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Wer ist eigentlich Zeit? - Kaum einer weiß, dass die Frage nicht mit einem Was beantwortet wird, sondern mit einem Wer. Die Detektive Damian und Callim wollen dem unerklärlichen Versagen der Uhren in den Türmen der Stadt Landus auf den Grund gehen. Ohne zu ahnen welche Geschichte hinter der Schaffung des Planeten verborgen liegt und wer der Dieb ist, hinter dem sie her sind begeben sie sich in größere Gefahren, als sie zu Anfang ahnen und werden dabei Zeugen von Kräften, die sie für unmöglich gehalten hätten. In diesem Fantasyroman wartet eine fantastische Welt aus magischem Realismus mit Steampunk-Elementen, gefühlvollen Charakteren und einer abenteuerlichen Story mit einem Hauch von Magie.
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Seitenzahl: 517
Veröffentlichungsjahr: 2025
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1. Auflage
ISBN Print:9783565027200
Impressum: © 2025
W. Thea Uthor
c/o Autorenglück #53679
Albert-Einstein-Straße 47
02977 Hoyerswerda
Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
W. Thea Uthor
Die Geschichte von Zeit
Der Zeitdieb
Instagram und Pinterest: storyteller_writing
Inhalt:
»Prolog
»Einleitung
»Kapitel 1 Ein weiterer Arbeitstag
»Kapitel 2 Ein Einblick in die Vergangenheit
»Kapitel 3 Die Suche
»Kapitel 4 Lá breithe shona duit
»Kapitel 5 Eine neue Perspektive
»Kapitel 6 Waiting for that shadow to smile
»Kapitel 7 Einen ganzen Moment lang
»Kapitel 8 Wieso?
»Kapitel 9 Träume einen Traum von mir
»Kapitel 10 Missverständnisse
»Kapitel 11 Komm, ich erzähle dir eine Geschichte
Angst vor der Dunkelheit I
»Kapitel 12 Wie lautet der Plan?
»Kapitel 13 Erkenntnisse
»Kapitel 14 Angst vor der Dunkelheit II
»Kapitel 15 Die Geschehnisse und der Tod
»Kapitel 16 The drug in me is you
»Kapitel 17 Der Schatten im Untergrund
»Kapitel 18 Ein alter Freund
»Kapitel 19 Im Zentrum der Zeit
»Kapitel 20 Eine ganze Sekunde
»Epilog
»Die Aussprache und Bedeutung der Fremdsprachen
»Die Namen der Hauptfiguren
Wiloveth,
Thea Uthor
Die Geschichte
von Zeit
Der Zeitdieb
Roman
Vielleicht siehst du sie als Linie oder glaubst, es wird sich irgendwann, in fernen Tagen, alles einmal wiederholen – der Zirkel des Lebens. Womöglich glaubst du auch, die Stränge verlaufen parallel, wie ein Spiegel, den man sich selbst gegenüberstellt. Doch könnte es nicht genauso gut sein, dass es gar keine Richtung gibt, der man folgen könnte?
Wer ist eigentlich Zeit?
Ihr ganzes Leben über haben sie die Theorien, die über sie herrschen, fasziniert, doch kaum einer wusste, dass die Frage nicht mit einem Was beantwortet wird, sondern mit einem Wer.
Sie hat viele Namen bekommen, doch gab es keinen davon tatsächlich im Jetzt, da noch keiner von ihnen entstanden sein konnte, wenn es diesen Moment an einem bestimmten Punkt in der Geschichte noch gar nicht gab.
Seit jeher liebte sie das Element der Unendlichkeit besonders, wenn es auch oft verkannt wurde.Es überraschte sie immer wieder, wie wenig, oder wie sehr sich die Menschen mit ihr beschäftigten und wie selten die meisten sie dabei wirklich zu schätzen wussten. Sie vergeudeten sie oder versuchten an ihr festzuhalten in der letzten Sekunde, die sie noch hatten. Einige versuchten ihr eine Form zu geben und sie einzufangen. In Sonnenuhren, die nur zeigten, wie sie und ihr Bruder sich dazu entschieden hatten, den Rhythmus des Lichts zu setzen. In Sanduhren, die nur umso bewusster machten, wie schnell sie vergeht. Und es gab die, die sie präzise maßen, durch ein ganz eigenes, miteinander interagierendes System. Es hatte Jahrhunderte gedauert, bis sie den richtigen Rhythmus erkannten und ihn darstellten, in Form von mechanischen Uhren.
Seit diese Erfindung gemacht wurde, gefiel sie ihr ungemein. Wie die Menschen es schafften, ihren Takt herauszufinden, ihn gleichmäßig einteilten und in Uhren verewigten. Doch was sie am meisten faszinierte, waren nicht nur die Zeiger, die über das Ziffernblatt strichen, Pendel, die sich gleichmäßig bewegten, und die im Einklang arbeitenden, ineinander greifenden Zahnräder, die sich stetig weiter drehten und alles am Laufen hielten - all die Kleinigkeiten, die sich miteinander vereinten. Sondern wie begierig sie darauf waren, sie besser kennenzulernen.
Begeistert und inspiriert von dem, was in Uhren geschaffen wurde, beschloss sie selbst etwas Neues zu kreieren. Eine Welt, in der die Leute wussten, wer sie ist, wie sie alles funktionieren lässt und in der sie jede Sekunde ihres Lebens ticken hören konnten. So schuf sie einen Planeten aus dieser Form der Zeit selbst. Sie nahm von überall auf der Erde ein Stück und fügte es ihrer neuen Schaffung hinzu. Diese glich dem, was ihr aus eurer Welt kennt, nur das dieses Mal alles ineinander arbeitete und von sich selbst angetrieben wurde, und von ihr, der Zeit selbst, solange die Menschen sich um sie kümmerten und das, was ihnen von ihr noch blieb, zu schätzen wissen würden. Einige von ihnen sollten sogar dazu berufen sein, über ihre Geschichte zu wachen und für das, was sie antrieb, zu sorgen. Sie erschuf den Planeten, der in dessen menschlicher Sprache Tempus genannt wird. Abseits von ihren sonstigen Begleitern, mit denen sie andere Werke vollbrachte, sollte es dieses Mal lediglich ihrer eigenen Kraft entstammen, weit entfernt von allem anderen. Jeder von den Schöpfern war seiner eigenen speziellen Elemente am mächtigsten, doch sie beherrschten ebenfallseinen Teil der Fähigkeiten der Anderen. So kreierte sie Berge, Täler, Seen und Wälder. Wüsten, tropische Gefilde sowie eisige Inseln und brachte all dies ihrer Kunst auf einer etwas kleineren Welt als der Erde zusammen, wo sie sich ebenfalls an sämtlichen Arten von Landschaften und Gewächsen auslebte und sie hier und da wild ranken ließ. Die unterschiedlichen Bauten, in jedem Land ein anderer Stil, verzierten die Oberfläche, die den mechanischen Kern schützte. Der erste Moment des Seins dieses neu Erschaffenen gehörte nur ihr. Die gewaltige Mechanik, aus der die Kraft von allem stammte, die der Kern und auch der Antrieb war, ragte vor ihr auf. Sie wirkte wie eine kleine Meise in einem imposanten Nest, das sie erbaute.
Die Menschen, die sie zu Beginn dort schuf, lebten in Zusammenhalt, jeder sprach und verstand alle Sprachen, doch es gab eine, die sie alle vereinte. Mit dem technischen Können, mit dem sie bereits geschaffen waren, lief die Mechanik reibungslos und die Geschichte entwickelte sich weiter. Sie lebten nach ihrer Vorstellung in dem Bewusstsein der Zeit als Funktion von allem und ihres beständigen Vergehens. So wurde sie verehrt. Sie dankten ihr, erzählten die Geschichte der Entstehung ihres Planeten und feierten ihr Andenken, doch im Laufe der Jahrhunderte schwand dieses Bewusstsein zusehends. Die Leute vergaßen sie wieder, achteten nicht mehr auf sie und lebten stetig weiter bloß noch vor sich hin. Es gab noch Fortschritt und Entwicklung, die Uhren tickten weiterhin leise vor sich her, doch kaum einer beachtete sie noch.
Sie verging und verging, weiter und weiter, bis sie eines Tages stehenbleiben und gar niemand das Ticken mehr hören würde.
Im Jahr dreihundertvierzig nach der Schaffung des Planeten
Er hatte die Zeit vergessen, da er noch völlig in sein Tagebuch vertieft war. Nebenbei fiel sein Blick auf den Wecker und er war verblüfft, wie schnell die letzten Stunden vergangen waren. Die letzten Tage, und sogar Monate, wenn er es sich recht überlegte. Der Klang der zur vollen Stunde schlagenden Standuhr drang durch seine Zimmertür. Es war Mitternacht. Er schlug das Buch, das vergessen in seinen Schoß gesunken war, zu und lauschte weiter, wie sich das Gewicht wieder hinaufzog und die Sekunden, durch das leise Ticken hörbar gemacht, stetig verstrichen. Mit dem nun angebrochenen Tag würde sich ein neues Kapitel in seinem Leben aufschlagen. Eines voller Abenteuer, wie er hoffte. Schon in seiner Kindheit richteten seine Eltern ein Konto für ihn ein, auf das er mit seinem vierundzwanzigsten Lebensjahr Zugriff bekam.Es zermürbte ihn, dass dies jedoch lediglich auf Grund des Unglücks geschah, das vor siebzehn Jahren passierte. Weshalb sie ausgerechnet diese Zahl wählten hatte er sich schon manches Mal gefragt, doch womöglich war der Grund, dass sein Vater in eben diesem Alter war, als Damian geboren wurde. Durch die Wege, die ihn geistig in der Vergangenheit zurückführten, drohte Traurigkeit die Vorfreude, die er vorher empfand, zu überrollen. Als hätte er gespürt, was in der Ruhe der sternenhellen Nacht in dem dunklen Zimmer vor sich ging, öffnete sich die Tür und Callim steckte den hellblonden Kopf hinein. Keiner von ihnen sagte ein Wort, ein einfacher Blick hatte gereicht. Leise die Klinke drückend, um nicht die friedliche Stille des gemütlichen Raumes zu stören, schloss er die Tür wieder und legte sich neben ihm ins Bett. Dort nahm er das auf die Bettdecke geglittene Buch auf, legte es beiseite und rutschte mit dem Hintern weiter runter, um sich auf die Seite zu drehen. Damian hingegen war noch immer in Gedanken versunken, hatte einen Arm hinter den Kopf geklemmt und schaute über die von Ampeln und Laternen erleuchteten Straßen der Stadt, die hinter den großen Fenstern lag, während seine andere Hand über die glattrasierte Falte zwischen seiner Unterlippe und dem Kinn strich. Der schwere Seufzer, den er ausstieß, zeugte davon, dass er versuchte die Bruchteile der Erinnerungen des Unfalls loszuwerden, um in den Schlaf zu finden. Eine warme Hand legte sich von der Seiteauf ihn. „Lá breithe shona duit“, flüsterte die weiche Stimme seines Mitbewohners sanft.Alles Gute zum Geburtstag,wiederholte er es in Gedanken noch einmal zu sich selbst und schloss, auf die Seite gedreht und zusammengerollt, die beruhigende Wärme neben ihm spürend, die Augen, bevor die Albträume ihn erneut plagen kommen würden.
Die ersten Strahlen des Sonnenaufgangs drangen zwischen den leichten Vorhängen hervor und kitzelten am Rande seiner Wahrnehmung. Blinzelnd öffnete er die Lider und schaute mit einem zusammengekniffenen Auge auf den Wecker. Es war noch früher Morgen, doch an ein neuerliches Einschlafen war nicht mehr zu denken. Er räkelte und streckte sich, wie ein Kätzchen, das genüsslich im Schlaf seine Pfötchen von sich reckte. Nach einem weiteren herzhaften Strecken setzte er sich auf die Bettkante aus dunklem Holz und genoss dort noch einmal den Anblick des Morgens. In der Ferne ragte einer der Uhrentürme seiner Heimatstadt auf, von dem er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, dass dies der erste jener wäre, dessen Funktion aus unerklärlichen Gründen versagen würde und was dies für Konsequenzen bedeutete. Ohne zu ahnen, welcher Teil der Geschichte noch vor ihm lag, beschloss er, den Tag damit zu starten ins Büro zu fahren. Als das Wort Büro sich in den Bildern der neu erworbenen Räume vor seinem geistigen Auge ausmalte, musste er unwillkürlich lächeln. Er war endlich soweit gekommen, seinen tristen Job als Angestellter eines Ladens für Haushaltswaren, an denen er Reparaturen durchführte, hinter sich zu lassen.
Inzwischen waren sein Geburtstag und das damit einhergehende Erhalten seines kleinen Vermögens ein paar Monate her und seitdem hatte sich viel getan. Ohne große Umschweife machte er sich nur schnell frisch, zog sich um und ließ sogar den morgendlichen Kaffee vorerst aus. Das Einzige, was noch kurz seine Aufmerksamkeit fing, war die Taschenuhr, die seine Eltern ihm zusammen mit ihrem Vermögen überlassen hatten. Der Anblick dieses Erbstücks entzückte ihn jedes Mal aufs Neue. Immer wieder streiften seine Finger den hölzernen Rand entlang und erfreuten sich an der abgerundeten Kante, die die rotgoldenen Ziffern rahmte. Das Uhrwerk in der Mitte beobachten zu können brachte ihm eine solche Ruhe, dass er sich manchmal beinahe darin verlor. Oft half sie ihm regelrecht dabei in einer stressigen Situation wieder runterzukommen. Auch wenn sie noch nicht einmal ein ganzes Jahr lang seine war, war es, als ob es nie anders gewesen wäre. Jedes Mal, wenn er in die hypnotisierende Tiefe der goldenen Zahnräder, die auf der Rückseite sichtbar waren, sah, fühlte er sich zu Hause, beinahe als würden sie ihm zuflüstern. Dieses kunstfertige Stück hatte eine Geschichte, dessen war er sich sicher, doch leider war sie ihm nicht bekannt.
Auf der Fahrt zum Büro bemerkte er im Rückspiegel die bräunlichen Bartstoppeln, die sich von seiner blassen Haut abzeichneten. Sogar für eine Rasur hatte er an diesem Morgen keinen Kopf gehabt. Unbewusst fing er an, sich an der ungewohnten Behaarung zu kratzen, die bereits seit drei Tagen ihren Lauf nahm. „Ich finde, es steht dir“, hatte Callim gesagt, als er sich eigentlich bereits gestern von den Stoppeln befreien wollte. Da er dies mit seinem typischen Zwinkern und diesem schiefen, unschuldig verschmitzten Lächeln im Mundwinkel tat, ließ er dem Wuchs noch einen weiteren Tag Aufschub. Nun wurden daraus zwei.
Das Automobil kam vor dem Gebäude zum Stehen. Seine Augen wanderten daran empor, scannten jedes Detail der hellen Backsteinfassade und der hölzernen Eingangstür mit der verschnörkelten Straßenlaterne davor. Es war ein kleines, kastiges Haus an einer Ecke, was von den daneben liegenden Bauten überragt wurde und bloß durch seinen schlichten Charme hervorstach. Mit dem Schlüssel in der Hand ging er in schnellen, vorfreudigen Schritten über die Straße darauf zu, öffnete den wie an einem kleinen Turm hervorgehobenen Eingang und trat schließlich, vom knarzenden Geräusch eines Scharniers begleitet, ein. Begrüßt vom hölzernen Duft des Treppenhauses konnte er es kaum erwarten auf den dunklen Stufen nach oben zu gehen und übersprang in großen Zügen ein paar davon. Detektei Niklas & Parik stand in glänzenden Lettern auf dem milchigen Glas, das in die Tür gesetzt war und er strahlte noch immer ein jedes Mal vor sich hin, wenn er seinen und Callims Namen dort las. Mit klapperndem Schlüssel öffnete sich das Schloss und er wurde erneut an diesem Tag von dem morgendlichen Hauch der Sonnenstrahlen empfangen. Alles war noch an seinem Platz, wie sollte es auch sonst sein? Sein großer, geschwungener Schreibtisch, gerahmt von den mit Büchern und Unterlagen gefüllten Regalen, war das Erste, worauf man beim Eintreten zukam. Zuerst bereitete der Gedanke, für jeden Besucher so präsentiert zu sein, ihm noch Unbehagen, und er wollte nicht, dass sein Partner sich benachteiligt fühlte, doch er war es, der ihn dazu ermutigt hat. „Mein Name steht nur mit an der Tür, weil ich nie von deiner Seite weiche“, waren seine Worte und sie beide lachten daraufhin gemeinsam. „Ich weiß, aber ich will nicht, dass sich alles um mich dreht. Wir sollten dir auch etwas schaffen, deinen ganz eigenen Arbeitsplatz.“ „Den habe ich doch“, erwiderte er und deutete auf die Stelle wo bald sein eigener kleiner Tisch stehen sollte. „Nein, ich meine was Richtiges, etwas, das ganz dir gehört, dein eigenes Atelier. Wenn wir eine neue Wohnung haben, dann eine ganz große, wo du drin malen und deine Zeichnungen fertigen kannst.“ Strahlend packte er mit beiden Händen auf die Schultern seines Bruders und dessen ungleiche Augen funkelten kurz auf. Callim zeichnete schon seit Jahren gern, insbesondere Comics lagen ihm, doch diese entstanden hauptsächlich für ihn selbst. In ein paar düsteren Ausgaben fanden sich die finsteren und verzweifelten Tage seiner früheren Kindheit wieder, zu den in Kontrast stehenden Geschichten dafür die wildesten Abenteuer.Einer der Gründe für ihren Unfug wurde später, dass inzwischen das Schicksal entschied, sie beide in ein Elternhaus voll Freuden zurückkehren zu lassen, in dem sie ihre fantasievollen Abenteuer ungehindert ausleben konnten. Sie waren als Kinder in alle möglichen Rollen geschlüpft; abgesehen von Detektiven waren sie den einen Tag heldenhafte Retter und an einem anderen eroberten sie die Meere ihrer Fantasie als Piraten. Viele dieser Erinnerungen schafften nun seine Werke, erfüllt von aufregenden Fällen der Gebrüder Niklas und Parik, die mit ihrem Gefährt durch die Straßen pesten, in Luftschiffen die Stadt überflogen und immer mal wieder ein paar kuriose Fälle dabei lösten. Auch wenn seine Passion darin bestand die Hefte zu entwerfen, verdiente er sein Geld mit seinen Gemälden. Sie mochten zwar noch keinen Einzug in große Ausstellungen bekommen haben, dennoch erfreuten sie sich bei einem kleinen Kreis von Käufern an Beliebtheit. Zuweilen wurde sogar Damian selbst - unfreiwillig - in tagträumerischen Kritzeleien auf Papier verewigt, wenn er nicht aufpasste.„Konzentrier dich erst einmal nicht auf mich, sondern dich. Das hier“, sagte sein Partner damals in genau diesem, zu dem Zeitpunkt noch völlig leeren Raum mit moosgrünen Wänden und breitete dabei die Arme aus, „ist alles deins. Du bist der Detektiv von uns beiden und es ist dein Verdienst, dass wir überhaupt hier stehen.“ Das Geld seiner Eltern tatsächlich mit zu investieren, ließ ihn sich innerlich hohl fühlen. Seit seiner Kindheit scherzte er, er würde später einmal ein echter Detektiv werden. „Mit eigenem Büro und Lupe!“, hatte der kleine Damian damals schon geprahlt. Wären die Dinge anders gelaufen, hätte er Callim niemals getroffen.Wie würde mein Leben jetzt wohl sein? Bei dieser Frage schaute er auf, als könnte ihm jemand eine Antwort an die Decke schreiben. Wo diese Blickrichtung schon einmal eingeschlagen war, fing die schiefhängende Lampe seine Aufmerksamkeit. Als hätte er sie dabei erwischt, wie sie ausbüchsen wollte, tat sie in just dem Moment einen weiteren kleinen Ruck. Mit einem Schnauben kramte Damian die Leiter und das Werkzeug wieder hervor, um sie zum wiederholten Male zu begradigen. Zum morgigen ersten offiziellen Arbeitstag ihrer neu eröffnenden Detektei sollte schließlich alles ordentlich an seinem Platz sein.
„Der Antrieb einer weiteren Uhr hat aus noch unbekannten Gründen seine Funktionsfähigkeit verloren und es lässt sich immer weniger an ein einfaches Versagen glauben, doch was steckt dahinter? Sabotage? Will etwa ein Scherzbold die Zeit selbst damit zum Stehen bringen? Oder soll es eine Art Kampagne für eine Firma sein, die damit Aufmerksamkeit erlangen will? Bisher sind diese Fragen ungeklärt, genauso wie die, ob es noch weitere Vorfälle wie diese geben und wo es wieder passieren wird. Die neuesten Neuigkeiten rund um die Stadt finden sie zuerst bei uns, in den Landus-Nachrichten.“„Gab es etwa noch mehr von diesen seltsamen Ausfällen?“ Durch die hinter ihm näher kommende Stimme wandte er sich dem Fernseher ab und sah über den Schreibtisch zu seinem Kollegen hoch. „Ja, die dritte Uhr innerhalb von ein paar Monaten. Keiner vermag zu sagen, was genau dahintersteckt und es entwickeln sich bereits erste Verschwörungstheorien. Ich frage mich so langsam, was da dran ist.“ Callim sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an, unterdessen er ihm einen Kaffee reichte. „Du klingst ja schon fast so, als würdest du selbst daran glauben. Werde mal lieber richtig wach, bevor du noch eigene komische Ideen entwickelst.“Während er bereits den Becher zum Trinken ansetzte, hielt er einen Moment inne, da er sein grimmiges Schmunzeln über die Bemerkung nicht verbergen konnte. „Ich habe wegen so einem Irrsinn kaum geschlafen. Mitten in der Nacht holt mich das Ringen des Telefons aus dem Schlaf; eine Frau, die meinte, sie wüsste, was es mit den Uhren auf sich hat, es sei ein Zeitdieb, untermalte er mit spielerisch hochgezogenen Augenbrauen und einer wackelnden Handbewegung. „Er will die ursprünglichen Uhren anhalten.“ Callim wirkte sichtlich belustigt. „Wie kreativ manche Menschen doch sind.“ Er schüttelte mit dem Kopf. „Wie bist du mit ihr verblieben?“ „Ich sagte ihr höflich, wenn sie mir einen richtigen Fall zu melden hat, sollte sie das bitte tagsüber, wenn ich im Büro bin, tun und habe aufgelegt. Aber auch wenn es sich nach Quatsch anhören mag, hat es mich den Rest der Nacht beschäftigt. Irgendwie klang sie interessant.“ Für Letzteres bekam er einen schiefen Blick, gepaart mit einem Grinsen, zurück. „Die Theorie, oder die Frau? Sollte ich etwa eifersüchtig werden?“ „Die Theorie. Die Frau schien es ernst zu meinen, als hielte sie sich selbst für eine Detektivin, doch einen Partner wie dich könnte ich nie so einfach ersetzen.“ „Das würdest du auch nicht wagen. Wer versorgt dich denn sonst mit Kaffee? Dann warst du also deshalb gestern noch einmal auf, das bringt Licht in die Sache.“ In seiner Stimme schwang sowohl Heiterkeit, als auch ein wenig Sorge mit. „Ich war nochmal richtig auf? Daran erinnere ich mich gar nicht.“ „Du warst auch ziemlich weggetreten. Ich fragte, wer das am Telefon war, doch du hast mich nur angestarrt, als wäre ich eine Art Erscheinung.“ „Das bist du ja auch.“ Ein breites Schmunzeln kringelte sich von Ohr zu Ohr, während er dies sagte. Gerade als Callim eine neckische Erwiderung geben wollte, klingelte das Telefon auf Damians Schreibtisch und er hob ab: „Detektei Niklas und Parik, welchen Fall können wir für Sie lösen?“
Eine ältere Dame war dran. Während sie erzählte und er mit einer Hand den Hörer hielt, kramte er mit der anderen nach seinem Notizblock und Füller. „Nun, das entspricht nicht unbedingt dem Gebiet unserer Arbeit, aber wir werden es uns mal ansehen. Wie lautet die Adresse? Siebenundzwanzig, mhm. Und um wie viel Uhr war es? Ja, wir gehen dem gleich nach. Auf Wiederhören.“ Nachdenklich schrieb er den Satz zu Ende. „Es gibt einen neuen Auftrag?“ „Es wäre wohl eher als Gefallen zu bezeichnen, für eine ältere Dame, die letzte Nacht eine Beobachtung gemacht hat. Sie sagt, sie hat, da sie spät noch einmal auf war, gehört wie eine Frau in der Telefonzelle vor ihrem Haus mit jemandem ein Gespräch führte. Sie hat etwas von den defekten Uhren erzählt und als die Anwohnerin hinaussah notierte die in eine Kapuze gehüllte Person etwas und hastete davon. Jetzt glaubt sie, sie hat die Diebin gesehen, die die Uhren manipuliert.“ „Diebin, wie?“ Damian bemerkte selbst, dass er unbewusst das Wort von der Fremden aus der vorherigen Nacht übernahm, kommentierte es jedoch nicht weiter. „Willst du dem wirklich nachgehen? Vermutlich ist da gar nichts dran und was willst du vor Ort noch finden?“„Wer weiß, aber einen anderen Auftrag haben wir momentan ohnehin nicht. Die letzte Affäre, der wir nachgehen sollten, hat sich aufgedeckt und der Fall ist somit abgeschlossen.“ Er würde dieses kleine, unbekannte Abenteuer, selbst, wenn es sich als Unsinn entpuppen mag, dennoch jederzeit einem weiteren streitenden Paar vorziehen. Ohne auf weitere Antworten zu warten nahm er den letzten Schluck aus seiner Tasse und griff nach Mantel und Hut. Während er sich auf den Weg zu der Tür machte folgte Callim ihm mit einem Seufzer.
Die Straße, die von der Dame am Telefon beschrieben wurde, erschien schon nach kurzer Fahrt vor ihnen – beidseitig gesäumt von Häusern, die sich nur durch ihre verschiedenfarbig bunten Dächer unterschieden, und von sauber geschnittenen Hecken. Sie bogen mit ihrem klapprigen Automobil um die Ecke und entdeckten dort alsbald die vor dem grauen Himmel knallrot hervorstechende Telefonzelle. Bereits beim Aussteigen kam ihnen die, noch immer aufgeregte, Anruferin in ihren Hausschlappen entgegen und bot eine neuerliche Erläuterung über alles, was sie zuvor telefonisch berichtet hatte, dar. Auch, dass sie sie statt der Polizei anrief, da die Seite in dem Telefonbuch in der Zelle bereits aufgeschlagen war und sie sich von ihnen mehr Hingabe erhoffte, als von den Beamten. „Danke für die Informationen, wir werden gleich an die Arbeit gehen und ich melde mich bei Ihnen, wenn sich etwas Wissenswertes ergibt.“ Ein wenig unzufrieden ging die füllige Frau wieder in ihr Haus. Die Erwähnung von ihr darüber, dass die Seite mit dem Namen der Detektei aufgeschlagen war, weckte seine Aufmerksamkeit. Daher machte Damian sich sofort ans Werk. Er sah sich um, schaute, ob es erkennbare Spuren gab, die zeigten, wo die Unbekannte herkam oder hinging, und ebenso, ob sie mögliche Hinweise in der Kabine zurück ließ. Immerhin hat es in der vergangenen Nacht nicht geregnet, vielleicht findet sich noch etwas Brauchbares.„Was glaubst du zu entdecken? Es ist eine öffentliche Straße. Selbst wenn du etwas siehst kann es von sonst wem sein.“ „Das mag stimmen, es scheint keine nützlichen äußerlichen Spuren zu geben, aber wirf mal einen Blick in das Telefonbuch.“ Prüfend sah Callim nach, was er meinte, und stellte mit nachdenklicher Miene fest: „Es ist bei N aufgeschlagen.“ Er schaute zu Damian und bemerkte mit einem sich erhellenden Blick der Erkenntnis, was er meinte, als er nochmals hineinsah. „N, wie Niklas, Damian Niklas. Aber heißt das du glaubst diese Frau war dieselbe wie die, die dich geweckt hat?“ „Der Zeitpunkt, den die Melderin mir genannt hat, passt dazu, und das, worüber sie mit mir sprechen wollte. Es könnte sie gewesen sein.“ „Der Ort, wo die letzte Uhr defekt wurde, ist in der Nähe. Meinst du, sie hat wirklich was damit zu tun?“„Vielleicht nicht, aber sie glaubt jedenfalls etwas darüber zu wissen. Ich vermute, sie will unerkannt bleiben, aber wird uns erneut kontaktieren. Schau mal.“ Er schraffiert mit dem Bleistift aus seiner Tasche die Stelle im Buch, direkt unter seinem Namen. „Hier, der Abdruck ist erkennbar. Die Notiz, die sie sich machte, war die Telefonnummer von zu Hause und die aus dem Büro.“ „Nur die Nummern, dann könnte es tatsächlich so sein, dass sie nicht vorhat, sich zu zeigen. Sie hat offenbar nicht geplant, persönlich zu uns zu kommen.“ Damian nickte, während er nachdachte. „Dazu kommt, dass sie eine Kapuze trug, doch regnete es gestern Nacht gar nicht. Die Dame wirkte sehr ernst. Sie wird sich wieder melden, und wenn es soweit ist, sollten wir besser im Büro anzutreffen sein.“ Er bewegte sich zurück zum Wagen und schaute noch kurz über die Schulter, während er gerade wieder einsteigen wollte, als er bemerkte, dass Callim nicht das gleiche tat. Auf die Frage, worauf er wartet, antwortete er, dass sie sich auch den Ort der defekten Uhr ansehen sollten, da er sich ohnehin in der Nähe befand. „Die Chancen, dort etwas zu finden, oder überhaupt irgendwo ranzukommen sind zwar nicht hoch, aber vielleicht kommen wir an ein paar Informationen. Es wird sicher nicht schaden sich einmal umzusehen.“ Zustimmend nickte Damian noch einmal, schloss die Tür wieder und sie gingen ein paar Straßen weiter, bis sie das allmählich neu ansetzende Grün des Parks begrüßte, in dem sich die betroffene Uhr befand. Der runde Uhrenturm war inmitten der Grünfläche, von jeder Seite und allen Parkbänken gut sichtbar platziert. Die Uhren selbst waren, genau wie das restliche Erscheinungsbild, das sich hier bot, schlicht, aber ordentlich gefertigt, wenn auch scheinbar lang nicht mehr richtig gepflegt. Äußerlich waren, wie zu erwarten, keine deutlichen Spuren an dem in die Höhe ragenden Turm auszumachen. Der Weg, auf dem sie sich befanden, war heruntergelaufen, weshalb dort keine brauchbaren Abdrücke mehr waren. An den Zeigern war kein von hier aus sichtbarer Defekt, und auch die steinige Wand des Gebäudes wies keine Auffälligkeiten, außer des üblichen Verfalls eines alten Gemäuers, auf. Als sie sich weiter auf den Eingang zu begaben, sahen sie eine Polizistin aus der Tür kommen und verlangsamten synchron ihr Tempo, als wären sie lediglich auf einem harmlosen Spaziergang, statt einer Mission. „Offenbar hat die Polizei nach ihren Ermittlungen heute Morgen jemanden hier abgestellt gelassen“, murmelte Damian. „Sie wird uns sicherlich nicht einfach einen möglichen Tatort ansehen lassen.“ „Sie hat die Tür nicht verschlossen, du solltest dort so durchkommen. Ich werde sie ablenken.“ Mit einem schelmischen Grinsen und den lebendigen Erinnerungen an schon früher zusammen angestellten Schabernack, die sie teilten, deutete Callim ihm voranzugehen und sich in Position zu bringen. Er bog um die Ecke des Weges daneben, lauschte weiterschlendernd dem Gespräch, das jetzt entstand, und wartete, bis die Aufpasserin abgelenkt genug war, sich hinter ihr durch die Tür zu schleichen.
Es dauerte nicht lange, bis die Frau der Unterhaltung ihre Aufmerksamkeit widmete und sich anhörte, was ein besorgter Bürger des Landes alles für Fragen hatte. Und es waren viele Fragen, genug, um ihm etwas Zeit zum Umsehen zu verschaffen. Hinter der Tür führten kleinere hölzerne Treppen nach oben, von wo aus er schon einen Geruch nach Schmieröl wahrnahm. Unbeirrt ging er an den anderen Etagen vorbei, immer weiter hinauf. Er lugte in den kleinen Raum, um sicherzugehen, dass dort nicht noch weitere Beamte zurückgeblieben waren. Mit einer knarrenden Diele tat er den letzten Schritt hinein und sah das in einem Holzkasten geschützte Uhrwerk vor sich, den er öffnete. Eigentlich sollten hier das sekündliche Klicken, das Bewegen der Zahnräder und das Klacken des Pendels hörbar sein, doch dort war nichts. Anstelle des rhythmischen Lebens, das hier herrschen müsste, wirkte das gesamte Räderwerk völlig unbewegt. Kein Drehen, kein Schwingen und kein Tippen, alles war außer Bewegung. Es war leblos, beinahe wie erstorben. Er nahm seine Taschenlampe zur Hilfe, um sich die Einzelteile genauer ansehen zu können, doch er konnte keinerlei Fehlen oder stärkere Beschädigungen feststellen. Sie ist, wie jede der Turmuhren, jeden Tag aufgezogen worden, doch offenbar brachte auch das dieses Mal nichts mehr. Er hätte es gern ausprobiert, der große Hebel zum Anstecken an die Stange der Zahnräder und Kurbeln war an der Wand befestigt, doch es wäre womöglich zu laut gewesen. Das Ziffernblatt am Mechanismus, womit sich normalerweise feststellen ließ, dass die Uhr richtig lief, war um kurz nach Mitternacht stehen geblieben. Dieser Zeitpunkt liegt etwa eine Viertelstunde vor dem Anruf der letzten Nacht. Die Frau konnte so schnell noch nichts über die Polizei und die Medien mitbekommen haben, sie musste selbst etwas wissen. Er ließ diesen Gedankengang vorerst vorüberziehen, um sich auf die Untersuchung zu konzentrieren. Gerade als er das Pendel vorsichtig zurück an seinen Platz vor dem Ziffernblatt hängend bewegen wollte, um sich wieder zurückzuziehen, entdeckte er daran ein langes Haar. Unter Zuhilfenahme der kleinen Lupe, die als verschnörkelter Anhänger getarnt seine lange Kette zierte, erkannte er den weißlichen Farbton genauer, was ihm allerdings vorerst keine weiteren Erkenntnisse lieferte. Er ließ die Strähne aus seinen Fingern gleiten und ging wieder die Treppen hinunter, wobei er beim Verlassen des Raumes darauf achtete, die oberste Diele zu übertreten, damit sie nicht erneut ein Geräusch von sich gab. Unten angelangt öffnete er ganz langsam die Tür ein Stück, worauf Callim als Reaktion an einem seiner Ohrringe zupfte, um ihm zu signalisieren, dass er rauskommen konnte.
Nachdem das Gespräch mit der inzwischen leicht genervt wirkenden Wächterin ein Ende gefunden hatte, verließen die beiden nacheinander die Umgebung und gingen zurück zu ihrem Wagen, um wieder zur Detektei zurückzukehren.
Unterwegs tauschten sie sich über die neuen Erkenntnisse aus, wenn diese auch spärlich waren. Damian berichtete, dass er keinen Fehler im Räderwerk entdecken konnte und außer dem Haar keine weiteren Spuren fand. Callim war in dem eher einseitigen Gespräch auch an nur wenig neue Informationen gelangt. Sie waren schließlich, während sie das Büro betraten, noch immer im Austausch.„Ich habe sie mit Fragen gelöchert, doch sie hat manche Sachen gar nicht beantwortet und andere Dinge waren schon durch die Medien bekannt. Ich hab mich bis zum aktuellen Tatort vorgetastet, aber zu dem hat sie erst recht nichts gesagt. Das Einzige, was sie erwähnte, war, dass der ältere Herr, der die Uhr instand halten soll, auch derjenige war, der noch in der Nacht entdeckt hat, dass sie steht und die Beamten wegen den vorher schon betroffenen Uhren informiert hat. Es waren meistens die Türmer, die es gemeldet haben.“„Das bringt uns wirklich nicht viel weiter“, kommentierte Damian die wenig erkenntnisreichen Informationen, die sie zusammentragen konnten. „Ich begreife schlicht nicht, wie es sein kann, dass ein Werk einfach aufhört zu arbeiten. Es sah technisch alles einwandfrei aus und schien mir in einem guten Zustand zu sein. Ich frage mich, ob der Türmer etwas bemerkt hat, was die Beamtin vor der Tür dir nicht verraten konnte.“ „Meinst du, er hat was damit zu tun? Es ist schon auffällig, wie schnell er es bemerkt und gemeldet hat.“ „Ja, aber es gibt keinen Grund, anzunehmen, er wäre auch an den vorherigen Orten gewesen, denn dort waren es immerhin die anderen Türmer, die es bemerkt haben. Das Haar, das ich fand, könnte ebenfalls von ihm sein. Es war zwar tiefer in den Zahnrädern, so ist es doch immerhin auch ein Teil seines Berufs, sich näher um die Mechanik zu kümmern.“ Callim antwortete mit einem bedrückten Nicken. Schließlich kam die Unterhaltung über das Thema zum Erliegen und sie wollten sich anderer Erledigungen zuwenden. Damians Gedanken jedoch wanderten wieder zu dem Anruf der letzten Nacht. Es gab zwei Leute, die etwas Nützliches gesehen haben könnten, doch er hatte keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren. Etwas enttäuscht darüber, nicht mehr herausgefunden zu haben, ließ er sich in seinen Stuhl sinken und fing an, sich in seinem Heft zu notieren, was sie bisher an Informationen hatten. Unterdessen machte Callim sich daran, einen Bericht zu beenden und wegzuheften. Zwischenzeitlich kam noch ein Anruf eines besorgten Mannes, der seinen Kater vermisste. Normalerweise nichts, wofür man einen Detektiv brauchte, doch die Leute meldeten sich wegen der einfachsten Dinge. Oft, wie auch in diesem Falle, fanden sich die geliebten Vierbeiner letztlich in einem Schuppen oder unter dem Bett wieder. Für so eine Kleinigkeit, die sich noch in dem Gespräch aufklären ließ, erwarteten sie keinerlei Vergütung. Manche Kunden bedankten sich in einem solchen Moment nicht einmal richtig, andere quollen über vor Freude und überraschten sie mit einem selbst zubereiteten Gebäck, ganz zur Freude von Callim. Es ging den beiden bei ihrer Arbeit nie um die größten Fälle mit dem meisten Honorar, sondern darum, dem, was ihnen Freude bereitete, nachzugehen und ihren Mitmenschen zu helfen. Sei es nun eine der typischen Affären sowie Angestellte eines Unternehmens zu observieren, da dieses an der angegebenen Krankmeldung zweifelte, eine verdächtige Person, derer sie gebeten wurden, sie zu beobachten, oder eben auch um verschwundene Haustiere. Sie haben in ihrer bisherigen Laufzeit, wenn diese auch noch nicht lang war, fast niemanden abgelehnt.
Den restlichen Tag gingen sie somit wieder ihrer Routine nach, bis sie beschlossen heimzugehen. Letztlich war dies bloß ein ereignisloser weiterer Arbeitstag, der nun zu Ende ging.
Damianwar froh, in dieser Nacht erholsamer geschlafen zu haben, als in der vorigen. Obwohl ihn der vergangene Tag am vorherigen Abend noch beschäftigte, schaffte er es bald in den Schlaf und wurde dieses Mal nicht von anonymen Anrufern davon abgehalten. Auch jetzt noch schwirrte das Uhrwerk aus dem Park in seinem Kopf herum. Sein technischer Verstand konnte sich einfach nicht erklären, wie es möglich war, dass so etwas passieren und sich nicht wieder in Gang setzen lassen konnte. Er war immerhin kein bloßer Laie, was mechanische Dinge anging; Schon als er noch ein Kind war faszinierte ihn jede Form des Zusammenarbeitens von Teilen, wie sie sich bewegten und was sie dazu brachte. Er hatte schon von klein auf an eine Begabung dafür, Sachen auseinanderzunehmen – und wieder zusammenzusetzen. In etwa seinem achten Lebensjahr nahm er den Wecker auf seinem Nachttisch auseinander, was ihm von seinen Großeltern, bei denen er gerade übernachtete, einen ordentlichen Ärger einbrachte. Doch war jede Erinnerung, die er mit dem Tüfteln verband, eine seiner schönsten, da dies eine große Leidenschaft war, die sein Vater, seit er weit genug war, ein Werkzeug zu halten, mit ihm hat teilen und ihm beibringen können. Er war gerade einmal sechs Jahre alt gewesen, als sich der Unfall ereignete, der ihn vorübergehend seiner Eltern beraubte und dafür sorgte, dass er für einige Wochen bei seinen Großeltern unterkam. Dies war ein äußerst schwerer Abschnitt in seinem noch so zarten Leben für ihn gewesen, nicht nur, weil einem kleinen Jungen seine engste Familie so unerwartet entrissen wurde, sondern weil er anfangs große Schwierigkeiten hatte, mit anderen klarzukommen. Sein ursprünglich fröhliches Gemüt trübte sich von Tag zu Tag, er wurde einsam und haltlos. Mit ein paar wenigen Kindern konnte er gemeinsam malen oder spielen, doch sie teilten seine, und er ihre Interessen nicht. Er wäre unter anderen Umständen aufgeschlossen und voller Neugier, jedoch dabei stets eher ruhig und in sich gekehrt. Unbeholfen gegenüber anderen, zog er sich immer weiter zurück. Selbst die Erwachsenen befanden ihn allmählich für wunderlich. Sie kümmerten sich liebevoll um ihn, doch die irritierten Blicke und die Unverständlichkeit blieben nicht unbemerkt. Er konnte mehr damit anfangen, Zeit für sich allein in seiner eigenen Fantasiewelt zu verbringen, als sich mit anderen zu unterhalten, war eher interessiert daran, etwas auseinanderzunehmen, als Spiele zu spielen, die ihm keine Freude bereiteten. Lediglich sein Großvater, welcher einen schlechten Verlierer spielte, wenn der kleine Damian beim Kartenspielen gewann, vermochte ihn damit zu amüsieren und dazu zu bewegen es noch einmal zu versuchen. Wo andere Kinder gemeinsam Schach spielten, galt sein Interesse zuerst der Funktionsweise der Schachuhr. Dennoch wurde dies mit der Zeit das einzige Spiel, das er mit etwas Übung mehr und mehr zu lieben lernte. Es erforderte genauso Geduld und Konzentration, wie die anderen Dinge, die ihm Spaß machten. Außerdem war dort dieser eine Junge in der Nachbarschaft seiner Großeltern, der sich nie ärgern ließ und mit den meisten gut klarkam. Das obwohl er nur wenig älter war als Damian selbst. Dieser Bursche war der Erste, der sich damals mit ihm an den Tisch setzte und eine Partie begann. Anfangs spielten sie bloß still vor sich hin, doch es brauchte nicht lange, bis sie anfingen, miteinander zu lachen, rumzublödeln und sich allmählich zu unterhalten. Die Geschichten der zwei waren beide betrüblich zu erzählen, was sie verband, trotz dessen ihre Charaktere unterschiedlicher Natur waren. Während Damian zurückhaltend und sachlich war, platzte sein neu gewonnener Freund immerzu zwischen seine Gedankengänge und überlegte, was sie anstellen konnten. Gemeinsam fingen sie an, ihre Fähigkeiten auszuloten und damit herauszufinden welchen Schabernack sie anrichten konnten. Eines Nachts, als sie nach dem Abendessen das Schloss am großen Schrank in der Vorratskammer knackten, lösten sie eine Suchaktion bei den Erwachsenen aus, da sie sie nicht in ihren Betten vorfanden. Zu früher Stunde wurden sie schließlich, von dem Papier der vertilgten Leckereien umringt, vor dem Schrank liegend entdeckt, wo sie selig eingeschlafen waren. Einer mit seiner Kuscheldecke zugedeckt, der andere mit seinem Teddybären fest in den Armen. Eine Möglichkeit, die immer funktionierte, um die zwei zu beschäftigen, waren Rätsel. Je mehr sie davon lösten, umso besser gefiel es ihnen, Detektiv zu spielen und ein Geheimnis zu lüften, anstatt die Ursache des Unfugs zu sein. Sie hatten nun viele gemeinsame Stunden, sowie wunderbare Erinnerungen miteinander geteilt. Lange Zeit war unklar, wie es für den zweiten der Jungen weiterging; da seine Eltern eines Tages nicht mehr heimkehrten und es keine anderen bekannten Verwandten gab, konnte keiner sagen, ob er jemals wieder ein festes Zuhause finden würde, denn Eric und Inga würden nicht mehr ewig in der Lage sein, sich dauerhaft um die Kinder zu kümmern. In ihrer Vorstellung würde es nie dazu kommen. Dies würde niemals ein Ende haben, diese Freude, die sie einander endlich wieder schenkten und sich nicht mit jemandem zu teilen vorstellen konnten. Doch auch ein kleiner Junge wird einmal groß, und nicht alles, was sich die Fantasie eines Kindes vorstellt und wünscht konnte wahr werden. Sie vergaßen bereits die Gefahr einer möglichen Trennung, glaubten, sie würden weiterhin gemeinsam groß und dann alt werden. Sie waren in kurzer Zeit füreinander alles geworden, was sie hatten, da kam der Tag, an dem das Telefon zu ringen begann und das Schicksal am anderen Ende der Leitung wartete.
Für eine Weile lag er einfach nur da, den Blick an die Decke gerichtet und sich seinen noch immer rotierenden Gedankengängen hingebend, bis er beschloss, sich davon loszureißen und aufzustehen. Geistesabwesend durchquerte er die runde Wohnung und bereitete sich in der rustikalen Küche den ersten Kaffee des Tages zu, wobei jedes einzelne Zahnrad in seinem Kopf sich noch einmal drehte und keines von ihnen einen Fehler zeigte. Allmählich wanderten seine Überlegungen sogar, erneut, zurück zum Anruf der Fremden. Zeitdieb, sagte sie, und er wolle die ursprünglichen Uhren anhalten?Nichts von dem, was sie erzählte, machte einen Sinn, doch kam er nicht umhin, immer wieder daran denken zu müssen.Die ursprünglichen Uhren ...Gepackt von einem Geistesblitz donnerte er die halb leere Tasse auf den hölzernen Küchentresen, dass sie fast überschwappte, und ging zu dem angrenzenden großen Bücherregal im Wohnzimmer hinüber. Ihn kitzelte eine leise Erinnerung bei diesen Worten, nur wusste er sie nicht mehr zuzuordnen und hoffte, in ihrer Sammlung auf ein Buch zu stoßen, welches ihm Aufschluss darüber geben könnte, wo sie herkam.
Callim betrat die Wohnung, mit dem Einkauf in den Händen zurückgekehrt.„Hallo, a rún. Howaya?“,fragte er, nebenbei seinen Schlüssel in die Schale auf dem Schränkchen legend,„Suchst du etwas?“ „Die ursprünglichen Uhren.“ Cal sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue schräg an und brachte die Taschen in die offene Küche. „Richtig, mehr Informationen, entschuldige. Ich meine die, die die Frau am Telefon erwähnt hat.“ Noch bevor er zu Ende sprach huschte Callim beinahe ein Augenverdrehen über die Miene. „Mir kam ihr Ausdruck wieder in den Sinn und es fühlte sich an, als hätte ich es schon einmal gehört, doch weiß ich nicht mehr wo.“ Er schaute von der Leiter, auf der er stand, hinunter zu seinem Mitbewohner und grübelte weiter. „Ich wüsste nicht, davon schon mal gehört zu haben“, sagte dieser mit einem Schulterzucken. Damian stieg die Tritte zu ihm runter, noch immer am Nachdenken, wobei er beinahe stolperte. Nach einem kurzen Schreck hatte er auch schon einen ihn stützenden Arm auf dem Rücken. „Wie oft hab ich dich schon gebeten nicht auf Leitern zu steigen, wenn keiner dabei ist, du Tollpatsch.“ Noch immer auf der letzten Stufe stehend, war er gerade hoch genug, um mit leicht gesenkten Wimpern zu Cals strahlenden Augen runterzuschauen und verweilte in direktem Blick noch eine Sekunde. „Du bist doch hier. Ich weiß, dass du übermenschliche Kräfte bekommst, wenn es darum geht, mich vor einem Fehltritt zu bewahren.“ Nachdem er eine durch die unerwartete Bewegung in seinem Piercing verhedderte Strähne befreite, landete er mit einem kleinen Hüpfer auf dem Boden und klopfte seinem großen Bruder auf die Schulter, welcher dieses Mal tatsächlich die Augen verdrehte, aber genauso ein Schmunzeln auf den Lippen trug. „Wie wäre es, wenn wir es in der Bibliothek versuchen? Nicht nur, dass wir da direkt fragen können, es besteht auch nicht die Gefahr, dass du irgendwo hinaufkletterst."„Wie so oft, bin ich froh, dass du mir neben deinen Rettungsaktionen auch mit deinem kreativen Verstand zur Seite stehst.“
Ein jedes Mal wenn er die Bibliothek betrat, strahlte er wie ein kleines Kind, welches ein neues Spielzeug bekam. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie Cal ihn mit einem Hauch von Lächeln dabei ansah. So hinreißend dieser Anblick auch war, sie waren hergekommen, um etwas zu erledigen.„Was meinst du, wo wir unsere Suche beginnen sollten?“, fragte Damian und folgte dann dem Fingerzeig, der Callims Antwort vorausging. „Wie wäre es bei ihr?“ Er deutete hinüber zu der Bibliothekarin, die dabei war, zurückgegebene Schriften in die Regale zu sortieren. Während Callim fortging, um sie anzusprechen, sah Damian ihm dabei hinterher, wobei sein Blick schließlich an ihr hängen blieb. Wie so viele, die mit Callim sprachen, vollführte auch sie eine Geste, bei der sie sich zart durch ihre hellen Haare strich, und ihm war klar, welche Wirkung sein Partner auf andere haben konnte. Doch war es noch etwas anderes an ihr, das seine Aufmerksamkeit erregte. Trotz ihres äußerst eleganten Auftretens, spürte er hinter der ordentlichen Bluse und dem taillierten Rock, welcher von einer sauber geknöpften Weste getoppt wurde, dennoch eine gewisse Unruhe von ihr ausgehen. Womöglich kam diese aber doch lediglich vom Charme ihres Gegenübers. Kurze Zeit beobachtete er die Szene noch, da kam Cal unter Verkündung neuer Informationen zurück. „Genau wie ich dich vorhin, hat sie auch mich zuerst mit hochgezogenen Brauen angesehen, doch ein Buch konnte sie mir nennen – Die mechanischen Künste. Das ist wohl eines der frühesten Bücher, die es überhaupt über das Thema gab, aber wenn ich mich nicht täusche, ist es schon Bestandteil von unserer heimischen Sammlung, richtig?“ „Mh, das stimmt. Doch ich hatte diesen Titel vorhin bereits in der Hand, er war es nicht.“ Er kratzte sich am Hinterkopf und sah durch die in hohen, weißen Regalen platzierten und mit dekorativen Schnörkeln verzierten Reihen voll Wissen, die sich vor ihnen erstreckten. „Aber … vielleicht, wenn ich mich noch ein wenig hier umsehe?“ Selbst wenn er keine weiteren Informationen finden würde, so schnell bekam man ihn aus einer Bibliothek niemals heraus, und Callim war sich dessen bereits vorher bewusst gewesen. Er betrachtete ihn warmherzig; Wer könnte einem Kind ein Stück Schokolade verwehren, wenn es mit ebenso süßen Augen zu ihm aufsah? Er ergab sich seinem Schicksal und deutete Damian, ihm seinen Zeichenblock aus dem Rucksack zu geben. „Ich bin da drüben. Komm bitte wieder, bevor diese Seiten alle voll sind, ja? Ich würde mir hiernach gern etwas zu essen holen und nicht noch anfangen, es vor lauter Hunger zu malen." Mit zufriedenem Strahlen machte er sich auf, in den Regalen neues Wissen und Abenteuer zu finden.
Die ursprünglichen Uhren… was war der Ursprung? In seinem Kopf zog die Geschichte vorbei, wie in einer Filmaufnahme. Er ging jedes Buch und alles, was sein Vater ihn gelehrt hatte, durch, um herauszufinden, wo er anfangen konnte. Die Uhren, sowie jegliche Form der Mechanik, waren, soweit man es zurückverfolgen konnte, schon immer ein wichtiger Bestandteil dieser Welt, um nicht zu meinen sogar ihr Antrieb. Aber wo soll dies alles seinen Ursprung haben? Gezielt griff er nach den ältesten Ausgaben, die er finden konnte, und versuchte, einen Ansatz darin zu finden. Nicht nur im technischen Wissen, sondern auch in der Geschichte suchte er nach Spuren, denen er folgen könnte. Die frühesten Aufzeichnungen, die hier zur Verfügung standen, reichten zwar circa zweihundert Jahre zurück, dies war allerdings noch immer nicht der Anfang. Mindestens ein Jahrhundert bevor diese Geschichten entstanden, musste diese Welt bereits existiert haben. Jede Seite, die er durchblätterte, brachte ihn nicht näher an den Anfang dieser Zeit. Gelegentlich bemerkte er, wie die Bibliothekarin stetig um sie herumschlich, vermutlich in Sorge um die älteren Schriften, die er sich heraussuchte.Auch Callim schien allmählich sein Papier gefüllt zu haben, und er hatte das Gefühl, seinen Magen durch die Stille dieses zurzeit weniger besuchten Ortes knurren hören zu können. So beschloss er, die Bücher zu schließen und bloß noch einen Moment allein mit seinen Gedanken und den darin enthaltenen Informationen zu verbringen. Zurückgelehnt, mit geschlossenen Augen, ließ er dessen freien Lauf. Die Erfindung der Luftschiffe, der Dampfmaschinen, die Entwicklung der Elektrizität - all diesen Dingen konnte er ein Datum zuordnen, bloß lag all dies in einer Zeit, in der die Frage der Entstehung anscheinend keiner Dokumentation nachging. Zu seinem Elend lag in genau dieser Spanne offenbar ebenfalls die Schaffung der gesuchten Uhren.Aus dem Jahrhundert vor dieser Zeit scheint nichts mehr zu existieren, als dessen Legenden. Dessen Legenden ... „Genau!“ Callim zuckte bei diesem unerwarteten Ausruf zusammen und zerbrach vor Schreck beinahe den Stift in seiner Hand. „Cal! Es könnte Helmut gewesen sein.“ In Anbetracht der ebenfalls aufgeschreckten Angestellten zog er den Kopf ein, hob entschuldigend die Hand und sprach leiser weiter: „Ich habe es gar nicht gelesen, sondern ich hörte davon. Genau weiß ich es nicht mehr, aber es könnte in einer der Geschichten vorgekommen sein, die er erzählt hat – manchmal sind es auch Legenden.“„Na, da ich mich ohnehin über ein Schokocroissant freuen würde, haben wir wohl ein neues Ziel für heute. Außerdem wüsste ich gern, was er von diesen Skizzen hält.“ Sie packten ihre Sachen und machten sich auf, diese Geschichte weiter zu erkunden. Auf in den Storyteller.
Die Bibliothek lag nicht allzu fern des Stadtkerns und sie brauchten nicht weit zu fahren, um zu ihrem liebsten Café zu kommen. Empfangen vom inzwischen vertrauten Geruch nach Gebäck, Kaffee, Büchern und ein wenig Leder, fühlte er sich, wie jedes Mal wieder, willkommen. Sobald er den Raum betrat, war die Atmosphäre beinahe wie im eigenen Zuhause. Es war gemütlich eingerichtet, mit Sitznischen, Sofas und großen Regalen voller Geschichten. Was den Storyteller aber erst recht besonders machte, war, dass, nachdem man sich einen Moment setzte, jemand zu einem kam und, wenn man mochte, eine Geschichte erzählte. Hierbei handelte es sich meist um Märchen oder selbst ausgedachte Erzählungen, doch manches waren nicht nur einfache Legenden aus aller Welt, sondern sogar Ereignisse, die in diesem Ort wirklich passiert sein sollen. Damian kannte sie bereits alle, doch einer der Erzähler, Herr Bartels, fand immer wieder etwas Anderes, was er dramatisch darstellen konnte und dachte sich manches Mal speziell für ihn etwas Neues aus. Eines Tages waren sie auf die Idee gekommen, sich gegenseitig kleine Rätsel aufzugeben, die teilweise keine allzu große Herausforderung darstellten, doch es trug dazu bei, diese Verbindung, die inzwischen schon wie eine Freundschaft war, zu erhalten. Auch heute war Helmut dort.
Wie für ihren Empfang bereit stehend, fanden sie ihren gesuchten Mann direkt am Eingang vor: „Ah, meine liebsten Zuhörer“, hieß er sie freudig willkommen und kam mit aufrechter Haltung und seinem schlichten, aber eleganten Gehstock zur Hilfe in großen Schritten näher. Beide sahen in sein strahlendes, mit Lachfalten geziertes Gesicht hinunter und begrüßten ihn ihrerseits ebenso herzlich. Sie begaben sich zu einer der Sitzecken im oberen Bereich, wo Damian, bevor ein anderes Thema angeschnitten werden konnte, zuerst einmal eine golden glänzende Taschenuhr aus seinem Rucksack zum Vorschein brachte und sie ihm präsentierte. „Hier, mein Lieber - frisch aufbereitet.“ Der Angesprochene nahm sie mit strahlenden Augen entgegen. Man konnte darin bereits sehen, wie das freudige Lächeln wuchs, noch bevor es bei seinen Lippen angekommen war. „In der Tat, wie neu. Ich danke dir herzlich. Weißt du“, leitete er einen Satz ein, den Damian ein jedes Mal von ihm hörte, nachdem er sie für ihn wieder in Schuss gebracht hatte, „sie bedeutet mir viel. Ich habe sie vor sehr langer Zeit von einem guten Freund bekommen.“ Grinsend wie ein Kleinkind, dem man ein Gummibärchen gab, betrachtete er die Figuren auf der Verdeckung noch einen Augenblick, bevor er auf den Knopf drückte und sie aufspringen ließ. „Es freut mich, deine Freude zu sehen, doch sind wir nicht nur hier, um sie dir wiederzubringen“, ging er dazu über, ihm ihr eigentliches Anliegen vorzulegen.
Sie unterhielten sich eine Weile darüber, was in letzter Zeit vor sich ging, so auch über den nächtlichen Anruf und den Turm. „Dass selbst jemand mit deinem Können keine Ursache für diese seltsamen Ausfälle findet, ist seltsam. Und diese Frau hat wirklich nicht ihren Namen gesagt? Du hast ihn nicht nur überhört? Warum sollte sie um Hilfe bitten und dann verschwinden?“ Der ältere Herr zog fragend die ergrauten Augenbrauen hoch und breitete die Hände aus. „Sie hat sich immerhin die Telefonnummer notiert, ich vermute“ - „sie hat vor, sich noch einmal zu melden“, beendete Callim seinen angefangenen Satz mit einem zweifelnden Seitenblick und fügte hinzu: „Ich bin jedenfalls gespannt: vielleicht liefert das ja mehr Inhalt für neue Geschichten.“ Helmut schürzte die Lippen und nahm daraufhin einen weiteren Schluck von seinem Getränk. „Wer weiß, mein Junge, an Manchem ist mehr dran, als man glauben mag. Vielleicht fehlt dir bloß noch eine weitere Perspektive dazu.“ Bei diesen Worten trug er dieses wissende Lächeln in den Mundwinkeln, das Damian schon öfter bei ihm sah, unter den über die rundliche Brille gehobenen Augenbrauen.Das bringt wohl die Weisheit seines Alters mit sich.In einer Hand hielt besagter Kaffeetrinker noch immer das Skizzenbuch von Callim, mit der anderen rührte er nebenbei klappernd in seiner wieder abgestellten Tasse.„Jedes Mal von Neuem bin ich begeistert davon, wie gut du das Wesen der Dinge einfängst, mein Lieber.“ „Das habe ich teilweise dir zu verdanken. Du hast mir immerhin auch einige Tipps mitgegeben“, sagte er darauf bescheiden. „Der beste Weg zu lernen ist der, zu lehren.“ Helmut sah ihn heiter an, was der junge Künstler erwiderte. „Du hast ihre Ausstrahlung wirklich gut getroffen.“ „Kennst du sie denn?“ Ein wenig aus seiner Gedankenwelt gerissen wirkte er leicht ertappt, so wie er über seine Brille hinweg sah. „Oh, ich habe sie schon gesehen. Aber es ist durch genau diese exakte Darstellung so, dass man eben dieses Gefühl beim Ansehen hat, als würde man sie kennen. Und das, obwohl ihr Gesicht nicht ganz zu sehen ist. Weißt du, wir sollten uns einmal wieder zusammensetzen und gemeinsam unserem kreativen Schaffen nachgehen, was meinst du, Christopher?“ „Immer wieder gern. Ich habe leider nicht oft die Gelegenheit mich mit anderen Künstlern auszutauschen.“ Damian bemerkte die veränderte Körpersprache der beiden und hatte eine Ahnung, worum es hier eigentlich gehen könnte, daher zog er sich kurzzeitig zurück und holte Callim endlich sein gewünschtes Gebäck. „Ich ertrage das Knurren deines Magens allmählich nicht mehr. Ich werde etwas holen, um ihn zu beruhigen. Helmut, kann ich dir noch etwas mitbringen?“ „Nein danke, aber lass dir Zeit.“ Sobald Damian außer Hörweite war, sah er, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten und tuschelten. Offenbar hatte er Recht mit seiner Vermutung, und es könnte demnächst eine besondere Überraschung für ihn geben. Sobald er mit vollen Händen zurückkehrte, nahmen sie die anfängliche Unterhaltung wieder auf. „Der Gedanke an Legenden war der Schlüssel. Zwar haben wir schon so viele Geschichten hören dürfen, die deiner wunderbaren Fantasie entsprangen, aber manche, so glaube ich, könnten mehr als das sein, nicht wahr? Ich meine, wenn du das alles tatsächlich erlebt hättest, müsstest du ja mehrere hundert Jahre alt sein“, er lachte bei dieser Aussage, „aber ein paar dieser Erzählungen könnten doch tatsächlich passiert sein?“ Seitens des Geschichtenerzählers kam ein wissendes, doch zurückhaltendes Zwinkern. „Also, die Legende über das Seeungeheuer war nichts Ausgedachtes, so viel ist sicher“, beteuerte er daraufhin.„Du bist einer der weisesten Menschen, die ich kennen darf. Ich bin mir sicher, dass du schon mehr über die Zeit der Entstehung gehört hast, als ich aus jedem Buch herauslesen könnte.“ „Damit liegst du wohl nicht falsch, allerdings kann ich euch nicht sagen, worum es sich bei diesen Uhren handelt. Was ihr jedenfalls wissen solltet“, ihm entfuhr ein sorgenvolles Seufzen, „ist, dass es gefährlich sein könnte, zu tief in der Geschichte zu graben.“ Die Brüder sahen sich gegenseitig an, bei dem Versuch abzuwägen, was davon zu halten war. „Was ist damit gemeint?“ „Die Anruferin, ob es nun diesen Dieb, an den sie glaubt, so gibt oder nicht, hat womöglich Recht damit, sich Sorgen zu machen. Dass ihr noch nicht wisst, was vor sich geht, heißt nicht, dass es gefahrlos ist, es herauszufinden.“ Bislang sahen sie in dieser Geschichte eher ein kleines Abenteuer, wie sie sie in ihrer Kindheit oft nachspielten. Selbst, wenn es sich als Scherz oder Irrsinn herausstellte, hätte es keinem geschadet, ihre Neugierde zu befriedigen. Die Möglichkeit, dass es wirklich ein ernsthafter Fall sein könne, kam nun erst langsam ans Tageslicht. „Meine lieben, Legenden entstehen durch Abenteuer. Ob sie wahr sind, findet man nur heraus, indem man weitere davon schafft. Nur bitte, geht nicht mit Leichtsinn an sie ran.“ Das Wort Abenteuer wurde direkt zum Anlass genommen, einige von diesen miteinander auszutauschen, um die sich verdüsternde Atmosphäre aufzulockern und von dem, was noch verborgen war, abzulenken. Helmut erzählte begeistert von unentdeckten Teilen des Meeres, verborgen hinter undurchdringlichem Nebel. Ihm war bewusst, dass dies den Jungen Callim an seine leiblichen Eltern erinnern würde, so wusste er aber auch, dass es keine Trauer war, die er mit ihnen verband, sondern Bewunderung. Eben diese drückte er hier erneut aus, indem er von den wilden Fahrten auf See, die er mit Damian damals enthusiastisch nachstellte, berichtete. Zusammen schwelgten sie in Erlebtem, bis alle Becher ausgetrunken und alle Teller leer gegessen waren. Zu guter Letzt beschloss der älteste der Runde ihnen für den Abend noch eines seiner Rätsel aufzugeben, bevor sie sich aufmachten. „Nun denn, hört her und merkt euch meine Worte, so soll des Rätsels Lösung euch bringen an neue Orte: Darauf sind Berge und Bäume, doch es hat keine Erde. Es gibt Flüsse und Seen, aber kein Wasser. Es zeichnet Städte mit Straßen, aber ohne Gebäude. Worum handelt es sich?“ Mit seinem üblichen Funkeln in den Augen, welches er immer in eigener Begeisterung über Rätsel und Erzählungen trug, beendete er seine Frage und sie verabschiedeten sich voneinander.
Die Fahrt heim wurde genutzt, um sich weiter der Lösung des gestellten Rätsels zu widmen. Diese zu finden war jedoch sicherlich nicht das Ziel. Zumeist, wenn Helmut ihnen eine Aufgabe stellte, ging es nicht nur darum, eine simple Antwort zu liefern, sondern es waren seine Worte um die Fragen herum, die das eigentliche Rätsel formten. „Gebirge ohne Erde, Gewässer ohne Wasser und Städte ohne Gebäude. Eine Wüste könnte es sein. Alles da ist aus Sand, die Gewässer sind ausgetrocknet und einige Städte existieren nur namentlich. Sie dienen zur Orientierung für Reisende, sind aber im Grunde nur Markierungen auf einer Landkarte.“ Damian lachte auf, als ihm die Lösung im Detail auffiel. „Das ist es, Cal. Die Wüste klingt logisch, aber es ist die Landkarte gemeint. Sie hat alles Genannte eingezeichnet, ist aber dennoch aus Papier.“ Sein Beifahrer nickte in zustimmender Überlegung. „Ja, ich denke, du hast Recht. Ich frage mich bloß, was dann damit gemeint war so soll des Rätsels Lösung euch bringen an neue Orte. Eine Karte könnte von überall her sein. Außer, er meinte den Ort, an dem wir die Karte finden.“ „Soweit ich weiß, führt die Bibliothek solche auch. Ich denke aber, die dort vorhandenen reichen, genau wie die Bücher, nicht weit genug zurück.“ Mit sich erhellender Miene hob Callim ein wenig besserwisserisch seinen Finger in die Luft; er war ihm bereits einen Schritt voraus.„Die Bibliothek ist hier nicht der Ort, der uns weiterhilft, sondern das Archiv im Museum.“ „Ja, ich erinnere mich an die große Weltkarte in der Eingangshalle. Ich habe sie damals bei jedem Besuch mit Paps und Ma bewundert. Bestimmt haben sie auch noch ältere Exponate.“
Für heute jedoch waren sie lang genug unterwegs gewesen und würden sich weiteren Nachforschungen erst am nächsten Tag widmen.
Da dieser gekommen war, galt ihr erster Halt allerdings der Arbeit, wo sie sich nicht weniger engagiert ihren Fällen widmeten. Neben den üblichen Telefonaten und dem Einsehen der Post, lag noch eine Observierung vor ihnen. Einer dieser Fälle, in denen ein Angestellter verdächtigt wurde, heimlich für eine andere Firma tätig zu sein, welches sich allerdings als Irrtum herausstellte. Sobald auch dieser Auftraggeber seine Ergebnisse bekam, waren ihre Aufgaben für den Tag erledigt und sie konnten sich wieder ihrem eigenen Fall widmen. Sie würden nur noch einen kurzen Zwischenstopp einlegen.
Kaum an dem Museum angekommen, teilten sie dieses Mal den Ausdruck der Vorfreude, denn sie beide hatten wundervolle eigene, sowie gemeinsame Erlebnisse mit diesen Hallen verbunden. Beim Eintreten begaben sie sich zielgerichtet zum Empfang, wobei Damian sich lediglich kurzzeitig mit dem Aufsammeln eines verlorenen Geldstücks aufhielt. Hey, wer hat dich denn verloren?Er steckte sich die kupferne Münze in seine Hosentasche und hoffte, dies als Zeichen auf Glück deuten zu können. Einer der Angestellten, dem sie mittlerweile dank häufiger Besuche vertraut waren, ließ sie in den hinteren Teil eintreten. Ihnen war der von Schränken gerahmte Flur bereits bekannt, denn im Laufe der Jahre saßen sie schon ein paarmal mit dem Hausmeister zusammen, dessen Bekanntschaft sie inzwischen gemacht hatten.
Nach einem höflichen Klopfen steckte Damian den Kopf in das kleine, graue Büro. Günther saß wie gewohnt entspannt in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Arme auf seinem Bierbauch verschränkt, da und unterhielt sich mit einer der Restauratorinnen. „Na? Was macht ihr denn hier?“ „Guten Tag, ihr beiden“, begrüßte Damian sie höflich und Callim hielt vielsagend eine Papiertüte mit dem Logo des Cafés darauf in die Höhe und antwortete einladend: „Wir bieten ein Tauschgeschäft.“ Der Angesprochene räumte bereits das zusammengefaltete Bonbonpapier von seiner Zwischenmahlzeit beiseite, um Platz für die nächste zu machen. Mit etwas Kuchen bedurfte es keiner großen Überredungskünste, um ihnen den Gefallen zu tun, um den sie baten, und sie standen schon bald zwischen den prall gefüllten Regalen des Archivs. Der rüstige Mann besten Alters kurbelte eines der Räder an der Front, um das System in Bewegung zu setzen und die Regale auseinander zu bewegen. Wortlos deutete er ihnen in den so entstandenen Gang zu treten, worin sich befand, was sie einsehen wollten. „Ich schätze, die Ältesten liegen ganz hinten. Wie weit die zurückgehen, müsste ich Olea mal fragen.“ „Danke, aber das ist nicht nötig. Sie sind ja alle datiert und wir können uns die, die wir brauchen, selbst raussuchen.“ Der Angestellte ließ ihnen ihren Freiraum und ging weiter seinen anderen Aufgaben nach.
Es waren allerlei Varianten an Karten vorhanden. Die einzelnen Inseln ihres Landes, deren Gebiete im Detail, sowie eine Übersicht der gesamten Welt, auf der sie sich befanden. Allesamt, egal welchen Alters, waren in gutem Zustand. An jeder Rolle war ein Zettel mit Informationen befestigt, der ihnen die Jahreszahl verriet, daher dauerte es nicht allzu lange, das älteste Exemplar unter ihnen auszumachen. Auf Grund des fragilen Papiers durften diese nur mit Handschuhen berührt werden, welche Damian sich überzog. Vorsichtig rollte er das Pergament vor sich auf dem hölzernen Tisch aus, und vor ihm erstreckte sich die Weite der Welt, festgehalten in Farbe auf Papier. Eine beinahe dreihundert Jahre alte Karte unterschied sich ein wenig von dem, was die jetzige Zivilisation bereits weiter auskundschaftet und erbaut hatte. Callim besorgte noch ein aktuelleres Modell, um sie miteinander vergleichen zu können. „Selbst diese alte Abbildung ist schon ziemlich genau getroffen. Nur die Aschewüste und die Schneegebiete finden sich auf der ersten Erfassung noch nicht ganz.“ „Logischerweise sind die Landus-Inseln und andere bewohnte Länder schon früh kartographiert worden, und womöglich liegt genau darin der Punkt.“ Er realisierte, dass einige Sekunden vergingen, bevor er weitersprach, aber sein Bruder kannte diese Denkpausen bereits und wartete geduldig ab. Der an sein Kinn gehobene Zeigefinger löste sich und er führte seine Erläuterung fort.
