Die Jagd nach dem Serum - Irene Dorfner - E-Book

Die Jagd nach dem Serum E-Book

Irene Dorfner

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Beschreibung

Kriegsende 1945. Der Soldat Demmelhuber bringt ein tödliches Serum nach Peenemünde. Damit sollen Bomben bestückt und über Feindesland abgeworfen werden. Aber dazu kommt es nicht mehr. Peenemünde wird von den Alliierten bombardiert und das Serum wird dabei vernichtet. Demmelhuber kann einen kleinen Rest und die Anleitung des Serums retten. Peenemünde kann er vergessen, hier liegt alles in Schutt und Asche. Deshalb führt ihn sein Weg ins bayerische Mühldorf am Inn. Dort wird gerade an dem Rüstungsbunker für die Messerschmitt Me262 gebaut, mit der die Bomben abgeworfen werden sollen. Aber auch hier sind die Alliierten schon zu weit vorgerückt und niemand interessiert sich für das, was Demmelhuber bei sich hat. Die Engländer wissen von dem perfiden Plan der Deutschen und sind Demmelhuber auf der Spur. Noch bevor sie ihn stellen können, kann er das Serum und die Anleitung in einer Marterlfigur verstecken. Demmelhuber wird erschossen. Über 70 Jahre später taucht in Süddeutschland eine Diebesbande auf, die alle Marterlfiguren klaut, die sie in die Finger bekommt. Darunter auch die mit dem Serum und der Anleitung. Die Mühldorfer Kriminalpolizei ermittelt wegen der Diebstähle. Aber auch die Engländer und Russen sind daran interessiert. Die Jagd nach dem Serum beginnt….

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Seitenzahl: 347

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Irene Dorfner

Die Jagd nach dem Serum

Leo Schwartz ... und die Schatten der Vergangenheit

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

VORWORT

ANMERKUNG:

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

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23.

24.

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26.

27.

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29.

30.

31.

32.

Liebe Leser!

1.

2.

Von der Autorin sind bisher folgende Bücher erschienen:

Über die Autorin Irene Dorfner:

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2016 Irene Dorfner

2. Auflage 2017 © Irene Dorfner

3. überarbeiteteAuflage 2021 –

© Irene Dorfner, Postfach 1128, 84495 Altötting

www.irene-dorfner.com

All rights reserved

Cover-Design: Vanja Zaric, D-84503 Altötting

Lektorat: FTD-Script Altötting

Earl und Marlies Heidmann, Spalt

VORWORT

„Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“

Mahatma Gandhi (1869-1948),

indischer Revolutionär

Ich wünsche ganz viel Spaß beim Lesen des 19. Falles mit Leo Schwartz & Co.!!

Liebe Grüße aus Altötting

Irene Dorfner

ANMERKUNG:

Die Personen und Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Der Inhalt des Buches ist reine Fantasie der Autorin. Auch hier sind Ähnlichkeiten rein zufällig. Die Örtlichkeiten wurden den Handlungen angepasst.

…und jetzt geht es auch schon los:

1.

Ende April 1945

„Peenemünde wird in Kürze angegriffen,“ las der junge Gefreite von der eben erhaltenen Nachricht ab.

Die Männer reagierten gelassen. In den letzten Wochen wurden vermehrt Angriffe gemeldet, die dann aber meist ausblieben.

„Danke,“ sagte einer der Männer und der Gefreite verschwand. Alle hatten die Angst in seinen Augen gesehen. Wie alt er wohl war? Ganz sicher noch keine zwanzig.

„Sollten wir das nicht ernst nehmen?“ Der Obergefreite Sebastian Demmelhuber war irritiert über die lässige Nonchalance, mit der mit dieser für ihn brisanten Nachricht umgegangen wurde.

„Sie sind erst wenige Stunden hier, Demmelhuber. Was glauben Sie, wie viele Fehlalarme wir schon hatten? Die Alliierten machen sich einen Spaß daraus, uns zu erschrecken. Bleiben Sie locker, Demmelhuber. Selbst wenn die Nachricht stimmen sollte, brechen wir nicht in Panik aus. Was glauben Sie, wie oft wir schon bombardiert wurden? Unzählige Male. Seit dem ersten Angriff der Engländer am 17. und 18. August 1943 haben wir die Produktionsstätte unterirdisch verlegt. Sicher sind wir als Heeresversuchsanstalt immer noch Ziel der Angriffe und uns könnte großer Schaden entstehen. Aber die wichtigen Entwicklungen und Produktionen finden alle unterirdisch statt und dort können die Bomben der Alliierten nichts anrichten. Sollten wir tatsächlich angegriffen werden, sind wir schnell in den Luftschutzbunkern, die es hier zu Hauf gibt. In Ihrer Unterkunft liegt ein Lageplan bereit, damit Sie für den Ernstfall gewappnet sind.“ Leutnant Mooser sprach sehr ruhig und bestimmt, obwohl ihm die Ängste der Neulinge auf die Nerven gingen. Aber auch er hatte schließlich irgendwann angefangen und konnte die Gefühle Demmelhubers nachvollziehen.

„Sollten wir nicht wenigstens Dornberger oder von Braun benachrichtigen?“ Demmelhuber gab nicht auf. Hier stand sehr viel auf dem Spiel. Er war vom Oberkommando des Heeres extra nach Peenemünde gesandt worden, um die Arbeiten an der neuen Bombe voranzutreiben. Außerdem hatte er das Serum dabei, das für die Produktion von enormer Wichtigkeit war und welches unter Hochdruck hergestellt wurde. Die Arbeiten an der Produktionsstätte „Weingut I“ bei Mühldorf am Inn kamen gut voran. Es war nur eine Frage der Zeit, wann dort endlich mit der Produktion der Messerschmitt Me262 begonnen werden konnte. Mit diesem Flugzeug und der neuen Bombe könnte man den Krieg noch gewinnen. Die Alliierten hätten mit dieser neuen Erfindung keine Chance mehr. Demmelhuber war überzeugt davon und hatte sein Leben riskiert, um die Pläne und das Serum nach Peenemünde zu den Verantwortlichen zu bringen. Nichts durfte dieses Vorhaben behindern.

„Nein, wir werden von Braun und Dornberger nicht damit belästigen,“ sagte Mooser bestimmt und widmete sich wieder den auf dem Tisch ausgebreiteten Plänen.

„Wie stellen die da oben sich das vor? Es herrscht Materialknappheit und wir haben mit unseren laufenden Produktionen schon große Schwierigkeiten. Woher sollen wir das Material für diese zusätzliche Aufgabe nehmen?“ Mooser war genervt von den ständigen Forderungen, die sich in den letzten Monaten mehrten. Er war kein Zauberer und konnte unmöglich die Mengen an Material für diese neue Bombe beschaffen. Überall herrschte Chaos und man konnte spüren, dass es zu Ende ging. Einen Sieg des Deutschen Reiches hielt er bis gestern nicht mehr für möglich. Aber mit dieser neuen Bombe gab es noch den Hauch einer Chance, so barbarisch sie sich auch anhörte. Sie mussten handeln, und zwar so schnell wie möglich. Irgendwie musste er es schaffen, das Material dafür zu organisieren. Er musste Wernher von Braun von dem Befehl unterrichten. Wie würde er darauf reagieren? Ganz sicher war er gegen eine Produktionsumstellung, aber der Befehl war eindeutig. Sollte er ihm die Wahrheit sagen? Nein. Von Braun war für diese Bombe sicher nicht zu haben, das wusste Mooser, schließlich kannten die beiden sich schon seit vielen Jahren. Das Deutsche Reich brauchte diese Bombe, und zwar so schnell wie möglich. Sollte man den Gerüchten glauben, dann war der Feind weiter vorgerückt, als allgemein bekannt war. Wieder und wieder studierte Mooser die Pläne. „Zeigen Sie mir den Stoff,“ forderte er Demmelhuber auf.

Der zögerte, denn den Behälter mit der farblosen Flüssigkeit behandelte er wie ein rohes Ei. Aber Mooser bestand darauf und es blieb ihm nichts Anderes übrig, als ihn ihm zu geben. Vorsichtig zog er den Lederbehälter aus der Tasche, woraufhin alle sofort einen Schritt zurücktraten. Langsam wickelte Demmelhuber den Glasbehälter aus mehreren Stofftüchern und gab ihn Mooser.

„Das ist alles? Das bisschen soll ausreichen?“

„Natürlich nicht. In meinem Wagen befinden sich noch weitere Ampullen mit weit größerem Inhalt. Dieses Teil hier,“ und dabei zeigte er auf den Plan, “ist kein Bauteil. Dieses wird durch einen eigens dafür vorgesehenen Glasbehälter ersetzt, dessen Plan Ihnen vorliegt.“

Mooser studierte erneut den Plan. Tatsächlich! Hier inmitten der Sprengladung soll ein kleiner Glasbehälter mit wenigen Tropfen platziert werden. Allein die Menge, die er in Händen hielt, reichte für viele Bomben aus.

Demmelhuber begann zu schwitzen, denn wenn Mooser den Glasbehälter fallen ließ, wären sie alle infiziert und damit dem Tode geweiht. Bei jeder unbedachten Handbewegung Moosers stöhnte nicht nur Demmelhuber, sondern auch alle anderen auf.

„Man sollte die Kiste aus meinem Wagen so schnell wie möglich in Sicherheit bringen.“

„Ich kümmere mich darum,“ sagte Mooser und hielt den Glasbehälter ins Licht.

„Man sollte sich damit beeilen. Wie wir eben vernommen haben, droht ein Angriff der Alliierten. Ich bitte Sie inständig,…“ flehte Demmelhuber.

„Ich sagte doch, dass ich mich darum kümmern werde!“, sagte Mooser unfreundlich. Er war Widerworte nicht gewohnt und mochte es nicht, wenn man ihm sagte, was er zu tun hatte. Vor allem nicht von einem Untergebenen.

Demmelhuber hielt sich zurück. Er war die ganze Nacht gefahren und hatte sich durch nichts aufhalten lassen. Dieses Serum war unter strengster Geheimhaltung im KZ Sachsenhausen produziert worden und konnte dort nur an einzelnen Probanden getestet werden. Die waren sofort tot gewesen. Für weitere Tests war keine Zeit mehr. Alle Hoffnungen lagen auf dieser Bombe, die schnellstmöglich gebaut werden musste.

Mooser betrachtete den Glasbehälter lange von allen Seiten. Am liebsten hätte er es vor einer kompletten Produktionsumstellung ausgiebig getestet, aber dafür hatte er keine Genehmigung. Der Befehl war unmissverständlich.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Wernher von Braun trat ein. Ehrfürchtig verbeugte sich Demmelhuber, er war ein großer Bewunderer des Mannes. Für ihn war er ein Genie, ein Idol. Bis jetzt kannte er ihn nur von Fotografien und aus Bildern der Wochenschau, aber jetzt stand er leibhaftig vor ihm. Vergessen waren die Ängste vor einem Angriff der Alliierten. Allerdings hatte er auch den Glasbehälter vergessen, von dem von Braun nichts wissen durfte. Mooser reagierte umgehend und steckte ihn in seine Jackentasche. Wohlwissend, dass das bei einem Leck seinen sofortigen Tod und den Tod vieler in Peenemünde bedeutete.

Wernher von Braun sprach nicht viel. Mooser übergab ihm mit einer tiefen Verbeugung den Befehl, den von Braun wütend las. Dann sah er sich die Pläne an. Würde er das Bauteil entdecken, das eigentlich keinen Sinn machte? Der Plan war relativ klein gehalten, wodurch dieses Bauteil in der Menge unterging. An von Brauns Wangenknochen konnte man sehen, dass er mit dieser Bombe nicht einverstanden war.

„Wir könnten in wenigen Tagen mit der Produktion der Bomben anfangen,“ sagte Mooser. „Ihnen ist klar, dass wir dafür das Arbeitslager Dora brauchen?“

„Das kommt überhaupt nicht in Frage,“ rief von Braun verärgert. „In Dora werden nur A4 gebaut, sonst nichts. Das habe ich mit Speer abgesprochen und er hat mir eine ungestörte Produktion zugesichert. Suchen Sie sich für die Produktion der N1-Bombe eine andere Produktionsstätte.“

Jetzt kam Demmelhuber ins Spiel, der sofort eine Akte aus seiner Tasche zog.

„Das soll ich Ihnen geben,“ sagte er zu Wernher von Braun.

Widerwillig las von Braun die Anweisung des Oberkommandos des Heeres, die persönlich an ihn gerichtet war. Wütend warf er die Akte auf den Tisch.

„Jeden Tag gibt es neue Anweisungen, die sich nicht selten widersprechen. Wissen die da oben überhaupt noch, was sie wollen? Dora muss sich auf die Produktion der A4 konzentrieren. Wenn wir diese unterbrechen, wirft uns das Monate zurück. Das können wir uns nicht leisten. Die Alliierten stehen vor der Tür. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es mit dem Deutschen Reich zu Ende geht. Nur noch mit der A4 können wir den Gegner empfindlich treffen. Wenn wir mehr Zeit hätten, können wir es schaffen, diese zu perfektionieren und damit den Gegner zu schlagen.“

Alle waren von dem Erfindungsgeist, der Begeisterung und den Entwicklungen von Brauns begeistert und überzeugt. Allerdings waren die Ergebnisse der Angriffe der A4 nicht so, wie ursprünglich erwartet und versprochen.

„Die A4 ist zu ungenau,“ sagte Mooser.

„Das weiß ich auch. Wir arbeiten daran und brauchen mehr Zeit.“

Mit der Aggregat 4, kurz A4, konnte man eine Tonne Sprengstoff ans Ziel bringen. Sie hatte eine enorme Reichweite und eine sehr hohe Geschwindigkeit. Allerdings war die Zielgenauigkeit sehr gering und richtete hauptsächlich in der Zivilbevölkerung großen Schaden an. Aber daran arbeiteten von Braun und seine fähigsten Mitarbeiter. Er brauchte mehr Zeit und mehr Geld. Beides hatte er nicht.

„Die Produktion der N1-Bombe geht vor. Sie haben den Befehl selbst gelesen,“ sagte Mooser, der von dieser neuen Erfindung überzeugt war. Außerdem saß ihm sein Vorgesetzter im Nacken, der keine Widerrede zuließ.

„Es ist überall bekannt, dass die N1-Entwicklung noch nicht ausgereift ist. Das hier ist nur ein Vorentwurf. Wir konnten noch keinen einzigen Test vornehmen. Wir wissen noch nicht einmal, ob und wie die Bombe funktioniert.“

„Trotzdem wird die N1 gebaut. Und zwar in Dora.“

„Und mit was soll die N1 abgeworfen werden? Dafür braucht man ein wendiges Flugzeug, und zwar in großer Stückzahl. Meines Wissens nach sieht es mit der Luftwaffe sehr dürftig aus. Der Mangel an Flugzeugen und an Treibstoff ist doch bekannt.“

„Die Produktion der Me262 läuft auf Hochtouren. An einer neuen Produktionsstätte wird gebaut. In drei bis vier Monaten sind genügend Flugzeuge einsatzfähig,“ sagte Demmelhuber, der von dieser Aussage überzeugt war. Warum auch nicht? Nur mit dieser Maschine funktioniert die Bombe einwandfrei.

„Sind Sie sicher? Sie sprechen von dem neuen Werk im bayerischen Mühldorf? Soweit ich informiert bin, steht das Werk noch nicht einmal. Es wird Monate dauern, bis man dort mit dem Bau der Me262 beginnen kann. Sauckel hat vor Monaten versprochen, täglich bis zu eintausend Maschinen in seiner unterirdischen Anlage zu bauen. Und wie viele hat er bisher geliefert? Nur einen Bruchteil davon. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die Me262 ein reines Jagdflugzeug und kein Bomber ist. Das habe ich auch zu Speer gesagt, der mir sofort zustimmte. Aber der redet dem Führer nach dem Mund und traut sich nicht, ihm zu widersprechen.“

„Die Baumaßnahmen im Mühldorfer Hart sind bereits weit fortgeschritten. Der Bunker für den Bau der Me262 wird rechtzeitig fertig werden,“ wiederholte Demmelhuber. Er hatte die Pläne im riesigen Waldstück bei Mühldorf selbst gesehen und glaubte an den Erfolg.

„Nein, das wird er nicht! Und wir alle wissen das. Selbst wenn genügend Flugzeuge vorhanden wären, besteht immer noch das Treibstoffproblem. Womit sollen die Flugzeuge betankt werden? Außerdem ist doch hinlänglich bekannt, dass Ersatzteile und vor allem ausgebildete Piloten fehlen. Wer soll diese Maschinen fliegen? Bis genügend Me262 und die dazugehörigen Piloten zur Verfügung stehen, sollten wir uns auf die Produktion der A4 konzentrieren. Alles andere wäre Wahnsinn.“

Mooser schüttelte den Kopf.

„Die Entscheidung steht fest, darüber zu diskutieren ist zwecklos. Die Produktion der A4 wird unterbrochen. Stattdessen wird die N1 produziert. Die Umstellung muss so schnell wie möglich vonstattengehen.“

Wütend ging von Braun ans Telefon. Es folgte eine lautstarke Auseinandersetzung, die er offensichtlich verlor. Er legte wütend auf und wählte eine weitere Nummer.

„Ab nächste Woche Montag wird die N1 in Dora gebaut,“ wies von Braun an. „Ja, ich weiß, dass das Schwachsinn ist, aber die Anweisung kommt von oben. Ich fahre nach Berlin und spreche mit Speer, vielleicht kann ich ihn doch noch umstimmen. Sobald ich einen anderslautenden Befehl bekomme, melde ich mich umgehend. Bis dahin gilt der aktuelle Befehl, die N1 zu bauen. Kümmern Sie sich darum.“

Von Braun stürmte wütend aus dem Zimmer. Alle sahen vom Fenster aus zu, wie er davonfuhr. Von Braun wollte nach Berlin und die Oberste Heeresleitung umstimmen. Ob ihm das gelang? Mooser selbst hatte dem Befehl zunächst widersprochen und biss auf Granit. Alle Hoffnung lag auf der konzentrierten Produktion der Me262 und dieser Bombe, um deren Produktion er sich nun kümmern musste.

Mooser übergab Demmelhuber das Serum. Alle Umstehenden waren erleichtert, als sie zusahen, wie der Glasbehälter behutsam eingewickelt wurde und im Lederetui verschwand.

„Vergessen Sie bitte nicht das Serum im Fahrzeug,“ wiederholte Demmelhuber.

„Sie gehen mir mächtig auf die Nerven! Ich sagte bereits mehrfach, dass ich mich darum kümmere,“ schrie Mooser wütend.

Sebastian Demmelhuber wurde ein kleines Zimmer in der Mannschaftsunterkunft zugeteilt. Die Einrichtung war spartanisch, aber ausreichend. Sein Aufenthalt in Peenemünde war aufregend. Alles war aufregend, seit er von der russischen Front zurückbeordert wurde. Das war sein großes Glück gewesen, denn die Lage dort war katastrophal. Er hatte viele seiner Kameraden sterben sehen und noch niemals vorher hatte er so großen Hunger verspürt. Die Brutalität einiger Kameraden hatte ihn anfangs erschreckt und er hatte mehrere Meldungen gemacht, die alle ins Leere liefen. Je größer seine eigene Verzweiflung und Not war, desto mehr sank auch seine eigene Hemmschwelle, wofür er sich heute schämte. Ob das an dem Pervitin lag, das an alle Kameraden ausgegeben wurde? Möglich. Durch dieses Medikament war das Leben als Soldat leichter. Pervitin wurde Panzerschokolade, Stuka-Tabletten, Hermann-Göring-Pillen oder Fliegermarzipan genannt. Das Mittel diente zur Dämpfung des Angstgefühls, sowie zur Steigerung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit und war bei allen Soldaten, Piloten und Fahrzeugführern beliebt. Es ging das Gerücht um, dass man davon abhängig oder gar krank werden konnte, aber das interessierte kaum jemanden. Mit Pervitin war das Leben als Soldat leichter und nur das zählte.

Aber das lag hinter Sebastian Demmelhuber. Er war jetzt hier in Peenemünde und konnte sein Glück immer noch nicht fassen. Bei einem Einsatz an der russischen Front hatte er großen Mut bewiesen und acht Kameraden in Sicherheit gebracht, wofür er die Tapferkeitsmedaille verliehen bekam, die er mit Stolz trug. Das hatte großen Eindruck auf seinen Vorgesetzten von Michel gemacht, der ihn lobend erwähnte. Das war seine Fahrkarte für diesen Einsatz gewesen. Wäre er damals nicht so mutig gewesen, wäre er vermutlich längst tot. Nachts verfolgten ihn schreckliche Bilder, weshalb er nicht mehr gerne schlief. Er hoffte inständig, dass er irgendwann mit den Bildern leben konnte. Jetzt war nicht der Moment, sich Gedanken darüber zu machen. Seine Aufgabe in Peenemünde war sehr wichtig. Er hatte die endgültigen Pläne überbracht und hatte das Wundermittel dabei, womit die neue Bombe bestückt werden sollte. Nur Mooser und drei seiner engsten Mitarbeiter wussten davon, und dabei sollte es auch bleiben. Die neue N1-Bombe unterlag strengster Geheimhaltung. Das war die große Hoffnung, auf die die deutsche Führung baute. Der Bau des Bunkergeländes mit dem Decknamen „Weingut I“ bei Mühldorf lief auf Hochtouren und war für Demmelhuber persönlich jetzt schon ein Erfolg. Nicht mehr lange, und er konnte wieder bei seiner Familie leben, denn er selbst wurde in Mühldorf geboren und wuchs dort auf. Vor zwei Jahren hatte er geheiratet, seine Tochter wurde letztes Jahr geboren. Er kannte die kleine Erika nur von Bildern, die ihm seine Frau an die Front geschickt hatte. In zwei Wochen konnte er sie endlich sehen, sie fühlen, riechen und endlich ein Vater für sie sein. Wie würde er seiner Frau begegnen, die er kaum kannte? War die Zuneigung noch so groß, dass sie es schaffen würden, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen. Ganz sicher. Warum nicht?

Durch das plötzliche Aufheulen der Sirenen erschrak er. Ein Luftangriff! Wo war der nächste Luftschutzbunker? Hektisch suchte er in seinem Zimmer nach dem Plan, den Mooser erwähnt hatte. Aber er fand keinen. Er musste raus hier, und zwar so schnell wie möglich. Er nahm seine Tasche mitsamt dem Serum und der dazugehörigen Anleitung; er orientierte sich an den anderen, die in eine Richtung liefen. Die ersten Bomben fielen. Eine Druckwelle riss ihn zu Boden. Er rappelte sich auf und fiel gleich darauf wieder hin. Um ihn herum herrschte Chaos. Der beißende Qualm nahm ihm die Luft. Der Wagen! Hatte Mooser Wort gehalten? War die Kiste mit den Ampullen in Sicherheit gebracht worden? Er vergaß seinen persönlichen Schutz und suchte nach seinem Wagen. Hier hatte er den Wagen abgestellt, ganz sicher. Aber wo war er? Hektisch suchte er das ganze Areal ab, wobei er die Bomben der Tiefflieger nicht mehr wahrnahm. Auf dem Boden lag ein Stück Holz, das eindeutig von seiner Kiste stammte. Verdammt! Mooser hatte sein Wort nicht gehalten. Dann entdeckte er das Wrack seines Wagens, von dem nicht mehr viel übrig war. Sofort hielt er sich ein Tuch vors Gesicht, er durfte die Luft nicht einatmen, das würde seinen Tod bedeuten.

Seine Gedanken galten nur dem Schutz des Serums, das sich zusammen mit einer Liste der Inhaltsstoffe in seiner Tasche befand. Als der Jude Schönfeld im KZ Sachsenhausen das Serum endlich fertiggestellt hatte, jagte er das Labor in die Luft, wobei auch Schönfeld ums Leben kam. Nur dieses Muster, die Liste der Inhaltsstoffe und die Ampullen konnten gerettet werden. Und jetzt gab es nur noch die klägliche Menge in seiner Tasche. Wie viele Bomben konnten mit dem Rest bestückt werden? Es war klar, dass das viel zu wenig sein würde. Gab es die Möglichkeit, anhand der Liste der Inhaltsstoffe die genaue Zusammensetzung herzuleiten? Ganz sicher konnte man das. Demmelhuber umklammerte die Tasche. Um ihn herum brannte es und der Qualm nahm ihm die Sicht. Wo waren die anderen? Er war auf sich allein gestellt und beschloss, einfach loszulaufen. Wohin er lief, wusste er nicht. Er wollte nur weg. Er nahm wahr, dass die Flugzeuge in Scharen über Peenemünde flogen, der Lärm war ohrenbetäubend. Die Detonationen wurden nicht weniger. Demmelhuber rannte um sein Leben, wobei er mehrmals nur knapp dem Tode entkam. Leichen und Leichenteile säumten seinen Weg, Verwundete riefen um Hilfe. Er konnte nicht helfen, er musste sich und den brisanten Inhalt in seiner Tasche aus der Gefahrenzone bringen. Die Augen der Verwundeten sahen ihn flehend an, aber er musste sie ignorieren. Auch diese Bilder würden ihn in den Nächten nicht mehr in Ruhe lassen. Er rannte unvermittelt weiter, seine Aufgabe war zu wichtig. Nach zwei Stunden hatte er es geschafft, er war aus der Gefahrenzone. War er das wirklich? Wie viel hatte er von dem Serum abbekommen? Welche Auswirkungen hatte es? Das war Demmelhuber im Moment gleichgültig. Jetzt galt es, den Inhalt seiner Tasche so schnell wie möglich nach Mühldorf zu bringen. Dort würde man sicher wissen, was zu tun war.

Sebastian Demmelhuber war längst im Fokus der Alliierten. Vor allem die Engländer machten Jagd auf ihn. Als klar war, dass er sich in Peenemünde aufhielt, mussten sie ihn unbedingt stoppen. Auch deshalb wurden die Luftangriffe verstärkt. Als die Angriffswelle vorbei war, brauchten britische Agenten zwei Tage um festzustellen, dass Demmelhuber nicht unter den Opfern war. Er war ihnen entwischt.

Drei Tage später war Demmelhuber endlich in Mühldorf angekommen. Die Reise von Peenemünde bis hierher war ein Abenteuer gewesen. Nur mit viel Mühe konnte er einen Wagen beschaffen, wobei der Sprit sehr viel schwieriger zur organisieren war. Viele Brücken und Straßen waren unpassierbar gewesen, wodurch er große Umwege in Kauf nehmen musste. Trotzdem hatte er es geschafft. Die Fahrt durch Mühldorf erfüllte ihn mit einem wohligen Gefühl. Hier vorn war er zur Schule gegangen, dort wohnten seine Großeltern. Es hatte sich in den zwei Jahren, seit er fort war, nicht viel verändert. Dort hinten, nur vier Straßen weiter, lebten seine Frau und seine kleine Tochter. Wie gerne wäre er zuerst nach Hause gefahren, aber das durfte er nicht. Er musste das Serum und die Papiere dem Kommandanten im Mühldorfer Hart übergeben, der dann die weiteren Schritte veranlassen würde.

Sein Husten wurde stärker, er hatte Probleme beim Atmen. Er bremste an der Hauptstraße und ließ eine Kolonne Wehrmachtsfahrzeuge passieren. Er betrachtete sein Gesicht im schmutzigen Rückspiegel. Was war das für ein entsetzlicher Ausschlag?

Als er im Mühldorfer Hart eintraf, blickte er sich erschrocken um. Das war alles, was bisher gebaut wurde? Die Anlage befand sich noch mitten im Bau und nichts deutete darauf hin, dass hier in Kürze Flugzeuge gebaut werden konnten. Nur sieben der zwölf geplanten Außengewölbe waren bisher fertig. Noch bevor Demmelhuber mit einem Verantwortlichen sprechen konnte, fuhren mehrere Lkw vor. Es folgte eine hektische Betriebsamkeit, die er nicht verstand.

„Was ist hier los?“, fragte er einen Gefreiten.

„Die Amerikaner sind nicht mehr weit weg. Hier wird alles evakuiert.“

„Und was ist mit der Produktionsstätte? Was ist mit der Me262?“

„Hast du es immer noch nicht verstanden? Der Krieg ist vorbei! Sieh zu, dass du dich in Sicherheit bringst!“

Demmelhuber konnte es nicht fassen. War wirklich alles zu spät? Gab es für das Deutsche Reich keine Hoffnung mehr? Was würde werden? Ging jetzt alles in Feindeshand über? Nein! Das konnte und durfte nicht sein! Die vielen Opfer konnten nicht umsonst gewesen sein. Er suchte nach einem Verantwortlichen, um diesen Wahnsinn hier zu beenden. Die Me262 musste gebaut werden, er hatte doch das Serum und die Liste mit den Inhaltsstoffen! Für einen Mann mit chemischen Fachkenntnissen dürfte die Herstellung des Serums eine Kleinigkeit sein.

Niemand wollte mit ihm sprechen, alle wimmelten ihn ab. Er fand ein Telefon und brauchte mehrere Anläufe, bis er endlich eine Verbindung nach Berlin bekam. Wiederholt verlangte Demmelhuber, einen Verantwortlichen zu sprechen.

„Verstehen Sie nicht?“, schrie der Mann ihn an. „Hier ist niemand mehr, alle sind abgehauen oder haben sich ergeben.“

„Ergeben?“

„Die Russen sind in Berlin, die Amerikaner und Engländer haben bereits große Teile des Deutschen Reiches besetzt. Der Krieg ist vorbei.“

Jetzt hatte Demmelhuber endlich verstanden. Resigniert legte er auf und beobachtete das Chaos um sich herum. Sollte er nicht einfach auf einen der Lkw aufspringen? Nein! Auch für ihn war der Krieg vorbei. Er setzte sich in den Wagen, startete, aber er kam nur wenige Meter weit. Der Tank war leer. Hier in diesem Chaos Sprit zu finden, war zwecklos. Er beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen. Nur eine Stunde trennte ihn von seinen Lieben.

Ihm ging es immer schlechter. Er begann, stark zu schwitzen. Der Ausschlag hatte sich über den Körper ausgebreitet. Sein Körper juckte fürchterlich und die dicken Pusteln begannen zu nässen. Seit er losgelaufen war, musste er sich mehrfach übergeben.

Demmelhuber kam nicht weit. In einem Waldstück des Mühldorfer Harts hielt unweit ein Jeep: Die Amerikaner waren bereits hier! Nein, das waren Engländer! Er musste nicht nur sich selbst, sondern vor allem das Serum und die Liste der Inhaltsstoffe in Sicherheit bringen. Trotz seiner zunehmenden Schwäche rannte er los, aber zwei Uniformierte liefen ihm hinterher; auch der Jeep folgte ihm. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich rasch. Nicht mehr lange, und sie hatten ihn. Das Serum und die Liste durften nicht in Feindeshand gelangen. In Berlin bekam er den Befehl, beides mit seinem Leben zu verteidigen. Und Befehl war Befehl. Wohin damit? Mit zitternden Händen öffnete er die Mappe und riss die wichtige Seite heraus. Dann nahm er den Glasbehälter aus dem Lederetui und wickelte ihn aus den Tüchern. Er steckte nur die eine Seite und das Serum ein, alles andere warf er in hohem Bogen weit von sich. Es war ihm klar, dass die Verfolger ihn beobachteten, darauf hatte er es abgesehen.

„Das muss er sein,“ rief Captain Monroe zu seinen Männern. Er hatte es sich persönlich zur Aufgabe gemacht, Demmelhuber und dieses wahnsinnige Vorhaben zu stoppen. „Hinterher, Männer!“ Er selbst fuhr den Jeep und ließ Demmelhuber nicht mehr aus den Augen. Er lenkte den Jeep waghalsig durchs Gelände und riskierte einen Unfall. Das war gleichgültig. Sollte Demmelhuber das Serum bei seiner Flucht verlieren, waren sie sowieso alle dem Tod geweiht, das wussten er und seine Kameraden, als sie sich freiwillig meldeten. Monroe beobachtete, wie Demmelhuber die Tasche weit von sich warf. Sie war offen und der Inhalt verteilte sich übers Gelände. „Dort hinten! Holt die Tasche und sammelt den Inhalt ein!“, befahl Monroe.

„Was ist mit dem Deutschen?“, rief der junge Corporal Johnson.

„Erst die Unterlagen! Den Mann kriegen wir später!“

Während die Engländer die Tasche und den Inhalt einsammelten, rannte Demmelhuber weiter. Wohin mit der Liste und dem Serum? Er konnte sie nicht einfach im Wald verstecken, das war zu gefährlich. Die Verfolger würden jeden Zentimeter absuchen und würden beides finden. Er musste sich dringend etwas einfallen lassen. Dann sah er ein Marterl mit einer Marienfigur. Wann wurde diese aufgestellt? Und vor allem warum? Er wusste, dass viele dieser Marterl an Stellen aufgestellt wurden, an denen Familienmitglieder verunglückten. Einige wurden auch aus Dankbarkeit oder als Fürbitten aufgestellt. Der Unterschied war wichtig, denn wenn dieses Marterl für einen Verunglückten errichtet wurde, könnte die Figur hohl sein. Das wusste er von dem Marterl, das sich auf dem Grundstück seiner Großeltern befand, das im Jahr 1832 nach einem tödlichen Unfall eines Kindes errichtet wurde. Die Figur an dem Marterl war hohl, wovon er durch Zufall Kenntnis bekam. Man gab damals persönliche Dinge oder Andenken in den Hohlkörper, was aber in den letzten Jahrzehnten nur noch selten gemacht wurde.

Wie alt war diese Figur da vorn? Das war jetzt nicht wichtig. Er riss die Figur vom Sockel und schüttelte sie. Er drehte und drückte an der Figur, sie war jetzt seine einzige Rettung. Die Engländer hatten seine Spur wieder aufgenommen und kamen näher. Dann spürte er, wie der Fußteil der Marienfigur nachgab. Hektisch drehte er solange, bis das Teil ab war. Die Figur war tatsächlich hohl! Er nahm die verschiedenen Andenken aus der Figur und steckte sie in seine Jackentasche. Dann stopfte er die Liste und das Serum in den Hohlkörper, beides fand gerade so Platz darin. Rasch stellte er die Marienfigur zurück an ihren Platz. Hatten die Engländer gesehen, was er gemacht hatte? Darum kümmerte er sich nicht, sondern rannte weiter.

Captain Monroe war wütend. Genau die Seite, die wichtig war, wurde herausgerissen. Auch das Serum hatten sie nicht gefunden. An dem Befehl und den Anweisungen zum Bau der Bombe war er nicht interessiert. Sein Interesse galt einzig und allein der Anleitung und dem Serum, von dem er nicht wusste, welche Auswirkungen es hatte. Aufgrund des Lederetuis und der Tücher vermutete er, dass Demmelhuber beides immer noch bei sich trug. Dieser hinterlistige Teufel hatte sie getäuscht. Der verdammte Deutsche war sehr gerissen und hatte sich einen zeitlichen Vorsprung verschafft, den sie so schnell wie möglich aufholen mussten. Noch vermutete er die Pläne und das Serum bei Demmelhuber. Er würde nicht so dumm sein, beides im Wald zu verstecken. Es würde ein Leichtes werden, beides zu finden.

Endlich hatten sie ihn aufgespürt und näherten sich ihm. Seine Kräfte schwanden.

Mehrmals versuchte Monroe, ihn zum Aufgeben zu bewegen und kramte alle deutschen Worte aus seinem Gedächtnis, die ihm einfielen. Aber Demmelhuber reagierte nicht.

Sebastian Demmelhuber konnte nicht mehr. Er blieb völlig entkräftet stehen und drehte sich zu den Verfolgern um. Wie konnte er die Engländer davon abhalten, ihn nicht einfach abzuknallen? Es war Krieg und niemand würde sich für seinen Tod interessieren. Er griff in die linke Jackentasche, wo er das Foto seiner kleinen Tochter immer aufbewahrte. Er wollte es hochhalten und damit die Engländer besänftigen.

Während Monroe das Foto als solches erkannte, verstand Johnson die Geste falsch. Er vermutete, dass der Deutsche nach seiner Waffe griff, zog seine Waffe und schoss auf Demmelhuber. Der brach tot zusammen.

Erst jetzt erkannten die Engländer Demmelhubers Zustand und waren schockiert. Der Mann sah furchterregend aus, das Gesicht war eine einzige Fratze. Alle hielten sich sofort Tücher vors Gesicht.

„Keiner fasst die Leiche an. Zurück!“, befahl er. „Sofort!“

Monroe geriet in Panik. Demmelhuber musste sich infiziert haben. Monroe musste schnell handeln, vielleicht war es für ihn und seine Kameraden noch nicht zu spät. Er holte den Benzinkanister vom Wagen und begoss die Leiche damit. Monroe suchte in seiner Jacke nach einem Feuerzeug. Das dauerte Johnson zu lange. Er warf seine eben angezündete Zigarette auf die Leiche, die sofort in Flammen aufging. Die Gerüchte um das Serum waren also wahr. Aber um was ging es genau? Hatten sie sich bei ihm angesteckt? Sofort nach ihrer Rückkehr mussten sie sich untersuchen lassen, aber das musste warten. Hatte Demmelhuber die Pläne und das Serum bei sich? Wenn ja, wäre jetzt beides vernichtet. Konnten sie sich darauf verlassen?

Mehrmals gingen sie den Weg ab, den Demmelhuber gegangen war. Hier war nichts.

„Verlieren wir keine Zeit, Männer. Ich rufe Verstärkung. Sollen die sich alles nochmals vornehmen und jeden einzelnen Stein umdrehen.“ Monroe war besorgt. Er hatte nicht nur Angst um seine Gesundheit, sondern war auch für die seiner Kameraden verantwortlich. Als die Verstärkung in Schutzanzügen eintraf, machten sich er und seine Männer auf den Weg zum Arzt, der sie lange untersuchte. Alle waren im Moment in blendender Verfassung, niemand hatte sich augenscheinlich angesteckt. Der Arzt bestand darauf, dass Monroe und seine Männer in Quarantäne blieben, bis wirklich ausgeschlossen werden konnte, dass sie erkrankt waren.

Mehrere Tage durchkämmten die Engländer mit Unterstützung der Amerikaner das ganze Gebiet um den Toten. Weder das Serum, noch die Pläne dafür konnten gefunden werden. Alle trösteten sich damit, dass alles in Flammen aufging. War das so? Keiner konnte sich wirklich sicher sein.

2.

Über 70 Jahre später…

Die Mühldorfer Kriminalbeamten diskutierten über die Anweisung von Rudolf Krohmer, dem Leiter der Polizeiinspektion Mühldorf am Inn. Da kein aktueller Fall vorlag, sollten alte Fälle überarbeitet werden.

„Sie kommen immer wieder mit demselben Mist daher,“ maulte Hans Hiebler. Der 55-Jährige hasste stupide Büroarbeit und hatte keine Lust darauf, staubige Akten zu wälzen, während sich draußen noch die letzten warmen Tage des ansonsten so traurigen Sommers ankündigten. Die Aussicht darauf, die wenigen sonnigen Tage im Büro zu verbringen, demotivierten ihn.

„Hans hat Recht,“ sagte Leo Schwartz. Auch der 51-jährige gebürtige Schwabe hatte keine Lust auf die Arbeit.

„Ich darf doch sehr bitten!“, sagte Krohmer ernst, wobei er einen verächtlichen Blick auf Leos T-Shirt warf. Über die Abbildungen von Rockbands hatte er sich längst gewöhnt, aber diese Freiheitskämpfer in den letzten Wochen, deren Konterfei von knallbunten Symbolen unterstrichen wurden, kränkten seine Augen.

„Ich habe gehört, dass die Kollegen einen interessanten Fall bearbeiten,“ sagte Werner Grössert, der nichts gegen Aktenarbeit einzuwenden hatte. Allerdings interessierte ihn das, was er vorhin auf dem Flur aufgeschnappt hatte, sehr viel mehr. „Es geht um Diebstahl und Schmuggel von Heiligenfiguren, die vermehrt in unserer Gegend auftreten. Wir sollten die Kollegen unterstützen,“ sagte der 40-Jährige voller Überzeugung. Wie immer trug Werner Grössert einen modischen Anzug mit Hemd, Weste und Krawatte und hob sich rein optisch sehr von Leo und Hans ab, die hauptsächlich in bequemer Freizeitkleidung zum Dienst erschienen. Warum auch nicht?

„Um was geht es dabei?“, wandte sich Leo an seinen Vorgesetzten.

„Es stimmt, was Herr Grössert sagte. Eine Diebesbande hat sich offenbar darauf konzentriert, Heiligenfiguren zu klauen, wobei das Material nicht wichtig zu sein scheint. Die Diebstähle betreffen nicht nur unsere Gegend, die Bande agiert im gesamten süddeutschen Raum. Ich habe mit meinen Kollegen gesprochen, die sich seit Monaten damit herumschlagen müssen.“

„Sind die Figuren so wertvoll, dass sich ein Diebstahl lohnt?“

„Nein, eben nicht. Das ist es, was den Fall so kompliziert macht. Es scheint auch völlig gleichgültig zu sein, wer dargestellt wurde. Ich hoffe, dass dieser Unsinn so schnell wie möglich aufhört. Es wird nicht mehr lange dauern und die Presse wird hellhörig. Können Sie sich vorstellen, was dann los ist?“, stöhnte Krohmer.

„Gerade deshalb sollten wir die Kollegen unterstützen,“ wiederholte Werner. Leo und Hans stimmten zu. Dieser Fall war sehr viel verlockender als trockene Aktenarbeit.

„Meinetwegen,“ brummte Krohmer.

„Wer bearbeitet den Fall?“

„Asanger und Stumpf.“

Leo stöhnte auf. Ausgerechnet Asanger! Mit ihm war er mehrfach aneinandergeraten, die beiden waren zu unterschiedlich. Tobias Asanger war 42 Jahre alt und wollte auf der Karriereleiter bis ganz nach oben kommen. Das war nicht verwerflich, wenn er dabei nicht so plump und hinterfotzig vorgehen würde. Er verkaufte Ideen und Erfolge anderer als seine eigenen. Dabei überging er Kollegen, die auch deshalb nicht scharf darauf waren, mit ihm zusammenzuarbeiten. Joachim Stumpf war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Der 48-Jährige war immer höflich und hielt sich gerne zurück. Er war nicht fürs Rampenlicht geschaffen. Außerdem hatte Stumpf eine Vorliebe für warme Leberkäs-Semmeln, von denen sich der Junggeselle fast ausschließlich ernährte. Immer und überall musste man zur Nahrungsaufnahme anhalten. Metzgereien liebten Joachim Stumpf, aber Kollegen konnten irgendwann den Geruch von warmen Leberkäs-Semmeln nicht mehr ertragen. Asanger reagierte gereizt auf die Marotte seines Kollegen, was diesen aber nicht störte. Was blieb den beiden anderes übrig, als sich zusammenzuraufen? Niemand wollte mit ihnen zusammenarbeiten. Also lag es auf der Hand, dass sie irgendwie miteinander auskommen mussten.

Krohmer bat Asanger und Stumpf ins Besprechungszimmer. Auch jetzt hatte Stumpf eine Leberkäs-Semmel in der Hand. Deren Geruch griff schnell um sich und füllte den Raum. Nach wenigen Minuten knurrte Leos Magen. Er hatte heute verschlafen und noch nichts gegessen.

„Wie weit sind die Ermittlungen im Fall der Heiligenfiguren?“

„Bisher gibt es nicht viel,“ sagte Asanger und öffnete die dünne Akte. „Insgesamt wurden in den letzten vier Monaten in unserem Zuständigkeitsbereich 68 Figuren gestohlen.“

„68 Stück?“, rief Leo. „So viele? Alle aus Kirchen?“

„Natürlich nicht. Auch aus kleineren Kapellen, von Marterln und sogar aus Privathaushalten wurden diese Figuren gestohlen. Bevor die Bande bei uns zuschlug, agierte sie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.“

„Wie viele geklaute Figuren werden den Dieben bisher insgesamt zugerechnet?“

„527 im süddeutschen Raum. Und das sind nur die, die der Polizei gemeldet wurden. Wir gehen von einer sehr viel höheren Stückzahl aus. Vermutungen nach liegt die Zahl bei über siebenhundert Stück.“

„Es steht außer Frage, dass es sich um dieselben Täter handelt?“

„Ja. Die Diebe treiben ein Spielchen mit den Opfern und der Polizei. An jedem Ort, wo eine Figur geklaut wurde, hinterlassen sie ein Guatl, wobei der Geschmack variiert.“

„Ein was?“ Leo verstand kein Wort.

„Lernen Sie endlich bayerisch Herr Schwartz! Ein Guatl ist ein Bonbon. Hier sind einige Fotos.“

Tatsächlich sah man darauf verschiedene Bonbons.

„Konnten Sie die Spur der Bonbons verfolgen?“

„Keine Chance. Das ist Massenware und kann überall gekauft werden.“

„Was geschieht mit dem Diebesgut?“, wollte Werner wissen.

„Wir vermuten, dass sie verhökert werden. Was sollen die Diebe sonst damit machen? Verheizen? Einschmelzen?“ Asanger wollte einen Witz machen, aber er war der Einzige, der lachte.

„Amerikaner sind ganz scharf auf solche Volkskunst,“ sagte Werner unbeeindruckt. „Wir sollten den amerikanischen Markt im Auge behalten. Was ist mit dem Zoll? Paketdiensten? Internet?“

„Wir sind nur zu zweit. Wie sollen wir das alles bewerkstelligen?“

„Dann bekommen Sie jetzt Unterstützung von drei Kollegen. An die Arbeit. Sehen Sie zu, dass Sie den Fall so schnell wie möglich lösen.“

3.

Die Brüder Kevin und Torsten Kurowski waren ein eingespieltes Team. Die 30- und 32-jährigen Kleinganoven klauten seit geraumer Zeit alles Heiligenfiguren, die ihnen in die Finger kamen. Torsten hatte im Frühjahr letzten Jahres in seiner Stammkneipe ein Gespräch mit angehört, das ihn aufhorchen ließ. Die Männer am Nebentisch unterhielten sich über Reliquienkreuze, ein Wort, das er bis dato noch nie gehört hatte. Als er verstand, dass es sich dabei um Kreuze handelte, in denen Andenken an Verstorbene aufbewahrt wurden, wurde er euphorisch. Die Idee war genial! Allerdings dachte er nicht an Kreuze, sondern an Figuren. Er zog los und klaute einige dieser für ihn wertlosen Figuren, die fast an jeder Ecke standen. Einige waren hohl, wenige beinhalteten irgendwelchen Kram. Bei anderen war es eine Kleinigkeit, darin einen Hohlkörper zu schaffen. Dazu brauchte es nur jemanden, der handwerkliches Geschick besaß.

Torstens Freund Dominik war ein Genie auf dem Gebiet der Chemie. Im Keller seiner Eltern stellte er Crystal Meth her, das Torsten weiterverkaufte, da Dominik im Verkauf eine Niete war. Das Geschäft lief gut und Torsten konnte sich mit den Einnahmen gut über Wasser halten und sich ab und zu etwas gönnen. Aber Dominik nervte in den letzten Wochen mit seinen ständigen Bitten wegen dem Verkauf zu Kunden, die weit entfernt wohnten, einige davon sogar im Ausland. Von beidem ließ Torsten bisher die Finger und verkaufte nur in einem kleinen Radius um seinen Wohnort. Wie stellte sich Dominik das vor? Torsten hatte kein Auto, somit war er auf Lieferdienste angewiesen. Sollte er die Drogen einfach per Post verschicken? Das würde rasch auffliegen. Und dann noch Lieferungen ins Ausland. Wie sollte das funktionieren? Die Kontrollen an Grenzen waren durch die Flüchtlingsströme verschärft worden, persönlich würde er die heiße Ware nicht schmuggeln wollen. Aber wie sonst würde er die Ware ohne Schwierigkeiten ins Ausland bringen können? Heiligenfiguren waren eine Möglichkeit, die für den Schmuggel geradezu ideal wären. Er spann den Gedanken weiter. Er wusste, dass einige Pakete durchleuchtet wurden. Könnte man das irgendwie umgehen? Torsten konnte in der Nacht kaum schlafen, denn wenn das funktionierte, war er ein gemachter Mann. Er selbst war kein Handwerker, aber sein Bruder Kevin. Der war nicht der Hellste, aber handwerklich sehr geschickt, darin machte ihm so schnell niemand etwas vor. Sollte er den einfachen Charakter wirklich ins Vertrauen ziehen? Warum nicht?

Am nächsten Tag unterbreitete Torsten seinem Bruder die Idee. Der hörte ruhig zu, was sonst nicht seine Art war.

„Ich glaube, dass das funktionieren könnte. Man müsste die Figuren auskleiden. Besorg mir ein paar Heiligenfiguren. Gib mir Geld, ich muss Material besorgen.“

„Was hast du vor?“

„Das erkläre ich später.“ Torsten gab seinem Bruder Geld. Wie immer war Kevin pleite. „Morgen Abend treffen wir uns wieder. Dann werden wir sehen.“

Torsten brauchte nur zuzulangen. Heiligenfiguren standen in Süddeutschland in jedem Haushalt und beinahe an jeder Ecke, er brauchte sich nur bedienen.

Kevin wartete ungeduldig auf seinen Bruder. Als er Torstens Figuren entgegennahm, machte er sich sofort an die Arbeit. Einige Figuren waren nicht hohl, das war aber kein größeres Problem. Mit einem Fräser hatte er Aussparungen geschaffen, die er nun alle mit Blei verkleidete.

„Blei?“

„Das Material ist ideal. Es hat einen niedrigen Schmelzpunkt, ist leicht verformbar und hält jeder Kontrolle stand. Außerdem ist es so dicht, dass kein Geruch durchdringt. Drogenspürhunde haben da keine Chance.“ Kevin grinste stolz. Er wusste, was sein Bruder über ihn dachte: Er war für ihn nicht clever genug. Damit hatte er nicht gerechnet, das konnte er ihm vom Gesicht ablesen.

„Ich bin wirklich beeindruckt. Woher hast du das Blei?“

„Ich habe meine Kontakte,“ grinste Kevin, der vorsorglich einen Schutzanzug trug. Blei war giftig und er war nicht scharf darauf, zu erkranken oder draufzugehen.

„Woher hast du es?“, wiederholte Torsten.

„Ich werde dir meine Quelle nicht nennen, ich habe mein Wort gegeben. Was willst du eigentlich von mir?“

„Ich möchte nicht, dass wir wegen einer Unachtsamkeit auffliegen.“

„Das werden wir nicht. Denkst du, ich habe meinen Namen und meine Adresse angegeben? Ich bin doch nicht blöd.“ Kevin arbeitete sauber und ordentlich, Torsten war auch diesbezüglich beeindruckt. Wann hatte er seinen Bruder zuletzt so arbeiten sehen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Vier Figuren waren fertig ausgekleidet. „Hast du den Stoff dabei?“

„Klar.“ Torsten gab ihm das Tütchen mit Crystal Meth, von dem beide nichts nahmen. Sie hatten noch nie Drogen genommen, das hatten sie ihrer Mutter kurz vor ihrem Tod versprochen. Und daran hielten sie sich.

„Das geht problemlos rein. Hast du mehr?“

Drei weitere Tütchen verschwanden im Inneren der Figur. Torsten nahm die Figur und schüttete den Inhalt auf eine Waage.

„Da geht ordentlich was rein, das lohnt sich,“ freute er sich. Dasselbe machten sie auch mit den anderen Figuren. Unterschiedliche Mengen verschwanden im Inneren, wobei keine gering war. „Perfekt, das funktioniert! Jetzt müssen wir nur noch testen, ob das einer Durchleuchtung standhält.“

Der Onkel der beiden, Gerhard Kurowski, betrat den Keller.

„Was macht ihr da?“

Die Jungs erschraken. Onkel Gerhard war der einzige ihrer Verwandten, der immer zu ihnen hielt. Sie hatten Hochachtung vor dem Bruder ihrer verstorbenen Mutter, der es zu etwas gebracht hatte. Er kannte sich sehr gut mit Computern aus und arbeitete als IT-Spezialist. Kevin und Torsten waren sicher, dass ihr Onkel sehr gut verdiente, da er stets die neuesten Autos fuhr und immer Geld zu haben schien. Es kam nicht selten vor, dass er seiner Schwester Geld zusteckte. Nach deren Tod sah er immer wieder nach seinen Neffen und half auch ihnen finanziell aus.

Jetzt stand Onkel Gerhard vor ihnen und sah sie an. Wie sollten sie die Situation erklären? Sie zögerten. Dann entschieden sie, ihm die Wahrheit zu sagen. Gerhard war zunächst angewidert, aber dann schien er von der Idee begeistert.