Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte - Berthold Auerbach - E-Book

Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte E-Book

Berthold Auerbach

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Beschreibung

Ein Roman über den Aufstieg und Fall eines Mannes: Diethelm entstammt einer armen Familie und schafft es aufgrund seiner Heirat, zum Bauern aufzusteigen. Doch als er in finanzielle Nöte kommt, heckt er einen Plan aus, wie er mithilfe von Brandstiftung vielleicht doch seine Ehre retten kann – so glaubt er zumindest...Die "Schwarzwälder Dorfgeschichten" bestehen aus 27 Erzählungen, die Berthold Auerbach zwischen 1843 und 1880 verfasste und mit denen er die literarische Gattung der Dorfgeschichte maßgeblich prägte. Sie spielen alle im ländlichen Raum des Schwarzwalds und charakterisieren das Dorfleben und seine Bewohner.

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Berthold Auerbach

Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte

(1852.)

Saga

Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. Eine Schwarzwälder DorfgeschichteCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1852, 2020 Berthold Auerbach und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726614541

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Erstes Kapitel.

In dem freundlichen Städtchen G. war lebhaftes Marktgewühl und mitten durch das auf und abwogende Menschengedränge bewegte sich, von zwei fetten, tief eingekreuzten Rappen gezogen, ein Bernerwägelein, auf dessen niedergelassener Halbkutsche ein breitschulteriger Mann sass. Der breitkrämpige schwarze Hut mit handhoher Silberschnalle im Sammtbande, der kragenlose einreihige schwarze Sammtrock mit den nahe zusammengerückten flachen silbernen Knöpfen, die rothe Scharlachweste mit den kugelförmig silbernen Knöpfen zeigten den reichen oberländischen Bauer. Er hielt mit beiden Händen die Pferde straff im Zügel, die Peitsche stack neben ihm und er rief nur manchmal den zögernd Ausweichenden ein Aufg’schaut! oder einfach Hoho! zu. Die Pferde trugen die Köpfe mit dem messingbeschlagenen Riemenzeug so stolz, als wüssten sie, welch’ ein Aufsehen sie erregten. Neben dem Manne sass ein junges Mädchen, ebenfalls in oberländischer Tracht, die sich aber mehr im Schnitt als im Stoff zeigte; denn der braune Spenzer und die schwarze Schürze waren von Seide, nur die Haube war noch in der landesüblichen Weise und aus den schwarzen am Kinn geknüpften Bändern sah ein blasses längliches Gesicht mit dunkeln Augen.

Die Leute im Gedränge gafften Alle nach dem Gefährte und dessen überaus stattlichen Insassen. Manche vergassen darüber auszuweichen und mussten von Nachbarn angerufen werden, und bald da bald dort gab es ein heftigeres Gedränge, aber die Rappen standen jedesmal auf einen Pfiff ihres Herrn stille. Oftmals auch grüsste dieser einen Bekannten und rief ihm zu: ,,Weisst schon, im Hirsch.“ In dem Marktgemühl stachen besonders die Schäfer hervor in ihren weissen rothausgeschlagenen und mit rothen Einnäthen versehenen Zwillichröcken, auf denen noch, über die rechte Schulter gelegt, schärpenartig der lederne Gurt mit glänzenden Messingringen prangte; ihre Hunde liefen hart neben ihnen, denn sie hatten sie an die vielgelenkige Kette angekoppelt. Ueber das bartlose runde Antlitz des Fahrenden zuckte oft ein Lächeln, denn er hörte die Staunenden am Wege fragen: „Wer ist das?“ worauf die Antwortenden immer ihre Verwunderung ausdrückten, dass man den nicht kenne: „Das ist ja der Diethelm von Buchenberg,“ hiess es dann, ,,der hat mehr Kronenthaler, als die zwei Gäul’ ziehen können,“ und ein Anderer sagte wieder: „Ich wollt’, du und ich, wir hätten das mit einander im Vermögen, was der heut’ für Woll’ und Schafe einnimmt.“ „Wenn der Diethelm da ist, geht der Markt erst an,“ sagte ein Dritter; „die Engelländer warten Alle auf ihn,“ rief ein Vierter. Ein Mann, der mit mehreren anderen eine gute Strecke neben dem Wagen herging, berichtete: ,,Ich bin von Letzweiler und der Diethelm ist auch von da gebürtig. Er hat einen grausam mächtigen Familienanhang. Vor zwanzig Jahren sind das lauter Krattenmacher (Korbmacher) und Bettelleut’ gewesen und der Diethelm hat sie hingestellt, dass sie capitalfest sind. Ja, ja, so ein Mann in der Freundschaft und sie ist glücklich.“

Der Fahrende stiess manchmal die neben ihm Sitzende an, dass sie auch hinhorche auf das, was man sage; die üble Nachrede im eigentlichsten Sinn des Wortes schien der Fahrende nicht zu vernehmen, denn es gab auch Manche, die über die Ungebühr schimpften, mit Ross und Wagen mitten durch das Menschengedräng zu fahren; Andere machten darob Witze und einige gehobene Heldenseelen fluchten hinter dem Wagen drein und schalten auf die Polizei, die so etwas dulde. Ein Bretzelverkäufer, der seinen Kram auf einem langen Stock aufgereiht trug, sagte geradezu: es sei nichts schlimmer, als wenn der Bauer auf den Gaul käme, der mache es ärger als die Herren.

Der Vielberufene fuhr aber strahlenden Antlitzes wie ein Triumphirender dahin, und endlich war man beim Wirthshaus zum Hirsch, das eine ganze Wagenburg umstellte, angelangt. Eine mächtige Glocke erschallte im Hausflur, die Frau Hirschwirthin, oder wie sie lieber genannt war, die Frau Postmeisterin, erschien selber, reichte Diethelm die Hand, hiess die „Jungfer Tochter,“ die als schlanke, biegsame Gestalt auf dem Wagen stand, willkommen, half ihr absteigen und nahm ihr eine bunt gestickte Reisetasche ab. Der Hausknecht, der heute seinen grossen Tag hatte, war doch bei der Hand, und während er die Aufhaltketten der Pferde löste, half ihm ein Schäfer dieselben aussträngen.

,,Ist Alles in Ordnung, Medard?“ fragte Diethelm den Schäfer, indem er sich neben die Pferde stellte; der Schäfer bejahte, eilte dem Mädchen nach und raunte ihm schnell zu:

,,Mein Munde (Raimund) ist auf Urlaub auch hier.“

Das Mädchen erröthete und antwortete nichts, es band sich die Haube fester, indem es in das Wirthshaus trat.

Der Schäfer Medard eilte zu seinem Herrn zurück und sagte, dass er schon beim Einfahren von einem Händler darum angehalten worden sei, wie theuer er verkaufe.

„Wie ich dir gesagt habe,“ erwiderte Diethelm ruhig, ,,siebzehn Gulden das Paar und keinen rothen Heller weniger. Sag nur, dein Herr sei der Diethelm und der lass nicht mit sich handeln. Wir nehmen unser Vieh wieder heim, es ist mir so lieb wie baar Geld.“

Der Schäfer nickte, in seinem gerötheten Antlitze, das von einem langen zottigen Backenbarte eingefasst war, zuckte es; er ging davon, wobei man ein Hinken am rechten Fusse bemerkte.

Diethelm streichelte die Rappen und lobte sie, dass ihnen trotz des scharfen Fahrens kein Haar krumm geworden sei, er liess sie desshalb nicht sogleich nach dem Stall bringen, sondern hielt sie noch auf, bis sich immer mehr Bekannte sammelten, die sein „Baronen-Fuhrwerk“ lobten und theils geradezu, theils auf Umwegen seinen Reichthum hervorhoben. Diethelm hielt die Hand auf den Sattelgaul gelegt, er war im Stehen kleiner als er auf dem Wagen erschienen war, er mass kaum etwas mehr als sechzehn Faust wie die Rappen, und war auch so wohlgenährt und breit wie sie. Er vernahm nun, wie das immer geht, von schlechten Marktaussichten, das Ausgebot sei gross und die Nachfrage gering, da Händler und Fabrikanten den Preis sehr drückten und überhaupt baar Geld sehr knapp sei, weil Alles auf Zeit kaufen wolle.

,,Dann verkauf’ ich gar nicht und kauf’ selber,“ erwiderte Diethelm und schlug sich dabei auf den Bauch, um den er eine umfangreiche leere Geldgurt geschnallt hatte. Mehrere boten ihm nun sogleich Wolle und Schafe an, aber er lehnte für jetzt noch ab und als man ihn aufforderte mit in die Stube zu gehen, schien er sich schwer von seinem Gefährte zu trennen und aus seinen Mienen sprach nur halb der ihn bewegende Gedanke: „So wie man geht und steht herumlaufen, das hat kein Ansehen, da ist man wie jeder Hergelaufene; ich wollt’ ich könnt’ mit meinen Rappen und meinem Kütschle in den Stuben herumfahren, da zeigt sich doch auch gleich wer man ist.“ Es war ein seltsames Lächeln, mit dem endlich Diethelm die Rappen in den Stall schickte. Die stattliche Rotte, die ihn umgab, konnte er mit Fug als sein Geleite betrachten und waren auch verkommene Leute darunter, ehemalige Schafhalter, die jetzt als Unterhändler dienten, Schmarotzer, deren ganzes Marktgeschäft im Erhaschen eines Freitrunkes bestand: bah! grosse Männer haben immer auch solche in ihrem Geleite, und Diethelm schritt an der Spitze seines Trosses breitspurig einher.

Der Reppenberger, ein hagerer Bauer im zertragenen blauen Kittel, mit einem schmutzigen Wochenbarte auf dem listigen Gesichte, war ehemals selbst wohlhabend gewesen, hatte sich im Schafhandel „verspekulirt“ und war jetzt der gewandteste Unterhändler. Dieser wollte sich an die Seite Diethelms drängen; er bot ihm eine Prise aus seiner grossen birkenrindenen Dose und wollte ihm allerlei mittheilen, aber Diethelm vertröstete ihn mit herrischer Miene auf später und zog den Schultheiss von Rettinghausen, einen mehr ebenbürtigen Genossen an sich, und so trat er in die Wirthsstube, wo jetzt im halben Morgen schon voller Mittag gehalten wurde; denn an langer Tafel und an Seitentischen sassen Männer und Frauen und erlabten sich an Sauerkraut und Speck und gedeihlichem Unterländer Wein, und was sie nicht aufspeisten, wickelten sie in ein daneben gelegtes Papier und steckten es zu sich. Da und dort war auch der Tisch zu einer Rechentafel geworden und mit Kreide wurde der Erlös zusammengerechnet, denn es war schon Mehreres verkauft. Mancher vollgestopfte Mund nickte Diethelm zu und manche Hand legte die Gabel weg und streckte sich ihm entgegen.

„Je später der Markt, je schöner die Leut’,“ rief ein Weisskopf Diethelm zu.

,,Kommst spät.“

„Bist alleine oder hast die Frau bei dir?“

,,Ist das zimpfere Mädle dein’ Fränz?“ (Franziska.)

Solche und viele andere Anreden bestürmten Diethelm von allen Seiten und manche Gabel deutete nach ihm und mancher Kopf drehte sich um, denn die, die ihn kannten, zeigten ihn den Fremden und eine Weile war alle Aufmerksamkeit nach ihm gerichtet. Erregte der Duft der Speisen einen ungeahnten Hunger, so gab dieses allgemeine Ansehen eine andere Sättigung. Eine Kellnerin fragte Diethelm nach altem Brauch, was er befehle; aber die Wirthin, die eben durch die Stube ging, schnitt ihr das Wort ab und sagte:

,,Der Herr Diethelm sitzt in die Herrenstube, der Advokat Rothmann sind auch schon drüben und unterhalten sich mit der Fränz.“

,,Die Fränz soll da herein kommen,“ entgegnete Diethelm und so laut, dass es Alle hören konnten, ,,wenn der Advokat Rothmann was von mir will, kann er zu mir kommen; ich lauf’ ihm nicht nach, ich hab’ Gottlob nichts mit ihm. Ich bleib’ da unter Meinesgleichen.“

Man sprach davon, dass es einen harten Wahlkampf geben werde, wenn Diethelm gegen den Rothmann als Mitwerber um die Abgeordnetenstelle auftrete; Diethelm lehnte mit halber Miene jede Bewerbung ab, und stimmte selber in das Lob Rothmanns ein, der als ,,fadengrader“ Ehrenmann gepriesen und oft bei seinem Beinamen ,,der Schweizertell.“ genannt wurde, denn er hatte nicht nur zweimal auf dem eidgenössifchen Freischiessen den Preis gewonnen, sondern stand überhaupt in vielfachem Verkehr mit dem benachbarten Freistaate und war selber ein Charakter als wäre er in der Republik aufgewachsen, schlicht, derb und unverbogen bei aller gelehrten Bildung.

Als er jetzt in die äussere Stube trat und seine hagere hohe Figur Alle überragte, ging ihm Diethelm zuerst entgegen und reichte ihm die Hand, worauf fast alle Anwesenden nacheinander ihm zutranken.

Der Reppenberger kam hastig, klopfte Diethelm auf die Schulter und sagte ihm ins Ohr: man rede schon überall davon, dass der Diethelm einkaufen wolle und just heute liesse sich ein gutes Geschäft machen. Der Krebssteinbauer da hinten aus dem Lenninger Thal, der dort an der Ecke sitze, den müsse man zuerst einfangen; er mache die Andern kopfscheu und sprenge aus, der Diethelm thäte nur so als wenn er einkaufen wolle, der habe gewiss schon verkauft und stecke mit den Händlern unter Einer Decke, und man könne überhaupt nicht wissen was der vorhabe; der Steinbauer werde aber schon einen geringeren Preis angeben als wofür man abgekauft habe, wenn er nur baar Geld kriege, dafür wolle er schon als Unterhändler sorgen.

Diethelm sah dem Reppenberger steif ins Gesicht, als müsste er herausgraben, was er von ihm denke; schnell sagte er aber ganz laut:

„Es ist nur Spass, dass ich einkaufen will, das Futter ist klemm und ich brauch’ Geld, ich hab’s nicht in Säcken stehen wie Ihr meint.“

Alles widersprach und schalt zutraulich auf ihn, dass so ein Mann sage, er brauche Geld; man wisse ja, dass er Capitale ausstehen habe mehr als seinen Schuldnern lieb sei.

––––––––––

Zweites Kapitel.

Diethelm ging lächelnd die Stube auf und ab, sein Kleinthun hatte mehr genützt als alle Prahlerei; er blieb bei dem Steinbauer stehen, gab ihm einen derben Schlag auf den Buckel und sagte:

,,Wie, Steinbauer, kennst mich noch?“

,,Freilich, grüss Gott. Ich hab’ nur warten wollen, bis ich gessen hab’.“

„Ruck’ ein bisle zusammen, ich will mich zu dir setzen. Fränz, da komm’ her.“

,,Ist das die Tochter?“ fragte der Steinbauer, etwas verwirrt an die Seite rückend; er erinnerte sich nicht, dass er sich mit Diethelm duzte.

„Wenn du nicht so altbacken wärst, könntest sie heirathen,“ entgegnete Diethelm. Der Krebssteinbauer grinste nun gar seltsam und schwieg, er war überhaupt kein Freund vom vielen Reden und vorab beim Essen. Nur Einmal wendete er sich um und auf das Haupt Diethelms deutend, sagte er: „Auch grau geworden seit dem letzten Jahr.“

„Ja, der Esel kommt heraus,“ sagte Diethelm lachend, aber der Steinbauer liess sich nicht zu der doch rechtmässig erwarteten höflichen Entgegnung herbei; er ass ruhig weiter als hätte er Nichts gesagt und Nichts gehört.

Diethelm kannte die hinterhältige und selbst mit Worten karge Weise dieses Mannes wohl, und doch klammerte er sich an ihn und that gar zutraulich. Der Steinbauer liess sich das gefallen aber mit einer Miene, in der der Ausdruck lag: mein Geldbeutel ist fest zu, mir schwätzt Keiner einen Kreuzer heraus, wenn ich nicht mag.

Als Diethelm sich einen Schoppen Batzenwein bestellte, schaute der Steinbauer nur flüchtig nach ihm um, aber er sprach kein Wort der Verwunderung und des Lobes über die Sparsamkeit Diethelms und diesem erschien solch ein Benehmen noch saurer als der ungewohnte Halskratzer. Diese in sich vermauerte Natur des Steinbauern, der über Thun und Lassen Anderer kein Wort verlor und selber that was ihm gutdünkte, ohne umzuschauen was man dazu denke oder sage; diese verschlossene Sicherheit, die ihr Benehmen nicht änderte und von hundert Augen bemerkt dieselbe blieb wie daheim auf dem einödigen Hofe, — Alles das erkannte Diethelm als Gegensatz und es reizte nothwendig sein herausforderndes Gebaren zum Kampfe. Er mochte aber den Steinbauern anzapfen wie er wollte, höchstens ein Freilich, ein Jawohl oder ein kopfschüttelndes Verneinen war aus ihm heraus zu bringen. Als Diethelm fragte, ob er auf des Steinbauern Stimme zählen könne, wenn er sich um die Abgeordnetenstelle bewerbe, liess sich der Steinbauer endlich zu den vielen Worten herbei: ,,Ich wüsst’ nicht, warum nicht.“ Nun lachte Diethelm über das ausgesprengte Gerücht, dass er Landstand werden wolle; er denke nicht daran, bei diesen schlechten Zeiten könne man ein grosses Anwesen nicht verlassen, da müsse, man jede Stunde und jeden Kreuzer sparen, wenn man der rechte Mann bleiben wolle, es mögen andere Leute den Staat regieren, das gehe ihn nichts an.

Der Steinbauer wickelte gelassen das übrig gebliebene Fleisch in ein Papier und steckte es zu sich, er hob und senkte nun mehrmals seine geschlossenen Lippen, sei es zum Nachkosten des Genossenen oder dem Gehörten beistimmend.

Diethelm setzte nun noch weiter auseinander, dass er sich nichts um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern möge, und das gilt jetzt wieder unter vielen Menschen, besonders aber bei den Bauern, als grosser Ruhm. Als er aber darauf hinwies, dass er in seinem Hauswesen vielerlei zu sorgen habe, sagte der Schultheiss von Rettinghausen: „Die Kläger haben kein’ Noth und die Prahler kein Brod.“

Der Steinbauer erhielt sich noch immer in seiner unerschütterlichen Theilnahmlosigkeit, methodisch und langsam stopfte er seine Pfeife, schlug Feuer, öffnete den Deckel und verschloss den Zündschwamm und wollte nun aufstehen. Diethelm aber hielt ihn noch fest und fragte zuerst, ob er nicht seinen Hof verkaufen wolle, sein Schwager, der Schäuflerdavid, suche so einen herrenmässig gelegenen für einen Ausländer. Der Steinbauer sagte, dass er zwar nicht verkaufen wolle, aber wenn er ein rechtes Anbot bekäme, liesse sich davon reden. Nun hatte ihn Diethelm doch flüssiger, und indem er noch mehrmals von seinem Schwager, dem Schäuflerdavid und ihren gemeinsamen Geschäften sprach, kam er endlich ans Ziel zu erklären, dass er allerdings Willens sei, wenn die fremden Händler nicht höher hinaufgehen, selber einzukaufen. Der Steinbauer, dem es ersichtlich Mühe machte, sein saures Dreinsehen aufzugeben, ward plötzlich freundlicher, nahm ohne Widerrede das Glas an, das ihm Diethelm einschenkte, und erklärte nun mit erstaunlicher Redseligkeit, welch einen Ausbund von Wolle und Schafen er habe, wie die Alle so wolltreu seien, ein Haar dem andern gleiche und der Stapel vom besten Fluss und gleich rund sei, wie ,,viel Leib“ seine Schafe hätten, dass er aber doch um einen annehmbaren Preis Alles verkaufe, weil er kein Glück in der Schafhalterei habe. Er legte das Zeugniss seines Schultheissen vor, darin nach einem Formular beurkundet war, wo seine Schafe geweidet und dass keine Krankheit dort und auch keine kranken darunter waren, und schloss endlich:

„Neun und neunzig Schäfer hundert Betrüger sagt man im Sprüchwort, und es ist noch mehr als wahr. Drum will ich Nichts mehr davon.“

Die Umsitzenden stimmten auch in die Klagen über die Schäfer ein und Jeder hatte zu erzählen, wie man seit des Erzvaters Jakob Zeiten um ihrer sicher zu sein, ihnen einige Schafe als Eigenthum bei der Heerde halten muss, wie sie diese aber zu gewöhnen wissen, dass sie den anderen stets das beste Futter wegfressen, wie sie den Hund abrichten, dass er nie ein Schäferschaf beisst, wie sie immer die besten und schönsten Lämmer haben und den Mutterschafen ihre nichtsnutzigen unterschieben; kommt dann der Herr dazu, so heisst es, wie das auch bei der natürlichen Mutter sein kann: es will noch nicht recht annehmen. Allerlei Schelmenstreiche von Schäfern wurden erzählt und das Gespräch schien sich fast ganz hierin zu verlieren, bis es Diethelm wieder auf den Handel brachte, aber er zuckte zusammen, als der Steinbauer, nachdem per das eingeschenkte Glas ausgetrunken hatte, ruhig sagte, er handle nur um baar Geld.

,,Bin ich dir nicht gut?“ fragte Diethelm trotzig.

,,Du bist mir gut, und dass du mir’s bleibst, ist baar Geld das beste,“ sagte der Steinbauer und schob seine Tabakspfeife in den linken Mundwinkel, während er aus dem rechten den Rauch blies. Er sah dabei nochmal so listig aus.

„Ist dir mein Schwager, der Schäuflerdavid auch nicht gut?“ fragte Diethelm.

,,Der Schäuflerdavid? freilich, der ist auch gut; wenn er sich verbürgt, kann ich bis Fastnacht mit dem Geld warten.“

Diethelm hob hastig beide Achseln, wie wenn er etwas abschütteln müsse, dann lachte er laut und sagte:

,,Komm jetzt, wir wollen, ’naus auf den Markt.“

Der Steinbauer zog einen ledernen Geldbeutel, der dreifach verknüpft war, bezahlte, nahm seinen hohen Schwarzdornstock, der in der Ecke lehnte, und ging mit Diethelm.

Auf dem Schafmarkt stand in einer Doppelreihe Hurde an Hurde, darin die Schafe eng zusammengedrängt, theils lagen, theils standen und wiederkäuten, Alle aber waren lautlos und das allezeit blöde Dreinsehen der Schafe hatte fast noch etwas Gesteigertes. Knaben mit flüssigem Zinnober in offenen Schüsseln liefen umher und gesellten sich zu Gruppen, wo mit lautem Geschrei und heftigen Geberden gehandelt wurde. Händler stiegen in die Hurden, zogen den Schafen die Augenlider auf und schauten nach den Zähnen, Andere bezeichneten mit einer in Zinnober eingetauchten Schablone die eingekauften und zählten dabei; dort sprang eine Heerde lustig aus der geöffneten Hurde, sich in der wiedergewonnenen Freiheit überstürzend, überall war buntes lebendiges Treiben. Der Schäfer Medard kam Diethelm entgegen und sagte, dass er noch nicht verkauft, aber sichere Hoffnung habe. Nun einigte sich Diethelm schnell mit dem Steinbauer, kaufte ihm seine Zeithämmel (jährige) ab und nahm auch die Bracken dazu.

Er eilte mit dem Steinbauer in das Kaufhaus, ihnen vorauf lief das Gerücht, dass Diethelm bereits Schafe eingekauft habe und auch für die Wolle die besten Preise bezahle. Diethelm war aber noch nicht zum Wolleinkauf entschlossen, er hatte diesen Gedanken nur so in leichtfertiger Prahlerei hingeworfen um zu verdecken, wie sehr es ihm zum Verkaufen auf den Nägeln brenne; jetzt wurde ihm das Vorhaben immer genehmer und mit seltsamem Blicke betrachtete er seinen Genossen mit dem mehr als mannsgrossen Stocke, mit dem schlichten Anzuge und der selbstzufriedenen Miene; der wünschte wohl nicht, wie er, mit Wagen und Pferd in den Stuben umherzufahren; wie weit zurück lag ihm jetzt die Zeit, wo auch er so stolz sein konnte, statt dass er jetzt, um sich nicht zu verrathen, stolz thun musste.

„Hast kein Fuhrwerk bei dir?“ fragte Diethelm, worauf der Steinbauer erwiderte:

„Nein, ich bin noch gut zuweg, mit dem Fahren hat’s Zeit bis ich alt bin.“

Im Kaufhause sah Diethelm, dass die verpflichteten Wollsetzer seine Schepper (Vliesse) gut aufgesetzt hatten, sie standen an guter Stelle, nicht zu hell und nicht zu dunkel; seine spanische und seine Bastardwolle durfte sich sehen lassen. Sein nächster Nachbar war der Steinbauer, der sich darüber beklagte, dass er einen schlechten Platz habe, gerade neben der Feuerspritze und dem grossen Wasserfasse, die unter der Treppe standen. Diethelm stand mit übereinandergeschlagenen Armen ruhig neben seiner Lammwolle, als hastigen Schrittes der Reppenberger kam. Alles Blut schoss Diethelm zu Kopfe, indem er dachte, dass er vielleicht auch einst als Unterhändler hier sich tummeln, sich abweisen und anfahren lassen müsse, während Alles jetzt seine Nähe suchte und um seine Freundschaft buhlte. Diethelm war entschlossen, mindestens vom Steinbauern noch die Wolle einzukaufen. Zwar hatte er die Bürgschaft des Schwagers zu leichtfertig versprochen, aber der Steinbauer muss ihm vor der Hand glauben, und dann will er noch heute all das Mitgebrachte und das Erkaufte in der Stille versilbern, es sind dann drei Monate Zeit gewonnen, es gilt Luck auf und Luck zu zu machen, bis man den rechten Schick trifft, und der kann doch nicht ewig ausbleiben. Diethelm wurde auch hier schnell handelseins mit dem Steinbauer und als nun Andere sahen, dass dieser ihm das Seinige übergab, bestürmten sie ihn ebenfalls mit Anerbietungen. Er wehrte Anfangs ab; er wollte nicht weiter gehen. Aber vielleicht lässt sich gerade jetzt der rechte Schick machen, man darf ihn nicht aus der Hand lassen, mit so viel Waare lässt sich was Grosses versuchen — die Hand Diethelms wurde brennend von dem öfteren Handschlag, er wusste fast gar nicht mehr wie viel er eingekauft hatte und der Reppenberger brachte neue und immer bessere Gelegenheiten mit Zahlungsterminen auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde zu Hurde; ihm war’s, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein, du musst mich nehmen.

Das Lärmen und Rennen um ihr her, das ferne verworrene Brausen des städtischen Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem und sein Antlitz war hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen und alles Blut wich daraus zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der grossen Feuerspritze, die im Hofe stand, sass er mit entblösstem Haupte und gekreuzten Beinen und sein Auge schaute hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u. s. w. eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm fuhr sich mit der Hand über das Haupt und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten bis oben gleich und Alles im Vliess gewaschen. Diethelm nebelte es vor den Augen und er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er fühlte sich so matt, dass er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgallerie und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten Diethelms nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als hörte er die Posaune des jüngsten Gerichtes vom Himmel herab; er fuhr sich in mit der breiten Hand langsam über das ganze Gesicht, dann schaute er hell auf, der Reppenberger rief ihm. Der herbeigebrachte Wein richtete ihn bald wieder auf und nun galt es, die begonnene Rolle muthig fortzusetzen. Die Stadtzinkenisten bliesen eben nach einer andern Himmelsgegend und die Klänge schwebten wie verloren über dem lauten Marktgewühle. Einmal sprach er eifrig und ganz allein mit einem fremden Händler und es verbreitete sich rasch die Sage, dass er im Auftrage dieses, der noch gar nichts eingekauft hatte, die Händel abschliesse. Diethelm merkte bald, dass sein Auftreten dem Markt eine ganz andere Wendung gegeben hatte; es kamen schon Unterhändler die sich im Auftrage Ungenannter nach dem Wiederverkaufe erkundigten. Eine Weile stockte er und gedachte mit mässigem Gewinn darauf einzugehen, aber der Reppenberger hatte Recht: jetzt im hohen Verkehr, wo Alles im Trab geht, kann man nicht hufen und rückwärts fahren; wenn Alles vorbei ist, dann lässt sich ein guter Treffer machen, dann hat man die ganze Geschichte allein in der Hand, drum jetzt nur muthig vorwärts. Und immer neue Zahlen stellten sich in die Schreibtafel Diethelms, er hatte schon dreimal die Schreibtafel in die Tasche gesteckt und die Hand darauf gelegt mit der Versicherung, dass er sie nicht mehr herausthue, und wenn er die Sachen halb geschenkt bekäme, er gehe nicht weiter ins Wasser, als er Boden habe; aber Alles schrie über seine Bescheidenheit, so ein Mann wie er, könne dreimal den Markt auskaufen. Dieser Ruhm stachelte ihn immer wieder aufs Neue, denn er sah, wie seine prahlerische Bescheidenheit ihm immer mehr Vertrauen an den Hals warf. Der Gedanke, wie sehr er dieses Zutrauen täusche und vielleicht ganz betrüge, zuckte ihm wieder durch die Seele, aber jetzt fand er eine rasche Aushülfe: da ist der Steinbauer, der so heilig thut, wie ein frisch vom Himmel geflogener Engel, und ohne Widerrede gibt er einen geringern Preis an, als er bekommt und betrügt damit alle Anderen. Aller Handel und Wandel ist auf Lug und Trug gestellt, ein bischen mehr, ein bischen weniger; und es kann ja wohl sein, es ist so viel als sicher, dass kein Mensch einen Heller verliert. — Die Leute zeigten einander, wie zuversichtlich und froh der Diethelm dreinsah und beneideten ihn um den Haupttreffer, den er heute mache.

––––––––––

Drittes Kapitel.

Wieder kehrte Diethelm mit grossem Geleite in das Wirthshaus zurück. Es waren nun wirklich seine Vasallen, denn ihn umgaben alle Die, denen er abgekauft hatte.

Unter dem Thore begegnete er seiner Tochter, die mit einigen Mädchen dort seiner harrte; sie fragte ihn, ob er nun mitgehe, ihr, wie er versprochen, einen Marktkram zu kaufen. Diethelm sagte, er habe keine Zeit und gab ihr zwei Kronenthaler, dass sie sich selber etwas kaufe.

Mit dem Steinbauer musste nun vor Allem glatte Rechnung gemacht werden. Diethelm nahm ihn zuerst allein vor, aber er mochte reden, was er wollte, der Steinbauer blieb bei seiner Aussage, er verlangte ein Viertheil des Kaufpreises als Anzahlung und binnen acht Tagen die Unterschrift des Schäuflerdavid als Bürgen. Diethelm suchte das Ungerechte dieser Bedingungen, die gar nicht festgestellt waren, darzuthun; der Steinbauer verzog keine Miene und blieb dabei, selbst als Diethelm laut lachte und die Sache ins Scherzhafte ziehen wollte, blieb sein Widerpart ohne Theilnahme und war, was man so nennt, ein bestandener Bauer, der sich nicht so leicht aus seinem Schritt bringen liess. Schnell in Zorn überspringend, schalt ihn Diethelm einen Betrüger, da er einen geringeren Kaufpreis angegeben habe, um die Anderen zu hintergehen. Der Steinbauer läugnete diess und behauptete, er habe zur Angabe Diethelms nur geschwiegen, er könne aber jetzt auch reden und vielleicht mehr als lieb sei.

,,Was meinst? was?“ fragte Diethelm hastig.

,,Ich mein’ gar nichts, ich will mein Geld und da bleibt ein Jeder wer er ist.“

,,Hältst mich für ein Schuldenbäuerle?“ fragte Diethelm halbzornig.

,,Nein, b’hüt Gott, ich könnt’ mit dir tauschen, wenn’s drauf ankäm’; aber weisst: zahlen mit baar Geld, das zwingt die Welt. Du brauchst ja nur pfeifen, da hast’s, und wenn ich mein Sach’ wieder an mich zieh’, und das thu’ ich, wenn du mich nicht baar bezahlst, ich liess’ es aber nicht dabei, ich müsst’ vor’s Amt damit, so hart es mich ankommt.“

Diethelm fühlte, was es heisst, sich in schwankender oder gar in verzweifelter Lage zu befinden, da muss man sich so zu sagen über’s Ohr hauen lassen und thun, als ob nichts geschehen wäre, nur um Aufsehen und genauere Nachforschung zu vermeiden.

„In einer Stunde hast all dein Geld,“ rief Diethelm den ihn ungerecht Bedrängenden überbietend.

,,So recht,“ sagte der Steinbauer, „wie viel Uhr ist jetzt? Drei? Um viere bin ich wieder da. B’hüt’ dich Gott und zürn’ nicht.“

Die Uebrigen, die den zähen Steinbauer so zufrieden davon gehen sahen, waren schnell befriedigt, und Diethelm drang selber drauf, dass sie „wegen Leben und Sterben“ eine Handschrift von ihm nehmen mussten. Nun eilte er zu dem Advokat Rothmann und verlangte von ihm ein Darleihen für den Steinbauer; der Advokat beglückwünschte Diethelm zu seinen guten Einkäufen und schloss eine eiserne Geldkiste, indem er sagte: ,,Das sind Pfleggelder, Ihr seid ja selber Waisenpfleger und wisst, dass ich solches Geld nicht ohne gerichtliche Bürgschaft verleihen darf.“ Diethelm ging um die Kiste herum wie die Katze um einen Wursthäckler und sah mit Schmerzen das Alles verschliessen, ohne Miau zu machen; er blieb noch eine Weile harmlos plaudernd bei dem Advokaten und that, als ob er nie ein Anliegen gehabt hätte, mit dem er abgewiesen worden war. Er versicherte Rothmann, dass er weit davon entfernt sei, ihn aus der Abgeordnetenstelle verdrängen zu wollen, der Advokat entgegnete, dass er Diethelm Glück wünsche, wenn er als Candidat der sich so nennenden Conservativ-Liberalen durchdringe, die Herren möchten dann einmal ihre sogenannte Möglichkeitspolitik versuchen, um zu erfahren, dass das Schlechte leichter möglich sei als das einfach Rechte.

Diethelm zeigte sich eifrig in Darlegung seiner Gesinnungen und doch dachte er jetzt an nichts weniger als an diess.

Offen und versteckt laufen überall und allzeit die verschiedensten Interessen durcheinander.

Als Diethelm das Haus verliess, traf er glücklich den Reppenberger vor demselben; durch diesen liess er nun ein gut Theil des Eingekauften unter der Hand zu baar Geld machen, mit der Bedingung, dass nicht hier unter den Augen der Marktaufseher, sondern morgen auf dem eine Stunde entlegenen Dorfe oder noch besser in seiner eigenen Heimath abgeliefert werde. Bis dieses Geschäft abgemacht war, wollte sich Diethelm verborgen halten und dazu gab es kein besseres Versteck als der Tanzboden im Stern, wo eben die Musik aufspielte; dort würde ihn gewiss Niemand suchen und dorthin sollte Reppenberger mit dem fremden Händler kommen.

Es war, als ob doch etwas von dem Wunsche Diethelms, mit seinen zwei Rappen in den Stuben herum zu kutschiren, erfüllt wäre; denn kaum war er auf dem Tanzboden, wo sich eben in lärmender Pause die erhitzten Paare verliefen, als Alles ehrerbietig vor ihm auswich und da und dort hörte er seinen Namen pispern. Einige ältere Leute, die ihm zutranken und stolz darauf schienen, dass er das Glas annahm, fragte er nach dem Reppenberger, den er zu suchen vorgab; sogleich erboten sich mehrere Trinkgelds-Bedürftige den Reppenberger aufzusuchen. Diethelm hatte abzuwehren so gut er konnte, und glücklicherweise erlöste ihn ein junger, modisch gekleideter Mann, der mit vielen Bücklingen auf ihn zukam, sich als ältesten. Sohn des Sternwirths vorstellte und Diethelm bat in die Herrenstube zu kommen.

Die Welt duldete es gar nicht mehr, auch wenn er es selbst gewollt hätte, dass er in niederem Bereiche verweilte. Diethelm betrachtete sich selbst, um zu erkunden, was denn an ihm sei, dass ihm Jeder ungefragt eine höhere Stufe anwies. Er folgte dem jungen Manne, der äusserst ehrerbietig war, die Treppe hinab und als er eben die Klinke zur Herrenstube in der Hand hatte, hörte er einen Soldaten unter der Hausthüre sagen: ,,komm nur.“ Diethelm drehte sich um, die Stimme war ihm bekannt, und der Soldat fuhr fort:

,,Tanz’ du nur einmal, während der Zeit wird dein Vater um ein paar tausend Gulden reicher und ich krieg’ dich immer weniger.“

„Ich weiss nicht, ob’s recht ist,“ sagte eine Mädchenstimme und halb gezogen erschien Fränz auf der Schwelle mit hochglühendem Antlitze.

,,Soll ich euch aufspielen?“ rief Diethelm, sich umwendend. Der Soldat und Fränz liessen vor Schreck die Hände los.

Der Soldat fasste sich schnell wieder und grüsste Diethelm, dieser aber sagte:

,,Du bist’s? wie kommst du daher, Munde?“

,,Ich hab’ Urlaub genommen und es freut mich, dass ich auch meinen alten Herrn seh’.“

„So? Willst eine Halbe trinken?“

,,Freilich.“

,,Säh, da hast Geld, trink’ eine,“ und Diethelm reichte mit diesen Worten dem über und über erröthenden Soldaten einen Sechsbätzner. Der Soldat, der nicht anders erwartet zu haben schien, als Diethelm würde ihn mit zum Wein nehmen, wusste nicht, sollte er die Hand zum Faustschlag ballen oder zum Empfang der Gabe darreichen. Beides schien gleich misslich, offene Feindseligkeit wie die beabsichtigte Demüthigung vor den Augen der Geliebten, es fand sich aber noch ein Ausweg und lächelnd sagte der Soldat:

„Dank’ gehorsamst, ich will warten, bis ich einmal ein’ Halbe mit Euch trink; vor der Hand hab’ ich schon noch, um von meinem Geld ein Glas auf Euer Wohlsein zu trinken.“

Mit einem Gemisch seltsamer Empfindungen reichte Diethelm dem Soldaten die Hand und stand von dem Vorhaben ab, dem Burschen auf strenge Weise zu zeigen, an welchen Platz er gehöre; diese geschickte, höfliche Wendung und der Stolz, der darin lag, gefiel ihm. Das gestand sich Diethelm, aber nicht, dass er sich in diesem Augenblicke selber zu sehr gedemüthigt fühlte, um die Unterwürfigkeit Anderer herauszufordern. Er sagte daher nichts weiter, winkte dem Soldaten einen Abschied zu und verschwand mit Fränz hinter der Thür der Herrenstube. Der Soldat ging im Hausflur auf und ab wie ein Wachtposten und seine Gedanken gingen mit ihm hin und her: sollte er auch hinein in die Herrenstube und sich austischen lassen? Aber wer weiss, wozu das führt? Es sind viele Fälle möglich. Der Schluss blieb jenes letzte Mittel, das Gelehrten und Ungelehrten gleich genehm ist, nämlich: vor Allem und vor der Hand nichts thun — da macht man nichts gut und nichts böse und kann getrosten Muthes und ruhigen Gewissens die kommenden Ereignisse abwarten.

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Viertes Kapitel.

Der Soldat ging nach dem Schafmarkt. Viele Hurden waren bereits leer, die noch zurückgebliebenen Schäfer hatten ihre Mäntel bereits lose zusammengerollt auf der Schulter hängen. Das Marktgewühl brauste und toste in der Ferne, hier aber war Alles so still wie auf einsamer Höhe, an deren Fuss ein wildrauschender Bach über Felsen braust; nur bisweilen hörte man das klagende Blöcken eines Schafes, dem ein Metzger durch einen Schnitt ins Ohr das Kennzeichen seines Eigenthums gab. Die also bezeichneten Schafe duckten die Köpfe und sahen traurig und dumpf nieder, als wüssten sie, dass die Tage ihres Weidganges gezählt sind. Von einer Heerde führte ein Metzger eben einen Hammel weg, und das sonst so geduldige Thier war störrig und musste mehr gezogen und geschoben werden als dass es ging; es kümmerte sich wenig um Bellen und Beissen des Hundes und blöckte nur kläglich. Der Soldat schaute dem Allem mit dumpfer Verwunderung zu; er war selber Schäfer gewesen und doch war ihm alles Das wieder neu und fast seltsam. Er sah die Hurde seines Bruders, des Schäfers Medard, den wir beim Ausspannen gesehen haben, und schon von fern zerrte der falbe Hund an der Kette, die am Gurte seines Herrn befestigt war und weckte diesen aus stillem Niederschauen, so dass er aufblickend rief:

,,Hast sie gefunden?“

Der Soldat nickte mit dem Kopfe und erst als er bei seinem Bruder war und den Hund gestreichelt hatte, erzählte er, wie er die Fränz allein auf dem Markte getroffen, wie sie miteinander umhergeschlendert und eben zum Tanze gehen wollten, als Diethelm dazwischen kam und ihn so sonderbar davon schickte.

Der Schäfer dagegen berichtete, wie es ihm sei, als ob die ganze Welt aus dem Leim ginge: daheim habe der Meister so nöthlich gethan, wie wenn Alles bei ihm auf Spitz und Knopf stehe und kaum auf den Markt gekommen, kaufe er wie besessen ein und thue, wie wenn er fragen möchte, was kostet das Schwabenländle? Er habe die Hämmel verkauft und könne den Herrn nirgends finden, um ihm das Geld zu geben. Ueberhaupt erzählte er, sei der Meister seit fast einem Jahr zweierlei Menschen: bald streichle er Einen wie mit Sammtpfoten, bald sei er ein borstiger Igel, bald lobe er Alles, bald mache man ihm gar nichts recht. Die Brüder besprachen sich noch lange über das seltsame Wesen des Meisters, denn auch der Soldat hatte ehemals bei Diethelm als Schäfer gedient.

Als der Schäfer äusserte, dass Diethelm vielleicht um so grösser thue, je kleiner er geworden sei und vielleicht noch einen tüchtigen Raps mache, so lang man ihm traue, fuhr der Soldat dagegen los, als ob er selber beleidigt wäre, und es war noch mehr als das: denn da gilt ja gar nichts mehr, wenn man gegen solch’ einen Mann nur so was denken darf; worauf der Andere lächelnd erwiderte:

,,Büble, Büble, du wirst dein Lebtag nicht gescheit; du glaubst den Leuten, was sie dir vormachen. Lass sehen, was du für Tubak hast,“ schloss er und nahm dem Soldaten die Pfeife aus dem Mund und rauchte sie weiter; der Soldat sagte kein Wort dazu.

Es war ein seltsames Brüderpaar, das da bei einander sass. Medard hätte bei Alter nach der Vater Munde’s sein können, aber ähnlich sahen sich die Brüder nicht. Medard hatte ein langes dürres Gesicht, das durch den zottigen Backenbart und die aufgesträubten röthlichen Augenbrauen Aehnlichkeit mit dem Schäferhunde hatte, während Munde kugelrund aussah und Angesicht und Hals von dunkelbrauner Farbe war; er hatte kohlichwarzes Haar und kleine in fetten Augenlidern versteckte braune Augen, aus denen ein stilles sanftes Gemüth sprach. Medard sah aus, als könnte er nie lachen, und Munde sah noch jetzt in seiner Betrübniss aus, als könnte Schmerz und Zorn keine Heimath in seinem Gesichtsausdruck finden.

Medard war gerade um fünf und zwanzig Jahre älter als sein Bruder, und diese beiden und noch eine Schwester, die dem alten Vater in Buchenberg Haus hielt, waren von neun Kindern am Leben geblieben. Als der kleine Munde so verspätet und plötzlich geboren wurde, verliess Medard unter Verwünschungen das väterliche Haus und betrat sechs volle Jahre dessen Schwelle nicht mehr. Es war nicht Aerger wegen des Erbes — da war ja nichts zu theilen — aber Medard schämte und ärgerte sich über den nachgebornen Bruder, dass er von seinen Eltern gar nichts mehr wissen wollte; er verdingte sich weit weg und kam erst nach sechs Jahren wieder, als er aus dem Zuchthause entlassen wurde, wo er wegen einer Rauferei, in der er einen Nebenbuhler erschlagen, fünf Jahre gebüsst hatte. Es war ihm nun doch nichts übrig geblieben, als in das elterliche Haus zurück zu kehren. Als er zum Erstenmal wieder in des Vaters Stube trat — die Mutter war schon seit sechs Jahren gestorben, und wie der Vater sagte, an den Folgen der Verheimlichung ihrer Schwangerschaft, die sie vor dem erwachsenen Sohne verbergen wollte — da war’s, als ob der kleine Munde es dem Bruder wie mit Zauber angethan hätte; er umklammerte gleich beim Eintreten seine Füsse und Medard liess den schon ziemlich grossen Bengel oft Stunden lang nicht vom Arm herunter und tollte mit ihm wie närrisch umher, die ganze verhaltene Bruderliebe schien auf Einmal sich zu entfalten und eine Sühne für seine früher verübte Härte zu Tage zu fördern.

Diethelm that gerade um diese Zeit eine grossartige Schäferei auf und auf die Bitten des alten Schäferle und die Zureden seiner Frau nahm er den Medard in Dienst, der nun von Georgi bis Michaeli im freien Felde war und stets den Munde bei sich hatte und ihn mit einer Sorgfalt ohne Grenzen wartete und pflegte. Der alte Schäferle überliess ihm gern das Kind; er war mit Allem zufrieden, wenn er nur hinlänglich Tabak hatte, um seine Holzpfeife in beständigem Brand zu erhalten. Medard versorgte ihn jetzt mit Tabak, während er sonst oft hatte dürre Nussblätter rauchen müssen.