Die Göttinger Prüfverfahren zur Kosteneffizienz von Maßnahmen und Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten im Rahmen der WRRL - sowie Ergebnisse eines Anwendungsfalls - Uta Sauer - E-Book

Die Göttinger Prüfverfahren zur Kosteneffizienz von Maßnahmen und Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten im Rahmen der WRRL - sowie Ergebnisse eines Anwendungsfalls E-Book

Uta Sauer

0,0
30,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL, 2000/60/EG) fanden ökonomische Anforderungen Einzug in die Europäische Gewässerpolitik. Dabei soll im Rahmen der Umsetzung der WRRL den drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – Rechnung getragen werden. Primär zielt die WRRL auf die Erreichung wichtiger Umweltziele in Form der Erreichung oder des Erhalts eines guten Zustands des gesamten Grundwassers sowie aller oberirdischen Gewässer ab als Teil der Säule Ökologie. Um diese Ziele mit dem minimal möglichen Budget zu erreichen, fordert die Richtlinie die Aufnahme kosteneffizienter Maßnahmenkombinationen in das Maßnahmenprogramm als Teil der Säule Ökonomie. Gleichzeitig wurde in der Richtlinie berücksichtigt, dass die Ziele nicht immer sofort, nicht überall und nicht um jeden Preis erreicht werden können, und die Möglichkeit geschaffen, Abweichungen oder Ausnahmen im weiten Sinne in Anspruch zu nehmen. Diese sind insbesondere über die Unverhältnismäßigkeit von Kosten zu begründen. Damit sind wichtige gesellschaftliche Erfordernisse und Effekte in die Überlegungen einzubeziehen, die der Säule Soziales Rechnung tragen. Sowohl für den expliziten Nachweis der Kosteneffizienz von Maßnahmen bzw. Maßnahmenkombinationen als auch für die EU-rechtskonforme Begründung von Ausnahmen fehlten in Deutschland bislang standardisierte Vorgehensweisen. Diese Lücke wird mit den in dieser Publikation vorgestellten standardisierten Prüfverfahren geschlossen. Die Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienz und der Kostenunverhältnismäßigkeit sind auf Basis der EU-Vorgaben entwickelt und werden diesen gerecht. Sie sind praxistauglich, da sie von der Wasserwirtschaftsverwaltung für die Vielfalt der möglichen Gewässerschutzmaßnahmen eingesetzt werden können. Die Göttinger Prüfverfahren erfüllen ferner auch die Anforderung einer frühzeitigen Einbindung von Stakeholdern – da die entscheidungsrelevanten Informationen unter Einbeziehung der zentralen Akteure erfasst und strukturiert werden – und zeigen transparent und nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Feststellung der Kosteneffizienz oder der Kostenunverhältnismäßigkeit basiert. Die so erlangten Prüfergebnisse stellen – im Sinne der EU-WRRL sowie der gemeinsamen Umsetzungsstrategie – eine fachliche Entscheidungshilfe und eine Argumentationsgrundlage für den gesellschaftlichen Diskurs über die Ausgestaltung des Gewässerschutzes dar. Die Göttinger Prüfverfahren sind von der webod.gbr entwickelt worden. Die webod.gbr ist eine Beratungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit, Effizienz und ökonomische Bewertung öffentlicher und ökosystemarer Dienstleistungen. Sie hat Umsetzungsverfahren für die ökonomischen Anforderungen der Europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) und der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) entwickelt und bereits zahlreiche Kosten-Nutzen-Analysen von Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerqualität für Deutschland durchgeführt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 216

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Geleitwort

Einleitung

I Feststellung der Kosteneffizienz

1. Begründung der Kosteneffizienz von Maßnahmen seit dem zweiten Bewirtschaftungszyklus

2. Umfassende Maßnahmenfindungsprozesse als Grundlage für den prozessorientierten Ansatz: das Beispiel Niedersachsen

3. Zur Entwicklung des Prüfkatalogs zur Feststellung der Kosteneffizienz von Maßnahmen

4. Der Göttinger Prüfkatalog zur Feststellung der Kosteneffizienz

5. Anwendungsfall – Trinkwasserentnahmestopp als hypothetische Maßnahme

II Prüfung von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten

1. Zu den Anforderungen der WRRL für die Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten

2. Stand der Diskussion in Deutschland

3. Die Berücksichtigung der Vorgaben der WRRL durch die Göttinger Prüfverfahren

4. Das Göttinger Prüfverfahren für weniger strenge Umweltziele: Die Prüfkataloge

5. Das Göttinger Prüfverfahren für weniger strenge Umweltziele: Zum Ablauf der Prüfung

6. Anwendungsfall – Trinkwasserentnahmestopp als hypothetische Maßnahme

7. Anwendungsfall – Grau- und Regenwassernutzung als hypothetische Ersatzaktivität der Trinkwasserförderung

Zusammenfassung und abschließende Bemerkungen

Literatur

Anhänge

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Prüfung zur Feststellung der Kosteneffizienz der hypothetischen Maßnahme Trinkwasserentnahmestopp

Tabelle 2: Prüfung zur Feststellung der Verhältnismäßigkeit der hypothetischen Maßnahme Trinkwasserentnahmestopp.

Tabelle 3: Prüfung zur Feststellung der Kosteneffizienz der hypothetischen Ersatzaktivität Grau- und Regenwassernutzung

Tabelle 4: Prüfkatalog Maßnahme

Tabelle 5: Prüfkatalog zur Feststellung der Kosten und positiven Effekte zur Sicherstellung ökologischer und sozioökonomischen Erfordernisse einer Ersatzaktivität

 

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Übersicht – Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienz von Maßnahmen

Abbildung 2: Übersicht – Göttinger Prüfverfahren zur Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten.

Abbildung 3: Die drei zentralen Ebenen der Maßnahmenplanung in Niedersachsen.

Abbildung 4: Ausgewertete Dokumente für die Entwicklung des Prüfkatalogs zur Feststellung der Kosteneffizienz.

Abbildung 5: Übersicht erfolgter sozioökonomischer Bewertungen von MSRL-Teilmaßnahmen.

Abbildung 6: Übersicht Prüfkatalog zur Feststellung der Kosteneffizienz von Maßnahmen.

Abbildung 7: Übersicht zur Darstellung umweltbezogener Kosten.

Abbildung 8: Die Kosten und Ausnahmen der WRRL unter Berücksichtigung der „praktikablen Vorkehrungen“ als Kosten zur Erreichung der Umweltziele.

Abbildung 9: Übersicht zur ausnahmespezifischen Struktur der Göttinger Prüfverfahren.

Abbildung 10: Übersicht zur Darstellung umweltbezogener Kosten und Nutzen.

Abbildung 11: Zusammenhang der Prüfkataloge.

Abbildung 12: Prüfkatalog Maßnahme.

Abbildung 13: Prüfkatalog zur Feststellung der Kosten und positiven Effekte zur Sicherstellung der sozioökonomischen Erfordernisse.

Abbildung 14: Prüfkatalog für abweichende Bewirtschaftungsziele wegen unverhältnismäßig hoher Kosten.

 

Abkürzungsverzeichnis

AG

Arbeitsgemeinschaft

BWP

Bewirtschaftungsplan

BWS

Bruttowertschöpfung

CIS

Common Implementation Strategy

FGG

Flussgebietsgemeinschaft

KWA

Kosten-Wirksamkeitsanalyse

LAWA

Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser

LK Verden

Landkreis Verden

MA

Mitarbeiter

MSRL

Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie

NLWKN

Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz

NGO

Nichtregierungsorganisation

OWK

Oberflächenwasserkörper

SchuVO

Verordnung über Schutzbestimmungen in Wasserschutzgebieten

swb AG

Die Stadtwerke Bremen AG wurde 1999 in swb AG umbenannt

TV Verden

Trinkwasserverband Verden

vw.

volkswirtschaftlich

WATECO

WEG

WATer and ECOnomics (working group)

Wasserentnahmegebühr

WHG

Wasserhaushaltsgesetz

WISE

Water Information System for Europe der Europäischen Kommission

WRRL

Wasserrahmenrichtlinie

WS

Wirtschaftssubjekte

WSG

Wasserschutzgebiet

WW

Wasserwerk

 

Vorwort

Das vorliegende Buch geht auf ein 2015 vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz initiiertes Projekt zurück. Ziel dieses Projektes war die Entwicklung von Verfahren, die eine explizite Prüfung der Kosteneffizienz von Wasserschutzmaßnahmen und die Beurteilung der Unverhältnismäßigkeit von Maßnahmenkosten als Begründung von Ausnahmetatbeständen im Rahmen der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) erlauben.

Das Forschungsprojekt wurde von webod.gbr mit Unterstützung von Ann Kathrin Buchs, Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz und Juliane Grüneberg, damals noch Studierende der Georg-August-Universität Göttingen, heute ebenfalls Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz, durchgeführt. In dem Forschungsprojekt ging es neben der Prüfung der Kosteneffizienz von Gewässerschutzmaßnahmen lediglich um die Prüfung eines Ausnahmetatbestandes – der Inanspruchnahme abweichender Bewirtschaftungsziele aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten.

Im Rahmen der Aktualisierung und Fortschreibung des niedersächsischen Beitrags zu den Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen für den 3. WRRL-Zyklus wurden Teilergebnisse des Forschungsprojektes durch MU bzw. den NLWKN für die Herleitung und Begründung weniger strenger Bewirtschaftungsziele für den Wasserkörper Halsebach genutzt (siehe Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz 2020a und 2020b). Wertvolle Erkenntnisse aus der ersten Praxisanwendung der durch die webod.gbr entwickelten Verfahren wurden in die weitere Überarbeitung für die nun vorliegende Veröffentlichung einbezogen.

Die in diesem Buch vorgestellten Göttinger Prüfverfahren beziehen alle in Artikel 4 der Wasserrahmenrichtlinie aufgeführten Ausnahmetatbestände in die Betrachtung ein: Fristverlängerungen nach Art. 4 Abs. 4, weniger strenge Umweltziele nach Art. 4 Abs. 5, vorübergehende Verschlechterungen nach Art. 4, Abs. 6 sowie Verschlechterungen nach Art. 4, Abs. 7. Berücksichtigt wird auch die Ausweisung künstlicher oder erheblich veränderter Wasserkörper nach Art. 4, Abs. 3, die in der juristischen Literatur nicht immer zu den Ausnahmetatbeständen gezählt wird. Im Zuge dieser Erweiterung des Anwendungsfeldes der Göttinger Prüfverfahren wurde auch deren Aufbau neu konzipiert.

Die regionale Kennzeichnung der Prüfverfahren als Göttinger Prüfverfahren bedeutet nicht, dass diese Verfahren nur in Göttingen eingesetzt werden können, sondern wurde gewählt, weil die Prüfverfahren in Göttingen entwickelt wurden.

Als die Arbeiten an dem Buch begannen, waren alle drei Autorinnen/Autoren Gesellschafter der Beratungsgesellschaft webod.gbr. Eine der Autorinnen/Autoren dieses Buches, Katharina Raupach ist nicht mehr als Gesellschafterin für webod.gbr tätig, sondern arbeitet nun im Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz. Nichtsdestotrotz ist das vorliegende Buch eine Gemeinschaftsarbeit, an der alle drei aufgeführten Autorinnen/Autoren gleichermaßen mitgewirkt haben.

Ein herzlicher Dank geht an Rudolf Gade für das Verfassen eines Geleitwortes, an Ann Kathrin Buchs und Juliane Grüneberg für ihre Mitwirkung an dem diesem Buch zugrunde liegenden Forschungsprojekt sowie an Nina Lindstedt und Johanna Menke für ihr sorgfältiges Korrekturlesen. Wir möchten uns auch beim Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz für die Genehmigung der Veröffentlichung ausgewählter Daten und Informationen aus dem Forschungsprojekt zur Veranschaulichung bedanken. Die Beispiele tragen sicher zum Verständnis hinsichtlich der Anwendung der Göttinger Prüfverfahren bei.

Abschließend eine Bitte an die geneigten Leserinnen/Leser: wir würden uns freuen, von Ihnen Kommentare, Anregungen und Nachfragen – gerne auch kritischer Natur – zu erhalten. Sie erreichen uns per E-Mail unter [email protected].

 

Geleitwort

Die WRRL trat im Jahr 2000 mit dem ambitionierten Ziel in Kraft, dass alle Wasserkörper bis 2015, spätestens aber bis 2027 die von der Richtlinie definierten Umweltziele erreichen sollen. Für die Erreichung dieser Umweltziele stellen die Mitgliedsstaaten Maßnahmenprogramme auf, in die jeweils die kosteneffizientesten Maßnahmenkombinationen Aufnahme finden sollen (WRRL, Art. 11 und Anhang III).

Bei der Darlegung der Kostenwirksamkeit wurde bisher durch den impliziten Nachweis über die Analyse und Darstellung der Effizienz der wasserwirtschaftlichen Strukturen und Planungsprozesse davon ausgegangen, dass so auch effiziente Maßnahmenprogramme aufgestellt werden (prozessorientierter Ansatz). Eine standardisierte Vorgehensweise für den expliziten Nachweis der Kostenwirksamkeit einzelner Maßnahmen fehlte bislang und wird in diesem Buch erstmals dargestellt. Dieser Nachweis ist vom Gesetzgeber generell gefordert und kann mit dem in diesem Buch vorgestellten Verfahren (Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienz von Maßnahmen) vollumfänglich auf Basis der Einzelmaßnahme durchgeführt werden.

Aktuell zeichnet sich jedoch ab, dass sowohl in Deutschland als auch europaweit große Teile der Wasserkörper im laufenden zweiten Bewirtschaftungszyklus die Richtlinienziele verfehlen und auch nach Ende des dritten Zyklus nicht alle Wasserkörper den geforderten guten ökologischen und chemischen Zustand (Oberflächengewässer) bzw. guten mengenmäßigen und chemischen Zustand (Grundwasser) erreicht haben werden. Es zeigt sich, dass die Erreichung eines mindestens guten Zustandes bis Ende des ersten Bewirtschaftungszyklus nur für 8,2% der Wasserkörper erreicht wurde (BMUB & UBA 2016). Ist die Erreichung der Ziele der WRRL aus verschiedenen Gründen nicht (vollumfänglich) möglich, ermöglicht der Gesetzgeber neben der Inanspruchnahme von Fristverlängerungen auch die Festlegung abweichender Bewirtschaftungsziele u. a. aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten. Die europäischen Mitgliedstaaten stehen somit vor der Herausforderung, für einzelne Wasserkörper abweichende Bewirtschaftungsziele festlegen zu müssen. Dabei bleibt die Pflicht, den jeweils bestmöglichen Umweltzustand zu erreichen, weiterhin bestehen. In Niedersachsen stellt sich diese Frage aufgrund der vorherrschenden Nutzungen der Gewässer in der über Jahrhunderte entwickelten Kulturlandschaft in besonderem Maße. Beispiele sind die Marschengewässer, die durch 1000-jährigen Bergbau beeinflussten Harzvorlandgewässer, aber auch Fließgewässer, die durch Wasserentnahmen zur Trinkwasserversorgung von Ballungszentren beeinflusst sind.

Bereits seit einigen Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, inwiefern Schwellenwerte zur vereinfachten Ermittlung von Wasserkörpern, für die diese Ausnahmen gerechtfertigt erscheinen, angewendet werden sollten. Es wurden Ansätze entwickelt für die Einschätzung, ob die Kosten für die Herstellung des guten Umweltzustandes oberhalb bestimmter Durchschnittskosten liegen („Leipziger Ansätze“, z. B. Klauer et al. 2015). Diese Ansätze bieten eine gute Orientierung, ob eine Unverhältnismäßigkeit der Kosten potentiell vorliegen könnte. Allerdings sind für die tatsächliche Inanspruchnahme weniger strenger Umweltziele bzw. abweichender Bewirtschaftungsziele aufgrund unverhältnismäßiger Kosten sowie die entsprechende Begründung vor der Europäischen Kommission weitere und umfangreichere Prüfungen erforderlich. Dies gilt ebenso für die weiteren Ausnahmetatbestände. Diese Prüfungen können mit den in diesem Buch vorgestellten Göttinger Prüfverfahren zur Inanspruchnahme von Ausnahmen auf Grund unverhältnismäßig hoher Kosten vollumfänglich durchgeführt werden.

Ein wesentlicher Unterscheidungspunkt, in dem das Göttinger Vorgehen über die Leipziger Kostenschwellen-Ansätze hinausgeht, ist, dass die Leipziger Ansätze nur Maßnahmen zur Erreichung der Umweltziele berücksichtigen. Die WRRL fordert jedoch beim Vorliegen einer anhaltenden menschlichen Tätigkeit als Ursache für die Nichterreichung des guten Umweltzustandes einerseits eine Prüfung von Maßnahmen zur Erreichung der Umweltziele, z. B. durch die Aufgabe der anhaltenden menschlichen Tätigkeit, die die Zielerreichung verhindert. Andererseits fordert die Richtlinie darüber hinausgehend eine Prüfung der Ersatzaktivitäten, die der Sicherstellung der sozioökonomischen Erfordernisse anstelle der anhaltenden menschlichen Tätigkeit dienen, auf Unverhältnismäßigkeit. Diesen Punkt erfüllen die Göttinger Prüfverfahren, wie am Beispiel des Prüfverfahrens für weniger strenge Umweltziele verdeutlicht wird.

Die Inanspruchnahme abweichender Bewirtschaftungsziele sowie der übrigen Ausnahmen ist entsprechend den Anforderungen der Richtlinie umfassend und transparent zu begründen. Nach bisherigem Stand werden auf EU-Ebene in Bezug auf die verwendeten Informationen und die eingehende Bewertung wesentlich strengere Maßstäbe an die Prüfung auf abweichende Bewirtschaftungsziele als an die Prüfung auf Fristverlängerung angelegt (CIS 2009, 18; vgl. auch Reese, 2016). Es stellt sich die Frage, inwiefern die alleinige Berücksichtigung des Erfüllungsaufwandes, wie bei den Leipziger Kostenschwellen-Ansätzen vorgenommen, den Anforderungen genügt. Das Göttinger Vorgehen ist auf Basis der EU-Anforderungen entwickelt worden und wird diesen gerecht. Es erfüllt auch die Anforderung der frühzeitigen Einbindung von Stakeholdern, da die entscheidungsrelevanten Informationen in Form von Fragekatalogen unter aktiver Einbindung der relevanten Akteure erfasst und strukturiert werden. Die einzelnen sozioökonomischen Bewertungsschritte werden transparent dargelegt und lassen sich im Detail nachvollziehen. Das Ergebnis stellt eine fachliche Entscheidungshilfe insbesondere für die politische Entscheidung über die Inanspruchnahme von Ausnahmen sowie eine Argumentationsgrundlage für den gesellschaftlichen Diskurs dar. Es ist ferner eine Grundlage für die Erfüllung der Berichtspflicht gegenüber der Europäischen Kommission.

Eingang in die Verwaltungspraxis hat bereits das von webod.gbr entwickelte MSRL-Prüfschema (webod.gbr 2015) gefunden, mit dem bereits zahlreiche Maßnahmen für die Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) bewertet wurden. Diese Bewertungen fanden mit Unterstützung der webod.gbr statt. Aufgrund der vielen Einzelmaßnahmen, die für die Erreichung der WRRL-Umweltziele erforderlich sind, ergibt sich für die zukünftige Anwendung der Göttinger WRRL-Prüfverfahren die Frage, wie diese so in den Verwaltungsalltag integriert werden kann, dass die Verwaltung diese auch ohne externe Unterstützung durchführen kann.

Generell ist jeweils auch der Aufwand der ökonomischen Analyse zu berücksichtigen. Bei kostenintensiven Maßnahmen oder Standardmaßnahmen, die an einer Vielzahl vergleichbarer Wasserkörper durchgeführt werden, ist der Aufwand grundsätzlich gerechtfertigt. Ebenso erscheint eine detaillierte Erfassung der sozioökonomischen Auswirkungen bei Maßnahmen, die ein hohes Konfliktpotenzial erwarten lassen, gerechtfertigt, weil das Ergebnis als Argumentationshilfe dienen kann. Bei kleinen, konfliktarmen Maßnahmen stellt sich die Frage, ob alle Kostengruppen bewertet werden müssen oder ob in diesen Fällen eine Fokussierung auf die Berücksichtigung der direkten Maßnahmenkosten genügt. Hier ergibt sich die Frage, ob ein Schema, anhand dessen die Maßnahmenzuordnung erfolgen kann (z. B. auf der Basis der erwarteten Gesamtkosten der Einzelmaßnahme und ihres Konfliktpotenzials), erarbeitet werden sollte.

Rudolf Gade

Ehemaliger Referatsleiter Oberflächen und Küstengewässer, Meeresschutz im Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz

 

Einleitung

Mit der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL 2000/60/EG) fanden ökonomische Anforderungen Einzug in die Europäische Gewässerpolitik. Dabei soll im Rahmen der Umsetzung der WRRL den 3 Säulen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – Rechnung getragen werden. Primär fokussiert die WRRL auf die Erreichung wichtiger Umweltziele in Form der Erreichung bzw. des Erhalts eines guten Zustandes des gesamten Grundwassers sowie aller oberirdischen Gewässer (Säule „Ökologie“). Um diese Ziele mit dem minimal möglichen Budget zu erreichen, fordert die Richtlinie die Aufnahme kosteneffizienter Maßnahmenkombinationen in das Maßnahmenprogramm (Säule „Ökonomie“). Gleichzeitig haben die Ersteller der Richtlinie die Möglichkeit mitgedacht, dass die Ziele nicht sofort, nicht überall und zu jedem Preis erreicht werden können und die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Abweichungen oder Ausnahmen im weiten Sinne geschaffen und dieses insbesondere über die Unverhältnismäßigkeit von Kosten zu begründen. Dieses trägt der Säule „Soziales“ Rechnung, indem wichtige gesellschaftliche Erfordernisse und Effekte in die Überlegungen einzubeziehen sind.

Deutschland liegt zu Beginn des dritten Zyklus weit hinter der Erreichung der ambitionierten Ziele der WRRL zurück1. Gleichzeitig endet mit Ende des 3. Zyklus die Möglichkeit, Fristverlängerungen in Anspruch zu nehmen (außer für natürliche Gegebenheiten). Mit dem 3. Zyklus ändern sich zudem die Anforderungen an die Bewirtschaftungsplanung, indem eine Vollplanung zu erstellen ist. Darüber hinaus hat die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) über ihren Expertenkreis Wirtschaftliche Analyse eine Kostenschätzung vornehmen lassen, welche Gesamtkosten insgesamt noch für die Umsetzung der WRRL zur Erreichung der Ziele in den deutschen Anteilen an den Flussgebietseinheiten erforderlich sind. Dieses ist insgesamt eine Summe von rd. 61,5 Milliarden Euro2. Angesichts dieser Summe sowie des hohen Zeitdrucks bis zur Pflicht des Erreichens der Umweltziele ist davon auszugehen, dass der sparsame Umgang mit den Mitteln für die Maßnahmen stärker in den Fokus rücken wird. Andererseits ist auch von einer vermehrten Inanspruchnahme von Ausnahmetatbeständen unter Begründung der Unverhältnismäßigkeit des Aufwands auszugehen. Die EU-rechtskonforme Begründung der Ausnahmen gewinnt auch mit Blick auf die Distanz zur WRRL-Zielerreichung und Klagen der EU-Kommission gegen Deutschland im Bereich anderer Umwelt-Richtlinien (Nitrat, FFH) an Bedeutung. Sowohl für den expliziten Nachweis der Kosteneffizienz von Maßnahmen bzw. Maßnahmenkombinationen als auch für die EU-rechtskonforme Begründung von Ausnahmen fehlten in Deutschland jedoch bislang standardisierte Vorgehensweisen. Diese Lücke wird mit der vorliegenden Publikation geschlossen.

Die hier vorgestellten standardisierten Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienz und der Kostenunverhältnismäßigkeit erfüllen zwei Bedingungen.

Zum einen tragen sie den Vorgaben der WRRL zur Prüfung auf Kosteneffizienz bzw. Kostenunverhältnismäßigkeit Rechnung. Diese Vorgaben finden sich nicht nur im Richtlinientext, sondern auch in den Ausführungsdokumenten, die von der Europäischen Kommission zusammen mit Expertinnen/Experten erarbeitet wurden. Zum anderen sind die Prüfverfahren praxistauglich. Die Wasserwirtschaftsverwaltung muss die Verfahren folglich ohne großen Mehraufwand für die gesamte Vielfalt der möglichen Gewässerschutzmaßnahmen einsetzen können.

Das Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienz von Maßnahmen besteht aus einem Prüfkatalog (siehe Abbildung 1). Die Göttinger Prüfverfahren zur Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten bestehen aus mehreren Prüfkatalogen (siehe Abbildung 2).

Abbildung 1: Übersicht – Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienz von Maßnahmen. Quelle: Eigene Darstellung.

Abbildung 2: Übersicht – Göttinger Prüfverfahren zur Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten.Quelle: Eigene Darstellung.

Im ersten Teil dieses Buches geht es um die Prüfung der Kosteneffizienz von Gewässerschutzmaßnahmen.

Zunächst wird die aktuelle Situation dargestellt. Was die Prüfung der Kosteneffizienz betrifft, so gibt es eine Empfehlung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) – den prozessorientierten Ansatz. Dieser Ansatz, der bislang keine explizite Prüfung auf Kosteneffizienz enthält, wird in Kapitel I.1 erläutert und in Kapitel I.2 am Beispiel von Niedersachsen verdeutlicht.

In Kapitel I.3 werden die Anforderungen erläutert, die von der WRRL an die Kosteneffizienzprüfung gestellt werden. Die WRRL verlangt u. a., dass der Nachweis der Kosteneffizienz von Gewässerschutzmaßnahmen unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Maßnahmenkosten erfolgt. Um diese Vorgabe zu erfüllen, muss eine explizite Prüfung auf Kosteneffizienz durchgeführt werden.

Zur Entwicklung eines expliziten Prüfverfahrens auf Kosteneffizienz hat das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz 2015 ein Projekt initiiert.

Das Projekt wurde an die webod.gbr vergeben. Diese hatte zuvor im Auftrag des Bund/Länder-Ausschusses Nord- und Ostsee ein Bewertungsschema entwickelt, das in Deutschland eingesetzt wird, um den von der Meeresstrategierahmenrichtlinie (MSRL, Richtlinie 2008/56/EG) vorgeschriebenen Nachweis der Kostenwirksamkeit von Meeresschutzmaßnahmen zu erbringen und die ebenfalls vorgeschriebene Folgenabschätzung inklusive Kosten-Nutzen-Analyse durchzuführen.

Das MSRL-Prüfschema bildete den Ausgangspunkt für die Projektarbeiten, aus denen das Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienzvon Maßnahmen hervorgegangen ist. Die webod.gbr hat ihren Sitz in Göttingen.

Struktur und Vorgehensweise des Göttinger Prüfverfahrens, das kosteneffiziente Maßnahmen identifiziert, wird in Kapitel I.4 ausführlich erläutert.

Das 2015 initiierte Projekt des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz verfolgte noch ein zweites Ziel, nämlich die Entwicklung eines Verfahrens zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit bzw. Unverhältnismäßigkeit der Kosten von Gewässerschutzmaßnahmen. Daraus sind die Göttinger Prüfverfahren zur Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten hervorgegangen, die in Teil II dieses Buches vorgestellt werden.

Im ersten Kapitel von Teil II (Kapitel II.1) werden die Anforderungen der WRRL für die Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten erläutert. Anschließend (Kapitel II.2) wird der Stand der Diskussion in Deutschland dargestellt.

Deutlich wird, dass die bisherigen Ausarbeitungen und Empfehlungen die Anforderungen der WRRL nicht vollumfänglich erfüllen. Besonders problematisch ist, dass nicht alle gesellschaftlichen Maßnahmenkosten berücksichtigt werden. Als Folge davon werden nicht alle gerechtfertigten Ausnahmen identifiziert. Unter verschiedenen, realistischen Bedingungen werden Gewässerschutzmaßnahmen durchgeführt, obwohl deren Kosten unverhältnismäßig hoch sind.

Im Folgekapitel (Kapitel II.3) wird gezeigt, dass die Göttinger Prüfverfahren solche Fehlurteile ausschließen, weil sie allen Anforderungen der WRRL genügen. Die Struktur und Vorgehensweise der Göttinger Prüfverfahren werden in den Kapiteln II.4. und II.5 erläutert.

Zur Veranschaulichung werden die Göttinger Prüfverfahrenzur Kosteneffizienz von Maßnahmen und zur Inanspruchnahme von Ausnahmen aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten in den Kapiteln I.5 und II.6 und II.7 auf eine Entscheidungssituation aus der wasserwirtschaftlichen Praxis in Niedersachsen angewendet.

Das abschließende Kapitel des Buches enthält eine Zusammenfassung sowie einige abschließende Bemerkungen.

Für die in diesem Buch vorgestellten Prüfverfahren gilt:

Die Göttinger Prüfverfahren berücksichtigen sowohl die Vorgaben der WRRL als auch die Hinweise in den Ausführungsdokumenten zu Aufbau, Durchführung und Auswertung der Prüfungen der Kosteneffizienz und der Kostenunverhältnismäßigkeit. Die Ausführungsdokumente, die die Europäische Kommission zusammen mit Expertinnen/Experten erarbeitet hat, sind rechtlich nicht bindend. Ihre Berücksichtigung ist aber allein deshalb sinnvoll, weil sie der Europäischen Kommission als Leitlinie bei der Konformitätsprüfung (dem sog. Compliance Check) dienen. Grundlegend ist die Vorgabe, welche Kosten zu berechnen sind. Die WRRL versteht unter den Kosten einer Maßnahme die aus der Maßnahme resultierenden volkswirtschaftlichen Kosten. Die Kosten der Maßnahme für die gesamte Gesellschaft sind zu bestimmen, also die Kosten für den Staat, für die Unternehmen und für die privaten Haushalte. Damit ist es unzureichend, nur die finanziellen Maßnahmenkosten (Kosten für Arbeits- und Maschineneinsatz, für Material, Hilfsstoffe etc.) zu betrachten, denn die Größe der finanziellen Kosten gibt keinen Aufschluss darüber, wie hoch die volkswirtschaftlichen Kosten sind. Für die Bestimmung der volkswirtschaftlichen Kosten gibt es wohldefinierte ökonomische Bewertungsregeln. Diese werden von den Göttinger Prüfverfahren zur Berechnung der volkswirtschaftlichen Maßnahmenkosten verwendet. Weiterhin relevant ist, dass nicht nur die Kosten von Gewässerschutzmaßnahmen auf ihre Verhältnismäßigkeit/Unverhältnismäßigkeit zu prüfen sind. Je nach Ausnahmetatbestand ist das Kriterium der Kostenunverhältnismäßigkeit anzuwenden (a) auf die Kosten von Gewässerschutzmaßnahmen, (b) auf die Kosten von Maßnahmen, die nicht auf den Gewässerschutz ausgerichtet sind oder (c) auf beide, und zwar die Kosten von Gewässerschutzmaßnahmen und die Kosten von Maßnahmen, die nicht auf Gewässerschutz ausgerichtet sind. Weshalb nach der WRRL auch Kosten von Maßnahmen betrachtet werden müssen, die nicht auf den Gewässerschutz ausgerichtet sind, wird in Kapitel II.2 und Kapitel II.3 erläutert. Die Kostenunverhältnismäßigkeitsprüfung unterscheidet sich also je nach Ausnahmetatbestand. Deshalb wurde für jeden Ausnahmetatbestand ein spezielles Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung unverhältnismäßig hoher Kosten entwickelt.

Die bereits erfolgten Bewertungen von Gewässerschutzmaßnahmen haben gezeigt, dass die Göttinger Prüfverfahren in der wasserwirtschaftlichen Verwaltungspraxis umgesetzt werden können. Die Verfahren sind so konzipiert, dass durch ihren Einsatz möglichst wenig Ressourcen der Wasserwirtschaftsverwaltung gebunden werden. Deshalb werden nur die Daten und Informationen genutzt, die man offiziellen Statistiken oder öffentlich zugänglicher Literatur entnehmen kann. Die einzelnen Prüfschritte der Göttinger Prüfverfahren sind in standardisierten Prüfkatalogen zusammengefasst. Auch für Nicht-Ökonomen ist die Sachlogik der Prüfkataloge nachvollziehbar, zumal die Prüfkataloge durch eine Daten- und Berechnungsgrundlage ergänzt werden. Die Prüfkataloge sind so ausgestaltet, dass sie für die große Vielzahl von Gewässerschutzmaßnahmen unterschiedlichster Maßnahmenkategorien genutzt werden können.

Weder in dem Göttinger Prüfverfahren zur Feststellung der Kosteneffizienz von Maßnahmen noch in den Göttinger Prüfverfahren zur Kostenunverhältnismäßigkeit gibt es einen numerischen Schwellenwert, der anzeigt, ob die jeweilige Maßnahme kosteneffizient oder nicht kosteneffizient ist, bzw. ob die Kosten der Maßnahme verhältnismäßig oder unverhältnismäßig sind. Diese Beurteilungen bleiben der Wasserwirtschaftsverwaltung bzw. den politischen Entscheidungsträgern vorbehalten. Die Göttinger Prüfverfahren stellen eine fachliche Entscheidungshilfe sowie eine Argumentationshilfe für den gesellschaftlichen Diskurs dar. Sie zeigen transparent und nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Feststellung der Kosteneffizienz oder der Kostenunverhältnismäßigkeit basiert. Die Entscheidung selbst ist durch keine entscheidungsbestimmende „wenn…dann – Sequenz“ festgelegt, sondern bleibt der zuständigen Behörde vorbehalten.

Abschließend folgender Hinweis für die Leserinnen/Leser: Die Göttinger Prüfverfahren weisen zwar – wie oben erläutert – viele Gemeinsamkeiten auf. Sie sind jedoch so konzipiert, dass die Prüfverfahren zur Kosteneffizienz von Maßnahmen und zur Inanspruchnahme von Ausnahmen unabhängig voneinander sind. Deshalb sind auch die Ausführungen in Teil I und Teil II dieses Buches jeweils in sich abgeschlossen. Wer sich also lediglich über die Göttinger Prüfverfahren zur Inanspruchnahme von Ausnahmen informieren möchte, der kann direkt zu Teil II übergehen.

1UBA (2021): 20 Jahre Wasserrahmenrichtlinie: Empfehlungen des Umweltbundesamtes. Dessau-Rosslau, Position // Januar 2021.

2LAWA (2021): Kosten der Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie in Deutschland. https://www.lawa.de/documents/abschlussbericht_kosten_umsetzung_eg_wrrl_1623929187.pdf

 

I Feststellung der Kosteneffizienz

1. Begründung der Kosteneffizienz von Maßnahmen seit dem zweiten Bewirtschaftungszyklus

Für die Mitgliedstaaten bestand im Rahmen der Erstellung der Maßnahmenprogramme für den ersten Bewirtschaftungszyklus erstmals zum Jahre 2009 die Berichtspflicht des Nachweises der Kosteneffizienz von Maßnahmen. Dabei handhabten die Flussgebietsgemeinschaften, der Bund und die Bundesländer den Umgang mit dieser Anforderung strukturell und inhaltlich zum Teil sehr unterschiedlich.

Mit dem Schreiben vom 07.02.2012 teilte die Europäische Kommission der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Compliance Check eine erste Einschätzung zu den vorgelegten Bewirtschaftungsplänen mit. Neben inhaltlichen Beanstandungen wurden von der Europäischen Kommission die zum Teil unterschiedlichen Herangehensweisen innerhalb Deutschlands für die Berichterstattung bemängelt. Im Nachgang des Berichtswesens zum ersten Bewirtschaftungszyklus wurde durch den sogenannten Chiemsee-Prozess der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) darauf reagiert und ein bundesweiter Harmonisierungsprozess für die Umsetzung der Richtlinie in Gang gesetzt. Eines der zentralen Produkte dieses Harmonisierungsprozesses in Hinblick auf die ökonomischen Anforderungen ist die „LAWA Handlungsempfehlung für die Aktualisierung der wirtschaftlichen Analyse“ (vgl. LAWA 2015a). Auch der Nachweis der Kosteneffizienz wurde im ersten Bewirtschaftungszyklus unterschiedlich gehandhabt. Entsprechend beinhaltet die Handlungsempfehlung zum Nachweis der Kosteneffizienz einen Mustertext zum prozessorientierten Ansatz.

Der prozessorientierte Ansatz wurde im Rahmen eines Gutachtens für das niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz von einer Vorgängergesellschaft der webod.gbr entwickelt.

Der folgende Abschnitt wurde vom LAWA Expertenkreis Wirtschaftliche Analyse auf der Basis der Argumentation des sogenannten prozessorientierten Ansatzes entwickelt und den Mitgliedern zur Nutzung im Rahmen der Aufstellung der Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme empfohlen.

„Zur Erreichung eines guten Gewässerzustands fordert die WRRL die Durchführung von Maß-nahmen, die gemäß Art. 11 in einem Maßnahmenprogramm festzulegen sind. Bei der Auswahl dieser Maßnahmen muss das ökonomische Kriterium der Kosteneffizienz berücksichtigt werden. So lautet die Anforderung im Anhang III der Richtlinie: „Die wirtschaftliche Analyse muss (unter Berücksichtigung der Kosten für die Erhebung der betreffenden Daten) genügend Informationen in ausreichender Detailliertheit enthalten, damit

– […]

– b) die in Bezug auf die Wassernutzung kosteneffizientesten Kombinationen der in das Maßnahmenprogramm nach Artikel 11 aufzunehmenden Maßnahmen auf der Grundlage von Schätzungen ihrer potentiellen Kosten beurteilt werden können.“

Vor diesem Hintergrund wurden auf europäischer sowie nationaler Ebene eine Reihe von Leit-fäden und anderen Dokumenten erstellt, sowie Projekte durchgeführt, die geeignete Verfahren und Methoden zum Nachweis der Kosteneffizienz, hier in erster Linie verschiedene Ansätze der Kosten-Nutzen-Analysen, beschreiben und exemplarisch zur Anwendung bringen. Diese Art des Einsatzes von expliziten Kosten-Nutzen-Analysen wird in Deutschland nur bedarfsweise für einzelne Maßnahmen und ausgewählte Maßnahmenbündel durchgeführt. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass das Instrumentarium der Kosten-Nutzen-Analyse (bzw. der Kosten-Wirksamkeitsanalyse) bei der Anwendung in der täglichen Praxis zu sinnvollen und entscheidungsunterstützenden Lösungen führen kann, aber auch an seine Grenzen stößt. Letzteres ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass bei diesen Verfahren mehrere Maßnahmenalternativen miteinander verglichen werden müssen, um Aussagen zur Entscheidungsunterstützung treffen zu können. Die Erfahrungen zeigen, dass die Situation am Gewässer in der Regel sehr komplex ist und tatsächliche Alternativen in der Praxis nicht immer vorliegen bzw. bereits früh im Entscheidungsprozess aus Gründen der Effektivität oder aus praktischen Gründen ausscheiden. Zudem ist die Kosteneffizienz kein festes Attribut der Einzelmaßnahmen, sondern ein Resultat des gesamten Maßnahmenidentifizierungs- und Maßnahmenauswahlprozesses. Ein Ranking von Einzelmaßnahmen nach einem eindimensionalen Kosten-Wirksamkeits-Verhältnis ist daher nur unter bestimmten Bedingungen möglich und zweckmäßig. Bei der hohen Anzahl an Einzelmaßnahmen und Maßnahmenbündeln ist die explizite Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen für jede einzelne Maßnahme in erster Linie wegen des verfahrenstechnischen Aufwands unverhältnismäßig. Auch der monetäre Aufwand für einen expliziten Nachweis muss im Verhältnis zu den eigentlichen Maßnahmenkosten stehen. Dies ist insbesondere bei Kleinmaßnahmen, die mit einem geringen monetären Aufwand einhergehen, nicht gegeben.

Daher werden in Deutschland anstelle von expliziten rechnerischen Wirtschaftlichkeitsunter-suchungen andere, in das Planungsverfahren integrierte Wege beschritten, um Kosteneffizienz bei der Maßnahmenplanung sicherzustellen. Methodisch beruht dieses Vorgehen auf dem Metakriterium der organisatorischen Effizienz.

Die Existenz bestehender wasserwirtschaftlicher Strukturen und Prozesse bietet die Möglichkeit, andere methodischer Wege zur Sicherstellung der Kosteneffizienz zu beschreiten. In Deutschland werden die Maßnahmen in fest etablierten und zudem gesetzlich geregelten wasserwirtschaftlichen Strukturen und Prozessen identifiziert bzw. geplant, ausgewählt und priorisiert. Innerhalb dieser Prozesse und Strukturen findet wiederum bereits eine Vielzahl von Mechanismen und Instrumenten Anwendung, die die Kosteneffizienz von Maßnahmen gewährleistet. Beim Durchlauf der Maßnahmen zur Umsetzung der WRRL durch mehrere Planungs- bzw. Auswahlphasen werden die Maßnahmen schrittweise konkretisiert bzw. priorisiert. Die Frage der Kosteneffizienz der Maßnahmen stellt sich in allen Phasen der Maßnahmenidentifizierung und -auswahl; letztlich ist Kosteneffizienz Teil des Ergebnisses des gesamten Planungs- und Auswahlprozesses. In den einzelnen Phasen sind die Mechanismen und Instrumente, die zur Gewährleistung der Kosteneffizienz beitragen, unterschiedlich und ergänzen sich.