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In drei kurzen Erzählungen macht "Die Geduldigen" den Leser zum stillen Beobachter der Geduldsprobe dreier unterschiedlicher Protagonisten: Jen, die gefangen ist in einer mysteriösen Welt voller Rosa. Daria, deren Geduld sich in einem Prospekt inkarniert. Ein namenloser Mann, der im Schlamm auf das Ende seiner Gefangenschaft wartet. Es geht um Angst und Verwirrung, aber auch um Hoffnung. Denn selbst am Ende des dunkelsten Tunnels wartet vielleicht doch ein Licht.
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Seitenzahl: 21
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Kathrin Ess
Die Geduldigen
Erzählungen über die Absurdität des Wartens
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Raum 05A
Der Prospekt
Schlamm
Impressum neobooks
Sie holte tief Luft. Und tauchte ein. Es war nicht das erste Mal, seitdem sie hier gelandet war, aber trotzdem war die Intensität der Erfahrung immer noch die gleiche. Sie spürte jede Faser ihres Körpers, während dieser mit der Flüssigkeit in Berührung kam. Es war ein eigenartiges Gefühl. Obwohl sie es bereits kannte, erwartete ihre Haut immer noch die Konsistenz von Wasser. Etwas Frisches, Kühles, Flüssiges. Doch das hier war anders. Es war, als wäre sie kopfüber in einen riesigen Wackelpudding eingetaucht, nur dass dieser hier ihrem Körper kaum Widerstand bot. Die Flüssigkeit in dem See war gallertartig, aber nicht zäh. Sie umfasste sie warm und geschmeidig, schenkte ihr noch mehr die Illusion, schwerelos zu sein, als es im Wasser jemals der Fall gewesen war. Außerdem war sie rosa, so wie alles hier. Und sie schmeckte süßlich.
Ja, so muss es sein, in Wackelpudding zu schwimmen, dachte Jen. Aber was wusste sie schon. In der alten Welt hatte sie niemals in etwas anderem als Wasser gebadet.
Leider!, huschte der Gedanke so schnell durch ihren Kopf wie das groteske kleine Wesen, das erschrocken von ihrem abrupten Eintauchen Schutz zwischen den Steinen auf dem Grund suchte. Ja, leider!
Sie hatte so viele Dinge verpasst, die ihr immer banal und unwichtig erschienen waren. Sie hatte so viele Chancen einfach nicht wahrgenommen. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Nie wieder würden sich die Türen auftun, hinter denen sich die Möglichkeiten ihrer Heimat versteckt hatten, so wie das kleine Wesen hinter seinem Stein. Die Möglichkeiten hatten immer nur darauf gelauert, endlich in einem unachtsamen Moment herauszuschlüpfen, um ihr schließlich zu entwischen. Und sie hatten es irgendwie auch immer geschafft.
Das kleine Wesen hingegen hatte nicht so viel Glück. Als es hinter dem Stein hervorlugte, packte Jen es und drehte ihm mit einer schnellen Bewegung den Hals um. Früher hätte sie so etwas nicht so leicht übers Herz gebracht, doch diese Zeit war vorbei und die Person, die sie darin gewesen war, schien ihr so fern wie die Welt, in der sie einst gelebt hatte.