Die Jesus DNA - Marco Baldrich - E-Book

Die Jesus DNA E-Book

Marco Baldrich

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Beschreibung

Sind Zeitreisen möglich? Und was passiert, wenn ein Zeitreisender in die Vergangenheit aufbricht? Antonia Hendriks lebt mit Ehemann Ron und ihrer Tochter Elena in der Nähe von San Diego. Sie arbeitet in einem Institut des Losh-Konzerns und ist verantwortlich für die Isolierung und Kartierung von DNA ausgestorbener oder vom Aussterben bedrohter Spezies. Als sie innerhalb des Konzerns einen lukrativen neuen Job angeboten bekommt, ist sie zu Beginn Feuer und Flamme für das Projekt für Zeitreisen, sieht sie es aber über die Zeit immer kritischer und bekommt mehr und mehr Skrupel. Das Forscherteam entwickelt die Idee, den ersten Menschen nach Galiläa zurzeit Jesus zu schicken. Doch der Zeitreisende kehrt nicht zurück, sondern sendet nur eine nebulöse Nachricht und einige Gewebeproben. Ron und Antonia sind höchst besorgt und haben die größten moralischen Bedenken. Dann treffen sie eine folgenschwere Entscheidung.

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Seitenzahl: 498

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Marco Baldrich

Die Jesus DNA

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

Die

Jesus DNA

 

 

 

 

 

 

 

Marco Baldrich

 

 

 

 

 

Impressum

 

Copyright: Chiara Verlag im vss-verlag

Jahr: 2022

 

 

Lektorat: Chris Schilling

Covergestaltung: Giuseppa Lo Coco-Ame

 

Verlagsportal: www.vss-verlag.de

 

 

 

 

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig.

Matthäus 17, 2-3

 

Auf einmal wurde Jesus vor ihren Augen verwandelt: Sein Gesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider strahlten hell. Plötzlich erschienen Mose und der Prophet Elia. Sie redeten mit Jesus.

 

Markus 9, 2-4

 

…. Da wurde Jesus vor ihren Augen verwandelt. Seine Kleider strahlten so glänzend hell, wie nichts auf dieser Erde leuchten könnte. Dann erschienen Elia und Mose und redeten mit Jesus.

 

Lukas 9, 29-31

 

Als Jesus betete, veränderte sich sein Gesicht, und seine Kleider strahlten hell. Plötzlich standen zwei Männer bei ihm: Mose und Elia. Auch sie waren von hellem Licht umgeben und sprachen mit Jesus über seinen Tod, ….

 

Matthäus 28, 2-3

 

Plötzlich fing die Erde an zu beben, und ein Engel Gottes kam vom Himmel herab, wälzte den Stein, der das Grab verschloss, beiseite und setzte sich darauf. Er leuchtete hell wie ein Blitz, und sein Gewand war weiß wie Schnee.

 

 

Markus 16, 5

 

Sie betraten die Grabkammer, und da sahen sie auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der ein langes weisses Gewand trug. Die Frauen erschraken sehr.

 

Lukas 24, 4-5

 

…. Da traten zwei Männer in glänzend weissen Kleidern zu ihnen. Die Frauen erschraken und wagten nicht, die beiden anzusehen.

 

 

PROLOG

 

Es geschah um das Jahr 10'000 vor unserer Zeitrechnung, hoch oben in den Rocky Mountains, im heutigen Staate von Wyoming. Die letzte Eiszeit hielt das Land immer noch fest in ihrem Griff.

Das Weibchen der Art Smilodon fatalis fror wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie wog keine 100 kg mehr. Vor ein paar Jahren noch brachte sie annähernd das Zweieinhalbfache auf die Waage. Ihr letztes Junges sowie der auf ein paar wenige Mitglieder zusammengeschrumpfte Rest ihrer Sippe war vor Wochen erfroren oder fiel als leichte Beute anderen Raubtieren zum Opfer, denen es jetzt aber auch nicht mehr viel besser erging als ihr. Ruhig war es um sie geworden, viel zu ruhig für ein Tier, das es bevorzugte, in der Gruppe zu leben und mit ihresgleichen auf die Jagd zu gehen. Als einzige Begleiter blieben ihr der nagende Hunger und der eisige Wind aus dem Norden, der seit Tagen unablässig über sie hinwegfegte und alles unter einer immer dicker werdenden Schicht aus Schnee und Eis begrub.

Der letzte Riss eines Mammutjungen oder eines saftigen Riesenfaultiers lag schon viel zu lange zurück. Vor Jahren ging es der Sippe noch recht gut, sie konnten es sich sogar erlauben, nur die schmackhaftesten und leckersten Beutetiere zu erlegen. Aber seither mussten sie sich immer mehr bescheiden und die ersten, die verhungerten, waren diejenigen, die sich mit dem Fraß von Fröschen, Schnecken und anderem Kleingetier nur mühsam oder gar nicht anfreunden konnten.

Sie war jetzt die letzte ihrer Art, suchte vergeblich Schutz hinter einer Schneewehe und rollte sich nach Katzen Art so gut es ging zusammen, um dem eisigen Wind so wenig Angriffsfläche wie irgend möglich zu bieten. Doch diese Kälte kannte keine Gnade und sog unerbittlich die letzte Lebensenergie aus ihr heraus. Kurz bevor sie für immer einzuschlafen drohte, sammelte sie noch einmal all ihre Kräfte, um ein paar sinnlose Schritte nach vorne zu wanken. Dann brach sie erschöpft zusammen und gab ihr allerletztes leises Knurren von sich. Schnell bedeckten sie Schnee und Eis mit einer meterhohen Schicht.

Seitdem gilt der Säbelzahntiger als ausgestorben.

 

-1-

 

Der Beginn des Frühlings fiel am 21. März 2086 auf einen Donnerstag. Antonia Hendriks würde bald von der Arbeit nach Hause kommen. Ihr Ehemann Ron saß derweil in seinem Rollstuhl auf der Terrasse vor ihrem gemeinsamen Haus. Wie gewöhnlich trug er bei der Arbeit seine Virtual-Reality-Brille und die dazu passenden Handschuhe, die es ihm erlaubten, die Dateien in seinem Blickfeld zu bearbeiten. Dabei ruhten seine Unterarme auf dem kleinen Tischchen vor ihm und die Finger tanzten in atemberaubender Geschwindigkeit hin und her. Nur gelegentlich hob er mal die eine und mal die andere Hand etwas an und wischte ein wenig nach links oder rechts.

Die Zeitangabe rechts oben in seinem Blickfeld sprang gerade auf 18 Uhr.

Für den Weg vom Institut in La Jolla, in dem sie arbeitete, bis zu ihrem Zuhause brauchte Antonia in aller Regel etwas weniger als eine Stunde.

Ron lehnte sich leicht zurück, setzte seine Brille ab und streckte seinen Oberkörper so gut es ging. Er ließ seinen Blick kurz über die Akten und Dossiers schweifen, die um ihn herum auf dem umfunktionierten alten Campingtisch lagen. In diesem Augenblick neigte sich der Sonnenschirm mit einem leichten Ruck, der Sonne folgend, ein paar Grad weiter nach Westen. Die äußere hauchdünne Beschichtung mit Solarzellen hielt eine kleine integrierte Kühleinrichtung in Betrieb, die konstant für angenehme 22 bis 23° C im von ihr bedeckten Bereich sorgte. Ron schaute von unten auf die große gelbe Plane, die fast die ganze Terrasse beschattete. Vom Pazifik, den man heute am Horizont gut erkennen konnte, kam jetzt am Abend eine leichte Brise den Hang hinaufgezogen. Angenehm wehte sie durch sein hellgrünes Poloshirt, das er locker über den Jeans trug.

Langsam fuhr sich Ron, nachdem er sich auch seiner digitalen Handschuhe entledigt hatte, durch die kurzen dunklen Haare, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und fixierte weiter das Tuch über ihm. Eigentlich konnte er sich nicht beklagen. Mit Antonia führte er eine gute, ja eine sogar sehr gute Ehe und sie beide liebten ihre Tochter Elena, die erst vor ein paar Tagen acht Jahre alt geworden war. Das gemeinsame Haus war so gut wie abbezahlt und über mangelnde Arbeit konnte er sich auch nicht beklagen.

Bloß an den Rollstuhl, der ihn seit jetzt bald zehn Jahren an sich fesselte, wollte er sich nicht gewöhnen. Damals, gerade 31 Jahre alt und frisch verheiratet, war er beim abendlichen Joggen von einem angetrunkenen Autofahrer angefahren worden. Der Wagen, der ihn erfasste und in den Straßengraben schleuderte, war einer jener Oldtimer gewesen, die noch mit einem Verbrennungsmotor liefen und einen Fahrer mit Händen am Lenkrad und Füssen an den Pedalen benötigten. Von einer Feier mit und für alte Fahrzeuge kommend, hatte er Ron in einer Kurve übersehen und mit voller Wucht erwischt. Es ging damals mehrere Tage durch die Presse und selbst der lokale Fernsehsender nahm sich während der Nachrichten zur besten Sendezeit des Themas an. Verkehrsunfälle mit Personenschaden galten seit Jahren als absolute Rarität und genossen die ganze Aufmerksamkeit der Medien. Nur dem Können und Geschick der Ärzte war es zu verdanken, dass er beide Beine behielt. Die behandelnden Spezialisten sahen in den darauffolgenden Wochen und Monaten eine, wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit, dass er irgendwann wieder einmal laufen könnte, aber die Chancen sanken von einer Operation zur anderen.

Seinerzeit, auf der Intensivstation liegend, ging ihm einmal die Frage durch den Kopf, wie und wo man heutzutage überhaupt noch an ausreichende Mengen Benzin gelangen konnte. Mit Elena hatten sie vor ein paar Jahren mal ein Heimatmuseum besucht, in dessen Eingangsbereich eine Tankstelle aus den Anfängen des Jahrhunderts aufgebaut war. Er erinnerte sich noch, wie die Großeltern ihren Enkeln die Funktionsweise erklärten und, dass man nach dem Tankvorgang bezahlen musste. Ungläubig und mit offenen Augen und Mündern konnten es die Kleinen kaum glauben.

Als nächstes stand für ihn jetzt eine Behandlung mit einem neuen gentechnologisch synthetisierten Nervenwachstumsfaktor auf dem Programm. Man würde wieder abwarten müssen und natürlich gab er wie jedes Mal die Hoffnung nicht auf.

Zum Glück konnte er fast immer von zu Hause arbeiten und sah sich nur selten genötigt, in die Stadt nach San Diego zu fahren, um Geschäftspartner oder neue Kunden zu treffen. Für ihn als selbstständigen Informatiker war es ziemlich egal, von wo aus er operierte. Seine Haupttätigkeit bestand darin, die Sicherheitssysteme von Computernetzwerken verschiedener Firmen zu testen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. Das Geschäft florierte und es gab mehr als genug zu tun. Heute sollte er sich um die Zugangskontrollen für die Produktion eines Chips kümmern, der seit geraumer Zeit in aller Munde war und seine Erfinder in kürzester Zeit zu bekannten Multimillionären avancieren ließ. Diesen Chip pflanzten sich junge wie auch ältere Paare ein und er maß und steuerte die Konzentration der Hormone, die üblicherweise nur Frischverliebte ausschütteten. So konnte das Gefühl der jungen Liebe immer wieder erneuert und beliebig lang aufrechterhalten werden. Relation-Chip war der nicht gerade originelle Name dieser kleinen Platine. Natürlich wollten seine Hersteller mit höchster Priorität sicherstellen, dass sich niemand Unbefugtes von außen in dieses System der Gefühle hacken konnte.

Ein leiser Piepston hinderte ihn daran, seinen Tagträumereien weiter nachzuhängen. Schnell setzte er seine Computerbrille wieder auf und sah rechts unten ein kleines sich öffnendes Fenster. Antonia saß entspannt in ihrem selbstfahrenden Elektromobil und lass ganz offensichtlich auf der Windschutzscheibe die aktuellen Nachrichten. In exakt 12 Minuten würde sie in die Garage fahren.

„Bis gleich, Schatz“, sprach er sie an.

„Ja, bis gleich“, antwortete sie und zwinkerte ihm lächelnd zu.

Er freute sich jedes Mal aufs Neue über ihre Stimme. Die verbleibenden 12 Minuten gaben ihm jetzt genügend Zeit, die Arbeiten für heute einzustellen und seine Arbeitsutensilien und Unterlagen wieder ins Haus zu bringen.

Ihr hellblau gestrichenes Holzhaus lag in der zweiten Reihe hinter dem Highway an einem sanft ansteigenden Hang in einer nicht so dicht besiedelten Gegend. In der Nachbarschaft lebten eine ganze Reihe junger Familien. Ähnlich wie sie, die Hendriks, gehörten sie zum wohl etablierten Mittelstand, die sich ein Häuschen mit Meerblick leisten konnten. Früher hätte man gesagt, dass sie zum gehobenen Bildungsbürgertum gehörten. Die Wohnblocks der Armen und die Villen der ganz Reichen waren im wahrsten Sinne des Wortes in beide Richtungen weit entfernt.

Ron konnte ebenerdig von der Veranda aus in fast alle Zimmer gelangen. Die im unteren Geschoss gelegenen Räume, wie die beiden Zimmer von Elena, den Vorratskeller und das Gästezimmer suchte er eigentlich so gut wie nie auf. Er verabscheute den Lift, der für seinen Rollstuhl fast ungebraucht am Treppengeländer hing und es ihm eigentlich auf einfache Weise ermöglichte, von einer Etage in die andere zu gelangen.

Nach dem Aufräumen seines Arbeitsplatzes blieb ihm noch genügend Zeit, die Gläser und den Weißwein aus dem Kühlschrank zu holen sowie ein paar Salzstangen und Cracker auf einem Tellerchen anzurichten. Die Flasche stellte er zur Kühlung in einen mit etwas Wasser gefüllten Terrakottabehälter und platzierte alles auf den näher am Geländer der Terrasse stehenden Holztisch. Ihr gemeinsamer Sun-Downer am Abend bestand meistens aus ein bis zwei Gläschen Wein und gehörte seit Jahren zum festen Bestandteil ihres Alltags. Hier saßen sie dann und Antonia, knapp zwei Jahre jünger als Ron, frönte dann meistens ihrer Leidenschaft, die Ereignisse des Tages für ihn noch einmal Revue passieren zu lassen. Es stellte eines ihrer Grundbedürfnisse dar, nach dem Eintreten in die eigenen vier Wände, sich alles, was sie in den letzten 12 Stunden beschäftigt hat, von der Seele zu reden. In ihm fand sie dabei zum Glück einen Partner, der das ganz offensichtlich zu genießen wusste und dann und wann mit seinen Fragen auch demonstrierte, dass er zuhörte und ihn das Erzählte auch interessierte. Seine Berichte dagegen fielen eher sparsam aus und beschränkten sich auf ein paar wenige Sätze über seine neuesten Projekte.

Für Antonia war es selbstverständlich, ihm in all den Jahren nach seinem Unfall immer wieder Mut zu machen und die Hoffnung an eine Heilung nicht aufzugeben. Gerade in der ersten, besonders schwierigen Zeit im Rollstuhl hat sie ihn rund um die Uhr unterstützt und ihre Liebe zu ihm hatte durch seine plötzliche und unerwartete Behinderung keinerlei Schaden genommen. Als lebendiger Beweis galt für beide ihre gemeinsame kleine Tochter Elena. Um diese Zeit spielte sie gewöhnlich unten in ihren Zimmern mit einer Freundin aus der Nachbarschaft oder saß ein Stockwerk weiter oben unweit ihrer Eltern vor der Fernsehtapete.

Pünktlich 12 Minuten nach der Ankündigung auf Rons Brille parkte Antonias chinesischer Kleinwagen in der Garage exakt über den Ladeschleifen zum wieder Aufladen der Batterien. Sie eilte direkt zu Ron hinauf auf die Terrasse und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Ich bin gleich wieder da. Ich will nur Elena Guten Tag sagen und etwas Anderes anziehen.“ Dabei nestelte sie bereits an den obersten Knöpfen ihres hellbraunen Hosenanzugs herum und verschwand wieder im Haus.

Ron öffnete derweil die Flasche Chardonnay aus dem Napa Valley und schenkte ihnen beiden ein.

Wenig später erschien Antonia in einer grauen Trainingshose und einem ausgewaschenen roten T-Shirt. Ihre knapp schulterlangen schwarzen Haare trug sie mit einem einfachen Gummiband nach hinten zusammengebunden. Sie machte einen entspannten und erholten Eindruck als sie sich im Schneidersitz in den weit ausladenden Korbstuhl direkt vor dem Geländer niederließ. In einer fließenden Bewegung schnappte sie sich dabei ihr Glas Wein und prostete Ron mit einer knappen Bewegung zu. Der Sonne Süd-Kaliforniens war es geschuldet, dass ihre Haut eine leicht bronzene Färbung aufwies und sich um ihre kastanienbraunen Augen die ersten Fältchen zeigten. Ihr drahtiger und durch regelmäßiges Yoga und gelegentliche Besuche im Fitness-Center schlank gebliebener Körper ließ sie etwas jünger erscheinen als sie eigentlich war.

Gemeinsam blickten sie eine kurze Weile auf das nur wenige Kilometer entfernt liegende Meer hinaus. Nach Kosten ihrer ersten Feierabend-Schlucke dauerte es auch nicht mehr lange, bis Antonia loslegte.

„Heute haben wir endlich das Smilodon-Projekt abgeschlossen!“, begann sie.

„Na toll! Gratuliere! Endlich!“, Ron konnte sich dabei einen leicht ironischen Unterton nicht verkneifen und tat Antonia auch nicht den Gefallen, sofort zu fragen, was ‚Smilodon’ überhaupt bedeutete. Sie würde es ihm sowieso gleich erzählen.

 

Antonia und er hatten sich vor knapp 15 Jahren an der Universität von San Francisco kennen gelernt. Sie arbeitete damals an ihrer Masterarbeit in Molekularbiologie und benötigte zur Auswertung der von ihr zusammengetragenen Daten die Unterstützung eines Statistikers und Informatikers. Ron hatte sein Studium bereits abgeschlossen und war seiner Zeit nur zu gerne bereit, der, wie er fand, überaus attraktiven Studentin unter die Arme zu greifen. Damals wie heute entsprach er nicht dem gängigen Klischee des blassen und übergewichtigen Informatikspezialisten, der sich auch noch spät in der Nacht nicht von seinem Computer lösen konnte und vornehmlich von Chips und Fast-Food ernährte. Ganz im Gegenteil dazu verbrachte er fast jede freie Minute mit Sport. Im Basketball brachte er es sogar bis zum Auswechselspieler der zweiten Universitätsmannschaft. Für seinen Ehrgeiz reichte es aus, wenn er in der Endphase eines Spiels und wenn das Team bereits über einen ordentlichen Vorsprung verfügte, ein paar Spielminuten bekam.

Ron verstand zwar damals nicht bis ins letzte Detail, was genau Antonia mit ihrer Arbeit beweisen wollte, wusste aber so ungefähr, dass es um Vergleiche von Erbsubstanzen verschiedener Organismen ging und riesige Datenbanken miteinander verglichen und ausgewertet werden mussten. Für ihn war es ein Leichtes, ihr zu helfen und im Gegenzug war aus Antonias Dankbarkeit zu ihm erst Zuneigung und bald darauf Liebe geworden.

 

„Ja, es war gar nicht so kompliziert wie zu Beginn vermutet“, fuhr Antonia fort, „zum Glück handelte es sich um ein Weibchen und es war über die Jahrtausende im Eis nur wenig beschädigt worden.“

"Es war ein Weibchen mit Namen Smilodon?", fragte Ron.

Antonia musste lachen und erlöste ihn von seiner Neugier.

„Ja, das waren die Säbelzahntiger, die vor rund 12'000 Jahren in Nordamerika ausgestorben sind. Damals, zum Ende der letzten großen Eiszeit, gab es ein riesiges Artensterben, dem auch der Säbelzahntiger zum Opfer fiel. Das war das Ende des Zeitalters des Pleistozäns und wir, falls Du es nicht wissen solltest, leben jetzt im darauffolgenden Zeitalter des Holozän, der Jetztzeit. Keine Sorge“, scherzte sie nach einem kurzen Moment, „ich habe das auch erst vor ein paar Tagen wieder gelernt.“

Ron schmunzelte, ignorierte aber die Erklärungen zu den Erdzeitaltern.

„Und zum Glück war es ein Weibchen!“, stellte er fest, um über diesen Umstand noch mehr zu erfahren.

„Und was für ein Glück. Mit weiblichen Eizellen ist das Klonieren viel, viel einfacher als mit anderen Zellen und wenn man mal wieder ein lebendiges Weibchen hat, können neue Jungtiere auf natürliche Art und Weise ausgetragen werden. Es ist gar kein Problem, eine Eizelle im Reagenzglas so zu behandeln, dass sie sich wie eine normal befruchtete Eizelle beginnt zu teilen und zu verdoppeln. Diese Zellen der ausgestorbenen Säbelzahntigerin kann man dann einem heute lebenden Katzentier einpflanzen. Ob ein Tigerweibchen die beste Leihmutter ist, müssen wir noch abklären. Bei entsprechender Hormonbehandlung dieses Muttertiers kann ein Säbelzahntigerbaby soweit in ihr heranwachsen, dass es auch nach einem Kaiserschnitt problemlos überleben sollte und -Bingo- wir haben wieder lebendige Original-Säbelzahntiger“, dozierte Antonia voller Freude.

Ron, der Antonias Arbeiten nun schon seit Jahren begleitete, lächelte und sagte: „Ok, ich glaube, ich habe verstanden. Dann kann sich der Zoo in San Diego ja freuen, wenn bald Säbelzahntigerbabies in seinen Gehegen umhertapsen.“

„Quatschkopf!“, entgegnete Antonia gutgelaunt und nippte wieder an ihrem Glas, „Du weißt ganz genau, dass wir das nicht wollen. Für mich zählt der Säbelzahntiger aber ab heute nicht mehr zu den ausgestorbenen Arten, sondern er lebt gerade nur nicht in unserer Zeit und er hat eine Vermehrungspause von rund 12'000 Jahren eingelegt. Die aufgearbeiteten Zellen ruhen jetzt in flüssigem Stickstoff und wären im Prinzip bereit für weitere Experimente. Für mich ist das Projekt deshalb erst einmal abgeschlossen. Vielleicht ist es irgendwann sinn- und zweckvoll, auf einst ausgestorbene Tiere und Pflanzen wieder zurückgreifen zu können. Vielleicht können aus ihnen Substanzen gewonnen werden, um Krankheiten zu behandeln oder sie können helfen, gefährdete Ökosysteme wieder zu stabilisieren.“

„Edel, edel. Wahrscheinlich fehlt der männlichen Hälfte der Menschheit noch die segensreiche Kraft, die aus zerstoßenen Säbelzähnen gewonnen werden kann“, witzelte Ron, „es könnte das Überleben von Nashörnern und Elefanten erleichtern.“

Antonia ging darauf nicht ein, sondern erzählte mit großer Begeisterung weiter: „Es war wirklich Glück! Das Tier war von oben bis unten in einem Eisblock eingeschlossen. Es muss ziemlich gleichmäßig von Schnee und Eis bedeckt worden und dann ganz und gar bei konstanten Minusgraden durchgefroren sein. Seitdem hat es unbeschadet und unberührt die Jahrtausende überdauert. Wir mussten nicht irgendwelche Lücken in den Chromosomen mit der Erbinformation anderer Raubkatzen auffüllen. Das führt nämlich meistens nicht zu vernünftigen Resultaten.“

„Ich erinnere mich aber, dass Du davon früher erzählt hast. Wenn man nicht die ganze Erbsubstanz isolieren konnte, dann hat man doch das, was gefehlt hat, mit möglichst ähnlicher DNA aufgefüllt, oder nicht?“, fragte Ron.

„Ja schon, man macht es auch heute noch, wenn es nicht anders geht. Aber es hat sich zu oft gezeigt, dass kleinste Unterschiede in wichtigen Abschnitten der Erbinformation die größten Auswirkungen haben können. Menschen- und Schimpansen-DNA sind sich fast identisch, aber selbst Du solltest gewisse Unterschiede zwischen einem Schimpansen und einem Menschen feststellen können.“ Antonia befand sich in sichtlich bester Stimmung.

„Ja sicher, obwohl ich bei manchen Menschen das Gefühl habe, zweimal hinschauen zu müssen, bevor ich einen deutlichen Unterschied feststelle. Ich denke mir das so: Wenn ich bei einer zwanzigstelligen Telefonnummer an letzter Stelle statt einer acht eine neun wähle, komme ich ja nicht mit einer Person ins Gespräch, die sehr ähnlich derjenigen ist, mit der ich verbunden werden wollte, sondern mit jemand ganz anderem oder niemandem.“ Ron konstruierte sich gerne solche Analogien, um die naturwissenschaftlichen Ausführungen von Antonia in seine digitale Welt zu übersetzen.

„Ja, so ungefähr kann man sich das vorstellen.“ Antonia bedeuteten diese Art von lockeren Gesprächen mit ihrem Mann sehr viel und sie entspannte sich dabei immer wieder vom Alltag und der täglichen Fahrerei. Schließlich saß sie jeden Tag fast zwei Stunden im Auto und auch wenn sie dabei nur die Nachrichten las oder etwas Fernsehen schaute, waren es doch Stunden, die sie gerne anders verbringen wollte.

 

Antonia war nicht immer die begeisterte Naturwissenschaftlerin gewesen. Die ersten Semester an der Universität von San Diego hatte sie im wahrsten Sinne des Wortes verbummelt. Sie wusste noch nicht so recht, wo ihre eigentlichen Talente lagen und machte sich erst einmal einen Namen als Partygirl. Kaum eine Feier oder ein Wochenende, an dem sie nicht als gern gesehener Gast irgendwo aufkreuzte und als Stimmungskanone brillierte. Kurz bevor die Gefahr bestand, dass eine akademische Ausbildung für sie vielleicht doch nicht das Richtige war, besuchte sie an einem Montag, mehr aus Versehen und nach einer viel zu kurzen Nacht, eine Vorlesung für Studienanfänger in Molekularbiologie. Nach dieser Stunde war sie nicht mehr dieselbe. Antonia wusste von einem Moment auf den anderen, ihre Berufung gefunden zu haben und widmete sich mit Herzblut dem Studium der Genetik und Biochemie. Am Ende besaß sie einen Doktortitel und die Türen an der Universität und in die freie Wirtschaft standen ihr meilenweit offen.

Zum Ende ihrer Studienzeit begegnete sie Ron und ging kurz darauf mit ihm eine Beziehung ein. Ihr Traum erfüllte sich, eine kleine Familie zu gründen und in ihrem Fachgebiet einem ansprechenden Job mit halbwegs geregelten Arbeitszeiten nachzugehen.

In ihrer Anstellung, die sie relativ schnell fand, galt sie als recht erfolgreich. Ihr Fachwissen, ihre Offenheit und eine Portion gesunder Pragmatismus kamen bei den Vorgesetzten gut an. Seit nun vier Jahren leitete sie ein kleines Laborteam, das für die Isolierung und Kartierung der Erbsubstanz ausgestorbener oder vom Aussterben bedrohter Pflanzen und Tiere verantwortlich zeichnete. Dieses Team gehörte zu einem Institut in La Jolla, das zu hundert Prozent ein internationaler Großkonzern finanzierte, der sich aus diesen Aktivitäten mögliche zukünftige Einnahmequellen erhoffte.

Es schenkte Antonia eine besondere innere Genugtuung, wenn, wie an diesem Tag, sie mit daran beteiligt sein durfte, ein eigentlich von der Oberfläche der Erde verschwundenes Lebewesen bei Bedarf wieder auferstehen zu lassen.

Sie nannte es ‚retten’ und war davon überzeugt, heute den Säbelzahntiger gerettet zu haben.

Als Spezialistin auf ihrem Gebiet hatte sie sich mit diversen Veröffentlichungen in der Fachwelt bereits einen kleinen Namen gemacht. Wenn es darum ging, DNA aus nicht alltäglichen Proben aufzubereiten und die etablierten Standardmethoden versagten, wurde sie schon hin und wieder von Kollegen aus anderen Teilen des Landes um Rat gefragt. So konnte sie auch einmal Gerichtsmedizinern in Los Angeles bei der Aufklärung eines Verbrechens weiterhelfen, als es ihr gelang, winzige Spuren der Erbsubstanz des vermeintlichen Täters aus einem Tropfen Seife, der auf einer Herdplatte ungünstiger Weise auch noch erhitzt worden war, zu isolieren. Es war bezeichnend für Antonia, dass sie sich mehr darüber freute, dass ihr Resultat die Unschuld und nicht die Schuld des Verdächtigten bewies.

 

-2-

 

Paul F. Losh saß am gleichen Abend, an dem Antonia Ron von ihrem Abschluss des Smilodon-Projekts berichtete, im zwölften und zugleich obersten Stockwerk seines neuen Bürogebäudes aus Glas und Stahl am Rande von La Jolla. Die meisten Mitarbeiter waren bereits gegangen und in dem Gebäude wurde es allmählich dunkel und still.

Er kontrollierte zum x-ten Mal in der letzten Stunde seine Uhr. Fulvio Mancini sollte in ein paar Minuten, gegen 21 Uhr, mit dem Dossier bei ihm erscheinen.

Paul F. Losh, Anfang 60, milliardenschwerer Herr eines weit verzweigten Unternehmens und Chef von weltweit mehr als 30'000 Mitarbeitern, zählte Geduld nicht zu seinen Stärken.

Seinem Konzern ging es wirtschaftlich gut. Aus einem mittelständischen Unternehmen für Energiespeicher aller Art formte er innerhalb von rund 35 Jahren ein globales Imperium. Pauls Talent bestand darin, stets auf das richtige Pferd zu setzen. Seine Investitionen in die neuesten Technologien für Energiespeicher erfolgten jeweils zum denkbar günstigsten Zeitpunkt. Heute dominierte er den Markt und so gut wie aus keinem Haushalt oder Betrieb waren die Losh-Batterien mehr wegzudenken. Über die letzten Jahre konzentrierte er sich darauf, weltweit kleinere, aber aufstrebende Firmen zu übernehmen oder wenigstens Mehrheitsbeteiligungen an ihnen zu erwerben. Kritiker und Anleger waren besorgt über diese stetig steigende Diversifikation, aber der Erfolg gab Paul ein ums andere Mal recht. Seit 2075 durfte er sich dreimal erfolgreichster Manager des Jahres der Vereinigten Staaten von Amerika nennen.

Der leicht füllige Mann mit den weißen, kurz geschnittenen Haaren, der sich etwas extravagant, aber immer höchst modisch kleidete, zeigte sich in den letzten Monaten zusehends verändert.

Das hing nur zu einem Bruchteil mit seiner erst kürzlich über die Bühne gegangenen dritten Scheidung zusammen. Zu seiner Familie, oder besser gesagt, zu seinen drei Familien pflegte er wenige bis keine Kontakte. Seine Exfrauen und die vier inzwischen erwachsenen Kinder aus den ersten beiden Ehen führten ein eher weniger sinnvoll zu nennendes Leben im Jetset und litten dank der mehr als großzügigen Unterhaltszahlungen und Geldgeschenke zu Feiertagen und Geburtstagen in keiner Weise Not. Viel zu spät musste er immer wieder erkennen, dass er nicht alleine der Liebe wegen geheiratet worden war, sondern seine Anziehungskraft auf das andere Geschlecht zu einem sehr großen Teil durch sein Vermögen bestimmt wurde. Dabei zeigte er sich durchaus als charmanter und warmherziger Vater und Ehemann, der nicht nur für seinen Konzern, sondern auch immer wieder für seine Familien ausreichend Zeit fand. Es stimmte ihn in letzter Zeit immer öfter traurig und fast drohte er in Selbstmitleid zu verfallen, dass er sich nie ganz sicher sein konnte, ob man ihn wegen seiner Person oder wegen seines geschäftlichen Erfolges schätzte und bewunderte.

Den größten Teil des Tages verbrachte er jetzt hier oben in seinem repräsentativen Büro zusammen mit seiner langjährigen Vertrauten und Assistentin Laura Wifel, die um diese Uhrzeit noch im Vorzimmer saß und es nie gewagt hätte, vor ihrem Chef nach Hause zu gehen. Dort hätte sie als alleinstehende Mittfünfzigerin, die die beste Zeit ihres Lebens dem Beruf und ihrem Vorgesetzten geopfert hat, sowieso nur die Stunden gezählt, bis sie wieder ins Büro zurückkehren konnte. Laura war die perfekte Assistentin. Wäre sie eine Krankenschwester, würde ihr jeder ohne Zögern ein ausgeprägtes Helfersyndrom bescheinigen. Nach der letzten Scheidung durfte sie sich vermehrt um Pauls private Angelegenheiten kümmern und zwischen den beiden war ein noch vertrauteres Verhältnis als zuvor entstanden. Und Laura gehörte zu den wenigen Frauen, die Paul nicht wegen seiner Vermögensverhältnisse schätzte.

Drei der vier Wände von Pauls Büro, das bis auf Lauras kleines Vorzimmer fast das ganze Stockwerk ausfüllte, waren von oben bis unten verglast und erlaubten einen imposanten Rundblick von San Diego im Süden über den Pazifik im Westen bis nach Norden über den Stadtrand von La Jolla hinaus. Je nach Helligkeit und Sonnenstand verdunkelten oder hellten sich die Fensterscheiben selbsttätig auf, um den Raum stets gleichmäßig auszuleuchten. Die Lichttechnik war so intelligent ausgesteuert, dass es einen niemals blendete und, was erst beim zweiten Hinsehen auffiel, im gesamten Büro keinerlei Schatten fielen.

Das Ambiente war sparsam aber stilvoll eingerichtet. Die Innenarchitekten wünschten sich etwas moderneres, aber Paul mochte es lieber altmodisch. Er saß in einem schwarzen Ledersessel schräg mit dem Rücken zur Wand und blickte diagonal durch den Raum nach Nord-Westen. Vor ihm stand ein schwerer fast leerer Schreibtisch aus dunklem Edelholz, dem gleichen, mit dem auch die Wand hinter ihm und die Eingangstür getäfelt waren. Es bereitete ihm immer wieder großes Vergnügen, wenn Gäste eintraten und vom Ausblick überwältigt glaubten, sie seien alleine im Raum, ehe sie ihn nach einer leichten Kopfbewegung nach links bemerkten. Von der Reaktion der Eintretenden meinte er, auf eine gewisse Persönlichkeitsstruktur schließen zu können. Auf seinem Schreibtisch befanden sich lediglich ein kleiner Monitor, ein veraltetes Mobiltelefon und ein dünner Stapel Papiere. Er mochte sich nicht konzentrieren, wenn ihn mehr als eine unerledigte Angelegenheit umgab. Zudem war er der festen Überzeugung, wenn ein Problem und ein Lösungsvorschlag nicht auf ein bis zwei Seiten Papier zusammengefasst werden konnten, sie noch nicht ausreichend analysiert und durchdacht waren.

In der Mitte des Raums bot noch ein runder Konferenztisch aus Glas Platz für Gäste. Um diesen herum gruppierten sich sechs mit weißem Leder bespannte Sitzgelegenheiten aus Stahlrohr.

In den vier Ecken des Büros dienten längliche abstrakte Plastiken aus Holz und Granit als Blickfang und optische Abgrenzung nach außen. Auf ihren Sockeln befanden sich kleine Täfelchen, die diesen Kunstwerken der Reihe nach die nicht vielsagenden Titel ‚Nummer 1’ bis ‚Nummer 4’ gaben.

Dass Paul F. Losh sich in letzter Zeit verändert hatte, hing vor allem damit zusammen, dass sich ein bisher nur einem kleinen Kreis von Spezialisten bekannter Zweig seines Geschäftsimperiums im letzten halben Jahr erstaunlich schnell und erfolgreich entwickelt hat. Es handelte sich um ein kleines, aber hochfeines physikalisches Forschungslabor, das innerhalb der Konzernleitung mit der Meldung für gehöriges Aufsehen sorgte, man könne unter höchst anspruchsvollen und konstruierten Bedingungen sowie mit extrem großen Energiemengen einfache organische Verbindungen für die Bruchteile einer Millisekunde in der Zeit zurückschicken und dann wieder unbeschadet in die Gegenwart zurückholen. Paul witterte augenblicklich großes Potential hinter dieser Beobachtung und wollte die Arbeiten höchstpersönlich überwachen. Er verordnete allen, die davon wussten, strikteste Geheimhaltung.

 

Fulvio Mancini hatte maßgeblich an diesem Erfolg mitgearbeitet. Noch nicht lange Zeit im Konzern, avancierte der smarte Mittdreißiger schon bald zum verantwortlichen Projektleiter für ‚Bewegungen von Masse in der Raumzeit’, wie es offiziell hieß.

In Rom war es ihm als Gymnasiast vergönnt gewesen, eine hochkarätige, aber auch strenge humanistische Ausbildung an einer der renommiertesten Jesuitenschule des Landes zu durchlaufen. Wenig erfreut zeigte man sich seinerzeit im Orden, als der talentierte junge Mann sich nach seinem Abschluss für das Studium der theoretischen Physik entschied, anstatt eine Karriere in der ‚Gesellschaft Jesu‘ anzustreben. Die oberen des Ordens legten ihm vergeblich nahe, in ihren Reihen zu bleiben und sich doch lieber der Theologie, Philosophie oder ihretwegen auch der Juristerei oder Medizin zu widmen. Er hatte ihnen damals, mehr im Scherz, erwidert, dass ein Philosoph ohne naturwissenschaftlichen Hintergrund nicht viel taugen könne. Man ließ ihn schweren Herzens ziehen, aber auch wissen, dass er jederzeit wieder willkommen ist, wenn er seine Meinung ändern sollte.

Dank seines enormen Fachwissens, seiner geradezu charismatisch zu nennenden Ausstrahlung und der Hingabe an seine Aufgaben stieg er im Konzern schnell die Karriereleiter empor und konnte dabei sogar das persönliche Vertrauen von Paul F. Losh gewinnen.

Pünktlich um 21 Uhr betrat Fulvio nach kurzem Anklopfen und ohne auf eine Antwort zu warten das Büro. Er gehörte zu den wenigen Privilegierten, die Paul auf diese Art und Weise gegenübertreten durften.

„Hallo Fulvio! Kommen Sie, setzen Sie sich“, begrüßte ihn Paul und begab sich zu einem der weißen Lederstühle an dem runden Konferenztisch.

Die letzten Resultate dieses Physiklabors beanspruchten im Augenblick fast seine ganze Aufmerksamkeit und die anderen vielfältigen Pflichten kamen naturgemäß dabei etwas zu kurz. Dank ausgesuchter und qualifizierter Mitarbeiter sowie einer zurzeit sicheren Konjunkturlage meinte Paul, sich diese kurze Auszeit für sein neuestes Lieblingsprojekt gewähren zu dürfen.

„Haben Sie schon jemanden gefunden?“, wollte er ohne Umschweife von Fulvio wissen.

Fulvio nickte leicht und legte ein etwa zwei Zentimeter dickes Dossier auf den Schreibtisch.

Paul grabschte danach wie ein kleines Kind nach einem heiss ersehnten Spielzeug und öffnete es hastig. Vor ihm breiteten sich eine Anzahl von losen Blättern aus. Ein Lebenslauf, Zeugnisse, Beurteilungen, Urkunden, Fotos, Abrechnungen und all die Arten von verschiedenen Dokumenten, die üblicherweise in den Akten von Personalabteilungen zu finden sind.

„Wer ist es? Erzählen Sie!“, hakte er gleich nach.

„Sie heisst Antonia Hendriks“, antwortete Fulvio, „und arbeitet hier quasi um die Ecke in Ihrer Biotechfirma in der Abteilung für besondere DNA-Proben. Sie leitet die Gruppe, die verantwortlich ist für die Isolierung und Archivierung von Erbmaterial von seltenen oder bereits ausgestorbenen Spezies.“

„Ok, und kann sie uns helfen? Wäre gut, wir müssten niemanden von Außerhalb rekrutieren“, fiel Paul dabei Fulvio fast wieder ins Wort.

„Mit Sicherheit kann sie helfen. Sie ist mit allen gängigen und modernen molekularbiologischen Methoden vertraut und sie gilt als sehr innovativ und zielorientiert, wenn es darum geht, komplexe Probleme anzugehen. Sie ist geradezu ideal, wenn man jemanden sucht, der DNA charakterisieren kann, die ungewöhnlichen Bedingungen ausgesetzt war.“ Fulvio kannte den Inhalt des Ordners in all seinen Einzelheiten.

„Sehr gut mein Bester, sehr gut!“, Paul rieb sich die Hände und schien sichtlich zufrieden, dass man anscheinend eine geeignete Person in so kurzer Zeit finden konnte. Zumal noch in den eigenen Reihen.

„Und wie sieht es mit ihren persönlichen Eigenschaften aus? Ist sie loyal, verschwiegen...?“, wollte er nach einer kurzen Denkpause wissen und blätterte dabei die vor ihm liegenden Dokumente eher planlos durch, als ob dort spontan die Antworten auf all seine Fragen zu finden wären.

„Sie gilt als sehr vertrauenswürdig unter ihren Kollegen und ist seit knapp 10 Jahren eine treue Mitarbeiterin“, Fulvio hob leicht die rechte Augenbraue, bevor er weiterredete, als ob er Paul warnen wollte, „sie gilt aber auch als engagierte Pazifistin und Umweltschützerin. Eine von den Idealistinnen, die immer für das Gute und Wahre in der Welt kämpfen müssen, so eine kleine Ausgabe der Jeanne d´Arc.“

„Das wollen wir doch alle, oder etwa nicht?“, lächelte Paul und lehnte sich in seinem Sitz zurück, „wo sehen Sie da ein Problem?“

„Vielleicht bekommt sie irgendwelche Skrupel oder Vorbehalte, möchte ich mal ganz vorsichtig andeuten, wenn sie mit der Zeit tiefer ins Projekt einsteigt.“

„Ist sie eitel?“, wollte Paul wissen.

„Stark anzunehmen“, erwiderte Fulvio, „sie ist ehrgeizig, zielstrebig, gepflegt und sieht zudem noch sehr gut aus. Solche Personen sind in aller Regel auch eitel.“

„Gut!“, nickte Paul zufrieden, „Menschen dieses Schlags sind manipulierbar und relativ einfach zu führen. Man muss ihnen nur glaubhaft vermitteln, was das Gute, Schöne und Wahre ist.“ Er richtete sich leicht auf und lächelte zufrieden. Das Gefühl, die Geschehnisse bei Bedarf immer unter Kontrolle zu haben, befriedigte ihn zutiefst.

„So wird es wohl sein.“ Fulvio fand es nicht angebracht, zu diesem Zeitpunkt und unter den gegebenen Umständen, mit seinem Vorgesetzten eine Debatte über Führungsqualitäten vom Zaun zu brechen.

„Bei einem Projekt von diesen Ausmaßen kann man wahrscheinlich nie ganz ausschließen, dass sich intelligente Mitarbeiter kritische Gedanken und vielleicht auch Sorgen machen“, Paul atmete einmal kurz durch, um gleich wieder weiterzureden, „wie auch immer, ich möchte sie auf jeden Fall kennenlernen. Organisieren Sie bitte über Laura ein Mittagessen mit ihr, nur diese Antonia und ich. Und Fulvio, keine Sorge, ich werde sie ganz behutsam vorbereiten und sie wird genauso begeistert sein, wie wir beide es sind“, er lächelte Fulvio dabei offen und freundlich an, „und übrigens, wie sieht es mit ihrem zukünftigen Arbeitsplatz aus? Egal, ob diese Antonia nun mitmacht oder nicht“.

„Wir sind im Plan“, antwortete Fulvio, „und so gut wie fertig. Wie von Ihnen gewünscht, haben wir nur das Beste vom Besten eingekauft. Alles was ein modernes molekularbiologisches Labor braucht.“

„Schön“, nickte Paul, „denn wegen der Ausrüstung soll es keine Verzögerungen oder Probleme geben.“

Dann legte er die Dokumente zurück ins Dossier und gab damit seinem Gegenüber zu verstehen, dass die kurze Unterredung bald zu einem Ende kommen sollte.

Während Fulvio sich erhob, sagte Paul noch: „Ich möchte die Papiere gerne noch eine Weile behalten und mir genauer anschauen. Zur Vorbereitung meines Gesprächs mit ihr.“

Danach verabschiedeten sie sich und Fulvio sprach draußen mit Laura wegen eines baldigen Lunchtermins mit Paul und einer gewissen Antonia Hendriks.

 

-3-

 

"Ron, Du wirst nicht glauben, was heute passiert ist", Antonia stürmte mit glühenden Wangen auf die Terrasse und drückte ihrem Mann einen besonders heftigen Begrüßungskuss auf die Stirn. Sie tänzelte auf der Terrasse umher und fuhr sich mit ihren Händen immer wieder durch die Haare.

Ron war leicht erstaunt. Offensichtlich hatte sie heute nicht die Absicht, sich gemütlich umzuziehen und sie schien ausnahmsweise auch nicht so recht zu wissen, wo und wie sie mit ihrem Bericht anfangen sollte. Es musste etwas geschehen sein, was weit aufregender war, als Zellen und DNA aus tiefgefrorenen Säbelzahntigern zu isolieren.

„Lass mich raten!“, feixte Ron, „Du hast die DNA vom Yeti, nein, noch besser, von einem tief gefrorenen Yetiweibchen isoliert.“ Es war ein erfolgloser Versuch, die Anspannung seiner Frau zu mindern.

„Nein! Viel, viel aufregender! Paul F. Losh möchte mit mir essen gehen!“, rief sie schnell und vor Erregung lauter als üblich. Dabei ballte sie ihre Hände zu Fäusten und reckte die Daumen nach oben.

Ron machte grosse Augen: „Doch nicht der Paul F. Losh?!“ Wobei er das ‚der’ extrem in die Länge zog.

„Ja, seine Assistentin hat mich heute angerufen und gefragt, ob es mir kommenden Mittwoch zum Mittagessen passt, noch bevor die Osterfeiertage losgehen. Ich habe natürlich sofort zugesagt. Stell Dir vor, Paul Losh höchstpersönlich“, Antonia schaute Ron an, als ob sie von ihm eine ganz spezielle Reaktion erwartete.

„Jetzt setz Dich erst einmal hin und erzähl ganz langsam, was er von Dir will und um was es eigentlich geht“, versuchte er jetzt mit Bestimmtheit und mit einem Unterton von Strenge Antonia zu beruhigen.

„Mein Gott, ich habe gar nichts anzuziehen!“, Antonia schien nicht gewillt, sich so schnell von ihrer Aufgeregtheit abbringen zu lassen.

Ron packte sie am Arm und drückte sie mit sanfter Gewalt in Richtung Korbstuhl: „Komm, trink einen oder besser gleich zwei Schluck Wein, bevor er noch wärmer wird, nimm von dem Käse und den Oliven und erzähl ganz langsam der Reihe nach.“

Antonia nahm einen kräftigen und schnellen Schluck vom Chardonnay, diesmal aus Monterey, den Ron wie gewohnt, während sie in die Garage fuhr, vorbereitet hat, steckte sich eine Olive in den Mund und fing dann endlich an, mit etwas ruhigerer Stimme zu erzählen.

„Seine persönliche Assistentin, eine gewisse Laura, ich habe den Nachnamen vergessen, ist ja auch egal, hat mich heute morgen im Labor angerufen, ob ich nächste Woche am Mittwoch zum Mittagessen schon einen Termin hätte. Mr. Losh würde sich gerne mit mir treffen und zum Essen einladen. Ich hatte zum Glück keinen Termin und wenn, dann hätte ich ihn verschoben. Ich habe natürlich zugesagt und gefragt, worum es denn geht und ob ich etwas vorbereiten oder mitbringen soll. Aber sie meinte nur, dass er mich kennenlernen und über neue Aufgaben und Herausforderungen im Konzern mit mir sprechen möchte.“

Mit einem weiteren großen Schluck Wein leerte sie fast das ganze Glas und ihr Pulsschlag näherte sich langsam wieder dem Bereich, der dem Alkoholkonsum und nicht mehr alleine der Aufregung entsprach.

„Neue Aufgaben und Herausforderungen“, wiederholte Antonia nicht ohne Stolz und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab, bevor sie sich nachschenkte.

„Was er damit wohl meint?“ Sie schaute Ron an, als ob der sofort mit einer Antwort herausplatzen müsste.

Ron, der bis jetzt noch gar nichts getrunken hatte, blickte sie nur gross an, schüttelte kaum merklich den Kopf und hob leicht die Schultern.

„Vielleicht geht es um die noch immer offene Stelle der Abteilungsleiterin?“, freute sich Antonia leise und gluckste dabei.

Ron wartete eine Sekunde und gab dann zu bedenken, dass sich ein Mann wie Paul Losh, bei aller Wertschätzung und Bedeutung ihrer Arbeit, wohl kaum persönlich darum kümmert, wer in einem seiner Institute Abteilungsleiterin wird oder nicht. So ein ungewöhnliches Vorgehen hätte sich unter den Mitarbeitern sicherlich schnell herumgesprochen.

Antonia hob die Augenbrauen und nickte leicht enttäuscht. Die vakante Stelle der Abteilungsleiterin war eine schon länger gehegte Wunschposition von ihr. Sie beugte sich leicht nach vorne und hielt ihr Glas jetzt mit beiden Händen fest: „Aber was kann es dann sein?“

Ron lehnte sich zurück und versuchte nun die Angelegenheit ganz analytisch, sozusagen von außen und mit Distanz, zu betrachten: „Wir wissen ja noch nicht sehr viel. Ok, Paul Losh möchte Dich also kennenlernen und er hat es offenbar recht eilig damit. - Ich werde jetzt erst einmal nicht eifersüchtig sein“, er lächelte sie mit freundlichen Augen an, „Du machst seit Jahren gute Arbeit auf der gleichen Position und in letzter Zeit gab es, wie ich das so mitbekommen habe, keine bemerkenswerten Ereignisse, außer dem Säbelzahntigerweibchen natürlich.“

Sie grinsten sich beide an und tranken gleichzeitig einen weiteren Schluck.

„War doch irgendetwas Spezielles in letzter Zeit?“, fragte er nach.

„Nein!“, antwortete sie und schüttelte dabei den Kopf so heftig, dass ihr die Haare ins Gesicht flogen, „gar nichts, kein Kongress, keine Veröffentlichung. Es ist auch nichts schiefgegangen. Wir liegen sogar gut im Budget.“

„Hm, geht Paul Losh manchmal mit ausgesuchten, sogenannten normalen Werktätigen aus, um den Kontakt zur Basis aufrecht zu erhalten? So eine Art Public Relation Tour?“, fragte Ron lakonisch.

„Keine Ahnung, bei uns zumindest hat er das noch nicht gemacht. Und dann ginge es ja auch nicht um neue Aufgaben und Herausforderungen“, Antonia betonte dabei deutlich die letzten Worte.

„Ja, Du hast recht. Vielleicht hat er ein neues grosses Projekt, das ihm am Herzen liegt und er braucht jemanden mit Deinen Fähigkeiten. Vielleicht plant er ein noch größeres oder ein ganz neues Institut und sucht qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter für mehr Führungsverantwortung, oberes Management oder so was.“

„Nicht übel, könnte mir gefallen. Aber was habe ich denn für tolle Fähigkeiten, die einen Paul Losh interessieren könnten?“, fragte Antonia provokant und ein wenig auch auf Komplimente bedacht.

„Vielleicht ist er nach seiner letzten Scheidung wieder auf Brautschau?!“, ging Ron auf die Frage nicht ein und blinzelte sie von der Seite schräg an.

„Ganz sicher!“, lachte Antonia laut und trank ihr Glas erneut aus, „Ist noch was da?“, dabei hielt sie mit einer schwungvollen Bewegung die fast leere Flasche hoch.

„Ja, im Kühlschrank. Ein toller Rosé, ganz jung, vom letzten Jahr, aber bitte nur noch ein kleines Gläschen."

„Jawohl, mein Herr und Gebieter!“, gab sie die geräuschvolle und fast militärisch zackige Antwort.

Antonia holte frische Gläser, öffnete die zweite Flasche und schenkte ihnen beiden ein.

„Wenn Du herausfinden möchtest, was er von Dir will, bleibt Dir wohl oder übel nichts Anderes übrig, als mit ihm auszugehen. Wohin soll es denn überhaupt gehen?“

„Weiß ich nicht, aber ich bekomme noch rechtzeitig eine Nachricht mit allen Details, wegen Uhrzeit, Ort, abgeholt werden usw... Und anzuziehen habe ich auch noch nichts. Ich kann doch nicht so vor Paul Losh aufkreuzen.“ Antonia zeigte an ihrem Kleid herunter, als ob sie in einem verschlissenen Aschesack steckte.

„Oje!“, seufzte Ron und fügte schnell hinzu, um quälende Diskussionen zur Garderobe wenigstens am heutigen Abend zu vermeiden, „warte erst einmal in Ruhe ab, wohin es überhaupt gehen soll.“

Antonia, die den Wein jetzt deutlich zu spüren begann, nickte und sah ein, dass die entscheidende Frage der passenden Garderobe erst nach Bekanntgabe der Lokalität getroffen werden konnte.

 

-4-

 

Pünktlich am Mittwoch um 12 Uhr wurde Antonia, wie angekündigt, von Paul Loshs Privatchauffeur von ihrem Institut abgeholt. Der Fahrer trug einen schlichten schwarzen Anzug mit grauer Krawatte und weißem Hemd. Als er Antonia die Tür zur dunkelblauen Limousine aufhielt, nahm er mit der anderen Hand die Schildmütze vom Kopf. Sie fand dieses Auftreten entsetzlich unzeitgemäß, genoss es aber trotzdem.

„Antonia Hendriks, wie ich vermute. Mein Name ist Edward, ich bin der Fahrer von Paul Losh, und habe das Vergnügen, Sie heute zu Mr. Losh zu fahren. Es wird etwa 26 Minuten dauern“, war die für Menschen des ausgehenden 21. Jahrhunderts fast schon grotesk anmutende Begrüßung.

Antonia nickte freundlich und stieg hinten in die Limousine ein: „Danke Edward!“

Die Fahrt verlief ruhig auf dem Highway südwärts an der Küste entlang zu einem renommierten Fischrestaurant in San Diego. Dieses Lokal war weithin bekannt für seine ausgefallenen Spezialitäten und Gäste aus der High Society. Für ihren Geschmack erschien es etwas zu abgehoben für ein Vorstellungsgespräch. Edward saß die ganze Zeit über schweigend hinter dem Lenkrad und hielt die Hände über dem Schoss verschränkt. Sein Blick wanderte in regelmäßigen Abständen und ohne jegliche Hektik über die verschiedenen Displays. Ihr war es nur Recht, dass sie jetzt, nervös und gleichzeitig hoch konzentriert, keine oberflächliche Konversation betreiben musste.

Antonias Wahl war nach einigem hin und her auf ein dezentes, grünes Kostüm gefallen, das sie selten und auch nur zu besonderen Gelegenheiten trug.

Natürlich passten zu diesem Anlass keine ihrer alten Schuhe und sie sah sich genötigt, ein Paar neue kaufen zu müssen. Ron ließ es gerne geschehen und er verzichtete auch auf seine sonst bei solchen Anschaffungen üblichen geistreichen Bemerkungen. Wusste er doch genau, wie wichtig dieser Tag für seine Frau war unddass Widerstände seinerseits nur zu längeren Diskussionen, aber nie zu einer anderen Entscheidung geführt hätten.

 

Unter ihren Kollegen und Mitarbeitern rutschte das geplante Essen mit Paul Losh natürlich auf Platz eins der Gesprächsthemen und speziell während der gemeinsamen Kaffeepausen wurde sie mit vornehmlich witzigen, aber auch ernst gemeinten Vorschlägen und Verhaltensmaßregeln nur so überhäuft. Allgemein nahm man einen größeren Karrieresprung oder einen längeren, wichtigen Auslandsaufenthalt an.

Zu Herzen nahm sich Antonia den Rat ihrer Kollegen, bei Fragen zu ihrer beruflichen Tätigkeit nicht zu sehr ins Detail zu gehen. Es herrschte die allgemeine Auffassung, dass, obwohl niemand aus ihrem Bekanntenkreis persönliche Erfahrungen dieser Art vorweisen konnte, Leiter globaler Konzerne sich nicht für Einzelheiten interessierten, sondern positiv formulierte Aussagen bevorzugten, die weder Entscheidungen verlangten noch zum Nachfragen nötigten. Als sie Ron davon erzählte, meinte dieser nur, dass solch alberne Klischees wahrscheinlich schon von den Bauarbeitern eines Pharaos oder den Beamten eines römischen Kaisers gepflegt wurden. Seiner Meinung nach sollte man auf eine konkrete Frage auch ganz konkret antworten dürfen. Antonia würde schon früh genug erkennen, wenn ihr Gegenüber nicht mehr in der Lage wäre, ihren Ausführungen zu folgen.

 

Vor dem Restaurant angekommen, begleitete sie Edward noch an den Privattisch von Paul F. Losh. Er saß im Freien unter einem grossen Sonnenschirm und durch mehrere Pflanzentröge von den anderen Gästen abgetrennt.

Als er seinen Chauffeur mit Antonia kommen sah, stand er umgehend auf. Diese bemerkte sogleich an seinem Blick und seinem Lächeln, dass ihre Entscheidung für das grüne Kostüm die richtige gewesen ist.

Paul überragte um ungefähr eine Kopflänge Antonia. Er trug einen hellblauen, perfekt maßgeschneiderten Leinenanzug und ein weisses Hemd ohne Krawatte. Mit seinen kurzen weissen Haaren, dem braunen Teint, vom Golfen, wie Antonia richtig vermutete, und dem leichten Bauchansatz wirkte er aus der Nähe eher wie ein gemütlicher und kultivierter Geniesser, als ein Geschäftsmann, der sich in wenigen Jahrzehnten, quasi aus dem Nichts, mit harter Arbeit und auch sehr viel Glück und Ellenbogen, wie man aus den Medien wusste, ein multinationales Imperium aufgebaut hat.

„Sie müssen Antonia sein. Schön, dass es mit dem Termin gleich geklappt hat“, begrüßte er sie und reichte ihr die Hand.

Antonia nickte und antwortete: „Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Losh und Danke für die Einladung.“

Sie hätte umgekehrt nie gewagt, ihn mit Paul anzureden und fand das auch so vollkommen in Ordnung.

Sie setzten sich und Paul bat sie, sich einen Aperitif zu bestellen. Antonia war sich sicher, dass etwas Alkohol höchstens eine beruhigende Wirkung auf sie haben könnte. Beide bestellten sie sich einen trockenen Martini auf Eis.

„Ich hoffe, Sie mögen Fisch?!“, fragte Paul.

„Oh, ich liebe Fisch und hier bereiten sie ihn ganz besonders gut zu, habe ich gehört“, antwortete Antonia freundlich.

„Sehr gut. Ich war so frei und habe bereits eine Platte für zwei mit den Fängen des Tages bestellt“, Paul faltete die Hände vor seinem Teller zusammen und schaute Antonia gerade in die Augen, „Sie fragen sich sicherlich, warum ich Sie sprechen möchte.“

„Ja, das tue ich“, lächelte sie und war froh, dass er ihre wichtigste Frage gleich zu Beginn ansprach.

Paul lächelte ebenso freundlich zurück: „Normalerweise kommt man ja auf das eigentliche Thema erst zum Ende des Hauptgangs oder beim Dessert zu sprechen, aber aus Ihren Personalunterlagen meine ich herauslesen zu können, dass Sie gradlinig und zielorientiert sind und nicht lange um den heißen Brei herumreden."

„Ja, das stimmt in der Tat und für ein langes Vorspiel bin ich wirklich nicht der richtige Typ“, antwortete Antonia und verfluchte sich im selben Moment für diese ihrer Meinung nach vollkommen unpassende Formulierung. Zugleich entspannte es sie aber auch, dass ihr ein Small Talk über ihr Haus, die Familie und die letzten Urlaube erst einmal erspart blieb.

Paul, vom Scheitel bis zur Sohle ein vollkommener Gentleman, überhörte charmant Antonias kleinen Ausrutscher: „Ich will Sie nicht unnötig lange auf die Folter spannen. Wir suchen jemanden wie Sie für ein Projekt, das mir persönlich ganz besonders am Herzen liegt. Jemanden, der unkonventionelle Gewebe- und DNA-Proben analysieren und, wie soll ich sagen, auch handhaben kann.“ Paul machte eine Pause, um Antonia zum Gesagten eine Stellungnahme abgeben zu lassen.

Sie nahm einen kleinen Schluck vom inzwischen servierten Martini bevor sie begann: „Es hat mich immer wieder fasziniert und mit Genugtuung erfüllt, wenn wir“, sie vermied dabei ganz bewusst die Ichform, „die Erbsubstanz eines ausgestorbenen Tieres oder einer Pflanze isolieren konnten und damit die Möglichkeit geschaffen haben, etwas, was es eigentlich nicht mehr gab, wieder lebendig werden zu lassen. Zuletzt gelang uns das mit einem tiefgefrorenen Säbelzahntigerweibchen.“

Paul grinste breit bei den letzten Worten und Antonia fragte sich, ob dieser von ihr auswendig gelernte und oft geprobte Satz schon zu detailliert war oder sich etwas gekünstelt angehört hat. In den letzten beiden Tagen gingen ihr immer wieder Formulierungen und Antworten durch den Kopf, die sie meinte, bei Bedarf gut anbringen zu können.

„Sehr schön!“, lachte Paul, „Säbelzahntiger! Hat man nicht in Los Angeles schon Unmengen von ausgebleichten Knochen dieser Spezies gefunden?“

„Schon“, antwortete Antonia, „aber die Erbsubstanz aus tiefgefrorenem Gewebe überdauert die Zeit viel besser und ist wesentlich einfacher wieder einsetzbar.“

Paul wurde jetzt ernster: „Verstehe. Es ist gut, auf Vergangenes zurückgreifen zu können, aber es ist nicht das erste Ziel des Institutes, in dem Sie arbeiten, diese Kreaturen wieder ins Leben zurückzuholen. Es bei Bedarf tun zu können, reicht erst einmal aus. Ein Eingriff in bestehende Kreisläufe der Natur kann zu chaotischen Zuständen führen. Die Verantwortung gegenüber dem Heute und Jetzt hat für mich immer oberste Priorität!“

Inzwischen wurde die Fischplatte unter anderem mit Stücken vom Ahi Thunfisch, Schwertfisch und Wolfsbarsch aufgetischt. Zu trinken gab es stilles Mineralwasser und einen trockenen Chablis des Jahrgangs 2083.

Antonia nickte zustimmend: „Als Biologin versuche ich immer ganzheitlich zu denken. Ab einer gewissen Komplexität, und unsere Umwelt ist extrem komplex, möchte ich vor jedem Eingriff warnen und Schäden sind dann oft nicht mehr reparabel. Auf der anderen Seite dürfen wir aber auch nicht die Möglichkeiten übersehen, die Vielfalt der Natur zu erhalten und zu nutzen.“ Und nach einer kurzen Pause konnte sie nicht umhin, das Essen zu loben: „Phantastisch! Einfach Phantastisch! Ich kann mich nicht erinnern, jemals so guten Ahi gegessen zu haben. Dieser Hauch von Ingwer und Chili dazu passt ganz einfach großartig!“

Paul war es zufrieden. Er wischte sich mit der Serviette kurz den Mund ab, nahm einen Schluck vom Wein, um dann das Gespräch wiederaufzunehmen: „Ja, in der Tat immer wieder superb der Fisch hier! - Auch, wenn ich auf Ihrem Gebiet ein vollkommener Laie bin, haben wir wahrscheinlich ähnliche Interessen und sind von den gleichen Fragen beseelt und getrieben. Auch ich möchte, natürlich unter kontrollierten Bedingungen, in der Lage sein, Barrieren und Schranken zu überwinden und Geschehenes wieder ungeschehen machen oder umgekehrt. Haben Sie vielleicht schon einmal von Experimenten gehört, die es einem erlauben könnten, Materie in der Zeit zu bewegen?“

Antonia schüttelte entschuldigend den Kopf und bevor sie etwas sagen konnte, fuhr er auch schon wieder fort: „Ich vermute, nicht. Es ist streng vertraulich und wir stehen erst am Anfang. Seit einiger Zeit unterhalte ich ein kleines aber sehr exquisites physikalisches Grundlagenlabor, dem zu diesem Thema, wie ich finde, geradezu sensationelle Erfolge gelungen sind. Ausser einer Handvoll Spezialisten hat von diesen Experimenten noch niemand groß Notiz nehmen können. In den letzten Monaten haben wir“, und dieses ‚wir’ hatte eine etwas andere Betonung als das ‚wir’ von Antonia von vorhin, „enorme Fortschritte gemacht und wir konnten mehrfach kleinere Zeitsprünge reproduzieren.“

„Das hört sich ein bisschen nach Science-Fiction an“, flocht Antonia mit einem Unterton ein, der besagen wollte, 'und was habe ich als Molekularbiologin mit dieser physikalischen Grundlagenforschung zu tun?'

Paul schien den Ball aufzunehmen: „Wir sind jetzt soweit, die ersten Zellen, Bakterien und niederen Organismen in unserem Labor unter ganz speziellen und aufwendigen Bedingungen solchen kleinen Zeitsprüngen auszusetzen. Kurz gesagt, wir suchen jemanden, der diese biologischen Proben vor und nach diesen Experimenten kompetent untersuchen kann. Die Fragen, die sich dabei stellen, lauten zum Beispiel, ob und wenn ja, welchen Schaden sie dabei genommen haben und wie man diese Proben, wie soll ich sagen, verpacken oder schützen müsste, damit sie nicht kaputtgehen. Wir brauchen nämlich sehr hohe Energiefelder für diese Versuche.“

„Aha! - Ja, das hört sich durchaus machbar an. Eigentlich besteht daraus meine tägliche Arbeit“, mehr kam aus der verdutzten Antonia im Augenblick nicht heraus und um ihre Verwunderung möglichst zu verbergen, nahm sie einen weiteren kleinen Schluck vom Chablis.

„Antonia, ich bin mir sicher, dass Sie das fachlich nicht überfordern wird, aber ich will nur die Besten auf diesem Projekt haben, damit auch der kleinste Fehler ausgeschlossen werden kann. Wenn alles klappt, wie wir uns das erhoffen, werden wir für uns am Ende den Physik-Nobelpreis kaum vermeiden können“, schmunzelte Paul und gönnte sich einen größeren Schluck Wasser.

In Antonias Kopf hallten die Worte ‚nicht überfordern‘ und ‚Nobelpreis‘ wieder. Im Augenblick konnte sie nur nicken und ein kurzes: „Verstehe!“, von sich geben.

Das Vorurteil, dass sich mächtige Konzernleiter nicht für Details interessierten, schien sich nicht zu bewahrheiten. Vielleicht hatte Ron doch Recht gehabt mit seinen Vermutungen.

In diesem Augenblick kam es ihr vor, als ob das Schicksal anklopfte und ihr die Möglichkeit bot, unsterblichen Ruhm zu erlangen. ‚Bleib jetzt ganz ruhig und reiß Deine Augen nicht zu weit auf‘, zwang sie sich innerlich.

Antonia war jetzt auch alles andere als enttäuscht, dass es nicht um die Stellung der Abteilungsleiterin im Institut ging. So wie es aussah, brauchte Paul lediglich eine Mikrobiologin, die bestimmte Zellproben aus seinem Lieblingsprojekt untersuchte. Das sollte Routine für sie sein, aber jetzt in einem neuen und höchst spannenden und vielversprechenden Umfeld.

Paul wechselte nach ein paar stillen Bissen Fisch das Thema und sie plauderten dann doch noch über Familie, Beruf, Reisen und dererlei Themen, die für einen unverbindlichen Small Talk geeignet waren. Antonia empfand es jetzt als angenehm, die Gedanken nach Möglichkeit sacken zu lassen und sich höflich über Nebensächlichkeiten auszutauschen.

Im Hintergrund arbeitete es in ihr aber unentwegt weiter. ‚Wenn ich mich bei dem Projekt nicht zu dumm anstelle und bei Paul einen guten Eindruck hinterlasse, dann wird das auch was mit einem nächsten Job. Und an den möglichen Nobelpreis will ich jetzt gar nicht denken…‘, ließen sich diese Art von Gedanken kaum unterdrücken.

Erst beim abschließenden Espresso fing Paul, als eine kleine Pause in ihrer Unterhaltung entstand, mit dem eigentlichen Thema wieder an.

„Antonia, ich mache Ihnen jetzt folgendes Angebot. Sie werden für circa ein halbes Jahr oder etwas länger von Ihrer jetzigen Stelle beurlaubt. Danach können Sie weiterhin beim Projekt bleiben, wieder zurückkehren oder mir sagen, wozu Sie sonst Lust hätten. Wir werden dann für Sie sicherlich etwas Passendes in ihrem alten Institut oder an einer anderen Stelle in meinem Konzern finden. Ich kann mir vorstellen, dass Sie die richtige für dieses Projekt sind und gut in unser kleines Team passen werden. Als Dankeschön und Aufwandsentschädigung möchte ich Ihr Gehalt für diese Zeit um 20 Prozent anheben lassen.“

Antonia gab sich grosse Mühe, nicht zu überrascht zu wirken. Blitzschnell schoss es ihr durch den Kopf: ‚Die Arbeit kann ich wahrscheinlich mit Leichtigkeit erledigen. Danach sollte noch ein guter neuer Job herausspringen. Ich würde eng mit jemandem wie Paul F. Losh zusammenarbeiten und 20 Prozent mehr Gehalt sind auch nicht zu verachten. Was habe ich eigentlich zu verlieren?!’

Paul sah, wie es in Antonia arbeitete und er hob leicht die linke Hand von der Serviette, als ob er etwas abwehren wollte: „Sie müssen sich nicht gleich entscheiden. Schlafen Sie erst einmal darüber, reden Sie mit Ihrem Mann und Ihrer Tochter und lassen Sie mich dann Anfang nächster Woche, nach den Feiertagen, wissen, wie Sie Sich entschieden haben.“

Er reichte Antonia noch seine Visitenkarte: „Bitte verlieren Sie die nicht. Ich möchte nicht für alle Welt dauernd erreichbar sein. Die Nummern darauf sind vertraulich und nur einer Handvoll Menschen bekannt.“

Antonia, sichtlich dankbar für diesen Vertrauensbeweis, nickte und steckte nach kurzem Überfliegen die Karte mit dem noch zu scannenden Code sofort in ihre Handtasche.

„Danke für das ausgesprochen interessante Angebot und ich kann Ihnen versichern, dass Sie bald von mir hören werden, Mr. Losh.“

„Ich würde mich freuen, Sie in unserem Team begrüßen zu dürfen.“

Das Gespräch neigte sich jetzt seinem Ende entgegen. Nach einer herzlichen Verabschiedung fuhr Pauls Chauffeur, der die Zeit über im Inneren des Restaurants gewartet hatte, Antonia wieder zurück in ihr Institut.

Auf dem Weg hinauf in ihr Labor und zu ihren Kollegen reifte in ihr die Gewissheit, dass sie hier im nächsten halben Jahr nicht mehr sehr oft ein- und ausgehen würde. Die Lust auf ein Abenteuer ohne großes Risiko, aber immensen Chancen, begann sich in ihr zu verfestigen. Sie genoss das Gefühl, während dieses Essens die Möglichkeit erhalten zu haben, vielleicht eine andere Welt kennenzulernen.

Plötzlich wunderte sie sich, warum ihr früher nie aufgefallen war, wie dunkel, eng und an einigen Stellen heruntergekommen dieses Institut eigentlich ist. Ihre Entscheidung, zu gehen, fiel in diesen Augenblicken und die Neugier auf etwas Neues machte sie geradezu euphorisch.

 

-5-

 

Nach dem Essen ließ sich Paul von seinem zweiten Fahrer umgehend zu Fulvio in das Institut fahren, in dem die Experimente zu den Zeitsprüngen stattfanden. Einerseits wollte er ihm von dem Treffen mit Antonia berichten und sich andererseits über die Ergebnisse der letzten Tests informieren. Fulvios Nachricht vom gestrigen Abend deutete an, dass man einen größeren Durchbruch erzielt hat und er sich das unbedingt persönlich anschauen müsste.

Das Labor, so nannte es der kleine Kreis der dort Beschäftigten, lag etwa eine knappe dreiviertel Stunde Fahrt auf dem Highway östlich von San Diego in Richtung Pine Valley. Die Fahrt führte in hügeliges und unbewohntes Gebiet mit einer Unzahl an Solaranlagen und Windrädern auf den Kuppen und Kämmen. An einem unscheinbaren Wegweiser, der zu irgendeiner nicht näher benannten Forschungseinrichtung führte und Unbefugten die Weiterfahrt untersagte, bog man rechts von der Hauptstrasse ab und fuhr noch einmal knappe 10 Minuten auf einer staubigen Schotter- und Sandpiste durch eine triste Einöde. Eiheimische oder gar Touristen hatten sich bis hierher so gut wie noch nie verirrt und wenn doch, dann waren sie nach ein paar Minuten wieder zurück zum Highway umgekehrt. Die Gegend sah zu trostlos und verlassen aus, als dass sie zum Weiterfahren eingeladen hätte.

Hinter einem kleinen Hügel in einer Senke erreichte man schließlich das Ziel, das im Wesentlichen aus nichts Anderem bestand als einem einstöckigen flachen Betonbunker ohne Fenster, aber mit zwei massiven Stahltüren. Die grössere der beiden an der Stirnseite diente als offizieller Eingang, während die etwas kleinere zweite an der rechten Seitenwand ganz augenscheinlich nur selten oder gar nicht benutz wurde.

Auffälliger und weit überraschender in dieser Gegend aber war der rund drei Meter hohe Zaun, der mit Stacheldraht abschloss und das etwa zwei Fußballfelder grosse Areal umgab.

Am Eingangstor mit heruntergelassener Schranke erwarteten in einer kleinen Holzbaracke zwei bewaffnete und uniformierte Sicherheitsposten die Besucher. An der Beschriftung der beiden Jeeps, die hinter dem Häuschen parkten, konnte man erkennen, dass es sich um die Mitarbeiter eines privaten Securityunternehmens handelte.

Versetzt hinter dem zentral gelegenen Laborgebäude, in dessen Schatten noch drei Mittelklassewagen standen, befanden sich zwei graue rechteckige Betontürme von vier beziehungsweise fünf Meter Höhe. Alle drei Gebäude waren miteinander über ihre Dächer mit Hochspannungskabeln verbunden.

Seine beiden Fahrer waren in letzter Zeit häufiger mit ihm hier gewesen und nach einer kurzen Routinekontrolle durften sie passieren und auf das Areal fahren. Paul betrat den grauen Betonklotz durch den Haupteingang, wie immer ohne seinen Chauffeur, der draußen im Wagen sitzen blieb. Nur mit Hilfe einer Magnetstreifenkarte und eines mehrstelligen Geheimcodes ließ sich der Mechanismus für die rund eine Tonne schwere Eingangstüre in Bewegung setzen. Im Inneren leuchtete es durch mehrere an der Decke angebrachte Neonröhren unangenehm hell und eine leise surrende Klimaanlage ließ einem einen kurzen Kälteschauer über den Rücken laufen. Der schmucklose Raum diente lediglich dazu, die in den Untergeschossen liegenden Bereiche von der Außenwelt abzuschirmen. Paul ging mit schnellen Schritten quer durch den kahlen und niedrigen Raum direkt zum Fahrstuhl und fuhr in die dritte von insgesamt fünf unterirdischen Etagen.

Unten angekommen, sah er Fulvio in angeregter Diskussion mit zwei Männern in weißen Kitteln. Als die drei Paul bemerkten, unterbrachen sie umgehend ihre Unterhaltung und die beiden in den Labormänteln verschwanden nach einem kurzen Nicken zur Begrüßung in einen hinteren Bereich und widmeten sich an mehreren Bildschirmen und Tastaturen sogleich der Arbeit, die sie für einen kurzen Moment der Unterredung mit Fulvio unterbrochen hatten.