Die Gralshüterin - Alexander P. Dyle - E-Book

Die Gralshüterin E-Book

Alexander P. Dyle

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Beschreibung

In ihrem neuesten Fall stoßen der Privatermittler Achille Corso und die Forensikerin Pentesilea Orsini auf eine undurchsichtige Stiftung, die Verbindungen zu einer geheimen Loge hat. Als sie beginnen, die Aktivitäten der Loge zu untersuchen, entdecken sie eine mysteriöse Verbindung zum Transit zum Stern Sirius - aber was verbirgt sich hinter diesem geheimnisvollen Plan? Mit Hilfe einer eingeschmuggelten Agentin versuchen sie, die Machenschaften der beiden Chefs der okkulten Templerloge aufzudecken. Doch je tiefer sie ermitteln, desto gefährlicher wird es für die Agentin, die in große Gefahr gerät. Buchtrailer: https://youtu.be/E0GGxo--mb4

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Seitenzahl: 204

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Alexander P. Dyle

Eireen M. O‘Brien

Die Gralshüterin

Kriminalroman

Sterling SMP

Es war so frühmorgens, dass es noch mehrere Stunden dauerte, ehe die Sonne aufgehen würde. Ein Geländewagen mit unauffälliger grünlich-grauer Lackierung raste auf der Schnellstraße in Richtung der Stadt Murten. Am Steuer saß, mit einer seltsamen Mischung aus morgendlicher Schläfrigkeit die sich mit extremer Anspannung abwechselte, A. P. Dyle, der Chronist des Privatermittlers Achille Corso.

„Jetzt wird es kritisch…“ dachte Dyle bei sich. „Fast unmöglich zu reagieren, wenn man erst im letzten Moment erfährt, dass die Zielperson nicht wie erwartet in Cheirier-la-Chapelle auftauchen wird, sondern am anderen Treffpunkt der klandestinen Gruppe…“

Dyle blickte für einen Moment auf den Beifahrersitz, dort wölbte sich eine graue Wolldecke. Nur Dyle wusste, dass darunter eine geladene Sterling SMP Maschinenpistole lag.

Sterling SMG. Britische Maschinenpistole mit Cal. 9x19mm Parabellum und 34-Schuss-Magazin, seitlich zugeführt © 1

Bereit, sofort gegen jedermann eingesetzt zu werden, der versuchen sollte, die nun laufende Aktion zu unterbinden.

Das autointerne Navigationsgerät war aus Sicherheitsgründen ausgeschaltet, dafür lag eine Autokarte griffbereit neben Dyle.

„Der Zielort liegt zwei Fahrstunden entfernt…“ dachte Dyle bei sich.

Inzwischen hatte er die Stadt Murten hinter sich gelassen und fuhr so schnell wie erlaubt, dem Genfersee entlang. Bald tauchte das Château Chillon in der Dunkelheit auf. Hier, so hatte ihm seine Kontaktperson mitgeteilt, hatte auch einmal ein Treffen der Gruppe stattgefunden.

„Gut, was kann man anderes erwarten von einer Gruppe, welche sich in der Tradition mittelalterlicher Ritterorden wähnte?“ reflektierte Dyle die Ereignisse der letzten Jahre.

Auf der halben Strecke zwischen dem Stammschloss der Savoyer und Martigny kam Dyle an einer Tankstelle vorbei, daneben war das bekannte M einer amerikanischen Imbiss-Restaurantkette zu sehen.

„Ein Kaffee und ein schnelles Frühstück…“ dachte Dyle bei sich und bog von der Schnellstraße ab. Das Restaurant war so früh am Morgen geschlossen.

Dyle beschleunigte wieder und steuerte zurück auf die Schnellstraße.

„Schade, vor dem Showdown wäre ein frischer Kaffee mehr als willkommen gewesen…“ dachte er bei sich.

Kurz danach war Dyle in Martigny. Er hielt einen Moment an und konsultierte die Autokarte. Eine kurvenreiche Straße in die Berge würde ihn zum zweiten Treffpunkt bringen.

„Wenn ich mit meiner Vermutung falschliege und sie doch noch am anderen Ort auftauchen sollte – dann ist sie tot.“ murmelte Dyle vor sich hin und bog auf die Passstraße ab. Ein Straßenschild gab an, dass dies die Straße war, die zum Skisportort Scharwangen führen würde.

In einer U-förmigen-Kurve führte die Straße in die Berge. Der Geländewagen überquerte eine Passhöhe und fuhr dann die Zickzack-Bergstraße hinunter.

„Schwierig, wieder von hier wegzukommen, wenn jemand diese Passstraße versperren solle.“ dachte Dyle bereits über den Rückzug nach.

Dann tauchte der Skisportort auf. Noch schien alles im Dorf zu schlafen. Dyle schaltete den Hybridmotor auf Elektromotor um und beinahe lautlos glitt das Auto durch das Dorf.

Das Chalet lag etwas oberhalb des Dorfes. Glücklicherweise war die Kontaktperson professionell von der DGSE geschult worden, ehe sie zu seiner eigenen Gruppierung abgestellt wurde. Mit einem GPS-Gerät hatte die Agentin die Geodaten des Chalets ermittelt und an Dyle weitergeleitet.

Dyle nahm erneut die Straßenkarte, wo er das Ziel eingezeichnet hatte, neben zahlreichen anderen falschen Markierungen, falls die Karte in unbefugte Hände gelangen sollte wusste niemand außer ihm selber, welche Markierungen wichtig und welche falsch waren.

Dyle hielt rund 100 Meter vor dem Ziel an und parkierte den Geländewagen neben der Straße so, dass man das Fahrzeug kaum sah und wenn, dann würde man das Auto eines Wildhüters vermuten.

Dyle schaltete das Licht aus und nahm die Maschinenpistole, einige Ersatzmagazine und steckte zudem einen kurzen Kaliber 38 Detective Special Revolver in die Manteltasche. Dann verließ er das Auto und bewegte sich die Anhöhe hinauf, wobei er sich bemühte, stets im Schatten zu laufen. Noch war es Nacht, doch die ersten Rötungen der aufgehenden Sonne zeichneten sich an den Bergen ab.

Dann tauchte das Zielobjekt auf: Ein abgelegenes Chalet mit einem Nebengebäude und einem Parkplatz, gut verborgen in der Landschaft und durch einige Bäume vor unerwünschten Beobachtern abgeschirmt.

„Die Gruppe hat die Bäume schon vor Jahren gepflanzt – wie, wenn sie das alles, was sich gerade abspielte, schon lange geplant oder zumindest als Möglichkeit vorgesehen hatten.“ dachte Dyle bei sich als er sich bei den Bäumen im Gebüsch versteckte.

„Doch heute dient der Sichtschutz vor allem mir selber.“

Dann zückte er ein kleines Nachtsichtgerät mit Wärmesensor und schwenkte damit über das Anwesen.

Das Haus war beheizt, doch kein Auto mit warmem Motor oder ein Mensch waren in der Landschaft auszumachen.

Dyle blickte auf seine Armbanduhr. Es war 5:45, seit kurzem war Sonnenaufgang.

Es war der Tag X.

Der 12, Mai, der Tag der letzten Sichtbarkeit des Sterns Sirius, der Stern würde dann bis August nicht mehr über den Horizont aufsteigen.

„Heute wird der Abflug stattfinden – ganz in der Tradition der Alten Ägypter…“ dachte Dyle bei sich.

Der Abflug ließ auf sich warten. Nach über einer Stunde im Gebüsch kämpfte Dyle mit der Schläfrigkeit.

„Hoffentlich haben sie mich nicht verarscht…“ dachte Dyle bei sich, doch dann erinnerte er sich daran, dass Corso und Orsini zum anderen Treffpunkt unterwegs waren, um notfalls eingreifen zu können. Sie waren mit der lokalen Polizei unterwegs – sofern die Behördenvertreter sich nicht wieder hinter Vorschriften und kantonalen Regeln versteckten.

Dann dachte Dyle daran, wie alles vor mehr als zwei Jahren harmlos begonnen hatte…

Der Verdacht

Zwei Jahre zuvor: Der Privatermittler Achille Corso aus Italien und Pentesilea Orsini, allgemein als Pen bekannt, waren unterwegs in der kleinen „Alpenrepublik“ im Herzen von Europa. Sie waren seit einiger Zeit verlobt.

Seit kurzem hatte sich Achille als Privatermittler selbständig gemacht und nahm daher auch immer wieder Aufträge an, welche nach langweiliger Routine rochen, aber zumindest Einkommen generierten. A. P. Dyle, den sie bei ihrem ersten Fall in Kroatien kennengelernt hatten und zusammen mit ihm in der Affäre um den Krönungsball ermittelt hatten, hatte ihnen diesen Auftrag vermittelt. [1]

„Was hatte Dyle doch gesagt?“ begann Achille das Gespräch, als sie auf der Autobahn unterwegs nach Bern waren.

„In dem kleinen Land passiert fast nichts – außer wenn es um dubiose Geldflüsse geht…, wenn ich mich recht erinnere…“ sagte Pen.

Weil es sicher war auf den Straßen war unüblicherweise Achille selbst am Steuer des metallicblauen Topolino Roadster. Ansonsten steuerte meistens Pen das Auto, insbesondere bei Verfolgungsjagden, denn sie war eine hervorragende Fahrerin.

Pen kramte in ihren Unterlagen und strich sich die langen, flachsblonden Haare zurück.

„Ah, hier haben wir die Informationen: Ermitteln, ob es im Umfeld einer Stiftung verdächtige Finanzflüsse und Einkäufe von Immobilien gibt.“

„An und für sich gesehen wäre das ultra-langweilig, wenn wir nicht über das Handelsregister herausgefunden hätten, dass bis vor wenigen Jahren der Advokat Gämperli involviert war…“ sagte Corso.

„Gämperli ist tot, das wissen wir seit dem Fall mit Lord Dilingham…“ antwortete Pen.

„Aber vielleicht kommen wir zu Kontakten, die uns endlich zu Maraschino führen – mit etwas Glück existiert sogar noch das Archiv des Winkeladvokaten…“ sagte Corso hoffnungsvoll.

Gegen drei Uhr nachmittags waren die beiden im Handelsregister angekommen. Am Schalter war eine Frau Wyss. Sie hatte einen Bundesordner aus dem Archiv geholt und blätterte in den Unterlagen.

„So wie es aussieht, wurde die Stiftung nach dem Tod von Herrn Dr. Emil Gämperli nach Genf verlegt.“ sagte sie charmant.

„Wissen sie, ob es Unterlagen zur Stiftung in Genf gibt?“ fragte Corso.

„Ja sicher, aber detaillierte Auskünfte kann ihnen nur das Registre de commerce de Genève erteilen. Insbesondere, weil sich die Stiftung umbenannt hat.“ sagte Frau Wyss.

„Wie nennen sie sich denn?“

„Aus La Fondation du chemin pharaonique in Bern wurde die The Pharaonic Path Foundation Geneva. Das wird recht oft gemacht, wenn eine Stiftung international wird…“ erklärte Frau Wyss.

„Können sie uns sagen, wer aktuell im Stiftungsrat vertreten ist?“ fragte Corso, seinen ganzen Charme aufbietend, da er seinen treuherzigen Hundeblick aufsetzte. Wenn er diesen Blick aufsetzte mit seinen braunen Augen wirkte er wie ein kleines, ausgesetztes Hundebaby. Frauen wurden davon regelrecht dazu aufgefordert, das kleine Hundebaby aufzulesen und ihm alles zu geben...

Scheinbar war auch Frau Wyss eine Hundeliebhaberin.

„Ich glaube es ist noch immer ein Herr Maurice Tabarant…“ sagte sie.

„Kennen sie ihn zufällig?“ wollte Corso wissen.

„Nur flüchtig, aber er scheint ein sehr netter und umgänglicher Mensch zu sein.“ gestand Frau Wyss.

„An wen könnten wir uns in Genf wenden?“ fragte Corso, der ahnte, dass die Informationen bald versiegen würden.

„An einen Monsieur Petitpierre… Allerdings schließt das Handelsregister in Genf um fünf Uhr nachmittags…“ erklärte die Dame.

Corso blickte auf seine Reverso-Uhr. Es war bereits 15:45.

„Wie lange fährt man bis nach Genf?“

„Mehr als zwei Stunden – aber nur wenn sie nicht in einen Stau geraten…“ sagte Frau Wyss.

„Besten Dank, sie haben uns sehr weitergeholfen…“ sagte Corso und verabschiedete sich.

Er kehrte zu Pen zurück, welche im Vorzimmer wartete und durch ein paar Prominentenheftchen blätterte.

„Wir müssen nach Genf um beim dortigen Handelsregister weitere Informationen zu bekommen… Hier können sie uns nicht weiterhelfen, weil es ein anderer Kanton ist…“ sagte Corso.

Pen blickte auf ihre Uhr.

„Für heute ist das wohl zu spät, nehme ich an?“ fragte sie.

„Am besten wir fahren nach Genf und suchen uns ein Hotel…“ schlug Corso vor.

Die Fahrt dauerte mehr als drei Stunden. Dieses Mal steuerte Pentesilea, während Achille mit dem Mobiltelephon nach Hotelzimmern suchte.

„Alles schweineteuer und fast alles ist bereits ausgebucht…“ klagte Corso.

„Genf ist ein Stadtkanton: Schau doch mal nach, ob es Hotels nahe an der Grenze aber in Frankreich gibt?“ schlug Pen vor.

Tatsächlich gab es mehrere Hotels im Grenzbereich und Corso konnte telephonisch ein Doppelzimmer buchen.

Pen umfuhr das Stadtzentrum und sie überquerten die Grenze und checkten in das 3-Sterne-Hotel ein.

Unmittelbar nachdem sie ihr Reisegepäck soweit ausgepackt hatten wie nötig, beschloss Corso sich bei Dyle zu melden und informierte ihn über die Verlegung der Stiftung nach Genf.

Anschließend zogen sich die beiden ins Grillrestaurant zurück und genossen den Abend.

„Übrigens, Dyle hat mir einen guten Witz erzählt als ich ihm von den kantonalen Zuständigkeiten berichtet habe…“ begann Corso.

Pen blickte ihn gespannt an, dann ließ Corso den Witz vom Stapel:

„Drei Kinder unterhalten sich darüber wie Kinder auf die Welt kommen. Das Kind aus Deutschland sagt, die Kinder bringe der Storch. Das französische Kind sagt, die Eltern hätten Sex gehabt. Dann blicken sie das Kind aus der Schweiz an. Das sagt mit Überzeugung: Das ist von Kanton zu Kanton verschieden.“

Die Stiftung

Am nächsten Tag richteten sich Pen und Achille für den Besuch beim Handelsregister.

„Vielleicht wäre es hilfreich, wenn du morgen früh das Gespräch mit…“ Corso kramte in den Unterlagen, da er den Namen vergessen hatte, „ah hier, ein gewisser Alain Petitpierre ist für das Dossier zuständig…“

„Du meinst er dürfte als Romand dem weiblichen Charme schnell erliegen und mir alles erzählen was ich ihn frage…“ vervollständigte Pen die Überlegung ihres Verlobten.

Corso nickte und nahm einen Schluck des exzellenten Rotweins, der das Steak begleiten durfte.

„Der Beamte betört – der Gatte stört.“ sagte er mit einem Lachen.

Um Zehn Uhr fand sich Pentesilea Orsini als äußerst elegant gekleidete Dame mit betörendem Parfüm besprayt und teurer Handtasche im Büro des Handelsregisters ein und bat darum, den Herrn Petitpierre zu sprechen.

Achille Corso wartete im Vorzimmer und beschäftigte sich mit einigen Illustrierten die dort auf dem Tisch lagen. Durch das mattierte Glasfenster konnte er sehen, wie sich der Beamte um Pen bemühte. Die Strategie schien voll aufzugehen, da der französischsprachige Beamte allen Charme aufzubieten schien und die Hand der italienischen Dame küsste.

Um nicht eifersüchtig zu werden, begann Corso damit, in der Illustrierten zu blättern. Zufällig entdeckte er etwas Interessantes: Die Stiftung „The Pharaonic Path“ hatte eine Gesprächsrunde mit renommierten Wissenschaftlern und Philosophen veranstaltet und das Ganze war vom lokalen Fernsehen aufgezeichnet worden und wurde in den kommenden Tagen im Kulturprogramm des Senders gezeigt. Corso schoss mit seinem Mobilfunktelephon einen Schnappschuss, denn der Artikel gab auch Teilnehmer der Runde an. Neben dem Stiftungspräsidenten Maurice Tabarant nahm auch ein Alternativ-Arzt namens Dr. Jaquet teil. Aus dem Artikel war aber nicht ersichtlich, ob der Mann zur Stiftung oder zu den eingeladenen Gästen gehörte.

Inzwischen war Pen beim Beamten entscheidende Schritte weitergekommen.

„Im Stiftungsrat sind neben Dr. Tabarant auch ein Dr. Jaquet und eine Dr. Schneider. Sie ist die Anwältin der Stiftung.“ erklärte Petitpierre.

„Wissen sie, wo sie ihre Kanzlei hat?“ fragte Pen charmant.

„Sie hat ein Büro hier in Genf.“ sagte der Mann und kramte eine Visitenkarte aus den Unterlagen.

„Advokatur Schneider & Partner.“

Pen war innerlich erleichtert, dass nicht der Name Valeria de Colonna gefallen war – ihre Lieblingsrivalin aus der Anwaltsbranche.

„Welche Stiftungsziele hat die „Pharaonic Path“ eigentlich?“ wollte Pen wissen.

„Vertiefung des spirituellen Wissens untergegangener Kulturen und ihrer Nutzung für die heutige Welt in Kultur, Wissenschaft und Umweltschutz. Die Stiftung kann Immobilien erwerben und verkaufen, Börsengeschäfte tätigen um so Anlässe und internationale Konferenzen zu organisieren und Forschungsprojekte zu finanzieren.“

Pen war erstaunt.

„Eine ganz normale Formulierung in unserem Land.“

„Wie sieht es eigentlich mit dem Stiftungskapital aus?“ wollte Pen wissen.

„Mit 15 Millionen Franken sind sie sehr gut aufgestellt, dazu kommen noch zahlreiche Immobilien und Grundstücke.“ sagte Petitpierre.

„Sind sie damit ungewöhnlich in der Kulturbranche?“ wollte Pen wissen.

„Sie haben viel mehr Geld als andere Stiftungen, aber das ist nicht illegal in unserem Land und es gibt auch Stiftungen die noch viel mehr Geld steuerprivilegiert parkiert haben…“ sagte Petitpierre und wedelte mit der Hand.

„All diese Gelder sind steuerprivilegiert?“ frage Pen, scheinbar erstaunt obschon sie natürlich von diesen Praktiken der Steueroptimierung wusste.

„Selbstverständlich, da die Stiftung als gemeinnützig eingestuft wurde, zahlt sie überhaupt keine Steuern, sofern die Gelder dem Stiftungszweck gemäß verwendet werden.“ erklärte Petitpierre die wunderbare Finanzwelt der „Alpenrepublik“.

„Und wer kontrolliert das?“

„Niemand. Alle paar Jahre sendet der Anwalt der Stiftung einen Bericht an die Behörden.“ gestand Petitpierre.

Dann sah Corso durch das Milchglasfenster, dass sich das Gespräch dem Ende zuneigte.

Pen war gerade dabei, durch die Glastüre zu gehen, als ihr Petitpierre nachlief.

„Chère madame, prenez ce papier…“ und drückte ihr heimlich einen kleinen Zettel in die Hand.

Pen war für einen Moment zu sehr erstaunt um darauf zu reagieren und verabschiedete sich huldvoll.

Der Beamte eilte zurück in sein Büro und in seine graue Existenz, andauernd von morgens 9 Uhr bis nachmittags 17 Uhr. Pen Orsini verließ das Büro gefolgt von Corso, der seiner Verlobten nachlief wie ein vergessenes Hündchen. Erst auf der Straße sah sich Pen den Zettel genauer an.

Sie war erstaunt.

„So wie mich der Beamte angeflirtet hat, glaubte ich, dass er ein Rendez-Vous und seine Telephonnummer notiert hat.“ sagte Pen und reichte den Zettel an Achille weiter.

Achille entfaltete den kleinen Zettel: Darauf stand, eilig hingeschrieben:

Si vous voulez en savoir plus sur la fondation: Contactez le journaliste Hans-Peter Mayer. Dites-lui que vous avez été envoyé par Petitpierre.

[Wenn Sie mehr über die Stiftung erfahren möchten: Wenden Sie sich an den Journalisten Hans-Peter Mayer. Sagen Sie ihm, dass Sie von Petitpierre geschickt wurden.]

Dann folgte eine Telephonnummer.

„Er schickt uns zu einem Journalisten, wenn wir mehr erfahren wollen.“ sagte Corso gedankenverloren.

„Vermutlich weiß er, dass etwas mit der Stiftung nicht stimmt, darf aber als Beamter gar nichts unternehmen…“ schlussfolgerte Pen.

Achille telephonierte zunächst mit Dyle, der sich nicht verwundert zeigte, war doch der Schweizer Franken waschmaschinenfest, wie er es ausdrückte.

„Dyle schlägt vor, dass wir den Journalisten anrufen und um ein Treffen bitten.“ sagte Corso zu Pen.

Corso wählte die Nummer. Es meldete sich ein Hans-Peter.

„Ein Herr Petitpierre in Genf hat uns ihre Nummer gegeben. Es geht um die Sti—“ sagte Corso, der jäh unterbrochen wurde.

„Pscht, sagen sie nichts am Telephon.“ unterbrach ihn die Stimme.

„Können wir sie treffen?“ fragte Corso.

„Ja, fahren sie nach Zürich und rufen sie mich vom Hotel aus an. Heute Abend, ja?“ sagte der Unbekannte.

Dann beendete er das Gespräch abrupt.

„Sieht so aus, dass der Journalist fürchtet, er werde abgehört.“ sagte Corso.

„Zumindest wird es nun spannend…“ meinte Pen zufrieden.

„Leider müssen wir noch heute nach Zürich fahren…“

Pen und Achille kehrten ins Hotel zurück und kontaktierten erneut Dyle. Dieser riet ihnen, das Hotelzimmer für einige Tage weiter zu reservieren, da sich die Stiftung vor allem in der Westschweiz engagierte – zumindest nach seinem Wissensstand.

Danach packten Pen und Achille nur das Notwendigste zusammen und fuhren nach Zürich. Dyle organisierte eine B&B-Unterkunft und gab diese an die Beiden per Mobiltelephon weiter.

Das Navigationsgerät errechnete eine Fahrzeit von etwas mehr als drei Stunden, doch Pen und Achille befanden sich bald im Rushhour-Stau und kamen erst spät am Nachmittag in der B&B Unterkunft an.

Achille stürzte an die Rezeption und bat darum, einen wichtigen Anruf machen zu können vom Festnetzanschluss.

„Pronto?“ meldete sich die bekannte Stimme.

„Hier ist noch einmal Corso, Herr Petitpierre hat…“

„Gut, ich verstehe. Können wir uns in einer Stunde in der Künstlerkneipe der Dada-Bewegung, im Cabaret Voltaire treffen?“ sagte der Mann.

„Gerne, wie erkennen wir Sie?“ fragte Corso.

„Ich werde sie erkennen, geben sie mir eine Beschreibung von sich.“ sagte der Mann.

Corso gab eine kurze Beschreibung von sich ab: Mitte 30, Italiener, gutaussehend, dunkle Haare und ein Borsalino-Hut und ein dunkler Anzug. Zudem beschrieb er seine Verlobte Pentesilea als Wiedergeburt der Venus, wie sie Sandro Botticelli um 1485 gemalt hatte. Pen gefiel die Beschreibung außerordentlich gut.

Die Dame an der Rezeption erklärte ihnen, wie sie zum Künstlerkaffee in der Altstadt von Zürich gelangen konnten.

Auf dem Weg dorthin fragte Pen ihren Verlobten:

„Was meinst du, will der Journalist die Sache spannend machen oder ist er wirklich bedroht, dass er zu solchen Vorsichtsmaßnahmen greifen muss?“

„Vedremo presto.“ sagte Corso cool.

Sie betraten das dadaistische Künstlercafé, hier herrschte der lockere Charme einer linken Künstlerkommune inmitten des kapitalistischen Finanzplatzes. Verschiedene alternativ aussehende Leute tummelten sich an der Bar und den Tischen.

Sie blickten sich um und sahen einen Mann mit teilweiser Glatze, Sonnenbrille und alternativem Look. Ein Verband zierte den rechten Arm. Er winkte ihnen diskret mit der linken Hand zu.

Pen trat an ihn heran.

„Sind sie auch ein Freund von Petitpierre?“ sagte sie diskret.

Der Mann nickte und signalisierte ihnen, sich zu ihm zu setzen.

Corso trat nun ebenfalls heran und setzte sich zu ihnen.

„Ich bin Hans-Peter Mayer, investigativer Journalist und Experte für Verbrechen und Religion – was im Grunde ja ohnehin dasselbe ist.“ sagte der Mann und schüttelte beiden die Hand, allerdings mit der Linken. Der rechte Arm war mit einem Verband dick eingebunden.

„Sie hatten einen Unfall?“ fragte Pen anteilnehmend.

„Sie hätten die Schlägertypen der Gegenseite nach dem Kampf sehen sollen…“ begann Mayer.

Ein Mitarbeiter des Service tauchte auf und erkundigte sich nach den Wünschen der drei.

„Der Never Drink Alone-Cocktail speziell zur laufenden Kunstausstellung hat sich zu einem beliebten Klassiker entwickelt.“ erklärte der junge Mann.

„Was hat es denn in dem Cocktail?“ fragte Pen.

„Cider, Rum, Zucker, Eiweiß und etwas Apfelsaft.“

„Nehmen wir – das lässt die Brusthaare wachsen.“ polterte Mayer, der irgendwie für Corso den Eindruck machte, auf einer Droge zu sein.

Während Pen sich vorstellte, wie ihr Brusthaare wachsen würden und entsprechend irritiert wirkte, gab das Anliefern der Getränke Corso einen kurzen Moment, den Journalisten zu studieren. Mayer war ausnehmend kräftig gebaut, ein Bulle, der den Eindruck machte, latent gemeingefährlich zu sein, wenn er von politisch rechts angesiedelten Typen provoziert wurde.

„Gibt es einen Grund für dieses geheime Treffen?“ fragte Corso direkt.

Mayer zog die Sonnenbrille aus. Ein blaues Auge, ganz frisch, tauchte auf.

„Ich habe Feinde.“ sagte Mayer.

„Ist die Stiftung so rabiat?“ fragte Pen.

„Nein, die sind recht kultiviert. Das blaue Auge und den Arm habe ich mir gestern geholt, als ich eine Gonzo-journalistische Reportage vom jährlichen Parteitag der Nationalkonservativen Partei gemacht habe.“ sagte Mayer [2,3].

Dann nahm den ersten Schluck vom Cocktail und fuhr fort:

„Um den Scheiß der Rechtspartei auszuhalten und die subjektive Wirkung zu verstärken, habe ich mir ein Löschpapier mit LSD und Meskalin reingeworfen…“

„Und hat es geholfen?“ fragte Corso unsicher.

„Das LSD war super, ich konnte den Vibe im Saal intensiv spüren, kleine Details treten zu Tage: Die Furcht beim Betreten des Saals. Mit einem Grunzen setze ich mich…“ wechselte Mayer in die Gegenwartsform wie, wenn er das Erlebte noch einmal durchlebte.

„Dann begann das Meskalin einzusetzen. Gutes Meskalin kommt langsam, fährt dann aber mächtig ein – als der Flash da war, wurde im Saal die Nationalhymne abgespielt. Da muss ich irgendwie ausgerastet sein und in einen Fondue-Kessel gekotzt haben, der auf dem Tisch stand…“ führte Mayer weiter aus, scheinbar stolz auf seine sozialistische Störaktion.

Corso animierte ihn mit einer Geste dazu, weiterzuerzählen, hatte aber innerlich mit den ersten Zweifeln zu kämpfen, ob Mayer eine zuverlässige Informationsquelle sein würde.

„Dann kamen die Gorillas von der Security, um mich rauszuwerfen. Kaum waren wir aus dem Saal gab es dann einen Amok und ich habe mich mit den Typen geprügelt. Aber es wird ein Mega-guter Artikel aus dem Parteianlass werden, der jedem mündigen Staatsbürger aufzeigt, was für eine Partei das ist.“

Pen nickte verständnisvoll und versuchte zum eigentlichen Thema überzuleiten:

„Bei der Pharaonic Path Foundation prügeln sie sich wohl nicht mit den Besuchern?“

„Sie sind auch gefährlich – nur auf eine subtilere Weise. Philanthropische Organisationen mit esoterischem Drill – gefährliches Opium für das Volk.“ sagte Mayer mit vielwissendem Klang in der Stimme.

„Ich empfehle euch beiden, einen der öffentlichen Vorträge zu besuchen. In zwei Tagen findet ein Anlass in Genf statt.“

„Und wie ist eigentlich die Stiftung entstanden?“ fragte Pen.

„Vor über zehn Jahren gab es eine Art Hippie-Kommune. Der heutige Stiftungspräsident war dort Mitglied – oder zumindest tauchte er regelmäßig auf. Es war ein Treffpunkt von Esoterikern aller Art, Weltverbesserer, eher im politisch linken Spektrum.“ erzählte Mayer.

„Dann, vor fünf Jahren müssen sie irgendwie zu Geld gekommen sein. Vielleicht einige der wohlhabenden Mitglieder, die sich heute an den Anlässen zeigen. Damals lebte der Rechtsanwalt Gämperli noch und der bastelte ihnen eine legale und steuerbefreite gemeinnützige Stiftung.“

Mayer trank erneut vom Cocktail und führte dann weiter aus:

„Dann ist Gämperli gestorben und die Stiftung wurde nach Genf verlegt und umbenannt. Und Elsbeth Schneider hat die juristische Beratung übernommen…“

„Kennen sie Frau Schneider?“ fragte Corso.

„Ja, sie ist eine geborene Gämperli, die Tochter von Emil Gämperli. Sie hat in der Ostschweiz Wirtschaftsrecht studiert und – ich vermute es zumindest – die Kunden ihres Vaters übernommen.“

„Was läuft bei solchen Anlässen genau ab?“ wollte Pen wissen.

„Meistens kommen etwa fünfzig bis einhundert Personen, Tendenz zunehmend. Was ich bislang nicht klar unterscheiden konnte ist, wer Mitglied ist und wer einfach am Thema interessiert ist…“

„Wir könnten da also auch mal hingehen?“ fragte Corso.

„Das würde ich sehr empfehlen, wenn ihr euch ein Bild machen wollt. Allerdings solltet ihr verkleidet gehen.“ sagte Mayer mit einem Ton, der andeutete, dass er den Status von groovy erreicht hatte…

„Wann und wo ist der nächste Anlass?“ fragte Pen.

„In zwei Tagen, in der Umgebung von Genf.“ Sagte Mayer und kramte einen seltsamen perforierten kleinen Bogen hervor, der wie eine Reihe von Briefmarken aussah. Dann zückte er einen Kugelschreiber und schrieb die Adresse, Datum und Uhrzeit auf.

„Dieses Mal wird auch eine lokal bekannte Ägyptologin einen Vortrag halten und vielleicht trefft ihr auch auf Mancini. So ein unauffälliger Typ mit Brille und Schnauz. Ich vermute, er ist eine wichtige Figur in dieser Szene, ich konnte aber seine genaue Rolle noch nicht bestimmen…“

„Wenn ihr beide heute Abend Zeit habt, kann ich euch noch die degenerierte Szene der Zwinglistadt zeigen – der kapitalistische Drogensumpf in der Endphase… Die finale Identitätskrise der Nation.“

„Wir müssen leider heute noch zurück, da wir all unsere Sachen in Genf haben…“ erzählte Corso, so halbwegs an der Wahrheit navigierend.

„Wie können wir sie erreichen, falls wir wichtige Informationen für ihre Recherchen sammeln können?“ fragte Pen in weiser Voraussicht.

„Die Telephonnummer und hier…“ Mayer fummelte eine Visitenkarte aus seiner Jackentasche „hier ist meine Adresse in Basel.“

Eine halbe Stunde später waren Pen und Achille auf dem Weg in ihre B&B Unterkunft. Es war bereits Abend geworden.

„Du sag einmal, Schatz, was ist Gonzo-Journalismus genau?“ fragte Pen.

„Ich habe nur eine vage Vorstellung…“ gestand Corso und googelte den Begriff im Internet.

„Mobilfunktelephone mit Internetzugriff sind schon praktisch…“ murmelte er.

„Ah hier haben wir eine Definition: Gonzo-Journalismus, begründet vom US-Journalisten Hunter S. Thompson Anfang der 1970er Jahre. Im Gegensatz zu den Mainstream-Medienschaffenden, die sich um Objektivität bemühen sollten, ist der Gonzo-Journalist hochgradig subjektiv und stellt sein eigenes Erleben einer Sache ins Zentrum und arbeitet mit absichtlichen Übertreibungen, Statisten können als Hauptpersonen dargestellt werden und so weiter…“

„Sprich, wir wissen nicht sicher, inwieweit die Aussagen von Mayer der objektiven Wahrheit entsprechen und was dem Abflauten des Meskalin-Tripps entsprungen ist…“ meinte Pen.

Das Künstler-Café Cabaret Voltaire © 2

Der Vereinsanlass