2,99 €
Diese sechs unheimlichen Geschichten bieten einen Einblick in den Schaffensbereich der Autorin Ingrid J. Poljak. Sie schreibt hauptsächlich Krimis, doch auch in diesen tauchen immer wieder unheimliche, fantastische oder mysteriöse Elemente auf. Psychologische und rationale Erklärungen der geschilderten Geschehnisse sind möglich ¬ oder auch nicht. Die Hände des Doktor Kinich Schon die erste Geschichte führt uns in eine durchaus reale Welt, aber die beiden agierenden Figuren sind extreme Charaktere, wie sie nur in unserer Fantasie vorkommen, aber seit Jahrtausenden die Mythologie bevölkern. Der Dom Auch der Held dieser Geschichte agiert in einer absolut realen, sogar identifizierbaren Umwelt, für die er leidenschaftliche Bewunderung aufbringt, bis sich im wahrsten Sinn des Wortes der Abgrund vor ihm auftut. Azarians Puppe In einem Garten der Lustbarkeiten wird die Heldin aufgefordert, mit Pfeil und Bogen auf eine Strohpuppe zu schießen. Sie weigert sich. Als ein Freund des Hausherrn ihr ein Getränk anbietet, trinkt sie davon und kippt in eine Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Leidenschaft und Ernüchterung. Der Test Eine kurze Geschichte über den Psycho-Test einer Firma, den der Held bestehen will. Die Frau im Zug Das sonderbare Verhalten eines Paares in einem Zug regt den Mitreisenden Fred zu abwegigen Verdächtigungen an. Was könnte sich zwischen den beiden alles abspielen oder abgespielt haben? Am Schluss bewahrheiten sich die Befürchtungen Freds, allerding anders, als er gedacht hat. Die Zelle Ein Mann sucht verzweifelt einen Ausweg aus einer kleinen Zelle aus Beton. Schließlich gibt er resigniert auf und versinkt in gnädigen Schlaf. Und als er erwacht, sieht die Welt ganz anders aus. Eine Parabel über Gefangenschaft, Illusionen und Ausweglosigkeit.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 62
Veröffentlichungsjahr: 2014
Ingrid J. Poljak
Die Hände des Doktor Kinich
Ingrid J. Poljak lebt und schreibt in Wien.
Im Alter von 13 Jahren entdeckte sie auf einem Dachboden das Buch „Der Geisterseher“ von Friedrich Schiller/Hanns Heinz Ewers, es wurde zu ihrem langjährigen Kultbuch. Gleichzeitig begann sie in Ermanglung von anderen Büchern, die ihr gefallen hätten, selbst Romane zu schreiben.
Nach dem Studium an der TU Wien war sie viele Jahre als Architektin und nebenberuflich als Grafikerin tätig. Während dieser Zeit kam sie nur sporadisch zum Schreiben, einige Romane und Romanfragmente blieben liegen. Seit sie vor einigen Jahren den Beruf aufgegeben hat, widmet sie sich ganz dem Schreiben. Sie verfasst hauptsächlich Krimis, Thriller und mysteriöse Kurzgeschichten.
Veröffentlichungen:
„Bildermord“, ein Salzburger Festspiel-Krimi (Künstlerkrimi), Berenkamp-Verlag 2012
„Auch Mord ist (k)eine Kunst“, ein eBook mit Kurzkrimis, Verlag Stories & Friends 2014
Homepage der Autorin: www.ingrid-j-poljak.com
Ingrid J. Poljak
Die Hände des Doktor
Kinich
Sechs unheimliche Geschichten
© 2014 Ingrid J. Poljak
Umschlaggestaltung, Illustration: © Ingrid J. Poljak
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
Paperback
ISBN 978-3-8495-9610-1
Hardcover
ISBN 978-3-8495-9611-8
eBook
ISBN 978-3-8495-9612-5
Printed in Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
„Sollten denn, lieber Bruder Cyrillus“, sagte ich, „all diese Dinge gewiss und wahrhaftig das sein, wofür man sie ausgibt? …“
Aus „Die Elixiere des Teufels“ von ETA Hoffmann.
Die Hände des Doktor Kinich
Doktor Kinich drehte an der ziselierten Messingkurbel, die Zahnräder klickten und die Stahlfeder spannte sich. Die Schneide des Fallbeils glänzte. Langsam drückte Kinich auf den Auslösehebel. Tote Hände, dachte er, überall nur tote Hände.
Da schlug die Hausglocke an. Er richtete sich auf und blickte auf die Uhr. Punkt zwölf!
Der siebte Bewerber.
Der Mann hieß Manuel, war mittelgroß, schlank, und für einen Hausdiener und Gärtner saß der Anzug fast zu korrekt. Kinich führte ihn in die Halle, wo die Vitrinen standen, und bot ihm den Platz auf dem Ledersofa an.
„Sie sind pünktlich erschienen. Das schätze ich.“ Kinich nahm eine Flasche aus seiner kleinen Bar. „Möchten Sie einen Schluck trinken, bevor wir uns Ihre Referenzen ansehen?“
Manuel blickte zu den Bildern an den Wänden, zu den Exponaten hinter Glas, während er sich setzte. „Keinen Alkohol“, sagte er.
Kinich brachte zwei Gläser Mineralwasser. „Auch das schätze ich.“ Er ließ sich gegenüber dem Bewerber nieder. Die hageren Hände des Mannes lagen bewegungslos auf einer Mappe. Ob diese Hände Kraft genug hatten, Holz zu hacken, armdicke Äste abzusägen? Aber schon den Name des Mannes buchte Kinich als Pluspunkt.
„Ich suche einen Hausmeister und Gärtner mit – sagen wir - gestalterischen Fähigkeiten. Seit dem Tod meiner Frau haben hier niemand und nichts gelebt außer mir. Das Haus verfällt, der Garten ist außer Kontrolle geraten. Mein Sohn ist längst ausgezogen.“ Undankbar, wie Kinder einmal sind, dachte Kinich. Er schüttelte sich.
„Sie sehen selbst – meine große Leidenschaft sind Hände. Wie hier zum Beispiel“, er deutete auf die nächststehende Vitrine. „Die weißen sind die Hände meiner Frau.“
Manuel nickte.
„In Alabaster natürlich.“ Kinich stand auf, trat an die Vitrine. Auf dem Sockel aus poliertem Ebenholz ragten ihm die vollkommensten Hände entgegen, die ihn je angefasst, ihn je verehrt hatten. „Sehen Sie? Vom kleinen Finger ist ein Eckchen abgeschlagen.“
Manuel stand jetzt neben ihm. „Ich bin eine Zeitlang Bildhauer gewesen. Sind die Hände in Bronze Ihre Hände, Doktor Kinich?“
„Sie sind es!“
„Bronze mit Blattgold zu belegen, ist eine relativ einfache Arbeit.“
Kinich staunte. Vielleicht stand vor ihm endlich der Mann, den er suchte. Er deutete auf die nächste Vitrine. „Hier die Boxhandschuhe, mit denen Cassius Clay den olympischen Sieg errungen hat.“ Vergnügt eilte er weiter. „Dort ein Manikürzeug aus dem sechzehnten Jahrhundert. Von Dürers Betenden Händen besitze ich achtundsiebzig Reproduktionen. Die Tapete nicht eingerechnet.“ Er zeigte auf die Vergrößerung der Dürer-Grafik, mit der er die Wand über dem offenen Kamin hatte tapezieren lassen. „Hände sind die Seele des Menschen.“
Manuel schwieg. Er wandte sich jenem Regal zu, wo die Skeletthand und die Daumenschrauben lagen. Wo die kleine Guillotine mit gespanntem Abzug bereit stand. Kinich kam ihm nur einen halben Schritt zuvor.
„Vorsicht!“ Das kleine Beil sauste in die Tiefe und – zack! – verschloss die Öffnung für das Handgelenk.
Manuel sagte nur: „Auch bei einem Tierpräparator habe ich gearbeitet.“
Kinich beeilte sich jetzt, zu den Formalitäten überzugehen. Er überflog Führerschein und Leumundszeugnis des Mannes und studierte die Referenzschreiben.
„Wie Sie aus der Anzeige wissen, steht Ihnen eine kleine Wohnung in diesem Haus frei zur Verfügung. Wie hoch stellen Sie sich das Gehalt vor?“
„Dreitausend Euro.“
Kinich rechnete die tausend dazu, die der Mann hätte für eine Wohnung ausgeben müssen. Das entsprach dem Gehalt eines Akademikers, aber er willigte ein. „Sie können sofort einziehen und mit der Arbeit beginnen.“
„Ich habe die Wohnung noch nicht gesehen.“
Kinich zeigte ihm die Wohnung im Obergeschoss. „Gefällt sie Ihnen?“
„Da liegen noch Sachen Ihres Sohnes.“
„Der lebt jetzt in der Stadt. Und wenn er je wieder zurückkommt, wird er sicher nicht hier wieder einziehen wollen.“
„Geben Sie mir drei Tage Bedenkzeit?“
„Zahle ich zu wenig?“
„Nein, nein.“ Der Mann lächelte, und beim Abschied überraschte er Kinich mit einem kraftvollen, warmen Händedruck.
Drei Tage später zog Manuel ein, und Kinich war überzeugt, ihn nicht wegen seines Namens engagiert zu haben.
Manuel erfüllte seine Aufgaben. Er vergoldete die Bronzehände und reparierte die Hände aus Alabastergips. Die Bäume und Hecken stutzte und band er zu Skulpturen, die aussahen wie aus der Erde ragende Hände von Riesen. Aus Blumen setzte er Reliefs zusammen, die wie bunte Hände von Göttern in den Wiesen lagen. Hände, die wuchsen, sich rankten, erblühten. Im Haus krümmte die Skeletthand des arabischen Diebes wieder die Finger, wenn Kinich an den Sehnen zog.
„Nenn mich Gottfried“, sagte Kinich, stieß mit Champagner an Manuels Wasserglas. Ab diesem Zeitpunkt nahm er ihn auf Parties mit, auf Empfänge in die Stadt und ließ ihn teilhaben am Betrachten und Drücken von Händen. Hin und wieder stieß er ihn an. „Die würden gut in die Sammlung passen.“
„Den Händen deiner Sammlung fehlt das Leben. Bist du der toten Hände nicht überdrüssig?“ Manuel war klug, er wusste, wonach Kinich sich sehnte.
Während im Garten die Blumen und Blätter verwelkten, blickte Kinich auch auf Manuels Hände. Wie geschickt er doch mit Werkzeugen hantierte, wie zärtlich er über die Exponate strich. Wie manierlich er nach den Händen der Damen fasste. Manuels Hände taten, wozu Kinich ihn aufforderte. Warum sollte Manuel nicht alle seine Wünsche erfüllen?
„Ich möchte lebende Hände“, flüsterte er ihm eines Abends zu. „Die mich streicheln, mich anbeten. Die sich krümmen, wenn ich draufschlage. Verstehst du, was ich meine?“
Manuel lächelte nur, zog sich zur Nachtruhe zurück. Und am Morgen darauf sagte er zu Kinich: „Hände leben nicht ohne Körper.“
Richtig. Aber Kinich war überzeugt, es käme nur auf den richtigen Versuch an. Es musste einfach eine Möglichkeit geben, nur wollte er die nicht selbst erfinden.
Er beobachtete Manuel, wie er im Garten die Bäume schnitt, wie er aus den Hecken Hände formte. Sie ragten aus der Erde und wuchsen, weil Manuel sie hegte und pflegte. Kinich trat hinaus in die Sonne. „Und wenn wir teilen?“
Manuel legte die Gartenschere weg, blickte auf. „Die Beute oder das Risiko?“