Die Halbschwestern: Die Töchter Englands - Band 7 - Philippa Carr - E-Book
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Die Halbschwestern: Die Töchter Englands - Band 7 E-Book

Philippa Carr

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Beschreibung

Manches Band kann niemand trennen: Der historische Schicksalsroman »Die Halbschwestern« von Bestsellerautorin Philippa Carr als eBook bei dotbooks. England zu Beginn des 18. Jahrhunderts – eine gefährliche Zeit, in der man niemandem trauen darf, nicht einmal den Menschen, die man liebt … Die temperamentvolle Carlotta Eversleigh und ihre jüngere Halbschwester Damaris verbindet seit ihrer Jugend ein zartes Band aus Dornen trotz ihrer sehr unterschiedlichen Lebenswege: Carlotta gerät durch ihre Neugier in tödliche Gefahr und muss sich einem Mann hingeben, den sie kaum kennt – eine Nacht, die nicht ohne Folgen bleibt! Die schüchterne Damaris hingegen träumt voller Unschuld von einer Zukunft mit dem charmanten Matt. Seine Liebe gibt ihr die Kraft, zum ersten Mal in ihrem Leben zaghaft aus Carlottas Schatten zu treten. Doch beide Schwestern müssen schmerzhaft lernen: Wer seinen Gefühlen vertraut, kann schnell zu ihrem Opfer werden … Gebrochene Versprechen, gemeiner Verrat – und die unerschütterliche Hoffnung auf das Glück: ein Roman aus der international erfolgreichen Saga »Die Töchter Englands« von Bestsellerautorin Philippa Carr! Jetzt als eBook kaufen und genießen: der historische Roman »Die Halbschwestern« von Philippa Carr, auch bekannt als Jean Plaidy und Victoria Holt. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 546

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Über dieses Buch:

England zu Beginn des 18. Jahrhunderts – eine gefährliche Zeit, in der man niemandem trauen darf, nicht einmal den Menschen, die man liebt … Die temperamentvolle Carlotta Eversleigh und ihre jüngere Halbschwester Damaris verbindet seit ihrer Jugend ein zartes Band aus Dornen trotz ihrer sehr unterschiedlichen Lebenswege: Carlotta gerät durch ihre Neugier in tödliche Gefahr und muss sich einem Mann hingeben, den sie kaum kennt – eine Nacht, die nicht ohne Folgen bleibt! Die schüchterne Damaris hingegen träumt voller Unschuld von einer Zukunft mit dem charmanten Matt. Seine Liebe gibt ihr die Kraft, zum ersten Mal in ihrem Leben zaghaft aus Carlottas Schatten zu treten. Doch beide Schwestern müssen schmerzhaft lernen: Wer seinen Gefühlen vertraut, kann schnell zu ihrem Opfer werden …

Über die Autorin:

Philippa Carr ist – wie auch Jean Plaidy und Victoria Holt – ein Pseudonym der britischen Autorin Eleanor Alice Burford (1906–1993). Schon in ihrer Jugend begann sie, sich für Geschichte zu begeistern: »Ich besuchte Hampton Court Palace mit seiner beeindruckenden Atmosphäre, ging durch dasselbe Tor wie Anne Boleyn und sah die Räume, durch die Katherine Howard gelaufen war. Das hat mich inspiriert, damit begann für mich alles.« 1941 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, dem in den nächsten 50 Jahren zahlreiche folgten, die sich schon zu ihren Lebzeiten über 90 Millionen Mal verkauften. 1989 wurde Eleanor Alice Burford mit dem »Golden Treasure Award« der Romance Writers of America ausgezeichnet.

Eine Übersicht über den Romanzyklus Die Töchter Englands finden Sie am Ende dieses eBooks.

***

eBook-Neuausgabe Juli 2020

Die englische Originalausgabe erschien 1977 unter dem Titel »The Song of the Siren«.

Copyright der Originalausgabe © 1977 by Philippa Carr

Copyright für die deutschsprachige Erstausgabe © 1985 by Franz Schneekluth Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/andre quinou und Adobe Stock/Lightfield Studios

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-253-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Philippa Carr

Die Halbschwestern

Roman

Aus dem Englischen von Monika Hahn

dotbooks.

CARLOTTA

Ein General zu Besuch

Beau war zurück. Er stand vor mir, elegant, arrogant und unwiderstehlich charmant. Ich begann wieder zu leben, warf mich in seine Arme und bestürmte ihn mit Fragen.

»Beau! Beau! Warum bist du fortgegangen? Warum hast du mich verlassen?«

»Ich war immer hier, ganz nah ...«, antwortete er. Seine Stimme hallte überall im Haus wider. »Nah ... nah ...«

Dann wachte ich auf und merkte, daß er nicht bei mir war. Es war nur ein Traum gewesen. Trauer erfüllte mich, denn ich war wieder allein und noch verzweifelter, weil ich einen Moment geglaubt hatte, er sei zurückgekehrt.

Er war nun schon über ein Jahr fort. Wir hatten heiraten wollen, alles war fest ausgemacht. Unser Plan sah vor, ein zweitesmal zu fliehen – das erstemal war mißglückt –, und diesmal waren unsere Vorbereitungen viel sorgfältiger gewesen. Beau hielt sich in dem Spukhaus versteckt, und ich besuchte ihn dort. Meine Familie ahnte nichts davon. Man glaubte, uns getrennt zu haben. Doch wir waren klüger als sie und planten geschickt jeden unserer Schritte.

Meine Familie mochte Beau nicht, insbesondere meine Mutter, die fast Zustände bekam, wenn nur sein Name erwähnt wurde. Ich merkte von Anfang an, daß sie beschlossen hatte, unsere Heirat zu verhindern. Zeitweise glaubte ich, sie sei auf meine Liebe zu Beau eifersüchtig, doch später dachte ich anders darüber.

Ich hatte mich den Eversleighs nie ganz zugehörig gefühlt, obwohl meine Mutter Priscilla mir immer zu verstehen gegeben hatte, wieviel ich ihr bedeutete. Sie war mir viel zu besitzergreifend vorgekommen, ganz anders als Harriet, die ich lange Zeit für meine wahre Mutter gehalten hatte. Harriet mochte mich gern, war aber nicht überschwenglich. Sie überwältigte mich nicht mit ihrer Zuneigung. Wenn sie erführe, daß Beau und ich schon vor der Hochzeit unsere Ehe vollzogen hatten, würde sie sicherlich nur lachend die Achseln zucken, während Priscilla sich mit Bestimmtheit aufführen würde, als sei ein großes Unglück geschehen. Dabei war mein eigenes Vorhandensein der Beweis dafür, daß auch sie in diesen Dingen keineswegs konventionell gewesen war.

Es ist inzwischen allseits bekannt, daß ich ein Bastard bin, die illegitime Tochter von Priscilla Eversleigh und Jocelyn Frinton, der zur Zeit der papistischen Verschwörung enthauptet wurde. Natürlich hatten er und meine Mutter vorgehabt zu heiraten, doch er war gefaßt und hingerichtet worden, bevor sie es tun konnten. Dann hatte die liebe Harriet es übernommen, meine Mutter zu spielen, und war mit Priscilla nach Venedig gereist, wo ich geboren wurde. Als ich all dies später herausfand, war ich hochzufrieden über meinen melodramatischen Eintritt ins Leben. Erst als mir der Onkel meines Vaters sein Vermögen vererbte, ließ sich die Wahrheit nicht mehr verheimlichen. Inzwischen hat man sie allgemein akzeptiert. Ich lebe mit meiner Mutter und ihrem Mann Leigh auf Eversleigh Court; Harriet besuche ich allerdings immer noch häufig.

Priscilla und Leigh waren damals ins Dower House auf dem Gelände von Eversleigh gezogen und wohnten dort mit meiner Halbschwester Damaris und mir. Ganz in der Nähe liegt Enderby Hall, wo ich mich immer mit Beau traf. Enderby Hall wurde mir vom Onkel meines Vaters, Robert Frinton, vererbt. Es steckt voller Geheimnisse und soll angeblich sogar verhext sein.

Merkwürdig ist, daß mich Enderby schon in meiner Kindheit fasziniert hat, bevor jemand auch nur ahnen konnte, daß es einmal mir gehören würde. Irgendeine schreckliche Tragödie hatte dort stattgefunden, und das Haus besaß tatsächlich eine gespenstische Atmosphäre, die Beau gefiel. Er pflegte die Geister zu rufen und sie aufzufordern, uns zu besuchen. Wenn wir auf dem Himmelbett lagen, zog er die Vorhänge zurück und sagte zu mir: »Sie sollen ruhig an unserer Seligkeit teilhaben, Carlotta.« Er war kühn und verwegen und scherte sich um nichts und niemanden. Ich war sicher, daß er keineswegs ängstlich gewesen wäre, falls plötzlich ein Geist vor uns gestanden hätte. Er würde sogar dem Teufel ins Gesicht lachen, wenn dieses furchteinflößende Wesen in Erscheinung träte. Beau behauptete häufig, selbst ein Geschöpf des Satans zu sein.

Wie ich mich ständig nach ihm sehnte! Immer wollte ich mich nach Enderby schleichen, um seine Arme um mich zu fühlen. Ich wollte von ihm hochgehoben und die Treppe hinauf zum Schlafzimmer getragen werden, in dem die Geister schliefen, als sie noch auf Erden weilten. Ich wollte seine laszive, musikalische Stimme hören, die so wunderbar zu modulieren verstand und dabei so charakteristisch für ihn war. Sie paßte zu einem Mann, der – egal wie – das Beste aus dem Leben herausholen wollte und der entschlossen war, allem den Rücken zu kehren, was ihm nichts einbrachte.

»Ich bin kein Heiliger, Carlotta«, gestand er mir. »Und glaub nur nicht, daß ich als Ehemann einer werden könnte, mein Liebling.«

Ich versicherte ihm, daß ich alles andere lieber hätte als einen Heiligen.

Er war der Meinung, daß dies klug von mir sei. »In dir schlummert eine leidenschaftliche Frau, meine kleine Nichtmehr-Jungfrau, die nur darauf wartet, herauszukommen. Ich gebe ihr den Schlüssel.«

Immer wieder hatte er mich an den Verlust meiner Jungfräulichkeit erinnert. Dies schien für ihn eine stete Quelle der Belustigung zu sein. Vielleicht befürchtete er, daß meine Familie mich dazu überreden könnte, ihn doch nicht zu heiraten. »Nun bist du gefangen, kleines Vögelchen«, sagte er einmal. »Du kannst nicht mehr fortfliegen. Du gehörst mir.«

Als Priscilla mich beschwor, Beau aufzugeben, behauptete sie neben anderem, er habe es nur auf mein Vermögen abgesehen. Ich bin sehr reich oder werde es zumindest mit meinem achtzehnten Lebensjahr oder bei einer Verheiratung sein. Als ich Beau damit auf die Probe stellen wollte, antwortete er ohne jedes Zögern: »Ich will ehrlich zu dir sein, mein süßer Schatz. Dein Vermögen ist sehr nützlich. Es wird uns ermöglichen, Reisen zu machen und angenehm zu leben, was dir, meine kleine Erbin, sicher auch gefällt. Wir wollen in deine Geburtsstadt Venedig fahren. Ich glaube übrigens, daß ich zum Zeitpunkt deiner Geburt ebenfalls dort war, was mir fast schicksalhaft vorkommt, findest du nicht auch? Wir sind für einander bestimmt. Kein schnödes Geld soll uns entzweien! Wir können nicht gerade behaupten, daß wir deine Erbschaft verabscheuen, nicht wahr! Sagen wir also ehrlicherweise, daß wir froh darüber sind. Aber hast du andererseits nach alldem, was mit uns geschehen ist, wirklich Zweifel, meine Allerliebste, daß du mir nicht mehr bedeutest als Tausende solcher Vermögen? Wir könnten auch gut zusammenleben, wenn du nur eine kleine Streichholzverkäuferin oder eine Näherin wärst. Wir harmonieren ganz einfach, begreif das doch! Du bist für die Liebe gemacht. In dir finde ich meine Entsprechung. Du bist feurig, und die Leidenschaft wird ein wichtiger Teil deines Lebens sein. Du bist noch so jung, Carlotta, und mußt viel über dich und die Welt dazulernen. Vermögen hin oder her, ich werde jedenfalls dasein, um dich alles zu lehren.« Mir war klar, wie recht er hatte. Wir waren von gleicher Art. Ich empfand tief, wie sehr wir übereinstimmten und welches Glück es für mich bedeutete, ihn gefunden zu haben.

Zwischen uns bestand Einigkeit, obwohl ich damals erst fünfzehn war und er um ungefähr zwanzig Jahre älter. Sein genaues Alter verriet er mir nicht. »Ich bin so alt, wie ich die Welt glauben machen kann, daß ich's bin«, sagte er. »Du mußt dies mehr als jeder andere akzeptieren.«

Und so trafen wir uns im Spukhaus, was ihn besonders amüsierte. Es war ein gutgewählter Treffpunkt, denn kaum jemand ließ sich dort blicken. Nur einmal pro Woche schickte Priscilla Dienstboten nach Enderby, von denen keiner es gewagt hätte, allein einen Fuß dort hineinzusetzen. Mir war bekannt, wann sie hinübergingen, so daß ich Beau immer rechtzeitig warnen konnte, das Haus zu verlassen. Drei Wochen verbrachten wir dort, und dann war er eines Tages verschwunden.

Warum? Wohin? Weshalb war er plötzlich fort? Zu Anfang vermutete ich, daß er etwas Dringendes zu erledigen hatte und nicht in der Lage gewesen war, mich zu benachrichtigen. Doch mit der Zeit begann ich mich zu ängstigen.

Was sollte ich bloß tun? Ich konnte ja niemandem erzählen, daß er aus dem Haus verschwunden war. Es war unbegreiflich. In den ersten Tagen machte ich mir keine übertriebenen Sorgen, doch als aus den Tagen Wochen wurden und aus den Wochen Monate, da geriet ich in Panik. Ich fürchtete, daß ihn ein schreckliches Schicksal ereilt hatte.

Immer wieder lief ich nach Enderby und lauschte in der Halle auf das Schweigen des Hauses. Dann flüsterte ich seinen Namen und wartete auf eine Antwort.

Doch sie kam nie. Nur in meinen Träumen.

Es hilft mir hoffentlich, meine Empfindungen niederzuschreiben. Dadurch bekomme ich vielleicht ein klareres Bild von dem, was geschehen ist, und auch von mir selbst.

Bald bin ich siebzehn. Ich werde nach London reisen und an vielen Gesellschaften teilnehmen, die dort und auch in Eversleigh abgehalten werden, denn meine Großeltern wie auch Priscilla und Leigh werden mir einen passenden Ehemann präsentieren wollen. Sicher werde ich viele Bewerber haben, dafür sorgt schon mein Vermögen. Außerdem behauptet Harriet, daß ich das gewisse Etwas habe, das Männer anzieht wie Honig die Bienen. Sie muß es wissen, denn sie hat es ihr Leben lang besessen. »Unangenehm ist daran nur«, sagte sie mir einmal, »daß auch die Wespen kommen und alle möglichen anderen Arten von widerlichen Insekten. Was uns auszeichnet, kann der größte Vorzug einer Frau sein. Falls wir diese Gabe jedoch falsch einsetzen, kann sie uns ungeheuer schaden.« Harriet hat nie auf Intimitäten mit Männern verzichtet, und ich bin sicher, daß sie sich Beau gegenüber ebenso verhalten hätte wie ich. Ihren ersten Liebhaber nahm sie sich mit vierzehn Jahren. Es ist keine leidenschaftliche Liebesgeschichte daraus geworden, aber sie und ihr Liebster fühlten sich befriedigt. »Es machte uns beide sehr glücklich, solange es dauerte. Und genau das soll das Leben ja tun«, erklärte Harriet hierzu.

Ich fühle mich Harriet inniger verbunden als jedem anderen Menschen – mit Ausnahme von Beau. Schließlich hatte ich sie lange Zeit für meine Mutter gehalten, und zwar für eine absolut perfekte. Niemals erstickte sie mich mit ihrer Zuneigung, nie wollte sie wissen, wo ich gewesen war oder wie ich mit dem Unterricht vorankam, und niemals hatte sie Angst um mich. Ich empfand Priscillas offenkundige Ängstlichkeit als ermüdend und wollte mir durch ihre Besorgnis um mein Wohlergehen – besonders nachdem ich Beau kennengelernt hatte – nicht mein Gewissen belasten lassen. In Harriets Gesellschaft fühlte ich mich immer wohl. Ich war sicher, daß sie meine Gefühle für Beau verstehen könnte, wie es meine Mutter nie fertigbrächte, und daß sie mir helfen würde, falls ich in Schwierigkeiten geriete.

Ich war in Eyot Abbas immer willkommen. Hier war auch Benjie nach wie vor häufig anzutreffen, den ich gerne mochte. Er war Harriets Sohn und für mich früher wie ein Bruder gewesen. Ich wußte, daß er sehr an mir hing. Wie entzückt war er gewesen, als sich herausstellte, daß ich nicht seine Schwester war! Diese Reaktion legt eine gewisse Vermutung nahe, die ich sicher recht interessant fände, wenn ich nicht so vernarrt in Beau wäre.

Benjie ist viel älter als ich, so an die zwölf Jahre, aber das ändert nichts an seinen Gefühlen für mich. Ich bemerkte sie allerdings erst richtig, als ich Beaus Geliebte wurde. Damals wurde mir überhaupt vieles klar. »Du bist über Nacht erwachsen geworden, wie es so schön heißt«, meinte Beau. »Das bedeutet, meine kleine Unschuld, daß du kein Kind mehr bist, sondern eine Frau.« Beau machte sich über alles lustig, und es gab vieles, was er verabscheute. Unschuld haßte er derartig, daß es ihn drängte, sie zu zerstören. Er war ganz anders als alle, die ich bis dahin gekannt hatte. Niemals würde ein anderer ihn ersetzen können. Er mußte zurückkommen! Bestimmt gab es irgendeine plausible Erklärung. Wenn ich manchmal jenen leichten Geruch nach Moschus wahrnehme, eine Mischung aus Parfüm und Sandelholz, überfallen mich quälende Erinnerungen an ihn. Seine Wäsche hatte immer danach geduftet. Er war in jeder Hinsicht anspruchsvoll. Eines Tages befahl er mir in Enderby, mich nackt auszuziehen und in eine Wanne zu steigen, die er mit rosenduftendem Wasser gefüllt hatte. Hinterher rieb er mich mit einem ebenso parfümierten Hautwasser ein, das er selbst herstellte, wie er mir versicherte. Im Bett war er dann in besonders guter Stimmung, so als ob es ein Ritual gewesen wäre und eine spezielle Bedeutung hätte.

Harriet erwähnte Beau hin und wieder. Natürlich hatte auch sie keine Ahnung, daß er in Enderby gewesen war. »Er ist fort. Vergiß ihn, Carlotta«, sagte sie.

»Er wird zurückkommen.«

Sie erwiderte nichts, doch ihre schönen Augen wirkten ungewöhnlich traurig.

»Warum sollte er denn weggehen?« fragte ich.

»Weil er es für sinnlos hielt, noch länger abzuwarten. Es gab zu viel Widerstand.«

»Von meiner Seite aus gab es keinen.«

»Woher sollen wir wissen, was ihn fortgetrieben hat«, meinte sie. »Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß er nicht mehr da ist.«

Bestimmt dachte sie, daß Beau aufs Festland gefahren war. Auch in London, wo er bei Hof gut bekannt war, wurde dies allgemein angenommen. Als Harriet dorthin gereist war, erfuhr sie, daß er bei seinem Verschwinden enorme Schulden hinterlassen hatte. Sie deutete mir gegenüber an, daß er nun wohl auf der Jagd nach einer anderen Erbin sei. Ich wagte ihr nicht zu erzählen, daß wir uns in Enderby getroffen und geplant hatten, miteinander zu fliehen.

Es war eigenartig, wie stark ich manchmal seine Gegenwart zu spüren vermeinte. Oft ging ich dann nach Enderby, schloß mich im Schlafzimmer ein und legte mich auf das Himmelbett, um zu träumen, daß alles wieder von neuem geschehe.

Wenn ich nachts von ihm geträumt hatte, trieb es mich ebenfalls unwiderstehlich nach Enderby. So war es auch am Nachmittag des Tages, der auf die Nacht folgte, in der Beau mir wieder so nah gewesen war. Es war nicht weit, ein Ritt von höchstens zehn Minuten. Als ich noch Beau dort traf, ging ich immer zu Fuß, da ich nicht wollte, daß jemand mein Pferd sah und folglich von meiner Anwesenheit wußte.

An diesem Tag band ich das Pferd vor dem Haus an einem Pfosten fest, holte den Schlüssel heraus und sperrte die Türe auf. Ich betrat die wunderschöne alte Halle mit ihrer prachtvollen Gewölbedecke und der kunstvoll geschnitzten Wandtäfelung. Am einen Ende der Halle befanden sich hinter einer Zwischenwand die Küchenräume, am anderen erhob sich die Empore für die Musikanten. In diesem Teil des Hauses spukte es angeblich, denn eine frühere Hausherrin hatte versucht, sich an dieser Empore zu erhängen, weil ihr Mann in die Rye-House-Verschwörung verwickelt war. Das Seil war zu lang gewesen, so daß sie sich nur verletzte und über lange Zeit qualvoll dahinsiechte. Diese Geschichte hatte ich wiederholt gehört. Ich erinnere mich auch daran, daß Beau einmal bei meinem Kommen auf jener Empore in Frauenkleidern auftauchte, die er im Haus gefunden hatte. Es machte ihm Spaß, mir Angst einzujagen.

Als ich nun das Haus betrat, schaute ich sofort zur Empore hinüber. Dies geschah immer ganz automatisch, und ich dachte zum tausendsten Mal, wie glücklich ich wäre, wenn ich ihn sehen könnte oder wenigstens einen Hinweis bekäme, wo er sich aufhielt – und wann er wieder zu mir zurückkommen würde.

Aber niemand war da. Nur Stille und Düsternis und jene schrecklich bedrückende Atmosphäre, die etwas lauernd Böses an sich hatte. Ich durchquerte die Halle. Meine Schritte auf den Steinfliesen kamen mir unnatürlich laut vor. Dann ging ich die Treppe hinauf, vorbei an der Empore.

Ich öffnete die Tür zum Schlafzimmer, das wir zu unserem Reich gemacht hatten. Das Bett mit den Samtdraperien wirkte sehr eindrucksvoll. Ich dachte plötzlich an all die Menschen, die auf diesem Lager gestorben waren. Dann warf ich mich der Länge nach darauf und vergrub das Gesicht in den Samtpolstern.

»Ach, Beau! Beau!« rief ich. »Warum hast du mich verlassen? Wo bist du jetzt?«

Ich schauderte und setzte mich auf. Es kam mir vor, als hätte ich eine Antwort erhalten. Ich war nicht allein. Es war jemand im Haus. Irgendeine Bewegung ... ein Schritt. Waren es Schritte? Ich kannte die Geräusche dieses Hauses, das Knacken von altem Holz, das protestierende Quietschen eines Dielenbretts. Wenn ich früher mit Beau auf diesem Bett lag, hatte ich immer wieder Angst, entdeckt zu werden. Wie hat er mich ausgelacht! Manchmal glaubte ich sogar, daß er es erhoffte. »Liebend gern sähe ich Priscillas prüdes Gesicht, wenn sie mich mit ihrer Tochter im Bett überraschte«, sagte er einmal. Ja, ich kannte die Geräusche dieses Hauses und war nun fest davon überzeugt, nicht mehr allein zu sein. Eine freudige Erregung überwältigte mich. Mein erster Gedanke galt Beau ... er ist zurückgekommen!

»Beau!« rief ich. »Beau! Ich bin hier, Beau.«

Die Tür öffnete sich. Mein Herz schlug so wild, daß ich fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen.

Im nächsten Moment wandelte sich meine selige Erwartung in Zorn, als ich meine Halbschwester Damaris erkannte.

»Damaris«, stammelte ich. »Was ... was tust du hier?«

Vor Enttäuschung wurde mir fast übel, und Haß auf meine Schwester überkam mich. Sie stand mit leicht geöffnetem Mund und erstaunt aufgerissenen Augen da. Damaris war kein hübsches Kind, aber ruhig, gehorsam und von dem Wunsch erfüllt, sich beliebt zu machen, was unsere Mutter als reizend bezeichnete. Ich hatte sie immer recht langweilig gefunden und ignorierte sie, so gut es ging. Doch nun haßte ich sie geradezu. Sie sah in ihrem himmelblauen Kleid mit der etwas helleren Schärpe und den langen braunen Haaren so ordentlich und adrett aus. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich, aus Besorgnis wurde Neugierde.

»Ich dachte, daß jemand bei dir sei, Carlotta«, sagte sie. »Du hast doch eben laut gesprochen, oder?«

»Ich habe gerufen, um zu erfahren, wer da ist. Du hast mich erschreckt.« Ich musterte sie anklagend.

Ihr Mund bildete ein großes O. Sie verfügte über keinerlei Finesse, aber das konnte man von einem zehnjährigen Kind vielleicht auch nicht erwarten. Was hatte ich eigentlich gesagt? Vermutlich hatte ich den Namen meines Geliebten gerufen. Hatte sie ihn gehört? Ich war ziemlich sicher, daß Beau ihr kein Begriff war.

»Ich dachte, es hätte wie Bow geklungen«, sagte Damaris.

»Du irrst dich«, widersprach ich rasch. »Ich habe gerufen: ›Wer ist da?‹«

»Aber ...«

»Alles übrige hast du dir nur eingebildet«, fuhr ich in scharfem Ton fort. Ich war vom Bett aufgestanden und packte sie nun etwas unsanft bei der Schulter, so daß sie leicht zusammenzuckte. Das freute mich. Ich wollte ihr weh tun. »Wer hat dir erlaubt, herzukommen?« sagte ich. »Dies ist mein Haus, und ich bin hier, um mich davon zu überzeugen, daß alles in Ordnung ist.«

»Hast du das Bett ausprobiert?«

Ich schaute sie forschend an. Nein, hinter ihrer Bemerkung lauerte kein verstecktes Motiv, kein Aushorchen, keine Anspielung. Eines stand fest: Meine kleine Schwester war ohne Arg. Außerdem war sie ja erst zehn Jahre alt.

Ich überlegte. Sollte ich irgendeine Erklärung abgeben? Nein, am besten war es wohl, das Ganze auf sich beruhen zu lassen.

Wir verließen gemeinsam das Haus.

»Wie bist du hergekommen?« fragte ich.

»Zu Fuß.«

Ich schwang mich in den Sattel. »Dann kannst du auch zu Fuß zurückgehen.«

Zwei Tage später, an einem Samstag, war ich im Garten von Dower House, als ein Mann herbeiritt. Er saß ab und verbeugte sich vor mir.

»Irre ich mich oder ist dies das Dower House Eversleigh, wo Captain Leigh Main lebt?«

»Ihr irrt Euch nicht. Er ist zwar im Moment nicht hier, wird meines Erachtens aber bald zurück sein. Kommt mit. Ich werde Euch zeigen, wo Ihr Euer Pferd anbinden könnt ...«

»Vielen Dank. Ihr seid vermutlich seine Tochter.«

»Seine Stieftochter.«

»Ich bin Gervaise Langdon. Wir waren zusammen in der Armee.«

»General Langdon«, rief ich. »Ich hörte ihn Euren Namen erwähnen. General Sir Gervaise Langdon. Stimmt das?«

»Ich sehe, Ihr seid bestens informiert.«

Wir banden sein Pferd an den Pfosten und gingen dann gerade aufs Haus zu, als meine Mutter auftauchte.

»Das ist General Sir Gervaise Langdon, Mutter«, sagte ich rasch.

»Oh, kommt doch herein«, forderte Priscilla ihn auf. »Mein Mann müßte eigentlich gleich hier sein.«

»Als ich durch diese Gegend ritt und mich daran erinnerte, daß mein alter Freund hier lebt, kam ich auf die Idee, ihm einen Besuch abzustatten«, sagte Sir Gervaise.

»Er wird sich sehr freuen. Wie oft hat er von Euch gesprochen, nicht wahr, Carlotta! Dies ist meine Tochter Carlotta«, stellte Priscilla mich vor.

Sir Gervaise verbeugte sich ein zweitesmal vor mir. »Es ist mir ein Vergnügen«, sagte er galant.

Meine Mutter ging uns in die Halle voran.

»Ich versuchte es zuerst beim großen Haus drüben«, erklärte Sir Gervaise. »Dort informierte mich einer der Diener, daß Ihr jetzt im Dower House lebt.«

Priscilla nickte. »Meine Eltern wohnen noch in Eversleigh Court«, fügte sie dann hinzu.

»Auch Lord Eversleigh, nicht wahr? Wo steckt eigentlich Edwin im Augenblick?«

»Er ist gerade auf dem Festland stationiert.«

»Ach so. Ich hatte gehofft, auch ihn anzutreffen.«

»Ihr wißt sicher schon, daß mein Mann den militärischen Dienst quittiert hat.«

»Ja, das weiß ich. Eversleigh macht weiter, oder?« – »Stimmt, aber ich glaube, daß seine Frau es gern sähe, wenn er das gleiche täte wie Leigh.«

»Ein Jammer«, erwiderte der General.« Wir brauchen solche Männer wie die beiden.«

»Ich sage immer, daß ihre Familien sie auch brauchen.«

»Jaja, die ewige Klage der Ehefrauen«, meinte der General lächelnd.

Priscilla geleitete ihn ins Empfangszimmer und ließ Wein und Kuchen auftischen.

Damaris kam herein und wurde vorgestellt.

»Ihr habt zwei charmante Töchter«, sagte der General.

Er erzählte uns von seinen Auslandsreisen und gestand, wie glücklich es ihn mache, wieder in England zu sein. Dann tauchte Leigh auf und war hocherfreut, den General zu sehen. Nach kurzer Zeit meinte meine Mutter, daß die beiden sicher viel zu besprechen hätten. Außerdem gab sie ihrer Hoffnung Ausdruck, daß der General nicht in Eile sei und folglich länger bleiben könne.

Dieser erwiderte, daß er seinen alten Freund Ned Netherby besuchen wolle. Er plane, die Nacht in einem Gasthaus zu verbringen, das nur vier Meilen entfernt lag. Am folgenden Tag würde er dann zu Netherbys Besitztum weiterreiten.

»Das kommt gar nicht in Frage«, protestierte meine Mutter. »Natürlich bleibt Ihr hier. Wir wollen nichts davon hören, daß Ihr in einem Gasthaus übernachtet, nicht wahr, Leigh?«

Leigh schloß sich Priscillas Vorschlag an, und der General willigte schließlich ein.

»Gut, das wäre also geklärt«, sagte meine Mutter. »Entschuldigt mich bitte, ich will jetzt dafür sorgen, daß Euer Zimmer zurechtgemacht wird. Carlotta, Damaris, kommt mit und helft mir.«

Wir gingen mit ihr hinaus.

»Ich sah, daß der General mit eurem Vater allein reden wollte«, sagte sie. »Bestimmt haben sie viele Erinnerungen auszutauschen. Die beiden waren eine Zeitlang gemeinsam in der Armee.«

Ich zog mich in mein Zimmer zurück, während Damaris meiner Mutter half. Eigentlich war ich immer etwas aufgeregt, wenn Besucher kamen. So war es auch diesmal. Außerdem verriet mir einiges am Benehmen des Generals, daß dies nicht nur ein zufälliger Besuch war. Dieser Gast wirkte auf mich sehr zielbewußt. Es handelte sich bei ihm um einen attraktiven Mann, über einsachtzig groß und vermutlich ein wenig älter als Leigh. Seine Haltung war die eines Militärs; niemand hätte daran gezweifelt, einen Soldaten vor sich zu haben. Die Narbe an seiner rechten Wange gab ihm etwas Verwegenes und erhöhte sogar noch sein gutes Aussehen.

Ich nahm an, daß er gekommen war, um Leigh zu überreden, in die Armee zurückzukehren. Eine solche Annahme lag meiner Mutter sicher fern, sonst hätte sie ihn nicht so freundlich willkommen geheißen.

Beim Dinner wurde viel über die alten Zeiten in der Armee gesprochen, und Leigh machten diese Reminiszenzen ganz offenkundig großen Spaß.

Der General redete auch über den König, den er anscheinend nicht mochte. Er nannte ihn den »Holländer«, wobei er dieses Wort voller Verachtung aussprach. Immer, wenn der König erwähnt wurde, rötete sich sein Gesicht, und die Narbe hob sich dann hell und deutlich von seiner Haut ab.

Später überließen wir die beiden Männer dem Wein und ihrer Unterhaltung. »Der General ist ein charmanter Mann«, sagte meine Mutter zu mir. »Ich hoffe nur, daß er Leigh nicht zu sehr an das Armeeleben erinnert. Er spricht so darüber, als ob es eine Art Paradies wäre.«

»Mein Vater wird dich bestimmt nie mehr verlassen, Mutter«, mischte sich Damaris ein.

Priscilla nickte ihr zu. »Warum der General wohl hergekommen ist?«

»Weil er auf seinem Weg nach Netherby Hall bei uns vorbeikam«, antwortete Damaris. »Das hat er selbst gesagt.«

Ich lächelte meiner kleinen unschuldigen Schwester zu. Sie glaubte alles, was sie hörte.

Am nächsten Tag – es war Sonntag – gingen wir wie immer zum Essen hinüber nach Eversleigh Court. Obwohl Leigh und meine Mutter das Dower House gekauft hatten, betrachteten sie Eversleigh Court immer noch als ihr zweites Heim. Ich hatte mehrere Jahre da gelebt, meine Mutter verbrachte ihr ganzes Leben dort, und Damaris war hier zur Welt gekommen. Erst im letzten Jahr hatte Leigh das Dower House erworben, das nur fünf Minuten entfernt lag. Meine Großeltern nahmen es uns übel, wenn wir nicht häufig zu Besuch kamen. Ich liebte Eversleigh Court, obwohl ich Harriets Besitz Eyot Abbas wohl noch mehr als mein Zuhause empfand.

Zur Dinnerzeit versammelten wir uns alle an der Tafel in der Halle. Meine Großmutter, Arabella Eversleigh, hatte am liebsten die ganze Familie beisammen. Damaris war ihr spezieller Liebling, wie ich es nie gewesen war, aber dafür mochte mich mein Großvater Carleton ganz besonders gern. Er war ein äußerst unkonventioneller Mann, jähzornig, arrogant und eigensinnig. Ich fühlte mich sehr zu ihm hingezogen, und es erging ihm mit mir wohl ebenso. Meiner Meinung nach amüsierte es ihn über die Maßen, daß ich ein uneheliches Kind seiner Tochter war, der er eine gewisse grollende Bewunderung zollte, weil sie mich, allen gesellschaftlichen Regeln zum Trotz, zur Welt gebracht hatte. Ich mochte Großvater Carleton und hielt ihn für wesensverwandt mit mir.

Das Haus war zur Zeit von Queen Elizabeth in Form eines E errichtet worden und hatte zwei Seitenflügel rechts und links von der Haupthalle. Diese Halle mit den rauhen Steinmauern, den Waffen und Rüstungen gefiel mir ausnehmend gut. In der Familie Eversleigh gab es eine lange militärische Tradition. Carleton hatte allerdings nur kurze Zeit als Soldat gedient. Nach dem Bürgerkrieg war er daheim geblieben, um die Besitzungen bis zur Restauration zu verwalten. Dabei hat ihm sicher die Aufgabe, die er übernommen hatte, viel mehr Mut und vor allem weit mehr Geschicklichkeit abverlangt, als ein Soldat aufbringen mußte. Er hatte sich als Roundhead ausgegeben, obwohl er fanatischer Royalist gewesen war, und Eversleigh auf diese Weise für die Nachkommenschaft gerettet. Ich konnte ihn mir in dieser Rolle sehr gut vorstellen. Jedesmal, wenn er zur gewölbten Decke mit den schweren Eichenbalken oder zu dem Stammbaum hinaufschaute, der über dem wuchtigen Kamin gemalt war, dachte er sicher, daß all dies verloren wäre, wenn er in jenen Jahren unter Cromwells Herrschaft nicht so mutig und findig gewesen wäre.

Ja, an der militärischen Tradition der Familie war nicht zu zweifeln. Leigh war bis vor kurzem Soldat gewesen, und Edwin, der Sohn meiner Großmutter Arabella aus erster Ehe und jetzige Lord Eversleigh, diente zur Zeit in der Armee. Seine Frau Jane, eine recht farblose Person, und ihr Sohn Carleton – man nannte ihn im Unterschied zu Großvater Carleton kurz Carl – lebten in Eversleigh, das Edwin gehörte, obwohl mein Großvater es immer noch als seinen Besitz ansah. Das war nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß er den Besitz jahrelang geführt und für die Familie gerettet hatte. Ohne ihn würde es kein Eversleigh Court mehr geben. Der Vater meiner Großmutter war General Tolworthy gewesen, der sich auf royalistischer Seite ausgezeichnet hatte. Es hatte mich erstaunt, daß auch Beau eine Weile in der Armee gewesen war, und zwar während der Zeit von Monmouth' Rebellion. Als er mir das einmal erzählte, schien er sich aus irgendeinem Grund köstlich darüber zu amüsieren. Selbst Carleton war damals in der Armee gewesen, auf seiten Monmouth', obwohl er kein Berufssoldat war. Er hatte damals lediglich für eine ganz bestimmte Sache gekämpft. Wir konnten also sicher sein, daß sich unser Gast, General Langdon, in einem solchen Haushalt wohl fühlte.

An diesem Tag saßen meine Großeltern, Edwins Frau, Lady Eversleigh, und der junge Carl als Gastgeber am Tisch. Hinzugekommen waren Priscilla, Leigh, Damaris und ich. Außerdem waren unsere Nachbarn vom Grasslands Manor, Thomas Willerby und sein Sohn Thomas, der ungefähr ein Jahr jünger war als ich, zu Besuch. Thomas Willerby war seit kurzem verwitwet und sehr unglücklich darüber, da er eine außergewöhnlich gute Ehe geführt hatte. Auch meine Mutter litt unter Christabel Willerbys Tod, da diese vor ihrer Ehe ihre Gesellschafterin gewesen war und ihr auch später eine gute Freundin blieb. In Grasslands gab es noch ein Baby, das auf den Namen seiner Mutter Christabel getauft war, die bei der Geburt gestorben war. Priscilla war tief betrübt über die Tragödie und lud die beiden Willerbys häufig zu uns ein. Sie hatte auch darauf bestanden, daß Christabel fürs erste zu uns ins Kinderzimmer übersiedelte, bis eine befriedigendere Lösung gefunden wurde. Sally Nullens, unsere alte Kinderfrau, und Emily Philpots, die jahrelang als Erzieherin fungiert hatte, waren begeistert über diese Regelung. Was Thomas Willerby betraf, so empfand er für meine Mutter eine derartige Dankbarkeit, daß ihm jedesmal fast Tränen in die Augen stiegen, wenn er sie ansah. Er war ein sehr gefühlvoller Mann.

Meine Großeltern hießen General Langdon herzlich willkommen, und in der ersten Viertelstunde drehte sich das Gespräch bei Tisch nur um die Armee.

Dann machte Priscilla in recht scharfem Ton eine unerwartete Bemerkung, was darauf schließen ließ, daß sie sich in Gedanken schon viel mit diesem Thema beschäftigt hatte. »Ich finde, daß Enderby Hall nicht ungenutzt und leer bleiben sollte. Das tut einem Haus niemals gut.«

»Richtig«, stimmte Thomas zu, immer darauf bedacht. ihr zu Hilfe zu eilen. »Sonst kommt Feuchtigkeit rein. Häuser müssen bewohnt sein, brauchen Feuer und Menschen.«

»Was für ein wunderschöner alter Besitz«, sagte Jane Eversleigh. »Allerdings würde ich nicht gern dort leben. Mir läuft es immer kalt den Rücken herunter, wenn ich daran vorbeikomme.«

»Nur weil du auf dummes Geschwätz hörst«, meinte mein Großvater. »Wenn es nicht dieses Gerede gegeben hätte, würde kein Mensch dort Gespenster vermuten.«

»Interessiert Ihr Euch für Geister, General Langdon?« erkundigte ich mich.

»Ich habe noch nie einen zu Gesicht bekommen«, erwiderte er, »und ich glaube nur an etwas, das ich mit eigenen Augen sehe.«

»Oh, Euch fehlt also der Glaube«, sagte Arabella.

»Sehen bedeutet glauben«, widersprach der General. »Wie hat das Gerede eigentlich begonnen?«

»Ich meine, alles begann damit, daß sich eine frühere Besitzerin dort zu erhängen versuchte. Das Seil war viel zu lang, und sie verletzte sich schwer. Später starb sie dann äußerst qualvoll.«

»Arme Frau. Was hat sie denn zu dieser Tat getrieben?«

»Ihr Mann war in eine Verschwörung verwickelt.«

»In die papistische«, fügte Carl hinzu.

»Nein, du verwechselst ihn mit meinem Vater«, wandte ich ein. »Hier handelte es sich um die Rye-House-Verschwörung, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Priscilla in gezwungenem Ton, wie mir schien.

»Sie verschworen sich gegen den König«, sagte Carleton. »Was für ein törichtes und verbrecherisches Unterfangen.«

»Ich begreife nicht, warum die Menschen immer wieder so etwas tun müssen«, meinte Priscilla.

»Meine liebe Lady, manche Männer haben das starke Bedürfnis einzugreifen, wenn sie etwas als unrecht erkannt haben.«

»Und gefährden damit Menschenleben«, warf Arabella heftig ein.

»Ach, das Ganze ist ja längst vorbei«, sagte Carleton. »Aber auf diese Weise hat das Haus jedenfalls seinen schlechten Ruf bekommen.«

»Mir wäre es am liebsten, wenn sich eine nette Familie dort niederließe«, meinte Priscilla. »Es geht doch nichts über gute Nachbarn ...«

Sie war nervös, und Leigh beobachtete sie besorgt. Mir kam spontan der Gedanke, daß die beiden sich darüber schon unterhalten hatten. Also hatte meine Schwester wohl doch ausgeplaudert, daß sie mich auf dem Himmelbett in Enderby überraschte. Vielleicht hatte sie sogar erwähnt, daß sie zu hören glaubte, wie ich mit jemandem namens Bow sprach. »Es handelt sich hier übrigens um mein Haus«, sagte ich, an den General gewandt. »Es wurde mir vom Onkel meines Vaters vermacht, von Robert Frinton.«

»Ich kannte die Familie«, sagte der General. »Was für eine Tragödie!«

Meine Mutter verkrampfte ihre Hände. Heute war sie ganz besonders nervös. Dies mußte wohl am General liegen.

»Es dauert noch einige Monate, bevor du das Erbe antreten kannst«, mischte sich nun mein Großvater ein. »Aber ich bezweifle nicht, daß alles glatt über die Bühne ginge, falls sich ein Verkauf arrangieren ließe.«

»Ich weiß noch nicht, ob ich verkaufen will.«

»Vielleicht liebt Ihr Gespenster, Mistress Carlotta«, neckte mich der General.

»Ich würde gern mal eines sehen. Ihr etwa nicht, General?«

»Das kommt sehr auf die Art des Gespenstes an«, er widerte er.

»Du solltest das Haus verkaufen, Carlotta«, sagte Leigh. »Denn du wirst dort ja doch nie leben wollen. Oder vielleicht findet sich jemand, der es mietet.«

Ich schwieg. Die seltsame Anspannung meiner Familie wurde mir jetzt deutlich bewußt. Ob der General sie wohl auch bemerkte? Aus irgendeinem Grund wollte man mich daran hindern, in Enderby durch die leeren Räume zu wandern. Damaris hatte anscheinend tatsächlich erzählt, was sie gesehen und gehört hatte. Nun wußten alle, daß ich immer noch hoffte, Beau wiederzufinden.

»Denk darüber nach«, sagte mein Großvater abschließend. »Übrigens habe ich auch schon hin und her überlegt, ob ich Grasslands aufgeben soll oder nicht.« Thomas Willerby lenkte mit dieser Bemerkung die volle Aufmerksamkeit auf sich.

»Grasslands aufgeben!« rief meine Mutter ungläubig. »Aber warum denn?«

»Zu viele Erinnerungen«, murmelte er, und am Tisch herrschte Schweigen.

Nach einer Weile sprach Thomas weiter. »Ja, ich dachte mir, daß es vielleicht besser wäre, zurück in den Norden zu ziehen und zu versuchen, ein neues Leben aufzubauen. Aus diesem Grund kam ich damals auch hierher, und dank euch allen und ... Christabel wurde es ein gutes Leben. Mag sein, daß es am besten ist, wenn ich mich wieder auf den Weg mache ...«

Meine Mutter sah traurig aus, aber ich merkte ihr an, daß sie sich bereits eine Zukunft für ihn ausmalte. Man müßte ihn gehen lassen, um eine neue Frau und ein neues Leben zu finden ... vielleicht käme er dann wieder zurück.

»Nun, das wird sich alles finden«, sagte Thomas. »Es gibt noch so vieles zu erwägen. Aber ich bin wie Ihr der Meinung, daß etwas mit Enderby geschehen sollte.«

Da ich sie von dem Thema Enderby ablenken wollte, mischte ich mich wieder in die Unterhaltung. »Ich habe gehört, daß Lady Elizabeth Villiers die irischen Besitzungen von James II. als Schenkung erhalten soll.«

Das Gesicht des Generals lief rot an. »Ungeheuerlich«, murmelte er.

»Laßt den König doch seine Geliebte verwöhnen«, meinte Carleton. »Ich bin sowieso überrascht, daß er eine hat, und wünsche ihm viel Vergnügen mit der Lady.«

»Es ist betrüblich, daß es so weit kommen mußte«, sagte Arabella. »Töchter wenden sich gegen ihre Väter ...«

»Wie wahr, wie wahr«, stimmte der General zu. »Ich vermute, daß Queen Mary schwer unter ihrem Gewissen zu leiden hatte. Und bei Queen Anne wird es nicht anders sein, wenn sie den Thron besteigt.«

»Nein, nein«, widersprach Carleton hitzig. »England wird keinen papistischen König dulden. Einen Papisten sind wir schon losgeworden. James ist dort, wo er hingehört – im Exil, und dort soll er auch bis zu seinem Tode bleiben, basta. Falls William sterben sollte – und da sei Gott vor, denn er hat dieses Land gut regiert –, wird Anne gekrönt und die Unterstützung all jener haben, denen das Wohl Englands am Herzen liegt.«

Ich sah deutlich, daß der General sich nur mühsam beherrschte. Leigh machte ein unbehagliches Gesicht, denn er kannte die Ansichten des Generals zu diesem Punkt. Wie typisch für meinen Großvater, seine Meinung zu äußern, ohne vorher zu überlegen, ob er damit jemanden beleidigte.

»Thronraub bringt den Verantwortlichen oft nur Leid«, sagte der General mit bemüht ruhiger Stimme.

»So kann man es kaum nennen. James war nicht zu gebrauchen. Seine Tochter Mary war die nächste in der Thronfolge, und nach ihr kam William. Ich war sofort gegen James, als ich von seinen papistischen Ideen hörte. Lieber hätte ich Monmouth auf den Thron gesetzt, als diesen Papisten über uns herrschen zu lassen. James wurde besiegt und ist nun im Exil. Dort soll er auch bleiben.«

»Ihr seid hitzig, Sir«, sagte der General. »Ihr nicht, Sir?« entgegnete Carleton. »Ich muß zugeben, daß ich mich über diese Dinge sehr erregen kann.«

»Das merkt man«, stimmte der General zu.

Arabella wechselte taktvoll das Thema, und wir unterhielten uns über so banale Angelegenheiten wie die Frage, ob wir wohl einen strengen Winter bekämen. Dies wiederum erinnerte uns alle an die Zeit, als die Themse zugefroren war und der arme Thomas Willerby Christabel kennenlernte.

Ich war erleichtert, als wir zum Dower House zurückkehrten. Der General schwieg. Ich nahm an, daß er den Besuch bei meinen Großeltern nicht gerade genossen hatte.

Er und Leigh verbrachten den Abend zu zweit, und früh am nächsten Morgen verabschiedete sich unser Gast und brach auf.

Meine Gedanken kreisten um Enderby. Wie wäre mir zumute, falls ich nicht mehr dorthin gehen könnte? Neue Bewohner würden es verwandeln, so daß es ein anderes Haus wäre. Wollte ich es als eine Art Denkmal für den Geliebten behalten, der mich verlassen hatte? Würde ich vielleicht glücklicher sein, wenn ich mich nicht mehr nach Enderby schleichen und dort Trübsal blasen konnte?

Eine schwer zu beschreibende Veränderung ging in mir vor. Ärger erfaßte mich und dämpfte ein wenig meinen Kummer, während mich um so mehr verletzter Stolz peinigte. Konnte es denn wirklich wahr sein, daß Beau aus freien Stücken weggegangen war und eine reichere Erbin gefunden hatte? Das wurde jedenfalls behauptet. Er hatte sich im Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit mit mir Geld geborgt, er war gewinnsüchtig und vielleicht schon längst auf der Jagd nach einem größeren Wild – irgendwo auf dem Kontinent, in Paris oder ... Venedig. Von Venedig erzählte er immer viel. Ehrlicherweise hatte er nie vorgetäuscht, ein Ehrenmann zu sein, sondern geradezu betont, daß er kein Heiliger sei. »In mir steckt viel von einem Teufel, Carlotta«, hatte er einmal gesagt und mich aufgefordert, seinen Kopf zu betasten, ob dort etwa schon Hörner wüchsen. »Aber gerade das liebst du ja an mir«, neckte er mich, »denn es ist ganz klar, daß sich auch in dir ein kleiner Teufel verbirgt.«

Wie töricht von mir zu glauben, daß er zurückkehren würde! Beau war nun schon über ein Jahr fort. Ich malte mir sein Leben an einem fremden Ort aus, in einer Burg am Rhein, einem Palazzo in Italien oder einem Schloß in Frankreich, mit einer Erbin, die mich an Reichtum weit übertraf. Sicher erzählte er in bester Laune von mir, denn Beau redete immer über seine Geliebten. Er verhöhnte den Ehrenkodex, den ein Gentleman eigentlich zu respektieren hatte.

So schürte ich geradezu meinen Zorn auf ihn und fand darin einen gewissen Trost.

Ja, warum sollte Enderby eigentlich nicht vermietet oder verkauft werden? Was hatte ich davon, es wie einen Reliquienschrein für einen treulosen Liebsten aufzubewahren?

Inzwischen war es September geworden. In einem Monat würde mein achtzehnter Geburtstag sein, ein bedeutungsvoller Tag in meinem Leben, da ich dann mein Erbe antreten konnte und endlich mündig sein würde.

Priscilla war der Meinung, daß ein ganz besonderes Fest gefeiert werden müsse, und natürlich bestanden meine Großeltern darauf, es in Eversleigh Court abzuhalten, da es weit geeigneter dafür sei als das Dower House.

Eversleigh Court wimmelte von Besuchern, und ich war sicher, daß Leigh und Priscilla einige junge Männer eingeladen hatten, die als annehmbare Freier in Frage kamen. Sie hofften natürlich, daß ich ihnen einiges Interesse entgegenbringen würde.

Harriet kam mit ihrem Mann Gregory und mit Benjie, worüber ich mich ganz besonders freute. »Wir kriegen dich ja kaum noch zu Gesicht«, sagte Harriet zur Begrüßung. Sie erstaunte mich auch diesmal wieder. Obwohl wahrlich nicht mehr die Jüngste, war sie immer noch von strahlender Schönheit. Sie gab sich allerdings auch jede erdenkliche Mühe, diese zu erhalten. Ihr Haar war nach wie vor schwarz. »Das verdanke ich nur meiner ganz speziellen Tinktur«, flüsterte sie mir zu, als ich eine Bemerkung darüber machte. »Ich werde dir das Rezept verraten, damit du gut gewappnet bist, wenn es einmal nötig wird.«

Sie wollten eine Woche bei uns bleiben. »Warum kommst du nicht häufiger nach Eyot?« fragte Benjie.

Ich wußte nichts darauf zu antworten. Schließlich konnte ich ihm ja wohl kaum gestehen, daß ich immer noch auf Beaus Rückkehr hoffte.

Wir ritten viel zusammen aus, und ich genoß diese Ausflüge sehr. Mir gefiel das feucht-kühle Septemberwetter, und ich nahm die Landschaft mit einer größeren Intensität als je zuvor wahr. Besonders hübsch waren die lohfarbenen Buchenblätter und die lustigen kleinen Zapfen an den Nadelbäumen. Wie immer zur Herbstzeit hingen überall Spinnweben, die, von glitzernden Tautropfen benetzt, ganz zauberhaft aussahen. Früher machte ich mir nicht viel aus der Natur, doch nun hatte ich das Gefühl, aus einem langen Alptraum zu erwachen.

Benjie war ein amüsanter Begleiter, unbeschwert und gutmütig und immer zum Lachen bereit. Er glich mehr seinem Vater als seiner Mutter. Sir Gregory Stevens konnte man nicht gerade als aufregend bezeichnen, aber er gehörte sicher zu den liebenswürdigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe.

Daß Benjie ungefähr zwölf Jahre älter war als ich, spielte für mich keine große Rolle. Ich verglich jeden mit Beau, von dem mich sogar mehr als zwanzig Jahre Altersunterschied trennten. Merkwürdigerweise fühlte ich mich Benjie ebenbürtig, was Lebenserfahrung anging. Das hatte Beau bei mir bewirkt.

Eines Tages kamen wir nach einem Ritt durch die Wälder auf dem Rückweg an Enderby Hall vorbei.

»Trostloses altes Gemäuer«, sagte Benjie. »Ich entsinne mich, daß du Carl und mir hierher nachgelaufen bist.«

»Auch ich erinnere mich genau. Ihr wart gräßliche Jungen, weil ihr mich nicht dabeihaben wolltet. Ihr befahlt mir, zu verschwinden und euch in Ruhe zu lassen.«

»Das mußt du unserer Jugend zugute halten«, erwiderte Benjie. »Ich verspreche dir, daß ich nie mehr etwas Derartiges zu dir sagen werde.«

»Ich muß ein unausstehliches Kind gewesen sein.«

»Gar nicht. Voraussetzung für gute Laune war allerdings, daß Carlotta der Mittelpunkt des Universums war und alle das Knie vor ihr beugten.«

»Mit Ausnahme von Benjamin und Carl.«

»Wir waren eben Dummköpfe.«

»Aber es wandte sich alles zum Besten. Ich folgte euch nach Enderby, versteckte mich in einem Schrank, schlief ein, und auf diese Weise lernten wir Robert Frinton kennen, der sich als ein Onkel meines Vaters entpuppte ...«

»... ein Opfer deines Liebreizes wurde und dir sein Vermögen hinterließ. All das hört sich an wie aus einem Märchenbuch, und es ist typisch, daß gerade dir so etwas passiert.«

»Ich finde nicht, daß ich viel von einer Märchengestalt an mir habe, Benjie. Hast du nicht gerade selbst gesagt, daß ich mich für den Mittelpunkt des Universums hielt? Ich fürchte, daß ich mich nicht sehr gewandelt habe, folglich also ein äußerst selbstsüchtiges Wesen bin.«

»Aber ein anbetungswürdiges, Carlotta.«

Er schaute mich unverwandt an. Von meinem Lehrmeister Beau wußte ich, was das zu bedeuten hatte.

»Gehen wir rein und schauen uns das Haus an«, schlug ich impulsiv vor.

»Ist es denn nicht verschlossen?«

»Ich habe den Schlüssel. Immer trage ich ihn an meinem Gürtel bei mir, damit ich jederzeit hineinkann, wenn mich die Laune überkommt.«

Er warf mir einen zweifelnden Blick zu. Wie die ganze Familie wußte auch Benjie über Beau Bescheid. Aber vermutlich ahnte keiner von ihnen, daß er in Enderby gehaust hatte.

Wir banden unsere Pferde an und schlenderten zur Haustür. Benjies Gegenwart erweckte in mir gewisse Gefühle. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Plötzlich interessierte es mich, wie es wohl wäre, mit Benjie zu schlafen. Vielleicht war ich wirklich, wie Beau behauptet hatte, die Art von Frau, für die körperliche Leidenschaft lebensnotwendig ist. Beau hatte erklärt, daß er noch nie eine so bereitwillige Jungfrau gekannt hätte. Damit meinte er natürlich, daß ich mich nicht einmal bei unserem ersten Zusammensein gesträubt hatte. »Eine Blume, die sich der Sonne öffnet«, so hatte er mich beschrieben. Bevor ich Beau kennenlernte, war ich viel mit Benjie zusammengewesen. Damals hatte es mich entzückt und mir geschmeichelt, daß er ganz besondere Gefühle für mich hegte.

Ich öffnete die Tür und hatte auf einmal die Hoffnung, die Erinnerung an Beau für immer verdrängen zu können.

»Es ist ein unheimliches Haus«, sagte Benjie. »Findest du nicht auch?«

»Das ist alles nur Einbildung«, widersprach ich.

»Ja, vielleicht hast du recht. Es sieht jetzt gar nicht mehr unheimlich aus, weil du hier stehst. Carlotta, wie schön du bist! Ich kenne nur eine einzige Frau, die dir an Schönheit gleicht, und das ist meine Mutter. Übrigens war ich sehr stolz auf dich, als ich dich noch für meine Schwester hielt.«

»Dein Stolz genügte nicht, um mir zu erlauben, dich auf deinem Streifzug nach Enderby zu begleiten«, erwiderte ich lachend.

»Ich sagte dir ja schon, daß du das unserer jungenhaften Dummheit zugute halten mußt.«

Er schaute mich ernst an, und ich ahnte, daß er mich gerne geküßt hätte. Ich ging quer durch die Halle und schaute zur Musikantenempore hinauf, um die Erinnerung auf mich wirken zu lassen. Der vertraute Schmerz war immer noch da. Keiner würde je für mich wie Beau sein. Langsam begann ich die Treppe hochzusteigen. Benjie kam mir nach, ging an der Spukempore vorbei. Warum muß ich eigentlich immer noch über Beau nachgrübeln, dachte ich wütend. Schließlich ist er fort und hat mich allein gelassen.

Wir schauten in alle Zimmer und kamen auch zu dem Raum mit dem Himmelbett.

Ich starrte es an, und Bitterkeit und Sehnsucht schienen so überwältigend wie eh und je zu sein. Benjie trat neben mich. »Carlotta, du bist kein Kind mehr«, begann er. »Ich wollte seit langem mit dir sprechen, aber du wirktest so jung ...«

Am liebsten hätte ich laut gelacht. War ich nicht noch um vieles jünger gewesen, als ich mit Beau auf diesem Bett herumgetollt hatte! Aber Benjie hatte natürlich brav abgewartet, bis ich ordnungsgemäße achtzehn Jahre alt war. Kein Hauch von Abenteurer steckte in ihm! Er war das krasse Gegenteil von Beau.

»Carlotta, ich glaube, daß sie es von uns erwarten.«

»Was erwarten?«

»Daß wir heiraten.«

»Bittest du mich um meine Hand?«

»Ja. Was sagst du dazu?«

Ich glaubte Beaus Gelächter zu hören. »Sie erwarten es von euch! Dein Schlappschwanz von Verehrer hat abgewartet, bis du im richtigen Alter bist. Darüber können wir doch nur lachen, nicht wahr, Carlotta? Mein Gott, du warst von der Wiege an im richtigen Alter, mein Liebling! So bist du nun einmal. Heirate deinen harmlosen Benjie! Du wirst ein sicheres, geschütztes Leben führen, und ich kann dir schon jetzt versprechen, daß es dich unsäglich langweilen wird.«

Es war eindeutig, daß ich Beau noch nicht entronnen war. Wenn ich Benjies Antrag jetzt annähme, würde ich dabei keinerlei freudige Erregung oder bebende Erwartung empfinden wie früher, wenn ich dieses Haus betrat, um Beau zu treffen.

»Nein«, sagte ich. »Nein.« Irgend etwas in mir ließ mich noch hinzufügen: »Noch nicht.«

Benjie zeigte sich überaus verständnisvoll. »Ich habe es überstürzt«, sagte er.

Überstürzt! Ich kannte seine Gefühle für mich seit langem. Er hatte keine Ahnung, was für ein Mensch ich war. Unwillkürlich stellte ich mir Beau in einer ähnlichen Situation vor. Wenn ich ihn abgewiesen hätte, würde er mich nur ausgelacht und dann aufs Bett geworfen haben.

Wollte ich einen Mann wie Benjie?

Wieder glaubte ich Beaus Gelächter zu vernehmen. Ja, so einen willst du, genau so einen!

Beau würde das ganze als Mordsspaß ansehen. Ausgerechnet in diesem Zimmer, in dem wir uns so vergnügt getummelt hatten (wie er es sicher ausdrücken würde), machte mir Benjie einen Heiratsantrag! Und weil ich dann »nein« sagte, vermutete Benjie zu allem Übel auch noch, daß er es überstürzt hätte, mich um meine Hand zu bitten. Wo ich in meiner Unschuld doch noch gar nicht auf Derartiges vorbereitet sein konnte!

Nein, ich war Beaus Einfluß keineswegs entronnen.

Wir gingen zu unseren Pferden hinaus.

»Sei nicht betrübt, liebste Carlotta«, bat Benjie. »Ich werde dich in einiger Zeit noch einmal fragen.«

Harriet kam in mein Zimmer. Sie strotzte vor Gesundheit und sah meiner Meinung nach ebenso schön aus wie zehn Jahre zuvor. Vielleicht war sie ein wenig fülliger geworden, aber das stand ihr gar nicht schlecht. Die zusätzlichen Pfunde beeinträchtigten ihr gutes Aussehen nicht im geringsten. Ihrer eigenen Aussage nach sorgte sie schon dafür, daß sie an den richtigen Stellen zunahm.

Wahrscheinlich wußte sie bereits, daß Benjie um meine Hand angehalten hatte. Manche Dienstboten munkelten, daß Harriet über ungewöhnliche Kräfte verfügte, und ich neigte ebenfalls dieser Ansicht zu. Ihre unglaublich schönen veilchenblauen Augen mit den dichten schwarzen Wimpern waren sehr scharf und ließen sich kaum etwas entgehen.

»Na, meine kleine Verführerin, du willst aus meinem Benjie also keinen glücklichen Mann machen«, sagte Harriet. »Er hat dich heute gefragt, oder?«

Ich nickte.

»Und du hast nein gesagt. Ich vermute, daß du ›noch nicht‹ hinzugefügt hast, denn Benjie ist nicht so niedergeschlagen, wie ich es von ihm erwarten würde, wenn er eine glatte Absage bekommen hätte.«

»Harriet, du hast wie üblich recht.«

Wir lachten gemeinsam. Sie versetzte mich immer in gute Laune. Ich liebte sie wirklich. Zum Teil lag das daran, daß ich sie in jenen prägenden Kindheitsjahren für meine Mutter gehalten hatte. Aber es war noch mehr als das. Ich zählte sie zu unseresgleichen, sie war Beau und mir ähnlich.

Wir waren die Abenteurer dieser Welt, dazu entschlossen, das meiste von dem zu kriegen, was wir wollten, und dabei nicht gerade zimperlich zu sein, falls die Umstände dies erforderten.

Wir zeichneten uns alle drei durch außergewöhnliche Schönheit aus. Bei Beau und Harriet stand dies außer Frage, und es wäre falsche Bescheidenheit von mir, nicht zuzugeben, daß auch ich recht ansehnlich war. Die Natur hatte sich so etwas wie einen Scherz erlaubt, denn ich hätte gut und gerne Harriets Tochter sein können. Ich war fast so dunkelhaarig wie sie, hatte dunkelblaue Augen, denen allerdings der violette Schimmer fehlte, und meine Wimpern und Brauen waren ebenso schwarz wie bei ihr. Hiermit hörte die Ähnlichkeit allerdings auf. Meine ovale Gesichtsform mit den hohen Wangenknochen, den vollen Lippen und der geraden Nase waren typisch Eversleigh.

Aber auch vom Naturell her glich ich Harriet sehr. Wir harmonierten großartig. Ich konnte mich mit Harriet besser unterhalten als mit irgendeinem anderen Menschen, Meiner Mutter muß es ähnlich ergangen sein, denn sie hatte sich Harriet anvertraut, als sie mich erwartete und Angst davor hatte, ihrer Familie die Wahrheit zu gestehen.

»Mein armer Benjamin«, sagte Harriet nun. »Seit langem liebt er dich. Von dem Augenblick an, in dem er erfuhr, daß du nicht seine Schwester bist, setzte sich dieser Gedanke in seinem Kopf fest. Er hat auf den Tag hingelebt, an dem er dich zum Altar führen darf, und ich muß sagen, daß ich meine neue Tochter sehr willkommen heißen würde.«

»Liebe Harriet, es ist ein verführerischer Aspekt, dich zur Schwiegermutter zu bekommen, aber trotzdem kein ausreichender Grund, um zu heiraten.«

»Es wäre eine richtige Entscheidung, Carlotta. Benjie wäre wirklich gut für dich. Er gleicht seinem Vater, und einen besseren Ehemann als meinen Gregory kann eine Frau sich gar nicht wünschen.« Sie schaute mich mit ernstem Gesicht an. »Du wärst mit Beaumont Granville sehr unglücklich geworden.«

Ich wandte den Kopf ab, doch sie sprach weiter. »O ja, das stimmt. Ich gebe zu, daß Beau ein faszinierender Mann ist. Sicher lebt er nun irgendwo in Saus und Braus und beglückwünscht sich zu seiner Schlauheit. Nach England kann er nicht zurück, denn seine Gläubiger würden sich wie Geier auf ihn stürzen. Ich überlege oft, wo er wohl stecken mag. Venedig halte ich für unwahrscheinlich. Ich habe mehrmals einer sehr lieben Freundin geschrieben, der Contessa Carpori, in deren Palazzo du geboren wurdest. Sie kennt Beau, denn er war ja in Venedig eine bekannte Gestalt. Sie behauptet, daß er jetzt nicht dort ist. Falls sie erfährt, daß er in einer anderen italienischen Stadt auftaucht, wird sie es mich wissen lassen. Denk nicht mehr an ihn. Verbanne ihn aus deinem Gedächtnis. Es machte Spaß, aber nun ist es vorbei. Kannst du es denn nicht als eine notwendige Erfahrung ansehen?«

»Es war eine so wundervolle Erfahrung, Harriet.«

»Das glaube ich gern. Er war sicher ein hinreißender Liebhaber. Aber es gibt noch andere auf der Welt. Außerdem war er hinter deinem Vermögen her, Carlotta.«

»Warum ist er dann nicht geblieben, um es an sich zu raffen?«

»Wohl nur deshalb, weil sich ihm eine noch attraktivere Möglichkeit bot. Dies ist der einzige Grund, der mir einfällt. Er hatte überall Schulden. Wie konnte er hierbleiben und seinen Gläubigern entgegentreten? Vielleicht hat dein Großvater ihm auch gedroht. Carleton Eversleigh hat großen Einfluß bei Hof und könnte Beau mit Leichtigkeit ruinieren. Allerdings halte ich Beau für keinen Menschen, der leicht nachgibt. Du mußt endlich die Tatsachen akzeptieren, auch wenn sie nicht angenehm sind, Carlotta. Die einzig plausible Erklärung scheint zu sein, daß er irgendwo bessere Chancen witterte und sich sofort auf den Weg machte.«

»Harriet, es ist fast drei Jahre her.«

»Und du bist inzwischen mündig geworden. Vergiß ihn! Schlag einen neuen Weg ein! Du hast alles, wovon ein Mädchen nur träumen kann. Du besitzt die Art Schönheit, die für fast jeden Mann unwiderstehlich ist. Außerdem bist du reich. Mein liebes Kind, was hätte ich dafür gegeben, wenn ich in deinem Alter solch ein Vermögen gehabt hätte!«

»Du bist sehr gut auch ohne Vermögen zurechtgekommen.«

»Aber ich mußte jahrelang hart kämpfen. Zugegeben, es hat mir Spaß gemacht. Das ist die Abenteurerin in mir. Aber manchmal mußte ich Dinge tun, die ich lieber nicht getan hätte. Carlotta, laß die Vergangenheit ruhen. Schau in die Zukunft. Sie ist strahlend hell. Du mußt Benjie nicht nehmen, obwohl ich es aus vielen Gründen erhoffe ...«

»Einer davon ist mein Vermögen.«

»Ja, einer davon ist dein Vermögen. Aber für Benjie spielt das keine Rolle. Mein Benjamin ist ein anständiger Mensch. Er gleicht seinem Vater, und – ich sage es noch einmal – du könntest keinen Besseren finden, falls du einen guten Ehemann und nicht einen Teufel von einem Liebhaber suchst.«

Harriet küßte mich und zeigte mir dann, was sie bei dem Bankett zu Ehren meiner Volljährigkeit tragen würde.

In Eversleigh Court trafen immer mehr Gäste ein, und selbst im Dower House mußten einige einquartiert werden. Meine Volljährigkeit wurde als ein bedeutungsvolles und feierliches Ereignis angesehen. Ich mußte Sally Nullens zuhören, die mir erzählte, daß ich der ungezogenste ihrer Schützlinge gewesen sei und die stärkste Lunge gehabt hätte, die ich immer einsetzte, um etwas zu bekommen. »Viele hätten dir sicher nachgegeben«, meinte sie. »Aber das war nicht meine Art. Einen kräftigen Klaps auf die Stelle, wo es am meisten weh tut, das hast du von mir gekriegt und hast mir's nicht verübelt, das will ich dir zugute halten.«

Dann folgte Emily Philpots Kommentar. »Du hast deine hübschen Kleider zwar immer schmutzig gemacht, sahst aber trotzdem niedlich aus, und es machte Spaß, für dich zu nähen. Du hast dich nicht verändert, Mistress Carlotta. Mir tut der Mann leid, der dich kriegt, und wie!«

Ich hätte Emily natürlich darauf hinweisen können, daß sie bei diesem Thema nicht gerade als Autorität anzusehen war, da kein Mann je versucht hatte, sie zu heiraten. Aber ich tat es nicht. Dazu mochte ich sie – wie auch Sally – zu gerne. Sie stellten beide einen Teil meiner Kindheit dar.

Damaris folgte mir mit fast ehrfürchtigem Gesicht überallhin. Sie war nun elf, immer noch langweilig und viel zu dick. Ihre Bewunderung wurde mir lästig. Leider war ich wohl nicht sehr nett zu ihr. Immerzu päppelte sie kranke Tiere auf und war kreuzunglücklich, wenn einige starben. Sie liebte ihr Pferd und war eine ausgezeichnete Reiterin. Damaris war der Liebling von Sally Nullens und Emily Philpots. Vermutlich hatte sie die richtige Art von Lunge gehabt und war kaum je auf die Stelle geschlagen worden, wo es am meisten weh tut. Sicher hielt sie auch ihre Kleider in tadelloser Ordnung. Allerdings sah sie darin nicht so hübsch aus, wie ich das getan hatte, und das bereitete mir eine boshafte Genugtuung.

Meine Mutter, Leigh und selbst meine Großeltern hofften, daß ich Benjie heiraten würde. Anscheinend wußten alle schon, daß er mich haben wollte, denn sie wirkten irgendwie besonders aufmerksam. Mir kam der Gedanke, daß sie mich versorgt sehen wollten, damit sie erleichtert einen Schlußstrich unter die Episode von Beau und mir ziehen konnten. Sie hofften wohl, daß es nach meiner Verheiratung so sein würde, als hätte ich Beau überhaupt nie gekannt.

Ich war schrecklich unschlüssig, wollte aber doch gerne wissen, ob sie mit ihrer Vorstellung etwa recht hatten. Vermutlich war dies schon ein Schritt vorwärts.

Also ritt ich mit Benjie aus und tanzte mit ihm. Ich mochte ihn und empfand eine gelinde Erregung, wenn er meine Hand ergriff, mich am Arm berührte oder manchmal küßte. Es war nicht jene wilde Sinneslust, die ich mit Beau gefühlt hatte. Dennoch reagierte ich auf Benjies Zärtlichkeiten.

Ich stellte mir vor, wie Beau mich auslachen würde. »Du bist eine leidenschaftliche Frau«, hatte er wiederholt geäußert. War ich es wirklich? War es so, daß ich nur die körperliche Befriedigung wollte, die mich Beau so lieben gelehrt hatte, oder wollte ich Benjie?

Ich war mir nicht sicher. Aber zu einer anderen Entscheidung rang ich mich zumindest durch. Ich würde Enderby verkaufen. Vielleicht war es ein symbolischer Akt, vielleicht akzeptierte ich damit endlich die Tatsache, daß Beau nie mehr zurückkommen würde.

Mistress Elizabeth Pilkington hatte die Absicht, sich Enderby Hall anzusehen. Sie war am Vortag eingetroffen und wohnte bei Freunden, einige Meilen von Eversleigh entfernt. Sie schlug vor, nach Enderby zu reiten und sich dort mit einem von uns zu treffen, der ihr das Haus zeigen konnte.

Priscilla war der Meinung, daß Leigh dies übernehmen sollte, doch ich war damit nicht einverstanden. Meine Familie mußte endlich begreifen, daß ich kein Kind mehr war, sondern eine erwachsene Frau. Enderby gehörte mir. Ich wollte ihnen meine Unabhängigkeit beweisen, indem ich die Lady traf und im Haus herumführte.