Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte - Berthold Auerbach - E-Book

Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte E-Book

Berthold Auerbach

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Beschreibung

Die Geschichte eines Mannes, der zu seinem Glauben steht: Als Luzian, ein wohlhabender und von allen geschätzter Bauer, sich gegen den Pfarrer stellt, der sagt, Gott bestrafe die Bauern mit einer Missernte aufgrund ihres sündigen Lebens, wird er mit dem Kirchenbann belegt. Nach einer Gefängnisstrafe ist klar, dass er nicht im Dorf bleiben kann, und so fasst Luzian eine große Entscheidung...Die "Schwarzwälder Dorfgeschichten" bestehen aus 27 Erzählungen, die Berthold Auerbach zwischen 1843 und 1880 verfasste und mit denen er die literarische Gattung der Dorfgeschichte maßgeblich prägte. Sie spielen alle im ländlichen Raum des Schwarzwalds und charakterisieren das Dorfleben und seine Bewohner.

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Berthold Auerbach

Lucifer. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte

 

Saga

Lucifer. Eine Schwarzwälder DorfgeschichteCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1847, 2020 Berthold Auerbach und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726614534

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

In die wogende Saat.

Die Morgenglocken tönen und klingen und wollen nicht enden, durch die stillmogende Saat wallt in langer Reihe eine fromme Schaar, die Kirchenfahnen blau und roth flattern und knattern im sanften Windhauch, laut ausgerufene Worte werden nachgemurmelt in der endlosen Reihe, Gesänge schallen hin über Wiese und Feld und der rauschende Wald verschlingt sie. Hoch oben im Blau verborgen schmettert die Lerche ihr Lieb und badet im lichten Aether; erfrischender Duft athmet von den Höhen und aus den Gründen, und die Weihrauchwölkchen aus den geschwungenen Kesseln zertheilen sich rasch. Dort senkt sich der Zug den Feldweg hinab, die Fahnen sind versunken und die Menschen mit ihnen, i dort aber steigen sie schon wieder die Höhe jenseits hinan; weit voraus sind die Ersten und noch bewegt sich das Ende des Zuges zwischen den Hecken der Gärten, am Dorfe. Die Menschen ziehen hin durch die Flur und danken dem Gotte, der so reiche Saat emporsprossen liess, sie flehen um ferneren Schutz und segnen die Frucht ihrer Arbeit. Es ist der Bittgang durch das Feld.

Diese Wege zogen sie oft einsam, belastet und müde, heute sind sie alle vereint, frei und in ihren Feierkleidern; nur Worte, andächtige Grüsse schicken sie hin über die Häupter der schwankenden Aehren, die sich still zu einander neigen, als verstünden sie den Gruss und flüsterten Unhörbares sich zu.

Den Zug schloss eine uralte wohlgekleidete Frau, sie ging etwas gebückt und führte einen rothwangigen Knaben von etwa neun Jahren, der stets tänzelte und hüpfte. Als man an der Thalschlucht anlangte, sagte die Alte: „Victor, halt ein bisle still, wir wollen da absitzen, meine Läufer wollen nimmer mit; komm, wir wollen noch beten und dann heimezu gehen.“

Sie setzten sich auf den Rain und der Knabe las aus dem Gebetbuche vor. Dann sprach die Alte mit tiefer Rührung von der Güte Gottes, der nun die armen Menschen wieder so reich gesegnet habe.

Endlich richtete sie sich auf und streichelte den Knaben über Stirn und Wangen, und nun machten sie sich still auf den Weg.

Im Dorfe war Alles wie ausgeflogen, die Glocke schien gleich einer Mutterstimme die. Fernhingezogenen zu rufen, dass sie der Heimath nicht vergässen. Dess hatte es keine Noth, denn bald füllten sich die Strassen wieder und Alles eilte mit doppelter Hast zur harrenden Speise. Eben bebte der letzte Ton des Geläutes aus und schon schlug es zwölf Uhr.

Der Mittag ist glühheiss, die Sonne sticht so spitz. Nach der Mittagskirche ist es wiederum leer auf der Strasse. Die Pappel beschaut sich weithin im glatten Spiegel des Weihers und kein Lüftchen bewegt ihre langstieligen Blätter; die Enten liegen am Ufer, und da sie nichts zu reden und nichts zu essen haben, stecken sie die Schnäbel unter die Flügel und — gut Nacht Mittag! Eine Schaar Hühner hat unter einem leerstehenden Wagen Schatten gesucht und nur eine unruhige aus ihrer Mitte gräbt sich tief ein in den Sand.

Das ganze Dorf ist wie schlafen gangen. Am Rathhause aber hört man gewaltigen Lärm, besonders tönt eine mächtige Stimme hervor. Alle Mannen sind dort versammelt, denn der Schultheiss bringt einen neuen Vorschlag an die Gemeindeversammlung. Zweierlei Misslichkeiten hatten bisher beim Einzuge des Zehnten stattgefunden. Vor Allem die Scherereien durch die Zehntknechte, da war man nicht Herr seines Eigenthums, bis die Herren Zehntknechte ihren Theil geholt hatten; pachteten Ortsangehörige den Zehnten, so blieb dieser Missstand derselbe und führte noch zu allerlei Feindschaften bei der Steigerung u. s. w.

Darum hatte der Gemeinderath für dieses Jahr sowohl den „Herrenzehnten“ als den „Pfarrzehnten“ gepachtet, und verlangte dafür die Bestätigung der Gemeinde. Der Vorschlag war sachgemäss und billig, Alles schien einverstanden.

Da erhob sich der Sägmüller Luzian Hillebrand, der zugleich auch Obmann des Bürgerausschusses war, und rief: „Wie? will Keiner das Maul aufthun bei der Hitz’? Fürchtet er sich, die Zung’ zu verbrennen?“

Alles lachte und man hörte eine Stimme sagen: „Was hat der jetzt wieder?“

Luzian fuhr fort: „Was hat der jetzt wieder? hör’ ich da rufen. Sollst’s gleich hören und ihr Alle mit. Ich muss mich jetzt schon an den Laden legen. Also wie es den Anschein hat, soll die Sach’ jetzt gleich beschlossen werden, butschgeres fertig, wie der alte Geigerlex als gesagt hat. Aber warum hören Wir vom Ausschuss erst jetzt davon? Da sehet ihr’s, ihr Mannen, wie die Herren Gemeinderäth’ für die Ewigkeit, ich mein’ die lebenslangen, regieren, da könnet ihr’s nun wieder abmerken, dass ihr nie mehr Einen wählet, der nicht unterschreibt, dass er nach fünf Jahren austreten will.“

„Was hast denn gegen die heutige Sach’?“ fragte der Schultheiss, „was sollen die griffigen Reden?“

„Kommt schon,“ entgegnete Luzian, „es ist auf die Lebenslangen kein Schlag, verloren, als der wo neben ’naus geht. Also nach dem Flurbuch wollet ihr den Zehnten umlegen? Nicht wahr Schultheiss und du Heiligenpfleger, du hast deine Necker meist im Speckfeld, der Kübelfritz da hat aber seine paar Aeckerle drunten beim Heubuckel und im Nesselfang; was meinst, muss der vom Morgen so viel Zehnten geben, wie du. und ich von meinen besten Aeckern, wo der Boden fett und mürb ist und wo wir die doppelten Neuning 1 machen? Saget nur Alle Ja.“

„Nein,“ schrie es von allen Seiten und „hat Recht, hat beim Blitz Recht,“ hinkte noch der Eine und Andere mit seiner Rede nach, als bereits wiederum Stille eintrat und Luzian dann fortfuhr:

„So? Also nein; warum stehet ihr denn aber da wie Gott verlass mich nicht und red’t kein’s und deut’t nicht und macht nicht und bericht’t nicht? Warum lasset ihr mich immer am schweren Ort anfassen? Nun meinetwegen, es geht auf die alt’ Zech’. Jetzt ich mein’ so: wenn der Vorschlag angenommen wird, und ich will mich nicht dagegen stäupern (widersetzen), dann macht man den Anhang dazu: man wählt noch einen Ausschuss, der den Zehnten zelgweise, wie’s Kauf und Lauf ist, umlegt. Aber ihr schreibet Alle nicht gern Zettel und da du,“ er stiess lächelnd seinen Nachbar an, „du fürchtest mit den Anderen, das Bier im Rössle wird dir warm. Also der Gemeinderath und drei Mannen vom Bürgerausschuss, die nehmen noch ein paar von den Halbfuhrigen 2 dazu und die vertheilen’s gleichling.“

Dieses wurde nun auch einstimmig beschlossen.

Es war so erstickend heiss in der Gemeindestube, dass Viele schon innerlich grollten, weil die Verhandlung so lange dauerte, obgleich es ja ihr nächstes Wohl betraf. Andere schlichen sich, da die Thür offen gelassen werden musste, still davon und dachten, die Zurückbleibenden würden schon ausmachen was gut sei; sie stimmten gar nicht mit, und gewiss waren diese Ausreisser, nicht minder vorn dran, wenn es galt, die Ueberlasten aller Art zu beklagen. Die Ueberwitzigen beschönigen dann wohl gar ihre Faulheit mit der klugen Rede, dass der Bettelsack doch ein Loch habe und da nicht zu helfen sei, es müsse Alles anders kommen. Denn nicht bloss hinter Brillen hervor bringen solche kluge Blicke, die über Alles hinaus sind und alles Thun eitel finden; die urthümliche Lungerei ist grad so weit.

Endlich ward die Gemeindeversammlung aufgehoben, die Strassen belebten sich. Viele Männer zogen ihre Röcke aus und schickten sie sammt den Hüten durch herbeigerufene Knaben nach Hause; der kleine Umweg von da ins Wirthshaus war ihnen zu viel.

Allerlei Gruppen bildeten sich, wir bleiben bei der um Luzian. Er erhielt allgemeines Lob und man sagte ihm, es sei einmal so, wenn Er in der Versammlung sei, so warte eben alles, bis er dem Gemeinderathe die Streu schüttle.

Es muss hiebei bemerkt werden, dass Gemeinderath und Ausschuss, besonders wo jener lebenslang gewählt ist, sich oft verhalten, wie Regierung und Stände, so weit diese aus unabhängigen Männern bestehen. Schon geraume Zeit kämpfen alle Einsichtigen gegen die Lebenslänglichkeit des Gemeinderaths, aber das Staatsgesetz verharrt unbeugsam, und so hat man zu jenem Verfahren genöthigt, das Luzian oben angab; man hat damit den Einklang mit dem Gesetze tiefinnerlichst untergraben.

Luzian hatte noch einen besonderen Grund, warum er, wie man sagt, gerne dem Gemeinderath eine hölzerne Wurst aufs Kraut legte. Wir werden das schon noch sattsam erfahren.

„Es macht doch gottsträflich heiss,“ bemerkte jetzt der Schmied. Urban.

„Thut Nichts,“ entgegnete Luzian, „ich weiss nicht, ich kann die Hitz’ viel eher vertragen als die Kält’, und ich schwitz’ auch schon gern ein bisle, wenn’s nur ein gut Weinjahr gibt; es ist denen Wingerter zu gunnen. Soll das Gewächs auskochen, so muss der Mensch auch sein Theil Hitz mitnehmen.“

„Der Luzian schwitzt gern für die Welt, er ist ja auch so ein Stück Erlöser,“ sagte der Brunnenbasche, ein wohlhäbiger, bejahrter Mann, der die Rolle des Schalksnarren im Dorfe spielte.

Luzian gab ihm keine Antwort und ging voraus.

Man ging nach dem Wirthshause. Luzian las die Zeitung, deren verschiedene Blätter in einem kleinen Kreis vertheilt waren, Andere „kartelten,“ da der Pfarrer das Kegeln am Sonntag verboten hatte. Bald aber legten die Spieler die Karten weg, die Zeitungsleser rieben sich die Augen und die Buchstaben flimmerten vor ihnen, es war plötzlich stockdunkel.

„Heiliger Gott, was ist das?“ rief der Erste, der zum Fenster hinaussah.

„Was giebt’s?“

„Da gucket einmal den Himmel an.“

Es gab nicht genug. Fenster für die Drängenden, man rannte hinaus ins Freie. Schreckensbleich wurde jedes Antlitz, das aufschaute. Schwere, schuppenartig gestaltete Wolken schoben sich im ganzen Gesichtskreise träg in einander; mit jedem Augenblicke wurde es düsterer und nächtiger. Die die Wirthsstube verlassen hatten, kehrten nicht mehr dahin zurück, sondern eilten heimwärts, immer wieder aufschauend und die Hände von sich abstreckend, als müssten sie den Einfall des Himmels von sich abwehren. Die in der Wirthsstube verblieben waren und ihre noch in der Hand gehaltenen Karten an sich drückten, um den Nachbar nicht einschauen zu lassen, warfen das Spiel mit allen Trümpfen weg und nahmen sich nicht einmal Zeit, den Rest ihres Trunkes zu leeren; auch sie eilten „heimezu.“

Jedes wollte zu den Seinen stehen, als wäre das Unglück abzuwenden, wenn man sich ihm mit vereinter Kraft entgegenstemmte; jedenfalls war es leichter zu tragen.

Der Wirth war bald allein, und indem er die Reste zusammenschüttete, sagte er vor sich hin: „Und jetzt haben wir heut’ erst den Zehnten abgelöst.“ Der Vorder- so wie der Nachsatz dieses Gedankens kam nicht zu Worte, denn er wagte es nicht, vor sich selbst die Furcht auszusprechen, die ihn erzittern machte.

Luzian ging still das Dorf hinab, manchmal zwinkerte er mit den Augen, wenn er aufschaute, und presste die scharfgeschnittenen Lippen zusammen. Am Schulhause begegnete er dem Lehrer, der die Kirchenschlüssel trug und als Küster eben zum Wetterläuten gehen wollte.

„Ihr solltet das sein lassen, Herr Lehrer,“ sagte Luzian, „wenn’s da droben aufspielt, da nützt das Bimbam nichts. Ich hab’ erst vorlängst noch gelesen, dass das Wetterläuten ein alter nichtsnutziger und gefährlicher Brauch ist. Wer nicht von ihm selber betet, der thut’s auch nicht auf das Gebimbel hin. Es ist ja auch auch abkommen gewesen.“

„Ja, aber unser neuer Pfarrer hält streng auf die alten Bräuche, ich bekomme beim Unterlassen einen strengen Verweis.“

„So? Auch auf das hält er? Hätt’s eigentlich wissen können. Nun, behüt’ uns Gott!“

Im Weitergehen schnalzte Luzian mit beiden Händen und spie oft aus. Fast vergass er über seinem Aerger was am Himmel vorging, er musste sich jetzt zusammennehmen, dass ihm der Hut nicht vom Kopfe gerissen wurde; der Sturmwind wirbelte graue Staubwolken vor ihm her zusammen, schon fielen jetzt einzelne breite Tropfen, und als er die Klinke seiner Hausthür erfassen wollte, zuckte ein gelber Blitz, so dass Luzian geblendet nach dem Griffe tastete.

„Gott sei Lob, dass du da bist!“ begrüsste ihn seine Frau, „was sagst du zu dem Wetter? Es wird doch, will’s Gott, mit Gutem vorübergehen! So, jetzt bist doch da. Mir ist viel leichter, wenn dein Rock am Nagel hängt. Komm, gieb her.“

„Lass mir ihn noch an, man weiss nicht, wie man ’naus muss. Ist das Kind da?“

„Ja. Siehst ihn denn nicht? Da sitzt er und liest. Das giebt auch so einen Büchergucker, wie du. Victor, gieb dem Nehni (Grossvater) die Hand, du hast jetzt genug gelesen, und es ist ja stichedunkel.“

„Wo ist das Bäbi?“ fragte Luzian.

„Draussen in der Küch’, der Paule ist auch da.“

„Gang und mach’ das Feuer aus und sie sollen ’rein kommen. Halt, das ist ein Schlag, der hat kracht und jetzt läutet der Schulmeister auch noch.“

Während die Frau hinausging, trat Luzian in die Nebenstube, er fand dort eine Schlafende, die wol durch das drückende Wetter jetzt schon eingeschlafen war. Es ist dieselbe Frau, bei der wir heute beim Bittgang verblieben sind, als wir, gleich ihr die Andern weiter ziehen liessen. Auf leisen Sohlen kehrte Luzian wieder in die Stube zurück, er lehnte die Thür nur an, ohne sie ins Schloss fallen zu lassen.

Die Bäbi und der Paule traten, mit glühenden Wangen in die Stube. Die Mutter hatte draussen wol ein grosses Feuer zu löschen gehabt. Bäbi stellte sich sogleich zu Victor an das Fenster, es gelang ihr dadurch, ihr flammendes. Antlitz zu verbergen, das sie dem Vater nicht zeigen wollte.

„Guten Tag i Schwäher,“ sagte Paule und steckte aus Ehrerbietung die in der Hand gehaltene Pfeife in die Brusttasche.

„Guten Tag. Bist allein hier?“

„Ja.“

„Guter Gott!“ begann Bäbi, „wenn das Wetter nur keinen Schaden thut, das könnt alle Lustbarkeit auf unserer Hochzeit —“

„Du denkst jetzt nur an dich,“ unterbrach sie Luzian; „Paule wie ist’s?’ Hat dein Vater sich in die Hagelversicherung einschreiben lassen?“

„Mein Vater? Nein. Gucket Schwäher, Euch kann ich’s ja sagen; mein Vater der ist gar wunderlich, der träppelt so ’rum und drückst und will halt nicht an die Sach, und geht man ihm scharf auf den Leib, so sagt er, dass er nur nichts zu thun braucht: man muss Gott machen lassen, wenn er Einen strafen will. Und gegen mich ist er jetzt gar, es will ihm nicht recht in den Sinn, dass ich nimmer Vorross sein soll, dass ich jetzt halt auch an die Deichsel komm’. Desswegen bin ich halt hehlings in die Stadt und hab’ mich einschreiben lassen, es ist ja bald mein eigen Sach. Mein Vater darf aber nichts davon erfahren, der ist —“

„Schäm’ dich ins blutige Herz hinein,“ unterbrach die Frau den Redenden, „das ist nichts, so über deinen Vater oder über einen Menschen zu reden, wer er sei, und noch dazu, wenn so ein Wetter am Himmel ist; man versündigt sich ja.“

„Drum hab’ ich’s immer gesagt,“ begann Luzian, „der Landstand muss eine allgemeine Hagelversicherung für’s ganze Land einführen, da kann Keiner mehr neben ’naus und da ist’s auch wohlfeiler; freilich ist’s traurig, dass man die Leut’ zu, ihrem eigenen Nutzen zwingen soll; aber man zwingt’s ja zu anderen Sachen, die gar nicht so nöthig sind. Drum ist der Landstand. —“

„Luzian, was hast denn?“ rief die Frau in Angst und Pein, „zuerst wird über die nächsten Anverwandten losgezogen und jetzt über den landstand, und bei so einem Wetter.“

„Wenn man’s ehrlich meint, darf man reden, mag’s gewittern oder die Sonn’ scheinen. Meinst du, unser Herrgott ist jetzt näher bei der Hand als an einem hellen Tag?“

„Mich gehen deine Bücher nichts an, und jetzt muss man einmal beten. Ich will jetzt auch nichts mehr reden, es darf keinen Zank geben, das ist ärger als Feuer auf dem Herd.“

Luzian schwieg, die Frau breitete ein Tischtuch auf dem Tische aus, legte das Gesangbuch und die Bibel aufgeschlagen an der Stelle: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ mitten auf den Tisch und streute Salz auf dessen vier Ecken.

„Aehni, es gitzebohnelet“ (schlosst), rief Victor am Fenster.

Die Mutter nahm ihn still an der Hand, führte ihn an den Tisch und betete dort laut mit ihm.

Luzian lächelte vor sich hin, als der Knabe las: „Guter Christ, du wirst es ja nicht deinem Pfarrer oder Seelsorger zur Schuld rechnen, wenn Hagel oder Ungewitter Schaden anrichten. Wer kann dem heiligsten Willen des Allmächtigen widerstehen? Oder was für ein Priester hat eine grössere Macht als Gott selbst? 3

Natürlich: des Priesters Macht reicht hinab in die tiefste Hölle und hinauf in den höchsten Himmel, warum sollte er dem Wetter nicht Einhalt thun können?

Rührend klang dann das alte Lied, in dem es heisst:

„Das Wildfeu’r fern hin von uns jag’,

In wild’s Geröhr und Hage,

Darin es Niemand schaden mag

Bei’r Nacht und auch bei’m Tage.

O reicher Gott! lass mildiglich

All’ Frucht kecklich entspriessen,

Dass Arm’, Elende hie redlich

Durch Gab’ sein Wohl geniessen.

Den armen Seelen in Fegfeur’s Pein

Thu’ bitters Leiden schmälen,

Und sie durch das Almosen, rein

Den Seligen zuzählen.“

Wie mit scharfen Schroten schlug es nun gegen die Fenster, eine Scheibe sprang und aus der Ferne hörte man andere klirren, Fensterladen abknacken und Klageschreie verhallen.

„Das gibt ein grässliches. Unglück, ein grässliches Unglück!“ jammerte Luzian und rang die Hände vor sich hin.

Victor hatte schon lange neben ausgeschielt, jetzt sprang er auf und holte eine durch die geöffnete Scheibe eingedrungene Schlosse; sie war fast so gross wie ein Taubenei.

„O wie schön!“ rief Victor, und Alles antwortete wie aus Einem Munde: „Dass Gott erbarm!“

Immer dichter und dichter kam der Hagelschlag.

„Haufengenug, ist nimmer nöthig, es ist schon Alles hin,“ sagte Luzian, nach Aussen winkend, trauervoll in Ton und Miene.

Luzian und Paule schlossen schnell die Fensterladen, um die Scheiben zu wahren; Licht wurde angezündet.

„Jetzt sind wir in der Arche Noah, und du Aehni bist der Noah, wenn unser Haus fortschwimmt,“ plauderte Victor.

„Still!“ gebot Luzian mit scharfem Tone, dann setzte er flüsternd hinzu: „Es ist mir nur lieb, dass die Ahne (Grossmutter) in der Kammer das Wetter verschlaft; so alte Leut’ sind Doch wie die kleinen Kinder, die spüren die schwere Luft und sinken um. Sie ist heut’ auch ein bisle zu weit mit dem Bittgang ins Feld.“

Keines redete mehr ein Wort, selbst Victor ging auf den Zehen und betrachtete das Zerfliessen der Schlosse auf seiner warmen Hand; nur manchmal hob er sie auf und versuchte beim Lichte durchzuschauen; Tropfen fielen auf das Gesangbuch und vermischten sich dort mit den Thränen, welche die Frau geweint hatte.

Man horchte still hinaus ob das Wetter noch nicht nachlasse, das wüthete aber immer toller; wie aus riesigen Wurfeln schüttete es immer wieder und jeder letzte „Schütter“ schien der gewaltigste.

„Das kann bei uns daheim auch sein,“ sagte Paule. Niemand antwortete.

Endlich fielen nur noch einsame Tropfen an die Fensterladen. Menschenstimmen wurden auf der Strasse hörbar. Man öffnete und schaute wirklich wie aus der Arche Noah hinaus. Welch ein Fluthen und Wogen überall! Das gurgelte und murmelte lustig, aber die Menschen waren nicht von der Erde verschwunden, sie waren geblieben zu Jammer und Noth.

Alles rannte durcheinander hin und her und hinaus auf’s Feld, Jedes wollte seine zerschlagene Hoffnung sehen; Einige kehrten schon heim und brachten eine Handvoll ausgeraufter Aehren mit, sie zeigten sie mit thränenschweren Blicken. Heulen und Wehklagen der Frauen erfüllte die Strassen und die Häuser; stumm, gesenkter Hauptes wandelten die Männer dahin’, innerlich fröstelnd ballten sie die Fäuste, sie hatten so wacker gearbeitet und die Arbeit war hin und die Hoffnung.

In allen Gärten waren die Stützen der Bäume zu Boden gestreckt und neben ihnen lag das unreife Obst, fast kein Baum, dem nicht ein Ast abgeknackt war, viele waren ganz niedergeworfen.

An diesem Abende reichten die Eltern kummervoll den Kindern ihr Essen, sie selber aber hungerten und schwere Sorge nagte an ihren Herzen die bange schlaflose Nacht.

Heute hielt sich von selbst das strenge ,pfarramtliche“ Gebot, dass nicht mehr auf den Strassen gesungen werden durfte.

Draussen ist’s so würzig, wie eine balsamische Glätte zieht es durch die Luft; in den Häusern und in den Herzen aber ist es trüb und dumpf.

Ein Blick ins Haus und in die Rathsstube.

Das war ein traurig Ermachen am Montag. Die Sensen und Sicheln waren gedengelt, die Menschen fühlten ihre Sehnen gespannt und straff zu frischer Arbeit, jetzt liessen sie die Hände sinken und schauten still drein. Dennoch ruhte auf manchem Auge, das sich ausgeweint hatte, auf manchem Antlitze ein Abglanz stiller Verklärung, man möchte sagen wie auf der Natur rings umher, die sich auch ausgeweint zu haben schien.

Ein Ungemach, das hereingebrochen, sieht sich am andern Morgen ganz anders an; am Tage seiner Entstehung willst du es nicht dulden, kannst du es nicht fassen, es soll sich nicht einnisten in deiner Seele als Wahrheit; wie wäre es möglich? Du selbst lebst und deine Gedanken sind wach. Wie kann dir etwas entrissen werden, das dir angehört, das du mit deinen Gedanken festhältst? Sinkt die Nacht, versenkt dich in Schlummer und macht dich dein selbst vergessen, so fasst dich am Morgen das, was dich gestern betroffen, noch immer mit staunendem Schmerze, aber schon ist es zur Vergangenheit geworden, die mit unwandelbarer Gewissheit feststeht, du kannst nicht mehr daran rütteln und musst dich darein ergeben, mit stillem Schmerz dein zerstücktes oder überbürdetes Leben der heilenden Zukunft entgegenführen.

Auf Feld und Flur funkelte und flimmerte der Morgenthau, der trieft hernieder, ob die Halme sich auf ihren Stengeln neigen oder geknickt zur Erde geworfen sind. Die Sonne stand am Himmel in voller Pracht, sie bleibt nicht aus am Himmelsbogen, nur manchmal lagern sich Wolken, Wetter und Nebel zwischen sie und die Erde und das Erdenkind vermag nicht durchzuschauen, das Licht genügt ihm nicht, es will seinen Urquell erfassen. Das Licht aber haftet im Auge wie in der weiten Welt draussen, und das Auge vermag es nur zu schauen, weil das Licht in ihm ist. Du suchst den Urquell und er ist in dir wie in der Welt.

Das Korn am Halme, das zur Erde niedergeworfen ist, geht in Verwesung über und setzt nur zu seinem eigenen fruchtlosen Untergange neue Keime an. Der Mensch aber gleicht nicht dem Halme, er kann sich aufrichten durch die Kraft seines Willens.

Frisch auf! du musst dich durch die Welt schlagen, ja hindurchschlagen, das ist’s. Der Tag ist verloren, ausgebrochen aus der Kette deines Lebens, den du in Trübsinn und thatenloser Verzweiflung hinstarrtest.

Aus solcherlei Gedanken heraus, die er nach seiner Art hundertfältig herüber und hinüber und auf die besonderen Verhältnisse der Einzelnen anwendete, ging Luzian am andern Morgen von Haus zu Haus. Er nöthigte auf manches kummerstarre Antlitz das Zucken eines Lächelns durch seinen Haupttext: „Dem Weibervolk ist’s nicht zu verdenken, das muss klagen und jammern wenn ein Hafen (Topf) in Scherben zerbricht; das ist ja grad das brävst Häfele gewesen, nein, so wird keins mehr gemacht; der Mann aber sagt: hin ist hin und jetzt wirthschaften wir mit dem, was noch blieben ist. O! die leichtsinnigen Männer, denen ist an Allem nichts gelegen, klagen dann noch die Weiber, und am Ende müssen sie uns doch Recht geben.“ Luzian brachte es zu Wege, dass mancher Mann, der Alles stehen und liegen und in sich verfaulen lassen wollte, sich nun doch aufmachte, um wenigstens das Obst zur Schweinemastung einzuheimsen.

Es war schon viel gewonnen, dass man sich wieder zur Thätigkeit aufraffte. Freilich fing man zuerst mit dem Kleinsten an, aber das trifft sich meist, dass man nach erlittenen Ungemache zuvörderst das Nebensächliche, oft Unbedeutendste in Angriff nimmt, man getraut sich noch nicht an das Hauptstück; die Hand gewinnt jedoch hiemit wiederum Stärke und Festigkeit, das Blut strömt wieder lebendiger zum Herzen und erfrischt es mit neuem Muth.

Müde und lechzend kam Luzian zu Mittag nach Hause und sein erstes Wort war: „Weib, wir müssen doppelt sparen und hausen, wir bekommen den Winter wieder grosse Ueberlast.“

„Ich seh’ schon, wie du wieder überall sorgen und helfen willst,“ entgegnete die Frau, „und du kriegst doch nur Schimpf und Unbank.“

„Lass du meinen Luzian nur machen, was mein Luzian. macht das ist gut,“ sagte die Ahne, die im grossen Lehnstuhl sass.

„Ich weiss wohl, ihr Zwei haltet zusammen wie gezwirnt,“ schloss die Frau lächelnd, indem sie das Tischtuch von der Suppe zurückeschlug; denn es ist hier Sitte, besonders im Sommer, dass man geraume Weile vor der Essenszeit die Suppe auf das ausgebreitete Tischtuch stellt und dann das Tuch wieder über die Schüssel schlägt, um die Suppe in sich verdampfen und abkühlen zu lassen. Man liebt das heisse Essen und das langwierige Blasen nicht.

Wir sind gestern unter so seltsamen Umständen vor dem Wetter hier in das Haus geflüchtet, dass wir kaum Zeit hatten uns die Leute näher zu betrachten. Wir müssen uns damit sputen, bevor vielleicht eine unversehene Erschütterung Alles so von der Stelle rückt, dass wir den vormaligen stillen Wandel der Menschen und Verhältnisse kaum mehr herausfinden mögen.

Der ruhende Mittel- und Schwerpunkt des Hauses war die Ahne, die uns bereits gestern im hellen Sonnenschein an der Hand Victors begegnete. Die Gestalt ist gross und hager, mit runzlichem fast klein gewordenem Antlitze, das dunkelbraune Auge scheint kaum gealtert zu haben, das blühweisse Tuch, das sie fast immer um den Kopf gebunden trägt und dessen Eckzipfel hinten weit hinabfallen, rahmt das Gesicht auf eigenthümliche Weise ein und gibt ihm einen nonnenhaften Anblick; sie ist aller ihrer Sinne mächtig, im ganzen Behaben äusserst säuberlich, fast zierlich. Nur zum sonntäglichen Kirchgange entfernt sie sich vom Hause. Schon geraume Weile vor dem ersten Einläuten macht sie sich auf den Weg, erwartet sodann im Winter in der Stube des Schullehrers, im Sommer auf der Bank vor dem Rathbause den Beginn des Gottesdienstes. Mancher, der die alte Cordula so dahin wandeln sieht, eilt, um sich noch mit ihr auf der Rathhausbank zu besprechen; sie hat ein offenes Herz für Leid und Lust, und oft findet hier auf dem Vorhofe eine heiligere Erhebung statt als im Innern des Tempels. Manche suchten aber auch in neckischer Weise die Ahne auf ihren Hauptspruch zu bringen, sie wollte es aber nie glauben, dass man ihrer spotte. Dieser Hauptspruch der Ahne war nämlich: „Ja, wenn der Kaiser Joseph nicht vergiftet wäre, dann wäre das und das gewiss besser.“ Sie verehrte den Kaiser, von dem ihr Vater oft und oft gesprochen hatte, fast wie einen Heiligen; sein Andenken war mit dem an ihren Vater unauflöslich verknüpft, als wären sie Geschwister gewesen. Sie hegte den vielverbreiteten Glauben, dass der Kaiser, weil er’s so gut mit allen Menschen gemeint habe, von scheinheiligen Pfaffen um sein junges Leben gebracht worden sei. In solch gegenständlicher Weise fasst der Volksglaube die Untergrabung der edeln Plane des hochherzigen Kaisers. Einst las Luzian der Mutter eine Lebensgeschichte des Kaisers, vor und sie behauptete, das sei just so wie ihr Vater erzählt habe, nur anders gesetzt. Das Dorf hatte bis in die neueste Zeit zu Vorderösterreich gehört und ein Oheim der Mutter war kaiserlicher Rath in Wien gewesen, sie hatte ihn noch gekannt, da er einst im Dorfe zum Besuche war; sie bewahrte noch eine Granatschnur, die er ihr damals schenkte. Der einzige Streit, den sie bisweilen mit Luzian hatte, in war darüber, weil er nicht ihrem Verlangen willfahrte und nach Wien an die Nachkommen des kaiserlichen Rathes schrieb; sie behauptete immer, es sei unmenschlich, wenn Blutsverwandte so gar nichts von einander wissen. Eine besondere Vorliebe hatte die Mutter für den Victor, ihr Urenkelchen, sie sagte oft: „Der wird just wie der kaiserliche Rath. Wenn der Kaiser noch leben thät, der thät ihn nach Wien verschreiben, das sag’ Ich.“

Man hätte fast glauben sollen, Luzian sei der Leibliche Sohn der Ahne, die er auch fast immer Mutter nannte, während er in der That nur ihr Schwiegersohn war. Seine Frau neckte ihn oft und stellte sich eifersüchtig wegen der Liebschaft der Beiden zu einander; denn Luzian ging die Sorgfalt für die Mutter über Alles, und er hätte ihr gern, wie man sagt, das Blaue vom Himmel geholt, um sie zu erfreuen.

Luzian war ein Mann im Anfang der fünfziger Jahre, stämmig, ein Sägklotz, wie er von seinen Freunden manchmal genannt wurde, weil er zum Spalten zu dick war und sich nicht splittern liess; sein Gesicht war voll und gespannt und verrieth entschiedenes Selbstbewusstsein, der starke Stiernacken bekundete Unbeugsamkeit. Noch gegen Ende des Befreiungskrieges war er zum Soldatendienste ausgehoben worden, kam aber zu keiner Schlacht. Die Sägmühle hatte er seinem Sohne Egidi übergeben und bauerte nun auf dem Gute im Dorfe. Victor, Egidi’s ältesten Sohn, hatte er sich und der „Guckahne“ (Urgrossmutter) zulieb ins Haus genommen, angeblich indess, damit der Knabe der Schule näher sei.