, während ich mich seitlich an der Mauer entlangschob. Ich sah ihn zurücktaumeln, das Fass rutschte ihm von der Schulter, fiel auf das Pflaster und zerbrach. Keiner der Zuschauer kann begriffen haben, was geschehen war. Ich begriff es selbst nicht. Die meisten lachten, weil sie einen ausgewachsenen Mann vor einem Kind zurückweichen sahen. Das war der Moment, der meinen Ruf, Mut und Kampfgeist zu haben, begründete, denn noch vor Einbruch der Dunkelheit hatte die Anekdote von dem königlichen Bastard, der sich gegen seinen Peiniger zur Wehr setzte, in der Stadt die Runde gemacht. Naseweis sprang auf und gab mit mir zusammen Fersengeld. Ich erhaschte einen Blick auf Cobs ratloses und verstörtes Gesicht, als er – in jeder Hand eine Pastete – aus der Tür schlüpfte und mich und Naseweis weglaufen sah. Wäre er Burrich gewesen, hätte ich mich vielleicht seinem Schutz anvertraut, so aber flüchtete ich und überließ Naseweis die Entscheidung, wohin.

Wir flitzten zwischen den Pagen und Knechten hindurch, für die wir nur ein weiterer nichtsnutziger Bengel und sein Hund waren, die im Hof herumstreunten, und Naseweis brachte mich zu dem in seinen Augen offenbar sichersten Platz der Welt. Weit entfernt von der Kirche und dem Palas hatte Hexe unter der Ecke eines windschiefen Vorratsschuppens ein Loch gegraben. Hier war Naseweis zur Welt gekommen, Burrich zum Trotz, und hier hatte sie ihre Jungen fast drei Tage lang versteckt halten können. Burrich selbst stöberte sie auf. Sein Geruch war die erste menschliche Witterung, an die Naseweis sich erinnern konnte. Ich musste mich durch die schmale Öffnung zwängen, drinnen aber war die Mulde unter dem Gebäude warm und trocken und behaglich dunkel. Naseweis schmiegte sich an mich, und ich legte den Arm um ihn. Allmählich beruhigten sich unsere wild schlagenden Herzen, und schließlich sanken wir in einen tiefen, traumlosen Schlummer.

Stunden später wachte ich frierend auf. Es war finster und bitterkalt. Die erste Wärme des lauen Vorfrühlingstages hatte sich verflüchtigt. Naseweis streckte sich und gähnte, dann krochen wir hintereinander ins Freie.

Ein klarer Sternenhimmel wölbte sich über Bocksburg und funkelte grell und frostig durch die Nacht. Der Salzhauch des Meeres machte sich stärker bemerkbar, als wären die Gerüche des Tages von Menschen und Pferden und Küche vergängliche Dinge, die sich jede Nacht dem Ozean ergeben mussten. Wir gingen einsame Pfade entlang, durchquerten Übungsplätze und kamen an Kornspeichern und dem Weinkeller vorbei. Alles war still und ruhig. Als wir uns dem inneren Burgring näherten, sah ich Fackeln brennen und hörte Stimmen, aber wie durch einen Schleier gedämpft; die letzten Wogen der Festlaune verebbten, bevor die Morgendämmerung am Horizont heraufzog. Dennoch schlugen wir einen weiten Bogen um den Palas. Wir hatten erst einmal genug von Menschen.

Naseweis lief vor mir her zu den Stallungen. Mit Sorgen dachte ich an das große Tor und fragte mich, wie wir hineingelangen sollten. Doch Naseweis’ Schwanz begann heftig zu wedeln, und dann nahm selbst meine armselige Nase Burrichs Geruch im Dunkeln wahr. Er erhob sich von der Kiste, auf der er gesessen hatte. »Da seid ihr ja«, sagte er besänftigend. »Dann kommt, ihr beiden. Kommt mit.« Er zog den schweren Türflügel auf und ließ uns ein.

Wir folgten ihm durch warme, staubgeschwängerte Dunkelheit die Stallgasse hinunter, wo Pferdepfleger und Knechte im Stroh lagen, und dann vorbei an unseren eigenen Pferden und Hunden und den Stallburschen, die bei ihnen schliefen, bis wir bei einer Stiege an der Trennwand zwischen Stallungen und Remise angelangten. Hinter Burrich erklommen wir die knarrenden Stufen, und oben öffnete er eine weitere Tür. Im ersten Moment blendete mich das schwache gelbliche Licht eines Kerzenstummels auf einem Tisch. Wir traten in eine Kammer mit schrägem Dach, wo es nach Burrich roch, nach Leder und den Ölen und Salben, die Teil seines Handwerks waren. Er schloss die Tür, und als er an uns vorbeiging, um an dem Stummel eine zweite Kerze anzuzünden, roch ich den Wein in seinem Atem.

Es wurde etwas heller, und Burrich setzte sich auf einen Stuhl am Tisch. Er sah fremd aus, gekleidet in feines, dünnes braungelbes Tuch und mit einer Silberkette quer über dem Wams. Er legte die offene Hand aufs Knie, und sofort war Naseweis bei ihm. Burrich kraulte ihm die Hängeohren, tätschelte ihm liebevoll die Flanken und verzog das Gesicht wegen der Staubwolke, die aus seinem Fell aufstieg. »Ihr seid mir ja ein feines Paar, ihr zwei«, sagte er mehr zu dem Hund als zu mir. »Seht euch nur an – schmutzig wie Landstreicher. Euretwegen habe ich heute meinen König angelogen, zum ersten Mal in meinem Leben. Wie es scheint, bin ich zusammen mit Chivalric in Ungnade gefallen. Ich habe ihm gesagt, ihr wärt schon fest eingeschlafen, erschöpft von der Reise. Es gefiel ihm nicht, dass er nun warten muss, bis er seinen Enkel zu sehen bekommt, doch glücklicherweise hatte er Wichtigeres zu bedenken. Chivalrics Rücktritt hat unter den Fürsten Unruhe gestiftet. Einige sehen darin die beste Gelegenheit, sich einen Vorteil zu verschaffen, andere verdrießt es, um einen König betrogen zu sein, den sie achteten. König Listenreich ist bemüht, sie alle zu beschwichtigen. Er lässt ausstreuen, Veritas wäre dieses Mal derjenige gewesen, der die Verhandlungen mit den Chyurda geführt hätte. Aber wer das glaubt, sollte nicht mehr unbeaufsichtigt herumlaufen dürfen. Doch alle sind sie gekommen, um Veritas noch einmal in Augenschein zu nehmen und darüber nachzudenken, ob und wann er wohl ihr nächster König sein wird und was für einen König er dann abgeben mag. Der ganze Hof verhält sich wie ein aufgestörter Bienenstock.« Burrich hob den Blick von Naseweis’ Gesicht. »Nun ja, Fitz. Ich nehme an, du hast heute einen Vorgeschmack davon bekommen. Den armen Cob hast du fast zu Tode erschreckt mit deinem kopflosen Davongerenne. Bist du verletzt? Hat man dich beschimpft? Ich hätte wissen müssen, dass es Leute gibt, die dir die Schuld an dem Schlamassel geben. Na, dann komm her. Komm schon.« Als ich zögerte, trat er zu einer Lagerstatt vor dem Herd und klopfte einladend auf die Decken. »Sieh her. Hier wartet ein Schlafplatz auf dich. Und auf dem Tisch stehen Brot und Fleisch für euch beide.«