Die Himmelskugel - Olli Jalonen - E-Book

Die Himmelskugel E-Book

Olli Jalonen

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Beschreibung

1679. Mitten im Atlantik, auf der Insel St. Helena, träumt der achtjährige Angus einen großen Traum: Er will in die Fußstapfen des Sternenforschers Edmond Halley treten und dessen Gehilfe im fernen London werden. Angus übt für seine Laufbahn als Wissenschaftler, indem er tagsüber Vögel zählt und nachts die Position der Sterne markiert, wie Halley es ihm bei seinem Besuch auf der Insel beigebracht hat. Als es unter dem tyrannischen Gouverneur zu Unruhen kommt, rückt die Erfüllung von Angus' Traum unverhofft näher: Mit einem geheimen Brief wird er als blinder Passagier an Bord eines Schiffes geschickt, um in England die Hilfe des geschätzten Herrn Halley zu erbitten… Ein außergewöhnlicher Roman über die Anfänge der Aufklärung und die berührende Freundschaft zwischen einem kleinen Jungen und einem großen Universalgelehrten.

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Olli Jalonen

DIEHIMMELSKUGEL

Roman

Aus dem Finnischenvon Stefan Moster

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel

Taivaanpallo bei Otava Publishing Company Ltd.

Copyright © 2018 Olli Jalonen

Die Übersetzung wurde gefördert vonFILI – Finnish Literature Exchange.

© 2021 by mareverlag, Hamburg

Covergestaltung Nadja Zobel, Petra Koßmann, mareverlag

Coverabbildung © akg-images.de

Typografie (Hardcover) mareverlag, Hamburg

Datenkonvertierung E-Book Bookwire

ISBN E-Book: 978-3-86648-391-0

ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-609-6

www.mare.de

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

I

Die Seiten aus dem Jahr 1679

Die von einem Schiff aus Stein erzählen,

das Reste des Paradieses befördert,

nach denen der Herr Pastor sucht,

und zum Glück und dank der Vorsehung

des Herrn nimmt er mich mit

und zeigt mir von den Bergen oben,

wie Relinglinien die Insel umgeben,

das ganze gewaltige Schiff Gottes,

das uns alle mit sich führt.

Ich habe keinen Vater, aber eine Mutter

und Ann und zwei Brüder,

für einen von ihnen bin ich der Onkel.

Es ist komplizierter, diese Verwandtschaftsangelegenheiten

zu begreifen,

als die Sterne richtig zu sehen.

ICH, ANGUS VON DER TOTHOLZEBENE, sitze fast regungslos in einer Astgabel der Araukarie und sehe nach oben zu den Kohlbaumbergen hinauf und nach unten über die Rupertschlucht hinweg auf die zerklüfteten Uferfelsen und den Kragen der im Nirgendwo endenden offenen See. Ich habe meinen Kopf noch nicht mit dem Lederriemen festgebunden, darum kann ich in alle Richtungen blicken und sämtliche grünen Pflanzungen in der Ebene sehen.

Herr Clarke hat mit Säge und Messer ein Aufzeichnungsloch in die Äste geschnitten, in der Größe, wie Herr Hawley es befohlen hat, zwei Ellen breit, sechs Ellen hoch.

Herr Hawley hat mir die Vögel als Tagesaufgabe gegeben. Die vermerke ich jeden Tag getrennt mit Kürbiskernen und Körnern, besonders mit Reiskörnern und Weizenkörnern, und mit trockenen Erbsen.

Für alles, was am Aufzeichnungsloch vorbeiflattert, wie Grasvögel, braune Tauben und besonders die Felsentauben, lasse ich ein Korn in die Tonschale fallen. Für die Sausenden, wie Schwalben, Falken und ganz selten vom Meer her und vom Wind getragen ein Fregattvogel, lasse ich einen Kürbiskern fallen, das ist ein ovales Auge.

Für alle Schwirrenden, wie die Fadenbeinvögel aus der Ebene, lasse ich ein Reiskorn fallen. Für die sonderbaren Arten, die sich aus dem Dickicht nach unten verirren, sind die hart getrockneten Erbsen im Lederbeutel da.

Es ist eine Aufgabe, ein Befehl, eine Anweisung und eine Lehre. Herr Hawley hat mir als Tagesaufgabe die Vögel gegeben und als Nachtaufgabe einen anderen Auftrag. Der Nachtauftrag ist noch wichtiger. Beides sind Aufzeichnungsbefehle, und Herrn Hawley hat mir alles darüber beigebracht. Er hat zu Herrn Clarke gesagt, dass solche einfachen Sachen auch für einen Dummen leicht sind (und Angus ist nicht dumm, ein Kind ist nie dumm, Clarke, sondern voller Raum, der mit allem gefüllt werden kann, und darum möge dieser kleine Versuch eine Übung des menschlichen Geistes sein).

Sie sind zusammen mit der Unity gekommen, Herr Clarke als Herrn Hawleys Gehilfe. Herr Clarke ist nur für Herrn Hawley Clarke (aber für dich und euch alle hier Herr Clarke).

Bei Tag vermerke ich die Vögel, die an der Öffnung vorbeifliegen. Bei Nacht vermerke ich alles, was ich am Himmel sehe, den Kopf immer in derselben Position festgebunden und immer zur selben Stunde.

Ich kann nicht falsch schauen, weil um den Stamm herum ein Riemen befestigt ist und am Ende des Riemens als Platz für den Kopf eine enge Schlaufe aus dem gleichen Halfterriemen. Wenn ich auf den Baum steige, setze ich mich auf meinen Platz und ziehe mir die am Stamm festgenagelte Lederschlaufe über die Stirn und bis zu den Ohren, weil es bis über die Ohren herunter nicht geht, so ist meine Position immer dieselbe und die richtige, und man sieht immer in derselben Größe in dieselbe Richtung.

Ist das nicht leicht?, hat Herr Hawley gefragt.

Doch, geradezu genial, das kann auch ein Yamsbengel nicht verderben, hat Herr Clarke geantwortet.

Herr Hawley hat mich am Ohr gezwickt und geprüft, wie straff der Riemen ist, am Ohr tut so ein Zwicken nicht weh, Herr Hawley hat daheim auch meine Mutter und meine Schwester gezwickt, und niemandem hat das Zwicken wehgetan, meine Mutter hat angefangen zu lachen und meine Schwester den Kopf abgewandt.

Bei Nacht schaue ich genauso mit festgebundenem Kopf durch die Öffnung und steche die Plätze der Sterne mit einem Kaktusstachel in ein dünn geschnittenes Aloe-Blatt. Daheim drücke ich dann mit der Spitze einer Feder Tintentropfen durch die Löcher der Blattscheibe auf ein Stück Papier, und daneben schreibe ich aus dem Kalender, den Herr Hawley dagelassen hat, die Zahl des Tages ab. Im Kalender folgen die Tage aufeinander, man darf keine einzige Nacht zwischen den Tagen weglassen. Wenn es regnet oder wenn Nebel herrscht oder wenn der Himmel ganz bewölkt ist, muss man trotzdem ein Bild machen, aber ein leeres und ohne Tintentropfen, und die Zahl des Tages danebenmalen.

Dies sind die Aufgaben eines Aufzeichners, aber die Tage sind mehr für das Lernen da, hat Herr Hawley gesagt und mir gezeigt, wie man sich mit den Augen üben und sie an den Rändern noch sehender pressen kann. So kann ich bei klarem Wetter über das Trauerweidental hinweg die Hühner auf dem grünen Gras erkennen.

Herr Hawley hat mich innerhalb eines Jahres zum Aufzeichner ausgebildet. Er hat die Körner, Erbsen, Samen und die Schale ausgesucht und mir gezeigt, was und wie, denn so schnell, wie die Schwalben manchmal über die ausgesägte Öffnung hinwegsausen, kann man nicht zählen, aber man kann Kürbisaugen in die Schale fallen lassen.

DIE MAINAS SIND SCHULD, denn einmal kann man die Tonschale schon in der Astgabel vergessen, wenn man vor dem Mittagessen hinunterklettert, und dann ist es wahrscheinlich so, dass zuerst ein Maina angeflattert kommt und prüfend nach oben fliegt, sich begeistert, zwitschert und die anderen Mainas aus den Büschen lockt. Wenn die kommen, picken sie im Nu alles weg, außer den bunten, für die Sonderbaren fallen gelassenen Erbsen, weil Erbsen zu groß und zu hart sind für einen Maina und nach Trockenrauch riechen. Vielleicht haben sie in Indien keine Erbsen gesehen, von wo aus sie in Käfigen auf den Schiffen hergebracht werden, falls sie nicht von sich aus die ganze lange Fahrt im Laderaum mitgekommen sind.

Dadurch stimmt nur die Anzahl der Sonderbaren, aber ein Teil der Schwirrenden, der Sausenden und der Flatternden fehlt in der Endabrechnung des Tages.

(Ich erziehe dich zur Genauigkeit und zum Wissen, so wirst du besser, als du bist. Du wirst scharfe Augen bekommen und ein Himmelsspäher für höhere Aufgaben werden. Zuerst jetzt auf der Insel, und dann kann es sein, das hängt von dir selbst ab, dass es mehr wird und weiter weg. Jenseits des Meeres, in der Richtung dort, warten womöglich größere Aufgaben auf dich, aber jetzt darfst du bleiben und Zinsen tragen.)

(Lüge nie. Vermerke nicht die Stellen neuer Sterne, wenn du dir nicht vollkommen sicher bist, dass du sie siehst. Glaube nicht, wenn du es nicht weißt.)

(Habe keine Angst, dass man dich schlägt. Auch ein Pferd lernt den Stadtwagen nicht ziehen, wenn ihm das Blut aus der Kruppe läuft. Ein Pferd lernt neben einem anderen Pferd den Wagen zu ziehen, denn es wagt nicht, schlechter zu sein als das andere.)

Als mir einfällt, dass die Schale oben geblieben ist, bin ich schon im Hof des Hauses auf der Totholzebene. Meine Mutter brät Fische über dem Steinfeuer. Ich sage ihr, dass ich bei Herrn Hawleys Befehl und Auftrag etwas vergessen habe, mache kehrt und renne die ganze Strecke wieder hinauf. Die Mainas machen auf den Ästen Radau, ich schreie sie an und klettere sofort in die Sitzgabel, greife nach dem Rand der Schale, und erst da fliegt der letzte zum Himmel hinauf, mit einem Kern quer im Mund.

Wie kann so ein Tag ein guter Tag sein? Aber ich lüge nicht. Ich trage die Zahl der Vögel heute überhaupt nicht ein, sondern lasse im Kalender eine leere Stelle neben den Nummern IV 22° 1679. Im Kalender gibt es für jeden Tag nur eine richtige Zahl, und bei den Nächten kommt die Zahl von dem Tag, der untergegangen ist.

Ich kann nicht schreiben, aber die Zahlen hat mir Herr Hawley beigebracht, sodass ich alle kann, so weit hinauf, wie Ziffern auf der Welt geschaffen worden sind. Es gibt zwei Arten von Ziffern, die römischen und die unsrigen, die unsrigen kann ich bis ganz nach oben, weil man davon so viele aneinanderreihen kann, wie man will. Auch die römischen Ziffern kann ich bis ziemlich weit hinauf, aber ich will schreiben lernen. Wenn man schreiben kann, kann man daneben hinschreiben, warum die Stelle an dem Tag leer bleibt.

Weil ich nicht schreiben kann, hat mir Herr Hawley Zeichen für die Klarheit des Himmels beigebracht. Ein großer Bogen ist ein hoher Himmel und ein kleiner Bogen ∩ ein niedrigerer Himmel, drei Regentropfen bedeuten Nebel oder dass Wolken im Weg sind. Kommen gleichartige Nächte hintereinander, kann man daneben die passende Zahl malen.

Unter dem Baum verstecke ich die Schale in einem starken Korb, der Korb steht auf einem hohen Stein, und auf dem Deckel des Korbs und an den Seiten verteile ich, als Gewicht und um Ratten und Vögel abzuhalten, Schiefersteine. Dann laufe ich zum zweiten Mal nach Hause und sage schon im Hof zu meiner Mutter, dass ich schreiben lernen will.

Zuerst muss man lesen lernen, sagt sie.

Ich will lesen lernen.

Sie nimmt das Baby vom Boden auf, weil es Erde an der Hand und im Mund hat. Wenn der Pastor bereit ist, dir zu helfen. Herr Hawley war ein Freund des Pastors, sagt meine Mutter und wischt dem Baby Erde und kleine Würmer aus dem Mund.

Wenn man Erde oder Sand ganz aus der Nähe betrachtet, ist da wer weiß was an Beweglichem und Unbeweglichem drin.

(Wie weit gibt es in etwas Kleinem noch Kleineres, bis in welche Tiefe kann man Unterschiedliches erkennen, was glaubst du, Clarke? Ist irgendwo das Ende, oder kommt es erst im Unendlichen? So würde ich die Frage jetzt stellen. Die Ewigkeit, sagt Herr Clarke. Vermenge die Dinge nicht mit Gott, sagt Herr Hawley.)

BEIM MITTAGESSEN sind wir neuerdings zu fünft. Das Baby meiner Schwester kommt mir viel kleiner vor als das Baby meiner Mutter, obwohl es nur zwei Monate jünger ist, aber so viel magerer und kleiner, dass es in zwei Monaten nicht so viel wachsen wird, und es krabbelt und sitzt auch nicht so gut wie das Baby meiner Mutter.

Wir essen Bohnen zum Fisch und heißes Yamsmus, die Babys essen nicht mit, weil sie keine Zähne haben, aber sie dürfen weiches Mus vom kleinen Finger lecken. Ansonsten trinken sie Milch. Das Baby meiner Schwester trinkt zwischendurch auch Muttermilch.

Sie sind beide so etwas wie meine kleinen Brüder, aber nicht ganz, weil das Baby meiner Mutter wirklich mein Bruder ist, ich aber für das Baby meiner Schwester der Onkel bin. Auch für meine Schwester sind sie beide wie kleine Brüder, aber nur das eine ist ihr Bruder, das andere Kind ihr Sohn. Und das Baby meiner Mutter ist für das Baby meiner Schwester ein Onkel, wie ich. So etwas ist kompliziert, und Ann versteht es noch schlechter als ich.

Gus, warum bist du zum Beobachtungsbaum zurückgerannt?, stellt meine Mutter schließlich die unangenehme Frage, auf die ich nicht antworten möchte, die ich aber beantworten muss, weil man immer antworten muss und nicht lügen darf, weil man sich das Lügen angewöhnt und Lügen überprüft werden können.

Ich schiebe die Schuld für mein Zurückrennen ganz auf die Mainas. Das ist wahr. Ich erzähle von den Körnern und Samen, die sie geholt und gefressen haben. Meine Mutter hört erschrocken zu, weil das Herrn Hawley nicht gefallen wird.

Herr Hawley ist ein Wohltäter für uns, aber jetzt jenseits des Meeres. Herr Hawley ist ein gescheiter und gebildeter Mann, der mir alles Neue, was ich weiß, beigebracht hat. Im Können und Wissen gibt es Neues und Altes, das Neue sammelt sich über dem Alten an. Die Gelehrten stehen auf den Schultern der jeweils anderen, hat Herr Hawley zu Herrn Clarke gesagt. So ist man von Anfang an weiter oben im Wissen, weil man von den Schultern der Vorigen weiter in die Ferne sieht.

Ich will auf den Schultern von Herrn Hawley stehen.

Herr Hawley hat ein gutes Jahr lang bei uns gewohnt. Herr Clarke ebenfalls. Auf den mit Federhalter geschriebenen Kalendern 1677 und 1678, die Herr Hawley mir als Vorlage überlassen hat, kann man an den Eintragungszeichen sehen, an welchen Tagen sie bei uns gewohnt und sich im Zimmer einquartiert und oben Himmelsbeobachtungen gemacht haben, und fast immer haben sie bei uns gegessen, wenn sie kein Abendessen im Amtshaus des Gouverneurs hatten oder in den vornehmen Häusern anderer Herrschaften im Kapellental der Niederung und in Jamestown, oder wenn sie alles Mögliche zu tun hatten, was alles Gründe sein konnten, sie am Kommen zu hindern.

Als Herr Hawley und Herr Clarke nach England zurückgekehrt sind, als die Golden Fleece sich vor Jamestown zur Abfahrt bereit gemacht hat und die Reisetruhen und Beobachtungsinstrumente mit Booten hingebracht worden sind, da hat etwas anderes und Seltsames angefangen. Eine Wolke ist über uns gekommen und ein Wolkenschatten, eine Vorahnung des Bösen und das Ende des Guten.

Auch ich habe ein bisschen geweint, aber ich habe mich gleich abgewandt. Weinen steckt an, so wie Gähnen ansteckt, wenn drinnen schlechte Luft herrscht oder man müde ist, aber Herr Hawley hat nicht geweint, sondern nur uns dreien sehr würdevoll vom steinernen Steg aus zugenickt, meiner Mutter und Ann und mir.

Kluge Männer weinen nie. So einer wie Herr Hawley will ich werden, und ein bisschen bin ich jetzt schon so, wenn auch noch eine Armlänge und etwas weiter entfernt.

Man kann mit seinem kurzen Arm messen, was von vorne auf einen zukommt, so wie man auf diese Weise auch die Entfernungsgrade vom Himmel messen kann. Selbst ein großer Stein ist nur so groß wie ein Fingernagel, wenn man ihn am Arm entlang anpeilt. Der Mond am Himmel ist genau daumennagelgroß, außer am Horizont und dicht über dem Meer. Wenn er niedrig steht, ist er durch die Dämpfe der Erde faustgroß aufgequollen, aber wenn er weiter aufsteigt, wird er leer und schrumpft zu dem, was er eigentlich ist, daumennagelgroß, und die Farbe geht vom Orange des Horizonts und vom Gelb des Unterhimmels ins Fingernagelweiß des Mittelhimmels über.

Am letzten Abend hat mich Herr Hawley ins Ohr gezwickt und gesagt, er lässt mich auf der Insel, damit ich Zinsen trage und meinen Augen beibringe, segelnadelscharfe Falkenaugen zu werden, und wenn das passiert, oder falls das passiert, dann wird er mich, wenn ich groß bin, nach London einladen und dafür sorgen, dass ich auf dem großartigsten Schiff der Handelskompanie anheuern kann, wenn es vorbeikommt, um die Reissteuer aus Indien zu liefern, und die Matrosen frisches Wasser aus der Quelle in die Eichenfässer füllen und als Proviant für den Rest der Reise Schweine zum Braten und über Wacholderrauch gegartes Ziegenfleisch und Zitronen und allerlei sonstiges Frisches an Bord holen.

So ein Versprechen an mich ist in Kraft. Die Mainas und ein verdorbener Tag werfen so ein sicheres Versprechen nicht um. Aber damit das Versprechen in Kraft bleibt, muss an die Stelle des leeren Tages eine Erklärung geschrieben werden. Dann kann man die leere Stelle in den Berechnungen weglassen, und es kommt nicht zu einem allgemeinen Irrtum, zu einer Abweichung und einer Verfälschung. Über all das hat Herr Hawley mit Herrn Clarke gesprochen.

Wenn man, um schreiben zu können, lesen lernen muss, dann lerne ich es. Einige Buchstaben kenne ich, weil sie Teil meines Namens sind (den Namen muss man gleich können, es wird für dich, Angus, im Leben nicht reichen, nur die Hausmarke zu kennen), und andere sehen wie Zahlen aus. X ist zehn, I ist eins und V fünf. Zusammen und getrennt, an verschiedenen Stellen und in der richtigen Reihenfolge bilden sie auch die Zahlen sämtlicher Monate, und auch die größeren römischen Zahlen sind wie Buchstaben.

Seid Ihr der Ansicht, dass mir der Herr Pastor schnell das Lesen beibringen würde?

Meine Mutter antwortet, dass sie nicht weiß, wie schnell, weil sie nicht weiß, wie schwer es ist. Sie sagt, sie kann auch nicht wissen, ob der Pastor überhaupt damit einverstanden ist, aber sie fragt um Erlaubnis, wenn der passende Moment kommt, weil man bei einer solchen Lernsache nichts verlangen kann, man kann nicht hingehen und direkt bitten, sondern nur, wenn zufällig der richtige Moment kommt und vielleicht niemand zuhört, in so einem Moment kann man höflich und demütig fragen, so wie es sich für einen geringeren Menschen gehört.

JA, ICH BRINGE ES DIR GERN BEI, weil mir Herr Halley hier ein äußerst angenehmer und in intellektueller Hinsicht guter Gesprächspartner war, wenn auch ein junger, aber er ist eifrig im Diskutieren und kennt wichtige Dinge, wenngleich andere als ich, ganz und gar andere, sehr sonderbare und solche vielleicht, die bislang kaum in den Gedanken von anderen vorkommen dürften. Und in den Gedanken und Werken des guten Allmächtigen Gottes natürlich.

Und sage nicht Herr Hawley, Angus, weil das nicht stimmt, alle hier sagen es falsch, Angus, hier hört man falsch und versteht das Gesagte schlecht. Hier kann man nicht lesen, wie es geschrieben steht, weil man hier nicht lesen kann, sondern alles sagt, wie man es für richtig hält. Vielleicht ist das ganz allgemein ein Fehler und Symptom der Menschheit, aber hier ist es in ganz besonderem Maße so. Auf dieser Seite der Welt fließt sogar das Wasser falsch herum in die Löcher. Herr Halley hat große Pendelexperimente durchgeführt, und am Ende drehten sich auch alle Pendel falsch. Auf dieser Seite drehen sich die Winde schief, an diesem Himmel sind die Sterne andere.

Also sage nie mehr Herr Hawley, so wie die anderen hier, sondern male mir jetzt genau diese sechs Buchstaben nach. Zähle sie zuerst einzeln laut auf und sage dann alle zusammen in einem Wort: H und A und L und L und E und Y. Das heißt Halley.

Das ist es. Das ist das Lesen, Angus, damit fängt es an, von da aus kommt alles, was Gott für die Welt vorgesehen hat, in Form von Buchstaben und Wörtern in dich hinein, sagt und lehrt der Herr Pastor.

Ich lerne es, obwohl es zuerst sonderbar ist und viele Sachen anders sind, als ich geglaubt habe. Wie kann es zum Beispiel sein, dass ein H ausgesprochen fast dasselbe ist wie eine 8 und ein A allein gesagt anders als zusammen mit anderen gesagt, aber ein L fast immer gleich, das E nicht, und das Y ist wieder ganz etwas anderes und fällt auch noch am Ende weg? So muss ich mir über jeden Buchstaben Gedanken machen, aber schon in der zweiten Woche sind zwischen fremden Wörtern bekannte Wörter zu erkennen.

Wenn man fast die ganze Zeit übt, wenn man nicht auf dem Feld ist oder seine Tagesaufgabe in der Araukarie erfüllt, tragen die fremden Buchstaben nicht den Sieg davon, sondern verwandeln sich, einer nach dem anderen, in bekannte. Am nächsten Morgen sind sie dann gewöhnlich, und ziemlich bald sind alle Buchstaben beisammen, alle sechsundzwanzig hintereinander in einer Schlange. Danach stehen nur noch bekannte Buchstaben auf den Buchseiten, allerdings mit fremden Wörtern dazwischen, aber auch bei denen weiß man fast schon, was sie sagen, selbst wenn man nicht weiß, was sie bedeuten. Wörter und Namen gibt es fremde und bekannte. Sehr gewöhnlich sind er und sie und und.

Im Kalender lerne ich die Namen der Monate lesen. Beim Herrn Pastor bekomme ich seine eigenen Papiere zum Lesen, aber vorher das kleine, in Leder gebundene Andachtsbuch. So lerne ich lesen und durch das Lesen schreiben. Ich schreibe meinen Namen in den Sand und kann ihn noch am nächsten Tag lesen, falls die Tiere nicht über ihn hinweggelaufen sind oder Regen und Wind ihn verwischt haben.

Der Herr Pastor lobt mich, er habe noch nie so schnelles Lernen gesehen, obwohl er immerhin die Kinder des Herrn Gouverneurs unterrichtet und als junger Mann in der größten Gemeinde von Kent, der Heimatgemeinde seines Vaters, des Herrn Propstes, für herrschaftliche Töchter Zirkel im Lesen und in Bibelkunde abgehalten hat.

Was ein Zirkel ist? Ziemlich das, wie man es sagt, ein Kreis, ein Halbkreis. Keine echte Schule, sondern ein Zirkel, die Eltern schicken die Zirkelmitglieder hin, sie kommen zu mir und vor mich und lernen, weil sie selbst etwas lernen wollen, weil ihre Eltern wollen, dass sie etwas lernen, weil Gott es so vorherbestimmt hat.

Jetzt herrscht eine neue Zeit, es kommt die bleibende große Zeit Gottes, die goldene Zeit des Dürstens nach Lernen. Hier befinden wir uns wohl, Angus, inmitten aller guten Gelehrsamkeit oder erst ganz am Anfang. Uns kommt dabei eine Aufgabe zu, ich habe meine, und du hast deine, für jeden ist ein Platz vorgesehen, aber man muss ihn selbst finden.

Wir machen morgen weiter. Danke deiner Mutter für die köstliche Pastete und die süße Beerensoße.

Frage bis morgen, aus welcher Beere oder vielleicht aus welchen mehreren Beerensorten die Soße gepresst und gekocht worden ist. Wenn deine Mutter die Namen nicht kennt, dann bringe, falls das möglich ist, einige Beeren mit, oder wenn keine Beeren, dann ein Blatt und ein Stück Stiel. Mich interessieren alle Tatsachen auf der Insel, ich kann dir verraten, dass ich an einem Pamphletbuch über unsere kleine Welt schreibe.

Weil alles gerade erst begonnen hat, kann man hier noch immer bis zum reinen Anfang blicken. Seit der Zeit des Paradieses ist auf unserer Insel nicht mehr als ein Jahrhundert vergangen. Du kannst doch die Zahlen? Herr Halley hat sie dir beigebracht, vor den Buchstaben und dem Lesen, ein interessanter Versuch übrigens, Herr Halley muss sich etwas dabei gedacht haben, es ist nie die Rede darauf gekommen, es gab so viel anderes, ich muss irgendwann in einem Brief danach fragen, gewiss wird er sich an seinen Hilfsjungen erinnern. Ich muss ihm auch schreiben, dass ich dich das Lesen und Schreiben gelehrt habe. Herr Halley wird sich darüber freuen, weil er schnelles Lernen zu schätzen weiß, dafür, dass er ein so junger Mann ist, ist er ein guter Denker, schnell in seinen Gedanken, und vor allem einer, der sie weiterentwickelt und in der Praxis überprüft.

Ja, Angus, es ist so, dass etwas mehr als hundert Jahre in der Zeit Gottes eine unwahrscheinlich kleine Zeit und Spanne ist. Selbst in der Zeit des Menschen ist es nicht mehr als drei Generationen, vier, fünf oder höchstens sechs, wenn die Menschen sehr jung fortpflanzungsfähig und sündig sind. Als Menschenalter kann ein Jahrhundert höchstens ein Mensch von der Geburt bis zum Tod sein, das ist nichts.

So dürfen wir auf St. Helena noch immer am reinen Anfang von allem leben, auch wenn anderswo die Zeit schon viel weiter gelaufen ist. Gott hat in seiner großen Güte beschlossen, hier für uns ein Guckloch auf den Anfang der Welt offen zu lassen.

Denke daran, deiner Mutter Grüße zu bestellen. Das Mischmus letzte Woche war sehr gut. Von der Pastete ist noch etwas da. Frage deine Mutter nach der Soße, nach den Beeren und bringe ein paar mit, um sie mir zu zeigen. Deine Mutter backt gutes Brot, denke daran, ihr einen besonderen Dank auch für das Brot auszurichten. Es ist bald aus. Mir kommen immer die Sommermorgen in Kent in den Sinn, so frisch hat das Brot deiner Mutter wieder geschmeckt.

AUF DER HOCHEBENE SIND SECHS HÄUSER sichtbar und drei verdeckt weit hinter den Zitronenbäumen. Der Herr Pastor geht oben selten irgendwohin, weil er im Untertal wohnt, und darum gehe ich zu ihm, wenn er Zeit hat und wie es beim vorigen Mal genau abgemacht worden ist.

Auf der Hochebene lebt man sein Leben anders als im Untertal, das in Jamestown Kapellental genannt wird, obwohl es nicht ganz stimmt, weil das Kapellental nur der bewohnte Rand des Untertals ist, der sich geradewegs bis nach Jamestown fortsetzt, sodass sie eigentlich eins sind, und Jamestown ist nur eine Ecke des Kapellentals und liegt direkt am Meer. Ich fürchte mich nicht mal mehr davor, nach Jamestown zu gehen, obwohl es dort viele fremde Menschen gibt, manchmal zehn zusammen.

Ich lerne das Lesen beim Herrn Pastor zu Hause, aber ich muss so oft hingehen, dass sich vom Rennen in den Beinen harte und starke Knollen bilden. Von den Knien abwärts sind meine Beine die von einem Laufhund, doch jedes Mal fällt es mir leichter, zu rennen, und das Lesen wird immer leichter, je mehr man lernt.

Auf der gesamten Totholzhochebene gibt es nicht viele, die so gut lesen können, wie ich es bald kann. Ich weiß das, weil der Herr Pastor es sagt, denn er ist mit jedem Erwachsenen auf der Insel die Sache mit dem Lesen durchgegangen. Der Herr Pastor muss alle kennen, weil alle seine Gemeindemitglieder sind, außer ein paar Soldaten, die gerade erst in James Fort angekommen sind, aber auch von ihnen weiß er, dass sie dort sind. Der Herr Pastor sagt, er will für sein Pamphlet alle Dinge der Insel kennen, die Menschen, die großen Pflanzen und die sonderbaren Tiere, die sich in ihren Schlupfwinkeln verbergen.

Auf dieser Seite der Zitronenbäume ist unser Haus das kleinste der sechs Häuser und mehr halb fertig geblieben als alle anderen, weil mein Vater es allein gebaut hat und mittendrin gestorben ist. Es fertig zu machen, erwartet mich, doch ich werde an Weihnachten erst acht, und das reicht nicht, es ist nicht wenig, aber nicht genug.

Meine Mutter sagt es mit diesen Worten: Es langt nicht, es ist nicht wenig, aber noch nicht ausreichend. Letzten Sommer hat meine Mutter mit dem Geld, das Herr Halley dagelassen hat, das undichte Dach reparieren lassen und unseren Nachbarn Adam Dennison dafür bezahlt, dass Dennisons Sklave Hof-Oliver von weit weg Schiefersteine herbeigetragen und sie stabil als neue Unterlage auf dem Dach verteilt hat.

Meine Mutter nennt Dennison bloß Dennison und befiehlt weder Ann noch mir, ihn Herr Dennison zu nennen, obwohl es richtiger wäre. Hof-Olivers Name wiederum war früher Feld-Oliver, aber jetzt ist er alt und nicht mehr so schnell und stark auf den Anpflanzungen, und Dennison hat ihn auf dem Anleger von Jamestown für den Preis von nur drei Ziegen gekauft.

Niemand sonst auf der ganzen Hochebene außer Dennison und Herrn Greenacre im Zitronenbaumdorf hat sich einen Sklaven leisten können. Der Sklave von Herrn Greenacre heißt John. John ist erst auf der Insel getauft worden, der Herr Pastor hat ihn in der Kapelle nach Johannes dem Täufer und Jesu Jünger Johannes getauft.

Hof-Oliver ist zu allen freundlich und eigentlich klug und darum überhaupt nicht wie ein Sklave. Nicht einmal Dennison schlägt Hof-Oliver noch, sondern erteilt ihm nur Befehle, obwohl Dennison sonst und für alle anderen ein beängstigender und großer Mann ist, der leicht böse wird.

Dennisons Frau heißt Rachel. Rachel Dennison ist dünner als dünn und älter, als sie ist, und spricht nicht mehr mit meiner Mutter so wie früher, weil Dennison meine Mutter zur Zeit der Dachreparatur auf einen Spaziergang mitgenommen hat. Meine Mutter wollte nicht mitten am Tag spazieren gehen, und Dennisons Frau wollte nicht, dass Dennison meine Mutter mitnimmt, aber sie gingen, obwohl niemand außer Dennison es wollte, und sie gingen so lange über das flache Land der Hochebene, dass man nur noch zwei fremde Menschen gehen sah, bis man sie nicht mehr erkennen konnte, weil die Stechpalmen höher wurden als sie und sie dahinter verschwanden, als wären sie ins Innere der Erde gefallen.

Ich habe am Weg auf den Fersen gesessen und gewartet, dass sie zurückkommen. Der Weg führt schnurgerade über das Rückgrat der Hochebene und macht erst in der Ferne einen Knick, aber man kann ihn bis zum Ende hell auf dem Braun erkennen. Ich sehe das Ende, weil ich weiter sehen kann als jeder andere, der von den Häusern der Hochebene gleichzeitig in dieselbe Richtung guckt.

MEINE MUTTER VERLANGT NICHT, DASS ICH MORGENS AUFS FELD GEHE, weil ich (an jedem einzelnen Tag, ob es regnet oder ob die Sonne scheint, zuerst vom Morgen bis zum Mittagessen und dann vom Mittagessen bis zu dem Zeitpunkt, wenn deine Mutter dich für die Arbeit braucht, Angus) Herrn Halleys Aufgabe erledige und meine Mutter auch findet, dass Herr Halleys Aufgabe wichtig ist. Meine Mutter weiß nicht, warum die Vögel und die Sterne wichtiger als die Feldarbeit sind, aber sie kennt Herrn Halley und hat Trauer getragen, als er von der Insel nach England zurückgefahren ist. Das Trauertragen hat man nach außen hin dadurch gesehen, dass sie stiller war als sonst. Noch mehr hat man es gesehen, als Ann angefangen hat, ihr Frühstück auszukotzen, aber dann haben sich beide über andere Dinge Gedanken machen müssen, und Herr Halley ist für meine Mutter wichtig geblieben, aber nicht mehr bis zur Trauer.

Wenn man viel Arbeit hat (erst die Arbeit hält den Menschen am Leben, kleiner Angus), passt nicht so viel Trauer dazwischen, weil das Trauern im Kopf sitzt. Oder ich weiß nicht, wo es sitzt, und man kann auch niemanden danach fragen, weil so etwas zu fragen sonderbar wäre und falsch. Zumindest Herr Halley hätte schon allein bei der Frage Bescheid gewusst, weil er klug ist und viel weiß. Vielleicht sitzt es im Kopf und in der Brust und im Hals gleichzeitig.

Meine Mutter verlangt auch dann nie, dass ich aufs Feld gehe, wenn ich zum Leseunterricht beim Herrn Pastor ins Untertal muss. Dadurch bin ich nicht einmal jeden Nachmittag eine Hilfe, obwohl es auf den Anpflanzungen genug Arbeit gibt und manchmal fast zu viel, weil Yams und Maniok in der Bodensenke wachsen und weiter oben an der trockenen Stelle im Eselsdung Kürbisse und neben dem Haus alles, was in die Beete zwischen den Trampelpfaden passt.

Vor der Geburt und nach der Geburt sind Ann und Mutter beide langsam und groß wie Schildkröten gewesen und haben nicht mehr geschafft als das Nötigste, und nach der Geburt sind noch mehr und andere Arbeiten und das Wachsein nachts dazugekommen. Obwohl ich kleiner war, habe ich damals mehr gearbeitet als jetzt, weil ich an den Lesenachmittagen keine Zeit habe, aber auch damals haben Herrn Halleys Vormittagsaufgabe und Nachtaufgabe an erster Stelle gestanden, vor allem anderen.

Wenn ich von weiter weg, vom Rand der Hochebene, Brennholz geholt und den zusammengebundenen Haufen mit Riemen auf dem Holzgitter hinter mir hergezogen habe, ist Hof-Oliver gekommen und hat mir geholfen und den Karren gebracht und zehn von meinen Fuhren auf einmal geschoben. Aber Dennison hat es gesehen, und Hof-Oliver hat den ganzen hohen Haufen vor Dennisons Haus bringen müssen, als hätte Hof-Oliver die Zweige gesammelt und nicht ich.

Das habe ich meiner Mutter gesagt. Meine Mutter ist böse geworden, hat sich aber nicht getraut, zu Dennison zu gehen. Ich bin hingegangen, aber Dennison hat mir einen Schlag auf die Stirn gegeben, und als ich mich umgedreht habe, um davonzulaufen, hat er versucht, nach mir zu treten, wie er seine Hunde tritt.

Seit der gestohlenen Ladung wünsche ich Dennison alles Böse, auch wenn man das nicht darf, aber ich tue es trotzdem, und die Male, die er meine Mutter unter Zwang zum Spaziergang mitgenommen hat, haben den Wunsch nur verstärkt.

Wenn es viel Arbeit gibt, bekommen wir Hilfe von anderen, und das Ernten und das Umgraben werden zusammen gemacht, je nachdem, wie die Senken weiter unten und die Felder auf der Hochebene der Reihe nach trocken und feucht werden, aber Dennisons Frau hat angefangen, die Meinung der anderen zu vergiften, sodass wir schlechtere Gemeinschaftshilfe haben als die anderen. Meine Mutter findet, es sei die Schuld von Dennisons Frau. Männer würden alle Lügen glauben, dann würden sie bei ihrem Glauben bleiben und nicht mehr zuhören und alle auffordern, so zu sein, wie sie es sind. Es wäre ebenso schwer, den Kopf eines Mannes in eine andere Richtung zu drehen, wie zu versuchen, einen betrunkenen Esel zu führen, sagt meine Mutter und bringt es Ann bei, aber wenn ich dazukomme, hört sie sofort auf. Ein Esel wird betrunken, wenn er aus dem Kübel Maische frisst, die zu sehr gegoren hat, ich habe das einmal gesehen und den Esel mit einem Trauerweidenstock in die Seite gestoßen, sodass er den Kopf geschwenkt hat und schwankend und kreischend im Kreis gegangen ist.

Ich möchte schneller lesen lernen, damit ich mehr arbeiten kann, aber gleichzeitig möchte ich besser lesen lernen, und besser lesen lernt man, indem man übt, und darum muss ich noch zum Herrn Pastor in die Lehre gehen. Lesen ist nicht bloß lesen. Lesen ist verstehen, zuerst so, dass man die Buchstaben versteht, dann so, dass man die Wörter versteht, dann so, dass man die Wörter zusammen versteht, und nach den Wörtern und Sätzen (ein Satz besteht aus Wörtern hintereinander, aber so, dass sie zusammen einen Sinn ergeben) dann noch, dass man die Dinge versteht. Das ist ein sehr langer Weg.

WIR SIND GESEGNET, ANGUS, weil wir in dieser großen Zeit leben dürfen. Wir sind in so reichem Maße mit Gottes-Gut bedacht worden, dass wir nicht mehr erhoffen können. Sichtbare Spuren des Paradieses sind für uns zurückgelassen worden, und der gute himmlische Gott hat unsere Insel mit einer hellen Kristallglocke überdacht. So werden uns an jedem einzelnen Tag und jede Nacht die Beweise für den Kristallhimmel der Ewigkeit wie auch für den Anbeginn unserer Zeit präsentiert.

Hast du letzte Nacht gesehen, wie die Feuer Gottes wieder ganz hell von einem Rand des Horizonts zum anderen zogen? So ist es nicht oft, aber wenn die Wolken aufreißen und gleichzeitig der Nebel von den Höhenzügen verschwindet, ist der ganze silberne Himmel nah und bietet sich uns dar.

Am Samstag habe ich eine Wanderung zu dem Hang hinauf unternommen, der jetzt Halley-Berg genannt wird. Nicht von ungefähr wird er so genannt. Dort verzeichnete Herr Halley sämtliche Sterne, die er mit exakter Genauigkeit feststellen konnte. Es sind 341. Woher weiß ich jetzt auf einmal ihre genaue Zahl? Das sage ich dir gleich.

Es traf sich, dass am Samstag gute Sicht herrschte, und so saß ich lange für mich allein dort oben, aß meinen Proviant und betrachtete die Wälder und Gefilde unter mir. Ich hatte noch nie so deutlich gesehen und war auch nicht auf den Gedanken gekommen, dass es von dort, von den Schultern der Insel, so aussieht, als befänden wir uns inmitten eines uferlosen Meeres auf einem großen, bemoosten Stein. Auf diesem sitzen, stehen und gehen wir, Angus, um uns herum der große Horizontkreis und über uns der sich wölbende, von Gott zu durchscheinendem Kristall gemachte Himmel. Nur das Land unter uns gehört ein wenig uns, aber auch das nur durch die Gnade des Allmächtigen, es ist uns für einen flüchtigen Moment geborgt.

Jetzt verrate ich dir, woher ich so genau die Zahl unserer Sterne weiß. Gestern kam ein Brief von Herrn Halley. Zum Glück war das Schiff der Handelskompanie gezwungen, schon auf der Hinfahrt hier vorbeizukommen, ohne die Mastreparatur hätte der Brief lange unterwegs gewesen sein können.

In diesem Brief berichtet Herr Halley, in London halte man seine Sternkarte für eine große Leistung und für den Beweis persönlicher Kompromisslosigkeit und unbestreitbarer Begabung sowie englischer Unnachgiebigkeit. Es ist eine große Errungenschaft, und daraus hat sich mit der Zeit viel Gutes für ihn ergeben.

Der Titel seines Kartenbuchs lautet ausgeschrieben so: Catalogus Stellarum Australium sive Supplementum Catalogi Tychonici. Du kannst die Buchstaben auf dem Deckblatt später zur Übung abschreiben, auch wenn du von dem Titel nichts verstehst.

Ich hoffe, dass ich es einmal ganz sehen darf, dass ein solcher Tag kommen wird. Ich könnte es lesen und wenigstens zum Teil verstehen. Es ist Latein, und Latein spricht man völlig anders aus als Englisch. Auf der Welt gibt es bestimmt hundert verschiedene Sprachen, und diejenigen, die die einen beherrschen, beherrschen die anderen nicht, außer durch Zufall und harte Arbeit, durch Lernen und mühsames Üben.

Herrn Halleys Catalogus Stellarum ist natürlich auf Latein, weil es wichtiges Wissen für alle enthält. Ich kann es lesen, schreibe es aber nicht gern, weil ich nicht für alle neuen Dinge die Wörter kenne und es im Lateinischen eher alte Wörter gibt. Darum ist Englisch die Sprache meines Pamphlets.

Herr Halley merkt in seinem Brief an, er werde bald zu einer langen Reise auf den Kontinent aufbrechen, zu einem Ort namens Danzig, zum Observatorium des Herrn Hevelius. Dort hat er eine wichtige Kontrollaufgabe zu erfüllen. Die klugen Männer der Royal Society haben ihn gebeten, zu überprüfen, wie es Herrn Hevelius gelungen ist, seine Beobachtungen mit einer so eigentümlichen Genauigkeit zu machen, aber ohne die modernsten Messinstrumente. Herrn Hevelius steht angeblich nicht einmal ein so gutes Fernrohr zur Verfügung, wie es Herr Halley hier auf dem Berg aufgestellt hat.

(24 Fuß vom Auge aus bis ans Ende des Eichenrohrs genau, nur Zahlen sind genau, Angus, nur was mit Maßen gemessen wird, ist genau, Ahnungen und Vermutungen sind es nie. Hier entspricht das Maß des Maßstabs dem eines Königsfußes, vom Auge aus vierundzwanzig Maßstablängen Messing.)

Herr Halley schreibt auch, er sei jetzt offiziell akzeptiertes Mitglied der Royal Society. Des Weiteren teilt er die große Nachricht mit, der König selbst habe per literas regias bestimmt, dass er seine Studien nicht mehr fortsetzen muss, sondern nun auf Geheiß des Königs offiziell die Universität Oxford absolviert hat.

Es ist eine Ehre für unsere kleine Insel, einen solchen Brief zu erhalten. Ich hatte als Erster die große Freude, diese unwahrscheinlich großartigen Neuigkeiten zu lesen.

Würde ich in London wohnen, oder meinetwegen in irgendeinem sympathischen Dorf in der näheren Umgebung, würde ich ihn in der Winchesterstraße aufsuchen und ihm die wärmsten Glückwünsche überbringen. Ein so begabter junger Mann und gut im Disputieren, und das mit nicht einmal zweiundzwanzig Jahren. Wir waren Gesprächspartner, und darum ist mir nach seiner Abreise manchmal ein wenig einsam zumute gewesen. Nicht immer mag man bloß über gewöhnliche Dinge reden. Wie man die Ernte vor den Ratten in Sicherheit bringt und warum sich die Katzen angeblich nicht mehr trauen, sich auf sie zu stürzen und sie zu fressen. Ist es der Mond, der den Ratten einen furchterregenden gelben Umhang verleiht? Ist mein Leben dazu bestimmt, mir solches abergläubisches Geschwätz anzuhören?

Gewiss kann man sich stets Gott zuwenden und beten und mit Ihm und bei sich die Dinge der Bibel bedenken, über diesen Teil beklage ich mich selbstredend nicht, es ist ein guter Teil, der beste, der einem Menschen gegeben wird. In Gott dem Allmächtigen liegt unsere Bestimmung. Und mit den Soldaten kann ich über nasses Musketenpulver reden und eine Kreidepfeife rauchen, aber wenn man etwa über die Sterne oder das Alter der Welt sprechen will, fragt sich, wer dazu hier imstande ist.

Allmählich kommt es mir so vor, als könnte ich besser mit dir reden, Angus, als mit jenen Torfköpfen.

Die hiesigen Leute mischen sich in die Angelegenheiten anderer ein, weil sie keine eigenen haben. Und beschweren sich beim Gouverneur über das Leben der anderen, weil sie von ihrem eigenen enttäuscht sind. Das ist böse formuliert und auch nicht die volle Wahrheit, aber wenn ein Siebenjähriger so schnell lesen lernt, wie du es gelernt hast, und hier nicht einmal die Soldaten von James Fort mehr können als mit Müh und Not ihr Namenszeichen, dann muss im Vergleich zu dieser Hoffnungslosigkeit deine Denkfähigkeit in der Entwicklung begriffen sein, und du bist eine seltene Ausnahme hier. Etwas in der Richtung hat auch Herr Halley gesagt. Und damals dürftest du erst sechs gewesen sein. Er sagte, wenn man ein gefügiges Kind von klein auf nur mit dem Besten füllt, und zwar Tag für Tag und so, dass nichts Überflüssiges es füllt, dann kann daraus etwas ganz Besonderes und für viele Zwecke der Naturphilosophie Wichtiges entstehen.

Ich fügte die Bestimmungen Gottes hinzu. Herr Halley nickte und stimmte mit einem Nicken zu. Obschon er nicht im Ruf des allerfrommsten Gläubigen zu stehen scheint und nicht so oft in die Kirche geht, wie es wünschenswert wäre, will ich ihn nicht tadeln. Er wird sich schon noch fügen und gewöhnen, jeder neigt das Haupt vor Gott, sobald die Jahre sich etwas häufen, wenn Erfahrungen gemacht werden, die bereut werden müssen, oder wenn man merkt, dass man in schweren Zeiten Kraft benötigt oder auch nur den schieren Glauben neben allem Wissen.

Wir unterhielten uns darüber, ob der Geist eines Kindes bei der Geburt von ganz und gar dröhnender Leere sei und wie lange es dauere, bis er sich so weit gefüllt habe, dass nichts Großes und Neues mehr hineinpassen will. Ich erinnere mich nicht, zu welchem Schluss wir kamen. Auf jeden Fall waren wir uns darüber einig, dass das Lernen nicht mit einem bestimmten Alter ins Stocken gerate, sondern dass der Grund Faulheit und Faulheit eine Sünde sei. Weder Jung noch Alt können sich vor dem Neuen verstecken, wenn sie es nicht eigens und halsstarrig wollen und sich weigern, auf diejenigen zu hören, die klüger sind als sie.

Die Schärfe deiner Augen ist etwas, was du üben musst, aber dich in deinen Gedanken zu üben, ist etwas anderes. Ich beabsichtige, Herrn Halley bei diesem Versuch zu helfen, auch wenn er mich nicht direkt darum gebeten hat.

Darum darfst du anfangen, die Blätter des von mir geschriebenen Pamphlets zu lesen, aber unter der Bedingung, dass du niemals und unter keinen Umständen jemandem erzählst, was du gelesen hast; dass der Herr Pastor etwas geschrieben hat; ja, du darfst nicht einmal erzählen, dass du etwas gesehen hast.

Wer bald acht ist, der kann schon sein Wort aufs Schweigen geben. Lege die Hand auf die Bibel und versprich und schwöre!

Weißt du, wie die Portugiesen solche bestrafen, die etwas ausplaudern? Sie ziehen dem Verbrecher die Zunge mit der Kneifzange heraus und schneiden sie am Ansatz ab. Die Portugiesen sind von Natur aus Rohlinge und Bestien.

Ich erzähle dir das nicht, um dir Angst einzuflößen. Aber jetzt, da du geschworen hast, niemals mit jemandem über deine Leseübungen zu sprechen, verstehst du auch, dass Gott den Eidbrüchigen ebenfalls straft. Seine Strafen sind stets gerecht, aber wenn Er straft, tut Er es mit noch schrecklicheren Mitteln als die Portugiesen, aber nur wenn Er es für richtig erachtet, denn in Seiner Gerechtigkeit ist der Allmächtige über uns absolut und vollkommen.

Angus, wir sind beide gleichermaßen gesegnet. Wir dürfen auf Gottes großem Schiff leben. Am Samstag sah ich es von oben. Auf allen Seiten das uferlose Meer und unsere Insel ein Schiff aus Stein, nirgendwo befestigt, sondern ein auf dem Meer treibendes riesiges Schiff und nur durch den guten Willen Gottes an seinem Platz.

»DIESE CHRONOLOGIE UNSERER INSEL

UND UNSERER ZEIT, UNTER BESONDERER

BERÜCKSICHTIGUNG DER ÜBERRESTE

VON GOTTES PARADIES IN UNSERER MITTE,

HAT VERFASST UND

DIE BEWEISE DAFÜR GESAMMELT

PASTOR MARTIN BURCH

Es heißt, am Tag der heiligen Helena im Jahr des Herrn 1502 hätten portugiesische Seefahrer unsere Insel zufällig mitten im leeren Ozean entdeckt.

Das mag sein, aber es ist in besitzrechtlicher Hinsicht nicht die entscheidende Grundlage. Was Gott geschaffen, mit seiner Absicht gemacht und seinem Willen gemäß geformt hat, kann niemand mit alleinigem Recht entdecken. Es hat ebenso gut auf uns gewartet wie auf die Portugiesen oder die Holländer.

Die Insel ist durch den Willen Gottes seit Anbeginn an ihrem Platz gewesen. Er hat sie dorthin gerückt, als hätte er ein Schiff an seinen Ankerplatz geleitet. Kein anderer als der Allmächtige hat im Voraus wissen können, was an dieser Stelle aus dem uferlosen Meer aufragt.

Jetzt sind wir dauerhaft hierhergezogen, Gottes großer Bestimmung entsprechend. Die Insel hat auf uns gewartet, nicht wir auf die Insel. Jemand kann aus Versehen einen unbekannten Ort entdecken, aber erst diejenigen, die mit einer Absicht kommen, sind von Gott erwählt.

In dieser Sonderstellung hätten wir das volle Recht und allen Grund, den Namen der Insel in Neu-Karlsland abzuändern, aber das würde nur unnötige Streitigkeiten provozieren. Darum möge der Name weiterhin St. Helena bleiben, nach der Mutter des ersten zum christlichen Glauben bekehrten römischen Kaisers.

Es heißt, der Name sei der Insel an jenem Tag V 21° 1502 gegeben worden, als sich ihre Ufer zum ersten Mal einem menschlichen Auge zeigten, oder aber die Portugiesen haben auch in dieser Angelegenheit eine ihrer Lügen erzählt. Ob gelogen oder nicht, möge es vorerst so bleiben. Als Name möge St. Helena taugen, denn man weiß, dass Flavia Iulia Helena Augusta eine fromme und gute Christin war, und auch deshalb, weil ihr Sohn Konstantin der Große in York zum Kaiser ausgerufen wurde, auf unserem Boden.

In einem so abgelegenen Winkel der Welt müssen kriegsähnliche, zerstörerische Kämpfe vermieden werden. Die Entfernungen sind zu groß und Hilfskräfte nicht einmal innerhalb von vier Monaten zu bekommen. Lassen wir unnötige Namensstreitigkeiten also bleiben. Selbst eine dünne Suppe ist besser als ein blutiger Streit. Möge Gott uns hier vor allem Übel bewahren.

Kriege und Querelen wollen wir an unseren Ufern nicht mehr haben. Gott möge die Lusitaner und ihre Verbündeten wissen und auf immer glauben lassen, dass dieses Land uns gehört, von uns besiedelt wird und für uns bestimmt ist. Möge unser Besitzrecht wohlweislich im Gedächtnis aller Völker erhalten bleiben!

In meiner Jugend durfte ich in meinem geliebten Heimatland in der Bibliothek unseres ehrwürdigen Bischofs im Atlas Universalia blättern. Darin waren bereits die Inseln St. Helena und Ascension an den richtigen Stellen verzeichnet, obwohl der Atlas 1519 in Amsterdam gedruckt worden war.

Dies allein ist schon ein sicherer Beweis dafür, dass die Entdeckungsgeschichten der Portugiesen Gerüchte und absichtliche Verfälschungen sind. Ebenso gut kann der Entdecker unserer Insel ein Holländer gewesen sein oder noch wahrscheinlicher ein Engländer. Von den ersten Besuchern in den Anfangsjahrzehnten sind nur keine schriftlichen Zeugnisse erhalten geblieben.

Die Geschichte der Entdeckung unserer Insel ist jedoch nicht das eigentliche und in keiner Weise das wichtigste Thema dieses Pamphlets, obschon man bereits aufgrund dieser nachweislichen Umstände versteht, dass St. Helena untrennbar zu den Domänen unseres guten Königs Karl II. zählt.

Mit meiner Schrift will ich einige andere Tatsachen ans Licht bringen. Ich habe vor, mich darauf zu konzentrieren, von den noch immer sichtbaren Spuren des Paradieses zu berichten. Desgleichen lege ich von mir in großem Umfange gesammelte Beweise vor.

Ich glaube nämlich fest, dass es Gott in seiner Allmacht gewollt, bestimmt und sichtbar gemacht hat, dass wir auf der Insel St. Helena in der Lage sind, bis in die goldene Zeit der Schöpfung zurückzublicken.

Einen kürzeren Weg ins Paradies und zum Anbeginn der Zeit kann es auf Erden nicht geben. Der menschliche Fuß hat gerade eben erst den hiesigen Ufersand berührt. Seit kaum hundert Jahren besiedelt das menschliche Geschlecht dauerhaft unsere Insel. Zuvor haben erwiesenermaßen nur wenige arme Menschen Besuche abgestattet und verweilt.

Erst wir sind auf die Art und Weise hergekommen, wie es bestimmt ist, dass ein Volk weiterrückt und wächst. Weil unsere Insel von Gott für uns vorgesehen worden ist, hat Er offen und sichtbar das Paradies genau für uns hinterlassen. Auf diese Aufgabe, auf dieses Land haben wir das heilige Recht und die demütige Pflicht.«

DURCH DAS VOM HERRN PASTOR VERFASSTE PAMPHLET lerne ich gut und flüssig lesen (gut heißt richtig, aber flüssig heißt schnell). Ich lese sowohl für mich als auch laut, das sind zwei Arten des Lesens, und sie belehren einander.

Lesen ist Sehen, aber auch Hören. Schreiben ist kurzes Zeichnen. Die Buchstaben sind verschieden, obwohl es gleiche gibt, große und kleine und in einem Buch andere als in einem Brief, bei unterschiedlichen Menschen jeweils etwas anders, je nachdem, wie die Hand es kann und was sich an Alter angesammelt hat. Einen Brief schreiben ist Zeichnen, aber auch Sprechen. Wenn man lesen lernt, lernt man, lautloses Sprechen zu hören. Wenn man schreiben kann, kann man sprechen, ohne dass man etwas laut sagt.

Die dritte Art des Lesens ist die, dass man alle Arten gleichzeitig kann und ganz versteht, was man gelesen hat. Wie gut ich das lerne, überprüft der Herr Pastor, indem ich ihm am nächsten Tag, ohne die Seiten vor mir zu haben, erzählen muss, was ich am Tag zuvor gelesen habe.

Das vierte Lesen ist dann, dass man im Kopf noch einmal liest, was man gelesen hat. Das hilft sehr, wenn man erzählen muss, was was ist und was man gelernt hat.

Der Herr Pastor schaut zu und passt die ganze Zeit auf. Er bleibt auch dann im Raum, wenn ich still für mich lese, und er geht so gut wie nie hinaus, ohne jedes Blatt seines Pamphletes mitzunehmen.

Einmal muss er jedoch so schnell austreten gehen, dass der ganze in schöner Handschrift geschriebene, Dutzende Seiten dicke Stoß Blätter auf dem Tisch liegen bleibt. Jeder Bogen ist auf beiden Seiten gefüllt, und dies auch noch so genau, dass an leeren Stellen andere Schrift hinzugefügt worden ist, und sei es quer oder senkrecht, wenn es nicht anders gepasst hat. Der Herr Pastor lässt mich nicht alle Seiten lesen, und vor den in die Zwischenräume geschriebenen Stellen hat er mich eigens gewarnt und mir verboten, auch nur einen Blick darauf zu werfen.

Zuerst schaue ich überhaupt nicht hin. Aber dann kann es sein, dass Gott selbst es will, denn beinahe wie aus Versehen werfe ich einen Blick auf den obersten Bogen und sehe den Namen meiner Mutter. Zuerst stehen oben mehrere geduckte Zeilen:

»Warnung. Muss überprüft werden.«

»Wurde sich von jemandem bei einer Versammlung der Sektierer eingeprägt und mir dann am Donnerstag berichtet.«

»Sie haben gesagt: Wir sind zusammen nicht so viele, wie der Sand Körner hat. Aber auch der Pfeil hat nur eine Spitze, dennoch kann man mit einem Pfeil viele Häute durchbohren.«

»John Bushell, Edwin Thorne, Martin Burch, Witwe Hodges hinter Longwood, Totholz-Stevens Witwe Catherine und ihr Bankert sowie Witwe Catherines Tochter Ann und deren Bankert, die erwachsene Hurentochter Mary der beim Weißen Tor wohnenden Mary Gallagher.«

»Die Sektierer haben gesagt: Wir müssen sie zum Jüngsten Gericht schicken. Aber damit sie auch eine irdische Strafe erhalten und dadurch wissen, dass das Jüngste Gericht für sie kommt, sollen sie zuerst wegen ihrer Kinder und Bankerte leiden. Darum machen wir uns daran, die in Sünde Gezeugten auszumerzen.«

»Über deren Namen sind bereits im Himmel Messer und Strick gezeichnet worden. Geht im Schutz der Nacht hin oder bei Tag, wenn niemand es sieht. Fangt mit den Wickelkindern an. Empfindet nicht unnötig Mitleid. Das Fleisch des Sündigen ist nichts als aus Asche gekochte Lauge. Was von Falschgläubigen gezeugt worden ist und genährt wird von einer, die vom Glauben abgefallen ist, ist nicht mehr als eine Ratte, die von einem Handelsschiff geflohen ist.«

Unter der Namensliste hat der Herr Pastor, damit es hinpasst, in sehr kleiner Handschrift angemerkt:

»Ich wundere mich über die Anzahl der Frauen. Sie sind verhasst.«

Als der Herr Pastor zurückkommt, tue ich so, als hätte ich nur gewartet, und versuche so zu sein wie vorher, obwohl ich das Gefühl habe, etwas falsch gemacht zu haben und zu lügen. Als ich mit dem Lautlesen weitermache, verbessert er mich geduldig, wenn ich ein Wort oder eine Stelle schlecht ausspreche. Eine Stelle ist mehr als ein Wort, denn bei einer Stelle muss man verstehen, welche Wörter dazugehören.

»Der erste Langzeitbewohner auf unserer Insel trug den Namen Fernáo Lopes beziehungsweise Fernando Lopez. Es heißt, er sei ein Adliger gewesen und habe im indischen Goa einen hohen militärischen Rang innegehabt. Aufgrund seiner angeborenen Gutherzigkeit und Gerechtigkeit kämpfte er an der Seite der Inder gegen die Tyrannei Portugals, aber sie verloren, und Fernando Lopez wurde von den rohen Untergebenen des Gouverneurs Afonso de Albuquerque gefoltert und verstümmelt.

Man band ihn zwischen Pfählen fest, schlug ihm mit einem krummen Messer Ohren und Nase ab, seine Lippen wurden beschnitten, Kopf und Gesicht wurden mit Muschelschalen abgeschabt, der rechte Arm wurde abgetrennt und von der linken Hand der Daumen.

Erst als Tyrann Albuquerque starb, durfte der in den Dschungel verbannte Fernando Lopez an Bord eines nach Portugal fahrenden Schiffes gehen. Dieses machte auf seiner langen Reise halt auf St. Helena, und Fernando Lopez beschloss, auf der Insel zu bleiben, weil er nicht wollte, dass seine Frau und seine Verwandten ihn als grausam verstümmelten Taugenichts sahen.

Er lebte auf der Insel in der Einsamkeit eines Eremiten. Nur hin und wieder konnte die Besatzung von vorbeikommenden Schiffen zuerst nur seine Spuren und sein Strohlager und dann ihn selbst weit weg auf den Anhöhen bei den Ziegen sehen. Sie ließen ihm Geschenke, Käse, Getreide und Reis da, und man ging dazu über, ihn für einen Heiligen zu halten, der freiwillig auf die unnütze Hast und die irdischen Freuden der Menschen verzichtete. Er fastete, betete und lebte in Frömmigkeit.

Sein einziger Begleiter war ein ins Meer gefallener junger Hahn, den er schwimmend herausholte. Dieser verließ seinen Retter nie mehr, sondern schlief des Nachts auf einer Stange in der Höhle. Die Höhle hatte sich der einarmige Fernando Lopez als Heimstatt und Schlafplatz mit Mühe in einen porigen Fels gegraben, und tagsüber folgte der Hahn seinem Herrn treuer als der beste Hund.

Fernando Lopez’ Ruf als heiliger Mann gelangte in die Handelshäfen wie auch bis weit in den Norden. Jedes Handelsschiff, das vorbeikam, um sauberes Trinkwasser zu holen, ließ etwas für ihn zurück, Brot und Essen, die Samen vielerlei Ackerpflanzen, Kleider, Briefe und Gelöbnisse, Enten, Hühner und Rebhühner, Schweine und Ziegen, Rosenkränze und Bitten für die Heilung von Kranken. Er dankte den Überbringern der Gaben aus der Ferne vom Felsen herab, sehr höflich, aber von so weit weg, dass die Seeleute sein verstümmeltes Gesicht nicht sehen konnten.

So dauerte es elf Jahre, bis der portugiesische König bestimmte, er habe nach Hause zurückzukehren. Fernando Lopez gehorchte, fühlte sich in Lissabon aber nicht mehr wohl und ertrug die Menge der Menschen und ihre Neugier und ihr Entsetzen nicht. Er versuchte, in der Stille eines Klosters zu leben, aber auch dort war ihm der Lärm zu viel.

Er bat darum, in den Vatikan zu dürfen, um dem Papst zu begegnen, denn ihn hatte eine Botschaft hinsichtlich einer solchen Möglichkeit erreicht. Nachdem er die Absolution erhalten hatte, fühlte er sich für kurze Zeit frei und zog durch die ganze Stadt Rom, ohne sein Gesicht zu verhüllen. Er pries die Güte Gottes und erzählte den Mächtigen des Landes von seinem abgelegenen Wohnort, den Gott gerade erst den Menschen der Erde habhaft gemacht hatte.

Aber schon bald ersuchte er darum, auf die Insel zurückkehren zu dürfen, und er erhielt eine zustimmende Antwort und die Erlaubnis und vom Papst eine Empfehlung an den König. So kehrte er mit dem ersten Indien-Schiff auf unsere Insel zurück, wo er bis zu seinem Tod ein gutes, einsames Leben führte.

Fernando Lopez wurde ein großer Gärtner Gottes. Die Sonne versengte ihn nicht, und es peitschte ihn kein kalter Regen. Er pflanzte Bäume und Beerenranken, gelbe Kürbisse und süße Granatäpfel, Erntegetreide über der Erde und im Innern der Erde vielerlei Wurzelgemüse. Um ihn herum breiteten sich dichte Wälder aus, in denen Gummibäume und mannshoher Farn wuchsen, Kohlbäume und ein gewaltiger, lodernder Strauch mit roten Früchten, welcher in allen anderen bewohnten Ländern bereits vollkommen verschwunden war. Er lebte im Paradies und zerstörte es nicht, sondern pflanzte darin nur neue Arten und hegte und pflegte sie mit der großen Weisheit, die Gott der Allmächtige ihm durch all seine Leiden geschenkt hatte.«

Diese Seiten versuche ich mir zu merken und auf vier Arten zu lesen, damit ich am nächsten Tag davon erzählen kann. Der Herr Pastor hört genau zu und sagt dann, das ist nicht schlecht gewesen, Angus, gar nicht schlecht, dir ist durch Gottes Gnade von Geburt an ein gutes Gedächtnis gegeben worden, und du verstehst, was wichtig ist und was nicht.

So kann es sein, so ist es einen guten Moment lang, obwohl ich mich vor allem daran erinnere, dass ich die Namen von meiner Mutter und von Ann gesehen habe. Aber wenn er mich lobt, bekomme ich das Gefühl, dass ich innerlich größer werde und dass der Totholz-Angus schon anderswo ist als hier. Das ist ein so seltsamer Zustand, dass sich die Hauthärchen auf dem Arm vor Angst aufrichten. Oder vor Größe, ich weiß nicht, was es ist, als gäbe es im Kopf fertige Momente und größere Zeiten, die noch nicht gekommen sind, vielleicht noch nicht einmal annähernd.

Ich habe auch früher schon innerlich Bilder gesehen, wenn ich mich Dingen hinterhererinnert habe, aber seit ich lesen gelernt habe, sehe ich vom Gelesenen fast jede Stelle und manchmal jedes Wort als etwas, das es nicht gibt, aber doch gibt. Jetzt blicke ich auch geradewegs nach vorn, und es ist, als würde ich mich selbst an einem Ort sehen, den es noch gar nicht gibt. Das ist beängstigend, geht aber vorbei, und ich rede mit niemandem darüber, damit man es mir nicht wegnimmt.

Wir machen mit einem neuen Blatt weiter, ich lese, und der Herr Pastor schaut meinem Lesen zu, und es kommt mir vor, als wären wir beide gesegnet. Ich darf hier sein und muss nicht den ganzen Nachmittag Wasser aus der Quelle holen und Yams an Stützstangen und abgeschnittene Äste binden, damit die Pflanzen nicht abbrechen, wenn die Knollen tief aus der feuchten Erde gegraben werden. Und der Herr Pastor ist gesegnet wegen seiner Güte und seiner Weisheit. Alles, was er in seinem Pamphlet geschrieben hat, präge ich mir ein und weiß, dass ich es mir merken werde, als wäre es mir widerfahren und nicht den fremden Menschen, die über hundert Jahre vor uns auf der Insel gelebt haben.

ICH LESE LAUT, weil der Herr Pastor zuhören und das Selbstgeschriebene hören will. Er nickt und summt laut, wenn ihm eine Stelle besonders gut gefällt.

»Es heißt, dass Gott nach dem Tod von Fernando Lopez beschloss, als Nächstes dürften sich zwei männliche Sklaven aus Mosambik, ein Sklave von der fernen Insel Java und mit ihnen zwei Sklavinnen auf St. Helena niederlassen. Diese fünf flüchteten und versteckten sich vor denen, die sie suchten, im Dickicht der Insel, bis das Schiff abgefahren war. Sie bewohnten die Insel und lebten, wie Menschen leben, und ihr Geschlecht wuchs auf zwanzig Personen an. Ihre Kinder waren die ersten Menschen, die auf unserer Insel geboren wurden, und die Nachkommen ihrer Nachkommen leben noch immer unter uns.

Aber sie waren keine Gärtner Gottes wie Fernando Lopez, sondern lebten so, wie Unverständige leben. Sie brannten Lichtungen in die Wälder und fällten große Bäume, wenn sie ein paar reifere Früchte aus deren Wipfeln wollten. Zu ihrer Zeit wurden die verwilderten Ziegenherden riesig, und die Ziegen fraßen und benagten oben auf dem Kamm und auf der Hochebene Schösslinge und Gras und die Blätter von Sträuchern. Ratten, die von den Schiffen entkommen waren, vermehrten sich und machten sich überall breit, und die Katzen, die zu ihrer Abwehr mitgebracht wurden, fraßen Vögel, die nie eine Katze zu Gesicht bekommen hatten und darum nichts von deren Sitten wussten und sie nicht als Mörder erkannten.

So gerieten die von Gott vorgesehenen Tiere in die Zähne und Klauen derjenigen, die von Menschen mitgebracht worden waren. Aber entspricht nicht auch das der göttlichen Absicht? Ist es eine Züchtigung oder eine Bewegung im Räderwerk von Gottes Getreidemühle? Kann es sinnloses Geschehen geben, gibt es etwas, das nicht im großen Plan vorgesehen wäre?

Gott ist gut. Gott ist der Allmächtige auf der Erde wie im Himmel. Aber warum wollte Er das Paradies auf Erden niederreißen und nur Bruchstücke davon übrig lassen? Und warum wollte Er die letzten Winkel des Paradieses ausgerechnet auf unserer wunderbaren Insel bewahren?«

Diese Insel gehört uns und Gott, sagt der Herr Pastor und verbessert sofort, dass diese Insel Gott und uns gehört. Mit uns meint er uns und die Engländer, weil er selbst ganz Engländer ist, auch wenn er jetzt auf der Insel ist, aber er ist hier ebenso zufällig, wie es den größten Teil aller Inselbewohner irgendwann durch Zufall herverschlagen hat.

So sagt er es und fragt dann, ob meine Familie durch Zufall oder mit Absicht hergekommen ist. Darauf kann ich nicht antworten, und ich tue es auch nicht, denn wenn ich antworte, obwohl ich es nicht weiß, breche ich das Versprechen, ehrlich zu sein, und werde ein Lügner.

Ich habe es so verstanden, Angus, dass deine Familie mehr aus einem bestimmten Grund als durch Zufall hergezogen ist, nach dem Großen Brand von London, gleich als damit begonnen wurde, die Anbauflächen zu verteilen. Ein solches entsetzliches Unglück hat euch hierhergeführt. Deine gute Mutter war erst knapp über zwanzig und dein Vater nicht viel älter. Damals hatten sie schon zwei Kinder, deine Schwester Ann und einen männlichen Säugling, der auf der Überfahrt starb.

Jetzt, da jeder Inselbewohner auf meine Veranlassung in ein Buch eingetragen ist, kann man das leicht überprüfen, und ich habe es überprüft. Aus Interesse habe ich mir gerade gestern erst euren Eintrag angesehen. Du wurdest hier vier Jahre nach der Übersiedlung als Halbwaise geboren, und deine Schwester war damals acht, so alt, wie du heute bist.