Die Glücksanglerin - Gabriele Färber - E-Book

Die Glücksanglerin E-Book

Gabriele Färber

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Beschreibung

Ein Regionalroman aus den frühen 2000er Jahren mit Schauplätzen in Wiesbaden, im Taunus und in Berlin, der über den Mut erzählt einen Neuanfang zu wagen - beruflich und in einer fremden Stadt. Bis es soweit kommt, liegen aufregende Monate hinter Susanne mit Katastrophen und Zweifeln, die bei Bewerbungen, Kontaktanzeigen und der Suche nach dem eigenen ICH passieren können. Obendrein kommt es im Taunus, in der Nähe von ihrem Elternhaus, zu einem Mord. Und der Mörder ist näher als sie ahnte. Eine Erzählung mit Herz und Humor, die Mut macht auf das Glück zu vertrauen und an sich selbst zu glauben!

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Inhaltsverzeichnis

Februar

März

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Oktober

November

März des folgenden Jahres

Gabriele Färber

Die

Glücksanglerin

Ein Wiesbaden-Regionalroman

mit kriminellem Touch

Impressum

Autorin und Verlag:

Gabriele Färber, Wallbergstr. 14, 83026 Rosenheim

[email protected]

Text, Layout Gabriele Färber alle Rechte vorbehalten

auch erhältlich als Taschenbuch

www.geschichten-fuer-alle.de

Ein Regionalroman aus den frühen 2000er Jahren

mit Schauplätzen in Wiesbaden, im Taunus und in Berlin!

Man weiß nicht immer was man will,

aber zu wissen,

was man nicht will, ist ein guter Anfang

Ein Buch über den Start in ein neues Leben mit einer Rückschau auf 12 Monate, die alles positiv veränderten. Und dies trotz Katastrophen und Zweifeln, die bei Bewerbungen, Kontaktanzeigen und der Suche nach dem eigenen ICH passieren können. Obendrein kam es im Taunus, in der Nähe von Susannes Elternhaus, zu einem Mord. Und der Mörder war näher als sie ahnte.

Eine Erzählung mit Herz und Humor, die Mut macht auf das Glück zu vertrauen und an sich selbst zu glauben!

Februar

Samstag, 4. Februar

Es war erstaunlich warm für die Jahreszeit und die Vögel zwitscherten als wäre der Winter längst Vergangenheit. Ich schaltete das Radio ein und sang lauthals den Oldie von Gloria Gaynor „I will survive“ mit. Natürlich würde ich überleben, was auch immer. Jedenfalls meinen Bürojob, denn eines Tages würde ich reich sein, ich würde im Lotto gewinnen und nie wieder dorthin müssen. In alberner Anwandlung wippte ich auf meinem Sitz auf und nieder, bis an der roten Ampel des Gustav-Stresemann-Rings zwei Polizisten, aus dem neben mir stehenden Dienstwagen, streng zu mir hinüberschauten.

Ich grinste sie verlegen an und benahm mich den Rest der Fahrt ordentlich, obwohl das eigentlich Quatsch war, denn Albernheiten im Auto sind nicht strafbar.

Wenig später traf ich in der Anliegerstraße unserer Wohnanlage in Wiesbaden-Erbenheim ein und ließ den Wagen auf den Parkplatz rollen. Die einzige freie Parkbucht lag am hintersten Ende, und ich hatte eine Menge eingekauft. Das bedeutete eine Heidenschlepperei, aber zweimal wollte ich den Weg nicht laufen. So packte ich mir sämtliche Tüten, klemmte mir das Klopapier unter den Arm und schlich zum Hauseingang wie ein gramgebeugtes Kräuterweiblein, um nicht die Hälfte unterwegs zu verlieren oder meine Fracht absetzen zu müssen. Die Plastikgriffe schnitten in die Hände und meine Arme wurden immer länger. In eine der Tüten hatte ich blöderweisen Konserven und zwei Flaschen Wein geräumt und diese schien davon überfordert. Ich befürchtete, dass sie mir bis zur Haustür reißen würde und verlangsamte meinen Schritt noch mehr. So erreichte ich im Schneckentempo und in attraktiv gebeugter Haltung unser Haus. Wie üblicherweise in Situationen, in denen man nicht erpicht darauf ist, jemandem in die Arme zu laufen, tummelten sich etliche Nachbarn am Briefkasten, als hätten sie nichts Besseres zu tun.

Freundlich nickte ich in die Runde und lauschte ergeben den Mitleidsbekundungen, die von „Ach herrje, schwere Gewichte tragen schadet der Wirbelsäule“ bis „Ich stelle mein Auto immer zum Entladen hier vor der Tür ins Halteverbot“ reichten. Erfreulicherweise stand der Aufzug in Warteposition, so dass mir alle Antworten erspart blieben, und ich in den vierten Stock entwischen konnte.

Mir fiel mein fehlender Mann ein, der mir doch so vieles abnehmen könnte. Irgendwo auf diesem Planeten musste doch so ein Prachtexemplar für mich unterwegs sein:

Groß, schlank, gutaussehend, humorvoll, gebildet und stets bemüht mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen und zu erfüllen. Mein Traummann sollte mit mir lachen und heulen und mich trösten, wenn ich am Boden läge, und die Welt gerade wieder mal unterginge. Es sollte ihm nichts ausmachen, wenn ich vor Wut drei Porzellanteller vor seine Füße knallte. Bei Bauchschmerzen brächte er mir eine Wärmflasche, und wenn ich alleine sein wollte, würde er keine Diskussion vom Zaun brechen, warum und weshalb. Meine beste Freundin würde er mögen ohne auf dumme Gedanken zu kommen. Handwerkliche Begabung, um kleine Reparaturen im Haushalt fachgerecht und prompt auszuführen sowie finanzielle Sicherheit setzte ich gleichfalls voraus. Er sollte gerne Knödel und Braten essen und italienisch kochen können. Mein Traummann müsste Calamares lieben und französischen Rotwein und würde bei Kerzenschein nicht darüber grübeln, wie leicht der Teppich Feuer fängt. Er spräche mir Mut zu, wenn meine Dellen an den Oberschenkeln mal wieder eine Nervenkrise hervorriefen. Sein Hemd würde er nicht bis zum obersten Kragenknopf zuknöpfen, aber auch nicht bis zum Bauchnabel geöffnet lassen. Seine verdreckten Wanderschuhe zöge er vor der Tür aus und seine Klamotten wären nicht liederlich vor der Dusche drapiert. Vor dem Essen würde er sich die Hände waschen und bestenfalls schrubbte er ab und zu Bad und Klo. Er wüsste, dass ein Teppichsauger kein Fahrzeug für Frauen ist, und eine Waschmaschine nicht durch die Berührung einer Männerhand explodiert. Nach Feierabend würde er bei mir sitzen und nicht auf Nimmerwiedersehen in den Weiten des Internets verschwinden. Er dürfte Mann und Mensch sein – auch wenn sich das nach diesen Wünschen nicht so anhörte.

Grinsend in diesen Tagträumen versunken, öffnete ich meine Wohnungstür und setzte meine Last ab. Das Einräumen war rasch erledigt, und ich freute mich auf den späteren Kaffeeplausch und den Film-Abend mit meiner Freundin Gitte. Ab in die Dusche, Haare waschen, in die beige Jogginghose und das Lieblingsgammelshirt springen und danach nur noch ausruhen und entspannen!

Für unser Treffen hatte ich Kuchen, leckere italienische Antipasti und Rotwein gekauft. Ich freute mich auf das gemütliche Beisammensein. Meistens schauten wir uns nacheinander eine Komödie und einen Krimi an oder umgekehrt. Gitte würde auf mich einreden, mir endlich einen Fire-Stick zuzulegen oder zumindest bei Maxdome oder Sky ein Konto einzurichten. Etwas, was ich bisher nicht vermisst hatte, zumal sie bestens damit ausgerüstet war.

Ich war eben mit dem halben Bein aus der Jeans geschlüpft, als es an der Tür klingelte. Wahrscheinlich hatte Anna sich wieder etwas im Internet bestellt, und der Paketbote verlangte eine Unterschrift. Bevor ich nach Zurückspringen in die Hose in die Nähe der Sprechanlage gelangte, klopfte es heftig gegen den Eingang.

Das fand ich unverschämt und auch mir als ruhigem Menschen platzte bei so etwas der Kragen: „Fliegen kann ich nicht!“ Wütend riss ich am Türknopf und statt dem Postboten stand Gitte vor mir. Aufgedonnert wie zum Kostümball und mindestens eine dreiviertel Stunde früher als angekündigt.

„Was machst du denn für ein Gesicht, geht es dir nicht gut?“ Sie stolzierte an mir vorbei, und ich fühlte mich an meine Kinderzeit und all die Märchen erinnert, in denen die schöne Königin das arme Stieftöchterchen mit ihrem strahlenden Antlitz in den Schatten stellt.

„Ach Suse, ich hoffe du bist nicht böse, dass ich jetzt schon da bin. Ich habe gleich nachher ein Date.“ Sie tat betreten. „Das ist nicht schlimm, oder? Ich bin ein bisschen in Eile, aber für unseren Plausch reicht es allemal.“

„Ich hätte gerne noch geduscht. Ich bin eben vom Einkaufen gekommen und leicht geschwitzt – es ist so unnormal warm.“ Entschuldigend wies ich auf meine ausgebeulte Hose, die knittrige Bluse und meine zu Berge stehende Frisur.

„Das ist mir gar nicht aufgefallen. Du siehst doch aus wie immer!““ Sie eilte an mir vorbei in die Küche. „Ich decke rasch den Tisch und du lässt den Kaffee durchlaufen.“

Enttäuscht folgte ich ihr - schmuddelig wie ich war. Meine unter Termindruck stehende Freundin brachte meinen Plan von einem gemütlichen Film-Abend mit einem Handstreich zum Kippen.

„Mit wem bist du denn verabredet?“ Ich holte die Filtertüte aus dem Schrank. Auf eine Antwort wartend kramte ich vor mich hin.

„Ach, den kennst du nicht - ein ganz kultivierter Mann in unserem Alter. Ein Notar, stell dir vor. Wir haben uns bei einer Beurkundung kennenglernt. Du weißt schon, das Millionenprojekt, an dessen Verkauf ich drei Monate lang gearbeitet habe.“

„Und der hat dich eingeladen?“ Gitte und ihre Männergeschichten. Eigentlich brannte ich nicht darauf mehr zu erfahren. Wenn alles gut lief, erfuhr ich nur sporadisch etwas von dem Angebeteten, doch sobald es aus war, wurde mir jedes Detail, ob ich es hören wollte oder nicht, genauestens berichtet.

Gittes Durchschnittsbeziehungen dauerten zwei bis drei Monate, und je älter sie wurde, desto größer wurden die Abstände zwischen den Episoden. Wem von uns beiden das weniger gefiel, wusste ich nicht. Jedenfalls gestalteten sich die männerlosen Zeiten recht nervenaufreibend für mich. In sämtlichen Gesprächen avancierte der Verflossene über Wochen zum einzigen Thema, und es gab nichts, aber auch gar nichts, was an demjenigen positiv gewesen war.

Gitte positionierte das Kaffeegeschirr auf einem Tablett. „Diesmal wird alles anders. Ich habe ihn eingeladen wegen unserer weiteren Zusammenarbeit. Natürlich hat er Verständnis dafür, dass wir uns wegen meiner vielen Termine außerhalb der Bürozeiten beim Essen besprechen. - Er ist mit einer seiner ehemaligen Studienkolleginnen verheiratet, also wird das nichts Ernstes. Der ganze Liebesquatsch wird sowieso überbewertet. Das passiert mir nicht mehr.“ Sie zwinkerte verschwörerisch.

„Aha.“ Mit Gittes Vorstellungen von Liebe konnte ich mich noch nie anfreunden. „Ich finde deine Vorliebe für verheiratete Männer nicht in Ordnung. Du weißt, wie das endet.“

„Dieses Mal nicht. Ich sage doch, es ist nur zum Vergnügen. Außerdem sind die meisten froh, wenn sie ein wenig Abwechslung zum langweiligen Ehealltag haben.“

Ich stellte die Kanne und den Kuchen auf den Tisch, und wir setzten uns nebeneinander auf die Wohnzimmercouch. „Du wärst wahrscheinlich auch nicht begeistert, wenn dein Mann sich anderweitig vergnügt. „In unserem Alter liebt man doch nicht drauf los, wie mit achtzehn. Man hat mittlerweile gewisse Ansprüche und ein gewisses Verantwortungsgefühl.“ Großspurig gab ich meine spärlich vorhandene Lebenserfahrung in Sachen Traumprinz zum Besten.

„Mag sein, aber wir haben keine Zeit um zu zaudern. Meinst du nach einer verschrumpelten Tomate guckt noch einer. Wir leben jetzt und heute und das heißt genießen!“

Ich fand zwar, dass die verschrumpelte Tomate des Notars auch weiterhin ein Anrecht auf ihren Mann hat, aber Gitte würde ich in ihrer Selbstherrlichkeit an diesem Nachmittag nicht von Wolke sieben holen können.

Sie pikste mäkelig in die Erdbeertorte: „So eine Kalorienbombe! Ich bin auf Diät. Das Aussehen muss schließlich stimmen! Und natürlich darf man keine utopischen Erwartungen hegen, sonst wartet man bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Da ist es doch sinnvoller, sich zu vergnügen.“ Sie schob den Boden des Kuchens angewidert an den Tellerrand: „Ich betrachte das locker – so machen es die meisten Typen doch auch. Obendrein sind wir Frauen bei dem Spiel materiell eindeutig im Vorteil. Ein bisschen flirten und sich einladen lassen, schont das Budget und macht Spaß. Ab und an für das allgemeine Wohlbefinden ein wenig mehr und das Ganze ganz unverbindlich. Besser kann es nicht sein.“

„Und das sagst du! Das glaube ich ja wohl nicht. Du hängst doch immer Wochen und Monate in den Seilen, wenn es wieder mal schief gegangen ist.“ Ich schüttelte heftig den Kopf.

„Man ändert seine Prioritäten, weil die Wirklichkeit es verlangt. Wir werden immer älter und irgendwann wird dir klar, dass der Prinz, von dem du träumst, sich eine sucht, die mindestens zehn, fünfzehn Jahre jünger ist. Was uns hinterher pfeift ist, sind Tattergreise.“

„Unsinn, Männer Anfang fünfzig können auch attraktiv sein.“

„Anfang fünfzig.“ Gitte lachte gehässig auf. „Das sind Ausnahmeerscheinungen – wie mein Notar zum Beispiel. Ernsthafte Interessenten gibt es für uns ansonsten ab sechzig aufwärts, glaube mir. Wenn du aber umdenkst so wie es tue – locker, leicht, gemischt und unverbindlich – dann steht dir eine Palette in diversen Altersklassen zur Verfügung.“ Sie legte eine Pause ein und musterte mich kritisch. „Seit wann bist du auf Männerfang. Du hast auf mich immer den Eindruck eines Wesens gemacht, das mit sich und der Welt im Einklang ist.“

„Zweiklang wäre halt auch ab und zu nett. Außerdem gibt es alte Menschen, also ich meine solche, die viel älter sind als wir, die noch die große Liebe finden. Manchmal braucht es halt Geduld, um das Pendant, das hundertprozentig passt, zu treffen.“

„Wie süß, du glaubst noch an die große Liebe.“ Gitte musterte mich wie ein übersensibles Kind, dem man ungern widerspricht, weil es sonst in Tränen ausbricht. „Aber das tun die meisten Singles“, tröstete sie mich. „Alle anderen sind verheiratet und teilen sich in folgende Gruppen: Die einen haben im Alltagstrott die Liebe irgendwo liegengelassen oder über Bord geschmissen und suchen irgendwann das Weite. Die zweite Gruppe sitzt es aus. Wie auf einer ungeliebten Arbeitsstelle bis zur Pensionierung. Das sind die, die Goldene Hochzeit feiern gemeinsam mit den geschätzten zwei Prozent der Bevölkerung, die den großen Glückstreffer erwischen und das bisschen Liebe über die Jahre hinwegretten. Wer in welche Kategorie gehört, wirst du aber nicht so leicht erfahren.“

Dass sie von der Thematik in etwa genau so viel Ahnung hatte wie ein Insektenforscher vom Leben der Mammuts, hinderte sie nicht daran, mir Vorträge zu halten wie ein Schulmeister. Weder war sie je verheiratet, noch hatte sie in einer langen Beziehung gelebt.

„Sehr schön beschrieben. Ich habe meine Ehe nicht ausgesessen, aber der Mega-Glücksgriff war die Trennung nicht. Ob Single oder verheiratet, Probleme gibt es überall. Das Leben ist ein Kompromiss.“

„Entschuldige!“ Mein Gegenüber grinste zerknirscht und schnellte hoch: „Ich habe gedacht, dass du nach über zehn Jahren darüber hinweg bist. Ich muss jetzt gehen. Ich kontrolliere noch rasch mein Make-up in deinem Bad und schon bin ich weg. Ich muss ja schon um halb sechs in Frankfurt sein!!“ Sie zerrte an ihrem, für meinen Geschmack zu kurz geratenen, Rock und strich sich durch ihren blondierten Kurzhaarschopf.

Freudestrahlend entschwand sie und ich hätte ihr am liebsten geraten, von der zu dick aufgetragenen Schminke mindestens die Hälfte abzuwischen. Als höflicher Mensch verkniff ich mir dies natürlich. Erst recht als sie kurz darauf bei unserer Verabschiedung von ihrer neuen Creme schwärmte: „Die retuschiert fast 10 Jahre. Einfach sensationell – du solltest sie unbedingt probieren. Der Tiegel für 200 Euro ist zwar kein Schnäppchen, aber sein Geld wert. Du würdest über das Ergebnis staunen, wenn du sie benutzt.“

Na super. Die teuer im Café erstandenen Tortenstücke waren ohne Würdigung zerbröselt worden, auf meiner neuen hellgelben Tischdecke prangte ein Kaffeefleck. Ich benötigte anscheinend für mein knittriges Gesicht schleunigst eine Creme, und die Konkurrenz zu einem Herrn Notar hatte ich verloren, weil die Verabredung mit ihm wichtiger war als ich.

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Donnerstag, 9. Februar

Die Waschmaschine röhrt! Ich habe sie eingeschaltet, aber sie macht merkwürdige Geräusche. So als würde etwas Metallisches schaben.“ Meine Tochter Anna stand mit ernster Miene im Türrahmen. „Ausgerechnet jetzt, wo ich die Urlaubsklamotten brauche.“

„Lass, sie röhren. Hauptsache sie läuft noch.“ Ich räkelte mich auf dem Küchenstuhl und sondierte, welche Sorten Marmelade mir meine Mutter beim letzten Besuch eingepackt hatte: Hagebutten- und Quittengelee. Ich schmierte auf meine Butterstulle eine gehörige Portion Schmand als Unterlage und entschied mich für die Quitten. „Lecker.“ Interessiert studierte ich im Wiesbadener Kurier, was gestern in der Stadt passiert war und freute mich über mein gemütliches Frühstück an meinem freien Tag.

Anna ließ sich mir gegenüber nieder. „Die hört sich ganz komisch an. Und was ist, wenn sie auf einmal stehen bleibt?“ Das 23-jährige Kind, schaute mich an, als könne ich zaubern.

„Dann schlage ich in den gelben Seiten nach und rufe einen Handwerker an. Du wirst sehen, der hat nur auf unseren Auftrag gewartet. Bete halt inständig, dass sie wenigstens noch die eine Ladung wäscht. Ich kann sie jedenfalls nicht reparieren.“ Ich goss mir Kaffee nach. „Ist es nötig, dass du den Koffer auf den letzten Drücker packst? Die Sachen werden doch nicht mehr trocken. Bist du dir eigentlich sicher, dass Steves Mutter euch rechtzeitig zum Flieger bringt? Die ist doch ständig unterwegs.“

Ich war nicht unbedingt ein Fan von Annas Schwiegermama in spe. Seit drei Jahren war Anna mit dem gleichaltrigen Sohn einer wohlhabenden Bankerfamilie zusammen, und wie man sich denken kann, lagen wir allein schon aus Sicht der Vermögensverhältnisse nicht auf einer Wellenlänge.

„Jetzt ist zehn Uhr vormittags, und wenn ich den Koffer um zwei Uhr in der Nacht kurz vor der Abfahrt zuklappe, reicht das Dicke. Notfalls wird das eine oder andere Teil trocken gebügelt.“ Sie langte nach einem Brötchen und zog die Tageszeitung, die ich eigentlich lesen wollte, zu sich herüber. „Du solltest ruhig auch mal was unternehmen. Steves Mutter ist da echt flexibel. Schau dich an, du bummelst heute Überstunden ab und hängst nur daheim rum.“

„Stimmt, ich bin um diese Zeit noch in Schlafanzug und Morgenmantel.“ Ich nickte zustimmend. „Mit dem nötigen Kleingeld ist es um einiges einfacher, unternehmenslustig zu sein. Kurztrip nach Mallorca oder zum Shoppen nach Mailand. Smalltalk im Tennisclub und Teezeremonie in Tokio. Und das sind nur ein paar der Highlights, an die ich mich erinnere.“ Ich stellte grob meinen Trinkbecher auf die Tischplatte. „Ideen hätte ich genug, aber ...“ Ich rieb viel sagend rechten Daumen und Zeigefinger aneinander: „Was sagt eigentlich Steves Vater zu den diversen Interessen seiner Herzallerliebsten?“

Ich gebe es zu, wahrscheinlich konnte ich sie nicht ausstehen, weil im Gegensatz zu mir, ihr Alltag ohne Geldsorgen stattfand, und sie eine Überheblichkeit ausstrahlte, mit der ich nicht umgehen konnte. In manchen Momenten steigerte ich mich in meine Antipathie regelrecht hinein und musste aufpassen, nicht zu einer gehässigen Hexe zu entarten. „Wie viele Dienstboten hat ihre Hoheit eigentlich um sich versammelt? Einen Koch, eine Haushaltshilfe, eine Putzfrau, einen Masseur, eine Kosmetikerin und womöglich einen Animateur.“ An jenem Vormittag war es wieder mal soweit.

„Ach Mama!“ Anna strich die Zeitung glatt. „Du weißt genau, was ich meine, du Eigenbrötlerin. Du hockst viel zu viel alleine in den vier Wänden. Steves Vater hat seine eigenen Hobbys. Außerdem ist er oft beruflich unterwegs.“

Ein Fall von Aussitzen also – oder doch eine der langjährigen Liebesehen?

Mittlerweile war ich nach einem Abstecher im Bad in Schlabberhosen und T-Shirt geschlüpft: „Ich gehe besser mal gucken, was die Waschmaschine macht. Sonst müssen wir die Sachen noch zum Waschsalon fahren.“ Aktionismus schützt vor Trübsal blasen. Im schlimmsten Fall würde ich aus Frust den Keller aufräumen. Ich fuhr hinunter in unseren Hauswirtschaftsraum und stellte fest, dass die Waschmaschine tatsächlich in den letzten Zuckungen lag. Gnädigerweise leistete sie noch bis zum Ende des Schleudergangs ihre treuen Dienste. Alle späteren Versuche egal in welchem Programm wurden allerdings mit eisernem Schweigen bestraft. Ende – aus, Lebensdauer geschätzte drei Jahre. Auf den Mond fliegen, aber nicht in der Lage langlebige Technologie für den Hausgebrauch zu konstruieren.

„Hat alles Methode!“ Mein Nachbar, Herr Berghausen, ein pensionierter Kantinenchef, leistete mir mitfühlend bei der Beschimpfung der Maschine Gesellschaft. „Natürlich könnte die Industrie es besser machen, will aber nicht. Wie soll denn die Wirtschaft angekurbelt werden, wenn die Leute sich nichts Neues kaufen. Die Dinger sind so konstruiert, dass sie genau bis zum Ende der Garantie funktionieren. Dann kommen die Macken – wie beim Auto. Der Kundendienst will schließlich auch leben. Ich kenne mich aus, mein Schwager hat jahrelang bei Opel in Rüsselsheim gearbeitet.“

Herr Berghausen war in zahlreichen Ressorts bewandert. Er verfügte über ein weit gestreutes Verwandtennetz. Seine Meinung anzuzweifeln, war völlig sinnlos. Ich packte meinen Korb unter den Arm und verabschiedete mich.

„Mindestens sechs Jahre ist die alt.“ Anna breitete die Wäsche weiträumig auf dem Wäschegestell aus, das sie auf dem Balkon aufgeklappt hatte. „Bei dem Wind ist die superschnell trocken.“

„Du redest in Gedankensprüngen.“ Ich trat ebenfalls auf den Balkon hinaus.

„Ich rede rationell. Du weißt doch, was gemeint ist. Die Wäsche ist mindestens sechs Jahre alt, und die Waschmaschine trocknet heute schnell.“ Sie verschluckte sich an ihrem Lachen. „Entweder du bestellst den Kundendienst, oder du fährst sie gleich zur Deponie.“

„Ach was! Auf diese beiden Alternativen wäre ich trotz meines biblischen Alters alleine gekommen.“ Ich machte ein betrübtes Gesicht und sah einige meiner mühsam ersparten Euroscheine im Universum verschwinden.

„Ich tendiere zur zweiten Variante.“ Meine Tochter beendete ihre Hausarbeit und verließ den Balkon. „Es gibt übrigens statt der langweiligen weißen Dinger seit Langem Modelle in bunt oder in Silber. Das sieht besonders edel aus. Die Teile in schwarz mit Riesenbullauge und circa acht Kilogramm Fassungsvermögen wirken hingegen als wären sie für Mafia-Clans gedacht. Da kannst du den nieder gemeuchelten Nachbarn ganz easy hinein quetschen und in Salzsäure bis zur Unkenntlichkeit bei 90 Grad kochen. “

Ich schüttelte mich übertrieben: „Anna, mir graut vor dir! Was guckst du in letzter Zeit für Filme? Ich brauche weder eine Mafia-Maschine noch eine im Metallic-Look. Ich bestelle erst mal den Techniker.“

„So ein Unsinn Mama. Du sparst am falschen Ende, überleg doch mal! Statt Reparaturdienst, der mindestens 100 Euro Wegegeld kostet, kaufst du dir zwei Billigheimer für je 299 Euro abzüglich Mengenrabatt. Damit hast du eine schöne, ökologisch sparsame für dich, eine zweite für mich – und immer noch 100 Euro gespart.“ Annas strahlendes Lachen verschwand. „Ich ziehe mit Steve im Juni nach Berlin. Er hat die Zusage für einen tollen Job in der Zentrale der Deutschen Bank im Abschluss an sein Studium erhalten, und für mich ist dort zeitgleich eine passende Stelle zu besetzen. Mama, Berlin ist das nicht grell?“ Sie fixierte mich kritisch. „Und meine Waschmaschine kann ich dann direkt mitnehmen.“

Ihre Mimik erinnerte mich an Gittes am Tag vorher, als sie mich musterte wie ein übersensibles Kind, dem man schlechte Neuigkeiten schonend beibringen muss. Lächerlich! Anna wohnte seit über einem Jahr mit Steve zusammen. Was machte es für einen Unterschied, ob das sechs Straßen entfernt war oder 600 Kilometer? Manchmal sah ich sie zwei Wochen nicht. Außerdem war ein Umzug keine Auswanderung und damit kein Anlass zu lamentieren. Trotzdem krampfte sich mein Magen zusammen. „Wow! Wenn du in der Bank die gleichen Rechenspiele exerzierst, wird es deinen Chefs bestimmt nicht langweilig.“ Ich lachte wenig überzeugend und viel zu laut.

„Mama, Berlin! Das ist das Tor zur Welt. Das ist eine Riesenchance für mich und für Steve auch.“

„Natürlich.“ Ich schluckte kurz. „Ist halt ein wenig überraschend.“ Ich nahm sie in den Arm. „Ich freue mich für dich.“ Jetzt nur nicht losheulen und dem Kind den Urlaub verderben. „Ich will noch mal nach der Maschine schauen – vielleicht funktioniert sie inzwischen wieder.“ Mein Weg in die Waschküche glich einer Flucht.

Eben noch mein Baby, gerade eingeschult, dann konfirmiert, der erste Liebeskummer, der Führerschein, die Ausbildung – das war im Zeitraffer geschehen. Wie konnten das 23 Jahre sein? Anstelle einer Drei-Zimmer-Wohnung würde für mich ein Ein-Zimmer-Appartement ausreichen und mir jede Menge Nebenkosten sparen. Die paar Neuanschaffungen könnte ich dadurch leicht finanzieren, zum Beispiel eine Senseo und einen Geschirrspüler in der Schmalhansvariante mit 45 Zentimetern Breite. Wozu eine neue Waschmaschine? Das bisschen Wäsche von mir alleine würde ich mit der Hand waschen und den Lebensmitteleinkauf ohne meine zwei regelmäßigen Mitesser Anna und Steve, auf einmal monatlich herab schrauben. Wäre es nicht sinnvoll einen Teil des Geschirrservices für zwölf Personen und fünf der dreizehn Kochtöpfe auf dem Flohmarkt zu verkaufen? Zu Muttertag und zu meinem Geburtstag würde Anna mich anrufen und an Weihnachten einen Anstandsbesuch machen und wahrscheinlich ebenso unruhig auf der Couch hin und her rutschen wie ich bei meinen Eltern an solch ehrwürdigen Feiertagen, an denen die Langweile aus allen Ecken kriecht, und man krampfhaft versucht Neuigkeiten nett auszutauschen. Obwohl meine Tochter nicht erst seit gestern erwachsen war, fühlte ich mich schlagartig uralt und verstand, warum Leute ins Seniorenheim ziehen. Dicke Tränen tropften auf meine stumme Waschmaschine, und ich schluchzte voller Selbstmitleid kräftig auf.

„Es ist nur eine Maschine!“ Herr Berghausen trug schwer an seinem Wäschekorb, und mein Gejammer war schuld daran, dass ich sein lautes Schnaufen, das er bei Schritt und Tritt gewohnheitsmäßig ausstieß, überhört hatte. Nun stand er samt Tragekorb mit der gräulich schimmernden Kochwäsche wie ein Geist vor mir.

„Sie dürfen sich das nicht so zu Herzen nehmen. Es gibt doch Abzahlung!“ Aufmunternd nickte er mir zu. „Noch schlimmer ist es, wenn der Fernseher kaputt geht. Glauben Sie mir!“

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Samstag, 11. Februar

Das blasse Morgenlicht, das durch die Jalousien meines Schlafzimmerfensters fiel, malte spitz zulaufende Streifen auf meinen Teppichboden. Draußen zwitscherten die Vögel und ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es an einem Werktag höchste Zeit zum Aufstehen wäre. Ich räkelte mich voller Wohlbehagen. Halb sechs Uhr morgens – ich hatte vergessen den Wecker auszuschalten. Umso besser, so konnte ich es noch mehr genießen, dass heute Samstag war. Ich zog mir vergnügt die Decke über den Kopf. Das Wochenende lag in seiner vollen Länge vor mir, und ich deshalb noch im Bett, und das würde ich auch noch mindestens zwei bis drei Stunden auskosten.

Sanft entschwebte ich in die Welt der Träume und sah im Halbschlaf eine Meeresbucht mit türkisfarbenem Wasser und ankernden Segeljachten vor mir. In der Ferne zeichnete sich ein goldgelber Strand mit bunten Sonnenschirmen ab, und auf einer der Yachten winkte eine Schönheit einem Passagier auf einem der anderen Boote zu. Auch ich war auf einem dieser Schiffe und beobachtete Steves reizende Mutter, die über ihren schwarzen Badeanzug ein Tuch in grellem orange gebunden hatte und einen überdimensionalen Strohhut trug. Sie schlürfte eine goldbraune Flüssigkeit, vermutlich Brandy oder Cognac und lehnte leger an der Boots-Reling. Ich saß ihr ziemlich unscheinbar, auf einer, mit weißem Leder bezogenen Bank, gegenüber. Mit aufmunternder Geste bot sie mir scheinheilig lächelnd ein gefülltes Glas an, und gerade als ich mich erhob, es entgegenzunehmen, strauchelte sie, und der flüssige Inhalt ergoss sich über meine beigefarbene Shorts. Entsetzt schrie ich auf, spürte einen vermeintlichen Stoß und fiel ins Nichts.

Wie gerädert schreckte ich empor. Es war halb neun, und ich fühlte mich, als hätte ich die Nacht durchgezecht. Mein um halb sechs vorhandener Elan war verflogen. Wieder und wieder geisterte mir Steves Mutter durch meinen Kopf. Kein Wunder also, dass es mir nur mühsam gelang, meinen Verstand und meine Lebensgeister auf Betriebstemperatur zu bringen und mich aus dem Bett zu quälen.

Erschrocken betrachtete ich mein missmutiges Gesicht im Badezimmerspiegel. Meine Haare waren vom unruhigen Schlaf zerdrückt und schmückten kreuz und quer meinen Kopf, als wäre er mit Wirbeln übersät. Ich streifte mir meinen Morgenmantel über, schlüpfte in meine Filzpantoffel und kramte in meinem Spiegelschrank nach der kürzlich im Drogeriemarkt erstandenen Gesichtsmaske. Die hatte bei Stiftung Warentest mit „Sehr gut“ abgeschnitten, konnte prima während der Frühstückszeit einwirken und meine Falten bis zum letzten Schluck Kaffee um circa zehn Prozent glattbügeln. Wahrscheinlich würde sie genauso effektiv wirken wie Gittes angepriesenes Luxusprodukt, und wenn ich die Gardinen nur halb aufzog, ergäbe das ein annehmbares Resultat.

Derart konserviert fläzte ich mich wenig später auf die Couch an meinem niedrigen Wohnzimmertisch, wo ich meine Aufbackbrötchen mit Marmelade genoss. In diesem Moment war ich ausgesprochen froh Single zu sein, denn meinen attraktiven Anblick mit der gipsähnlichen Maske, das Gesicht eingerahmt von der abstehenden Haarpracht, halb auf der Couch liegend, mit dem Frühstücksbrötchen in der Hand und zu meinen Füßen deponiert ein großer Becher Kaffee, hätte ich auch dem abgebrühtesten Ehemann nicht zumuten können. Zwischen den Bissen blätterte ich in einer Illustrierten und zappte durch das Fernsehprogramm. Die ausgewählte Talkshow war eine Wiederholung, und ich landete schließlich bei „Willi will’s wissen“ und erfuhr nebenbei, warum die Milch so wertvoll ist. Ich streckte mich gerade zufrieden, als es an der Tür läutete.

Wie ferngesteuert setzte ich mich ordentlich hin, strich meinen verrutschten Schlafanzug glatt und aus unerklärlichen Gründen durchzuckte mich das Gefühl eines schlechten Gewissens, so als hätte ich etwas Verbotenes angestellt. Draußen herrschte emsiges Treiben, dem ich als Tagträumer entfloh. Alle anderen erfüllten um diese Zeit längst ihre geregelten samstäglichen Aufgaben, nur ich lungerte faul herum. Mein Inneres schien vergessen zu haben, dass mein Relaxen verdienter Lohn für getane Mühsal war. Ich hatte meinen Hausputz bereits gestern erledigt, den Kühlschrank aufgefüllt und die Ruhepause von meiner nervigen Büroarbeit dringend nötig.

Ich beschloss die Tür nicht zu öffnen, keine Macht der Welt konnte mich dazu zwingen. Überhaupt war es eine Unverschämtheit samstagmorgens kurz vor zehn Uhr zu klingeln! Wahrscheinlich drückte unten an der Haustür irgendein von Ehrgeiz zerfressener, schmalbrüstiger Abonnementverkäufer sämtliche Klingelknöpfe oder ein Wanderprediger, oder …

Oh, oh! Es gab eine weitere Möglichkeit, mit der ich zu dieser frühen Stunde nicht gerechnet hatte, weil jener Termin erst für den Nachmittag angekündigt war. Ich eilte zum Fenster und schob den Vorhang zur Seite. Tatsächlich, auf dem Seitenstreifen, unweit unserer Haustür parkte der Kleinbus des Handwerkermeisters Prelow, und es läutete nun bereits zum vierten Mal. Jeden Moment würde der Monteur aufgeben, und die Reparatur damit in weite Ferne rücken, erst recht, weil meine Maschine einzig auf Grund meiner weinerlichen Anfrage mehr oder weniger privat für den Samstag eingeschoben worden war.

Ich hetzte zur Sprechanlage und krächzte heiser hinein: „Hallo, ich brauche nur eine Sekunde, bitte!“ Selbst mein Spiegelbild konnte mich in dieser prekären Situation nicht vom Handeln abhalten. Weil ich meine Gesichtsmaske zu wässrig aufgetragen hatte, war sie noch zu feucht, um sie mit einem Ruck abzuziehen. Außerdem fehlte mir die Geduld meine Kontaktlinsen einzusetzen, was bedeutete, dass ich meine dickglasige Metallrahmenbrille aufsetzte, um mich schleunigst in dieser dekorativen Aufmachung hinunter zu begeben. Das Risiko den alten Prelow, den ich schon von der Instandsetzung meiner Spülmaschine kannte, zu Tode zu erschrecken, musste ich in Kauf nehmen.

Bei seiner langjährigen Berufserfahrung war er sicher allerhand gewöhnt. Ich streifte den Bademantel ab und zog meine graue Strickjacke über. Die Kombination mit dem Schlafanzug war für meinen Auftritt innerhalb des Hauses akzeptabel. Ich schnappte mir den Wohnungsschlüssel und eilte die Treppe hinab. Der Fahrstuhl steckte irgendwo ganz unten. Zu warten, bis er nach oben zuckelte, konnte ich nicht riskieren. Beinahe hätte ich meine Nachbarin, die im zweiten Stockwerk mit einer Flasche Weichspüler aus der Tür trat, über den Haufen gerannt.

„Großer Gott, Suse! Vor wem bist du denn auf der Flucht am frühen Morgen?“ Sie schwenkte den pinkfarbenen Plastikbehälter hin und her und betrachtete mich mit unterdrücktem Lachen.

„Du bist meine Rettung Denise. Am Hauseingang wartet der Waschmaschinen-Kundendienst. Du gehst doch sowie in den Waschraum. Kannst du ihm bitte meine Maschine zeigen. Die macht nur noch röhrende Geräusche. In zehn Minuten sehe ich einigermaßen zivilisiert aus. Dann komme ich direkt nach unten.“

„Kein Problem.“ Sie grinste mich breit an. „Mach dir keinen Stress!“

Mit Schwung drehte ich auf dem Absatz und stürmte zurück nach oben. Leicht außer Puste huschte ich in meine Wohnung, sprang im Schnellverfahren unter die Dusche und verwandelte mich von einem grauweiß getünchten Monster zurück in eine Endvierzigerin mit nassen Haaren. Ich cremte mich rasch ein, griff nach meinen Leggins, Shirt und Weste und konnte nun einigermaßen ordentlich in Augenschein nehmen, was mir die Reparatur an Kosten einbringen würde. Bei dem alten Prelow konnte ich sicher sein, nicht über den Tisch gezogen zu werden. Er war ein Handwerker der alten Schule. Vor Fiskus und Papierbergen graute ihm und am liebsten schloss er einen Auftrag mit Barzahlung und Händedruck ab. Ich packte ihm drei Stücke meines selbstgebackenen Streuselkuchens ein und fuhr ins Untergeschoss, wo sich im Halbdunkel der Flur zum Hauswirtschaftsraum still vor mir erstreckte, was mich etwas stutzig machte. Leise ging es bei dem alten Prelow selten zu. Üblicherweise schimpfte er bei seiner Arbeit immer über irgendetwas, seien es die Steuern, die Regierung, die Welt, die Wirtschaft oder die moderne Technik. Obwohl die geöffnete Verbindungstür wie stets mit einem Keil arretiert war, vernahm ich nichts. Es brannte kein Licht und man hätte das Fallen einer Stecknadel hören können. Hoffentlich war dem Alten nicht vor Anstrengung ein Unglück widerfahren. So schnell konnte er doch unmöglich mit der Instandsetzung fertig geworden sein.

Ich fröstelte, mir war unheimlich zumute. Im schlimmsten Fall hing er leichenblass quer über meiner Maschine. Feige zauderte ich einen Moment, bis ich mich zusammenriss und mich traute, besorgt um die Ecke zu lugen. Der Raum war leer. Ich atmete laut auf, denn es lag nirgends ein Handwerker, und es kauerte auch keiner halb zusammengesunken in einer Ecke. Stattdessen zierte die Abdeckung meiner Maschine eine ausgefüllte Quittung über 49 Euro für die Beseitigung eines Fremdkörpers im Ablauf.

Der alte Prelow musste heute den Turbogang eingelegt haben! Etwas enttäuscht wegen des vergebens mitgeführten Streuselkuchens trat ich den Rückweg an. Anscheinend hatte Denise den Betrag vorgelegt. Weil sie nicht öffnete, warf ich ihr die 50,-- Euro eine halbe Stunde später, auf dem Weg zur Haltestelle in den Briefkasten.

Während der Busfahrt in die Innenstadt döste ich, und dachte darüber nach, dass Annas Umzug und meine neuen Freiräume der ideale Zeitpunkt waren, sich neu zu binden. Am liebsten wäre es mir meinen Mister Wonderful durch Zufall kennenzulernen. Heute zum Beispiel – nach dem Stadtbummel beim Besuch meines Lieblingscafés. Er könnte sich in dem überfüllten Raum zu mir setzen, und es würde sich ein anregendes Gespräch ergeben. Danach würden wir uns für einen Restaurantbesuch verabreden, um unsere Bekanntschaft zu vertiefen. Das war eine realistische Vorstellung - warum sollte das nicht passieren? Nachdem meine Waschmaschine so preiswert in Ordnung gebracht worden war, fühlte ich mich voller Zuversicht.

Leider galoppierte mein Traum der Wirklichkeit davon. Vielleicht hätte ich länger in den Geschäften trödeln sollen, denn nachmittags um halb drei auf ein überfülltes Kaffeehaus zu hoffen, ist vom Grundsatz her zum Scheitern verurteilt. Enttäuscht suchte ich mir einen Platz in einer Ecke, orderte einen Cappuccino und ein Stück Apfelkuchen und stellte stirnrunzelnd fest, dass die Zahl der Gäste eher ab- als zunahm. Geistesabwesend nippte ich an meiner Tasse und blätterte für den Betrachter konzentriert von vorne nach hinten durch die Eiskarte, um mich mit etwas zu beschäftigen. Abgesehen davon, dass es alleine nicht sonderlich kurzweilig ist, spürte ich die skeptischen Blicke des Paares vom Nachbartisch auf mir ruhen. Ich war sicher, dass sogar die Bedienung sich fragte, ob ich versetzt wurde oder so unsympathisch war, dass ich nicht mal eine Freundin hatte, die mich begleitete.

Aber es gab noch eine weitere Person, die mich beobachtete und zwar intensiv. Dies bemerkte ich intuitiv, noch bevor ich die Zutaten der Eisbombe Hawaii zu Ende studiert hatte. Aus den Augenwinkeln entdeckte ich, dass ein junger Mann mich unverhohlen anstarrte. Er war höchstens Anfang dreißig, für meinen Geschmack etwas zu dünn und trug eine braune Hornbrille, die ihn intellektuell wirken ließ. Er saß etliche Meter entfernt an einem der gegenüberliegenden Tische und mein Blutdruck stieg schlagartig.

Ich war es nicht gewöhnt, dass jemand mich mehrere Sekunden offensichtlich interessiert betrachtete. Im Allgemeinen galt die Aufmerksamkeit, die in meine Richtung zielte der Frage nach der Uhrzeit oder einer Akte, die ich im Büro in der Hand hielt. Ich fühlte mich verunsichert und kramte im Erfahrungsschatz meiner Vergangenheit. Wie flirtet man? Keine Ahnung, ich hatte es im Laufe der Jahre vergessen. Woran ich mich erinnerte, war die in meiner Teeniezeit Erfolg versprechende Masche hüftschwingend, leger eine Zigarette in der Hand haltend zu seinem Auserwählten zu tänzeln und mit neckischem Augenaufschlag um Feuer zu bitten. Die Version für Kapitalschwächere war die Frage nach Papierchen zum Drehen. Bei meinen Freundinnen funktionierte beides sehr gut. Bei mir als notorischer Nichtraucherin leider nicht. Mein einziger diesbezüglicher Versuch endete beim Einatmen des Nikotins mit einem peinlichen Hustenfall.

Bevor ich meine Überlegungen abschließen konnte, winkte der junge Mann der Kellnerin und zahlte, wobei er immer wieder einen verstohlenen Blick zu mir herüberwarf. Ich tippte darauf, dass er ohne ein Wort zu wechseln das Café verlassen würde, wenn ich nicht reagierte und so rang ich mir ein zaghaftes Lächeln ab. Im Zweifelsfall konnte man dies auch für eine unkontrollierte Gesichtszuckung halten, was mich davor bewahren würde, mich bei meinem Flirtversuch tödlich zu blamieren. Er erhob sich und steuerte zielstrebig meinen Tisch an. Mir schoss das Blut in die Wangen und mein Herz raste. Locker umschloss er die Lehne des seitlich stehenden Stuhls und schaute mich strahlend an. Die Unsicherheit war aus seinem Gesicht verschwunden.

Mir fuhren tausend Gedanken durch den Kopf. Sollte ich mich wirklich ansprechen lassen, oder abblocken? Das Gerede und die Lästereien über den Altersunterschied wollte ich mir nicht vorstellen.

„Sind Sie nicht Frau Alzenau?“ Er zog die Lehne leicht an sich. „Wie geht es Anna? Wir haben doch nebeneinander gewohnt. Erinnern Sie sich nicht? Ich bin Jens, Jens Schmidti.“

Ich glaube, ich starrte ihn an wie einen Außerirdischen, bis sich mein Verstand allmählich in Bewegung setzte und im Normaltakt funktionierte. Klar, das war der dürre Jens. Jens, die Bohnenstange. Er und seine Eltern, Horst und Irmi waren mal unsere Nachbarn gewesen - damals in Wiesbaden-Auringen. Der dürre Jens, damals stolzer Besitzer seines ersten Autos, eines klapprigen Käfers wurde von meiner zehnjährigen Anna verstohlen angehimmelt. Daran erinnerte ich mich natürlich, erkannt hätte ich ihn nie im Leben. Ein Wunder, wie mache Menschen sich zu ihrem Vorteil verändern, was zugegebenermaßen eher selten geschieht. Es freute mich, dass dies anscheinend auch bei mir der Fall war, denn sonst hätte er mich nicht angesprochen, sondern wäre unbedarft an mir vorbeigelaufen. Nach der zeitrafferartigen Schilderung seiner Familiengeschichte wurde ich eines Besseren belehrt.

„Ich habe Sie gleich an Ihrer Kleidung erkannt.“ Jens deutete auf meine Jacke, die ich über den freien Stuhl gehängt hatte. „Für beige Anoraks haben Sie früher schon geschwärmt, im Sommer aus Popeline und im Winter wetterfest mit Teddyfutter. Meine Mutter hat immer gesagt: Schau nur die Frau Alzenau an. Die räumt am 1. April die Sommerjacke heraus und am 30. September weg. - Das nenne ich Beständigkeit. Ich arbeite in der Damenbekleidung und habe dafür ein Auge. Konservativ und immer tragbar.“ Ein kurzes Nicken und er entfleuchte dem Café.

Das nächste Mal würde ich meinen Kaffee im Maldaner nehmen, dem traditionsreichen, sehr schönen alten Kaffeehaus in Wiesbaden. Dort würden mit Sicherheit mehr Menschen jenseits der vierzig vertreten sein, die gerne beigefarbene Jacken trugen. Vielleicht könnte ich dort meine Fähigkeit zu flirten reaktivieren. Nach diesem Erlebnis kehrte ich, trotz meiner erworbenen Schnäppchen, leicht verdrießlich nach Hause zurück. Dass die Chance jemanden in passender Altersklasse zu treffen an diesem Tag bereits vormittags haarscharf an mir vorbeigedriftet war, konnte ich nicht wissen. Und das war gut so. Ich hätte meine Verabredung auf ein Glas Wein mit Gitte garantiert abgesagt, um mich in mein schwarzes Seelentief zurückzuziehen.

Aber vielleicht wäre das nicht das schlechteste gewesen, denn der Abend verlief nicht so erquickend wie erhofft. Es war gegen acht Uhr, als wir bei Käsewürfeln und einem Martini auf der Couch saßen und die Tageszeitung nach kulturellen Highlights der nächsten Woche durchstöberten. Die Ausbeute war eher gering, aber immerhin veranstaltete das Literaturhaus eine Lesung aus einem Taunuskrimi und im Caligari war für Donnerstagabend ein französischer Filmabend angesetzt.

„Wie war eigentlich dein Stadtbummel?“ Gitte verlor die Lust und schmiss ihren Teil der Zeitung auf den Teppich. „Zeig doch mal deine Errungenschaften?“

„Wir könnten ins Kino gehen“, schlug ich vor.

„Kino ist wie fernsehen, nur lauter!“, nörgelte sie. „Nun hol doch mal die neuen Klamotten.“ Sie nippte an ihrem Glas. „Kino fällt unter Kostenaufwand ohne Ertrag. Oder kannst du mir erklären, wie man im Finsteren auf Beutezug gehen will, wenn zwischen dir und dem nächsten Zuschauer fünf Sessel liegen?“

„Im Café ist es auch nicht besser“, murmelte ich beim Hinausgehen. Im Schlafzimmer hatte ich die neue Bluse und meinen neuen Rock ordentlich auf einen Bügel gehängt. Irgendwie fand ich die beiden Teile vorhin beim Anprobieren schöner, oder hatte ich mich nur durch den günstigen Preis blenden lassen? Gittes Kommentar fiel entsprechend niederschmetternd aus.

„Sehr hübsches beige. Beides Ton in Ton. Schlüpf doch mal rein.“ Sie grinste frech, und ich ahnte schon, was jetzt gleich folgen würde. Dennoch tat ich wie geheißen und zog Bluse und Rock über Shirt und Leggins. Unsicher drehte ich mich. „Als Model mache ich keine besonders gute Figur und bei der Wohnzimmerbeleuchtung sehe ich immer blass aus.“

„Das liegt weniger an den Lampen als an der Kleidung!“ Sie verschluckte sich prustend. „Willst du die Bluse mit deiner Mutter austauschen oder bis zur Rente tragen? Ganz reizend die Bordüre am Kragen, der Rock macht dich doppelt so dick und das Ensemble insgesamt mindestens doppelt so alt. Sag bloß, du hast den Kassenzettel nicht mehr!“

„Ich dachte, für das Büro wäre es passend. Ein wenig formell, schlicht und immer tragbar.“

„Nur weil man zur Arbeit geht, muss man sich doch nicht nach dem Motto vermummen: Wenn ich hässlich bin, guckt keiner mich an. Dann merkt keiner, dass ich da arbeite, und ich werde bei der nächsten Entlassungswelle vergessen. - Gute Idee eigentlich.“

„Du bist doof!“ Sollte ich lachen oder heulen? Nach einem Blick in den Spiegel im Korridor entschied ich mich für die erste Variante, obwohl mir nicht wirklich zum Lachen zumute war, denn zugegebenermaßen wirkte ich in der Kombination wie eine sauertöpfische Matrone. Ich erinnerte mich an Jens Bemerkung über meinen Farbgeschmack. Zum Glück waren die Etiketten noch an den beiden Teilen und der Bon in der Tüte und das war immerhin ein kleiner Grund zur Freude.

„Du machst viel zu wenig aus dir. Bei mir bleibt es ewig bei Größe 42, wobei ich dankbar sein muss nicht in die 44 abzurutschen. Und du trägst 38 und wickelst dich in Säcke! Willst du Männer abschrecken oder jemanden kennenlernen?“

Ich seufzte. „Ich bin nicht auf der Suche! Ich denke nur manchmal darüber nach, dass es zu Zweit schöner wäre.“

„Na also! Außerdem fühlt man sich besser, wenn man sich gefällt, oder? Wie sieht dein Konto aus? Müssen wir bis zum nächsten Ersten warten, oder wollen wir Freitag für dich shoppen gehen? Ich hätte da eine Menge Ideen für ein neues Styling für dich.“ Gitte war Feuer und Flamme.

Ich weniger, weil ihr Geschmack mit meinem so viel gemeinsam hat wie Zucker mit Salz, oder Feuer mit Wasser oder schwarz mit weiß. Leider fiel mir keine passende Ausrede ein, die Einkaufstour zu umgehen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und unangenehme Dinge hatte ich lieber erledigt, als sie vor mir her zu schieben.

„Freitag direkt nach Feierabend ist fein.“ Ich lächelte kritisch.

Wie sollte das gutgehen? Ein Schwan und ein Entlein. Die eine schrill und auffällig, die andere bodenständig und naturverbunden. Meine Lieblingsfarbe war tatsächlich schon seit Ewigkeiten beige. Dunkelblau oder grau waren auch okay. Ich war weder schick noch trendy, sondern eher praktisch, bequem und zweckmäßig gekleidet. Ich mochte keinen Firlefanz, sondern liebte alles, was nicht zwickte und kniff, und in dem ich nicht hing wie eine eingenähte Wurst. Hüft- oder Röhrenjeans und Tops, die aussehen als wären sie vom Kinderbasar Größe 140 fand ich ätzend. Außerdem mochte ich keine bunten Muster und keine schrillen Farben, was Anna irgendwann zu dem Kommentar verleitet hatte, dass ich durch die Mode der späten siebziger und achtziger Jahre traumatisiert wäre. So ein Quatsch!

Bei objektiver Betrachtung musste ich mir allerdings eingestehen, dass ich durch die Gänge unseres Büros huschte wie eine zwar frisch gewaschene aber reichlich farblose Maus, was mich bisher nicht störte. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, daran etwas zu ändern. Aber an der Umsetzung hegte ich noch Zweifel.

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Dienstag, 21. Februar

Wütend bearbeitete ich die Tastatur meines Computers. Schon wieder extra Arbeit ohne Aussicht dafür eine geldliche Anerkennung zu ergattern. Außertarifliche Zulagen waren längst ersatzlos gestrichen. Dank Schlagworten Finanzkrise und wirtschaftlich prekärer Lage drifteten wir angeblich von einer Krise zur nächsten und guckten, obwohl die Bilanzen super aussahen, mit leeren Händen in den Mond. Ende vergangenen Jahres hatte sich die Weihnachtsgratifikation verabschiedet und auf den Wegfall des Urlaubsgeldes für alle Ewigkeiten wurden wir bereits eingestimmt.

Im Sinne dieser düsteren Aussichten, erinnere ich mich leichtem Unbehagen an meine ausgiebige Einkaufstour mit Gitte am vergangenen Freitag: eine Investition - überflüssig wie ein Kropf! Unter ihren gut gemeinten Ratschlägen hatte ich mir ein Sammelsurium von Klamotten zugelegt, das in keinster Weise zu mir passte, und ich konnte mich bisher nicht dazu durchringen, die neu erworbenen Teile in mein Repertoire zu integrieren.

„Morgen, Frau Alzenhauer! Alles in Ordnung? Besteht Klärungsbedarf?“ Ein neuer Mitarbeiter, Mitte dreißig, mit Führungsambitionen, schmächtige Ein-Meter-Siebzig-Gardemaß und verkniffenem Gesichtsausdruck war uns in die Abteilung gesetzt worden: „Über die Akquise-Aktivitäten der Kollegen vom Verkauf benötige ich einen Überblick, jeweils monatsweise im Jahresvergleich drei Jahre zurück. Schaffen Sie das bis heute Nachmittag?“

„Frau Alzenau. Immerhin fast richtig“, korrigierte ich ihn. Auf die Extra-Arbeit hatte ich fieberhaft gewartet. Entnervt ließ ich meinen Blick über die Papierstapel auf meinem Schreibtisch schweifen.

„Wenn es Sie überfordert, schau ich mal, ob das eine Kollegin erledigen kann.“

„Nicht nötig, Herr Clausig. Eine meiner leichtesten Übungen. Knopfdruck genügt. Die Auswertungen liegen pünktlich in Ihrem Büro.“ Ich lächelte bemüht freundlich. Drei Jahre zurück, wie sinnig. Dreiviertel der damaligen Mannschaft war nicht mehr präsent und, falls überhaupt durch neues, wenig qualifiziertes Personal kostengünstig ersetzt worden. Soviel zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Nur gut, dass die Zahl der leitenden Positionen konstant blieb und neue hinzukamen – siehe Volker Clausig. Seines Zeichens Controller, was wörtlich übersetzt Kontrolleur heißt. Einer, der querrechnet, prüft, Fehler aufdeckt und sich über jeden freut, den er beim Chef in die Pfanne hauen kann. Controller gab es in unserem Betrieb seit acht Jahren. Es hieß sie seien unentbehrlich und effektiv. Dass sie meist nach ein bis zwei Jahren von der Bildfläche verschwanden und durch einen neuen Controller ersetzt wurden, der den Karren dann erneut von hinten aufrollte, störte niemanden.

„Na denn!“ Federnden Schrittes entschwebte er mit selbstbewusstem Gang meinen Augen.

Wie gesagt, ich hoffte darauf, dass mein persönliches Wunder irgendwann geschähe, auch wenn ich mich immer öfter fragte, wann es wohl gedachte einzutreffen. Teil dieses Wunders war ein unerwarteter Geldsegen, um mich nie mehr mit Leuten wie Clausig herumärgern zu müssen. Pech, dass in unserer Familie weder Erbtanten noch -onkel existierten und mein Ein-Kästchen-Lottotipp Fortuna nur ironisch lächeln ließ.

Leider entpuppte sich die Sache mit dem Knopfdruck als Übertreibung. Irgendetwas war mir bei der Handhabung der Tools meines Programms entfallen, so dass ich mich zwei Stunden damit abmühte eine Tabelle in ein farbenfrohes Diagramm umzuwandeln. Die Idee des Herrn Controllers nach Begutachtung des Resultats das Ganze in eine Präsentation einzupflegen, raubte mir die Zeit für den Nachmittagskaffee und den letzten Nerv. Erschöpft und mit Kopfschmerzen trat ich schließlich gegen 18 Uhr den Heimweg an. Ich freute mich auf eine heiße Dusche und meinen Platz vor dem Fernseher. Am Hauseingang zu unserer Wohnanlage in Erbenheim traf ich auf meine hilfsbereite Nachbarin Denise, die fröhlich summte und anscheinend einen entspannten Tag hinter sich hatte.

„Hallo Suse!“ Sie fingerte ihren Schlüssel schneller hervor als ich meinen und öffnete galant. „Endlich geschafft für heute?“ Aufmunternd nickte sie mir zu. „Und, was liegt noch an?“

„Wäsche waschen und bügeln!“ Meine Stimme klang müde.

„Ach ja, die Waschmaschine.“ Sie drehte keck eine lange blonde Haarsträhne zwischen ihren Fingern. „Das war ja ein echter Glücksfall.“ Denise arbeitete als Flugbegleiterin bei der Lufthansa und jettete durch die Welt. Es war deshalb nicht außergewöhnlich, dass ich sie seit der Reparatur nicht gesehen hatte.

„Stimmt, hätte teurer werden können!“

Denise kicherte albern. „Das habe ich nicht gemeint. Eher, dass du mich nach unten geschickt hast.“ Sie legte eine vielsagende Atempause ein, und ich spürte ein merkwürdiges Ziepen in der Magengegend.

„Er ist mir zwar ein bisschen zu alt, eher deine Altersklasse, aber er sieht aus wie George Clooney und ist echt süüüß. Heute Abend haben wir unser zweites Date.“

„Uj, da hat der alte Prelow wohl eine Schönheitsoperation hinter sich gebracht.“ Ich stand voll auf der Leitung.

„Alter Prelow? Alter Prelow, den kenne ich nicht. Der Monteur heißt Tom, und er ist eingesprungen, weil die wohl in der Kundendienstfirma einen Engpass hatten.“

Etwa meine Altersklasse, sieht aus wie George Clooney – hämmerte es in meinem Kopf. Warum um Himmelswillen musste ich an jenem Morgen so lange im Bett herumlungern und mir obendrein zur Dekoration eine Maske ins Gesicht schmieren? Diese Erfolgsstory hatte mir heute noch gefehlt! Ich nuschelte ein rasches: „Gratuliere. Demnächst musst du mir mehr erzählen“, stürmte das Treppenhaus hinauf und leistet mir damit einen befremdlich wirkenden Abgang.

In meinem Rücken spürte ich Denises verdutzten Blick. „Du musst nicht laufen, der Aufzug funktioniert einwandfrei.“

Das ist der Nachteil, wenn jeder weiß, dass man als bekennender Sportmuffel die Treppe aufwärts nur bei Stromausfall benutzt. Beim Betreten der Wohnung offenbarte der Anrufbeantworter, dass Gitte vergeblich versucht hatte mich zu erreichen. Gefrustet rief ich sie zurück. Mein Handy hatte ich tagsüber in meinem Schreibtisch verstaut und vor lauter Hektik dort vergessen. „Ein Schitt-Tag! Einer von denen, die ich in letzter Zeit öfters habe. Einer, an dem du am liebsten aus der Haut fahren und nie wieder hereinschlüpfen würdest.“

„Aber Suse! Wie kann man sich denn so runterziehen lassen. Was haben denn die Kolleginnen zu deinen neuen Klamotten gesagt? Vielleicht brauchst du zusätzlich eine schicke Frisur zur inneren Zufriedenheit.“

Gittes simple Denkweise nervte manchmal gehörig. Jetzt fehlte nur noch der Vorschlag mir einen Typen für die Nacht zu suchen.

„Ich sehe deinen unwilligen Gesichtsausdruck quasi vor mir, aber davon wird die Welt nicht besser. Ein Glas Prosecco bei mir, wird dich von den weltbewegenden Problemen ablenken, die dich momentan umgeben.“ Sie lachte frech. „Los, lass dich nicht hängen und komm her!“

„Weiß nicht.“ Ich verspürte zu nichts Lust. Wo war der Sack, den ich mir über den Kopf stülpen konnte, um mich zu verkriechen. „Dieser neue Fuzzy im Büro ist ein Kotzbrocken. Der schleicht überall herum, in der Hoffnung, etwas auszuspionieren, womit er brühwarm beim Chef landen kann.“

„Von dem hast du noch nie erzählt. Seit wann arbeitet der bei euch?“

„Seit fast einer Woche.“ Die Antwort reichte, um mir die Voreiligkeit meines Urteils bewusst zu machen. „Ich glaube ich muss mich im Alkohol ertränken. Bitte lass deine Badewanne volllaufen. Es muss kein französischer Cognac sein, ein simpler Korn tut es auch. “

„So gefällst du mir schon besser!“

Praktischerweise wohnte Gitte nur zwei Blocks weiter und in Fällen einer akuten Stimmungsschieflage war die eine schnell zur anderen gelaufen. Die frische Luft auf dem Weg durchpustete kräftig meine grauen Zellen. Nein, den Controller konnte ich nicht ausstehen, auch wenn mein Verstand mir sagte, dass es absurd war, einen Menschen nach vier Tagen in eine Schublade zu stecken.

„Ich weiß, dass er ein hinterhältiger Idiot ist. So einer von den Karriere-Schleimern. Immer drei Schritte voraus und Superspezialist darin fremde Lorbeeren einzuheimsen.“ Koddrig wie eine konfuse Greisin hastete ich schneller als mir bewusst war durch die kühle Abendluft.

Erst auf Gittes türkisfarbener Luxusledercouch und nach dem Konsum eines hastig geschlürften Glas Rosé-Sektes, beruhigte ich mich ein wenig.

„Du guckst zu viele Soaps. Statur wie ein halbes Hemd und grazile Finger genügen nicht als Beweis, dass er ein Intrigant ist.“ Gitte gluckste. Entweder fand sie meine ausführliche Schilderung des Aussehens und Benehmens des Kollegen Clausig so amüsant oder meine Aufregung.

Natürlich residierte Gitte nicht wie ich in einer langweiligen Mietwohnanlage, sondern in einer architektonisch anspruchsvollen Eigentumswohnung mit satten 120 Quadratmetern Wohnfläche plus weitläufiger Terrasse. Einrichtung und Ausstattung waren vom Feinsten, denn Gitte verdiente als Immobilienmaklerin eine Menge Geld. Unbestreitbar war sie ein Verkaufsgenie und extrem erfolgreich in ihrem Metier.

„Anschwärzen ist seit jeher eine effektive Methode anderen den k.o.-Stoß zu versetzen. Denk nur an das Leben am Hofe Ludwig des XIV. Es ist also keine Erscheinung der Neuzeit und macht deinen Controller nicht zu einem Verbrecher. Sicher hat er auch positive Seiten.“

Es war ein Leichtes, sich das Spinnenbein als Höfling vorzustellen. Gleichzeitig war ich mir sicher, dass Gitte mich nicht ernst nahm, was mich allmählich ärgerte.

Sie nippte an ihrem Glas. „Du machst deine Arbeit doch immer gewissenhaft und zuverlässig oder hast du etwas zu verbergen, womit er dir schaden könnte? “

„Quatsch, aber ich surfe ab und zu im Internet und schreibe gelegentlich private Mails.“

„Das machen alle. Oder übertreibst du es? Bist du auf den Flirtseiten? Das könnte ein Kündigungsgrund sein.“ Gitte drohte mit dem Finger, was mich noch mehr ärgerte.

„Flirtseiten! Dafür habe ich keine Zeit – auf die Idee bin ich nicht mal gekommen.“

„Wieso hast du eigentlich nicht von deinen neuen Kleidungsstücken an?“

Die Frage hatte mir noch gefehlt. Darauf hatte ich gewartet. „Doch nicht jetzt zum Rumgammeln!“ Wenn ich wollte, konnte ich perfekt lügen. Ich musste nicht mal mit den Wimpern zucken. „Meine Kolleginnen haben die coolen Teile schon bewundert.“

„Siehst du.“ Selbstgefällig erhob Gitte sich von ihrem Platz und wandelte gedankenverloren zu dem überdimensionalen Spiegel an der seitlichen Wand. Sie strich sich über die Haare. „Die haben bestimmt gestaunt! Ich sage dir, die alten Fetzen schmeißt du bald in den Müll und kannst nicht mehr verstehen, wie dir das Zeug je gefallen konnte.“

Stimmt der Müll war die einzige Möglichkeit, aber nicht für meine abfällig betitelte Kleidung…! Obwohl ich mich beim Anprobieren im Laden ganz ansehnlich fand, konnte ich mich mit den mehr oder weniger von Gitte ausgewählten Teilen nicht anfreunden. Geschickt verschluckte ich mich an meinem italienischen Rotwein, für den wir uns im Anschluss an den Prosecco entschieden hatten, und wechselte unauffällig das Thema, indem ich mich sehr interessiert nach Gittes Job erkundigte. Schade, dass sie meist keine Lust verspürte, sich über ihre Arbeit im Immobilienbüro zu unterhalten.

„Hast du dir mal überlegt, eine neue Frisur auszuprobieren?“ Sie fummelte sich noch immer durch ihre kurzen Haare und posierte eitel vor dem Spiegel.

„Wieso? Ist doch okay. Schulterlänge ist immer modern, oder?“ Und sehr vielseitig, ich konnte mir stets als Alternative einen Zopf machen, wobei die Alternative eigentlich meine Dauerfrisur war.

„Ja – und aschblond auch. Aber ein bisschen mehr Pep ist jugendlicher. Rote Strähnen und ein gegelter Kurzhaarschnitt. Was meinst du, wie alle in deinem Umfeld Augen machen.“

Jugendlicher! Das sagt man gerne bei Damen ab sechzig, die eine Typveränderung wünschen. In mir brodelte die Wut: „Ich habe Kopfschmerzen.

---ENDE DER LESEPROBE---