Die irischen Freundinnen - Cathy Kelly - E-Book
SONDERANGEBOT

Die irischen Freundinnen E-Book

Cathy Kelly

0,0
5,99 €
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Drei Frauen und das Abenteuer des Lebens: Der berührende Familiengeheimnisroman »Die irischen Freundinnen« von Cathy Kelly jetzt als eBook bei dotbooks. Ihr Neuanfang in einem Cottage auf dem irischen Land eröffnet für Großstadt-Journalistin Jodi eine ganz neue Welt: Jeden Abend ist sie bei einem anderen Nachbarn zu Gast und kennt schon bald die liebenswerten Schrullen der Einheimischen. Als eine rätselhafte Schwarz-Weiß-Fotografie sie allerdings zu dem alten Gutshof Rathnaree führt, spürt sie sofort, dass hinter den rosmarin- und lavendelumrankten Mauern ein Geheimnis schlummert: Kann es Zufall sein, dass Lily Kennedy, die Frau auf dem alten Foto, ausgerechnet jetzt in ein Koma gefallen ist? Und was hat es mit dem Namen »Jamie« auf sich, den sie immer wieder wispert? Gemeinsam mit Lilys Enkelin Izzie macht sich Jodi auf Spurensuche in der Vergangenheit. Doch noch ahnt keine der beiden Frauen, wie sehr dies ihre Leben für immer verändern wird … »Klug, warmherzig, einfühlsam – dieser Roman ist wie ein Abend mit den besten Freundinnen und tollen Gesprächen«, sagt die irische Bestsellerautorin Marian Keyes. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der bewegende Schicksalsroman »Die irischen Freundinnen« von Cathy Kelly. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 775

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Ihr Neuanfang in einem Cottage auf dem irischen Land eröffnet für Großstadt-Journalistin Jodi eine ganz neue Welt: Jeden Abend ist sie bei einem anderen Nachbarn zu Gast und kennt schon bald die liebenswerten Schrullen der Einheimischen. Als eine rätselhafte Schwarz-Weiß-Fotografie sie allerdings zu dem alten Gutshof Rathnaree führt, spürt sie sofort, dass hinter den rosmarin- und lavendelumrankten Mauern ein Geheimnis schlummert: Kann es Zufall sein, dass Lily Kennedy, die Frau auf dem alten Foto, ausgerechnet jetzt in ein Koma gefallen ist? Und was hat es mit dem Namen »Jamie« auf sich, den sie immer wieder wispert? Gemeinsam mit Lilys Enkelin Izzie macht sich Jodi auf Spurensuche in der Vergangenheit. Doch noch ahnt keine der beiden Frauen, wie sehr dies ihre Leben für immer verändern wird …

»Klug, warmherzig, einfühlsam – dieser Roman ist wie ein Abend mit den besten Freundinnen und tollen Gesprächen«, sagt die irische Bestsellerautorin Marian Keyes.

Über die Autorin:

Cathy Kelly arbeitete als Redakteurin, Filmkritikerin und »Kummerkastentante« bei der Dubliner Sunday World, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden und regelmäßig die Bestsellerlisten erobern. Am liebsten schreibt sie warmherzige, einfühlsame Geschichten über ihre irische Heimat. Cathy Kelly lebt mit ihrer Familie und ihren drei Hunden in County Wicklow.

Die Website der Autorin: www.cathykelly.co.uk/

Bei dotbooks veröffentlichte Cathy Kelly auch ihre Romane:

»Wie küsst man einen Iren?

»Wie angelt man sich einen Iren?«

»Wie heiratet man einen Iren?

»Der Duft von irischem Lavendel«

»Eine irische Hochzeit«

»Der Glanz von irischem Klee«

»Heimkehr nach Irland«

»Die Schwestern von Ballymoreen«

»Die Freundinnen von Cloud’s Hill«

»Die Frauen von Ardagh’s Crown«

***

eBook-Neuausgabe Oktober 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Lessons in Heartbreak« bei HarperCollinsPublishers, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Ein verflixtes Jahr« bei Blanvalet.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2008 Cathy Kelly

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-369-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die irischen Freundinnen« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Cathy Kelly

Die irischen Freundinnen

Roman

Aus dem Englischen von Uta Hege

dotbooks.

Prolog

Vom Kopf her wusste sie, dass falsch war, was sie tat. Sie lag mit offenen Augen in der Dunkelheit, spürte seinen nackten Körper neben sich und trotz der Kühle in dem Zimmer war ihr herrlich warm. Sie hatte niemals vorher nackt geschlafen, doch jetzt fragte sie sich, ob es noch irgendeine andere Möglichkeit zu schlafen gab.

Natürlich brauchte man dabei noch einen Körper neben sich; einen von regelmäßiger Bewegung harten, straffen, schlanken Körper ohne ein Gramm Fett.

Doch trotz seiner unglaublichen Stärke ging er sanft und zärtlich mit ihr um. Letzte Nacht hatten seine geschmeidigen Finger, die sie an einen Klavierspieler erinnerten, kleine Kreise auf ihrer bleichen Haut gezogen und sie hatte das Leuchten seiner Augen im weichen Licht der schwachen Glühbirne gesehen.

Wenn seine Hände sie berührten, fühlte es sich an, als wäre ihr Körper etwas Bewunderns- und Begehrenswertes, einzig dafür geschaffen, mit dem Körper des Mannes zu verschmelzen, neben dem sie gerade lag.

»Du bist einfach wunderschön. Ich wünschte, dieser Augenblick würde niemals enden«, hatte er mit der leisen Stimme gesagt, die sie genauso liebte wie alles andere an ihm.

Er war einfach perfekt.

Nur gehörte er nicht ihr.

Hin und wieder stahlen sie sich ein paar Stunden, hielten während des Essens heimlich Händchen unter dem Tisch, klammerten sich wie die Überlebenden von einem Schiffsunglück auf einer kleinen Rettungsinsel in dem riesigen Hotelbett aneinander fest. In diesen Stunden gehörte er ihr, doch in Wahrheit borgte sie ihn sich nur aus.

Das Bewusstsein, dass sie sich bald wieder würden trennen müssen, verursachte ihr einen körperlichen Schmerz.

Bald würde er erwachen. Bald würde seine innere Uhr ihm sagen, dass es Zeit zum Aufstehen war. Um sieben müsste er verschwunden sein, damit er seinen Zug bekam.

Sie wusste ganz genau, wenn sie als Erste das Hotelzimmer verlassen müsste, brächte sie es ganz einfach nicht über sich zu gehen. Er aber schaffte es. Sein Pflichtbewusstsein trieb ihn immer wieder von ihr fort.

Nur die leuchtenden Zeiger seines Weckers zeigten, dass schon Morgen war. Sie schlich sich aus dem Bett, zog den schweren Vorhang einen Spalt breit auf und ließ etwas von dem morgendlichen Dämmerlicht herein. Von außen schlug die Art von kaltem Graupel gegen die Fensterscheibe, deren Feuchtigkeit einem grausam in die Knochen drang.

Von der Straße drangen frühmorgendliche Stadtgeräusche an ihr Ohr: das Knallen von Türen, Hupen, das Rumoren des Verkehrs. Um sie herum nahm das normale Leben seinen Lauf. Die Menschen liefen hin und her und rackerten sich ab wie die Arbeiter in einem Ameisenstaat, und niemand nahm vom Leben der anderen Notiz.

Auch ihr Leben verlief vollkommen unbemerkt.

Er bewegte sich im Bett, und in dem verzweifelten Verlangen, die letzte kostbare Stunde ihrer Zeit zusammen zu genießen, kletterte sie eilig wieder neben ihn. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie fast so tun, als wäre die Nacht noch nicht vorbei und sie hätten noch ein wenig Zeit.

Aber er wurde wach, rieb sich den Schlaf aus den Augen und fuhr sich mit den Händen über die dunklen Bartstoppeln an seinem Kinn.

Bald musste er gehen.

Sie fing an zu weinen, als er seinen schweren, warmen Körper an ihr rieb.

»Sei nicht traurig«, bat er sie, neigte seinen Kopf und küsste ihre salzigen Tränen fort.

»Ich bin nicht traurig«, antwortete sie, weinte aber noch mehr. »Ich meine, ich will nicht traurig sein. Aber ich werde dich vermissen, ich halte es einfach nicht aus, dass du wieder gehen musst.«

»Du musst es aushalten, wir beide müssen es.«

Wie konnte Liebe nur so wunderbar und gleichzeitig so furchtbar schmerzlich sein? Jede Zärtlichkeit brachte sie dem Augenblick der Trennung näher. Jedes Mal, wenn er sie streichelte, gingen ihr die Fragen durch den Kopf: »Ist dies vielleicht das letzte Mal, dass er mich so berührt? Werde ich ihn jemals wiedersehen?«

Obwohl es ihr unendlich schwerfiel, unterdrückte sie die Tränen, denn sie hatte keine andere Wahl.

Am Ende lag sie schweigend auf dem Bett und sah zu, wie er in seine Kleider stieg.

Bevor er ging, setzte er sich noch mal neben sie, zog sie eng an seine Brust und küsste sie, als spende nur ihr Atem ihm den Sauerstoff, den er zum Leben brauchte.

Ihre Hände lagen fest um seinen Hinterkopf und Nacken, und sie setzten die Liebkosung mit geschlossenen Augen fort.

»Ich muss gehen. Ich liebe dich.«

Wenn sie etwas erwidert hätte, hätte sie wieder geweint, und so schaute sie ihn einfach an.

»Leb wohl.«

Er sah sich nicht noch einmal um, als er aus dem Zimmer ging.

Vielleicht war es ja das, was Männer und Frauen voneinander unterschied. Dass Männer stets nach vorne, in die Zukunft sahen, und Frauen in alle Richtungen zugleich. Suchend, ängstlich, betend, dass den Menschen, die sie liebten, nicht irgendein Leid geschah.

Sie legte sich wieder in das noch von seinem Leib gewärmte Bett, fragte sich, ob sie ihn jemals wiedersehen würde und brach erneut in Tränen aus.

Kapitel 1

Die Sonne von New Mexico hatte bereits ihren Zenit erreicht, als das Shooting für den Zest-Modekatalog endlich unterbrochen wurde und man in die Mittagspause ging. Izzie Silver erhob sich von ihrem Platz, streckte ihren einen Meter dreiundsiebzig langen Körper in der einschläfernden Hitze aus und blickte auf die unzähligen Sommersprossen, die sich auf ihren Armen gebildet hatten, obwohl jeder Zentimeter freiliegender Haut dick mit Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 50 eingekleistert war.

Der echte, helle Keltentyp – mit Haut wie Milch, karamellfarbenen Sommersprossen und bläulich schimmernden Venen an den Handgelenken – nahm in der Sonne nämlich höchstens eine Farbe an. Hummerrot. Und Hummerrot war ganz eindeutig nicht als Modefarbe, sondern einzig und allein als Hinweis auf ein frühes Stadium von Hautkrebs anzusehen.

Es war der zweite Tag des Shootings und Izzie spürte, dass sich die Gemächlichkeit des Wüstenlebens auf sie übertrug, und dass ihr Blut, das in ihrer Wahlheimat New York ständig in Wallung war, überraschend ruhig durch ihre Adern rann. Manhattan und die Modelagentur Perfect!, für die sie als Booker tätig war, und in deren Auftrag sie hier ein Model vom Typ Lolita während ihres ersten lukrativen Katalog-Shootings betreute, schienen endlos weit entfernt.

In New York säße sie jetzt mit einem Headset hinter ihrem Schreibtisch, kämpfte sich durch einen Haufen neuer Nachrichten, und währenddessen würde ihr Magermilch-Latte kalt. Das Büro lag in einem hübschen Sandsteinhaus unweit der Houston Street, war aber von einem Menschen eingerichtet worden, dem eindeutig mehr an Glasbausteinen und Plexiglasleuchtern als an der Wahrung der Privatsphäre der dort arbeitenden Menschen lag.

In ihrer Mittagspause würde sie in den kleinen Schönheitssalon in der Siebten rennen und sich die Augenbrauen zupfen lassen, wenn sie nicht einen kleinen Umweg ins Anthropologie am West Broadway machte, um zu sehen, ob es dort vielleicht noch ein paar dieser süßen kleinen, wie Muscheln geformten Seifenschälchen gab. Nicht, dass sie noch irgendwelches Zeug in ihrem Badezimmer bräuchte: Es sah darin schon jetzt aus wie in einem Drugstore.

Und während sie die Leben anderer verplante, ginge sie in Gedanken nebenher auch ihren eigenen Terminkalender durch, dächte an den Pilates-Kurs am Abend, den sie besuchen würde, wenn sie nicht zu erschossen wäre. Und natürlich an ihn. An Joe.

War es nicht einfach seltsam, dass man jahrelang durchs Leben gehen konnte, ohne einen Menschen zu kennen, der dann mit einem Mal der Lebensmittelpunkt für einen war? Wie konnte so etwas geschehen?

Und warum gerade er? Sich in ihn verliebt zu haben, war nicht nur furchtbar unpraktisch, sondern vor allem grundverkehrt. Gerade, als sie sich eingebildet hatte, sie hätte ihr Leben vollkommen im Griff, war er anspaziert gekommen und hatte ihr gezeigt, dass nie etwas so lief, wie man es sich wünschte. Dass man einfach keine Kontrolle über sein Leben hatte – dass alles dem Zufall überlassen war.

Izzie hasste Zufälle, hasste, verabscheute sie. Sie hatte einfach gern das Heft selber in der Hand.

Zumindest hatte sie hier in New Mexico den erforderlichen Abstand, um über ihr Leben nachzudenken, selbst wenn sie deshalb nicht zu ihrem Augenbrauentermin, ihrem Pilates und – vor allem – ihrer Verabredung zum Abendessen kam. Denn Joe nahm so viel Raum in ihrem Kopf und ihrem Herzen ein, dass sie einfach nicht klar denken konnte, wenn er in der Nähe war.

Hier auf der Chaco Ranch, umgeben von Wüstensand und unter einem endlos blauen Himmel, der sich noch über den Horizont hinaus zu erstrecken schien, war klares Denken beinahe ein Gebot.

Izzie fühlte sich hier so zu Hause, als säße sie auf der Veranda hinter dem Haus der Großmutter in Tamarin, wo Moororchideen das Gras übersäten und einem der Geruch des Ozeans in die Nase stieg.

Die nur dreißig Minuten vom quirligen Santa Fe entfernte Chaco Ranch, ein ausgedehntes, weiß gestrichenes Haus, lag wie ein teurer Edelstein inmitten des leuchtend roten Sands.

Und obwohl er geografisch ziemlich weit entfernt von dem kleinen irischen Küstenstädtchen lag, in dem Izzie aufgewachsen war, strahlte dieser Ort die gleiche, viel zu seltene, wunderbare Ruhe aus, in der das Wort morgen viel zu eilig klang, und sicher auch noch übermorgen früh genug für alles war.

Während die Ranch zwischen riesigen Kakteen, den Mesquitebäumen, die das Haus bewachten, und den Bergen eingeschlossen war, lag Tamarin auf einer Reihe steil abfallender Felsen, die den Eindruck machten, als risse sie das Brüllen des Atlantiks eines Tages ein.

An beiden Orten, dachte Izzie, machte die Landschaft dem Menschen bewusst, dass er nur ein winziger Bestandteil des Universums war.

Die Stille auf der Ranch hatte auf sie alle eine beruhigendere Wirkung als zwei Stunden anstrengenden Bikram-Yogas gehabt.

Was keine geringe Leistung war bei einem Mode-Shooting mit lauter waschechten New Yorkern, deren stetes Schwanken zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt den Anschein erweckte, sie stünden unmittelbar davor, ein Heilmittel gegen Krebs zu finden.

Natürlich war ein Shooting nie wirklich eine entspannte Angelegenheit, denn die Models, Fotografen, Make-up-Künstler, Frisöre, Stylisten und Klienten erfüllten jedes Set mit nervöser Energie. Man brauchte, wie sie wusste, endlos viel Humor, um in der Modebranche arbeiten zu können. Sonst glaubte man früher oder später wirklich, dass ein Paar falscher Schuhe eine Tragödie war, die der der globalen Erwärmung in nichts nachstand.

Aber das Shooting für Zest machte tatsächlich Spaß.

»Ich liebe diesen Ort«, hatte Izzie zu der Besitzerin der Ranch am Morgen des Vortages gesagt, als die gesamte Crew mit genügend Kleidern, Make-up, Haarspray und fotografischer Ausrüstung, um einen kurzen Film drehen zu können, auf der Ranch erschienen war. Der Strom, unter dem sie alle gestanden hatten, hätte bestimmt für die Versorgung einer ganzen Stadt gereicht.

Die Frau hatte mit ihren schlanken, sonnengebräunten, mit Silber- und Türkisreifen geschmückten Armen ausgeholt und ihr erklärt, der Chaco Canyon, wo sie einen Teil der Fotos machen würden, wäre die Heimat einer Fliege, die den Erreger der Beulenpest in sich trug.

»Könnten wir vielleicht ein paar von diesen Fliegen fangen?«, hatte Izzie sie gefragt. »Nicht für mich, aber es gibt da ein paar Leute, denen habe ich schon öfter mal die Pest gewünscht.«

Die blonde Frau hatte gegrinst. »Ich hätte nicht gedacht, dass ihr Modefritzen auch nur eine Spur von Humor besitzt.«

»Ich fürchte, ich bin die berühmte Ausnahme«, hatte Izzie ihr erklärt. »Was tatsächlich ein gewisser Nachteil in der Modebranche ist. Ein paar von diesen Leuten liegen nämlich beispielsweise abends in ihren Betten und heulen sich die Augen aus dem Kopf, weil irgendeine Saumlänge nicht richtig ist. Und wenn man kein solcher Modefreak ist wie sie, erstechen sie einen mit ihren High Heels von Manolo oder erschlagen einen mit der neuesten Ausgabe der Vogue. Aber ich persönlich finde, dass einem etwas Sinn für Humor bei jeder Arbeit hilft.«

»Sie sind also kein echter Modefreak?«, hatte ihre Gesprächspartnerin wissen wollen und ihr hochgewachsenes, rothaariges Gegenüber neugierig angesehen.

»He, sehen Sie sich mich doch nur mal an«, hatte Izzie sie lachend aufgefordert, während sie mit ihren Händen über ihren straffen, üppig gerundeten Leib gefahren war.

»Echte Modefreaks bilden sich ein, Essen wäre nur etwas für Schwächlinge, aber das denke ich ganz sicher nicht. Ich habe weder jemals die South Beach- noch die Atkins-Diät probiert, weil ich nämlich auf Kohlehydrate ganz einfach nicht verzichten kann. Was man in der Modebranche aber einfach muss.«

In einer anderen Welt hätte sie problemlos modeln können. Das hatten ihr die Menschen schon als Kind gesagt. Sie hatte einfach den dafür erforderlichen Look. Hatte riesengroße, rauchig blaue, von dichten Wimpern eingerahmte Augen und einen vollen, wohlgeformten Mund, der auf ihre Wangen zwei entzückende Grübchen zauberte, wenn er sich zu einem Lächeln verzog. Mit ihrer dichten, roten Lockenmähne und dem manchmal majestätischen Gesichtsausdruck sah sie aus wie eine Walküre, die in ihrem eigenen Langboot stand. Gleichzeitig war sie ziemlich groß, mit langen, wohlgeformten Beinen, die perfekt für das Ballett waren, bis sie weiter gewachsen und am Ende deutlich größer als die anderen kleinen Ballerinas in dem Kurs war.

Seither war ihre Größe das Hauptthema, wenn man von ihrem Aussehen sprach. Schon mit zwölf Jahren war sie einen Meter fünfundsechzig gewesen und hatte fast fünfzig Kilo auf die Waage gebracht.

Jetzt, mit neununddreißig, trug sie Kleidergröße vierzig und hob sich dadurch wie durch viele andere Dinge von den anderen Frauen in der Branche ab, in der das höchste Gut extreme Schlankheit war.

Mit ihrer perfekten Sanduhr-Figur sah sie aus wie eine überlebensgroße Venus und war der lebende Beweis für die Behauptung ›groß ist schön‹. Sie war eine begeisterte Esserin, die alle Blicke auf sich zog und die hohläugigen Mode-Junkies wie zerbrechliche, dürre Zweige aussehen ließ.

Sie liebte ihre Größe und machte nie Diät.

Was in der Welt der Mode gleichbedeutend damit war, dass jemand erklärte, Polyester wäre sein Lieblingsmaterial.

Joe Hansen war leicht überrascht gewesen, als er bei ihrer ersten Begegnung während eines Wohltätigkeitsessens – eines Events, an dem Izzie nur durch eine Reihe merkwürdiger Umstände teilgenommen hatte, was ein weiterer Beweis für ihre These vom alles regierenden Zufall war – vernommen hatte, dass sie in der Modebranche arbeitete.

Sie hatten einander gegenüber an einem Tisch gesessen, und sie hatte nicht gedacht, dass er sie auch nur wahrnahm, bis ihr plötzlich das verräterische Flackern seiner Augen aufgefallen war.

»Aber hallo« hatte sie ein bisschen wehmütig gedacht.

Sie hatte schon so lange keinen Mann mehr attraktiv gefunden, dass sie nicht mal mit völliger Sicherheit hätte sagen können, ob das ungewohnte Ziehen in ihrem Bauch wirklich ein Zeichen dafür war, dass dieser Fremde ihr gefiel. Vorsorglich hatte sie dieses Gefühl auch sofort unterdrückt. Sie hatte nämlich keine Zeit für einen Mann. Männer brachten immer alles durcheinander, verwirrten die Gedanken und brachten außer Ärger kaum was ein. Arbeit – ein netter, grundsolider Job, in dem sie was erreichte, was ihr niemand nehmen konnte – und eine Handvoll guter Freundinnen und Freunde waren das Wichtigste im Leben, hatte sie erkannt.

Aber obwohl sie beschlossen hatte, ihn zu ignorieren, hatte er sie weiter angesehen. Er hatte überrascht gewirkt und sie offenbar dafür bewundert, dass sie so robust und echt gewesen war. Sie hatte ihr Brötchen mit Genuss gegessen und sich anschließend sogar genüsslich die Butter vom Finger geleckt. Kohlehydrate und Fett, die Mischung war beinahe kriminell. Die Stadt war voller Leute aus der Modebranche, und es galt als allgemein bekannt, dass diese ganz besondere Spezies klapperdürr, ständig auf Diät und sehr aufwändig im Unterhalt war.

Izzie hatte nie versucht, anders als die anderen zu sein. Allerdings hatte sie sich ebenfalls auch nie darum bemüht, so zu sein wie sie.

»Gott hat dich so groß gemacht, damit die Männer zu dir aufsehen können«, pflegte ihre Großmutter zu sagen. Sie hatte die Stelle ihrer Mutter übernommen, als diese an Krebs gestorben war, und Izzie fragte sich noch heute, wie es ihr gelungen war, ihr trotz ihrer bereits im Alter von dreizehn Jahren stattlichen Erscheinung in einer Welt der Frauen, die mehr als alles andere zart und dünn sein wollten, genügend Selbstvertrauen mitzugeben. Aber wie auch immer, ihre Oma hatte es auf jeden Fall geschafft.

Izzie hatte Spaß an ihrem Äußeren. Und den hatte der Mann, der ihr gegenübergesessen hatte, offenkundig ebenfalls gehabt.

Obwohl um ihn herum lauter spindeldürre Frauen aus der besseren Gesellschaft mit elegant übereinandergeschlagenen, spindeldürren Beinen auf vergoldeten Stühlen mit nicht minder dürren Beinen gesessen hatten, hatte er nur Izzie angestarrt. Nein, nicht angestarrt, sondern vielmehr hungrig angesehen.

So sahen viele Männer Izzie an. Das war sie gewohnt, und auch wenn sie alles andere als eingebildet war, brauchte sie diese Blicke einfach nicht für ihr Selbstwertgefühl und ging deshalb für gewöhnlich auch nicht darauf ein. Als aber Joe Hansen sie so angesehen hatte, hatte er dadurch die Welt, wie sie sie kannte, völlig auf den Kopf gestellt.

Und was das Schockierendste für sie gewesen war – als er sie so angesehen hatte, hatte sie gespürt, wie die alte Izzie – kompromisslos, stark und rundherum mit sich zufrieden – einer Frau gewichen war, die sich danach sehnte, in den Augen dieses hinreißenden Fremden schön und begehrenswert zu sein.

»Wissen Sie, Schätzchen, nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, scheint diese ganze Modekiste echte Knochenarbeit zu sein«, hatte die Besitzerin der Ranch geseufzt und ihre Gedanken vom Plaza und ihrer ersten Begegnung mit Joe in die Gegenwart zurückgeholt.

»Ich habe die South Beach Diät einmal ausprobiert, aber für die Spinat-Eißweiß-Muffins und das ganze andere Zeug braucht man einfach jede Menge Zeit.«

»Viel zu viel Arbeit««, hatte Izzie zugestimmt. Der Kühlschrank in ihrem Büro war ständig voller derartiger Snacks. Augenblicklich war Quinoa angesagt. Izzie hatte das Getreide selbst einmal probiert, festgestellt, dass ein in Katzenpipi eingeweichtes Handtuch sicher ähnlich ätzend schmeckte, und sich umgehend eine Portion von Da Silvanos Pasta mit einer doppelten Portion geriebenen Parmesankäses bestellt.

»Ich bin ein totaler Nudelfan«, hatte sie deshalb hinzugefügt.

»Spaghetti mit Venusmuscheln«, hatte die andere Frau geseufzt.

»Risotto. Mit wilden Champignons und Käse«, hatte Izzie gestöhnt. Und die Köstlichkeit beinahe geschmeckt.

»Pfannkuchen mit Ahornsirup und zerlassener Butter.«

»Aufhören. Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen«, hatte Izzie lachend gefleht.

»Ich wette, dass keins von diesen schlanken Mädchen jemals Pfannkuchen isst.« Die Ranch-Besitzerin hatte auf zwei Kette rauchende Models gezeigt. Obwohl sie rauchten, sahen sie einfach fantastisch aus. Und obwohl sie wusste, dass die Schönheit all der Frauen, die sie im Zusammenhang mit ihrer Arbeit traf, oft eine rein äußere Erscheinung war, erzeugte sie in ihr eine gewisse Demut. Denn sie war einfach phänomenal.

»Nein«, hatte sie zu der anderen Frau gesagt. »Offen gestanden essen sie kaum jemals etwas.«

»Das ist wirklich traurig«, hatte die Besitzerin der Ranch gesagt, und Izzie hatte zustimmend genickt.

Damit hatte sich die Frau zum Gehen gewandt, und jetzt verließ auch Izzie die Terrasse, auf der die letzten Fotos aufgenommen worden waren, und ging über die geflieste Treppe auf die hinter dem Haus befindliche Veranda, auf die Tonya, das achtzehnjährige Model, auf das sie aufpassen sollte, sich geflüchtet hatte, nachdem sie aus dem adretten Schürzenkleid von Zest wieder in ihre eigenen Klamotten umgestiegen war.

Tonya saß auf einem Rattanstuhl, streckte ihre Giraffenbeine in den hautengen Gap-Jeans aus und zog an ihrer frisch angezündeten Zigarette, als hinge ihr Leben davon ab. Mit ihrem kastanienbraunen Haar und den fein gemeißelten Wangenknochen war sie für die Fotografen aus jedem Blickwinkel ein Traum.

Aber trotz der mandelförmigen Augen und der vollen Lippen, die in Millionen von Frauen die Sehnsucht wecken sollten, so auszusehen wie sie, ging eine gewisse Tragik von ihr aus.

Die junge Frau war wunderschön, schlank wie der Stängel einer Lilie und trotzdem völlig durch den Wind.

Izzie wusste, dass das für kaum jemanden sichtbar war. Alles, was die Menschen sahen, war die natürliche Schönheit dieser jungen Frau. Sie hatten keine Ahnung, dass hinter der schillernden Fassade ein verängstigter Teenager aus einem kleinen Städtchen in Nebraska steckte, der zwar hinsichtlich seines Aussehens das große Los gezogen hatte, diesem Gewinn aber innerlich ganz einfach nicht gewachsen war.

Izzie Silver aber musste, wenn sie ihre Arbeit richtig machen wollte, auch das ängstliche Kind hinter der sorgfältig aufgetragenen Schminke sehen. Schließlich hatte sie es jeden Tag mit jungen Frauen aus häufig ärmlichen Verhältnissen zu tun, die vielleicht eine große Zukunft vor sich hatten, wenn es ihr gelang, sie davon abzuhalten, den falschen Weg zu gehen.

Offiziell bestand ihr Job darin, die Karrieren der Models zu managen und Aufträge für sie an Land zu ziehen. Inoffiziell jedoch nahm sie sehr oft die Rolle einer großen Schwester bei den Mädchen ein. In den zehn Jahren, seit sie in der Modelbranche tätig war, war kaum eine Woche vergangen, in der sie nicht jemandem begegnet war, der ihr das Gefühl gegeben hatte, dass eine junge Frau, die Model werden wollte, am besten gleich zu Anfang ihrer Karriere einen Therapeuten oder eine Therapeutin zugeteilt bekam.

»Warum nur scheint alle Welt zu glauben, dass Schönheit alles ist?«, fragten sie und Carla, ihre beste Freundin und Kollegin bei der Agentur, sich mindestens einmal in der Woche. Was in einer Welt, in der nur eine ganz bestimmte Art körperlicher Schönheit Anerkennung fand, eine rein rhetorische Frage war.

»Weil die Leute nicht dasselbe sehen wie wir«, beantwortete Carla diese Frage immer selbst. »Sie sehen nicht, dass die Models Drogen nehmen, um so dünn zu bleiben, dass sie Drogen nehmen, damit sie keine Pickel kriegen, dass sie Drogen nehmen, weil es sonst einfach nicht auszuhalten ist.«

Wie viele andere Booker war auch Carla selbst ein ehemaliges Model. Sie war halb Hispano- und halb Afroamerikanerin, groß, mit kaffeebrauner, seidig weicher Haut, arbeitete aber trotzdem lieber hinter der Kamera, denn dort ging es etwas weniger brutal zu.

»Wenn die zehnte Person in einer Woche so über dich spricht, als wärst du gar nicht da, und du nie was anderes hörst, als dass deine Beine zu fett, dein Hintern zu dick und dein gesamter Look einfach hoffnungslos veraltet ist, glaubst du es früher oder später selbst«, hatte Carla Izzie mal erklärt.

Inzwischen sprach sie nur noch selten über ihre Zeiten vor der Kamera. Stattdessen sprachen sie und Izzie – die sich deswegen so gut verstanden, weil sie gleichzeitig bei Perfect! angefangen und mit ihren neununddreißig Jahren dasselbe Alter hatten – immer häufiger davon, eine eigene Agentur zu gründen, in der alles vollkommen anders lief.

Bei SilverWebb – der Name bot sich einfach an, weil sie Carla Webb und Izzie Silver hießen, – würde kein Model je zu hören bekommen, es wäre zu fett. Weil sie nur kräftigere Models repräsentieren würden, große, schöne Frauen. Frauen mit Rundungen, mit Körpern wie antike Göttinnen und einer Haut, die von Natur aus weich und samtig war und nicht erst dick überpinselt werden musste, weil das Model magersüchtig und infolge eines ungesunden Lebenswandels hoffnungslos verpustelt war.

Was – da sie und Carla fest mit beiden Füßen auf der Erde standen und sich beide daran störten, dass in ihrer Agentur nur Models zugelassen waren, bei denen man jeden Knochen sah – vollkommen logisch war.

Vor einem knappen halben Jahr – noch bevor sie Joe begegnet war – hatten sie gemeinsam ihre Mittagspause auf der Feuerleiter neben dem Büro verbracht und über ein Model von einer anderen Agentur gesprochen, das wegen seiner Heroinsucht in eine Klinik eingeliefert worden war.

Die junge Frau war einen Meter fünfundachtzig groß gewesen und hatte, obwohl sie nicht einmal mehr fünfundvierzig Kilo gewogen hatte, immer noch einen vollen Terminkalender gehabt.

»Das ist einfach eine Tragödie, findest du nicht auch?«, hatte Carla seufzend festgestellt und weiter an ihrem Brot gekaut. »Es ist doch wohl total destruktiv, diesen jungen Mädchen zu erzählen, dass sie nicht in Ordnung sind, obwohl sie in Wahrheit so fantastisch aussehen, dass einem ihr Anblick regelrecht den Atem raubt. Wo soll das alles nur mal enden? Und wer legt eigentlich fest, was schön ist, wenn noch nicht mal mehr die Schönheit dieser wirklich schönen jungen Frauen reicht?«

Izzie hatte stumm den Kopf geschüttelt, denn sie hatte keine Antwort auf die Frage gehabt. In den zehn Jahren, seit sie in der Branche angefangen hatte, hatte sie mit ansehen müssen, wie die ideale Model-Form von, wenn auch schlanken, so doch gleichzeitig athletischen, gesunden Durchschnittsfrauen immer mehr in Richtung großer, knochiger, erschreckend dürrer Kindfrauen gegangen war.

»Irgendwann werden wir an einen Punkt gelangen, an dem die Mädels sich operieren lassen müssen, bevor sie überhaupt von einer Agentur genommen werden, weil der Look der Saison einfach zu seltsam ist, als dass ihn ein normaler Mensch noch hat«, hatte sie trübsinnig festgestellt. »Was sagt das über die Modebranche aus?«

»Frag mich lieber nicht.«

»Wir sind die Modebranche«, hatte Izzie düster hinzugefügt. Wenn sie nicht Teil der Lösung waren, waren sie Teil des Problems. Aber es gab doch sicher einen Weg, um etwas von innen heraus zu ändern, oder nicht?

»Weißt du«, hatte sie nachdenklich gesagt. »Wenn ich meine eigene Agentur hätte, würde ich keine normalen Models nehmen. Denn wenn die nicht schon von Anfang an eine Schraube locker haben, haben sie sie spätestens, wenn die Fotografen mit ihnen fertig sind.« Sie hatte herzhaft in ihren Hühnchen-Wrap gebissen und ein paar Mal gekaut. »Die Designer wollen immer jüngere Mädchen haben. Es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis nur noch Zwölfjährige auf unserer Kundenliste stehen.«

»Was heißt, dass wir als Frauen von fast vierzig« – Carla hatte ihre Finger zu einem Kreuz übereinandergelegt, als Zauber gegen diesen apokalyptischen Geburtstag – »uralte Schachteln sind.«

»Und in meinem Fall auch noch ganz eindeutig zu rund«, hatte Izzie sie erinnert.

»He, du bist schließlich auch kein Junge, sondern eine Frau.«

»Danke, aber trotzdem bin ich ganz eindeutig nicht normal. Dabei ist die Sache die, Frauen wie du und ich sind die mit dem Geld, um die verdammten Klamotten zu kaufen, für die mit diesen androgynen Mädels Werbung gemacht wird.«

»Du sagst es.«

»Schließlich können irgendwelche Teenies schlecht achthundert Dollar für irgendeinen Dress berappen, den sie nicht mal in die Waschmaschine stecken können und nach dem in einem halben Jahr kein Hahn mehr kräht.«

»Spätestens in vier Monaten. Schließlich gibt es, wenn man von Abendgarderobe und normalen Alltagsklamotten absieht, vier Kollektionen im Jahr. Bis du das Zeug aus dem Seidenpapier gewickelt hast, ist es schon wieder unmodern.«

»Stimmt. Weil sich damit schließlich jede Menge Geld verdienen lässt. Aber das ist es nicht, was mich daran so stört. Was mich stört, ist die verdammte Kluft zwischen den Models und dem potenziellen Käuferinnenkreis.«

»Dass sie Klamotten für Erwachsene von kleinen Mädchen vorführen lassen?«

»Ganz genau.«

Als allein lebende Karrierefrau mit einer eigenen Wohnung in New York musste sie immer alles selber machen, angefangen von der Reinigung eines verstopften Abflussrohrs über das Anfertigen ihrer Steuererklärung bis hin zu knallharten Verhandlungen mit riesigen Unternehmen, für die ihre Models nichts weiter als kleine Schachfiguren waren.

Aber wenn diese Unternehmen Kleider für Karrierefrauen wie sie vorführen ließen, wählten sie dafür zerbrechliche Kindfrauen aus.

Die Botschaft der hervorragend geschnittenen, exklusiven Stücke lautete: »Sehen Sie sich vor, Mister, ich bin eine gleichberechtigte Verhandlungspartnerin.«

Die Botschaft der Models mit schimmernd pinkfarbenem Schmollmund und Knien, die dicker als ihre Oberschenkel waren, hingegen war: »Bitte, Papa, pass gut auf mich auf.«

»Es ist einfach eine total verdrehte Welt«, hatte sie festgestellt. »Ich liebe unsere Mädchen, aber sie sind so furchtbar jung. Sie bräuchten keine Booker, sondern eher ihre Mütter, wenn sie zur Arbeit gehen.« Dann war sie verstummt.

Viele Leute meinten, Booker wären für die Models halb Mutter und halb Managerin. Was ihr in letzter Zeit aus irgendeinem Grund nicht mehr gefiel. Bisher war ihr immer egal gewesen, was sie Leute sagten, aber inzwischen rief es ein gewisses Unbehagen in ihr wach, wenn sie auch nur als die Ersatzmutter eines achtzehnjährigen Mädchens galt. Sie hatte keine Kinder, und sie fand die Vorstellung schockierend, dass sie plötzlich alt genug war, um die Mutter einer anderen Erwachsenen zu sein. Aber warum schockierte sie das so? Lag es vielleicht am Alter? Oder gab es dafür vielleicht einen anderen Grund?

»Ja.« Carla hatte die Reste ihres Essens wieder eingepackt und mit ihrem Kaffee angefangen. »Wäre es nicht toll, mit Frauen zu arbeiten, die die Chance hatten, erwachsen zu werden, bevor man sie auf den Laufsteg schickt?«

»Gott, ja«, hatte Izzie ihrer Freundin voller Inbrunst zugestimmt. »Und die nicht dazu gezwungen werden, sich halb zu Tode zu hungern, nur, damit man ihre Schulterblätter durch die Stoffe pieksen sieht.«

»Du denkst an Models mit Normalgrößen ...«

Carla hatte sie fragend angesehen und Izzie hatte ihr Hühnchen-Wrap, von dem sie gerade hatte abbeißen wollen, wieder sinken lassen. Genau daran hatte sie gedacht. Wie viel schöner es doch wäre, mit Frauen zu arbeiten, die wie Frauen aussehen durften und sich nicht so lange quälen mussten, bis ihr Körper einer vorgegebenen Form entsprach. Der Form, bei der einer Frau eine anständige Brust, ein Bauch und selbst ein Hinterteil verboten waren.

Carla hatte nachdenklich die Hände um ihren Kaffeebecher gelegt, und plötzlich waren die Geräusche, die sie immer auf der Feuerleiter hörten – das Rauschen des Verkehrs und das Brummen und Pfeifen der Klimaanlage auf dem Dach, die immer wie eine Rakete kurz vor ihrem Abschluss klang – völlig in den Hintergrund getreten.

»Wir könnten –«

»– eine eigene Agentur aufmachen –«

»– für normal große Models.«

Sie hatten sich bei den Händen genommen und wie kleine Kinder gekreischt.

»Glaubst du, dass wir das schaffen könnten?«, hatte Izzie Carla in ernstem Ton gefragt.

»Es gibt ganz eindeutig einen Markt dafür«, hatte Carla ihr erklärt. »Kannst du dich noch daran erinnern, dass wir vor ein paar Jahren keins der kräftigeren Mädchen losgeworden sind? Wohingegen uns die Unternehmen heute häufig fragen, ob es auch normale junge Frauen bei uns gibt. Die Tage, an denen die normal gebauten Mädels nur für Kataloge und für Strickmuster verwendet worden sind, sind ein für alle Mal vorbei. Und nun, da jede Menge teurer Designer Kollektionen auch in größeren Größen entwerfen, hätten sie gern auch realistischere Models. Es gibt also ganz eindeutig einen Markt. Vielleicht ist es bisher noch eine Nische, aber ich bin der festen Überzeugung, dass sie in den nächsten Jahren immer größer werden wird.«

»Eine Nische, ja, genau. Aber ich liebe Nischen. Sie sind etwas Besonderes, etwas Elitäres, etwas anderes.«

Sie hatte einfach genug davon, für Perfect! zu arbeiten und sich täglich mit den Partnern herumzuärgern, die bereits vor langer Zeit auf die dunkle Seite der großen Geldverdiener übergewechselt waren. Denen auf der dunklen Seite waren die Menschen – egal, ob Angestellte oder Models – nämlich vollkommen egal. Bald führten sie sicher selbst auf der Toilette noch eine Stechuhr und eine Maschine ein, von der man immer nur eine bestimmte Menge Klopapier zugeteilt bekam.

Außerdem hatte sie der Firma zehn Jahre ihres Lebens geschenkt und nun das Gefühl, als ob sie vor einem Wendepunkt in ihrem Leben stand. Schließlich ragte ihr vierzigster Geburtstag drohend vor ihr auf. Ihr Leben war im Eiltempo vergangen und – plötzlich hatte sie gewusst, was nicht mit ihr stimmte, weshalb sie in letzter Zeit häufig so unzufrieden war – sie hatte das Gefühl, als ob sie irgendwo zurückgelassen worden war.

Sie hatte all die Dinge, die sie immer hatte haben wollen: Unabhängigkeit, ihr eigenes Apartment, wunderbare Freundinnen und Freunde, fantastische Urlaube, ein vollgepacktes gesellschaftliches Leben. Trotzdem hatte sie inzwischen häufig das Gefühl, als ob irgendetwas fehlte. Es war wie ein Riss in einer Wand, der zwar nicht die ganze Schönheit ruinierte, aber trotzdem da war und einem ab und zu störend ins Auge fiel. Sie wollte ganz einfach nicht glauben, dass das, was ihr fehlte, vielleicht Liebe war. Liebe brachte nichts als Ärger. Einen Riss in ihrem Leben zu verspüren, weil es niemanden zu lieben gab, war ein grässliches Klischee und sie weigerte sich einfach, ein Klischee zu sein.

Arbeit war die Lösung – ein eigenes Unternehmen. Das würde die Liebe ihres Lebens und nähme ihr auch noch die letzten, spätnächtlichen Zweifel an dem von ihr eingeschlagenen Lebensweg.

»Ich bin sicher, dass wir das Geld zusammenkriegen würden«, hatte Carla ihr erklärt. »Schließlich können wir unsere Wohnungen beleihen. Es muss doch wohl irgendeinen Vorteil haben, dass wir arbeitende Singles sind.«

Sie hatten beide gegrinst. Izzie hatte schon des Öfteren gesagt, dass es in New York bestimmt die höchste Rate alleinstehender Karrierefrauen auf der ganzen Erde gab.

»Und schließlich ist es nicht so, als ob wir nicht genügend Kapitalisten von der Wall Street kennen würden, die wir um Hilfe bitten können«, hatte Carla gut gelaunt hinzugefügt, und Izzie hatte laut gelacht.

Ihre Branche zog sehr viele reiche Männer an, die schon alle Spielzeuge von reichen Jungen wie Privatjets oder Ferieninseln hatten und der Meinung waren, ein Model an ihrem Arm wäre das perfekte Accessoire.

»Als ob die sich mit uns treffen würden«, hatte sie immer noch lachend eingeschränkt. »Du weißt, dass es für die Freundinnen von Wall Street-Typen eine Altersgrenze gibt, und dass wir die schon vor zehn Jahren überschritten haben, Schwester. Nein«, hatte sie sich korrigiert. »Nicht vor zehn, sondern vor fünfzehn. Diese Herren des Universums mit ihren Maseratis und ihren Helikoptern, die sie selber fliegen, haben lieber Freundinnen, die höchstens fünfundzwanzig sind. Für normale Frauen unseres Alters sind sie einfach blind.«

»Hör auf, uns ständig so runterzumachen. Mit unserer eigenen Agentur können wir endlich tun, was ich den Leuten hier immer sage, endlich auch ältere Models nehmen, und wenn du willst, wirst du der Star. Die Herren des Universums halten sich nur deshalb von dir fern, weil du sie erschreckst. Du spielst die Rolle des zähen irischen Huhns einfach zu gut. Männer sind wie Wachhunde. Wenn sie sich fürchten, knurren sie. Aber wenn du ihnen keine Angst mehr machst, rollen sie sich auf den Rücken und wedeln wie die Wilden mit dem Schwanz in der Hoffnung, dass du sie zumindest einmal streichelst.«

»Egal.« Izzie hatte wieder auf ihr Hühnchenwrap gesehen. »Es ist egal, ob sie sich vor mir fürchten oder nicht. Sie ziehen nämlich trotzdem ganz eindeutig neunzehnjährige ukrainische Models vor. Und wenn ein Mann statt einer Frau lieber ein kleines Mädchen will, ist er sowieso nicht der Richtige für mich.«

Carlas Bemerkung, dass sie selber modeln könnte, hatte sie einfach ignoriert. Es war natürlich nett von Carla, so etwas zu sagen, aber zum einen war sie viel zu alt, um jetzt noch damit zu beginnen, und zum anderen hatte sie ganz einfach zu viel Zeit mit Models zugebracht, um den Wunsch zu hegen, Teil ihrer Welt zu sein. Izzie wollte ihr Schicksal selber kontrollieren und es nicht in die Hände eines Haufens von Leuten legen, die eine bestimmte Person für ein bestimmtes Outfit haben wollten und einer Frau das Herz zu brechen vermochten, indem sie knapp erklärten: »Sie wollen wir ganz sicher nicht.«

»Könnten wir wirklich eine eigene Agentur aufziehen?«, hatte sie von Carla wissen wollen. »Ich meine, wie groß ist der Anteil neuer Unternehmen, die innerhalb des ersten Jahres Pleite machen? Fünfzig Prozent?«

»Wahrscheinlich eher fünfundsiebzig.«

»Oh, das klingt natürlich viel beruhigender.«

»Wir gehen am besten möglichst realistisch an ein solches Projekt heran.«

»Ein Projekt, bei dem wir endlich etwas täten, woran wir wirklich glauben.«

Während des ersten Monats nach der Unterhaltung hatten sie nur über ihren Plan gesprochen, dann aber hatten sie das Fundament für ihre eigene Agentur gelegt. Hatten bei Banken vorgesprochen, einen Termin bei einer kleinen Unternehmensberatung vereinbart und einen Geschäftsplan aufgestellt. Bisher war noch niemand bereit, ihnen das erforderliche Geld zu leihen, aber wie Carla gesagt hatte, bedurfte es nur eines Menschen, der an das Vorhaben glaubte und der ihnen auf die Sprünge half.

Dann hatte sich Izzie vor zwei Monaten Hals über Kopf verliebt.

Die Liebe hatte alles andere aus ihrem Hirn verdrängt, und obwohl Carla immer noch von ihrem eigenen Unternehmen sprach, war Izzie nicht mehr wirklich mit dem Herzen bei der Sache, weil in ihrem Herzen ganz einfach kein Raum mehr für etwas anderes war als Joe.

Die Liebe hatte sie eiskalt erwischt, und das hatte keinen Menschen mehr schockiert als Izzie selbst.

»Wenn alles so läuft, wie wir es uns vorstellen, werden wir nicht mehr lange das Rückgrat von Perfect! sein«, hatte Carla vor Izzies Abflug nach New Mexico glücklich geseufzt. »Stell dir vor, dann sind wir selbst die Chefinnen ... und die Booker, die Assistentinnen, die Buchhalterinnen und wahrscheinlich auch die Frauen, die abends die Toiletten putzen, aber he, das wird für uns ganz sicher kein Problem. Schließlich brauchen wir dann auch nicht mehr Babysitter für irgendwelche Kids bei Katalog-Shootings zu spielen«, hatte sie hinzugefügt.

»Nein«, hatte ihr Izzie zugestimmt, wobei es ihr völlig egal gewesen war, wen sie babysitten musste, weil nämlich das eigentliche Drama für sie die bevorstehende, kurzfristige Trennung von Joe war.

»Katalog-Shootings sind einfach grauenhaft«, hatte Carla noch gesagt.

Damit hatte sie eindeutig Recht gehabt, war es Izzie durch den Kopf gegangen, als sie in der Hitze von New Mexico gestanden hatte, während das von ihr betreute Model abgelichtet worden war.

Katalog-Shootings waren tatsächlich grauenhaft. Stundenlang wurden Klamotten abgelichtet, ohne genügend Zeit, um sie richtig in Szene zu setzen wie bei einem Shooting für ein Modemagazin. Bei Shootings für Zeitschriften wurden an einem ganzen Tag manchmal nur sechs Outfits fotografiert – diese Menge riss man hier an einem Morgen ab. Die Models mussten also echte Profis sein. Was Tonya mit den hohen Wangenknochen und den hinreißenden Mandelaugen ganz eindeutig war.

Im Verlauf des Vormittags hatte Izzie Tonya in sage und schreibe sieben verschiedenen Outfits auftreten sehen. Jedes Mal hatte ihr stilles, aufmerksames Gesicht die vollkommene Verwandlung durchgemacht. Sie hatte brav gelächelt, ausgesehen wie das nette junge Mädchen aus der Nachbarschaft, und erst, wenn die jeweilige Fotoserie abgeschlossen war, hatte ihr Gesicht wieder seinen normalen, leicht wehmütigen Ausdruck angenommen und Izzie deutlich gemacht, wie unglaublich jung ihr Schützling war.

Ein Glück, dass jetzt erstmal Mittagspause war. Der Fotograf und seine beiden leitenden Assistenten tranken Kaffee und stopften sich das extra für sie herangekarrte Essen in den Mund. Die beiden Praktikanten schleppten Reflektoren und riesige Lampen durch die Gegend.

Für sie gab es leider nichts.

Die Make-up- und Haarkünstler hatten draußen Platz genommen, ließen sich die Sonne auf die sorgfältig bemalten Zehennägel scheinen und tratschten fröhlich über irgendwelche Leute aus ihrem Metier.

»Sie behauptet allen Ernstes, dass sie sich nicht liften lassen hat. Das kann sie vielleicht ihrer Großmutter erzählen, mir ganz sicher nicht. Wenn die Haut um ihre Augenwinkel noch ein bisschen straffer gezogen worden wäre, könnte sie jetzt seitwärts sehen. Außerdem hat sie sich ganz eindeutig Botox spritzen lassen. Früher hat sie kaum jemals auch nur den Mund verzogen, aber inzwischen sieht sie wie ein dauergrinsendes Dummy aus.«

»Wie ein Dummy? Das hätte sie wohl gern. Schließlich waren Dummys irgendwann mal warm – wie schmilzt man denn wohl sonst das Wachs?«

»Du bist einfach zum Schreien!«

Die Frau aus Zests riesiger Marketing-Abteilung telefonierte lautstark mit ihrem Büro.

»Es ist einfach fantastisch: Wir sind genau im Zeitplan, und wir haben noch den ganzen Nachmittag. Das Licht ist derart gut, dass Ivan sagt, dass er mindestens bis sechs fotografieren kann. Dann fahren wir morgen in das alte Dorf ...«

Als Izzie das diskrete Summen ihres eigenen Handys hörte, wühlte sie in ihrer riesigen Handtasche herum, bis sie es endlich fand. Sie liebte große Taschen, in denen sich neben ihrem Organizer, ihrem Make-up, einem Paar flacher Schuhe, diversen Paketen Kaugummi, Schokoriegeln für den Notfall und einer Wasserflasche auch noch ein Flacon ihres Lieblingsparfüms, Acqua di Parma, unterbringen ließ. Der eindeutige Nachteil war, dass man hin und wieder triumphierend eine Slipeinlage in die Höhe hielt, obwohl man auf der Suche nach einem Blatt Papier zum Schreiben war. Wie schafften es die Teile nur, sich aus dem Paket zu schmuggeln und bombenfest an irgendwelchen Gegenständen festzukleben, für die sie eindeutig nicht vorgesehen waren, während sie in ihren Slips nie so sicher hafteten, wie die Werbung es versprach?

»Und, wie stehen die Aktien?«, wollte Carla mit so deutlicher Stimme von ihr wissen, als säße sie nicht tausende von Kilometern weg in ihrem Büro, sondern stünde direkt im Nebenraum.

»Primstens«, versicherte Izzie ihr. »Bisher hat noch niemand jemand anderen angeschrien, es hat noch niemand angedroht, das Set einfach zu verlassen, und die bisherigen Aufnahmen sind wirklich gut.«

»Wie kriegst du es nur hin, dass alles so glatt läuft?«

»Ich habe meinen Hexenkessel ausgepackt«, antwortete Izzie. »Und das Gebräu aus Molchsaugen und Jungfrauenblut wirkt anscheinend ziemlich gut.«

»Ich schätze, es ist nicht ganz einfach, Jungfrauenblut zu finden, wenn Ivan in der Nähe ist«, stellte Carla lachend fest.

Ivan Meisner war der Fotograf, den Zest für die Aufnahmen angeheuert hatte, und ihm eilte der Ruf eines Genies voraus, das es sich leisten konnte, Zeitschriften wie W und Vogue im Kampf um seine Gunst gegeneinander auszuspielen, obgleich er bei der Verteilung menschlicher Qualitäten eindeutig zu kurz gekommen war.

Niemand, der ihn das extra lange Objektiv seiner Kamera liebkosen sah, während er junge Models vor der Linse hatte, konnte ernsthaft daran zweifeln, dass er sich nicht nur hinter seiner Hasselblad, sondern auch auf anderen Gebieten als wahren Meister sah.

»Er hat eindeutig ein Auge auf Tonya geworfen«, stellte Izzie dementsprechend fest. »Aber keine Angst. Wenn er sich zu weit aus dem Fenster hängt, ziehe ich ihn einfach wieder rein.«

»Könnte das vielleicht jemand aufnehmen?«, bat Carla sie. »Ich würde ihn nämlich gerne sehen, wenn du mit ihm fertig bist. Und auch HardCopy hätte sicher gern ein Bild von ihm, wie er ohnmächtig am Boden liegt.«

Izzie fing an zu lachen. Carla war einer der wenigen Menschen, die wusste, dass sie mit vierzehn eine berüchtigte Draufgängerin mit einem gefährlichen rechten Haken gewesen war. Das brauchte nicht jeder zu erfahren – schließlich war Gewalt in der Modewelt nur in, wenn man sie vor irgendwelchen graffitibesprühten Wänden absichtlich für die Fotografen inszenierte – aber es verlieh ihr jede Menge Selbstvertrauen.

»Legt euch lieber nicht mit der kräftigen Irin an«, hatte es bereits des Öfteren geheißen. Und es stimmte wirklich, dass sie sich behaupten konnte, auch wenn das – wie sie mit einer gewissen Wehmut dachte – vielleicht für manche Männer eher abschreckend war. Schließlich hatte sie, bevor sie Joe begegnet war, bereits zwei Jahre lang keine Verabredung mit einem Mann gehabt. Was sie jedoch inzwischen nicht mehr wirklich störte. Man musste eben auch als Single einfach mit dem Leben weitermachen, was ihr eindeutig gelungen war.

»Du willst doch nur mal sehen, wie ich jemandem eine verpasse, stimmt’s?«

»Ich weiß, dass du das kannst. Schließlich hast du sicher nicht umsonst all die Jahre Kickboxen trainiert«, gab die Freundin zurück. »Natürlich bist du die Königin des bösen Blicks, der die Menschen automatisch zum Verstummen bringt und ihnen deutlich macht, dass man dich nicht verschaukeln kann, aber trotzdem sähe ich es einfach gern, dass du mal einem Typen auf die Nase haust. Einfach so zum Spaß. Bitte, bitte, bitte. Ich finde es einfach entsetzlich, wenn sich Ivan an die jungen Models ranmacht.«

»Was ihm diesmal nicht gelingen wird. Auch wenn er es vielleicht versucht, wird er nicht bei Tonya landen. Das verspreche ich. Gibt es irgendwelche Neuigkeiten aus der großen Stadt?«

»Nein, hier ist alles ruhig. Rosanna ist krank, und deshalb fehlt uns eine Frau, und Lola hat gestern Abend in der U-Bahn ein tolles mexikanisches Mädchen aufgetan. Sie hat ein Foto von ihr gemacht und ihr ihre Karte gegeben, aber sie denkt, die Kleine hätte offenkundig Angst gehabt, dass sie von der Einwanderungsbehörde ist, und riefe deshalb vielleicht nicht an. Lola meinte, sie sähe wirklich fantastisch aus. Groß, mit endlos langen Beinen und einer unglaublichen Haut.«

»Oh, ich hoffe, sie ruft an.« Als Booker waren sie ständig auf der Suche nach dem nächsten vielversprechenden Model. Trotz der vielen Fernsehshows mit lauter wunderschönen Mädchen, die auf eine Modelkarriere hofften, gab es nämlich noch immer eine Unzahl unentdeckter Schönheiten im Land, und es gab kaum etwas Schlimmeres, als eine solche Schönheit zu entdecken, die einem dann nicht glaubte, dass man wirklich aus der Branche war.

»Ich auch. Lola starrt die ganze Zeit auf ihr Telefon. Wenn sie so weitermacht, geht es wahrscheinlich bald in Flammen auf.«

»Und das war alles?«

»Ja. Sonst ist nichts passiert. Wie ist der Typ von der Zest’schen Marketingabteilung? Ich habe gehört, dass er echt gut aussehen soll.«

Izzie fing an zu grinsen. Erst in der letzten Woche hatte Carla noch erklärt, sie ginge nie wieder mit irgendeinem Typen aus.

»Er konnte nicht kommen, und sie haben stattdessen eine Frau geschickt.«

»Dann kriegst du wenigstens genügend Schlaf«, stellte Carla lachend fest und legte auf.

Als das Shooting für den Tag beendet war, versammelte sich das gesamte Team zur Entspannung in dem zu ihrem Hotel gehörigen Restaurant mit angeschlossener Bar. Sie waren gut gelaunt, weil sie gute Arbeit geleistet hatten, die große Party aber würde erst am nächsten Abend stattfinden, wenn die letzte Aufnahme im Kasten war, niemand am nächsten Morgen mit den Hühnern aufstehen musste und deshalb ein Kater nicht so tragisch war.

Außerdem war auch die Frau von Zest dabei, die alles überwachte, und um nach der Hälfte der Aufnahmen alles zu vermasseln, ging es bei diesem Shooting einfach um zu viel Geld.

Izzie war schon bei Shootings dabei gewesen, bei denen zu früh gefeiert worden war. Dann hatten die Make-up-Künstler sich ganz besondere Mühe geben müssen, um die Spuren allzu großen Alkoholgenusses sowie krassen Schlafmangels zu überdecken, wenn es aufgrund der allgemeinen Katerstimmung überhaupt zu Aufnahmen gekommen war.

»Hier sind die Speisekarten«, verkündete die Zest-Frau fröhlich und reichte die Karten wie ein Schulpräfekt, der sich bemühte, jede Ungezogenheit von Vornherein zu unterdrücken, unter den Anwesenden herum. »Außerdem gibt es eine Salatbar, falls jemand etwas Leichteres will.«

Eine Reihe klapperdürrer Mädchen, die sich alle Mühe gaben, niemals etwas anderes zu essen, starrte sie grimmig an. Dann gab es bestimmt auch keine Mojitos, dachten sie erbost.

Schließlich wurden das Essen, eine bescheidene Menge Wein und dank des Haar-Stylisten, der herrische Frauen hasste, Cocktails für sie alle bestellt.

»Aber nur einer pro Person«, zirpte die Frau von Zest, die schließlich die Kreditkarte von ihrem Unternehmen in den Händen hielt.

Wie Izzie vorhergesehen hatte, schob sich Ivan schon nach kurzer Zeit auf der mit Kissen ausgelegten Holzbank näher an die Stelle heran, an der Tonya mit einem alkoholhaltigen Cocktail saß.

Izzie setzte sich auf einen Hocker den beiden direkt gegenüber, tätschelte Tonya aufmunternd das Knie und bedachte Ivan mit dem durchdringenden Blick, der ihr infolge jahrelangen Umgangs mit Männern wie ihm vollkommen mühelos gelang.

»Wie geht es Sandrine?«, fragte sie ihn im Plauderton. Sandrine war seine Frau, der es auf wundersame Art gelungen war, ihr berufliches Verfallsdatum dadurch hinauszuzögern, dass sie ein so genanntes Supermodel war. Normale Models galten schon mit fünfundzwanzig als zu alt. Supermodels hielten, wenn sie clever waren, bis zu zehn Jahre länger in der Branche durch.

Ivan schien den Wink mit dem Zaunpfahl nicht zu verstehen. Er nahm den nächsten großen Schluck von seiner Margarita und sah Tonya über den mit einer Salzkruste verzierten Rand seines Glases hinweg an.

»Sie ist gerade in Paris und macht Aufnahmen für Marie Claire«, erklärte er nach einem Augenblick.

Tonya – Gott segne sie – sah entsprechend beeindruckt aus. Izzie wünschte sich, sie könnte ihr erklären, dass sich Sandrines Brillanz nicht durch Osmose auf sie übertragen ließ. Dadurch, dass man mit dem fotografierenden Ehemann von einem Supermodel schlief, wurde man nicht automatisch selbst dazu. Das Einzige, was man dadurch erreichte, war, dass man naiv und dümmlich wirkte, sich benutzt fühlte und außerdem noch einen schlechten Ruf bekam.

Izzie probierte eine andere, wie sie fand, subtile Taktik aus. Schließlich arbeitete sie für die Agentur der jungen Frau und erwies ihr bestimmt keinen Gefallen, wenn sie den Fotografen so verärgerte, dass der absichtlich schlechte Aufnahmen von Tonya machte, und dadurch ihre Karriere und auch einen Teil des Katalogs vermasselte.

»Ivan ist mit Sandrine verheiratet«, erklärte sie dem Mädchen, als hätte es das nicht schon längst gewusst. »Sie ist wunderschön und unglaublich erfolgreich, aber sie ist ständig unterwegs. Es ist sicher schwer, so oft von seiner Frau getrennt zu sein«, fügte sie nachdenklich hinzu. »Sandrine muss Ihnen schrecklich fehlen. Ich wette, Sie sehnen sich nach dem Moment, in dem Sie endlich wenigstens mit ihr telefonieren können. Wie weit ist Paris uns zeitlich voraus? Zehn, elf Stunden?«

Izzie war nicht gerade die geborene Lügnerin. Selbst wenn sie es gewesen wäre, hätte die katholische Schule, an der sie als Kind gewesen war, ihr das Talent wahrscheinlich ausgetrieben, doch für die Arbeit hatte sie die Kunst der subtilen Manipulation richtiggehend perfektioniert. Ein paar beiläufige Worte hier, eine kleine Anspielung dort, das reichte meistens völlig aus.

Sie konnte direkt sehen, wie das weiche Feuer des Tequila und der Vorschlag, seine Gattin anzurufen, miteinander um die Wette in Richtung seiner Hirnwindungen strömten und wartete gespannt.

Ein Augenblick verging, bevor Ivan endlich sein Handy aus der Jackentasche zog.

Izzie gestattete sich ein kleines, geheimes Lächeln.

Ein Übermaß an Kokain und allgemeiner Dummheit hatten Ivans logistischen Fähigkeiten beinahe vollkommen zerstört, aber eine gewisse Bauernschläue hatte er sich offenbar bewahrt. Ihm war bewusst, dass Izzie ohne jeden Zweifel die Leute in der Agentur von seiner Angetrauten kannte, und dass sie es auf diesem Weg erführe, wenn er sich hier schlecht benahm.

Seine Frau Sandrine war die Art Model, wie sie Tonya vielleicht eines Tages einmal sein würde, wenn man ihr genügend Freundlichkeit entgegenbrachte, sie einen guten Therapeuten fand und jemand auch weiterhin die raubtierhaften Männer daran hinderte, sie in ihr Bett zu ziehen.

Weshalb Sandrine Ivan überhaupt zum Mann genommen hatte, würde Izzie nie verstehen. Schließlich wussten Models ganz genau, dass sich die Fotografen auf sie stürzten wie die Fliegen auf ein Glas Gelee. Und dass das berühmte ASZEN (Am Set zählt es nicht) in ihrer Branche so verbreitet war, dass es Teil des Treueschwures hätte werden sollen, wenn ein Model vor den Traualtar trat.

»Ich verspreche, dich zu lieben und zu ehren und mich blind zu stellen, wenn er/sie ein Verhältnis während eines Shootings in Marokko hat.« Nur, dass es bei Supermodels etwas anders lief: Eine Frau, die jeden Mann auf Erden haben konnte, nahm es sicher nicht so einfach hin, wenn ihr Angetrauter sie betrog.

Als Tonya kurz auf die Toilette ging, stand auch Izzie eilig auf und wechselte auf ihren Platz, um ganz sicherzugehen, dass Ivan ihrem Schützling nicht mehr auf die Pelle rücken konnte, wenn er wiederkam.

Schließlich kamen auch die anderen, das Essen wurde an den Tisch gebracht und die Gefahr, dass Ivan Tonya so lange für sich alleine hatte, um sie auf sein Zimmer einladen zu können, war für den Augenblick gebannt.

Die Gruppe nahm ein bescheidenes Abendessen ein, und dann wanderte Ivan mit seinem Assistenten relativ früh davon. Wahrscheinlich, um noch etwas Koks zu schnupfen, dachte Izzie. Schließlich brauchte er am nächsten Morgen auch nicht frisch auszusehen.

Nachdem er gegangen war, ließ sie Tonya und die anderen Models in der Obhut der Make-up- und Haarleute zurück und ging ins Bett.

Ihr Zimmer war geräumig, in den warmen Ockertönen, die in New Mexico anscheinend üblich waren, dekoriert, und ging auf einen hübschen Pool hinaus, der von hell flackernden Kerzen in Keramikhaltern einladend beleuchtet war. Sie öffnete die Flügeltür, trat auf die kleine Terrasse, die zu ihrem Raum gehörte, und atmete die milde Nachtluft ein.

Neben zwei Liegestühlen aus Holz gab es auf der Terrasse einen kleinen, mit einem blau-gelben Fliesenmosaik verzierten Tisch und eine Kerze mit Zitronenduft, um die riesigen Insekten zu verscheuchen, deren surrender Flügelschlag an ihre Ohren drang. Die Luft duftete betörend nach Vanille und verlockend nach gebratenem Knoblauch, und alles war so wunderbar romantisch, dass es geradezu nach einem besonderen Menschen rief, mit dem sich dieses Erlebnis teilen ließ. Selbst die Wanne in dem an ihr Zimmer angrenzenden Bad war groß genug für zwei. Weshalb ihre Benutzung durch sie ganz allein eher traurig war.

Izzie stieß einen leisen Seufzer aus, ging wieder in ihr Zimmer, legte ihren Gürtel ab, stieg aus ihrem schlichten Blusenkleid, sank auf das breite Bett und versuchte nicht daran zu denken, wer schon alles vor ihr auf die schwere Seidendecke gesunken war – Hotels waren einfach unheimlich. So viele verschiedene Leute, die genau dieselben Räumlichkeiten nacheinander nutzten und zum Beispiel ihre Aura und auch ihren Schweiß dort hinterließen, wo sie jetzt gerade lag. Sie hatte einen von der Hitze schweren Kopf, war müde und sentimental.

Wieder warf sie einen Blick auf das Handy, das auf ihrem Nachttisch lag. Keine Nachrichten. Wie hatte Oscar Wilde gesagt: Dass es besser war, wenn zu viel über einen gesprochen wurde, als wenn niemand über einen sprach?

Genauso war es mit den Handys. Egal, wie oft die Leute stöhnten, war es deutlich netter, wenn man zu viele Anrufe erhielt, als wenn gar kein Anruf kam.

Sie strich mit einem unlackierten Fingernagel über das Plastikschild des Monitors, als könne sie ihn durch ihre Berührung dazu bringen, endlich aufzuleuchten, damit sie die Nummer ihres Liebsten sah. Doch es tat sich einfach nichts, und die fortgesetzte Schwärze auf dem kleinen Bildschirm erschien ihr wie der reinste Hohn.

Er hat nicht angerufen. Was macht er nur die ganze Zeit?

Was nützte es ihr, clever, weise, weltgewandt zu sein, wenn sie zugleich alles dadurch riskierte, dass sie auf die Avancen eines verheirateten Mannes eingegangen war?

Izzie schloss die Augen, und sofort stieg die inzwischen altbekannte Ängstlichkeit in ihr auf. Sie liebte Joe. Sie liebte ihn. Aber es war alles furchtbar kompliziert und deshalb sehnte sie sich schmerzlich nach der Zeit, in der es endlich leichter würde für sie zwei.

Natürlich war es einfach deshalb kompliziert, weil Joe der war, der er nun einmal war. Und zwar nicht nur ein Mitglied der Finanzelite von New York, ein Mann, der sich mit einem Freund mit einem geschlossenen Investmentfonds selbstständig gemacht hatte und damit langsam, aber sicher, Milliardär geworden war, sondern auch ein Familienmensch, und genau das machte es so kompliziert.

Er stammte aus der Bronx, hatte mit einundzwanzig geheiratet, kurz danach sein erstes Kind bekommen, und im Verlauf der Jahre in seinem Beruf alles Erdenkliche erreicht, wobei jedoch die Liebe zwischen ihm und seiner Frau auf der Strecke geblieben war. Wen er allerdings noch immer über alle Maßen liebte, waren die drei Söhne, die er mit ihr hatte, und auch wenn sie längst getrennter Wege gingen, wahrten sie vor ihren beiden Jüngsten weiterhin den Schein.

Der Gedanke an das alles, an das fürchterliche Chaos, in das sie durch Joe geraten war, rief ein Gefühl der Übelkeit in Izzie wach. Die meisten Menschen ihres Alters schleppten irgendwelche Altlasten aus anderen Beziehungen mit sich herum, aber durch die Altlasten von Joe wurde ihrer beider Glück ungemein erschwert.

Kein Wunder, dass ihr übel war.

Obwohl seltsamerweise alles damit angefangen hatte, dass jemand krank geworden war. Und zwar Emily De Santos, Mitglied im Aufsichtsrat von ihrer Agentur.

Sie hatte ein Ticket für einen Zwanzigtausend-Dollar-Lunch im Plaza zugunsten einer Organisation, die sich um Kinder aus sozialen Randgebieten kümmerte, gekauft.

»Vielleicht hat sie ja der Gedanke krank gemacht, dass vielleicht ein solches Kind an ihrem Tisch erscheint«, hatte Carla zynisch festgestellt, als sie vernommen hatte, dass die gute Emily – die so schnell aus den Niederungen der Gesellschaft in den Kreis der oberen Zehntausend aufgestiegen war, dass sie seither immer eine Sauerstoffflasche bei sich trug – außerstande war, an diesem Essen teilzunehmen und deswegen einen Menschen brauchte, der sie möglichst würdevoll vertrat.

»Sei nicht so gemein«, hatte Izzie sie gebeten. Sie war an jenem Tag die Einzige ohne festen Termin gewesen, weswegen sie eilig hatte nach Hause fahren müssen, um Jeans und schokoladenbraunes Sweatshirt gegen etwas einzutauschen, das für den Ballsaal des Plaza angemessen war. »Sie sammeln Spenden. Ist das nicht das Einzige, was zählt? Außerdem haben sie schließlich keine Verpflichtung, etwas für andere zu tun. Sie könnten auch einfach gemütlich zu Hause sitzen bleiben und die zwanzig Riesen für irgendwas verblasen, von dem außer ihnen niemand etwas hat.«

»Dummchen«, hatte Carla festgestellt.

»Zynikerin.« Izzie hatte der Freundin die Zunge herausgestreckt.

Sie hatte sich die Haare am Morgen nur schnell geföhnt, deshalb hatte sie Marcello, einen ihrer Lieblingsfrisöre bei den Shootings, angerufen, und er hatte gesagt, dass er sie dazwischenschieben könnte, wenn sie schnell in den Salon gelaufen käme, in dem er angestellt war.

»Ich mache aus Ihnen eine zweite Audrey Hepburn«, hatte er verkündet, als Izzie, umgezogen und mit im Taxi aufgelegtem frischen Make-up bei ihm erschienen war.

»Damit sollten Sie sich besser beeilen«, hatte ihn Izzie angeschnauzt, sich auf einen Stuhl geworfen und ihr Haar im Spiegel mit finsterer Miene betrachtet.

»Sie haben Recht«, hatte ihr Marcello zugestimmt und eine Strähne ihrer Haare so vorsichtig mit seinem Stielkamm angehoben, als hätte er eine direkte Berührung mit den Händen nicht gewagt. Marcello stammte ursprünglich aus Brooklyn, war an der High School todunglücklich gewesen, als er nicht die Königin des Abschlussballes hatte werden dürfen, und machte diese Niederlage dadurch wett, dass er seither als Königin des Dramas durchs Leben ging. »Vergessen Sie Audrey. Ich sehe ... eine Frau, die sich auf der Suche nach etwas Essbarem über eine Mülltonne beugt und sich die Haare schon seit einem Monat nicht mehr gewaschen hat.«

»Sie sind derart witzig, Sie sollten als Komiker zum Fernsehen gehen. Ich muss in zwanzig Minuten ins Plaza und Sie kriegen es doch sicher hin, dafür zu sorgen, dass ich auch als Izzie Silver halbwegs nett aussehe, oder nicht? Warum muss ich unbedingt wie jemand anders aussehen?«