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Iogis Götterglaube erhält erste Risse, Religion und Wirklichkeit passen nicht mehr zusammen, er beginnt an den göttlichen Dogmen zu zweifeln. Noch sind die Götter allmächtig. Durch diese Macht zwingt die Göttin Alicia Miro, gefesselt zu einem Liebesspiel, daraus entwickelt sich eine Beziehung aus Furcht und Begierde, über der bald dunkle Wolken der Veränderung heraufziehen.
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Seitenzahl: 502
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Önne Hedlund Die Götter mit den blauen Haaren
In göttlichen Händen
Fantasy, Abenteuer, Erotik oder Thriller, in welche Schublade gehört dieses Buch?
Iogis Götterglaube erhält erste Risse, Religion und Wirklichkeit passen nicht mehr zusammen, er beginnt, an den göttlichen Dogmen zu zweifeln. Doch noch sind die Götter allmächtig. Durch diese Macht zwingt die Göttin Alicia, Miro gefesselt zu einem Liebesspiel, daraus entwickelt sich eine Beziehung aus Angst und Begierde, über der bald dunkle Wolken der Veränderung heraufziehen.
Hinweis:
Bitte lesen Sie den ersten Teil vor dem zweiten!
Warnung:
Manche, der in diesem Buch dargestellten, Szenarien sind in hohem Maße gesundheits- oder lebensgefährlich. Es sind Fantasiegebilde zur Unterhaltung und keine Anleitungen zum „Nachspielen“!
Der Autor lehnt jegliche Haftung ab.
Die Handlung ist frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig...
Onne Hedlund
Die Götter mit den blauen Haaren
Teil 1: In göttlichen Händen Teil 2: Wie es war am Anfang
Treten Sie ein in eine fremde Welt!
Önne Hedlund
Copyright: © 2011 Önne Hedlund
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-3486-2
Und Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, um ihn %u bebauen und %u bewahren. Und Gott, der Herr, gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens sollst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, wirst du des Todes sterben!
(Erstes Buch Mose, Genesis 2/15)
„Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen! Wir haben uns zu diesem Gottesdienst versammelt, um uns in Demut bei den Göttern zu bedanken. Sie geben uns Kleidung und manche Nahrung. Sie wachen über unser Wohl und Schicksal. Sie lassen uns in unserem einzigen Dorf wohnen. Sie bewachen und schützen uns vor den Gefahren des verbotenen Gebietes und betten uns ein in ihre göttliche Ordnung. Diese Ordnung ist ein heiliger Schatz, wer sich dagegen versündigt, wird die Strafen dafür, früher oder später, erfahren. Denkt immer daran, die Götter sind allmächtig und sie haben allzeit Recht, mag es uns noch so falsch erscheinen. Wir schulden den Göttern ewig Dank, Respekt und absoluten Gehorsam. Amen!“
Nach diesen Worten entlässt Varus, der Priester des Dorfes, die Zuhörer des Gottesdienstes. Sein Gotteshaus war wie immer voll besetzt, dennoch hat er genau darauf geachtet, wer nicht erschienen ist; renitenten Schwänzern wird er den Besuch seiner Kirche befehlen, bis jetzt hat es noch niemand gewagt sich einer derartigen Einladung zu, widersetzen. Der Priester spricht hier, stellvertretend für die Allmächtigen, nicht nur Gebete, sondern auch beliebige Strafen aus, die nur die Götter selbst, zurücknehmen können.
Iogi, ein für sein Alter groß gewachsener und weit entwickelter Knabe an der Schwelle zum Mann, verlässt mit seinem Freund Swen die Kirche. Er kennt die meisten Predigten seines Großvaters auswendig, so oft hat er sie bereits gehört. Morgen jedoch darf er an einer praktischen Anwendung teilnehmen. Eine Kuh ist entlaufen und wurde an der Grenze ihres Territoriums gesehen. Zwei erfahrene Männer werden sie suchen, der Priester wird mitkommen, um sicherzustellen, dass niemand das verbotene Gebiet betritt und Iogi darf seinen Großvater begleiten.
„Stopp, wir dürfen nicht mehr weiter!“ Die energische Stimme des Priesters ertönte hinter der Gruppe. Iogi setzte sich erschöpft nieder, die beiden Männer blickten sich erstaunt um. „Warum, die Spur ist, ganz frisch, die Kuh kann nicht mehr weit vor uns sein.“„Hier ist die Grenze unserer gottgegebenen Welt, kein Dörfler darf sie übertreten.“
Wenige Baumlängen voraus schiebt sich das gesuchte Vieh durch das Unterholz, Iogi sieht es zuerst. „Da ist sie“ flüstert er und zeigt sie aufgeregt den Männern. „Ich hole sie“ sagt Albert und setzt sich in Bewegung. „Du gehst keinen Schritt weiter“ schreit Varus und packt Albert am Arm. „Die Götter werden dich und uns alle strafen, wenn du Ihre Gebote missachtest.“ „Wegen der paar Schritte werden die Götter bestimmt kein Aufsehen machen“ wirft Eras ein. „Schließlich wollen sie Milch von uns und die Milch dieser Kuh wird uns fehlen.“ Blitzschnell und ohne Vorwarnung stößt der Priester zu, die im Feuer gehärtete Holzspitze seines Stabes stoppt nur einen Finger breit vor Erass Brust. „Spinnst du“, schreit Eras und springt zurück. „Es ist nichts passiert“ entgegnet Varus ruhig und stützt sich wieder auf seinen Stab. „Aber eine Hand breit weiter und du wärst tot — du siehst, was eine Grenze bedeutet.“
Varus kann sich solche und noch drastischere Belehrungen leisten. Der Priester ist viel größer als der, knapp eins siebzig messende Eras und uralt. Alle Dörfler, auch die alten wie Erass Eltern, kennen ihn nur als Erwachsenen.
Sein Haar ist ergraut und teilweise verschwunden und beim Gehen stützt er sich immer häufiger auf seinen Stab, aber niemand würde es wagen, sich gegen ihn zu stellen. Varus steht mit den Göttern in Verbindung, er erbittet ihre Gaben, wie Kleidung, Werkzeuge und vieles andere, für die Dörfler. Aber er wacht auch mit sehr harter Hand über die Einhaltung der göttlichen Gebote und verhängt bei Missachtung schwerste Strafen. „Was sollen wir also tun?“ Wirft Albert missmutig in die Diskussion ein. „Wir können nur warten und hoffen, dass die Kuh in unser Gebiet zurückkehrt — und wenn nicht, ab nachhause“ antwortet Varus enttäuscht aber bestimmt. Die Kuh ist inzwischen aus der Sichtweite getrottet. „Idiotisch“ nörgelt Eras „zwei Tagesmärsche hin zur Grenze, die Kuh gesehen und ohne Kuh zwei Tagesmärsche zurück, das darf doch nicht wahr sein.“ „Reg dich ab“ unterbricht ihn Albert, der nun die Führung wieder übernimmt. Albert ist einer der stärksten Männer des Dorfes, mit 23 Jahren geringfügig älter und gut drei fingerbreit größer als Eras ist er bei allen Unternehmungen draußen, als Anführer gern gesehen. Sein wirres, schwarzes Haar und sein Vollbart geben ihm ein verwegenes Aussehen und eine natürliche Autorität. „Wir warten hier einen Tag, und wenn die Kuh dann nicht zurückgekommen ist, gehen wir heim. Und zur Abwechslung, Eras — auf geht’s Hütte bauen.“
„Ich besorge Zweige für Dach und Wände“ ruft Iogi und springt auf, auch Varus macht sich unaufgefordert an die Arbeit.
Zu Beginn der Dämmerung ist das Werk vollbracht. Die dreieckförmige Hütte kauerte sich unter einer mächtigen Fichte, deren Stamm ist als Stütze Bestandteil eines Giebels. Die tieferen Äste bildeten ein Überdach, und so werden die Vier die Nacht geschützt verbringen können. Nach einem Abendessen aus ihrem Reiseproviant legten sich alle auf einer dicken Streu aus frisch gefallenem Herbstlaub zur Ruhe.
Sie schlafen zum Schutz vor der Kälte in ihrer Kleidung eng zusammen unter zwei Decken die ihr Dorf, wie so vieles andere, von den Göttern erhalten hatte. Eine Wache ist unnötig, da es durch die Obhut der Götter keine feindlichen Wesen gibt.
Iogi wusste nicht, was ihn weckte, die Kälte, leises Fluchen oder die Bewegungen der Männer, jedenfalls war es extrem kalt und recht hell. „Ob uns die Götter für den Versuch unser Gebiet zu verlassen strafen“ fragte Eras den Priester. „Wir haben uns an die Gebote gehalten, ich glaube nicht, dass die Götter diesen frühen Wintereinbruch wegen uns geschickt haben.“ Erwidert Varus. Albert hängt die Zweige vom Hütteneingang ab und tritt hinaus, der Schnee reicht ihm fast bis zu den Knien, die anderen folgen ihm. „Da seht“ ruft Eras und beschreibt mit der ausgestreckten rechten Hand einen horizontalen Bogen.
„Das war unsere Kuh“ jubelt Iogi und wühlt sich durch den tiefen Schnee nach vorne. „Wir müssen uns beeilen sonst wird die Spur noch ganz zugeweht“ bemerkt Albert und greift zu seinem Stab und Bündel.
Die Euphorie darüber, dass die verblassende Spur in ihr Gebiet zurückführt, reißt alle mit, doch der hohe Schnee fordert bald seinen Tribut: Die beiden jungen Männer schreiten kräftig voran, der vierzehnjährige Iogi und der alte Priester können nicht folgen. „Wartet wir können nicht so schnell“ ruft Varus. Albert dreht sich um und ist erstaunt über seinen Vorsprung. Mürrisch stiefelt er zurück. „Die Spur wird verweht, wenn wir so schleichen! Geht ihr zur Hütte und wartet dort auf uns, wir kommen später mit der Kuh dorthin zurück.“ „Keiner weiß, wann ihr die Kuh erwischt, wir warten bis morgen Früh auf euch und schlagen uns dann alleine durch, bei dem Schnee brauchen wir sicherlich drei Tage bis zum Dorf“ keucht Varus. „Gut, wir geben euch unseren Proviant — wir kommen auch ein paar Tage ohne Essen aus — und wenn absehbar ist, dass wir es bis morgen Früh nicht zur Hütte schaffen, gehen wir mit der Kuh direkt zum Dorf.“ Erwidert Albert und übergibt, wie auch Eras, seinen Proviantbeutel.
„Viel Glück — aber bleibt immer auf unserem Gebiet sonst erzürnt ihr die Götter“ predigt der Priester, dessen Atem sich inzwischen beruhigt hat. „Woher sollen wir die Grenze kennen, wir haben dich ja deswegen mitgeschleppt, damit du uns das Ende unseres Gebietes zeigst.“ grollt Eras. „Ihr kennt die Grenze so ungefähr, und wenn ihr sie in diesem Notfall, ohne Priester, unwissentlich ein bisschen überschreitet, drücken die Götter sicherlich ein Auge zu. Lasst euch von eurem Gewissen leiten. Ihr dürft aber nicht übertreiben.“ Mahnt Varus. Danach trennen sich die Gruppen. Außer Hörweite wundert sich Eras „Der Alte wird allmählich sonderbar, gestern sticht er mich, wegen ein paar Schritten fast ab und heute können wir uns von unserem Gewissen leiten lassen.“ Albert bleibt eine Antwort schuldig, schreitet aber schneller aus, sodass Eras die Lust an einer Unterhaltung vergeht.
Bei der Hütte angekommen suchen sich Iogi und sein Großvater eine schneefreie Sitzgelegenheit, um zu frühstücken. Sie essen still, jeder ein bisschen enttäuscht, dass er noch nicht oder nicht mehr mit den jungen Männern mithalten konnte. Iogi bricht das Schweigen. „Was machen wir jetzt? Mir ist langweilig.“ Der Priester lächelt müde. „Warten — ich werde in der Hütte etwas stille Zwiesprache mit den Göttern halten, das könnte dir auch nicht schaden.“ Das ist keine verlockende Aussicht für einen Vierzehnjährigen, er greift nach seinem Stab, hängt sich seinen Vorratsbeutel um und entgegnet: „Ich schaue mich hier lieber etwas um — ich möchte dich bei deinen Gebeten nicht stören.“ „Na gut“ erwidert Varus „aber halte dich nur in diese Richtung, damit du in unserem Gebiet bleibst — verstanden!“
Iogi nickt und stapft in die angegebene Marschrichtung davon.
Er ist der Lieblingsenkel von Varus, schlank, einssiebenundsechzig groß, muskulös und vor allem, für sein Alter, sehr überlegt in seinem Verhalten. Dies ist sicherlich der Grund, warum sich die Beiden so schätzen und er den Priester oft begleiten darf.
Der Schnee beginnt in der Vormittagssonne bereits zu tauen, in dieser breiig werdenden Masse wird das Vorwärtskommen immer mühsamer. Iogi wendet sich nach rechts, in der Hoffnung die Spur der beiden „Kuhjäger“ und sie selbst zu finden. Nach einiger Zeit findet er sie tatsächlich, die Fußabdrücke der beiden Männer sind noch deutlich genug um ihre Richtung zu bestimmen, und folgt der Fährte auf müden Beinen. Etwas später verliert der Junge jedoch die Lust an der Verfolgung und schlurft, nach einer kurzen Essenspause, auf der Spur durch den Matsch zurück in Richtung Hütte.
Es kommt ein warmer Wind auf und manchmal hört man den fernen Donner eines aufziehenden Gewitters. Iogi erreicht die Stelle der Fährte, an der sich heute Morgen die beiden Männer von ihnen getrennt hatten. Er möchte seinen Opa überraschen und hält sich nun in einem dicht bewachsenen Waldstück parallel zur Spur. Bald kommt die Hütte in Sicht. Kurz danach sieht er auch seinen Opa, der mit dem Rücken zu ihm steht und wild mit den Armen durch die Luft wedelt, als ob er eine Kuh aus dem Garten scheuchen will.
Merkwürdigerweise ist kein zugehöriger Ruf zu hören. Iogi schleicht sich langsam, immer gut in Deckung, näher. Da sieht er es - beziehungsweise ihn, ein sehr großer, massiger Mann hält auf seinen Großvater zu und lässt sich von dessen wilden Gesten nicht aufhalten. Iogi ist versucht seinem Opa zu Hilfe zu eilen und fasst seinen Speer fester, doch ihm ist klar, dass sie, ein alter Mann und ein Knabe, gegen diesen heranschreitenden Hünen keine Chance haben. Warum ist Großvater nicht geflüchtet, als es noch möglich war; stattdessen wedelt er nur weiter schweigend mit den Armen.
Das Gewitter ist näher gekommen. Einzelne Windböen wechseln sich mit nahezu windstillen Phasen ab. Der Fremde bleibt einige Schritte vor Großvater stehen und der Wind weht einzelne Wortfetzen an Iogis Ohren. „Hallo - zu spät - Mühe“ Großvater lässt die Arme sinken und entspannt sich etwas, auch seine Worte sind nur teilweise verständlich. „Selbstmö.. .schnell um, vielleicht ... Götter ... wissen ... einsichtig, dass ich dich nicht ... bald ... zwei Männer ... töten.“ Die ersten Tropfen, mehr Regen als Schnee werden heran geweht, der Fremde zeigt zur Hütte und die beiden Männer kommen näher. Mit Schrecken und Erstaunen erkennt Iogi, dass der fremde Hüne, wie auch Varus, den dicken, goldenen Halsring als Zeichen der Priesterwürde trägt. Großvater lässt dem Unbekannten den Vortritt und schlüpft nach ihm gebückt in die Hütte. Iogi nutzt die Gelegenheit und kriecht näher heran, obwohl er auf dem kalten, nassen Boden im Regen liegt, ist ihm vor Neugier ganz heiß, er versucht erneut der, jetzt besser verständlichen, Unterhaltung zu folgen. ... „Wir haben das Jahr neununddreißig nach der Errettung durch die Götter, du warst also bei ihrer Ankunft schon erwachsen.“ — „ Du brauchst nicht weiter zu fragen, wie jeder und als Priester ganz besonders, weißt du, dass Nachforschungen vor das Jahr null verboten sind und von den Göttern mit dem Tod bestraft werden. Ich lebe nur weil ich meinen Schwur, darüber zu schweigen und jeden Frager den Göttern zu melden, halte.“ Nach diesen Worten wird Iogi plötzlich die Kälte bewusst und auch, dass er selbst seinen Großvater nie in dieser Richtung befragen darf. Der Fremde hat nicht so viel Skrupel und lacht. „Du kannst mich ruhig anzeigen, das ist nur eine Lappalie, was glaubst du, warum ich mein Dorf verlassen habe und hier, in für mich verbotenem Gebiet, bin? — Ich habe zwei von diesen allmächtigen Göttern getötet!“ Iogi kann seinen Aufschrei gerade noch unterdrücken und er spürt auch das Entsetzen, das seinen Großvater befällt. Nach einer Pause geht das Gespräch weiter. „Wie konntest du das tun!“ „Sie haben meine Theresa vergewaltigt.“ Es herrscht wieder Stille, danach spricht Varus salbungsvoll wie bei seinen Predigten in der Kirche. „Es ist eine Gnade, wenn sich ein Gott einem Dörfler zuwendet und eine Ehre für all seine Verwandten und Freunde. Du müsstest dankbar sein, dass die Götter deine Frau erwählt haben.“ „Ist mir bekannt, ich bin Priester wie du und habe diese scheinheiligen Phrasen selbst viel zu oft gepredigt. Aber Theresa hat diese göttliche Zuwendung nicht überlebt und sie war nicht meine Frau, sie war meine Tochter — und sie war vier!“
Das lähmende Entsetzen das diese Worte auslösen ist noch schlimmer als das nach dem Gottesmordgeständnis. Nach einer langen Pause hört Iogi, wie im Traum, Varuss Stimme, sie klingt freundlich und zugleich sachlich distanziert. „Es tut mir leid, dennoch muss jeder Dörfler dich, nach dem Gebot der Götter, töten oder dich den Göttern ausliefern. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit um deinen inneren Frieden zu finden, denn die Götter oder die Dörfler werden dich bald zur Strecke bringen. Wenn meine beiden jungen Männer zurück sind, muss ich sie auf dich hetzen.“ „Ha-ha, jung und dumm, glaubst du, dass sie wirklich dumm genug sind, um sich mit mir anzulegen?
In meinem Dorf haben es einmal fünf Männer versucht, drei von ihnen können heute, nach eineinhalb Jahren, noch nicht richtig arbeiten. Und die zwei allmächtigen Götter, sie hielten sich für unbesiegbar — ich habe einem das Genick gebrochen und den anderen mit meinem Speer an den Boden genagelt. Ich fürchte weder Menschen und erst recht keine Götter, denn bei dem Wetter werden die hohen Herren nicht im Wald herum suchen und das Risiko eingehen von mir getötet zu werden.“ „All dein Selbstbewusstsein und deine Stärke wird dir nichts nützen, die Götter die dich jagen haben Waffen jenseits deiner Vorstellungskraft, sie werden dich vernichten und ihr Risiko ist kleiner, als das Risiko eine Fliege zu erschlagen.“ „Diesen Schwachsinn habe ich auch gepredigt, weil auch ich die Predigten gehalten habe, die die Götter mir vorgegeben haben aber ich habe nie daran geglaubt. Du bist ein altersschwacher Feigling und fürchtest dich vor den leeren Worten der Blauhaarigen.“ Aus der Ferne hört man das Muhen einer Kuh, Albert und Eras werden bald zurück sein. Weil der gescholtene Varus beschämt schweigt, fährt der fremde Priester fort. „Ich gehe jetzt, sonst muss ich deinen Männern womöglich wehtun. Und grüße die Götter von mir — aber demütig, wie es sich für einen Speichellecker gehört.“ Varus sagt kein Wort, als der Fremde die Behausung verlässt und Iogi robbt tiefer in den Wald zurück, steht dann auf und rennt von der Hütte fort.
Er wartet die Ankunft der Kuhjäger samt Kuh ab und geht nach einer weiteren Pause zu den Männern, die damit beschäftigt sind, die Kuh für die Nacht sicher anzubinden. „Iogi wo bist du denn gewesen“ begrüßt ihn Eras spöttisch. Iogi möchte nicht ernsthaft befragt werden und gibt den Männern die Antwort, die ihm zwar Schande aber auch Ruhe einbringt. „Ich weiß es nicht so genau, ich habe mich wohl verlaufen und euch erst jetzt gefunden.“ „Kleine Kinder darf man halt nicht alleine in den Wald lassen“ grunzt Eras, aber somit ist die Sache für Iogi schnell erledigt. Beim Abendessen hört er kaum zu, wie die beiden Männer über ihre erfolgreiche Kuhjagd erzählen. Seine Gedanken sind bei dem starken Fremden und dem eher feigen Verhalten seines, von ihm geachtet und geliebten, Großvaters. Diese völlig neuen Eindrücke nimmt er mit in den Schlaf.
Auch auf dem Rückmarsch am nächsten Tag ist Iogi schweigsam und in Gedanken versunken dabei bemerkt er, dass es Varus nicht anders geht, obwohl dieser es sich weniger anmerken lässt. Im Gegensatz dazu sind Albert und Eras fröhlich und ausgelassen. Die nächste Nacht verbringen alle, dicht zusammengekuschelt unter den tief hängenden Ästen einer mächtigen Fichte und trotzen so dem leise einsetzenden Schneefall. Nach dem Frühstück beginnt der letzte Teil des Heimweges.
Grübelnd setzt Iogi einen Fuß vor den anderen, er versucht zum wiederholten Mal Ordnung in seine Gedanken zu bringen: „Es gibt nur unser Dorf und das es umgebende, verbotene Gebiet — aber der Fremde sprach von seinem Dorf und dass er bei uns auf für ihn verbotenem Gebiet ist.
— Merkwürdig.
Es gibt nur einen Priester, den Großvater, - der Fremde ist auch ein Priester.
— Unmöglich.
Die Götter sind allmächtig, - der Fremde hat zwei von ihnen getötet.
— Das kann nicht sein.
Und, Varus hat all diese Behauptungen des Fremden verschüchtert, ohne Widerrede, hingenommen, obwohl Großvater sich sonst immer in jeder Diskussion durchgesetzt hat. Hat der Fremde möglicherweise Recht?“
Iogi weiß nicht ein und aus, er kann weder seinen Großvater noch jemand anders fragen, denn wenn doch alles stimmt, was Varus gepredigt hat, wird eine solche Frage schwer bestraft. Aber wenn der Fremde Recht hat, ist sein großes Vorbild, sein Großvater ein Feigling und Lügner. Diese Vorstellung nagt immer mehr an Iogis Herz und verstärkt sich mit jedem Schritt.
„Hinter dem Hügel müssen Götter auf Motorrädern unterwegs sein!“ Dieser Ausruf von Albert reißt Iogi aus seinen Gedanken. Seine jugendlichen, scharfen Ohren haben das Geräusch schon lange gehört, aber erst jetzt nimmt er es bewusst war, das hochtourige Brummen von Motorrädern. Auch die Landschaft, in der sich die Dörfler befinden, ist ihm bekannt: Die Eschenbrunn Alm, circa drei Stunden vom Dorf entfernt.
Die Alm bildet ein sanftes Tal von etwa sechshundert Schritten Breite und zweitausend Schritten Länge, an drei Seiten von bewaldeten Hügeln begrenzt. Auf Grund ihrer Nähe zum Dorf wurde hier noch vor kurzem Heu gemäht, sodass das Gras recht kurz ist. Iogi und die Seinen bewegen sich parallel zum Waldrand hoch über der Niederung. Da tritt auf der anderen Seite der Alm ein großer Mann zwischen den Bäumen hervor und trabt in ihre Richtung. Kurz, nachdem er den Talgrund erreicht hat, brechen drei Motorradfahrer aus dem Wald. Ihre Motorräder sind anders als die bunten Maschinen, mit denen farbenfroh gekleidete Götter bei schönem Wetter manchmal ihr Dorf besuchten. Sie sind grünbraun und, wie auch die Kleidung der Fahrer, schwer von der Umgebung zu unterscheiden. Die Götter verharren kurz am Waldrand, dann preschen sie auf ihren Maschinen den Hang herunter. Hinter ihnen spritzt eine Fontaine von Dreck fast bis zu den Baum-wipfeln.
Der gejagte Mann, Iogi erkennt in ihm den fremden Priester, läuft gleichmäßig, kraftvoll weiter. Als er etwa hundert Schritte von den Dörflern entfernt ist, bückt er sich geschmeidig während des Laufens, hebt einen faustgroßen Stein auf und wirft ihn mit Wucht in Richtung der Götter. Er verfehlt den mittleren Fahrer nur knapp. Daraufhin reißen die Verfolger ihre Motorräder herum und bringen sie in einer Wolke von spritzendem Schlamm zum Stehen. Der Hüne stößt ein Lachen aus, wendet sich ab und läuft weiter den leicht verschneiten Hang hinauf. Einer der Motorradfahrer hat auf einmal einen seltsamen “Stock“ in der Hand, er streicht mit der Rechten daran entlang und zeigt dann mit diesem auf den fremden Priester, der noch sechzig Schritte von den Dörflern entfernt ist. „Hinlegen — auf den Bauch!“ schreit Varus und wirft sich in den Schmutz. Albert, Eras und Iogi sind von den Ereignissen zu sehr gefesselt, um zu reagieren. Vor dem Fremden spritzen kleine Fontänen auf. Ein heißer Luftzug pfeift an Iogis linkem Ohr vorbei, hinter sich hört er Holz spreißeln. In einem Stakkato von ineinander übergehenden Peitschenknallen brüllt Albert erschrocken auf. Schulter, Brust, Bauch und Oberschenkel des Fremden platzen plötzlich grellrot auf, er schreit, spuckt Blut, überschlägt sich nach vorne und bleibt 20 Schritte vor dem entsetzten Iogi regungslos liegen. Der Schnee um den Fremden ist rot gesprenkelt und es herrscht Stille.
Der Gott verstaut den “Stock“ in einer Halterung an seinem Motorrad, dann werfen die Götter ihre Maschinen an und rollen langsam auf die Dörfler zu. „Auf die Knie mit euch, zur Begrüßung der Götter“ ruft Varus den Gefährten, die noch immer erstarrt dastehen, zu und wischt sich den Dreck aus der Kleidung.
„Lasst mich reden, ihr antwortet nur, wenn ihr direkt gefragt werdet und dann kurz und demütig.“ Die Götter haben die Dörfler erreicht, sie stoppen ihre Maschinen und nehmen die Helme ab. Ihr göttliches, blaues Haar wird sichtbar. Varus tritt mit erhobenen Händen vor, verneigt sich tief, kniet nieder und spricht. „Wir danken euch für die Ehre eures Besuches, dürfen wir irgendetwas für euch tun?“
„Erhebt euch, der kalte Boden tut euren Knien nicht gut.“ Lacht einer der Götter rau. „Ihr seid hier Zeugen einer göttlichen Bestrafung geworden. Dieser Mann wurde bei uns zum Priester ausgebildet aber er hat gegen unsere Gebote verstoßen. Ihr habt ihn sicherlich noch nie gesehen?“ „Ich kenne diesen Mann nicht, woher auch?“ lügt Varus demütig. „Was ist mit dem Mann“ ruft ein anderer Gott und deutet auf Albert. Varus erkennt, dass dieser zwar blutüberströmt aber wohlauf ist und antwortet: „Ein kleiner Teil der göttlichen Strafe muss ihn erwischt haben. Wo tut es denn weh — Albert.“ „Mein Ohrläppchen ist verletzt aber es blutet schon nicht mehr.“ „Das ist sicher die Strafe für eine ungebeichtete Sünde, sei also in Zukunft nicht so nachlässig.“ erwidert der Wortführer der Götter und wendet sich an Varus. „Komm mit zu dem Toten.“ Die Beiden reden außer Hörweite miteinander. Der Gott gibt Varus irgendetwas, dann bückt sich der Großvater zu dem Toten und hat, als er sich wieder aufrichtet, den goldenen Halsring des fremden Priesters in der Hand. Er säubert ihn an seiner Kleidung und reicht ihn dem Gott. Gemeinsam gehen sie zu den Wartenden zurück. Inzwischen hat einer der Götter ein großes Bündel, das er auf seinem Motorrad mitführte, entfaltet. Einen langen Sack aus recht stabil aussehendem Material mit einer langen Öffnung an der Längsseite. „Albert, Eras, zieht dem Toten die Kleidung aus, packt sie unten in den Sack und legt dann die Leiche darüber!“ Befiehlt der Priester den Männern. Nachdem diese grauenvolle Arbeit getan ist, schließt ein Gott den Sack und befestigt ihn mit einem Seil an seinem Motorrad. Er hebt einen Arm und spricht: „Wir müssen jetzt weiter, ihr habt unseren Segen.“
Danach werfen die Götter ihre Maschinen an und brausen, Schlamm spritzend, quer über die Alm davon, einer schleift den Sack hinter sich her. Iogi blickt ihnen nach, schaut sich dann um und bestaunt den großen, halb aus dem Baumstamm hinter ihm herausgerissenen, Holzsplitter. Er hat Glück gehabt ebenso wie Albert mit seinem Kratzer am Ohr, Großvater hatte sie gewarnt und sich selbst hingelegt. „Woher wusste er ...?"
„Auf! Weiter! Bald sind wir zuhause.“ Ruft Varus erleichtert. Alle setzen sich in Bewegung und erreichen noch vor der Abenddämmerung ihr Dorf.
Nach diesem Abenteuer herrscht wieder Dorfalltag: Schweine und Kühe versorgen, melken, Milch liefern und Melkgeschirr säubern. Zur Dorfgemeinschaft von über zwölfhundert Seelen gehören über tausend Kühe und rund fünfhundert Schweine. Die notwendige Arbeit ist nur mithilfe einiger göttlichen Maschinen und Einrichtungen möglich, allen voran der Melkstall, für zwölf Kühe gleichzeitig, und dem Generator, der dafür und anderes, morgens und abends den Strom liefert. Genaueres weiß Iogi auch nicht, er verrichtet nur hie und da kleinere Arbeiten, ein Zustand, der sich nach seinem fünfzehnten Geburtstag ändern wird. Momentan darf er noch seine Jugend genießen. Bei seinen Eltern hat er natürlich Aufgaben in Haus und Garten, die er sich jedoch mit seinem Bruder Karl und seinen Schwestern Rita und Iris teilt. Eine weitere Freizeitbegrenzung ist der Gottesdienst, den alle Kinder von sechs bis vierzehn Jahren wöchentlich besuchen müssen, doch es bleibt Zeit genug für Spiel und Dummheiten, manchmal ist ihm sogar langweilig.
Heute steht für ihn eine interessante Aufgabe an, dafür ist er selbst vom Gottesdienst befreit.
Die Dorfgemeinschaft hält nur maximal neunzig Schweine auf einer umzäunten Koppel, die restlichen werden von den jungen Männern im Wald gehütet. Das heißt, die Hirten versuchen irgendwie zu wissen, wo sich die halbwilden Rotten aufhalten, füttern sie hin und wieder an und sorgen vor allem dafür, dass sie von den Mieten für die Wintervorräte fernbleiben. Die Schweinehirten sind immer für mehrere Tage draußen und werden meist täglich mit Proviant versorgt. Einer solchen Versorgungsmannschaft darf sich Iogi heute anschließen. Unter der Führung von Klaus schultern Eras, Miro, Swen und Iogi ihre Rucksäcke und machen sich auf den Weg. Da die Hirten eher den Schweinen folgen als umgekehrt, ist es für die Versorger immer spannend ob, wann und wo sie die Hüter finden, für Iogi, Swen und mit Abstrichen auch für Miro, ist das Verstecken spielen im Großen. Klaus ist aber sehr erfahren, er steuert, in der von ihm vermuteten Richtung, einen, ihm bekannten, Aussichtspunkt an und schickt Miro dort auf eine gut besteigbare Fichte. „Rauch voraus beim kleinen See“ ruft der hinab. „Also noch eine Stunde“ stellt Klaus fest und geht zügig voran. Am See werden sie von zwei Hirten am Feuer freudig begrüßt. Die Neuankömmlinge stillen zunächst ihren Durst mit Wasser aus dem See, suchen sich geeignete Sitzunterlagen und nehmen am wärmenden Feuer Platz. Die Großen, bei denen Miro auf Grund seiner Körpergröße und seines Auftretens voll akzeptiert ist, sind bald in eine Unterhaltung vertieft, die Swen und Iogi nicht interessiert. Und so verabschieden sie sich zur anderen Seite des Wassers um dort, wo der See von einem Bach gespeist wird, zu fischen. Nach der fünften Forelle erreicht sie ein Ruf vom gegenüber liegenden Ufer. Miro winkt ihnen zu, zurückzukommen. Sie erreichen ihn nach einer viertel Stunde, er ist allein. „Die Schweine sind Richtung Sumpfwald ausgebrochen.“ Erklärt er. „Die anderen verfolgen sie und wir sollen nachkommen.“ Iogi und Swen nehmen ihre Rucksäcke mit dem Proviant auf und folgen dem voranschreitenden Miro.
Tja Miro, obwohl er sein Cousin ist, ist Iogi selten mit ihm zusammen. Dies liegt nicht nur am Altersunterschied, sondern daran, dass der siebzehnjährige Miro bereits größer als mancher Erwachsene ist. Auch sein Verhalten ist schon sehr männlich, er kann glaubhaft über das Thema Nr. 1 mitreden, denn er ist der Schwarm vieler Mädchen, die gerne die Gesellschaft dieses schlaksigen, und rundherum netten, Jungen suchen. Da ist für den kleinen Cousin natürlich nur wenig Platz. Iogi weiß das, fühlt sich aber dennoch von Miro angezogen.
Nach einiger Zeit erreichen sie den Anfang des Sumpfwaldes. Der Boden ist morastig und über dem Untergrund breitet sich ein Gewirr von, zum Teil freiliegenden, Baumwurzeln aus, zwischen denen die Schweine gerne herumwühlen. Miro führt die Jungs durch einen abfallenden Hohlweg als sie plötzlich einem der mächtigen, halb verwilderten, Keiler gegenüberstehen, die sich gerne hier herumtreiben. Das Schwein, das zwar daran gewöhnt ist, hin und wieder von Männern getrieben zu werden, spürt die Angst der Halbwüchsigen und trabt trotzig auf sie zu. „Zurück!“ schreit Miro und wendet sich zur Flucht. Auch Swen und Iogi geben Fersengeld. „Ah — mein Fuß“ kreischt Miro. Iogi dreht sich um und sieht den Cousin am Boden liegen, sein Fuß hängt verdreht unter einer Wurzel, der Keiler ist nur zehn Schritte entfernt.
Laut schreiend schleudert Iogi seinen Speer über Miro hinweg und trifft tatsächlich das Schwein mitten auf der Stirn. Der Speer, ein jugendgerechter Haselnussstecken, tropft vom Kopf des Keilers ab ohne Schaden anzurichten und doch, das Schwein bleibt verwundert stehen, grunzt, dreht sich um und trottet davon. Miro kann sein Glück kaum fassen. „Gut gemacht Iogi, ich bin dir jetzt etwas schuldig.“ „Es ist gut dich zum Freund zu haben“ erwidert Iogi.
Miro hat gerade seinen Fuß von der Wurzel gelöst, da taucht, durch die Schreie alarmiert, Klaus auf. Während er sich Iogis Heldentat anhört, untersucht er Miros Fuß, schmiert etwas kalten Morast darauf und feixt: „Vorsichtig laufen und arbeiten ist mit dem Fuß möglich, nur vor den Mädchen kannst du jetzt nicht mehr so schnell davonlaufen.“ Miro grinst nur schmerzverzerrt und verlegen zurück, hinkt aber ohne Hilfe bis zu Lagerplatz.
Einige Tage später: Iogi hat das perfekte Versteck entdeckt. Hier finden die anderen Kinder ihn nie, auch wenn nach und nach alle nach ihm suchen werden, der Sieg im Versteckspiel ist ihm sicher. Er liegt im Hohlraum der Kirchendecke und blickt durch ein Astloch genau auf den Altar. Wenn die anderen Kinder sich überhaupt in die Kirche herein trauen und unter ihm suchen, darf er nur nicht lachen. Tatsächlich öffnet sich bald darauf die
Kirchentür, Großvater tritt ein — begleitet von einem Gott. Nun aber mucksmäuschenstill und keine Bewegung sonst gibt es Riesenärger denkt sich Iogi. Er hat diesen Gott bereits öfter beim Großvater gesehen. „Magst du ein Bier, Albano?“ fragt Varus weder salbungsvoll noch demütig.
„Gerne Brink“ antwortet der Gott. Iogi hat dies schon einmal gehört, wenn die Beiden sich allein fühlen, nennt Uhrgroßvater diesen Gott „Albano“ und der sagt „Brink“ zu ihm. „Setz dich an den Altar, hier ist das Bier, was führt dich zu mir?“ redet Varus weiter. „Die Stadtverwaltung möchte Hasen jagen.“ „Braucht ihr dazu meinen Segen?“
„Der Spruch ist wirklich gut, Brink.“ Lacht der Gott und entfaltet ein großes, buntes Papier auf dem Altar. Es zeigt, aus Iogis Sicht, merkwürdige Muster: Ganz grob erinnert es an ein Rad; die Nabe in der Mitte, die Speichen und der äußere Bereich, sind schwach Rosa, die dazwischen, eingeschlossenen Bereiche entweder weiß oder blass gelb. Die Speichen sind auch nicht gerade oder gleichmäßig dick, sodass man das Ganze auch als eine, in etwa, kreisförmige Ansammlung von verschiedenen Flecken auf rosa Grund, ansehen kann. Über diesem Grundmuster liegt noch ein Wirrwarr aus Linien, Punkten und Zeichen.
„Das Komitee hat beschlossen, hier zu jagen.“ Fährt der Gott fort und bewegt seinen Finger kreisförmig über zwei weißen Flecken und dem rosa Grund dazwischen. „Bei euch und auf MD4. Und ihr müsst fünfzehn Treiber stellen, denn ihr habt schon Erfahrung mit Gewehren.“
Varus betrachtet die Stelle des Papiers auf die der Gott gezeigt hat und lächelt. „Das verstößt gegen eure eigenen Gebote.“ Albano zuckt mit den Schultern. „Das habe ich auch gesagt, aber ich wurde überstimmt. Es soll dort sehr viele Hasen geben.“ „Das mit den Hasen ist richtig aber unsere Erfahrung mit Gewehren ist nicht sehr bedeutend.“ Entgegnet Varus. „Besser wenig als gar keine Ahnung. Du sollst die drei Männer, die bei der Schießerei dabei waren und zwölf weitere auf ihre Aufgaben und
Verhaltensweisen bei der Treibjagd vorbereiten. Wir holen euch übermorgen hier vor der Kirche um sechs Uhr ab. Seid pünktlich!“ Antwortet Albano und nimmt einen tiefen Schluck Bier. „Und wie wird verhindert, dass wir auf Leute aus MD4 treffen und was sollen wir tun, wenn es trotzt, allem passiert?“ Fragt Varus belustigt. Albano wirkt ein wenig verärgert. „Übermorgen dürfen die MD4ler ihr Dorf nur nach Westen verlassen, drei Mann von uns werden es sogar bewachen. Eine Begegnung ist ausgeschlossen, wenn du dafür sorgst, dass keiner von euch diese Straße überquert.“
Iogi ist erschüttert, dieser Gott redet mit seinem Opa ganz selbstverständlich über ein fremdes Dorf, obwohl doch unser Dorf, laut vielen Predigten von Opa und nach dem Gebot der Götter, das einzige ist. Eine Melodie erklingt, der Gott zieht ein kleines Kästchen aus seiner Jackentasche, hält es an seine Backe und poltert kurz darauf los. „Schöner Mist, warum konntest du es nicht verhindern ... O.K, versuch etwas Zeit zu gewinnen, ich bin in einer guten Stunde da.“ Und zu Varus. „Ich muss sofort zurück, eine Dringlichkeitssitzung im Rat der Hundert, wir sehen uns übermorgen.“ „Ich bringe dich zum Auto.“ Antwortet Großvater und eilt mit Albano aus der Kirche. Endlich darf sich Iogi rühren. Er klettert aus seinem Versteck, streckt die steif gewordenen Glieder, schleicht zur Kirchentür, öffnet diese einen Spalt und lugt nach draußen. Albanos Auto fährt gerade mit durchdrehenden Reifen davon und Großvater ist, auf dem Rückweg zur Kirche, nur noch zwanzig Schritte entfernt. Iogi überlegt fieberhaft wo er sich verstecken soll da kommt ihm das Glück in Form des Dorfvorstehers zu Hilfe. „Hallo! Varus, die Dorfverwaltung braucht deinen Rat, wir sitzen alle beim Bier im Rathaus.“ Großvater verschwindet mit dem Bürgermeister hinter dem nächsten Haus, die Luft ist rein.
Iogi hat die Kirchentür schon geöffnet, da fällt ihm ein, dass das Papier noch vergessen auf dem Altar liegt. Ihm ist mittlerweile klar geworden, dass dies ein Plan der weiteren Umgebung ihres Dorfes ist. Den will er sich genauer betrachten. Als er davor steht, ist er von den vielen Details verwirrt. Iogi hat bis jetzt nur mit einem Stock auf den Boden gezeichnete Pläne gesehen und dazu gleich eine Erklärung in der Form: „Wir sind hier, dann gehen wir nach Süden bis zu dieser Wiese, dort links an dem Berg vorbei nach ... usw.“ gehört. Doch er hat einen Anhaltspunkt, hier hin hat der Gott gezeigt erinnert sich Iogi und sein Finger kreist über dem gleichen Bereich wie noch vor Kurzen der Finger des Gottes. Zwei weiße Bereiche, getrennt und umgeben von Rosa; etwa in der Mitte jedes weißen Gebietes ein kleiner schwarzer Fleck. Daneben merkwürdige Zeichen und — dahinter eine „5“. Iogis Augen gleiten linksherum und finden „4“ — „3“ — „2“ — „1“ jeweils am Ende der Zeichen bei den schwarzen Flecken im weißen Gebiet. Was hat Albano vorhin gesagt? Das müsste dann das fremde MD4 sein und Iogis Finger liegt auf der „4“, er wandert nach rechts — und das sind wir! Allmählich lichtet sich der Wirrwarr des Planes und gibt Informationen frei. Dieser rote Strich ist die Hauptstraße, zu der wir immer die Milch bringen, diese blaue Linie der Eschenbach, dieser Bereich mit den vielen kleinen, kurzen Strichen die Eschenbrunnalm, umschlossen von Bereichen mit vielen kleinen Spitzen — die bedeuten sicher Wald. Iogi beginnt sein neues Wissen anzuwenden, sein Finger rutscht nach links Richtung MD4 zum übermorgigen Jagdrevier. Kleine, kurze Striche — die große Sommerweide, ja hier gibt es viele Hasen. Die blaue Linie die Weiß und Rosa trennt — der Grenzbach, der den Anfang des verbotenen Gebietes anzeigt. Iogi “betritt“ das verbotene Gebiet. Ein schmaler Waldstreifen entlang des Baches, dass Wald hinter dem Bach steht, war Iogi bekannt, nur dass er so schmal ist, nicht. Dann wieder Wiese, ein weiterer Bach parallel zum Grenzbach - Wald, etwas breiter, an seinem Ende endet auch Rosa, verbotenes Gebiet — nochmal Wiese, durch die sich ein roter Strich zieht. Die Straße, die wir übermorgen nicht überschreiten dürfen und dann ... Iogi kann nichts mehr richtig erkennen, die aufkommende Dunkelheit des Nachmittagsendes im Spätherbst verhindert weitere Erkenntnisse, so verlässt er ungesehen die Kirche und geht nachhause. Bald darauf liegt er im Bett und träumt davon das ominöse MD4 zu besuchen.
Die Familie frühstückt gerade als, nach dem Klopfen an der Tür, Miro, von Iris, dem Nesthäkchen, hereingelassen, die Küche betritt. „Guten Morgen“ „Hallo Miro, setz dich, magst du eine Tasse Tee? Himm- und Brombeerblätter fermentiert.“ Antwortet Rita. Sie ist Iogis große Schwester, etwas kleiner als er, ebenfalls blond, schlank, und wie Iogi meint, ganz gut gebaut. Wie alle Mädchen ihres Alters hat auch sie ein Auge auf Miro geworfen. Der setzt sich und blinzelt Rita zu. „Sehr gern hast du die Blätter gesammelt?“ „Ja und auch selbst fermentiert.“ „Mmm, er schmeckt ausgezeichnet.“ „Mmm, er schmeckt auch nicht anders als jeder andere Himm- und Brombeerblätter Tee“ neckt Karl, Iogis kleiner Bruder, die beiden Turteltauben.
Daraufhin verkündet Miro, etwas wichtigtuerisch, seine Botschaft: „Der Priester bittet euch, Herr Birke und dich Iogi, gleich nach dem Frühstück in die Kirche, es wird bis Mittag dauern und ist sehr wichtig. Es kommen noch weitere Männer.“ Bei dem Wort “Männer“ blickt er Karl verächtlich an. Dieser hat verstanden und mault. „Wo ist denn Iogi ein Mann?“ Die „Männer“ strafen ihn durch Ignorieren und brechen auf. Johann Birke, Iogis Vater, bleibt sitzen. „Ich komme nach, wenn ich fertig bin, es wird schon nicht so dringend sein.“ Auf dem Weg zur Kirche äußert sich Miro geheimnisvoll. „Das wird sicher eine große Sache, wenn Klaus und Albert mit von der Partie sind; ich konnte Großvater überreden, dich mitzunehmen.“
Durch diese Angeberei lässt Iogi sich hinreißen und erwidert lässig. „Es geht darum den Göttern bei der Jagd zu helfen, an der großen Sommerweide und Albert, Eras und ich sind dazu auf ausdrücklichen Wunsch der Götter dabei.“ Kaum sind die Worte heraus bedauert Iogi zu tiefst, mit seinem Geheimnis, so geprahlt zu haben. Miro mustert ihn staunend und stellt die befürchtete Frage. „Woher willst du das denn wissen?“ Iogi zermartert sich den Kopf nach einer zufrieden stellenden Erklärung und antwortet nach einer Pause lächelnd: „Er ist auch mein Großvater.“ Nach und nach treffen die eingeladenen Männer in der Kirche ein, Iogis Vater, unter Varus strengen Augen, als Letzter. Der Priester steigt die Stufe zum Altar empor und beginnt. „Ich freue mich, dass wir nun“ - mit Blick auf Johann „endlich — vollzählig sind.“ Er hebt die Arme zum Gebet. „Ehre und Dank sei den Göttern die gnädig und helfend über uns wachen .“ „. Amen.“
Nach dieser langen Andacht kommt er zur Sache. „Die Götter beglücken uns mit ihrem Vertrauen und schenken uns die Ehre ihnen morgen bei der Hasenjagd behilflich zu sein. Dabei werden wir auf ihren Wunsch auch den Grenzbach bei der großen Sommerweide überschreiten und soweit nach Westen in das verbotene Gebiet gehen, wie ich es euch im Namen der Götter erlaube. Aber keinen Schritt weiter, niemand von euch darf sich westlich von mir aufhalten.“ Aufgeregtes Gemurmel erfüllt die Kirche. „Ruhe! Die Götter werden bei der Jagd so genannte Gewehre verwenden“ ruft Varus und hält ein geschnitztes Brett in die Höhe; Iogi erkennt die große Ähnlichkeit mit dem Stock, den die Götter zur Tötung des Fremden auf der Eschenbrunnalm benutzt hatten. „Wer hat so was Ähnliches schon mal gesehen?“ Albert, Eras und Iogi melden sich. „Nun Albert, du warst am meisten betroffen — erzähl mal!“ Fordert ihn Varus auf. „So ein Gewehr bringt Schmerz und Tod aus großer Entfernung. Eras und ich haben euch ja vor Wochen erzählt, wie die Götter diesen ungehorsamen Priester getötet haben und mein Ohr verletzt wurde. Diese Götter hatten so ein Gewehr.“ Die Männer in der Kirche flüstern erregt miteinander. „Was hat der Gott damit gemacht?“ Fragt der Priester, und das Gemurmel verebbt. „Er hat mit dem Gewehr in die Richtung von uns und dem Fremden gezeigt.“ Ruft Iogi. „Sehr gut beobachtet“ lobt der Großvater stolz und fährt fort. „Deshalb ist es ganz wichtig, dass man niemals da steht, wohin ein Gewehr zeigt.“ Varus belehrt anschließend die Männer den ganzen Vormittag lang über das Verhalten bei der morgigen Treibjagd.
Bereits um fünf Uhr haben die Kirchenglocken das gesamte Dorf aus dem Schlaf gerissen, obwohl ihr Weckruf nur den auserwählten Treibern galt. Seit kurz nach halb sechs stehen sie vor der Kirche, im drei Finger hohen Neuschnee der Nacht, in kleinen Grüppchen zusammen und unterhalten sich über die bevorstehende Jagd. Endlich ist das Geräusch von Fahrzeugen zu hören, die sich zum Dorf bewegen. „Da kommen sie!“ Ruft Klaus und in der Ferne, Richtung Milchverladeplatz, flackert, immer wieder durch Bäume verdeckt, fahles Scheinwerferlicht in der Finsternis. „Männer!“ Ruft der Priester. „Bei aller Aufregung vergesst nicht, dass es die Götter sind, die da kommen. Wir müssen sie gebührend empfangen.“ Drei Scheinwerferpaare fressen dich durch die Dunkelheit des Dezembermorgens und kriechen zum Dorf. Geführt von einem schwarzen Geländewagen fahren zwei dreiachsige, dunkelgrüne Lastwagen vor der Kirche auf. Aus jedem Fahrzeug steigt ein Gott aus und stapft auf die Männer zu, diese knien sich in den Schnee und beten. „Ehre und Dank sei den Göttern, die gnädig und helfend über uns wachen .“ Einer der Götter, Iogi erkennt Albano, hebt die Hand, worauf das Gebet unregelmäßig verstummt. „Danke und guten Morgen, erhebt euch, wir sind spät dran. Priester, du fährst mit mir, ihr anderen verteilt euch auf den Ladeflächen der Transporter und dann Abflug!“
Iogi klammert sich, wie alle seine Mitfahrer, krampfhaft an die Sitzbank auf der Ladefläche des LKWs. Seit sie die Straße verlassen haben und über offenes Gelände fahren, ist die Schaukelei unerträglich. Bei einer besonders gemeinen Bodenwelle hat die Bank sogar zwei Männer abgeworfen, die dann fluchend auf der Ladefläche herum kugelten, bis sie sich endlich wieder auf ihren Sitz zurückkämpften. „Wie lang soll das noch so gehen?“ Jammert eine Stimme aus der Dunkelheit. „Halt dich fest und sei froh, dass du eine Plane über dem Kopf hast und nicht laufen musst.“ Kommt eine Antwort zurück.
Kurze Zeit später stoppt der LKW und die Treiber dürfen aussteigen. Auf einem unbekannten Platz parken fünf große Transporter und drei Geländewagen. Sie stehen in einem Dreiviertelkreis, die Scheinwerfer nach innen gerichtet und beleuchten so ein geschäftiges Treiben von gut zehn Göttern. Diese weisen den Neuankömmlingen schnell Arbeit zu. „Alles von diesem LKW abladen und dort neben der Werkzeugkiste stapeln.“ Werden Iogi, Eras und zwei weitere Dörfler angewiesen. Sie fangen an. Iogi muss den Stapel Bierbänke, die er mit Eras schleppt, absetzen, er ist für ihn zu schwer. Einer der Götter schimpft los. „He, niemand hat etwas von Pause gesagt.“ Und als er erkennt, dass es sich um einen Jungen handelt, „wir brauchen hier Männer die anpacken können und keine Babys. Welcher Idiot hat den da hergeschickt?“ „Ich wollte ihn auch nicht dabeihaben, aber der Mayer Joe hat darauf bestanden.“ Mischt sich Albano ein, der gerade vorbeigeht. „Der Mayer Joe, na ja, der Junge hat wirklich einen hübschen Knackarsch.“ „Das will ich überhört haben. Ich nehme ihn mit zum Verpflegungsteam, die sollen Ihnen dafür einen Mann schicken. O.K?“ „Sie sind der Boss Herr Berat.“
Nach einiger Zeit ist das Lager, bestehend aus einem offenen Zelt, Tischen, Bänken, Kochstelle, Bierkisten usw. in groben Zügen zur Zufriedenheit der Götter errichtet. Um die Dörfler zu beschäftigen, lassen die Götter noch ein paar zum Teil nicht sinnvoll erscheinende, Feinarbeiten ausführen.
Ein schriller Pfiff ertönt, einer der Götter steigt auf eine Bank und verkündet von oben den Jagdbeginn. Die Treiber stellen sich, mit jeweils zwanzig Schritten Abstand zueinander, in einer langen Reihe auf. Hinter dieser Linie platzieren sich Albano, ein weiterer Gott und Varus; der gibt das Kommando. „Männer! Haltet die
Linie und eure Abstände ein und jetzt nur in diese Richtung bewegen. Abmarsch!“ Die Treiberkette rückt nach Osten auf den, circa tausend Schritte entfernten Wald vor, der an die Lagerwiese angrenzt. Jeder Treiber schlägt immer wieder seine beiden Speere zusammen und stößt ab und zu einen Schrei aus. „Außen weiter vorrücken, weitersagen!“ Schreit Varus und wie am Vortag gelernt, verändert sich die Linie zu einem Kreisbogen um zu verhindern, dass allzu viele Hasen seitlich ausbrechen. Iogi, dessen Platz halb rechts, mehr in der Mitte der Kette ist, sieht die ersten Tiere in Richtung Wald flüchten.
Die Dörfler an den Flanken sind gerade im Wald verschwunden als Schüsse fallen. „Die äußeren Treiber höchstens 100 Schritt weit in die große Sommerweide hineinlaufen, die inneren Treiber nicht weiter als zum Bach! Denkt daran in Deckung zu bleiben! Weitersagen!“ Brüllt Varus aus dem Hintergrund. Iogi kennt sich jetzt aus, das ist der schmale Wald auf dem Plan der, von der anderen Seite betrachtet, nach dem Grenzbach im verbotenen Gebiet liegt. Das Gewehrfeuer hinter dem Wald wird immer stärker, lässt dann nach und ist, als Iogi sich am Bachrand, hinter einer dicken Erle, in Deckung legt, schon verstummt. Weit oben, auf der sanft zum Grenzbach abfallenden Sommerweide ist, etwa tausendfünfhundert Schritte entfernt, eine Reihe von Geländewagen abgestellt. Alle Götter stehen viel näher zum Bach in einer bogenförmigen Kette, ähnlich der der Treiber und blicken über das Schlachtfeld. Die dünn beschneite Wiese ist mit vielen roten Flecken sowie toten Hasen übersät, einige Hunde laufen auf ihr herum. Ein Gott bläst auf seinem Horn zum Jagdende. Kaum ist der Ton verklungen, ertönt Varuss Stimme von hinter. „Treiber! Helft beim Einsammeln der Hasen und bringt sie zu den Autos! Weitersagen!“
Nachdem das Wildbret auf zwei Fahrzeugen mit offenen Ladeflächen verstaut ist, steigen die Götter ein und fahren zum Lager. Auch die Dörfler sammeln sich zum Rückmarsch. Sie kommen noch vor den Göttern an, da diese einen größeren
Umweg machen mussten. Varus teilt nun die Leute in eine Gruppe für Küchendienst und eine andere zur Bedienung ein. Die Arbeit beginnt. Iogi ist bei den Kellnern, er bringt den Göttern die gefüllten Bierkrüge hinein. Das Zelt wird durch zwei Feuerstellen beheizt, sodass es die, dicht an dicht sitzenden, Götter etwas angenehmer haben. Dennoch müssen etliche Runden Schnaps serviert werden, um sie auch von innen zu wärmen.
Als die Bedienung später das dampfende Jagdessen auftischt, sind die Götter bereits in sehr guter Stimmung. „He, Junge noch ein Bier“ ruft ein Gott. Iogi öffnet die Flasche und will dem Gott einschenken. Dieser zieht seinen Krug aber langsam zurück, sodass Iogi sich weiter vorbeugen muss, um den Krug zu erreichen. Plötzlich spürt er einen derben Griff an seinem Po, weicht erschrocken aus und rempelt den Gott daneben an. Er will gerade zu einer Entschuldigung ansetzen da zischt der Gerempelte den Grapscher an. „Reiß dich zusammen, Joe, selbst dir kann so was in der Öffentlichkeit schaden.“ Ein muffiges „O.K. O.K.“ Ist die Antwort. Und zu Iogi: „Hau ab.“ Bald danach ist das Essen beendet und alle brechen zur Nachmittagjagd auf, die Götter in ihren Geländewagen, die Dörfler wieder auf den Sitzbänken der Transporter. Das Lager soll erst später abgebrochen werden. Nach erneut endlos scheinendem Geschaukel ist das Ziel erreicht. Iogi versucht die Gegend, mit seiner Vorstellung des Planes zu vergleichen. Er steht auf einer Wiese und blickt nach Westen, wo er das fremde Dorf MD4 vermutet. Dort ist, wie rundherum, nur endloser Wald. Solche Stellen gab es viele auf dem Plan; so kann man sich nicht orientieren.
Aus Westen fährt ein Auto auf sie zu, lässt Albano aussteigen und verschwindet, wie es gekommen ist. Dies bestärkt Iogi in der Vermutung, dass sie nach dorthin treiben werden, so haben die Götter die Abendsonne im Rücken und stehen zwischen uns und MD4. Varus zeigt eher nach Südwesten. „Wir marschieren in diese Richtung. Bildet eine durchhängende Kette und treibt von hier durch den Wald. Auf der anderen Seite am Waldrand in Deckung bleiben, bis die Jagd vorbei ist. Alles, wie heute Vormittag, nur führt diesmal Albert, von seinem Platz in der Kettenmitte aus. Ich gehe ganz an die rechte Flanke und niemand darf sich rechts von mir aufhalten. Auf geht’s Albert übernimm!“ Während dieser die Reihe ordnet, gibt Varus Iogi einen Wink ihm zu folgen und die Beiden eilen zu der Seite, an der Albano auf sie wartet. Zu dritt gehen sie nun gemütlich weiter. Iogi erzählt seinem Opa verstört sein Erlebnis beim Bedienen. Der Priester predigt darauf pathetisch: „Du darfst nicht erschrecken, wenn ein Gott dir die Gnade seiner Berührung erteilt. Dein Benehmen war respektlos. Zu deinen Gunsten spricht nur, dass du dich entschuldigen wolltest und den weiteren Weisungen der Götter, zu verschwinden, sofort gehorcht hast. Ich glaube zehn Gebete sind angemessen.“
„Ja, ich werde beten“ ist alles, was Iogi erwidert, als er den festen Griff von Albano auf seiner Schulter spürt. „Geht ihr beide langsam vor, ich muss mal in die Büsche.“ Bemerkt Albano und hält Iogi fest. Varus blickt sich kurz um und geht weiter. Als er gut zwanzig Schritte voraus ist, folgt ihm Albano, er lässt Iogi los und spricht leise zu ihm. „Dein Großvater ist außer Hörweite, was ich dir jetzt sage darfst du ihm niemals erzählen und auch keinem anderen mitteilen, dass ich es dir gesagt habe. Hüte dich vor Joe! Wenn er in dein Dorf kommt, lauf fort, versteck dich und zeig dich erst wieder, wenn er verschwunden ist. Geh nie zuerst zum Bürgermeister, zu deinen Eltern oder gar zu deinem Großvater, es kann nämlich möglich sein, dass er denen befohlen hat dich festzuhalten, bis er wiederkommt. Und wie gesagt, absolutes Schweigen über unser Gespräch und keine Fragen.“
Albano geht nun voran und hat Varus schnell eingeholt. Iogi trottet verblüfft hinterher. Bald haben die Drei den Wald durchschritten und wieder eine Wiese erreicht. In über zweitausend Schritten Entfernung, sind die Geländefahrzeuge zu sehen, die Sicht auf die Jäger wird durch einen Waldvorsprung verdeckt. „Du kannst dort bei der großen Buche Posten beziehen.“ Befiehlt Albano Iogi und deutet auf den markanten Baum in etwa dreihundert Schritten Entfernung. Iogi merkt, dass die Beiden ihn loswerden wollen, und läuft ohne Widerrede zu dem Baum. Dort sucht er sich einen passablen Sitzplatz und versucht seine Gedanken zu ordnen. Die Jagd hat begonnen. Leise schallen das Schlagen der Speere und das Rufen der Treiber in der Ferne. Iogi hört näherkommende Schritte, er geht ihnen entgegen, um die Leute darauf hinzuweisen, dass sie in diese Richtung nicht weiter gehen dürfen, und steht plötzlich zwei Göttern gegenüber. „Weißt du, wo der Priester steckt?“ „Dort mein Gott.“ Antwortet Iogi und deutet in die Richtung. „Lauf voran und sag dem Priester er soll sofort zum Jagdleiter kommen, so schnell wie möglich, jede Minute zählt!“ Iogi rennt los. Die Jagd ist in ihrer heißen Phase, man hört die ersten Schüsse. Ganz außer Atem stützt er sich auf seinen Speer und überbringt die Nachricht. Varus springt auf und läuft Richtung Jagd, er hat noch keine zehn Schritte geschafft als, Albano schreit. „Halt, bleib hier, da stimmt was nicht!“ Varus bleibt stehen und wendet sich den Beiden zu. Iogi hört es hinter sich rascheln und dreht sich um, Albano, der neben ihm steht, tut es ihm nach.
Aus dem Gebüsch brechen zwei Männer hervor, ihre Stöcke zum Schlag erhoben. Iogi stellt sich instinktiv einem in den Weg, um Albano zu schützen. Der eine Mann muss also zuerst den Jungen beseitigen, er schlägt von oben Richtung Kopf. Nun macht sich das viele Stocktraining für Iogi bezahlt. Er reißt seinen Speer zur Deckung nach oben, die rechte Hand greift ihn fest und ist höher als die linke, die nur offen führt. Der Schlag des Erwachsenen lässt Iogis Arme erzittern, doch er rutscht an dem schräg stehenden Stab ab. Albano hat keinen Speer, er hat auch nicht die Reaktion eines Jugendlichen, er hebt den linken Arm zu Schutz und wird da von dem zweiten Mann getroffen. Sein Schmerzensschrei übertönt das Geräusch brechender Knochen. Auch Iogi ist kein Hindernis mehr, nach der ersten Abwehr kann er seinen Speer nicht mehr halten. Die beiden Männer — Götter — wenden sich dem hilflosen Albano zu und holen zum zweiten Mal aus.
Zwei Schüsse krachen. Bei einem Gott spritzt Blut aus dem Kopf, bei dem anderen färbt sich die Brust rot, als sie zusammenbrechen. Varus steht schon bei Albano, drückt ihm etwas in die Hand und gibt ihm hektisch Zeichen. Ein weiterer Schuss fällt und Varus schreit Albano an: „Oh mein Gott, welch ein Glück, dass ihr noch schießen konntet. Sie hätten euch sonst erschlagen! Seid ihr schwer verletzt?“ „Der Arm ist gebrochen und es tut höllisch weh. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch so gut schießen kann. Halte mal den Revolver und dann mein Handy, damit ich wählen kann. Ich rufe den Jagdleiter an, der Polizeichef ist bei der Jagd dabei.“ Während Albano mit dem Leiter spricht, reibt Varus seine rechte Hand und den Revolver immer wieder mit Sand und Schlamm ein und ruft dann: „Verzeihung mein Gott, mir ist die Waffe in den Schmutz gefallen.“ „Putz ihn und gib ihn her.“ Erwidert Albano ungehalten. „Was ist mit dir?“ Kümmert sich Varus nun um Iogi. „Ich bin in Ordnung, nur meine Daumen und Handgelenke tun etwas weh.“ Varus sieht sie sich an, tastet sie ab und wendet sich erleichtert wieder Albano zu. „Mein Gott, warum habt ihr eigentlich danach noch in den Boden geschossen, aus Schmerz, Wut oder Erleichterung?“ Der Gott schaut ihn erstaunt an, dann antwortet er jammervoll. „Aus Erleichterung, ich musste mich abreagieren, ich hätte tot sein können! Ich halte es nicht mehr aus, wo bleiben bloß die anderen? “„Ihr solltet ein wenig umhergehen, mein Gott, das lenkt von den Schmerzen ab. Ich helfe euch.“ Und so führt Varus Albano auf und ab.
Eine Melodie erklingt aus dessen Mantel. Großvater greift hinein und reicht dem Gott das Handy. „Berat! Wo bleibst du denn. Ich bin am Waldrand, nordwestlich von euch, halte die Verbindung, wenn wir dich hören oder sehen, kann ich dich dirigieren. “Kurze Zeit und wenige Worte später steht ein verschmutzter, ehemals weißer, Geländewagen vor Ort. Ein großer, untersetzter Gott in Jagdbekleidung springt heraus und rennt zu Albano. „Papa, was machst du für Sachen! Lass erst den Arm sehen. Hmm, gebrochen, das sieht man sogar durch die Kleidung. Kannst du den Arm frei machen? Warte ich helfe dir.“ Und zu Varus. „Priester! Fass mal mit an.“ Nun ist das ganze Ausmaß der Verletzung sichtbar, der dick geschwollene Unterarm ist zwischen Handgelenk und Ellbogen direkt abgeknickt. Albano jammert leise. „Marco gib mir was gegen die Schmerzen.“ Während der Sohn den Vater verarztet, treffen weitere Geländewagen ein. Vier Götter steigen aus. „Hallo Herr Berat, schlimme Sache, falls du sie nicht kennst das sind Sergio, Hermann und Pedro. Sie werden mich unterstützen. Kannst du schon aussagen oder brauchst du noch ärztliche Hilfe?“ Begrüßt der Chef von ihnen den Verletzten und weist anschließend seine Leute an.
„Sichert das, was vom Tatort noch übrig ist, macht ein paar Fotos, schaut euch die Leichen an und befragt die Dörfler!“ Ein dicker Gott, fast so groß wie Varus walzt auf diesen und Iogi zu und hält Varus sein Handy vor den Mund. „Du bist der Priester, erzähl mal, was hier passiert ist!“ Großvater berichtet. „... Dann zog dieser Gott in höchster Not seinen Revolver und schoss auf die Angreifer, die fielen sofort um .“ Nachdem Großvater geendet hat, wendet sich der Gott zu Iogi. „War es so?“ „Ja, mein Gott.“ Der Dicke steckt sein Handy ein, murmelt ein O.K. und will gerade gehen als ihn Großvater aufhält. „Erhabener Gott darf ich noch etwas anmerken?“ „Sprich!“ „Der Junge hat die beiden Toten zuvor bei der großen Buche getroffen. Von dort könnte man vielleicht ihre Spuren bis zu ihrem Fahrzeug zurückverfolgen.“ „Hmm, schon möglich“ grunzt der Gott und verschwindet Richtung Tatort.
Auch die beiden Dörfler gesellen sich zu der Gruppe von Göttern, die jetzt um Albano herumsteht, allerdings halten sie respektvoll Abstand. Albanos Arm ist verbunden und an seinem Körper fixiert, es scheint ihm besser zu gehen. „Schau mal nach dem Jungen, Marco.“ Bittet er seinen Sohn. Dieser betastet Iogis Hände, fragt ob es da oder bei dieser Bewegung schmerzt und ruft seinem Vater zu. „Nur leicht geprellt, das ist bald vergessen! Aber wir sollten schleunigst ins Krankenhaus, ich muss deinen Arm operieren!“ Und zum Chef der Polizisten: „Heinz, brauchst du Vater noch?“ „Ihr könnt fahren aber ruft mich morgen mal an, bis dahin habe ich sicher noch ein paar Fragen.“ Antwortet der Angesprochene und berät sich gleich mit seinen Leuten. Iogi steht nahe genug um, das Gespräch der Götter zu verfolgen. „Also was haben wir, Hermann?“ „Die Aussagen der Dörfler passen ins Bild, ich werde sie natürlich noch mit den VR-Aufzeichnungen vergleichen, morgen haben Sie meinen Bericht.“ „Schmauch- spuren?“ „Bei denen! Herr Berat hat doch geschossen.“ „Oh Mann! Der Fall mag noch so klar sein, wir müssen in alle Richtungen ermitteln.“ Der Chef dreht sich den Dörflern zu. „Kommt mal her und zeigt mir eure Hände!“ Varus und Iogi gehorchen. Der Gott betrachtet ihre Hände, führt sie zur Nase, und spricht in sein Handy. „Nach vorläufiger Betrachtung sind keine Schmauchspuren an den Händen der Dörfler zu finden.“ Er macht eine auffordernde Kopfbewegung zu seinen Leuten und der Nächste berichtet. „Der Tatort ist völlig zertrampelt, keine verwertbaren Spuren, ich habe ihn dennoch von allen Seiten fotografiert. Der Revolver als eine mutmaßliche Tatwaffe ist sichergestellt. Ich habe auch den Stock, mit dem der mutmaßliche Mordversuch an Herrn Berat begangen wurde, an ihm haften Fasern, die denen des Mantels von Herrn Berat ähneln. Hier müssen wir die Laboruntersuchungen abwarten.“ „Wir haben zwei unbekannte männliche Leichen. Todesursache sind offensichtlich die Schüsse, die den einen knapp unter dem rechten Auge und den anderen etwas oberhalb des Herzens getroffen haben.
Die Projektile stecken noch im Körper, ich weiß nicht ob wir da eine Obduktion oder die Ballistik brauchen. Die Toten haben keine Papiere, kein Handy, ihre Taschen sind vollkommen leer. Vermutlich gedungene Mörder.“ Da meldet sich der, vorher gescholtene, Dicke zu Wort. „Der Junge hat die Beiden doch vor der Tat irgendwo da hinten getroffen, vielleicht kann man ihre Spuren von dort zu Ihrem Auto verfolgen und Hinweise auf ihre Identität finden.“ „Gute Idee, Hermann! Schnapp dir den Jungen und mach das. Pedro! Geh mit!“ Iogi führt die Götter zu der großen Buche, und von dort heften sich alle drei an die, im Schnee, recht deutliche Spur.
Es wird jetzt rasch dunkel, aber die Götter haben starke Handlampen, die den Weg erhellen. Nach ungefähr zehn Minuten verlässt die Spur den Wald und führt über eine Wiese auf ein kleines Wäldchen zu. Nach kurzem Fußmarsch sehen sie dort, schon von Weiten, einen dunkelgrünen Geländewagen. Sofort gehen die Götter zehn Schritte nach rechts und links auseinander. Pedro, der zierliche Gott nimmt sein kurzes Gewehr vom Rücken und streicht mit der rechten Hand an ihm entlang, ein metallisches Klicken ertönt. Der Dicke zieht etwas Revolverähnliches und verursacht dann ebenfalls dieses metallische Klicken. Vorsichtig nähern sie sich dem Fahrzeug, es ist verlassen. Pedro spricht in sein Handy. „Hier Pedro, wir haben das Auto gefunden, es ist niemand zu sehen. O.K machen wir.“ Die Götter ziehen sich weiße Handschuhe an und suchen in dem Auto herum. Erneut spricht Pedro in sein Handy. „Wir haben ihre Papiere, Handys, ein Jagd- und ein Sturmgewehr. Gut wir kommen.“ Und dann zu Iogi. „Steig hinten ein aber lass deine Finger von den Gewehren.“ Iogi tut wie geheißen und eine Nachtfahrt über Stock und Stein beginnt. Im Geländeauto ist die Fahrt im Vergleich zum Lastwagen direkt angenehm.
Am Ziel angekommen geht es sofort weiter, Iogi steigt zu Varus in einen anderen Geländewagen, der sie dann zum Lager bringt. Hier ist das Meiste schon abgebaut. Nur noch drei LKW und ein Auto stehen dort. Nach kurzer Zeit ist das Lager vollständig geräumt und die Dörfler steigen zur Heimfahrt in die beiden Transporter, die sie auch hergebracht hatten. Die Rückfahrt beginnt mit dem bekannten Geschaukele das erst erträglich wird, als sie die Straße erreichen.
„He, Bub! Mittagsschlaf ist vorbei!“ Iogi muss sich erst einmal zurechtfinden, er ist doch tatsächlich in den letzten paar Minuten Straßenfahrt eingeschlafen und wird dafür von den Männern verspottet. Als er noch ganz steif und verschlafen vom Transporter springt, ist stockfinstere Nacht, die nur durch die Scheinwerfer der LKWs und einigen trüben Laternen erhellt wird. Komischerweise ist trotz der vorgerückten Stunde fast das ganze Dorf auf den Beinen. Wollen die Dörfler die Rückkehrer begrüßen? Iogis Müdigkeit ist blitzschnell verflogen, als er die entsetzte Stimmung der Leute wahrnimmt. Ein Gott, der den Transporter gefahren hat, ist ausgestiegen, vor ihm kniet eine Frau im Schnee.