Die heilende Kraft deiner Liebe - Michelle Major - E-Book

Die heilende Kraft deiner Liebe E-Book

Michelle Major

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Beschreibung

Eine neue Liebe ist nichts für Singlemom Emily! Auch wenn die Küsse des attraktiven Anwalts Jase Crenshaw zum Dahinschmelzen sind, kann sie es sich nicht erlauben, ihr Herz zu riskieren. Schließlich muss sie sich jetzt mit ganzer Kraft um ihren kleinen Sohn kümmern …

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IMPRESSUM

Die heilende Kraft deiner Liebe erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Michelle Major Originaltitel: „Always the Best Man“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA, Band 43 Übersetzung: Ines Schubert

Umschlagsmotive: gpointstudio / Getty Images

Veröffentlicht im ePub Format in 7/2021

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751507714

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Emily Whitaker stand mit ziemlich gemischten Gefühlen neben ihrer künftigen Schwägerin vor der piekfeinen Brautboutique in Aspen. „Du kannst mich nicht im Ernst als Trauzeugin wollen!“

Katie lachte. „Und ob. Ich würde mich wahnsinnig freuen, Em.“ Dann wurde sie ernst: „Ich meine, wenn ich dir das zumuten kann. Ich weiß, es ist nicht mehr viel Zeit bis dahin, und es gibt eine Menge zu organisieren.“

„Das ist es nicht … Du hast doch so viele Freundinnen …!“

„Aber Schwägerin nur eine.“ Katie konnte den Blick nicht von dem Schaufenster lösen. „Ich erinnere mich noch an die Fotos von deiner Hochzeit damals in der Zeitschrift Town&Country. So großartig soll es für Noah und mich gar nicht sein.“

Emily seufzte. Jahrelang hatte sie sich früher in ihren Tagträumen ihre Traumhochzeit ausgemalt, den Weg durch den Mittelgang zum Altar, im spitzenbesetzten Kleid, den Duft ihres Brautstraußes in der Nase, die bewundernden, liebevollen Blicke ihrer Familie und Freunde auf sich.

Als der Tag tatsächlich gekommen war, hatte sie wunderschön ausgesehen, das glänzende blonde Haar hochgesteckt, mit perfektem Make-up und einem traumhaften Kleid. Sie hatte sich in dem Tüll und den Spitzen wie eine Prinzessin gefühlt, Gäste hatten Kommentare über ihre Ähnlichkeit mit Grace Kelly gemacht.

Wie naiv war sie gewesen! Damals war ihr edler Ritter erschienen und hatte sie aus ihrem kleinen Heimatort in den Bergen von Colorado fortgeholt, direkt hinein in die Kreise der reichsten und mächtigsten Familien von Boston.

Seither waren sieben Jahre vergangen, ihre Ehe war gescheitert, und sie hatte jede Freude an Tagträumen und Traumhochzeiten verloren.

Sie schluckte die Bitterkeit hinunter, die jetzt immer beim Gedanken an ihre eigene Hochzeit in ihr hochkam. „Noah und du, ihr liebt euch, nur das zählt. Ihr beide seid füreinander bestimmt, das sieht jeder.“

Seit Emily im Sommer nach Crimson zurückgekommen war, hatte sie sich auf der Farm ihrer Mutter verkrochen. Sie hatte keinen Kontakt zu den alten Freundinnen und ihrer einstigen Clique aufgenommen, in der sie jahrelang den Ton angegeben hatte.

„Mit dir an meiner Seite fühle ich mich sicher. Wenn du mir hilfst, die Hochzeit vorzubereiten, kann nichts schiefgehen“, gab Katie zurück und öffnete die Ladentür. Ein Duft von Rosen wehte heraus in die frische Bergluft.

„Du bist ein besserer Mensch, als du selbst glaubst“, sagte Katie auf einmal noch.

„Ich weiß genau, wer ich bin.“ Achselzuckend schob Emily ihre Prada-Sonnenbrille hoch und hielt das Gesicht in die strahlende Augustsonne. In den letzten sieben Jahren an der Ostküste hatte sie das trockene Klima von Colorado vermisst. Es tat gut, die Wärme der Sonne zu spüren, ohne dass es sich gleich anfühlte wie in einem Backofen.

„Und, könntest du es dir vorstellen? Meine Trauzeugin zu sein?“, fragte Katie über die Schulter, während sie in das Geschäft vorausging.

Drinnen in dem kleinen Laden sah Emily zu, wie Katie zögernd verschiedene weiße Kleider auf den Ständern befühlte. Die Verkäuferin, eine ältere Dame mit einem etwas verkniffenen Gesicht, wollte sich nähern. Emily bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie sie noch nicht brauchten. Shopping war etwas, bei dem sie sich absolut sicher fühlte. Nicht gerade eine besondere Fähigkeit, aber es konnte ihnen heute wenigstens nützen.

Sie trat entschlossen um Katie herum und nahm ein Kleid von einem Ständer. „Damit könnten wir anfangen.“

Katie sog verblüfft die Luft ein. „Es ist ideal. Wie machst du das bloß?“

Das Chiffonkleid war blass elfenbeinfarben, im Empire-Schnitt mit Spitzenüberzug. Es war klassisch, aber die an die Spitzen gehefteten kleinen Blümchen gaben ihm einen hinreißend verspielten Touch. Das spitzenbesetzte Dekolleté würde vor Katies heller Haut und neben ihrem dunklen Haar sehr hübsch aussehen. Und der Schnitt würde Katies demnächst sichtbaren Babybauch elegant umhüllen.

Leichthin fragte Emily: „Soll ich dir auch einen wilden Junggesellinnenabschied organisieren?“

„Heißt das, Ja?“, rief Katie und fiel ihr glücklich um den Hals.

Emily schluckte und nickte. Fast wären ihr plötzlich Tränen in die Augen gestiegen. Seit Jahren hatte sie keine echte Freundin mehr gehabt. Die Frauen, die in Boston zu ihren sozialen Kreisen gehörten, hatten ihr schnell den Rücken gekehrt, als ihre Ehe zerbrochen war. Auf einmal war sie eine Ausgestoßene gewesen. Und sie hatte die meisten Brücken in die Heimat abgebrochen, als sie damals das College vorzeitig verlassen hatte. Sie war ihrem Mann nach Boston gefolgt, wo der seine Anwaltskarriere aufnahm. Außer ihrer Mutter und ihrem Bruder Noah hatte sie im Grunde niemanden, auf den sie zählen konnte.

Sie löste sich aus Katies Umarmung und versuchte sich wieder zu fangen.

„Wer ist sonst noch mit von der Partie?“, fragte sie entschlossen.

„Nur du und Jase. Er ist Noahs Trauzeuge.“

Emily unterdrückte ein Stöhnen und murmelte: „Prima.“

Jase Crenshaw war der älteste und beste Freund ihres Bruders, deshalb hätte sie damit rechnen müssen, dass er Noah bei den Vorbereitungen auf den großen Tag half. Leider war sie alles andere als scharf darauf, mit ihm zu tun zu haben.

Jase war alles, was sie nicht war – zugänglich, freundlich, liebenswert, der engagierteste und beliebteste Bürger des Ortes. In seiner Gegenwart fing ihre Haut zu jucken an, ihr Magen zog sich zusammen, und sie wurde sich ihrer langen Liste von Unzulänglichkeiten sehr bewusst. Der Mann war ihr einfach zu perfekt.

Da fiel Katie ihr noch einmal um den Hals. „Ich bin so froh, dass du uns hilfst. Allmählich wage ich dran zu glauben, dass es eine schöne Hochzeit wird.“

Emily holte tief Luft und erwiderte die Umarmung. Katie und Noah zuliebe würde sie sogar mit Jase zusammenarbeiten. Die beiden hatten es verdient.

„Jase, was zum Teufel war denn das?“, fragte Noah Crawford und streckte seinem Freund und Mannschaftskollegen die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

Jase Crenshaw lag der Länge nach ausgestreckt auf dem Football-Feld der Crimson Highschool. Sein Kopf dröhnte und seine Ohren klingelten. Er hatte den gezielten Wurf aus nächster Nähe nicht kommen sehen, sondern lag plötzlich rücklings im Gras. Natürlich hätte er besser aufpassen müssen, aber in der Sekunde, bevor der Ball heranschoss, war auf der Zuschauertribüne Emily Whitaker erschienen.

Seit die hochgewachsene, gertenschlanke blonde Frau mit den traurigen Augen und der scharfen Zunge wieder in der Stadt war, hatte Jase versucht, sie nach Kräften zu ignorieren.

Leichter gesagt als getan, denn sie war die Schwester seines besten Freundes … und er hatte für sie geschwärmt, seit er denken konnte. Seit sie in ihrer Kindheit erbost auf ihn und Noah losgegangen war, weil sie ihrer Lieblingsbarbie den Kopf abgerissen hatten.

Als kleines Mädchen hatte Emily ganz schön hart zugeschlagen.

Nicht ganz so hart wie Aaron Thompson aus der gegnerischen Mannschaft, der Jase gerade ausgeknockt hatte. Jase schob Noahs ausgestreckte Hand beiseite, stand auf und rieb sich die schmerzenden Rippen.

„Ich dachte, wir spielen hier Flag Football, Körperattacken nicht erlaubt“, murmelte er und sah zu, wie Aaron in der Torzone einen Siegestanz aufführte.

„Das hat Thompson wohl vergessen“, bemerkte Noah, während sie langsam zur Seitenauslinie gingen.

„Wir kriegen sie das nächste Mal.“ Liam Donovan schlug Jase tröstend auf die Schulter. „Wenn es unser Quarterback schafft, auf den Beinen zu bleiben.“

„Es war nur ein Freundschaftsspiel“, ergänzte Logan Travers. „Zählt nicht.“

„Dass wir euch eine schöne Klatsche verpasst haben, das zählt“, rief Aaron und spurtete quer über das Feld. Dabei schleuderte er den Ball noch ein letztes Mal hart in Richtung Jase, doch Logan ging dazwischen und fing den Ball auf.

„Verschwinde, Thompson“, sagte Logan drohend. Er war mit seinen eins fünfundachtzig so groß wie Jase, trug jedoch dank seiner Arbeit auf dem Bau beeindruckende Muskeln zur Schau. Damit konnte Jase sich nicht messen. Jase war fit, er joggte regelmäßig, und in seiner Freizeit ging er klettern. Ansonsten verbrachte er jedoch viele Stunden am Tag vor dem Computer und als Anwalt im Gerichtssaal.

Aber er hielt auch nicht viel davon, die Muskeln spielen zu lassen, um jemanden einzuschüchtern. Nicht, dass Aaron sich von Jase einschüchtern ließe. Der cholerische Aaron hatte schon früher, als sie gemeinsam die Schulbank drückten, keine Gelegenheit ausgelassen, Jase zu piesacken. Aarons Vater Charles war der Sheriff des Ortes gewesen, als Jases Vater seine schlimmste Trinkerzeit durchgemacht hatte. Seither hatte Charles Thompson nie einen Hehl daraus gemacht, dass er nur darauf wartete, dass Jase die berüchtigte Tradition der Crenshaws in der Stadt fortsetzte.

Jase liebte dieses Fleckchen Erde und seine Bewohner, aber manchmal wünschte er sich, es würde ihn hier niemand kennen. Sie waren alle keine Kinder mehr, und er war längst nicht mehr der brave, stille Einserschüler, der sich um des lieben Friedens willen herumschubsen ließ.

Er verschränkte die Arme und sah Aaron direkt in die Augen. „Heute hast du leicht lachen, Aaron“, sagte er, „dank deiner hinterhältigen Nahschüsse. Aber das wird dir noch vergehen, wenn wir uns nächsten Monat auf dem Spielfeld sehen.“

„Ich kann’s kaum erwarten“, entgegnete Aaron mit einem Grinsen, dass es Jase juckte, ihm die Faust ins Gesicht zu schlagen.

Das Gefühl wurde noch stärker, als Aaron jetzt zu Emily hinübertrabte und mit ihr zu plaudern anfing. Sie stand mit Katie und anderen Spielerfrauen am Spielfeldrand.

„Lass gut sein“, bemerkte Noah und blieb bei Jase zurück, während die anderen zu den Frauen gingen. „Sie hat ihn schon auf der Highschool abblitzen lassen, und daran hat sich nichts geändert.“

„Wie schön“, knurrte Jase. „Da haben Aaron und ich ja etwas gemeinsam.“

Noah lachte. „Katie hat Emily gebeten, ihre Brautjungfer zu sein. Du wirst in den nächsten Wochen jede Menge Gelegenheit haben, meine kleine Schwester anzuhimmeln.“

Jase straffte sich. „Ich himmle sie nicht an, Noah.“

Noah lachte. „Spielt ja auch keine Rolle. Emily ist viel zu sehr mit ihrem Kind und ihrem Neuanfang hier beschäftigt. Selbst wenn sie auf der Suche nach einem Mann wäre.“ Er warf Jase einen warnenden Blick zu. „Aber sie sucht keinen.“

„Keine Sorge!“ Jase winkte resigniert ab. „Deine kleine Schwester kann mich nicht leiden, daran hat sich seit unserer Kindheit nichts geändert.“

„Aber gebt euch trotzdem ein bisschen Mühe mit unseren Hochzeitsvorbereitungen, ja? Katie macht sich sowieso schon tausend Sorgen.“

Jase nickte abwesend und warf einen Blick auf die Armbanduhr. „Ich muss noch im Büro vorbei.“

„Wie läuft der Wahlkampf?“

„Nicht besonders aufregend, als Einziger fürs Bürgermeisteramt zu kandidieren. Wenig Arbeit, ich muss die Leute nur an die Wahlurnen bringen.“

„Du bist besser für diesen Posten als jeder andere hier in Crimson“, sagte Noah. „Auch wenn ich immer noch nicht verstehe, warum du dir das antust. Hast du mit der Arbeit im Gemeinderat und all deinen Ehrenämtern noch nicht genug?“

„Ich will etwas tun für die Leute hier, vielleicht kann ich mithelfen, dass die Dinge sich in die richtige Richtung entwickeln.“

Noah lächelte. „Emily nennt dich den Heiligen Jase.“

Jase spürte, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten. „Sehr schmeichelhaft.“

„Vielleicht hat sie nicht ganz unrecht. Was hast du denn am Wochenende vor? Katie und ich fahren morgen Abend zu meiner Mutter hinaus zum Grillen. Kommst du mit?“

Jase hatte kaum jemals Pläne fürs Wochenende. Zwischen der Anwaltskanzlei und seinem Vater, um den er sich kümmern musste, blieb nicht viel Zeit. Aber beim Grillen wäre Emily dabei, und während Jases Verstand sagte: Lass die Finger davon, ignorierte sein Bauch das völlig. Ja, vielleicht konnte er morgen Abend seinen Vater etwas früher allein lassen …

„Klingt gut“, sagte er und nickte entschlossen.

„Tatsächlich?“ Noah starrte ihn verblüfft an. „Du verlässt an einem Samstagabend deine Höhle? Das kreuzen wir im Kalender an! Komm gegen sechs.“

„Bis morgen“, gab Jase zurück und lief zu seiner Sporttasche am anderen Ende der Tribüne. Er zog sich das verschwitzte T-Shirt aus und holte ein sauberes aus der Tasche. Als er sich aufrichtete, bog Emily gerade um die Ecke der Tribüne. Ihre Augen hingen an ihrem Handy-Display, während sie rasch mit den Daumen etwas tippte. Jase konnte sie nicht mehr warnen, bevor sie direkt in ihn hineinlief.

Als sie an seine nackte Brust stieß, schrie sie auf und stolperte rückwärts. Der unerwartete Kontakt hatte nur Sekunden gedauert, aber er hallte in jeder Faser seines Körpers nach.

Sein Herz hüpfte, während er ihren Duft einatmete, eine Mischung aus teurem Parfüm und Zitronenshampoo. Fein und scharf, die perfekte Kombination für Emily. Noah hatte ihn damit aufgezogen, er würde für sie schwärmen, aber was er empfand, war mehr. Er begehrte sie mit einer Intensität, die ihn jetzt nach all den Jahren überwältigte.

Er hatte gedacht, er hätte seine Gefühle für Emily unter Kon­trolle, aber in ihm herrschte nur noch Chaos. In diesem Augenblick wollte er sie nur noch an sich ziehen.

Aber er unterdrückte den Instinkt und hielt sie ritterlich auf Armlänge von sich fest, bis sie wieder Halt gefunden hatte. Dann trat er zurück und presste sein T-Shirt so fest in den Händen, dass seine Finger taub wurden.

„Vom Tippen im Gehen ist so entschieden abzuraten wie vom Nachrichtenschreiben am Steuer“, bemerkte er leichthin.

„Danke für den Hinweis“, schoss sie zurück und ließ das Handy in ihre offene Umhängetasche fallen. Bildete er sich das nur ein, oder war sie rot geworden? Auch sie schien schneller zu atmen. Dann trafen sich ihre Blicke.

„Meine Mutter hat gerade ein Foto von Davey geschickt“, erklärte Emily. Ihre hellblauen Augen waren kühl und undurchdringlich.

„Beim Lego-Bauen?“, erriet Jase.

„Woher weißt du das?“

„Ich war im Krankenhaus, als deine Mutter operiert wurde. Ich habe mit Davey Lego gebaut, als wir alle im Wartezimmer saßen.“

Sie nickte knapp. Bei Emilys Mutter Meg war zu Anfang des Sommers ein Hirntumor festgestellt worden. Daraufhin waren Emily und ihr Bruder Noah nach Crimson zurückgekehrt, um sich um sie zu kümmern. Zum Glück war der Tumor gutartig gewesen, und Meg war inzwischen wieder ganz die Alte.

Die Crawfords hatten schon schwere Zeiten erlebt, als Emilys und Noahs Vater vor über zehn Jahren gestorben war. Davor hatte Jase, der allein bei seinem öfter betrunkenen als nüchternen Vater aufgewachsen war, viele Nachmittage, Wochenenden und Abendessen bei den Crawfords verbracht.

Und Noah hatte die Liebe seiner Mutter großzügig mit ihm geteilt. Meg hatte nie mehr geheiratet, und Emily und Noah hatten bis vor Kurzem weit weg gewohnt, also war Jase immer zur Stelle gewesen, wenn ein Wasserhahn repariert werden musste. Oder er hatte Meg einfach draußen auf ihrer Farm Gesellschaft geleistet. Die Nachricht von ihrer Krankheit hatte ihn fast so tief getroffen wie ihren eigenen Sohn.

„Ich erinnere mich“, flüsterte Emily, ohne ihn anzusehen.

„Jedes Mal, wenn ich diesen Sommer draußen auf der Farm war, hat Davey irgendetwas gebaut. Dein Sohn liebt seine Legos derart. Er ist geradezu …“

„Sag nicht ‚besessen‘“, unterbrach sie ihn. Ihre Augen blitzten warnend.

„Ich wollte sagen, er ist geradezu prädestiniert für einen Ingenieurberuf.“

„Oh.“ Emily verschränkte die Arme vor der Brust und starrte zu Boden.

„Ich weiß, dafür ist es mit fünf ein bisschen früh“, ergänzte Jase lächelnd. „Aber Davey ist echt beeindruckend.“ Etwas in Emilys Haltung, eine Verletzlichkeit, die er an ihr nicht kannte, ließ ihn hinzufügen: „Du bist eine wunderbare Mutter.“

Ihre fein gezeichneten Lippen waren aufeinandergepresst, und ein Schauer schien sie zu überlaufen. Er hatte es ehrlich gemeint und verstand ihre Reaktion nicht. Aber Emily hatte sich verändert, sie erschien heutzutage so viel unsicherer als früher.

„Emily.“ Er berührte sacht mit dem Finger ihr zierliches Handgelenk, nur der Hauch einer Berührung, aber ihr Blick fuhr auf. Die Emotionen, die darin durcheinanderwirbelten, ließen ihn den Atem anhalten. „Ich meine es ernst“, sagte er und bewegte sich ein wenig zur Seite, bis er zwischen ihr und der Gruppe von Leuten stand, die immer noch in wenigen Metern Entfernung am Spielfeldrand stand. „Du machst das großartig mit ihm.“

Sie sah ihn einen Augenblick länger an, als suchte sie nach der Wahrheit in seinen Worten. „Danke“, sagte sie schließlich und wandte den Blick ab. Er sollte gehen und sie allein lassen, aber er blieb stehen. Er schaffte es nicht.

Jetzt trat Emily ein paar Schritte zurück und schob sich eine Locke ihres dichten hellblonden Haars hinters Ohr. Ihr Blick wanderte auf eine Weise über seinen Körper, von der Jase noch einmal ganz heiß wurde. Schließlich sah sie über seine Schulter hinweg zu ihren Freunden. „Katie hat mir gesagt, dass du bei der Hochzeit Noahs Trauzeuge bist.“

Er nickte.

„Ich habe ein paar Ideen für das Hochzeitswochenende. Damit es für die beiden etwas Besonderes wird.“

„Sag mir, was ich dabei tun soll. Ich helfe dir gern bei allem.“

„Danke, ich komme drauf zurück.“ Sie straffte sich, und als sie ihn wieder ansah, war sie wieder die Emily, die er kannte. Kühl, herablassend. Mit Blick auf das Hemd, das er immer noch in der Faust zerknüllte, bemerkte sie: „Du könntest zum Beispiel als Erstes etwas anziehen. Und der Welt den Anblick deiner Knochen ersparen.“

Natürlich hatte sie ihn absichtlich beleidigt, in Erinnerung an ihre Vergangenheit. Damals hatte sie ihn „Knochen“ genannt, als er von der siebten Klasse an zwanzig Zentimeter pro Jahr gewachsen war. Er hatte essen können, was er wollte, er war eine richtige Bohnenstange gewesen, ein ungelenker, nur aus Armen und Beinen bestehender Halbwüchsiger. Emily hingegen hatte in Jases Erinnerung nichts von all den Problemen der Teenagerzeit durchgemacht. Sie war immer perfekt gewesen. Sie spielte einfach in einer anderen Liga.

Jase zog sich das Shirt über und nahm seine Sporttasche.

„Ich werde dran denken“, entgegnete er und ging an Emily vorbei vom Feld.

2. KAPITEL

Am Samstagabend hob Emily in ihrem einstigen Kinderzimmer gerade den Lippenstift an die Lippen, als es an der Haustür klingelte. Sie ließ den Stift auf die Frisierkommode fallen. Wieso gab sie sich für ein zwangloses Familienabendessen solche Mühe mit ihrem Aussehen? Erst recht, wo Jase Crenshaw zu Gast war, der ihr nichts bedeutete und auch seinerseits sicher nicht scharf darauf war, mit ihr an einem Tisch zu sitzen.

Sie hatte Jase nach dem Footballspiel mit der Anspielung auf seinen Körper absichtlich beleidigt. Dabei hätte ja jeder gemerkt, wie absurd die Bemerkung gewesen war. Als Teenager war Jase schlaksig und mager gewesen, aber jetzt war er auf eine Art und Weise in seinen Körper hineingewachsen, dass ihr die Knie weich wurden.

Dieses plötzliche Gefühl von Schwäche hatte sie dazu getrieben, ihn zu beleidigen. Emily hatte sich das ganze letzte Jahr ihrer Ehe über verletzlich und unsicher gefühlt. Jase machte sie auf andere Weise unsicher.

Natürlich hatte sie gewusst, dass sie Jase gefiel, als sie jünger waren, aber sie hatte sich nicht für den besten Freund ihres Bruders oder irgendeinen anderen aus ihrer Kleinstadt interessiert. Emily hatte nach Größerem Ausschau gehalten. Sie wollte weg aus Colorado, und Henry Whitaker und seine einflussreiche Familie hatten ihr damals den idealen Fluchtweg geboten.

Manchmal wünschte sie, sie könnte all die Veränderungen an sich ignorieren. Sie sah wieder in den Spiegel. Es war alles noch da: das blonde Haar, das ihr über die Schultern fiel, blaue Augen und symmetrische Gesichtszüge. Andere sahen in ihr immer noch eine schöne Frau, aber sie fragte sich, ob wohl jemand mehr sah als diese Oberfläche.

Bemerkten die Leute die Schatten unter ihren Augen? Sie rührten von all den schlaflosen Nächten her, in denen sie Monate hindurch auf Zehenspitzen zu Daveys Zimmer geschlichen war, um nachzusehen, wie er schlief. Ahnten sie, dass sich ihre Mundwinkel aus Sorge um ihren Sohn so merklich immer weiter nach unten zogen?

Nein, die meisten Menschen sahen im Leben nur das, was sie wollten. So, wie sie selbst ihren Exmann als edlen Ritter hatte sehen wollen, der sie in das Land ihrer Träume holte. Sehr lange hatte sie sich an ihre Illusionen geklammert, um die Wirklichkeit nicht zu sehen.

Durch die offene Tür hörte sie Jase unten lachen. Ihre Mutter hatte die alten Poster von den Wänden genommen und das Zimmer neu dekoriert, aber die bittere Wahrheit ließ sich damit nicht übertünchen. Emily war eine achtundzwanzigjährige Frau, die in die finanzielle und emotionale Sicherheit des Hauses ihrer Mutter zurückgeschlüpft war.

Ihr Blick fiel auf einen winzigen Fleck rosa Nagellack an einer Ecke der Kommode. Er musste mindestens zehn Jahre alt sein; er stammte aus einer Zeit, als bunter Nagellack noch ihre Stimmung heben konnte. Von ihren großen Teenager-Träumen war nur noch der Wunsch geblieben, dass alles gut werden sollte für ihren Sohn.

„Em, das Essen ist bald fertig“, rief ihre Mutter von unten.