Big Mac und Niagara Fälle - Gabriele Färber - E-Book

Big Mac und Niagara Fälle E-Book

Gabriele Färber

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Beschreibung

Im Reisebus drei Wochen quer durch die USA – wer glaubt, dass dabei nichts Aufregendes passieren kann, irrt sich gewaltig. Unvergessliche Eindrücke, Verdachtsmomente, sinnige Gespräche mit Mitreisenden, Rotwein, amerikanische Cops im Central Park u.v.m. - Hannah und Franz wird es auf ihrer Silbernen Hochzeitreise nicht langweilig. Der eheliche Himmel hängt allerdings etwas schief, als Franz auf Grund des straffen Ausflugsprogramms den Tag der Hochzeit vorübergehend vergisst. Da ist guter Rat erst mal "teuer" und auch der erwachsene Sohn im fernen Deutschland hat wenig sinnvolle Lösungsvorschläge vorzuweisen. Aber… Franz erzählt und das wird auch den Leserinnen sehr gefallen, denn Franz ist ein liebenswerter Mittvierziger, er arbeitet beim Finanzamt und ist äußerst bodenständig. Manches, was Hannah sagt, hört er nicht oder versteht es falsch, er findet Socken nur, wenn sie vorne in der Schublade liegen, und er liebt seine Familie, samt Schweigermutter und Hund. Er leidet unter Flugangst und ist erst einmal wenig begeistert von Hannahs Idee nach USA zu reisen, zumal er bereits den nächsten Campingurlaub im Süden plant. Einzig die Aussicht die Staaten in einem amerikanischen Wohnmobil zu durchqueren, kann ihm die Entscheidung schmackhaft machen und ein zustimmendes Nicken entlocken. Leider hat er da etwas völlig missverstanden. „Big Mac und Niagara Fälle“ ist eine Urlaubserzählung, die sowohl Roman als auch Reisetagebuch ist. Neben der Handlung wird dem Leser und der Leserin Wissenswertes über Sehenswürdigkeiten an der Route und Einblicke in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten vermittelt.

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Rückblick

Frankfurt – New York

Die Reisegesellschaft

Philadelphia - Washington

Washington

Niagara Fälle

Niagara Fälle - Lansing

Chicago

Sioux Falls

Badlands - Mount Rushmore - Rapid City

Big Horn Moutains - Cody

Yellowstone – Grand Teton - Jackson

Salt Lake City

Bryce Canyon

Grand Canyon

Las Vegas

Los Angeles

Hollywood - Fresno

Yosemite Nationalpark - San Francisco

San Francisco

San Francisco - Frankfurt

Wiesbaden

Schlusswort

Gabriele Färber

BIG MAC UND

NIAGARA FÄLLE

Roman und Reisetagebuch

Impressum

Autorin und Verlag:

Gabriele Färber, Wallbergstr. 14, 83026 Rosenheim

[email protected]

Text, Layout Gabriele Färber

Cover-Fotografie stock-photo-18012532-niagara-falls

alle Rechte vorbehalten

auch erhältlich als Taschenbuch

www.geschichten-fuer-alle.de

- Eine Reise durch die U S A – von New York nach San Francisco

- ein Traum –

und trotzdem hält Franz‘ Begeisterung sich in Grenzen,

als Hannah ihn dazu überredet, die Silberne Hochzeit in den Staaten zu verbringen,

obendrein ohne den geliebten Wohnwagen und nicht mal im Camper, sondern mit einem Reisebus.

Dass die Tour mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe, dennoch

unvergesslich und einzigartig wird, versteht sich von selbst.

Die Kombination aus Urlaubsroman und Reisetagebuch vermittelt

unterhaltsame Einblicke in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Prolog

Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und so weit entfernt, dass ich mir an Silvester nicht erträumt hätte, jemals dort einen Urlaub zu verbringen, geschweige denn bereits fünf Monate später dort zu landen. Doch manches kommt anders als man denkt, erst recht, wenn man verheiratet ist.

Hannah und ich haben im Juni Silberne Hochzeit gefeiert und mit den Planungen für dieses denkwürdige Ereignis beginnt diese Geschichte.

25 Jahre Ehe bedeuten gleichzeitig mindestens 25 Jahre Familienleben. Wir, das sind meine Frau Hannah, unsere Tochter Judith, unser erwachsener Sohn Oliver, Schwiegermutter Luise und nicht zu vergessen Alfons, unser südeuropäischer Mischlingshund aus dem Tierheim. Gemeinsam wohnen wir seit siebzehn Jahren in Wiesbaden-Bierstadt in einem Reihenhaus mit überschaubarem Garten.

Oliver ist kürzlich mit 23 Jahren ausgezogen und hat nun seine erste eigene Wohnung im Stadtzentrum, von der es nur einen Katzensprung zum Optikerladen ist, wo er arbeitet. Judith ist dreizehn, nervt mit pubertären Sprüchen, und verfügt über die bemerkenswerte Gabe, Dinge mit wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen. Eine nützliche Eigenschaft, wenn Hannah und ich uns aus Rücksichtnahme scheuen, Oma Luise mit deutlichen Worten zu widersprechen.

Die Schwiegermutter gehört quasi zum Inventar, denn zu ihrer Einliegerwohnung muss sie über unsere Treppenstiege laufen, und da sie es oben zu einsam findet, verbringt sie die meiste Zeit bei uns. Fairerweise muss ich zugeben, dass sie Hannah eine Menge Arbeit im Haushalt abnimmt und leckere Mahlzeiten für uns kocht. Da sie beim gemeinsamen Essen begierig ist, alle Neuigkeiten zu erfahren, geschieht ihr Einsatz auch ein wenig aus Eigennutz.

Falls Ihnen das alles bekannt vorkommt, dann haben Sie uns vielleicht als Leser auf unseren Campingreisen begleitet, und wir gehören für Sie quasi zum näheren Bekanntenkreis.

Wie auch immer, dies ist eine neue Geschichte und sie nahm ihren Anfang mit Vorzeichen, die einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen können. Leider bin ich oftmals so in meine Gedanken versunken, dass ich meine Alltagsumgebung nur am Rande wahrnehme. Möglich auch, dass ich nichts bemerkte, weil es mir zu absurd erschien. Genauso absurd wie sich eine Luxuslimousine anzuschaffen, für deren Kaufpreis man seine Ersparnisse fürs Alter auf den Kopf hauen müsste, um mit röhrendem Motor an den Grundstücken der Nachbarn und deren neidischen Blicken vorbei zu rauschen.

Eine verführerische Vorstellung, aber völlig unrealistisch!

Jedenfalls registrierte ich die vermehrt in unserem Reihenhaus umherliegenden Prospekte über Reisen in die Vereinigten Staaten nicht.

Stattdessen schmiedete ich Urlaubspläne für unsere Campingfahrt nach Kroatien, von der wir seit längerem sprachen. Unbedarft trug ich täglich meine Lieblingslektüre, den Campingführer, beim Gang zur Toilette unter dem Arm – und Hannah ließ es geschehen.

Ich frage mich, wie lange, dies noch so weitergegangen wäre, wenn sie nicht an einem Wochenende darauf bestand hätte, einen Familienausflug in den Frankfurter Zoo zu unternehmen.

Rückblick

Sonntag, 9. März

Es war fast noch dämmrig, jedenfalls für den Begriff eines geruhsamen Wochenendes, als meine Frau temperamentvoll an meiner Bettdecke zerrte und mich mit den Worten >Los aufstehen< nötigte, meine Augen zu öffnen. Vor mir stand ein Wesen wie aus dem Ei gepellt, ordentlich gekleidet, frisiert und mit unternehmungslustigem Grinsen: „Es ist schon 9 Uhr, und Judith liegt auch noch flach!" Sie zog die Gardinen auf und strich ihre Bluse glatt: „Bestes Wetter, wie bestellt."

Ich verkniff mir eine Antwort, denn gemeinsam mit meiner Tochter hatte ich heimlich auf das Tief Edgar mit Sturm und Regen gehofft, das den Taunus erreichen sollte, aber über den Westerwald nach Nordrhein-Westfalen abgebogen war.

„Fein." Sie rieb sich die Hände und stürzte ins Nachbarzimmer, um auch Judith die Sonntagsruhe zu verderben.

Wir ließen uns noch drei Mal rufen und vertrödelten weitere zehn Minuten, bis uns im Sinne des Familienfriedens nichts übrigblieb, als hinunter zu gehen. Im Gleichschritt schlurften Judith und ich in die Küche, wo die griesgrämige Schwiegermutter bereits bei Hannah am Tisch saß.

Wie Luise uns gestern bereits deutlich zu verstehen gegeben hatte, war sie wenig davon begeistert, uns zu begleiten. Da damit alles gesagt war, hätte das Thema nicht erneut angeschnitten werden müssen. Leider neigt Luise dazu ihre Meinung und ihren eigenen Standpunkt niemals gleich aufzugeben, sondern ihre Bemühungen zu steigern, beides den Andersdenkenden aufzudrängen.

Der Spruch zum Morgen lag ihr deshalb schon vor dem ersten Bissen ins Frühstücksbrötchen auf der Zunge: „Ich fahre nicht mit nach Frankfurt! Und überhaupt: was das wieder an Benzin und Eintritt kostet. Viecher kann man auch in unserer Fasanerie sehen und das obendrein umsonst. Dorthin würde ich am Nachmittag mitkommen und anschließend ein Stück Kuchen im dortigen Lokal spendieren.“ Herausfordernd blickte sie Hannah an.

„In der Fasanerie ist es echt öd. Da waren wir schon hundertmal und haben Ziegen und Schweine betrachtet“, murrte Judith. „Im Zoo gibt es wenigstens Elefanten und Giraffen. Aber eigentlich habe ich sowieso keine Lust. Ich bleibe hier und gehe lieber mit Sarah zum Tischtennis.“

„Ich war mindestens zehn Jahre nicht im Frankfurter Zoo – da fahren wir hin, basta.“ Hannah wandte sich erwartungsvoll an mich, um Unterstützung einzuheimsen.

Unfairerweise muss ich zugeben, dass ich so tat als hätte ich dies nicht bemerkt und puhlte gespielt konzentriert in der Butter.

„Die Sonne scheint und ihr seid alle bleich wie die Wand, weil ihr immer nur drinnen hockt. Mama, du sollst mehr laufen, hat der Doktor gesagt, und Franz hat ein aschfahles Bürogesicht.“

„Ich aber nicht. Ich bin oft mit Sarah draußen. Außerdem muss ich für Mathe lernen.“ Judith erhob sich.

„Wir sind noch nicht fertig.“ Luise fuhr ihre Enkelin barsch an, „Und überhaupt wäre es wichtiger die freie Zeit zu nutzen, um festzulegen, wo ihr eure Silberne Hochzeit feiern wollt, damit wir die Einladungen rechtzeitig verschicken können“, wandte sie sich streng an Hannah.

„Wieso wollt ihr denn noch mal heiraten? Mama, passt du überhaupt noch in dein Brautkleid?“ Judith, die eben noch gestanden hatte, um die nächstbeste Gelegenheit zu einer unbeobachteten Flucht zu ergreifen, fiel zurück auf den Stuhl.

Anscheinend malte sie sich in Gedanken aus, dass ihre Eltern, in die Kleidung von vor 25 Jahren schlüpften, um eine Zeitreise in die Vergangenheit anzutreten. Ihr Gesicht sprach jedenfalls Bände und ihr Mund bestätigte meine Vermutung: „Das ist peinlich. Ich hoffe, ihr feiert ganz weit weg, mindestens in Mainz oder Frankfurt.“

„Wir feiern noch viel weiter weg!“ Hannah schob ihr Geschirr übereinander und hob die Frühstückstafel damit auf. „Jetzt fahren wir erst mal in den Zoo.“

„Was heißt noch weiter weg?“ Das war für Luises schlechte Stimmung Wasser auf die Mühle. „Ihr juckelt dann wieder mit dem Wohnwagen irgendwohin, und wir anderen müssen in Timbuktu eine Unterkunft suchen, damit wir in eurer Nähe sind, um auf dem Campingplatz gemeinsam zu grillen. Ich weiß überhaupt nicht, wie ihr euch das vorstellt. Wir haben so viele ältere Menschen in der Verwandtschaft und jeder weiß, was für Zustände im Ausland herrschen, wenn man krank wird. Und nur weil Franz nicht mal auf einen Urlaub in dem Vehikel verzichten will!“ Die Schwiegermutter schnappte erzürnt nach Luft und starrte mich mit böser Miene an.

„Davon weiß ich nichts.“ Ich schlürfte den Rest Kaffee aus der Tasse. Irgendwie wirkte die schlechte Stimmung ansteckend. Und alles nur wegen Hannahs geplantem Tierparkbesuch, den alle lästig fanden außer ihr. „Ich weiß nichts von einer Silbernen Hochzeit und von einer Feier auf dem Campingplatz erst recht nicht.“

Kaum war mir der verhängnisvolle Satz über die Lippen gerutscht, ruhten statt einem nun zwei funkelnde Augenpaare auf mir, und Judith vergaß voller Neugier sämtliche Gedanken an Flucht.

„Dann wird die Silberne Hochzeit eben gestrichen, und ich verreise mit Reni.“ Hannah schob die auf dem Tisch liegenden Krümel mit der Hand auf einen Teller. „Ihr könnt ja an mich denken, wenn ich im Flieger nach New York über eure Köpfe brause und zur Feier des Tages mit einem Glas Sekt im Garten anstoßen. Dazu müsst ihr nicht mal auf einen Campingplatz fahren, Mutter, stell dir vor! Und obendrein kann die ganze buckelige Verwandtschaft und die gesamte Nachbarschaft zum Feiern ohne Probleme hierherkommen.“

„Was??“ Kaum zu glauben, aber Judith, Luise und ich posaunten wie auf Kommando einstimmig los, um sprachlos auf Hannahs nähere Erläuterung zu warten.

„Eigentlich wollte ich mit dir die tolle Reise unternehmen, aber da du ja noch nicht mal zu wissen scheinst, dass wir 25 Jahre verheiratet sind, ist das Perlen vor die Säue geschmissen.“ Ärgerlich schob sie den Stuhl so heftig zurück, dass er ins Wanken geriet, ließ alles stehen und liegen und stapfte aus der Tür.

„Ich verstehe nicht, was Mama meint. Wieso schmeißt du etwas vor die Schweine? Gehen wir jetzt doch zur Fasanerie?“ Judith schüttelte den Kopf und erwartete von mir eine Erklärung, zumal ihre Mutter das Weite gesucht hatte. „Ich gehe aber nicht mit. Und wieso will Mama nach New York?“

„Eigentlich wollten wir eine Kreuzfahrt unternehmen, irgendwann einmal.“ Zerknirscht rieb ich mir das Kinn. Dass Frauen aber auch immer so empfindlich sind. Natürlich wusste ich, dass wir im Juni Silberne Hochzeit feiern, weil meine Liebste, es seit letztem Herbst mindestens einmal pro Woche beiläufig erwähnte.

Dass Hannah davon träumte eine Kreuzfahrt anzutreten, war klar, seit die Eltern von Olivers damaliger Freundin Jasmin uns beim Nachmittagskaffee davon vorschwärmten. Damals gab ich ihr das Versprechen, dass wir diese zu einem besonderen Anlass unternehmen würden. Hannah war damals sofort Feuer und Flamme gewesen.

Das hat sich allerdings relativiert, als wir im vergangenen Sommer während unseres Urlaubs in der Nähe von Savona am Hafen die mächtigen kastenförmigen Schiffe in den Ausmaßen einer Hochhaussiedlung in natura bestaunten. Tausende von Passagieren strömten wie eine Ameisenschar an Bord, und freuten sich lautstark auf den Beginn ihrer Reise. Ich kann mich genau daran erinnern, dass Hannah überzeugend versicherte, mit einem solchen Monumentalboot keine Kreuzfahrt unternehmen zu wollen, sondern nur mit dem echten Traumschiff oder allerhöchstens mit dem kleinsten Modell der Aida-Flotte. Da dies nach Sichtung einschlägiger Prospekte den finanziellen Rahmen sprengte, war für mich das Thema erledigt, zumindest in weite Ferne gerückt.

„Für eine Kreuzfahrt braucht man ein kleines Vermögen!“, erläuterte ich meinen beiden Zuhörern, und Judith und Luise nickten ernst.

„New York ist auch nicht billiger.“ Die Schwiegermutter begann den Tisch abzuräumen. „Aber das war sicher nur Spaß von Hannah. Die Feier kostet eine Menge und dann müsst ihr eben mal auf den Urlaub verzichten. Das ist halt so, wenn man Verpflichtungen hat. Wir sind selbst oft eingeladen und müssen uns revanchieren, sonst gelten wir als Schmarotzer bei den Leuten.“

Sie ließ die Spüle voller Wasser laufen. Prinzipiell spült sie mit der Hand, falls Hannah es verpasst, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen: „Ich bin gleich fertig, und danach können wir nach Frankfurt fahren. Franz, schau doch mal wo Hannah steckt.“

So schnell hatte der ungeliebte Ausflug in den Zoo an Attraktivität gewonnen. Sogar Judith verließ kommentarlos die Küche, um ihre Jacke und das unentbehrliche Smartphone zu holen. Eine dreiviertel Stunde Fahrtzeit im Auto bot keine Möglichkeit zu entrinnen, und ich durfte auf einen regen Meinungsaustausch gespannt sein.

Brennend interessierte mich, ob Hannahs Ankündigung eine konkrete Umsetzung befürchten ließ, zumal ich schon die Vorstellung in einem Flugzeug stundenlang eingepfercht zu sein, gruselig fand. Viel lieber würde ich wie gewohnt mit unserem Wohnwagen auf Tour gehen. Mit etwas Phantasie könnte ich mit Hilfe der Arbeitskollegen in den nächsten Mittagspausen eine Rundreise durch Südeuropa ausarbeiten, die uns fernab unserer bisherigen Routen genügend neue Eindrücke bescheren würde.

„Seid ihr bald soweit?“ Auf leisen Sohlen war Hannah zurückgekehrt und stand mit aufsässiger Miene im Rahmen der Küchentür. In der Hand hielt sie Alfons Leine.

„Dürfen Hunde mit in den Zoo?“ Judith sprang die letzten beiden Stufen unserer Treppe, die von den Schlafzimmern zum Wohnbereich führt, hinab.

„Das würde mich wundern.“ Luise wedelte mit dem Geschirrtuch durch die Luft.

„Natürlich nicht. Ich laufe schnell mit ihm um den Block, bis ihr fertig seid.“

„Aha.“ Die Schwiegermutter stellte die letzten beiden gesäuberten Tassen in den Schrank und wischte die Edelstahlfläche der Ablage trocken. Sie glättete ihren Rock, und wenige Minuten später kletterten wir in gereizter Stimmung in mein Auto, das Großraumfahrzeug, in das stets ein Passagier mehr hineinpasst, als man mitnehmen will. Mittlerweile hat unser Wagen 95.000 Kilometer gelaufen und ist fast zehn Jahre alt, aber dank meiner hervorragenden Pflege tadellos in Schuss.

Wir rollten aus Wiesbaden, und ich bog auf die Autobahn. Ein wolkenloser Himmel verhieß dank des verirrten Tiefs Edgar einen schönen Vorfrühlingstag bei zu milden Temperaturen für Anfang März.

„Ich habe kürzlich notiert, wen wir einladen müssen. Ich schätze, dass wir auf über 30 Personen kommen. Vielleicht könnten wir den Saal im Bürgerhaus mieten. Die Jansens haben dort die Konfirmation der Enkelin gefeiert. Das Mittagessen soll sehr gut gewesen sein, und für nachmittags kann man die Kuchen selbst anliefern. Das spart eine Menge. Da müsst ihr aber bald reservieren, Franz. Die warten ja nicht auf uns.“ Entsprechend Luises Gewohnheit wurde ich persönlich angesprochen, weil sie etwas von mir wollte. Dies ist meist der Fall, wenn es sich um Botengänge oder handwerkliche Arbeiten handelt.

„Das Bürgerhaus ist doof. Das ist doch albern, wenn Mama da im Hochzeitskleid auftaucht. Ich will mal im Schloss feiern, wenn ich heirate“, mischte sich Judith ein.

„Ach was für ein Unsinn. Lernen die Kinder heute in der Schule überhaupt keine Allgemeinbildung mehr?“ Luise rüttelte leicht an der Kopfstütze von Hannahs Sitz, um sie zu einem Gespräch zu animieren. Doch Hannah schwieg und starrte aus dem Fenster, als seien die fernen Häuser von Hofheim die größte Attraktion, die sie je gesehen hat.

„Die Silberne Hochzeit ist eine Feier, bei der man sich freut, dass man 25 Jahre verheiratet ist. Natürlich zieht man nicht die alten Kleider von damals an. Die meisten Leute passen da sowieso nicht mehr hinein“, sah ich mich genötigt, meiner Tochter die Gegebenheiten zu erläutern.

„Ich schon.“ Hannah reckte sich. „Ich habe immer noch Größe 40, aber mein Kleid war damals geliehen.“

„Ihr könntet doch einen Alleinunterhalter buchen. Das ist nett und im Bürgerhaus ist genügend Platz, um das Tanzbein zu schwingen.“ Die Schwiegermutter strahlte.

„Mit wem willst du denn tanzen? Hast du deinen Herrn Sonnenschein wieder aus der Versenkung geholt, oder existiert eine neue Wartezimmerbekanntschaft?“ Hannah wandte sich zur Rückbank um. „Ich kann mir den Abend lebhaft vorstellen: Onkel Karl und Wilma schieben sich zu Walzertönen mit dem Rollator über das Parkett, und Cousin Klaus isst die Speisekarte mit seiner Familie hoch und runter, als hätten wir eben eine Hungersnot überstanden. Nachbar Jansen erfreut uns mit Weisheiten aus den goldenen Zwanzigern und die Jugend mault, dass es langweilig ist. Nö, ohne mich!“ An ihrem Tonfall merkte ich, wie angestrengt sie sich bemühte, Ruhe zu bewahren. „Ich habe doch gesagt, dass wir nicht feiern, weil wir nach New York fahren. – Aber vielleicht feiert Franz ja mit dir.“

„Jetzt ist aber gut.“ Aufgebracht scherte ich nach einem Überholmanöver viel zu dicht ein, was ein lautes Hupkonzert nach sich zog und mir den Schrecken in die Glieder fahren ließ.

Mittlerweile war meine Ruhe auch leicht überstrapaziert: „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir das Thema überhaupt angesprochen haben. Weder eine Feier noch eine Reise“, entfuhr es mir ärgerlich.

„Weil du nie zuhörst!“ Hannah starrte wieder aus dem Beifahrerfenster, wo der Frankfurter Messeturm in Sicht kam.

„Das stimmt. Papa weiß nie, wie meine Freundinnen heißen, obwohl ich es ihm schon hundertmal erzählt habe“, johlte Judith zustimmend.

„Männer hören generell nicht zu. Das ist erblich veranlagt. Dein Opa war auch so!“, steuerte Luise ihren Kommentar bei.

Dass das männliche Nichthören aus der Zeit der Steinzeitmenschen vom Überlebenskampf herrührt, wollte ich an dieser Stelle nicht ausführen. Unsere Vorfahren als Sammler und Jäger mussten sich beim Umherstreifen durch das Gelände auf ihr präzises Gehör hundertprozentig verlassen, um nicht gefressen zu werden und um sich rechtzeitig gegen heranpirschende Feinde verteidigen zu können. Allein deshalb war es notwendig, unwichtige Töne von wichtigen zu unterscheiden. Und die Stimmlage von Frauen insbesondere bei langandauernden Monologen wird von Männern unbewusst in die erste Kategorie sortiert. Das haben Wissenschaftler durch Studien belegt. So gesehen, hatte Luise durchaus recht mit ihrer Behauptung, aber unwidersprochen wollte ich das nicht hinnehmen: „Wenn ihr drei Zimmer weiter irgendetwas vor euch hin nuschelt, ist es kein Wunder, wenn man das nicht registriert“, brummte ich. „Was ist denn nun mit New York?“

„Ich fahre auf jeden Fall mit, und nach Los Angeles will ich auch!“, entschied unsere Tochter souverän.

„Nach Los Angeles kommen wir auch, aber du bleibst bei Oma. Wir reisen in der Vorsaison. Außerdem ist es für drei Personen viel zu teuer.“

„Immer ist alles zu teuer. Warum gehst du eigentlich nicht den ganzen Tag arbeiten?“, spielte sich unser Kind als Familienministerin auf. „Dann könnten wir endlich Markenklamotten kaufen, statt den Krempel von C & A.“

„Dann bin ich gespannt, was du später aus deinem Leben machst, und wenn du in Geld badest, kannst du Papa und mich ja im Alter bestens versorgen.“ Aus den Augenwinkeln beobachtete ich wie Hannah ihre Finger verkrampfte und allmählich vor Wut kochte.

Darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen: „Du scheinst alles gut geplant zu haben. Wann geht es denn los? Du weißt doch, dass im Büro die Urlaubspläne festliegen. Da kann ich nicht wahllos hin und her schieben – schon gar nicht auf den letzten Drücker.“

„Wenn man sich nicht beizeiten kümmert, sind die günstigen Flüge weg. Ich habe dir die Prospekte immer wieder hingelegt, aber jedes Mal waren sie ruckzuck fein säuberlich im Bücherregal gestapelt.“ Sie druckste. „Sonst bist du nicht so ordentlich. Du hast das extra gemacht, oder?“

„Du weißt doch, dass Franz nur seinen Wohnwagen im Kopf hat. Wahrscheinlich hat er gedacht, dass deine Prospekte Frauenzeitschriften sind.“, verteidigte mich überraschend Luise. „Dafür stolpert man in jeder Ecke über seine Campinghefte. Dieses Jahr müsst ihr eben mal darauf verzichten und euch endlich um die Feier kümmern.

„Rede ich chinesisch?“ Hannah schien förmlich in ihrem Sitz zum Riesen zu mutieren. „Jetzt habe ich es aber satt. Kapiert ihr das alle nicht? Wir fahren nach New York und damit basta.“ Sie schnaufte. „Natürlich fällt die Reise genau in deinen eingetragenen Urlaub. Ich bin doch nicht blöd! Und jetzt will ich darüber nicht mehr reden, jedenfalls nicht mit dir Mama. Das geht nur Franz und mich etwas an.“

Mein Navi hatte mich zuverlässig zum Parkplatz des Zoos dirigiert, ansonsten wären wir wegen der angespannten Debatte höchstwahrscheinlich erst nach Umwegen über Sachsenhausen dort angelangt. Unter den gegebenen Voraussetzungen würde der Besuch kein Vergnügen werden. Unbeholfen versuchte ich das Thema zu wechseln: „Ich meine mich zu erinnern, dass wir bei unserem letzten Besuch Hunde im Zoo gesehen haben. Sicher haben die die Regelung kürzlich geändert.“

„Das verwechselst du mit dem Opelzoo in Kronberg.“ Hannah haute die Tür derb ins Schloss. „Hier kannst du höchstens Blindenhunde sehen. Die dürfen nämlich mit nach drinnen.“

Wir näherten uns dem Eingang. Luise betrachtete sich unwirsch die Schlange an der Kasse und den Eintrittspreis. „Sogar für Judith müssen wir zahlen.“

„Natürlich, denn ich bin kein Baby mehr.“

Das war unverkennbar, denn seit Kurzem hatte unser Kind sein Faible für Lipgloss, Lidschatten und enge Shirts entdeckt. Zum Glück bremste Hannah ihren Kostümierungszwang soweit es möglich war, um unsere Kleine davor zu bewahren getunt wie eine Siebzehnjährige durch die Stadt zu staksen. Zumal Judith die Naivität einer Elfjährigen besaß, was sich erst heute wieder während unserer Gespräche bestätigte.

Wir passierten den Eingang schneller als erwartet, und Luise inspizierte den überdimensionalen Lageplan, der die Besucher am ersten Grünstreifen über ihren Standort informiert: „Ich laufe nicht die vielen Kilometer durchs Gelände. Das ist viel zu anstrengend in meinem Alter.“, stöhnte sie und entschied, dass sie vor den Tierhäusern auf uns warten würde. Schon nach wenigen Metern nahm sie deshalb die erste Bank in Beschlag und reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen.

Wir ließen sie zurück und betraten das Nachthaus, in dem sich Fledermäuse und anderes in der Dunkelheit aktives Getier tummelt.

„Mama, wird allmählich alt.“, seufzte Hannah. „Hoffentlich wird es ihr nicht zu anstrengend, sich drei Wochen lang ganz alleine um Haushalt, Judith und Hund kümmern zu müssen.“

Vor mir wuselten hinter einer Glasscheibe Hamster durch ihren Bau, und ich sah die Chance aufkeimen, der fernen Reise zu entgehen. Nicht, dass mich die USA nicht interessieren würden. Nein, das war es nicht, aber der lange Hin- und Rückflug in einer engen Konservendose verursachte mir ein extrem ungutes Gefühl: „Wenn Judith älter ist, wird es einfacher. Dann kann sie für viele Dinge selbständig die Verantwortung übernehmen“, wagte ich in gespielt zerknirschtem Ton einzuwerfen.

„Papperlapapp!“ Hannah eilte gedankenverloren an den Mardern vorbei. „Dann können wir die Reise gleich bis zur Goldenen Hochzeit aufschieben. Es wird immer etwas sein, was nicht hundertprozentig passt. Womöglich wird Mama ein Pflegefall – und was dann?“ Nun waren wir auch an den Fröschen vorbeigeschossen, die ich mir gerne genauer betrachtet hätte. „Außerdem ist Judith kein Baby mehr, wie sie vorhin selbst betont hat. Sie muss eben fortan ein paar Dinge im Haushalt übernehmen und nicht wie die Prinzessin auf der Erbse thronen, um sich alles vor die Füße tragen zu lassen.“

„Daran bist du nicht ganz unschuldig“, wagte ich einzuwerfen. „Mal ehrlich Hannah, die Brötchen muss samstags immer ich holen. Stattdessen könntest du unsere Tochter mit dem Rad zum Bäcker schicken.“

„Du bist gemein.“ Judith hatte meine Bemerkung aufgeschnappt. „Ich muss die ganze Woche soooo früh aufstehen. Und außerdem esse ich zum Frühstück sowieso Cornflakes.“

„Das stimmt Franz. Und jetzt Schluss mit dem Thema.“ Wir passierten die Drehtür und erreichten nach wenigen Schritten das Menschenaffenhaus.

Ich beabsichtigte die Problematik dort weiter aufzubauschen, wurde aber, kaum dass ich mit meinen Ausführungen ansetzte, durch den Radau einer lärmenden Familie mit schmalgesichtiger Mutter, ihren vier kleinen, schreienden Kindern und dem unterernährten Vater, der einen Bollerwagen hinter sich herzog, unterbrochen.

„Mir ist langweilig. Ich gehe zu Oma.“ Judith machte auf dem Absatz kehrt, und ihre Mutter griff reaktionsschnell nach ihrem Arm.

„Du begleitest uns zu den Orang-Utans. Ich finde, dass sie eine der größten Attraktionen des Zoos sind“, und mit disharmonischen Schwingungen setzten wir unseren Weg durchs Affenhaus vorbei an den Gorillas fort. Innig kraulte eine Affenmutter ihr Kleines und pickte vermeintliches Getier aus dem Fell, das sie mangels Ungezieferspray in ihrem Mund eliminierte.

Hannah lachte albern, sah sich animiert nicht vorhandene Parallelen zur Menschenwelt zu ziehen, und ich amüsierte mich artig. Judith tat als würde sie nicht zu uns gehören und beeilte sich nach einem kurzen Blick zu den Orang-Utans ins Freie zu gelangen, um möglichst schnell den Zoobesuch abzuschließen.

Ein affiger Patriarch in Form eines Riesenklops hockte breitbeinig mit mürrischer Miene in der Nähe der Scheibe. Für uns als tierpsychologische Laien wirkte er leicht depressiv und schien von den kaum behaarten Genossen, die auf der anderen Seite der Scheibe an ihm vorbeipilgerten, wenig erbaut zu sein. Sein Harem hielt sich in gebührendem Abstand auf, um ihr Oberhaupt nicht in seiner Meditation zu stören. Als die Familie mit Bollerwagen, uns ein zweites Mal überholte, ahnte ich instinktiv, dass ihm dies missfallen würde. Jedenfalls beendete er mit affenartiger Geschwindigkeit seine Lethargie, sprang mit unvermutetem Elan auf und stand mit seiner monumentalen Größe von beinahe zwei Metern für einen Moment den Besuchern Auge in Auge gegenüber. In Sekundenschnelle griff er nach einem heruntergefallenen Holzstück und schmiss es mit grimmiger Energie und lautem Schnauben gegen die Scheibe in Richtung Familienglück.

Wie vom Donner gerührt, erstarrten alle in erschrockenem Schweigen. Hannah und ich eingeschlossen! Der Herrscher der Affen zollte dem Geschehen keine weitere Aufmerksamkeit, sondern trottete in den hinteren Teil des Geheges, wo er sich demonstrativ zur Wand drehte und uns seine Kehrseite präsentierte.

Judith war bereits bei ihrer Oma angelangt und hatte von dem Zwischenfall nichts mitbekommen. Unserer lustigen Berichterstattung, als wir uns zu beiden gesellten, konnte sie in der alterstypischen Coolness der Pubertät nichts abgewinnen. Ein Ausflug mit Familienanhang war sowieso megapeinlich und keinesfalls unterhaltsam: „Der Zoo ist doof. Das ist alles Tierquälerei. Der arme Orang-Utan muss sich von den dämlichen Leuten auslachen lassen.“

„Der weiß das nicht anders. Ist doch nur ein Tier ohne Verstand.“ Luise, die noch nie von Konrad Lorenz und dessen Studien gehört hat, dozierte in althergebrachten Theorien.

„Ach Mama! Wahrscheinlich glaubst du auch, dass Tiere keine Schmerzen empfinden.“ Hannah schnaufte. „Ich mag jetzt einen Kaffee trinken gehen.“

„So ein Quatsch.“ Luise erhob sich mit einem Ruck von der Bank. „Aber doch nicht wie wir Menschen.“

„Klar und Regenwürmer kann man teilen, und beiden Seiten leben munter weiter.“ Ich schüttelte den Kopf.

„Was redet ihr da eigentlich?“ Judith entfernte sich, um nicht mit uns in Verbindung gebracht zu werden. „Ich mag nicht ins Café. Wir können doch auf dem Heimweg bei Mäces einen Hamburger am Autoschalter kaufen.“

„Im Café ist es viel zu teuer. Für das Geld kann man Pizza essen gehen.“, überschlug ich Torten- und Getränkepreise.

„Wenn wir in Wiesbaden zur Fasanerie gefahren wären, hätte ich euch eingeladen.“ Luise klappte den Bügel der Handtasche auf und zu und Hannah schluckte.

Den Cafébesuch ließen wir also ausfallen, weil jeder auf seine eigene Art herumnörgelte. Stattdessen gab es für jeden ein Eis vom Kiosk, und ich fragte mich, ob es nicht klüger gewesen wäre, Hannah bei Laune zu halten. Immerhin stand das Gespräch über New York noch aus. Und so gesehen, wäre die Investition in Kaffee und Kuchen billiger und weniger aufregend gewesen als die Teilnahme an einem Überseeflug.

Dienstag, 11. März

„Ich leihe mir dieses Jahr einen Camper und fahre mit meiner Janine an die Algarve.“ Steffen lehnte sich weltmännisch im Bürostuhl zurück und feixte mich stolz von der gegenüberliegenden Seite unserer Schreibtischkonstellation an: „In den großen Ferien sind die Kinder meiner Holden drei Wochen bei ihrem Erzeuger, und wir freuen uns auf eine sturmfreie Bude.“

Wir hatten den ganzen Vormittag mit einer kniffeligen Berechnung gekämpft, und jetzt nach der Mittagspause war von unserem Arbeitseifer wenig übrig. Das Konditionstief nach üppigem Essen in der Betriebskantine tat den Rest und müde hingen wir in den Seilen. Unser Abteilungsleiter war bis übermorgen auf einer Tagung und so blieb uns genügend Zeit, die Aufstellungen in Ruhe fertigzustellen.

„Da hast du dir aber einen weiten Weg vorgenommen. Quer durch Frankreich und Portugal und das bei sommerlicher Hitze.“ Ich betrachtete ihn ernst.

„Bei einer sturmfreien Bude würde ich überhaupt nicht verreisen!“ Korbinian, ein eingewanderter Oberbayer und seines Zeichens Besserwisser, gesellte sich vom Nachbarbüro zu uns.

Dort saß er normalerweise zusammen mit einem Kollegen, was ihn meist davon abhielt, uns mit seinen Weisheiten zu beglücken, weil Ewald, sein Gegenüber, ein dankbareres Opfer abgab als wir. Bei uns musste er stets mit Widerspruch oder Desinteresse rechnen, während Ewald alle Thesen und Sprüche förmlich aufsog und bewundernde Fragen stellte. Wir hatten Ewald deshalb lange als Einfaltspinsel und Schleimer verachtet, zumal er bei unserem Chef das gleiche Verhalten an den Tag legte.

Steffen bedachte ihn deswegen immer wieder mit Lästereien, bis dem gutmütigen Ewald irgendwann der Kragen geplatzt war: „Alles Taktik. Mach einen auf einfältig und begriffsstutzig, und du hast deine Ruhe. Ich breche zwei Jahre vor meiner Rente keine Debatten vom Zaun oder reiß mich um Arbeit. Ich stell mich dumm, der Chef trägt die Akten entnervt zu einem anderen Kollegen, und ich kann mich entspannen.“

Seitdem amüsierten wir uns königlich, wenn er voller Inbrunst Korbinians Angeberei bewunderte, und der das für bare Münze hielt. Da die Zwischentür fast immer offenstand, hatten wir dazu mehr als reichlich Gelegenheit. Umgekehrt funktionierte der Lauschangriff allerdings genauso gut, so dass Korbinian insbesondere an Tagen an denen Ewald durch Abwesenheit glänzte, mit aufgestellten Ohren jedes Detail in unseren Räumlichkeiten aufschnappte. So wie heute.

„Mich in eine solche Quetschkommode hineinzuzwängen – würde mir nicht einfallen.“ Er griff sich an die Nasenspitze. „Wie funktioniert das eigentlich mit den Betten? Liegt man da übereinander, weil es so eng ist?“ Er stutzte: „Obwohl, das würde ja passen!!“, lachend schlug er sich auf die Schenkel. „Der Franz mit seiner Campingerfahrung kann dir bestimmt viele technische Tipps geben!!!“, grölte er zweideutig.

„Wir reisen mit Wohnwagen und haben ein normales Doppelbett.“, verteidigte ich meine Lieblingsurlaubsform ohne unsere ehelichen Gepflogenheiten zum Besten zu geben.

„Aha. Und wohin geht‘s dieses Jahr?“, lauernd wartete er auf eine Antwort, um sich darüber lustig machen zu können. „Ist doch recht hellhörig auf einem Campingplatz. Hat immerhin den Vorteil, dass man den Nachwuchs nicht aufklären muss.“ Sein Lachanfall steigerte sich.

„Keine Ahnung. Wir haben uns noch nicht entschieden.“

Mangels Gehässigkeiten, die es nun nicht zu verteilen gab, wechselte er das Thema, um mit seinem aufwändigen Lebensstil anzugeben. Diesen konnte er sich im Gegensatz zu uns anderen, die wir Familienväter waren, dank einer geerbten Mehrparteien-Mietimmobilie spielend leisten. Er fuhr ein BMW-Sportcoupé und prahlte regelmäßig mit seinen Erfolgen beim weiblichen Geschlecht, vorzugsweise jung, langbeinig und blond: „Ich fliege im Juni nach Hawaii. Das solltet ihr euch auch mal gönnen.“

„Das werden wir bestimmt, gelt Franz! Einen organisierten Urlaub vom Reisebüro buchen wir, wenn wir alt und tüttelig sind.“ Steffen kramte das Prospekt mit den Camper-Leihmobilen hervor und grinste frech.

Ich fand das peinlich und tat unbeteiligt.

„Erst mal können!“ Korbinian musterte uns verächtlich und rieb vielsagend Daumen und Zeigefinger als Symbol für unser fehlendes Geldvermögen gegeneinander: „Bei meiner Frau Winterstein im Reisebüro buche ich Flug und Hotel, so wie es passt. Die weiß, was ich suche und erwarte. Mir geht es nicht wie den Pfennigfuchsern, die im Internet stundenlang rumklicken und am Ende doch einen Reinfall erleben." Mit rotem Kopf drehte er sich temperamentvoll um die eigene Achse: „Mahlzeit die Herren, meine Pause ist längst überfällig.“ Er öffnete die Tür zum Flur so heftig, dass sie ungebremst gegen die Wand krachte und stolzierte hoch erhobenen Hauptes aus unserem Büro.

„Blasierter Depp.“ Steffen reckte sich in seinem Stuhl. „Mit hohen monatlichen Mieteinnahmen, die ohne großes Zutun in den Säckel flutschen, kann man die Klappe leicht aufreißen.“ Er wartete auf mein Nicken. „Der hat meiner Ansicht nach einen an der Klatsche.“ Steffen wedelte mit der Hand vor seiner Stirn, um die Aussage zu bekräftigen. „Trotz der vielen Kohle dackelt der jeden Tag ins Amt, um seine Stunden abzusitzen. So dämlich kann ein normaler Mensch gar nicht sein.“

„Man weiß nie was passiert. Und hier im Amt hat er sein festes Einkommen und sichert sich die Rente.“ Ich sah die Angelegenheit weitaus emotionsloser als mein Kollege. „Heutzutage verschwindet Vermögen schneller, als man es sich erarbeitet.“

„Ererbt, meinst du wohl. Also…“

Ich erhob mich, um die Tür zu schließen, weil es mir ins Genick zog, und Steffen schob die Broschüre hinüber auf meinen Schreibtisch. „Das angekreuzte Modell ist es. Prima, oder?“

Versonnen betrachtete ich das Heft, checkte Höchstgeschwindigkeit und Beladungsmöglichkeit. Gleichzeitig stellte ich mir vor, wie Hannah und ich gemeinsam mit oder ohne Judith durch Europa tourten: „Ist aber eine teure Angelegenheit in den Ferien, oder?“, seufzte ich. Andererseits höchstwahrscheinlich billiger als ein Trip in die Staaten.

„Natürlich wird einem nichts geschenkt und in der Hauptsaison langen die fast doppelt hin.“ Steffen blickte mich an: „Aber wenn du bedenkst, dass du Besuche im Restaurant sparst und kein Hotel zahlen musst, sieht die Kalkulation schon anders aus.“

„Du darfst die Stellplatzmiete auf den Campingplätzen nicht vergessen. Die Fünfsterne Komfortplätze verlangen teils deftige Gebühren“, klärte ich ihn auf.

„Fünfsterne-Campingplatz – spaßig! Sind da die Wasserhähne aus Gold oder ist der Klositz aus Perlmutt? Ich stell mich doch nicht bei Ödi und Blödi im Kreis von plärrenden Kindern und johlenden Erwachsenen auf eine Wiese und bezahle Geld dafür.“

Ich schluckte. Anscheinend besaß mein Kollege das Ewald-Gen und hatte in den vergangenen Jahren den aufmerksamen Zuhörer nur gespielt, wenn ich begeistert von unseren Campingreisen berichtete und nullkommanix davon in seinem Gehirn gespeichert.

„Die Sterne haben nichts mit dem Klositz zu tun. Die bewerten die Ausstattung der Anlage, zum Beispiel ein eigenes Freibad, Animation, Restaurants, Sauberkeit, Lage und so weiter.“

„Das Wohnmobil ist autark.“ Steffen angelte sich das Prospekt zurück auf seine Seite. „Das ist ja das Schöne, dass du vor einer Sehenswürdigkeit übernachten kannst oder direkt am Strand stehst, um nach dem Mitternachtsbad in die Federn zu springen.“

„Da wirst du vielerorts die Schilder finden, dass das Parken von Wohnmobilen und das Campieren verboten sind.“

Steffen tat demonstrativ taub und vertiefte sich in seine Arbeit am PC, was signalisierte, dass das Gespräch beendet war.

Missmutig ärgerte ich mich über seine Ignoranz. Sollte er doch frustriert zurückkehren – das würde ihm recht geschehen. Nur seine Janine tat mir leid, die mit Mister Tausendsassa drei Wochen und über 2.000 Kilometer auf engstem Raum verbringen musste. Derb hackte ich auf meine Tastatur, komplettierte die Tabelle, speicherte die Datei und verabschiedete mich früh in den Feierabend, obwohl es mich nicht unbedingt nach Hause zog. Dort würde mir das nächste frustrierende Gespräch bevorstehen, da war ich mir sicher.

Zum Glück erwarteten mich unsere vier Wände menschenleer. Schwiegermutter Luise war zum Arzttermin unterwegs wie mir eine Notiz auf dem Küchenkalender offenbarte, Judith höchstwahrscheinlich bei einer Freundin und Hannah beim Friseur.

Ideale Voraussetzungen um sich fundierte Argumente gegen eine überteuerte USA-Reise zurechtzulegen. Dazu benötigte ich jedoch die Unterlagen, die ich mir seit langem anschauen sollte. Zuerst durchkämmte ich vergeblich den Zeitungsständer. Danach den Stapel Werbung der letzten vier Wochen und die kostenlosen Wochenblättchen, die sich auf der Kommode im Flur angesammelt hatten. Das Einzige, was ich beim Sondieren des Packens entdeckte, waren zwei offene Rechnungen, die dringend beglichen werden mussten. Den Rest entsorgte ich in der Papiertonne. Das machte mich zwar stolz, brachte mich aber keinen Schritt weiter.

Die nächste Möglichkeit war das Nachttischschränkchen auf Hannahs Bettseite in unserem Schlafzimmer. Doch außer einem Schmalzroman mit kriminellen Aspekten förderte ich nichts zutage. Nun blieb nur noch das Gästeklo, wo ich auf der Seitenablage meine Lektüre für lange Aufenthalte deponierte. Es würde mich zwar wundern, dort das Gesuchte zu entdecken, aber vielleicht hatte ich die Prospekte in einem Anflug von geistiger Zerstreutheit unbewusst dorthin getragen.

Leider war auch dieser Weg erfolglos. Womöglich hatte Luise sie in den Müll geschmissen, damit aus der Feierlichkeit zur Silbernen Hochzeit doch noch etwas wurde. Oder Hannah war zur Vernunft gekommen und wollte mich mit der Idee für eine schöne Campingreise überraschen. Die letzte Möglichkeit gefiel mir am besten, war aber die unwahrscheinlichste von beiden. Unruhig lief ich hin und her, wobei unser Hund Alfons mir treu folgte.

Was weiß man schon von Amerika? Cowboys und Indianer, den Präsidenten kenne ich mit Namen, New York besitzt die Freiheitsstatue und jede Menge Wolkenkratzer. In Chicago wohnen die Verbrecher und in Detroit baut man Autos. Außerdem gibt es Disneyland und Las Vegas. Der Gottschalk residiert irgendwo bei Los Angeles und die amerikanischen Stars in Hollywood. Nichts, was man nicht bereits im Fernsehen gesehen hat. Alfons Geduld auf den Nachmittagsspaziergang zu warten, erschöpfte sich und heftig stupste er mich mit der Schnauze an. Als dies nicht wirkte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen, jaulte er laut auf, und ich griff genervt nach der Leine. Vielleicht würde die frische Luft so viel Sauerstoff in meine grauen Zellen pumpen, dass ich jeden von Hannahs Vorschlägen perfekt parieren konnte.

Draußen wehte ein kräftiger Ostwind und fegte den letzten Rest von Frühlingswetter des vergangenen Wochenendes erbarmungslos davon. Natürlich ist eine Fernreise eine interessante Erfahrung, aber gegen die Abneigung mich in ein Flugzeug zu setzen, kann ich mich nicht wehren. Weder mag ich die Enge noch das gemeinsame Eingesperrtsein mit vielen fremden Menschen. Außerdem kann ich es nicht leiden, mein Leben einem fremden Steuermann auszuliefern. Deshalb benutze ich ungern Bus und Bahn. Und eine Kreuzfahrt wäre für mich gleichfalls eine Tortur.

Hannah weiß das, und deshalb war es kaum ein Liebesbeweis mir ausgerechnet zur Silbernen Hochzeit eine solche Überwindung zuzumuten. Vielleicht wurden nach 25 Jahren deshalb so viele Ehen geschieden, weil die Paare über die gebührende Würdigung des Anlasses in Streit geraten. Die Statistik belegt eindeutig, dass langjährige Ehen in dieser Phase besonders gefährdet sind.

Das würde Hannah genauso wenig wollen wie ich, und wenn diese Reise mir derart zuwider war, mussten wir uns eben für etwas anderes entscheiden: „So machen wir es!“, stieß ich laut aus und Alfons bellte.

Wahrscheinlich handelte es sich dabei weniger um Zustimmung als um Fußfaulheit. Es begann zu regnen, und das kann unser wasserscheuer Hund nicht ausstehen. Begeistert lief er voran, als ich den Rückweg einschlug und damit die einzige Richtung, auf der unser Hund munter wird und Temperament versprüht. Deshalb lasse ich ihn gewohnheitsmäßig auf dem, an unserer Siedlung angrenzenden Feldweg von der Leine, um ihn nicht unnötig zu gängeln, zumal er zuverlässig nach Hause hetzt.

Von Ferne entdeckte ich Hannahs Auto seitlich unseres Reihenhauses, und war voller Zuversicht unser Gespräch über die geplante Urlaubsreise zu meiner Zufriedenheit zum Abschluss zu bringen.

Leider entwickelten sich die folgenden Stunden anders als erhofft. Wir Männer haben, wie bereits erwähnt, genetisch bedingt ein anderes Auffassungsvermögen als Frauen. Was uns in der Urzeit half zu überleben, beschert uns heutzutage Ärger und Unverständnis.

„Wohin hast du denn meinen Blazer gehängt, Franz?“ Hannah stand in der geöffneten Haustür und gestikulierte wild, kaum dass ich in Hörweite war. „Ich muss in einer halben Stunde aus dem Haus!“

Da es mittlerweile heftig regnete, beschleunigte ich die nächsten Meter und schaffte es gerade noch, Alfons am Halsband zu fassen, bevor er mit seinen Dreckpfoten an seinem Frauchen hochspringen konnte. Unwillig schüttelte er sich kräftig, und ich griff nach dem alten Lappen, den wir zum Trockenrubbeln bei schlechten Wetterverhältnissen oder Schlammbädern unseres Vierbeiners griffbereit vor dem Eingang deponiert haben.

Weil mir nicht klar war, was Hannahs Frage bedeutete, tat ich, als würde mich das Ganze nichts angehen und widmete mich intensiv, halb gebeugt der Säuberung des Hundes. Üblicherweise gehört es nicht zu meinen Gepflogenheiten, die Kleidung meiner Frau in unseren vier Wänden umherzutragen oder wegzuräumen.

„Sag bloß, du hast vergessen, ihn aus der Reinigung zu holen!“ Hannah stand mit drohendem Tonfall neben mir, und ich erinnerte mich allmählich, dass sie mir am Morgen einen Abholzettel zugesteckt hatte.

„Wieso heute? Den wollte ich am Donnerstag abholen, wenn ich sowieso nach der Arbeit zum Getränkemarkt fahre.“

„Klar, sehr sinnig. Zwei Tage nach der Jubiläumsfeier für meinen Chef.“

„Du hast nicht gesagt, dass du ihn heute brauchst.“ Dass ich ihre Einladung zu dieser Festlichkeit vergessen hatte, verriet ich lieber nicht.

Geistesabwesend richtete ich mich auf, was Alfons dazu nutzte, die Flucht zu ergreifen und mit seinem halb gesäuberten Fell an Hannah vorbeizuflitzen. Dabei streifte er ihr rechtes Bein, was einen gellenden Aufschrei verursachte: „Ach Franz, jetzt schau nur, meine Strumpfhosen sind ganz dreckig. Jetzt muss ich mich umziehen.“

Ich betrachte meine Frau aufmerksam. Sie trug ein neues Kleid mit großen rosa und dunkelblauen Blumen, das ich noch nicht an ihr gesehen hatte und dazu rosafarbene Schuhe mit hohem Absatz, die mir gleichfalls unbekannt waren. Das Jubiläum ihres eher unbeliebten Chefs war Grund sich mächtig herauszuputzen. Einzig ihre Frisur schien noch nicht fertig zu sein. Die Haare wirkten als seien sie fettig und waren hauteng am Kopf hochgesteckt. Nur die zwei nachlässig heraushängenden Strähnen ließen ahnen, dass ihre braunen Locken normalerweise bis über die Schultern reichten.

„In der Zeit, wenn du dir die Haare wäschst und dir neue Strümpfe anziehst, fahr ich schnell zur Reinigung. Das klappt noch einwandfrei“, munterte ich sie auf. „Aber eigentlich passt die hellgelbe Jacke doch sowieso nicht zu deiner Kleidung. Also, finde ich jedenfalls.“ Ich ging an ihr vorbei, um in der Dielenkommode nach dem Autoschlüssel zu kramen.

„Vergiss es!“ Hannah stürmte ohne ein weiteres Wort an mir vorbei, die Treppe zum Schlafzimmer hinauf. Oben flogen die Schranktüren und verhaltenes Fluchen drang zu mir herunter. Wahrscheinlich würde unser Bett in diesem Moment mit einem heillosen Durcheinander übersät sein, weil sie sich wegen der fehlenden Jacke, die sowieso nicht dazu gepasst hätte, komplett neu ankleidete. Der Blazer gehört zu ihren Lieblingsteilen für festliche Einladungen, hat aber den Nachteil, dass man ihn nicht selbst waschen kann.

Unschlüssig verharrte ich in der Diele: „Soll ich rasch fahren oder was ist nun?“ Immerhin stand mir später noch die Debatte über unsere Reise bevor, und es konnte nicht schaden, ein wenig guten Wind zu machen.

Da von oben nur ein undefinierbares Brummen ertönte, ergriff ich als Mann der Tat die Initiative, nahm mir den Autoschlüssel und den in Abfahrtposition geparkten Wagen meiner Frau und startete gutgelaunt zur Reinigung. Das würde sie freuen und ihr bestätigen, dass sie vor über 25 Jahren ein besonderes Goldstück an Land gezogen hat, dessen Wohlwollen man sich nicht verscherzen darf.

Der Laden begrüßte mich mit melodischem Klingeln der Türglocke, niemand wartete vor mir, und ich reichte der mürrischen Dame an der Annahme beschwingt meinen Abholzettel.

Unmotiviert schlurfte sie in den rückwärtigen Teil, wo sie eine Weile Bügel hin- und herschob, um mit einer pinkfarbenen Jacke zurückzukehren, die wer weiß wem gehörte. Mit dem Ansatz eines Lächelns wurde sie mir aufgedrängt! Trotz hartnäckiger Diskussion und meiner Beteuerungen, dass der Blazer hellgelb sein müsse, ließ sie sich nicht davon abbringen, das richtige Kleidungsstück geholt zu haben.

„Entweder Sie nehmen ihn mit oder lassen ihn hier. Bezahlt ist das Kleiderbad sowieso im Voraus“, fauchte sie mich an. „Sie sehen doch, dass die Nummer an der Jacke mit Ihrem Zettel übereinstimmt.“

Da mittlerweile bereits zwei Kunden hinter mir standen, und die Zeit drängte, beschloss ich nach kurzer Überlegung die Jacke mitzunehmen. Hannah kannte die Inhaberin des Geschäfts und würde die Angelegenheit in den nächsten Tagen klären.

Obwohl die Aktion nicht zu meiner Zufriedenheit verlaufen war, musste ich schmunzeln. Eigentlich passte der Ton prima zu dem Kleid, das meine Frau vorhin getragen hatte. Sie könnte den Blazer also dazu anziehen und bei der Reklamation angeben, dass dies wegen der Verwechslung notwendig geworden war. Die Olle von der Reinigung müsste als logische Schlussfolgerung den Blazer auf eigene Kosten nochmals durch das erwähnte Kleiderbad ziehen, was Hannah egal sein konnte.

Fast zwanzig Minuten später als veranschlagt, traf ich zu Hause ein. Die Jacke ordentlich über den Arm gelegt, schloss ich mit der anderen Hand auf und wurde von unserem Hund stürmisch begrüßt, als wäre ich eine Ewigkeit abwesend gewesen.

„Hallo Paps!“ Judith war mittlerweile auch daheim, knabberte einen Keks und empfing mich, an den Rahmen der Küchentür gelehnt, mit betretener Miene: „Wo warst du denn? Mama hat dich gesucht.“

Sorgfältig hängte ich den Bügel mit der Jacke an unsere Garderobe: „Jetzt bin ich ja da. Stell dir vor, die dumme Nuss in der Reinigung hat darauf bestanden, dass ich die falsche Jacke mitnehme. Ich hoffe, dass deine Mama vor Wut keinen Kollaps bekommt. Ist sie noch im Bad?“

„Nee mit einer Kollegin in einem kleinen Fiat zum Jubiläumsessen nach Schierstein. Eigentlich wollte sie mit ihrem Auto fahren, aber das war weg.“ Judith stopfte den Rest des Kekses quer in den Mund: „Wieso soll das nicht Mamas Blazer sein? Der sieht doch genauso aus.“

„Unsinn. ihrer ist gelb. Deine Mutter hätte auch den Van nehmen können. Wieso war sie denn überhaupt so schnell fertig, obwohl sie noch Haare waschen musste?“ Mich beschlich das ungute Gefühl, dass mein Plan mit meiner Aktion Bonuspunkte einzuheimsen ins Minus triftete.

„Mama war doch beim Friseur!!“, entrüstet blickte mich meine Tochter an. „Der Van ist Mama zu groß zum Parken. - Ich radle eben mal zum Edeka, weil ich noch ein Schulheft brauche.“ Sie schlüpfte in ihre Stiefeletten, zog sich ihre Strickweste über und musterte den Blazer intensiv: „Das ist Mamas. Auf dem Etikett am Kragen hat sie ihr HS aufgemalt. Den hat sie sich mit dem Kleid und den rosa Schuhen letztes Jahr für Onkel Karls Geburtstagfest in Düsseldorf gekauft.“ Die Haustür flog schwungvoll ins Schloss.

Ja tatsächlich – jetzt erinnerte ich mich daran, denn natürlich war ich bei der Feier dabei! Nun war dies immerhin beinahe ein Jahr her, und wer kann sich schon so lange die Kleidungsstücke seiner Frau merken.

Alles mit den Initialen zu kennzeichnen, was sie außer Haus gibt, ist eine Marotte von Hannah, die sie sich von Luise abgeschaut hat. Egal ob Tortenplatten, die an die Nachbarin verliehen werden, etwas für die Wäscherei oder einst der Turnbeutel der Kinder, alles kennzeichnet sie. Der Glaube, dass dies vor Verlust schützt, ist natürlich eine Illusion.

Zum weiteren Verlauf muss nicht mehr viel gesagt werden. Natürlich war Hannahs Laune entsprechend, als sie gegen elf Uhr zurückkehrte. Mich schlafend zu stellen, nützte mir nichts, weil sie mit Absicht derart laut rumpelte und im Schlafzimmer umherlief, dass es unmöglich war, nicht zu reagieren. Zuerst versuchte ich, beleidigt zu wirken, weil mein Weg zur Reinigung nicht gewürdigt wurde, aber dies rief nur weiteren Unwillen hervor: „Die Sache war längst erledigt, und ich wollte auf der Fahrt zur Feier den Blazer holen. Stattdessen hatte ich weder die passende Jacke noch mein Auto!“ Sie deckte ihre Seite des Bettes auf. „Wir müssen endlich buchen, sonst ist die Reservierung morgen verbindlich.“

„Dann brauchen wir uns wohl kaum noch zu besprechen, oder willst du die Stornierung kurz vor Mitternacht dem Anrufbeantworter aufsagen?“, griesgrämig drehte ich mich auf die Seite. „Sehr nett, alles alleine zu entscheiden. Es reicht ja, wenn ich den Urlaub bezahle.“ Der Ausspruch war grenzwertig, und ich hätte ihn am liebsten rückgängig gemacht, was natürlich nicht funktionierte.

Meine Frau fauchte mich an wie eine Furie, was ich selten von ihr erlebe: „Das Geld stammt von meinem vermögenswirksamen Sparvertrag. Statt dass du dich über die Reise unseres Lebens freust, meckerst du rum.“

Ich rollte zurück, und sah sie an. Auf ihrem nun frischgewaschenen, zuvor gegelten Haarschopf, den ich am Nachmittag als Fettkopf gedeutet hatte, trug sie einen Handtuch-Turban, der durch ihren Ärger mehr und mehr verrutschte. Ihren Pyjama hatte sie womöglich wegen eines zu viel konsumierten Glases Weins linksherum angezogen und das rechte Hosenbein halb nach innen gerollt. Alles in allem ein spaßiger Anblick, aber auf Grund des Ernstes der Lage verspürte ich keine Lust zum Lachen.

„Du hättest dich ja längst mit den Prospekten beschäftigen können.“

„Die sind seit Tagen verschwunden.“

„So ein Quatsch. Die haben die ganze Zeit im Wohnzimmer im Zeitungsständer gelegen.“

„Wahrscheinlich hat sie deine Mutter weggeschmissen, weil sie lieber hier feiern will.“, verteidigte ich mich, und Hannah stürzte wutentbrannt aus dem Zimmer. Ich befürchtete gar, dass sie Luise zu dieser späten Stunde zum Rapport zitieren würde, falls sie die Unterlagen nicht finden würde.

Stattdessen dauerte es eine Weile, in der es verdächtig still blieb, bis sie mit einem Computer-Ausdruck, einem Glas Obstler für jeden von uns und entspanntem Gesichtsausdruck zurückkehrte: „Ach Franz, jetzt lass uns den dummen Streit begraben.“, schmeichelte sie, und ich vermutete, dass sie entweder zum Abkühlen kurz an der frischen Luft gewesen war oder bereits in der Küche einen Schnaps konsumiert hatte. „Schau dies ist unsere Route: Von New York nach San Francisco. Sieben Nationalparks, Las Vegas und Los Angeles. Ist das nicht wunderbar? Wir zwei am Fuße des Grand Canyon und an den Niagara Fällen. Ach Franz, wir wollten schon längst mal eine besondere Reise unternehmen. – Sag doch selbst: Wenn nicht jetzt, wann dann?“

„Von Urlaub kann nicht die Rede sein, wenn man geschätzte dreitausend Kilometer hinter dem Lenkrad sitzt. Obendrein die Zeitverschiebung. Ich glaube nicht, dass dies erholsam ist.“

Gleichzeitig fühlte ich eine gewisse Erleichterung, denn Hannah hatte offensichtlich eine Reise mit Campingmobil geplant - das wäre Entschädigung für den langen Flug und würde mir das Gefühl von Vertrautheit vermitteln: „Wir kürzen die Strecke ein wenig, um die verbleibenden Orte stressfrei zu besichtigen“, schlug ich enthusiastisch vor und prostete Hannah zu.

„Du findest es gut?“

Ich nickte sanft und schmunzelte voller Herzenswärme.

Hannah fiel mir überschwänglich um den Hals: „Wie schön. dann klicke ich schnell im PC auf Jetzt fest buchen, damit uns unsere zwei Plätze sicher sind.“ Sie sauste aus dem Schlafzimmer und einen Stock tiefer in unser kleines Büro, und ich lehnte mich entspannt gegen das Kopfkissen auf meinem Bett zurück.

Ich stellte mir unser Miet-Reisemobil vor: gute Mittelklasse – schade, dass ich bei der Auswahl nicht mitentschieden hatte. Gleich am nächsten Tag würde ich mit meiner Kfz.-Versicherung klären, ob eine entsprechende Erweiterung für die Staaten möglich wäre, um bei einem Unfall nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben.

„Alles okay!“ Meine Liebste kehrte freudestrahlend zurück. „Das wird gigantisch!“

„Meinst du, dass man vor Antritt der Fahrt die Landkarten für die Strecken ausgehändigt bekommt, ober ist es besser die in Deutschland zu besorgen?“, forschend visierte ich meine Frau und fühlte einen Hauch von Urlaubseuphorie.

„Ach Franz, um die Strecke kümmert sich doch der Fahrer, damit musst du dich nicht belasten, und wegen der Länge brauchst du dir auch keine Gedanken zu machen. Es sind zwar fast 5.000 Kilometer, aber das Ganze ist eine organisierte Busreise eines renommierten Veranstalters. Wir werden alles kennenlernen, wie geplant!!“

Samstag, 22. März

„Ich muss wahrscheinlich ins Krankenhaus.“ Luise saß mit wehleidiger Miene vor ihrem Frühstücksbrötchen und rührte traurig in ihrem Kaffee.

Erschrocken blickten Judith und ich auf.

„Bis du krank Oma?“ Unsere Tochter rutschte instinktiv näher zu ihrer Großmutter. „Ist es etwas Schlimmes?“

„Wieso sagst du uns das erst jetzt? Du warst doch schon am Dienstag vorletzter Woche beim Doktor?“ Hannah schaute besorgt. „Soll ich dich das nächste Mal zum Arzt begleiten? Heutzutage wird viel zu schnell operiert.“ Sie schluckte. „Ich wusste gar nicht, dass du Beschwerden hast – außer dem Üblichen, meine ich.“

„Das Übliche, wie du dich ausdrückst, mein liebes Kind, ist schon unangenehm genug. Aber das wirst du beizeiten selbst erleben.“ Luise zerteilte das Brötchen routiniert in der Mitte. „Ich habe schwere Durchblutungsstörungen.“

„Ach herrje.“ Vor meinem geistigen Auge erschienen Ausschnitte sämtlicher Arztserien, in denen durch Stromschläge Patienten mit Herzstillstand reanimiert werden. Die Ärzte agieren dabei stets sehr flink und das Hilfspersonal muss in den Hintergrund treten, wenn was-weiß-ich-wie-viele Volt durch den Körper jagen, um den Halbtoten voller Wucht zurück ins Leben zu befördern.

---ENDE DER LESEPROBE---