Die Geister der Pandora Pickwick (Bd. 1) - Christina Wolff - E-Book

Die Geister der Pandora Pickwick (Bd. 1) E-Book

Christina Wolff

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Beschreibung

Nirgendwo fühlt sich Fanny so wohl wie in dem Antiquitätenladen ihrer Tante Harriet. Wie wunderbar, dass sie die Sommerferien dort verbringen darf! Doch im Laden stimmt etwas nicht. Dinge verschwinden, gerade abgewischte Möbel stauben innerhalb von Sekunden wieder ein, und nachts ist ständig irgendwo ein Rumpeln und Poltern zu hören. Harriet tut so, als wäre das alles völlig normal. Doch Fanny ahnt, dass ihre Tante ihr etwas verschweigt. Genau wie bei der Frage, wer eigentlich Fannys leibliche Eltern sind …

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Seitenzahl: 249

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Christina Wolff

Die Geister der Pandora Pickwick

Mit Illustrationen von Florentine Prechtel

Außerdem von Christina Wolff bei WooW Books erschienen: Bildspringer. Der erste Fall der Van-Gogh-Agency (Band 1)

 

© Atrium Verlag, Imprint WooW Books, Zürich 2023

Alle Rechte vorbehalten

© Text: Christina Wolff 2023, 2021

Cover, Covertypografie und Illustration im Innenteil: Florentine Prechtel

Die Originalausgabe erschien im Hummelburg Verlag, einem Imprint der Ravensburger Verlag GmbH, Ravensburg 2021

Lektorat: Malin Wegner

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-96177-055-7

 

www.WooW-Books.de

www.instagram.com/woowbooks_verlag

 

 

Für Hanne – die sich fast niemals gruselt

Es war früher Nachmittag, als der Mann in der Portobello Road auftauchte. Er trug eine Pluderhose und eine schwarze Samtweste, dazu eine altmodische Halskrause mit Rüschen, und auf seinem Kopf saß ein breiter Federhut.

Trotz seiner ungewöhnlichen Kleidung schien der Mann niemandem aufzufallen. Er stand genau gegenüber vom Pandora’s Antiques, dem kleinen Raritätengeschäft mit der dunkelgrün lackierten Fassade. Gerade ertönte ein schepperndes Läuten, und die Tür des Ladens öffnete sich – pünktlich zum Ende der Mittagspause. Eine junge Frau trat heraus, an der Hand ein Mädchen mit langen braunen Zöpfen.

Der Mann sah aufmerksam dabei zu, wie die Frau die Tür weit aufsperrte und dann begann, die Verkaufswaren zurück auf den Gehweg zu räumen: einen alten Spiegel, zwei Rollwagen mit Geschirr, mehrere Gemälde in dicken Holzrahmen und einen Sessel mit rot glänzendem Bezug. Das Mädchen platzierte ein paar Teddybären mit geflickten Nähten auf der Außenfensterbank des Ladens.

Wie alt mochte sie sein? Drei, vielleicht vier Jahre?

Der Mann betrachtete sie nachdenklich. Irgendetwas störte ihn, doch er wusste nicht genau, was. Erst als das Mädchen schon wieder im Laden verschwunden war, kam er darauf: Sie sah so gewöhnlich aus. Das war es!

Aber was hatte er erwartet? Wie hätte man es ihr auch ansehen sollen?

Weil er so in Gedanken versunken war, bemerkte der Mann viel zu spät, dass eine ältere Dame auf ihn zustöckelte. Direkt vor seiner Nase blieb sie stehen und pfefferte mit Schwung ein zerknülltes Taschentuch in einen Abfalleimer hinter ihm. Angeekelt blickte der Mann an sich hinunter. Das Tuch war direkt durch seinen Bauch hindurchgeflogen. Er hasste es, wenn so etwas passierte. Jedes Mal fühlte es sich an, als wirbelten in seinem Körper plötzlich dicke Murmeln durcheinander.

Mit grimmigem Gesicht zog er eine goldene Taschenuhr aus dem Wams hervor. Er sollte jetzt sowieso besser gehen. Harold würde bald im Herrenhaus eintreffen, und er musste ihm noch einige Anweisungen geben.

Energisch steckte der Mann die Uhr zurück und sah ein letztes Mal zu dem Mädchen, das nun wieder vor dem Laden stand und in die Sonne blinzelte. Bei genauerer Betrachtung stellte er fest, dass sie die Nase ihrer Mutter hatte. Das beruhigte ihn ein wenig. Es sprach alles dafür, dass sie die Richtige war, und wenn seine Überlegungen stimmten, könnte sie die Lösung für all seine Probleme sein. Natürlich noch nicht gleich. Er würde mehr als genug Zeit haben, sich vorzubereiten.

Seufzend strich der Mann noch einmal über die Stelle, an der das Taschentuch hindurchgeflogen war. Dann wandte er sich ab und schwebte lautlos wie eine regenschwere Gewitterwolke davon.

Fannys Mum hatte mal wieder alles im Griff. Schon vor drei Tagen hatte sie Fannys Koffer gepackt, um ihn danach noch fünf Mal umzupacken. Nun war Fanny sogar mit einem Schuhlöffel und mit Warzenpflastern ausgestattet. Dabei hatte sie in ihrem Leben noch nie eine Warze gehabt. Doch ihre Mum meinte, man könne ja schließlich nie wissen, was passiert. Womit sie natürlich recht hatte, wie sie ja immer bei allem recht hatte!

Heute war endlich Samstag, und Fanny hievte das tonnenschwere Kofferungetüm schnaufend aus dem Haus und in den grauen Bentley. Ihre Mum trommelte bereits unruhig auf das Lenkrad. Während der Fahrt redeten sie nicht viel. Fanny wusste, dass ihre Mutter angespannt war. Wie jedes Mal, wenn sie ihre Schwester Harriet treffen würde. Fannys Laune hingegen war wie das Wetter: wolkenlos und frühsommerlich warm.

Nach zwanzig Minuten Stadtverkehr stoppte der Bentley kurz vor dem Laden mit der grün lackierten Fassade, und während ihre Mum noch einen Parkplatz suchte, rollte Fanny das Koffermonster bereits auf die Ladentür zu. Mit jedem Schritt machte ihr Herz einen kleinen Hüpfer. Sie liebte das Geschäft ihrer Tante, das bis unter die Decke mit Krimskrams vollgestopft war: Geschirr, Möbel, Postkarten, verstaubte Bücher und so sonderbare Dinge wie Zeitungsumblätterstäbe aus Ebenholz und sogar Schrumpfköpfe – die natürlich nicht echt waren, wie Tante Harriet versicherte.

Fanny reckte ihre Nase in die Luft. Der Laden verströmte seinen Duft bis hierher auf die Straße. Eine Mischung aus Holzpolitur, Staub, Tee und Keksgeruch. Lecker! Als sie die Ladentür öffnete, ertönte die kleine rostige Glocke über dem Eingang.

»Komme gleich!«, rief es von irgendwoher.

Pandora’s Antiques bestand aus drei vollgestopften Verkaufsräumen. Dem vorderen, in dem Fanny sich gerade befand, einem zweiten, der ein paar Stufen höher zum Hof hin lag, und dem dritten in der ersten Etage, der über eine Wendeltreppe mit dem Rest des Ladens verbunden war.

Fanny blieb mit ihrem Koffer neben der Ladentheke stehen und begrüßte Grandma Pandora. Natürlich nicht Grandma Pandora persönlich. Die Namensgeberin des Ladens war schon gestorben, als Fanny noch ein Baby war. Aber es hing eine goldgerahmte Fotografie von ihr an der Wand, und weil Harriet die Angewohnheit hatte, mit dem Bild ihrer Mutter zu sprechen, sagte auch Fanny Pandora stets Hallo, wenn sie in den Laden kam.

»Bin schon da!«, schallte Harriets Stimme aus der oberen Etage herunter. Fanny hörte, wie Schritte auf den Holzstufen klackerten. Als Harriet ihre Nichte erblickte, legte sie verdutzt den Kopf schief.

»Du hast es vergessen!«, stöhnte Fanny.

»Was? Nein … Quatsch, natürlich nicht!« Harriet eilte auf Fanny zu, um sie in die Arme zu schließen.

»Du hast es doch vergessen, oder?«, fragte Fanny, nachdem ihre Tante ihr fast die Luft abgedrückt hatte.

»Na ja, vielleicht ein klitzekleines bisschen«, gab Harriet zu. »Tee?«

Fanny nickte, und Harriet verschwand durch den bunten Glasperlenvorhang in die Ladenküche. Bald darauf kam sie mit einem Tablett zurück, auf dem sie zwei Thermoskannen, drei Porzellantassen, etwas Gebäck und ein geblümtes Zuckerdöschen balancierte.

»Ich hab extra grünen Tee für deine Mutter gekocht«, erklärte sie und stellte das Tablett auf dem kleinen Tisch vor dem roten Samtsofa ab, das schon seit Jahren niemand kaufen wollte. Die Sprungfedern ächzten vertraut, als Fanny sich darauf niederließ. Sie nahm einen Butterkeks und dachte, dass auch der grüne Tee die frostige Stimmung zwischen Harriet und ihrer Mum nicht aufwärmen würde.

Fanny hatte nie einen speziellen Grund herausfinden können, warum die Schwestern sich so wenig mochten. Sie vermutete aber, dass es an ihrer Gegensätzlichkeit lag. Die eine war unordentlich und die andere ein Aufräummonster, eine stand auf Zartbitterschokolade, die andere auf Vollmilch-Nuss. Jennifer hatte blonde glatte Haare und liebte Katzen. Auf Harriets Kopf ringelten sich braune Locken, und natürlich mochte sie Hunde. Diese Liste hätte man endlos fortführen können.

Außerdem hatte Fanny oft das Gefühl, ihre Mum wäre ein bisschen eifersüchtig auf Harriet. Vielleicht gefiel es ihr nicht, dass Fanny und Harriet sich so gut verstanden. Wahrscheinlich störte es sie sogar, dass Fannys Haare braun wie Harriets waren und nicht blond wie ihre eigenen. Dabei hatte Fanny erstens blaue Augen genau wie ihre Mutter, und zweitens war das alles vollkommen bedeutungslos, weil Fanny nämlich adoptiert war. Ihre Augen- und Haarfarbe konnte mit keiner von beiden etwas zu tun haben.

»In dieser Gegend ist es wirklich unmöglich, einen Parkplatz zu finden«, schimpfte Jennifer Jones, als sie den Laden betrat.

Wie immer begrüßten sich die Schwestern mit einem steifen Küsschen auf die Wange, und dann begann dieses gezwungen fröhlich-freundliche Gequatsche, das Fanny so hasste.

»Wann geht denn euer Flieger?«, fragte Harriet, während sie den grünen Tee eingoss.

»Morgen früh um sechs.« Fannys Mum nahm ein sauber gefaltetes Papier aus ihrer Handtasche und reichte es ihrer Schwester. »Ich hab dir alles noch mal genau aufgeschrieben«, sagte sie. »Wir sind ab morgen unterwegs. Auf dem Zettel sind alle Hotels mit Telefonnummern notiert, außerdem Henrys und meine Handynummer und natürlich die Nummer von unserem Hausarzt, die von Fannys Zahnarzt und für den Notfall die der amerikanischen und der britischen Botschaft. Man weiß ja schließlich nie, was passiert …«

Aus den Augenwinkeln betrachtete Fanny Harriets Gesichtsausdruck. Sie wusste genau, was ihre Tante dachte.

Mindestens fünf Butterkekse lang plätscherte das Gespräch weiter so belanglos vor sich hin. Fannys Mum zählte alle siebzehn amerikanischen Städte auf, die sie und ihr Mann in den nächsten acht Wochen abklappern würden, um neue Kunden für ihre Schnürsenkelfirma Jones and Sons – Nichts hält besser zu finden. Danach führte Harriet stolz eine Sammlung von antiken Rückenkratzern vor, die sie für den Laden spottbillig gekauft hatte und die Jennifer mit höflich unterdrückter Abscheu bewunderte. Fanny hatte schon die Hoffnung, dieses Treffen würde einmal ohne Streit verlaufen. Doch dann stach sie plötzlich etwas ins Schulterblatt.

»Au!«, stieß sie aus und versuchte mit der Hand die schmerzende Stelle zu erreichen, doch im selben Moment spürte sie den gleichen piksenden Schmerz auch im anderen Schulterblatt. »Au!«

»Fanny? Was ist denn?« Ihre Mutter griff blitzschnell nach ihrem Handy. Es sah aus, als wolle sie augenblicklich einen Notruf absetzen.

»Gar nichts, glaube ich«, beruhigte Fanny sie. »Mich hat nur irgendwas gestochen.«

Jennifers Gesicht versteinerte sich. »Har-ri-et?«

Fannys Blick schnellte nach oben. Jennifer Jones’ Stimme hatte diesen spitzen Unterton, den sie nur bei ihrer Schwester bekam und der oft Vorbote eines dicken Unwetters war. Fanny zog unmerklich den Kopf ein, doch ihre Tante wirkte nicht weiter beeindruckt.

»Das waren bestimmt nur die alten Sprungfedern, Jenny. Ich muss das Sofa irgendwann mal entsorgen. Das kauft sowieso keiner mehr.«

Harriet nahm in aller Ruhe einen Schluck Tee, aber irgendwie hatte Fanny das Gefühl, ihre Tante benutzte die Tasse nur, um sich dahinter zu verstecken.

Aber warum? Diesmal hatte sie ja überhaupt keinen Fehler gemacht. Für die blöden Sprungfedern konnte sie schließlich nichts!

Fannys Mum machte trotzdem keine Anstalten, ihr Dobermanngesicht abzulegen.

»Du hast es mir versprochen«, zischte sie Harriet zu. Wie steinhart gefrorene Erbsen prasselten die Worte auf ihre Schwester. Danach schien für Jennifer das Gespräch beendet zu sein. Mit einem energischen Ratsch zog sie den Reißverschluss ihrer Handtasche zu.

Fanny entschied, besser draußen vor dem Laden Auf Wiedersehen zu sagen. Da war die Luft nicht ganz so dick. Natürlich hatte ihre Mutter noch tausend Ermahnungen auf Lager, doch Fanny ließ sie heute wortlos über sich ergehen. Erstens wusste sie, dass ihre Mum sich eigentlich nur Sorgen machte, und zweitens war sie unendlich dankbar, dass sie bei Harriet bleiben durfte.

Das hatte zu Hause nämlich für tausend Diskussionen gesorgt. Eigentlich hatten Fannys Eltern sie auf die Geschäftsreise mitnehmen wollen. Aber die Ferien begannen erst in zwei Wochen, und Mrs Gardener, die Schuldirektorin, hatte es nicht erlaubt. Mrs Gardener konnte ein ziemlicher Drache sein, und Fanny mochte sie nicht besonders, doch diesmal hatte die Direktorin ihr einen echten Gefallen getan. Schließlich war Fanny bereits zwölf. Wer wollte mit zwölf schon ganze acht Wochen lang gemeinsam mit seinen Eltern Schnürsenkel verkaufen? Auch wenn es in den USA war! Wahrscheinlich hätte Fanny die meiste Zeit im Hotelzimmer verbracht und mit sich selbst Mensch ärgere Dich nicht gespielt.

Als klar war, dass Fanny nicht mitkommen konnte, wollte ihre Mum sie zuerst bei Grandma Jones unterbringen. Doch Fanny hatte deswegen einen ziemlichen Aufstand angezettelt. Grandma Jones war zwar furchtbar lieb, aber sie nahm ständig ihr Gebiss heraus und legte es irgendwo in der Wohnung ab, weil es sie angeblich beim Denken störte. Und sie war so schwerhörig wie ein Marmeladenbrot. Alles musste man viermal sagen. Schließlich hatten Fannys Eltern zugestimmt, dass sie bei Harriet bleiben durfte, worüber Fanny mehr als glücklich war. Normalerweise besuchte sie ihre Tante höchstens ein- oder zweimal im Monat, und jetzt durfte sie ganze acht Wochen im Pandora’s Antiques verbringen.

»Was sollte das denn eben bedeuten?«, fragte Fanny, als sie zurück in den Laden trat. »Was hast du Mum versprochen?«

»Ach, das Übliche.« Harriet winkte ab. »Dass … ich auf dich aufpasse und so weiter. Du weißt doch, wie deine Mutter ist. Sie macht sich viel zu schnell viel zu viele Sorgen.«

Das stimmte ohne jeden Zweifel. Aber dass sich ihre Mum so dermaßen über einen Pikser durch ein altersschwaches Sofa aufregte, kam Fanny trotzdem ziemlich eigenartig vor …

 

Genau eine Woche später werkelte Fanny am Samstagnachmittag gut gelaunt im Laden herum. Es waren nur noch ein paar Tage bis zu den Sommerferien. Das Schlimmste war also geschafft. Bald konnte sie den ganzen Tag im Pandora’s Antiques verbringen. Die Aussichten hätten also nicht besser sein können.

Pfeifend räumte Fanny ein Dutzend kleiner Kristallgläser in das Regal neben die Kaffeemühlen ein und versah danach die chinesischen Gürtelschnallen mit Preisen. Harriet lag auf dem Sofa und las einen Krimi.

Als Fanny mit den Gürtelschnallen im Arm am Tresen vorbeikam, stutzte sie.

»Harriet, wo ist mein Schokoriegel?«

»Dein was?« Harriet schaute nicht einmal auf.

»Mein Schokoriegel, den ich gestern hier neben die Kasse gelegt habe.«

»Keine Ahnung.«

»Wie, keine Ahnung?«

»Ja, keine Ahnung!«

»Hast du ihn gegessen?«

»Nein, natürlich nicht.« Jetzt lugte Harriet doch hinter ihrem Buch hervor. »Ich ess doch nicht deine Sachen auf. Was denkst du denn?«

»Gar nichts«, sagte Fanny. »Ich weiß nur, dass ich ihn gestern genau da hingelegt habe. Zwischen die Kasse und die Vase mit dem Popo.«

»Welche Vase mit ’nem Popo?«

Fanny hielt die Vase in die Höhe.

»Das ist kein Popo. Das sind nur zwei Weintrauben.«

»Und wieso sind die rosa?«

Harriet gab zu, dass auf der Vase vielleicht doch ein Popo abgebildet war, aber was den Schokoriegel betraf, konnte oder wollte sie Fanny nicht weiterhelfen.

Das gleiche Spiel ereignete sich einige Tage später noch mit einer Packung Shortbread und mit einer Tüte extrasaurer Zitronenbonbons. Danach ließ Fanny nichts mehr im Laden liegen.

Zu ihrer eigenen Überraschung konnte sie mehr und mehr verstehen, warum ihre Mum manchmal so genervt von Harriet war. Ihre Tante war absolut chaotisch! Die meiste Zeit verbrachte sie mit Suchen, da sie immer irgendetwas verschlampt hatte. Und weil Fanny Harriets Unordnung langsam auf den Wecker fiel, beschloss sie, im Pandora’s Antiques aufzuräumen.

Eine gute Gelegenheit dafür ergab sich am späten Nachmittag des vorletzten Schultages. Harriet war auf einem Geburtstag eingeladen und konnte Fanny nicht im Weg stehen.

Als Erstes sortierte Fanny die alten Postkarten nach Ländern, dann wienerte sie den Boden und ordnete die Glanzbildchen. Weil Harriet danach immer noch nicht zurückgekehrt war und sich auch kein Kunde blicken ließ, entstaubte sie eine mit Schnitzereien verzierte Truhe und rieb das gute Stück sogar mit Möbelpolitur ein. Dann war es Zeit für eine kurze Tee- und Kekspause. Als Fanny nach einer Viertelstunde erneut nach ihrem Putzlappen griff, blieb ihr Blick aber plötzlich an der Truhe mit den Schnitzereien hängen. Sie erstarrte. Der Deckel, der nach ihrer Putzaktion nussbraun geglänzt hatte, lag jetzt wieder unter einer dicken Staubschicht verborgen.

Nur um sicherzugehen, trat Fanny an die Truhe heran und wischte mit der Hand über den Deckel. Ihre Finger hinterließen schlanke, dunkle Spuren auf dem Holz – wie Schneisen im Schnee. Ein unangenehmer Schauer lief Fanny über den Rücken, und dann fuhr sie zusammen, weil die Glocke über dem Eingang bimmelte. Wie ein Wirbelwind kam Harriet in den Laden gesaust. Geräuschvoll lud sie ihren Schlüsselbund, die Handtasche und ihre Sommerjacke auf dem Tresen ab.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie, als sie Fannys Gesichtsausdruck bemerkte.

Immer noch erschrocken, berichtete Fanny ihrer Tante von dem rätselhaften Geschehen. Kurz darauf wünschte sie jedoch, sie hätte den Mund gehalten. Denn Harriet trat an sie heran und legte ihr mit besorgter Miene eine Hand auf die Stirn.

»Ich hab kein Fieber«, wehrte Fanny ab. Sie zog ihre Tante zu der Truhe hinüber.

»Guck! Die war eben noch blitzblank.«

Wie Fanny zuvor strich Harriet mit ihrem Zeigefinger über den Truhendeckel. Fanny bemerkte, dass das rechte Augenlid ihrer Tante kurz zuckte, aber dann sagte Harriet leichthin:

»Ja, siehst du, deswegen hab ich den Kampf aufgegeben. Der alte Kram hier zieht den Staub geradezu an. So schnell, wie alles wieder schmutzig wird, kannst du gar nicht hinterherputzen.« Sie wischte den staubigen Finger an ihrer Jeans ab.

Fanny zog die Stirn kraus. Wie sollten Möbel derart schnell einstauben? Das war doch Blödsinn! Sie fühlte sich von Harriet nicht ernst genommen, und immer wieder wurde ihr Blick von dem staubigen Truhendeckel angezogen. In Fannys Brust machte sich ein merkwürdig beklemmendes Gefühl breit, das sie den ganzen restlichen Tag nicht mehr losließ. Nicht einmal die Tatsache, dass Harriet zum Abendbrot Pizza bei Fannys Lieblingsitaliener bestellte, konnte sie davon ablenken.

Noch im Bett wälzte Fanny sich unruhig von einer Seite auf die andere, und immer wieder sah sie die verstaubte Truhe vor sich.

Kurz nach Mitternacht schreckte sie dann von einem polternden Geräusch auf. Zuerst dachte sie, der Krach käme von draußen. Doch dann folgte eine Reihe weiterer dumpfer Schläge, und spätestens ab dem dritten war Fanny sicher, dass das Spektakel von unten aus dem Laden kam. Bei jedem Rums erzitterte Fannys Bettgestell leicht. Sie sprang auf. Was, wenn das Einbrecher waren?

Aufgeregt eilte sie in Harriets Zimmer, knipste ohne Zögern das Licht an und rüttelte ihre Tante wach.

»Harriet, ich glaub, da ist jemand im Laden!«

»Hm, waaas?« Harriet blinzelte und strich sich die wirren Locken aus der Stirn. Krawumm, machte es, und sofort saß auch Fannys Tante kerzengerade im Bett.

»Vielleicht sind das Diebe«, wisperte Fanny, doch Harriet schüttelte entschieden den Kopf.

»Ich weiß, was das ist«, sagte sie.

Auf einmal sah sie richtig wütend aus. Stampfend verließ sie den Raum und erschien kurz darauf mit einem Besen wieder. Wie wild begann sie, mit dem Ende des Stiels auf den Dielen herumzuhämmern.

»Was machst du denn?«, rief Fanny verwirrt.

»Ich – rums – stelle diesen – rums – Lärm ab – rums!«, schnaubte Harriet mit wehenden Haaren. Nach einigen weiteren Hieben ließ sie sich erschöpft zurück aufs Bett fallen.

Fanny lauschte einen Moment in die Stille hinein. Der Krach hatte tatsächlich aufgehört.

»Was war das?«, fragte sie.

»Ach, das sind die ganzen alten Rohre in diesem Haus. Irgendwo ächzt und poltert immer irgendwas.«

»Und da hilft es, mit einem Besenstiel auf dem Boden rumzuklopfen?«, fragte Fanny irritiert.

»Jep. Das hilft«, sagte Harriet knapp.

Sie erhob sich und stellte gähnend den Besen in die Zimmerecke. Anschließend gab sie Fanny einen schmatzenden Kuss auf die Stirn und kuschelte sich wieder unter ihre Bettdecke. »Mach das Licht aus, ja?«, murmelte sie, dann war sie schon fast wieder eingeschlafen.

Fanny nickte ratlos. Sie kippte den Lichtschalter nach unten, und danach schlüpfte auch sie wieder in ihr Bett. Nervös spitzte sie noch einmal die Ohren, aber die Geräusche schienen wirklich verstummt zu sein. Zumindest die aus dem Laden. Draußen fuhren brummend mehrere Autos vorbei, und einmal kickte jemand auf der Straße eine Dose, sodass ein metallenes Scheppern zu Fanny heraufdrang.

Die Rohre, dachte sie und schüttelte in der Dunkelheit den Kopf. So ein Quatsch! Außerdem, welche Rohre verliefen denn unter dem Fußboden des ersten Stocks entlang? Fanny glaubte keine Sekunde an das, was ihre Tante behauptet hatte.

Aber weshalb log Harriet?

Irgendetwas stimmte hier nicht, so viel war sicher!

Genauso sicher war allerdings, dass Fanny herausfinden würde, was das war.

Am nächsten Vormittag begannen endlich die Sommerferien, und Fanny nahm sich auf dem Nachhauseweg fest vor, die Wahrheit aus ihrer Tante herauszukitzeln. Leider betrat aber zusammen mit ihr eine ältere Dame in einem eleganten flaschengrünen Kleid das Geschäft. Bei jedem Schritt stützte sich die alte Frau auf einen schwarz glänzenden Gehstock.

»Mrs Pickwick?«, wandte sie sich mit rauer Stimme an Harriet. »Ich bin Mrs Brown.«

»Ach, Mrs Brown. Natürlich«, rief Harriet aus. »Jetzt hätte ich Sie fast vergessen.« Eilig kam sie hinter dem Tresen hervor und führte die Dame zum roten Sofa hinüber. Dann drehte sie sich noch einmal zu Fanny um. »Süße, könntest du mir wohl eben mal den Pümpel von oben holen?«, bat sie.

»Den was?«, fragte Fanny ratlos.

»Na, dieses Ding mit dem roten Gummikopf, mit dem man den Abfluss frei macht. Das Waschbecken in der Ladenküche ist verstopft, und ich will es nachher reinigen.«

»Ist gut«, seufzte Fanny. »Wo soll der denn sein?«

»Probier’s mal im Bad«, schlug Harriet vor. »Und wenn er da nicht ist, guck in der Abstellkammer oder in der Küche, ja?!«

Widerwillig stapfte Fanny aus dem Laden und sprang die Außentreppe zu Harriets Wohnung hinauf. Die flaschengrüne Dame interessierte sie. Es passte ihr gar nicht, dass sie gerade jetzt dieses Pümpel-Ding suchen sollte. In Windeseile klapperte sie alle genannten Orte ab, jedoch ohne fündig zu werden. Während sie das Regal in der Abstellkammer durchstöberte, wurde Fanny immer sicherer, dass Harriet sie mit dem Pümpel-Auftrag nur aus dem Laden hatte schaffen wollen. Wahrscheinlich besaß sie so ein Ding überhaupt nicht. Das würde ihr ähnlich sehen! Bestimmt hatte sie mit dieser flaschengrünen Mrs Brown etwas Geheimes zu besprechen.

Fanny bedauerte sehr, dass es keinen direkten Zugang von der Wohnung zum Geschäft gab. Durch den hätte sie sich jetzt in den oberen Verkaufsraum schleichen und Harriets Gespräch belauschen können. Stattdessen huschte sie in aller Eile die Außentreppe wieder hinab und kauerte sich geduckt vor die Ladenfassade. Vorsichtig spähte sie durch das Schaufenster. Sie hatte Glück! Mrs Brown war noch da. Pech war allerdings, dass Fanny hier draußen kein einziges Wort verstand. Erstens war da die dicke Schaufensterscheibe, und zweitens dröhnte auf der Portobello Road zu dieser Tageszeit der Verkehr. Zu allem Überfluss starrte auch noch Mr Peters von gegenüber zu ihr. Schließlich beschloss Fanny, ihren Spähposten aufzugeben, und polterte zurück in Harriets Laden.

»Dann wäre ja alles geklärt«, hörte sie Mrs Brown mit ihrer heiseren Stimme verkünden.

»Prima. Und falls doch nicht, rufen Sie einfach an«, antwortete Harriet. »Warten Sie, ich bringe Sie zur Tür.«

Fanny ärgerte sich schwarz, nicht ein bisschen eher hereingekommen zu sein. Aber bei der Verabschiedung sagte Mrs Brown dann doch noch etwas sehr Interessantes:

»Ich freue mich wirklich, dass alles so gut geklappt hat, Mrs Pickwick.« Sie schüttelte Harriets Hand. »In meinem Haus ist es jetzt so einsam. Da hab ich gern ein bisschen Gesellschaft, wissen Sie? Und wenn der Lärm mich stört, drehe ich einfach mein Hörgerät ab.«

Über Harriets Wangen huschte ein gequältes Lächeln.

»Prima«, sagte sie schon wieder und stieß eilig die Ladentür auf. Doch Mrs Brown verharrte trotz dieses Winks mit dem Zaunpfahl weiter auf der Schwelle.

»Da fällt mir noch eine Frage ein«, setzte sie an. »Was mache ich denn, wenn …«

»Das können wir doch alles am Telefon besprechen, Mrs Brown«, sagte Harriet schnell. Sanft, aber entschieden schob sie die alte Dame aus dem Laden und schloss die Tür hinter ihr.

Fanny wartete einen Moment, ob Harriet von sich aus irgendeine Erklärung abgeben würde, aber das tat sie nicht. Stattdessen begann sie zerstreut, einige Rechnungen zu sortieren.

»Uuund? Was wollte die?«, fragte Fanny schließlich.

»Wer?«

»Na, die Dame von eben. Mrs Brown«, sagte Fanny gereizt, denn natürlich wusste Harriet genau, wen sie meinte.

»Ach, die wollte bloß ein Grammofon.«

»Ein Grammofon?«

»Ja, sie ist so einsam in ihrem großen Haus, weißt du? Da braucht sie ein wenig Musik.«

»Und da reicht ihr keine normale Musikanlage oder ein Radio?« Fanny war sicher, dass Harriet diese Grammofon-Geschichte gerade erfunden hatte. Allerdings passte sie hervorragend zu dem, was Mrs Brown an der Tür gesagt hatte, das musste Fanny ihrer Tante lassen. Offenbar war sie eine begabte Lügnerin.

»Du weißt doch, wie alte Leute sind«, sagte Harriet achselzuckend. »Mrs Brown will eben unbedingt ein Grammofon. Das erinnert sie an ihre Kindheit, hat sie mir erzählt.«

»Und welches hat sie sich ausgesucht? Sollen wir es ihr liefern?«, fragte Fanny.

Oben im zweiten Verkaufsraum lagerten zwei wirklich schöne Grammofone mit blank polierten Trichtern und hübschem Holzgehäuse.

»Keins«, murmelte Harriet. Übertrieben aufmerksam starrte sie auf einen ihrer Rechnungsbriefe. »Die beiden haben ihr nicht gefallen.«

»Aber sie hat doch eben gemeint, sie freut sich, dass alles so gut geklappt hat«, beharrte Fanny.

»Wie?« Jetzt hob Harriet den Blick. »Ach so, ja … ähm …« Sie blinzelte mehrmals. »Ich … ich hab ihr den Antiquitätenladen auf der Kensington Park Road empfohlen. Die haben vielleicht ein paar mehr Exemplare.«

»Hm«, machte Fanny nur.

Der Fall wurde immer klarer: Harriet hatte ein Geheimnis. Sonst würde sie sich kaum so um Kopf und Kragen reden, und andernfalls wäre sie wirklich eine miese Verkäuferin. Welche Ladenbesitzerin schlug den Leuten denn vor, woanders hinzugehen, wenn sie die Ware selbst vorrätig hatte?

Weil Harriet nach dem Gespräch über die flaschengrüne Dame und ihr Grammofon ziemlich schlecht gelaunt wirkte, verzichtete Fanny aber erst mal auf weitere Nachfragen.

Was Harriets Verkaufstalente anging, wurde sie jedoch kurz vor Ladenschluss erneut Zeugin einer ziemlichen Katastrophe.

Gegen halb sechs betrat ein älterer Herr den Laden und erkundigte sich nach genau der Truhe mit den Schnitzereien, die Fanny am Vortag einen solchen Schrecken eingejagt hatte. Fanny konnte sie immer noch nicht ansehen, ohne dass sich ihr dabei die Nackenhaare aufstellten. Zu ihrem Erstaunen erklärte Harriet dem Mann, dass die Truhe nicht zu verkaufen sei. Zuerst wirkte der Kunde nur verwundert, doch dann begann er mit Harriet zu feilschen. Fanny dachte schon, ihre Tante würde raffiniert den Preis in die Höhe treiben. Als sie bei ganzen fünfhundert Pfund aber immer noch ablehnte, verließ der Mann schnaufend und hochrot im Gesicht das Geschäft.

Da konnte Fanny sich nicht mehr zurückhalten.

»Was sollte das denn?«

»Wieso?« Ihre Tante schob sich einen Haselnusskeks mit dicker Glasur in den Mund und begann langsam zu kauen.

»Er hat dir fünfhundert Pfund geboten!«

»Na und?«, entgegnete Harriet schmatzend. »Ich will die alte Truhe eben nicht weggeben.«

»Und warum nicht?«, bohrte Fanny nach. »Stimmt damit doch irgendetwas nicht?«

»Fanny, bitte«, winkte Harriet ab. »Du spinnst ja! Ich hab mich an den alten Brocken gewöhnt, das ist alles.«

Fassungslos schüttelte Fanny den Kopf. »Das hier ist doch ein Laden. Hier sollen Sachen verkauft werden. Für Geld. Oder nicht?« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Ich meine, es ist ja nicht so, als ob du es dicke hättest. Manche Teebeutel benutzt du sogar drei Mal. Da kannst du doch keine fünfhundert Pfund ausschlagen!«

Fanny merkte erst, dass sie zu weit gegangen war, als Harriets Wangen in einem tiefen Kirschmarmeladenrot angelaufen waren.

»Wie redest du denn mit mir?«, schnappte ihre Tante zurück. »Manchmal bist du echt genauso spießig wie deine Mutter, Fanny. Da fällt der Apfel echt nicht weit vom Stamm.«

Fanny zuckte zusammen. Gerade hatte sie noch überlegt, sich bei Harriet zu entschuldigen. Doch diese Der-Apfel-fällt-nicht-weit-vom-Stamm-Bemerkung traf sie an einer höchst empfindlichen Stelle. Wütend verschränkte sie die Arme vor der Brust.

»Sag mal, du weißt schon noch, dass ich adoptiert bin, Tante Harriet, oder?«

Mit einem Wimpernschlag fiel Harriet der zornige Ausdruck aus dem Gesicht.

»Mensch, Fanny«, sagte sie erschrocken. »Ich … ich wollte doch nicht –«

»Oder hattest du das vergessen – wie so viele andere Sachen auch?«

»Nein, natürlich nicht«, verteidigte sich Harriet. »Wenn überhaupt, dann hab ich es kurz verdrängt. Aber ist das denn so schlimm?«

Fanny holte tief Luft.

»Ihr könnt nicht immer alle so tun, als hätte diese Adoption überhaupt nicht stattgefunden.«

»Und wieso nicht?«, fragte Harriet. »Du gehörst eben zur Familie. Da ist es doch egal, ob –«

»Ist es eben nicht. Mir ist es nicht egal. Das ist ein ziemlich großes Ding für mich! Warum kapiert das denn niemand? Ich will wissen, wer meine richtigen Eltern sind und weshalb sie mich weggegeben haben.« Fanny war kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Harriet entfuhr ein tiefer Seufzer.

»Nicht wieder dieses Thema, Fanny! Du weißt genau, dass wir nichts über deine echten Eltern wissen. Wie sollen wir dir da etwas über sie erzählen?«

»Ja, schon klar«, murrte Fanny.

Ihre Mum hatte ihr tausendmal gesagt, dass das Jugendamt damals keine Informationen herausgeben wollte. Und laut Jennifer Jones hatte sich seitdem nichts an der Haltung der Behörde geändert.

»Ach, Süße …« Harriet wuschelte Fanny versöhnlich mit der Hand über den Kopf. »Jetzt lass uns aufhören zu streiten, ja?! Ist doch alles gut.« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Ich hol uns Fish and Chips zum Dinner, okay?«

Ohne auf Fannys Zustimmung zu warten, griff Harriet nach ihrem Portemonnaie und schlüpfte zur Tür hinaus.

Leider war für Fanny aber überhaupt nicht alles gut. Als sie an diesem Abend in ihrem Bett lag, konnte sie erneut nicht einschlafen, und das aus mehreren Gründen: Es ärgerte sie, dass sie mit der Aufdeckung von Harriets Geheimnissen nicht weitergekommen war. Weder die Sache mit den Rohren noch die mit der flaschengrünen Dame oder der mysteriösen Truhe hatte sie aufklären können. Außerdem musste sie an den Streit mit Harriet und an ihre Adoption denken.

Weil niemand Fanny etwas zu ihrer Herkunft sagen konnte, hatte sie sich natürlich selbst schon jede Menge Theorien dazu ausgedacht. Die abenteuerlichsten davon – sie gingen in Richtung Mafia und adelige russische Familie – schwirrten ihr jetzt wie aufgescheuchte Fliegen im Kopf herum. Erst zwei Stunden später fiel sie endlich in einen unruhigen Schlaf, aus dem sie aber schon wenige Minuten später wieder erwachte. Müde sah sie auf das Display ihres Handys. 00:05 strahlten ihr die Leuchtziffern entgegen. Wovon war sie aufgewacht?

Rums, hörte sie einen donnernden Schlag. Er musste wieder aus dem Laden gekommen sein. Gleich darauf gab es noch einen zweiten. Es waren genau dieselben Geräusche wie in der Nacht zuvor. Fanny knipste ihre Nachttischlampe an. Sie atmete tief durch, bevor sie aus dem Bett stieg und sich Jeans, Pullover und ihre Sneaker anzog.

Die Angst schnürte ihr zwar jetzt schon die Kehle zu, doch sie musste endlich wissen, was hier los war. Und wenn ihre Tante ihr immer nur Märchen erzählte, würde sie die Sache eben selbst in die Hand nehmen.

Entschlossen griff Fanny nach ihrem Handy. Auf dem Flur spähte sie durch die halb offene Tür in Harriets Schlafzimmer. Dort drinnen war es stockdunkel, aber Fanny nahm ein leises, gleichmäßiges Schnarchen wahr.

Krawumm