Des Teufels Zwillinge - Frank Wells - E-Book

Des Teufels Zwillinge E-Book

Frank Wells

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Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). »He, Sie da!« schreit eine verrostete Unteroffiziersstimme. »Was wollen Sie?« Ich stecke die Zigarette an, paffe und sage: »Mach dein komisches Tor auf, Mac Bride, ehe ich es mit 'ner Ladung Dynamit in die Wolken sprenge!« »He, was …«, schnappt der Boy nach Luft. Dann klappt ein Fenster, eine Tür knallt, und das Tor fliegt förmlich auf. »Alle neunundneunzig Teufel!« röhrt Unteroffizier Mac Bride, die alte Saufgurgel. »Mann, Rusty Reilly! Nimm deinen Hut ab, Mann!« Ich nehme seufzend den Hut ab. »Tatsächlich!« brüllt Mac. »Er ist's! Immer noch 'ne Birne wie 'n Feuermelder. Komm rein, du gottverfluchtes Miststück. Verdammt, tut das meinen Augen wohl!« Na also. Das sind die alten Töne, mehr rau als herzlich.

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Die großen Western – 319 –

Des Teufels Zwillinge

Frank Wells

»He, Sie da!« schreit eine verrostete Unteroffiziersstimme. »Was wollen Sie?«

Ich stecke die Zigarette an, paffe und sage: »Mach dein komisches Tor auf, Mac Bride, ehe ich es mit ’ner Ladung Dynamit in die Wolken sprenge!«

»He, was …«, schnappt der Boy nach Luft. Dann klappt ein Fenster, eine Tür knallt, und das Tor fliegt förmlich auf.

»Alle neunundneunzig Teufel!« röhrt Unteroffizier Mac Bride, die alte Saufgurgel.

»Mann, Rusty Reilly! Nimm deinen Hut ab, Mann!«

Ich nehme seufzend den Hut ab.

»Tatsächlich!« brüllt Mac. »Er ist’s! Immer noch ’ne Birne wie ’n Feuermelder. Komm rein, du gottverfluchtes Miststück. Verdammt, tut das meinen Augen wohl!«

Na also. Das sind die alten Töne, mehr rau als herzlich. Meine Herren, wenn alle so wären wie Mac – aber sie sind nicht alle so. Mein Brauner prustet und trottet ein paar Schritte weiter. Dann reißt Mac mich aus dem Sattel und schmeißt mir seine Arme um den Hals, als wäre ich ein Mädchen in den besten Jahren. Teufel, tut das gut!

»Well«, sagte ich und spucke meine zerquetschte Zigarette aus, »was macht die Kunst, Mac?«

Er räuspert sich und grunzt und wischt sich mit dem Ärmel über die Augen. »Scheiße, mein Lieber. So was von Scheiße hast du noch nicht gesehen. Ich … Ach was, du erfährst es noch früh genug, noch viel zu früh.«

»Ist was passiert, Mac?«

Er fährt sich mit der Hand hinter den Hemdkragen und sieht plötzlich grau aus.

»Barry«, murmelt er, »Barry … Nein, ich sag’s nicht, ich nicht. Ach verflucht, Red, warum bist du weggegangen?«

Ich spüre, wie mein Blut zu Eis wird. Ich packe Mac vorn an der Jacke und reiße ihn zu mir her.

»Was ist mit Barry Wayne? Ist er – ist er tot?«

»Laß mich, Rusty, laß mich los!«

»Ob er tot ist, will ich wissen!«

»Tot? Schlimmer, Red, viel schlimmer. Geh rüber, sieh’s dir an. Ich – ich kanns nicht.«

»Wo? Was?«

Plötzlich steht das blanke Wasser in seinen Augen. Plötzlich wird er wild.

»Zur Hölle, laß mich los! Ich kanns dir nicht sagen, ich nicht.«

Er reißt sich los, rennt in die Wache und knallt die Tür hinter sich zu. Ich starre ihm nach, starre auf meine Finger – dann schwinge ich mich in den Sattel und reite weiter.

Was ist mit Barry Wayne? Mit Barry Wayne, dem einzigen Menschen in diesem Dreckhaufen, für den ich tausend Meilen reiten und durch hundert Höllen gehen würde?

Mit meinem Freund, dem Leutnant der Kavallerie Barry Wayne – was ist mit ihm?

*

Rings um den Antreteplatz liegen schnurgerade ausgerichtet die Unterkünfte, die Ställe, die Kantine, das Arsenal und alle möglichen anderen Gebäude. Neben dem Stall halte ich und warte. Die Schwadronen sind angetreten, die Kavalleristen sitzen starr wie Wachspuppen auf ihren Pferden. Die Offiziere halten vor der Front, den Säbel lässig in der Hand. Sie sind alle in Extrauniform.

Colonel Wayne kommt mit abgehackten Schritten aus der Kommandantur. Sein Gesicht steht wie ein Gipsabzug über dem steifen Kragen der Uniform. Sein Anblick erschreckt mich. So habe ich ihn noch nie gesehen – so hölzern, steif und irgendwie abgestorben.

Der Befehl des Rangältesten Offiziers rasselt über den Platz, hallt von den Gebäuden wider und läßt die Front der Soldaten erstarren. Der Offizier macht Meldung. Und auch seine Stimme klingt anders, sie vibriert unter geheimer Spannung. Die Hand des Colonels fährt an den Helm und sinkt wieder herab. Und dann sehe ich Barry.

Ich sehe ihn und muss mich zusammennehmen, um nicht hinzurennen. Ist das noch Barry Wayne, der blühende, verwegene und stets zu leichtsinnigen Späßen aufgelegte Leutnant Barry Wayne?

Und ich beginne zu begreifen, dass sich jetzt vor meinen Augen eine Tragödie abspielen wird und dass ich nichts tun kann, als mit verkrampften Fäusten hier sitzen und hinstarren.

Denn Barry Wayne geht als Gefangener zwischen zwei Unteroffizieren, den Kopf gesenkt.

Colonel Wayne, der Vater des Leutnants Barry Wayne, steht wie eine Statue vor der Front. Er wartet. Sein Adjutant schräg hinter ihm hält Papiere in den Händen, und die Hände zittern wie bei einem Nervenkranken.

Colonel Wayne wartet, bis sein Sohn vor ihm steht. Auch jetzt hebt Barry nicht den Kopf. Er scheint schon gestorben. Die Unteroffiziere stehen stramm, einer murmelt eine Meldung. Der Colonel dankt und macht kehrt.

»Soldaten!« Seine eherne Stimme ist stark wie immer. Oder nicht? Ich weiß es nicht.

»Soldaten!« dröhnt die Stimme über den Platz. »Am 10. Februar dieses Jahres bekam der Leutnant Barry Wayne den Befehl, mit einer zehn Mann starken Patrouille Aufklärung gegen die Rebellen zu reiten. Der Befehl lautete, die Rebellen aufzuspüren und zu vernichten. In grober Pflichtverletzung und unter Umgehung der genauen Instruktionen ließ Leutnant Barry Wayne sich in einen Hinterhalt locken. Die Patrouille wurde aufgerieben. Als einziger Überlebender kehrte Leutnant Wayne zurück. Ihm ist nach eingehender Untersuchung die alleinige Schuld am Scheitern des Unternehmens und dem Tod der zehn Soldaten der Armee nachgewiesen worden. Laut Regimentsbefehl Nummer 31 unter heutigem Datum ist der Leutnant Barry Wayne zu degradieren und bis zur Kriegsgerichtsverhandlung in Arrest zu halten …«

Ich höre nichts mehr. Die Stimme geht unter. Ich sehe nur noch die schlanke, gebrochene Jünglingsgestalt in der schwarzen Uniform. Ich sehe die weißen Flecken der Gesichter. Ich sehe, wie Colonel Wayne mit abgehackten Bewegungen die Papiere aus den Händen des Adjutanten nimmt und Befehle verliest. Ich sehe, wie er die Papiere zurückgibt, abgehackt kehrtmacht und mit seltsam hölzernen Schritten bis zu seinem Sohn geht – wie seine Hände plötzlich hochfahren und die Schulterstücke und den Orden abreißen.

Dann ist alles vorbei.

*

Ich kanns nicht glauben. Solange ich nicht alles, jede Einzelheit, weiß, kann ich’s nicht begreifen. Oh, verflucht, ich sehe immer noch das tote Gesicht des Colonels vor mir, wie er seinem eigenen Fleisch und Blut …

Es ist einfach nicht zu fassen. Und darum gehe ich rüber in die Kommandantur, dreckig und speckig, wie ich bin. Kann ich jetzt vielleicht an meinen äußeren Adam denken? Zum Teufel, es gibt ’ne Menge wichtigerer Dinge!

Drei Männer hocken in der Schreibstube.

Den Gefreiten hinter dem Schreibtisch kenne ich nicht, aber an das Gesicht des Adjutanten kann ich mich noch erinnern. Leutnant Redmain, ein ganz vernünftiger Bursche. Und dann ist noch der dritte da, Indianer-Joe, der beste Fährtenriecher, den ich zu kennen die Ehre und das Missvergnügen habe.

»Hallo!« sage ich.

Indianer-Joe kaut auf einem Priem, betrachtet mich von oben bis unten und grinst. Er sagt nichts. Er sagt selten etwas. Bei ihm besorgen die Kanonen das Reden. Meistens.

»Bitte?« fragt der Adjutant kühl.

»Es handelt sich um das, was ich eben mit ansehen musste, Leutnant Redmain. Ich möchte Sie bitten, mir Näheres zu sagen.«

Sein Gesicht wird frostig.

»Bedaure. Das sind rein interne militärische Angelegenheiten. Sagen Sie, habe ich Sie nicht schon irgendwo gesehen? Ihr Gesicht, die roten Haare …«

»Reilly«, helfe ich ihm, »bis vor einem halben Jahr Sergeant der Kavallerie. Mit allen militärischen Ehren aus dem Dienst entlassen.«

Er schneidet eine Grimasse.

»Ach richtig. Wie gesagt, Reilly, tut mir leid. Sie waren Barrys – hm, sein Freund?«

»Ich glaube nicht, dass das irgendjemand was angeht. Ich …«

Eine Tür öffnet sich. Der Colonel steht vor mir, und jetzt ist sein Gesicht gezeichnet von Qual und Bitternis und einer ganzen Hölle. Verdammt, jetzt tut er mir beinahe leid, obwohl seine verfluchten und überspitzten Ehrbegriffe … Aber das ist seine Sache. Damit muss er allein fertig werden.

»Reilly?« murmelt er tonlos.

»Jawohl, Colonel«, würge ich.

»Bitte«, sagt er, und ich hab mich von meinem Staunen noch nicht erholt, als ich ihm in seinem militärisch einfachen Zimmer schon gegenübersitze. Als ich das letzte Mal hier gesessen habe, da war der Mann mir gegenüber ein feuerspeiender Vulkan. Da hat er getobt, dass die Wände bebten. Jetzt ist er ein Häufchen verbrannter Asche, am Ende seiner Kraft – nichts als ein Vater, der seinen Sohn verloren hat.

Er schweigt lange. Und als er endlich spricht, geht seine Stimme mir durch Mark und Bein. »Können Sie sich vorstellen, Reilly, wie es ist, wenn man sich seine rechte Hand abhackt und …«

»Bitte nicht«, sage ich. »Es hilft uns nicht, wenn Sie sich quälen, Colonel. Wenn es möglich ist, möchte ich gern wissen, wie es soweit kommen konnte. Ich kenne keinen besseren Offizier als Barry, und darum kann ich nicht begreifen …«

»Er hätte mit seiner Truppe sterben müssen. Wie konnte er mir nach der Niederlage noch lebend unter die Augen treten. Und wie konnte er seine Männer ins Verderben führen, obwohl er es hätte besser wissen müssen.«

»Hatte er Handlungsfreiheit oder nicht?«

»Natürlich – im Rahmen seines Auftrages. Indianer-Joe hatte die Fährte der Rebellen aufgespürt und war bereit, die Führung zu übernehmen. Barry hat das abgelehnt. Es war der Anfang vom Ende.«

»Hm. Haben Sie selbst Indianer-Joe als Scout für das Unternehmen bestimmt?«

»Ja.«

»Obwohl Sie wussten, dass Barry und Joe wie Katze und Hund zueinanderstanden?«

»Unter Soldaten gibt es keine persönlichen Feindschaften. Unter Soldaten gilt der Befehl, nichts sonst.«

»Schön«, sage ich. »Gegen wen richtete sich das Unternehmen?«

»Kennen Sie Santa Buena Ventura?«

»Dem Namen nach. Liegt irgendwo nach der Nevada-Grenze zu.«

»Richtig. Nun, ein alter Kriegskamerad aus dem Bürgerkrieg hat dort einigen Besitz. Er war der beste Proviant-Meister, den ich je erlebt habe: Zane Shannon. Er hat sehr unter Überfällen mexikanischer Banditen und Rebellen zu leiden, die anscheinend noch immer davon träumen, dass Kalifornien wieder mexikanisch werden könnte. Ich versprach ihm Hilfe – und musste dieses erleben.«

»Das ist alles?«

»Nicht ganz. Seitdem Sie den Dienst quittiert haben, Reilly, ist mit Barry eine merkwürdige Veränderung vorgegangen. Sie waren gute Freunde, nicht wahr?«

»So gut, dass ich jetzt noch meine Hand für Barry ins Feuer lege, Colonel.«

»Ich – ich fürchte, es würde Ihrer Hand nicht gut bekommen. Vor einem halben Jahr noch habe ich es gar nicht gern gesehen, dass Barry Umgang mit Ihnen pflegte. Ich sage Ihnen das offen, und Sie wissen, weshalb ich Ihnen nicht wohlgesinnt war.«

»Weil ich nicht zum Soldaten geboren bin, und weil ich kein Ja-Sager bin und nicht katzbuckeln kann und …«

» …und weil es Ihnen ein Gräuel war, einen Befehl auszuführen, der nicht nach Ihrer Mütze war. Sie waren ein erbärmlicher Soldat, und Sie waren gleichzeitig der tapferste und erfolgreichste Kämpfer in meiner Truppe. Das ist etwas, was ich nie begreifen werde.«

»Vielleicht waren die Befehle schlecht, die ich nicht ausführen wollte?«

»Zum Teufel, Befehl ist Befehl, ob gut oder schlecht! Ein Soldat hat zu gehorchen …«

» … und zu sterben«, sage ich grimmig. Das ist nämlich die Melodie, die ich nicht leiden kann.

»Zum Teufel!« fährt der Colonel auf, aber dann beruhigt er sich und winkt müde ab. »Lassen wir das, Rusty. In dieser Frage werden wir nie übereinkommen. Was ich sagen wollte, ist dies: Nachdem Sie gegangen und praktisch auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren, wurde Barry rebellisch. Er trieb sich plötzlich mit einer Frau herum, die …«

»So was soll menschlich sein. Aber was für eine Frau ist das?«

»Sie hieß Allie Allyson und war mit einer Theatergruppe hier. Wir waren eine Zeit lang eingeschneit, sodass die Truppe nicht weiterreisen konnte. So ergab sich das. Natürlich habe ich ihm die Leviten gelesen, aber …«

» …aber Leutnantsblut ist keine Buttermilch. Entsinnen Sie sich noch, dass Sie auch mal jung waren, Colonel?«

»Zum Teufel … Also, wenn ich nicht wüsste, dass Sie ein ganz verfluchter Himmelhund sind … Schön, zugegeben, ich war auch mal jung. Aber mit Maßen, Reilly. Jeder Mustang schlägt mal über die Stränge und muss dann wieder auf Kandare geritten werden. Ein Mann hat sich selbst auf Kandare zu reiten, verstehen Sie?«

»Natürlich. Und wie ich Barry kenne, ist er Manns genug, mit sich selbst und seinen Schwächen fertig zu werden.«

Der Colonel stöhnt leise und schüttelt den grauen Schädel.

»Sie irren, Reilly«, flüstert er fast. »Er war nicht Manns genug. Hat in Santa Buena Ventura ausgerechnet dieses Weibsstück wiedergetroffen. Er hat, ohne an seinen Auftrag zu denken, Nächte mit ihr durchgezecht und gehu … Ah, das Wort will mir nicht über die Lippen.«

»Himmelkreuzbombenelement, das nehme ich Ihnen nicht ab, Colonel. Das ist eine ganz verdammte und niederträchtige Lüge. Ich kenne Barry Wayne wie mich selbst, ich …«

Er greift in eine Schublade und wirft einen Fetzen Papier auf den Tisch.

»Da«, sagt er müde. »Da ist der Beweis. Lesen Sie!«

Ich halte einen Schuldschein in den Händen. Einen Schuldschein über zehntausend Dollar. Ausgestellt und unterschrieben von Barry Wayne. Spielschulden. Zehntausend Dollar am Pokertisch verjuxt.

»Verdammt!« Das ist alles, was ich sagen kann.

»Sehen Sie, nun sind auch Sie überzeugt. Glauben Sie, ich hätte ihm die Schulterstücke genommen, wenn nicht dies gewesen wäre? Glauben Sie, ich hätte mich selbst in die Hölle gejagt, wenn nicht …«

Seine Stimme bricht. Ich stehe auf. Nur einen Namen lese ich noch: Lincoln Shannon. Das ist der Mann, der die zehntausend Dollar gewonnen hat, auf dessen Namen der Schuldschein ausgestellt ist. »Eine Bitte noch«, sage ich. »Kann ich ihn sprechen – Barry?«

Der Colonel kommt langsam aus dem Sessel hoch. Er greift wieder in die Schublade. Ich sehe, wie sein Gesicht zuckt und weiß wird wie der Kalk an der Wand.

»Ich möchte Sie darum bitten«, antwortet er. »Und bitte, geben Sie ihm dies.«

Er drückt mir einen Revolver in die Hand. Ich starre auf das blau schimmernde Metall, als hätte ich eine Klapperschlange in der Hand. Ich soll ihm die Waffe bringen, mit der er …

»Nein, Colonel«, sage ich. »Es tut mir leid. Für mich steht ein Menschenleben höher als ein Ehrbegriff.«

Ich werfe den Revolver in die Schublade, mache knapp kehrt und gehe. Die Tür fällt ins Schloss.

Ich glaube, ich bin ein paar Jahre älter geworden.

Der Hof ist leer. Dämmerung nistet zwischen den Gebäuden.

Unsere Schritte wecken das Echo. Der Adjutant geht schräg vor mir, den Kopf vorgeneigt, als suche er etwas.

»Hören Sie«, sagt er plötzlich. »Grüßen Sie ihn von uns allen. Und verdammt will ich sein, wenn dies nicht der höllischste Tag meines Lebens …«

Ich höre nicht hin. Zehntausend Dollar, muss ich denken. Zehntausend Dollar, ein elendes Miststück von Frauenzimmer und ein junger Bursche, der nur mal über die Stränge haut und plötzlich im Abgrund liegt. Was ist das Leben doch für ein elender Dreck.

Das Echo der Schritte erstirbt. Korporal Mac Bride baut eine zackige Ehrenbezeugung und reißt die Tür zur Wache auf. Er rennt an uns vorbei, schreit »Achtung!« und öffnet die nächste Tür. Der Gang zwischen den Arrestzellen tut sich vor uns auf.

»Also«, murmelt der Adjutant, »ich erwarte Sie hier und …«

Was er noch sagen will, erstirbt im Donner eines Schusses. Die Detonation läßt mein Herz stillstehen. Noch nie hat ein Schuss so fürchterlich in meinen Ohren gedröhnt.

»Barry!« schreie ich.

Wie ich zur Zelle gekommen bin, weiß ich nicht. Der Schlüssel rasselt im Schloss, die Tür quietscht.

Barry Wayne, Leutnant der Kavallerie, liegt auf den nackten Steinen. Neben seiner Hand raucht der Revolver.

Einer hat getan, was ich nicht tun konnte.

*

Fünf Monate lang habe ich mich auf diesen Tag gefreut. Fünf verdammt lange Monate, kann ich Ihnen flüstern. Und jetzt?

Vor fünf Monaten konnte der Junge noch lachen, dass einem das Herz aufging. Jetzt ist er still, steif, tot. Und ich, ich habe hier nichts mehr zu suchen in diesem Steinhaufen, der sich Fort Mackintosh nennt.

Ich weiß nicht, wie spät es ist, als ich rübergehe zu Dick Dickinsons Store. Er hat meine Mulis und das Pferd in seinem Stall stehen. Er hat die Ballen mit den Fellen, mit der Beute von fünf langen Monaten, in seinen Laden geschafft und steht gerade dabei, um sie zu taxieren.

Dick Dickinson brummelt mir Zahlen über Zahlen ins Ohr. Die Endsumme ist irgendetwas mit fünftausend.

»In Ordnung«, murmele ich, »zahlbar sofort.«

Er blättert mir einen Haufen Scheine hin, ich stecke sie weg.

*

Die Postkutsche kommt mitten in der Nacht an und fährt noch vor Morgengrauen weiter. Sie fährt weiter mit mir als einzigem Passagier.

Wir fahren, und ich starre in das Grau, das aus der Welt einen zähen Brei macht. Mir ist speiübel. Plötzlich klappert etwas, ich höre einen stoßenden Atem, sehe in dem schmalen Fensterausschnitt ein Gesicht und lange zum Halfter.

Die Tür schwingt auf, ich reiße den Colt heraus.

»Nicht schießen!« flüstert eine Stimme, die eigentlich gar nicht flüstern kann. »Ich bin’s bloß.«

»Wer zum Teufel?« fauche ich wütend, ohne die Waffe zurückzustecken.

Und dann sehe ich erst richtig, was für ein Klotz von einem Mann da zu mir hereingekrochen ist. Ein Klotz? Ach was, ein ganzer Berg. So einen Mann gibts nur einmal.

»Gorilla!« sage ich.

»Bin ich«, flüstert er. »Ob die wohl was gemerkt haben? Die Kutscher, meine ich.«

»Wieso? Hast du kein Geld für die Fahrt?«

»Ach, Mensch, ich bin doch ausgerissen. Ich …«

»Du bist verrückt, Gorilla! Sofort steigst du aus! Mann, weißt du, was auf Fahnenflucht steht?«

»Die Rübe ab, was sonst? Aber es ist doch mein Kopf, oder? Well, und außerdem ist meine Dienstzeit um. Ich bin bloß freiwillig noch ein bisschen länger geblieben. Und jetzt gehe ich eben freiwillig.«

»Mann, Mann! Hat die Welt schon so ein Riesenross gesehen. Als ob der Kommiss ein Wohltätigkeitsverein mit monatlicher oder fristloser Kündigung wäre.«

»Du bist doch auch gegangen, Red.«

»Jawohl, und das hat mich genug graue Haare und einen Haufen Ärger gekostet. Sag mal, weshalb willst du denn plötzlich weg von dem Verein? Du bist doch Bursche beim Colonel, oder nicht mehr?«

»War ich, Red, war ich bis vor einer halben Stunde. Jetzt werde ich Bursche bei dir, wenn du nichts dagegen hast.«

»Und ob ich was dagegen habe. Glaubst du, ich möchte mit dir zusammen vor ein Kriegsgericht wandern? Außerdem brauche ich keinen Burschen. Schließlich bin ich ja kein Oberst oder General. Den Zahn laß dir man schnellstens ziehen, Gorilla.«

»Schön«, brummt er, »wenn du mich nicht willst, gehe ich eben allein nach Santa Buena Dingsda – weiß der Geier, wie das Kaff heißt.«

Ich schnappe nach Luft. Mir schwant Fürchterliches.

»Nach Santa Buena Ventura?« frage ich vorsichtshalber. »Darf man sich erkundigen, was du dir davon versprichst?«

Er beugt sich vor.

»Sie haben ihn fertiggemacht, Rusty. Oh, verdammt, er war das beste Jungchen unter Gottes Sonne. Wenn’s mein eigener Sohn gewesen wäre, ich hätte ihn nicht lieber haben können, und du weißt das genau. Und jetzt ist er tot, und die ganze Welt ist ein Irrenhaus und …«