Die Kater-Brown-Krimis - Ralph Sander - E-Book

Die Kater-Brown-Krimis E-Book

Ralph Sander

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Beschreibung

Drei Kriminalfälle für den schlauen Kater in einem Band!

"Kater Brown und die tote Weinkönigin":
Mitten in ihrer Rede bricht Weinkönigin Monika I. bei einem Weinfest im badischen Irthingen tot zusammen. Alles deutet auf einen tragischen aber natürlichen Tod hin. Doch Alexandra kommt an den Umständen von Monikas Tod einiges merkwürdig vor. Gemeinsam mit Kater Brown und ihrem Kollegen Tobias fängt sie an, sich umzuhören - und stößt auf eine jahrzehntelange Fehde zwischen zwei benachbarten Weindörfern und einen geheimnisvollne Freund, dessen Namen Monika niemandem verraten wollte ...

"Kater Brown und die Kämpfer des Ostens":
Die Reisejournalistin Alexandra Berger will über ein Japan-Fest auf Schloss Duckrath bei Düsseldorf berichten. Höhepunkt ist ein Turnier berühmter japanischer Sumokämpfer, die im Rahmen ihrer Welttournee dort Station machen. Doch dann wird einer von ihnen im Trainingsraum tot aufgefunden. Diagnose: Herzversagen durch übermäßige Fettleibigkeit. Oder steckt doch mehr dahinter?

"Kater Brown und das Testament der Madame Maupu":
Diesmal sind der Kater mit dem besonderen Riecher für Schurken und Verbrechen und die Journalistin Alexandra in Belgien unterwegs. Doch statt auf einem Pralinenfestival landen die beiden auf dem Rittergut der jüngst verstorbenen Madame Maupu. Fälschlicherweise für Erben gehalten, geraten sie in die Testamentseröffnung - und dadurch direkt in ihren nächsten Fall! Denn Madame hinterlässt ihren Erben auf den ersten Blick nur wertloses Zeug. Doch der Schein trügt und es gibt jemanden, der das auch ganz genau weiß...

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Impressum

beTHRILLED Originalausgabe »be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG Copyright ©2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde eBook-Erstellung: readbox publishing GmbH, Dortmund ISBN: 978-3-7325-8120-7

Ralph Sander

Die Kater-Brown-Krimis

Über diese eBox

Ralph SanderKater Brown und die tote WeinköniginEin neuer Fall für Kater Brown und Alexandra Berger. Mitten in ihrer Rede bricht Weinkönigin Monika I. bei einem Weinfest im badischen Irthingen tot zusammen. Alles deutet auf einen tragischen Tod aufgrund eines angeborenen Herzfehlers hin. Doch Alexandra Berger, die gerade eine Reisereportage über die beschauliche Weingegend schreiben will, kommt an den Umständen von Monikas Tod einiges merkwürdig vor. Gemeinsam mit Kater Brown und ihrem Kollegen Tobias, die ihr auch schon bei der Aufklärung der Klostermorde in der Eifel tatkräftig geholfen haben, fängt sie an, sich umzuhören. Bei seinen Nachforschungen stößt das Trio auf eine jahrzehntelange Fehde zwischen zwei benachbarten Weindörfern, jede Menge Lügen, Intrigen und Vorurteile. Und wer ist der geheimnisvolle Freund, dessen Namen Monika nicht verraten wollte? DIE SERIE: Kater Brown, der Kater mit der Spürnase, merkt schnell, wenn etwas faul ist - aber die Menschen verstehen seine Hinweise einfach nicht! Bis auf Alexandra Berger. Seit sie gemeinsam ihren ersten Mordfall gelöst haben, weicht Kater Brown der Reisejournalistin nicht mehr von der Seite. Und zusammen können sie Morde aufklären, die auf den ersten Blick gar nicht nach einem Verbrechen aussehen ... Nach dem erfolgreichen Start mit "Kater Brown und die Klostermorde" gibt es jetzt weitere Kurzkrimis mit dem cleveren Kater!Jetzt lesen
Kater Brown und die Kämpfer des OstensKater Brown steigt in den Ring Die Reisejournalistin Alexandra Berger will über ein Japan-Fest auf Schloss Duckrath bei Düsseldorf berichten. Höhepunkt ist ein Turnier berühmter japanischer Sumokämpfer, die im Rahmen ihrer Welttournee dort Station machen. Doch noch bevor die ersten Kämpfer in den Ring steigen, wird einer von ihnen im Trainingsraum tot aufgefunden. Diagnose: Herzversagen durch übermäßige Fettleibigkeit. Oder steckt doch mehr dahinter? Dank Kater Brown finden Alexandra und ihr Kollege Tobias, der als Sportreporter ebenfalls über den Kampf berichten wollte, deutliche Hinweise auf ein Verbrechen. Bei ihren Nachforschungen geraten sie in ein fatales Netz aus Zurückweisung, Gier und Ehrgefühl. DIE SERIE: Kater Brown, der Kater mit der Spürnase, merkt schnell, wenn etwas faul ist - aber die Menschen verstehen seine Hinweise einfach nicht! Bis auf Alexandra Berger. Seit sie gemeinsam ihren ersten Mordfall aufgeklärt haben, weicht der Kater der Reisejournalistin nicht mehr von der Seite. Und gemeinsam können die beiden Morde aufklären, die auf den ersten Blick gar nicht nach einem Verbrechen aussehen. Nach dem erfolgreichen Start mit "Kater Brown und die Klostermorde" gibt es jetzt weitere Katzenkrimis um Kater Brown!Jetzt lesen
Kater Brown und das Testament der Madame MaupuFolge 4: In ihrem neuen Fall sind der Kater mit dem besonderen Riecher für Schurken und Verbrechen und die Journalistin Alexandra in Belgien unterwegs. Doch statt auf einem Pralinenfestival landen die beiden auf dem Rittergut der jüngst verstorbenen Madame Maupu. Fälschlicherweise für Erben gehalten, geraten sie in die Testamentseröffnung - und dadurch direkt in ihren nächsten Fall! Denn Madame hinterlässt ihren Erben auf den ersten Blick nur wertloses Zeug. Doch der Schein trügt und es gibt jemanden, der das auch ganz genau weiß... Die Serie: Kater Brown, der Kater mit der Spürnase, merkt schnell, wenn etwas faul ist - aber die Menschen verstehen seine Hinweise einfach nicht! Bis auf Alexandra Berger. Seit sie gemeinsam ihren ersten Mordfall aufgeklärt haben, weicht der Kater der Reisejournalistin nicht mehr von der Seite. Für Alexandras Reportagen vom schönen Landleben kommen sie viel herum - und stellen fest, dass das Verbrechen auch in der größten Idylle zu Hause ist. Humorvoll und spannend erzählt entlarvt das Ermittlerduo scheinbar harmlose Todesfälle und macht sich auf die Suche nach dem Mörder.Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Kater Brown – Die Serie

Über diese Folge

Die Hauptfiguren

Über den Autor

Titel

Impressum

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

Epilog

In der nächsten Folge

Kater Brown – Die Serie

Kater Brown, der Kater mit der Spürnase, merkt schnell, wenn etwas faul ist – aber die Menschen verstehen seine Hinweise einfach nicht! Bis auf Alexandra Berger. Seit sie gemeinsam ihren ersten Mordfall gelöst haben, weicht Kater Brown der Reisejournalistin nicht mehr von der Seite. Und zusammen können sie Morde aufklären, die auf den ersten Blick gar nicht nach einem Verbrechen aussehen.

Über diese Folge

Ein neuer Fall für Kater Brown und Alexandra Berger!

Mitten in ihrer Rede bricht Weinkönigin Monika I. bei einem Weinfest im badischen Irthingen tot zusammen. Alles deutet auf einen tragischen Tod aufgrund eines angeborenen Herzfehlers hin. Doch Alexandra Berger, die gerade eine Reisereportage über die beschauliche Weingegend schreiben will, kommt an den Umständen von Monikas Tod einiges merkwürdig vor.

Gemeinsam mit Kater Brown und ihrem Kollegen Tobias, die ihr auch schon bei der Aufklärung der Klostermorde in der Eifel tatkräftig geholfen haben, fängt sie an, sich umzuhören. Bei seinen Nachforschungen stößt das Trio auf eine jahrzehntelange Fehde zwischen zwei benachbarten Weindörfern, jede Menge Lügen, Intrigen und Vorurteile. Und wer ist der geheimnisvolle Freund, dessen Namen Monika nicht verraten wollte?

Die Hauptfiguren

Kater Brown erinnert mit seinem schwarzen Fell und dem weißen Fleck am Hals an einen Geistlichen – daher, in Anlehnung an Pater Brown, der Name. Er hat einen „siebten Sinn“, wenn es um Verbrechen geht und nimmt mit seiner Spürnase Dinge wahr, die den Menschen entgehen. Seit den Klostermorden in der Eifel hat er entschieden, bei Alexandra zu leben und weicht ihr nicht mehr von der Seite.

Alexandra Berger ist Reisejournalistin und berichtet gerne aus entlegenen, landschaftlich dafür umso schöneren Gegenden. Seit ihrem ersten Mordfall in einem Kloster findet sie großen Gefallen am Ermitteln und am Lösen von Kriminalfällen. Mit ihrer Neugier bringt sie sich allerdings auch öfter mal in Gefahr…

Tobias Rombach ist ein Kollege von Alexandra und stets bereit, sie als Hobby-Detektiv zu unterstützen. Er hat eine Schwäche für Alexandra, aber auch immer eine flapsige Bemerkung auf Lager – und bekommt deshalb regelmäßig einen Korb. Doch Tobias gibt nicht so schnell auf und ist sich ziemlich sicher, dass seine Gefühle irgendwann erwidert werden.

Über den Autor

Ralph Sander arbeitet seit vielen Jahren als Übersetzer und Autor. Unter diversen Pseudonymen sind von ihm etliche erfolgreiche Krimis erschienen. Nachdem er bereits eine Reihe von fiktiven samtpfotigen Helden für seine Krimis erschaffen hat, entstand mit Kater Brown zum ersten Mal eine Figur nach einem realen Vorbild: dem Sanderschen Familienkater Paulchen Panther.

Ralph Sander

Kater Brown und die tote Weinkönigin

Kurzkrimi

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Arno Hoven

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung von Motiven © shutterstock/Pagina, © shutterstock/Artspace, © shutterstock/red rose, © shutterstock/vso

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-1556-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

Kater Brown musste nicht lange warten, bis er die Gestalt entdeckte, deren Ankunft er gespürt hatte. Gut, dass die Frau, die ihm Futter gab und ihn streichelte, seine Aufforderung verstanden hatte, das Fenster zu öffnen und ihn nach draußen zu lassen. Er hatte etwas Böses wahrgenommen, etwas, das Verderben brachte, und er wollte wissen, wer oder was es war. Er kannte diese unangenehme, bedrohliche Wahrnehmung, denn er hatte sie schon einmal in seinem alten Zuhause gespürt. Damals hatte er anschließend Blut und Tod gerochen, und er wollte wissen, ob es diesmal wieder so sein würde.

Die Gestalt war ein Mensch. Was auch sonst? Nur von ihnen ging dieses Unheilvolle aus, nie von seinesgleichen oder von diesen anderen Wesen, die von den Menschen als Hunde bezeichnet wurden. Der Mensch, der sich jetzt dem Haus näherte, war in der Dunkelheit unterwegs und hielt in einer Hand eines von diesen seltsamen kleinen Dingen, die so hell wie Sonnenstrahlen, jedoch nicht so angenehm warm wie diese waren.

Kater Brown saß ganz ruhig da und wartete. Als der Mensch nur noch ein Dutzend Katzenlängen von ihm entfernt war, bog er in die Richtung ab, die von Kater Brown wegführte. Er erhob sich und folgte dem Menschen, der um ein Haus herumging und dann auf ein anderes Gebäude zuhielt. An einem Fenster blieb der Mensch stehen und hantierte mit irgendetwas. Dann ging das Fenster auf, und er kletterte hindurch. Als er ins Innere des Hauses stieg, folgte ihm der Geruch des Bösen, aber Kater Brown bemerkte bei ihm noch die Duftspur einer anderen Regung. Er wusste nicht, was sie bei Menschen zu bedeuten hatte, aber er selbst empfand so, wenn er die Frau, die ihm Futter gab und ihn streichelte, mit beharrlichen Kommandos endlich dazu gebracht hatte, seinen leeren Napf aufzufüllen.

Nach drinnen folgen konnte Kater Brown ihm nicht, da der Mensch das Fenster hinter sich zudrückte. Er wartete, bis der Mensch wieder auftauchte und das Fenster öffnete, um nach draußen zu klettern. Kater Brown wollte sich drinnen umsehen, ob er herausfinden konnte, was der Mensch da gemacht hatte.

Mit einem energischen Laut, der dem Menschen klarmachen sollte, dass er noch warten musste, sprang Kater Brown auf den Fenstersims – gerade in dem Moment, als der Mann sich dort mit einer Hand aufstützte. Er gab irgendwelche Geräusche von sich, die Kater Brown bekannt vorkamen. Sie klangen so ähnlich wie das, was die Frau, die ihm Futter gab und ihn streichelte, verlauten ließ, wenn er etwas von ihrem Essen zu probieren versuchte.

Im nächsten Augenblick kam eine Faust herangeschossen, die genau auf seinen Kopf zielte und die ziemlich schnell war, jedenfalls für einen Menschen. „Ziemlich schnell“ hieß für Kater Brown aber noch lange nicht „zu schnell“. Eine kurze Bewegung zu einer Seite genügte, und der Mensch verfehlte sein Ziel.

Kater Brown ließ jedoch niemanden nach ihm schlagen, ohne dass er sich wehrte, weshalb er noch im selben Augenblick alle Krallen seiner Vorderpfoten ausfuhr und sie in den menschlichen Arm bohrte, als der an ihm vorbeisauste. Der Mensch gab einen Schmerzenslaut von sich; doch die Krallen waren lediglich der Auftakt zu Kater Browns Gegenattacke. Nur einen Sekundenbruchteil später bohrte er seine Eckzähne in das weiche Fleisch des Arms und riss den Kopf nach hinten. Er roch Blut, und er schmeckte Blut, während er die seltsam gedämpften Schmerzensschreie des Menschen hörte, der durch seinen eigenen Schwung und die unerwarteten Verletzungen den Halt verlor und durch das Fenster nach draußen geschleudert wurde.

Kater Brown verkrallte und verbiss sich in den Arm, solange er konnte, aber als er bemerkte, dass der Mensch sich auf dem Boden um sich selbst drehen und ihn unter sich begraben würde, ließ er sein Opfer blitzschnell los und eilte in großen Sprüngen davon. In sicherer Entfernung blieb er stehen und sah sich um. Der Mensch hatte sich inzwischen aufgerappelt und gab ächzende Laute von sich, während er das Fenster wieder zumachte, durch das er geklettert war. Danach lief er in Richtung des freien Felds davon, über das er hergekommen war.

Kater Brown kannte ähnliche Schmerzenslaute von der Frau, die ihm Futter gab und ihn streichelte. Sie hatte sie zuletzt von sich gegeben, nachdem sie von einem Ding gefallen war, das wohl Leiter hieß. Es war von ihr vor das hohe Regal gestellt worden, auf dem er es sich bequem gemacht hatte, aber er hatte nicht ganz verstanden, warum sie zu ihm hatte hochkommen wollen...

Er hob nun den Kopf und schnupperte in der Luft. Der widerliche Hauch des Bösen war zusammen mit dem Menschen verschwunden, dessen Blut an seinem Fell klebte. Der andere Geruch war immer noch da – der von Tod und Verderben. Er kam aus dem Fenster, durch das der Mensch gestiegen war. Was sich im Innern des Hauses befand, wusste Kater Brown nicht. Aber das war auch nicht wichtig. Er würde es sicher bald in Erfahrung bringen.

Sehr bald sogar.

1. Kapitel

„Und der kleine Kerl hat einen Mörder überführt?“, staunte Stephanie und beugte sich vor, um den Kater am Hals zu streicheln, der auf dem Holztisch saß und es sichtlich genoss, im Mittelpunkt zu stehen.

Bevor Alexandra darauf antwortete, warf sie noch einmal einen Blick auf die malerische Landschaft, die sich unterhalb der Terrasse talwärts erstreckte. Tief unten schlängelte sich ein schmaler Fluss, den manche auch als Bach bezeichnet hätten. Die Berghänge der einen Talhälfte, die bei schönem Wetter fast den ganzen Tag Sonne abbekam, waren mit Tausenden von Reben bestanden. Jedes Fleckchen wurde genutzt, um noch ein paar Trauben mehr ernten zu können. Die andere Talseite war in zweifacher Hinsicht benachteiligt, da sie von der Sonne nicht annähernd so verwöhnt wurde und der steilere und größtenteils felsige Untergrund Weinanbau gar nicht erst möglich machte. Der Fluss wurde von Wohnhäusern gesäumt, in einiger Entfernung war ein Campingplatz zu erkennen. Alles in allem hätte Alexandra es kaum idyllischer und friedlicher antreffen können als hier – mitten in einer oft übersehenen Landschaft, die nur ein Stück abseits der badischen Weinstraße lag. Die Region war wie geschaffen, um sie in ihrer Zeitschrift Land & Wein näher vorzustellen, aber auch sie selbst war nur durch Zufall auf diesen Landstrich gestoßen, weil ihre alte Schulfreundin Stephanie inzwischen hier lebte. Allerdings hatte Alexandra unwissentlich einen Termin gewählt, der genau mit dem jährlichen Weinfest in Irthingen zusammenfiel. Der Trubel hielt sich in diesem Moment zwar in Grenzen, aber sie hätte mit größerer Hingabe und Überzeugung die himmlische Ruhe beschreiben können, wenn die auch tatsächlich geherrscht hätte.

„Oh ja, er hat tatsächlich einen Mordfall gelöst“, bestätigte Alexandra schließlich, wandte den Blick von der malerischen Landschaft ab und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. Sie blinzelte in die Sonne, die an diesem Junitag für angenehme Temperaturen sorgte. „Und als ich mich von ihm verabschieden wollte, war er spurlos verschwunden. Ich war wirklich traurig, als er nicht auftauchte … bis ich zu Hause ankam und feststellen durfte, dass er sich hinter dem Rücksitz versteckt und während der Fahrt tief und fest geschlafen hatte.“

„Wie hat er das denn angestellt?“, wollte Stephanie wissen. „Das mit dem Mörder, meine ich. Er kann ja schließlich nicht reden. Und wo war das überhaupt?“

„In einem ehemaligen Kloster in der Eifel, das man aus Geldnot in ein Hotel umfunktioniert hat.“ Alexandra winkte ab. „Die Details muss ich dir ein anderes Mal erzählen. Da ist so viel passiert, da könnte ich einen ganzen Roman drüber schreiben.“ Sie dachte einen Moment lang nach. „Was vielleicht gar keine so schlechte Idee wäre. Na, egal, auf jeden Fall war Kater Brown der große Held, und seitdem weicht er nicht mehr von meiner Seite.“

„Kater Brown“, wiederholte Stephanie und musterte ihn. Der Kater reckte nun genießerisch den Kopf hoch, weil sie begonnen hatte, ihn am Kinn zu kraulen. „Hast du ihm den Namen gegeben?“

„Nein, das waren die Mönche. Aber ich glaube, bei einem Kater, der unter Geistlichen lebt, drängt sich dieser Name förmlich auf – neben ‚Don Camillo‘„, sagte Alexandra und musste lachen.

„Stimmt. So ganz in Schwarz und mit diesem weißen Kragen – er sieht ja selbst wie ein Geistlicher aus“, meinte ihre Freundin und stutzte. „Schneeweiß ist das Fell am Hals aber nicht. Das wirkt … irgendwie rosafarben.“

„Eigentlich ist das Rosa ausgewaschenes Rot“, erklärte Alexandra. „Als ich mich gestern Abend hier im Gästezimmer schlafen gelegt habe, da hat er ein schreckliches Theater veranstaltet, weil er unbedingt noch mal aus dem Haus wollte. Ich habe ihm das Fenster aufgemacht, er ist raus, und vielleicht eine halbe Stunde später ist er wieder zurückgekommen. Ich habe ihn auf den Arm genommen und zu spät bemerkt, dass sein Fell mit Blut verschmiert war. Das meiste davon hatte ich da schon an meinem T-Shirt, den Rest habe ich mit einem nassen Lappen abgewischt. Aber aus dem weißen Halsfell ist das Blut nicht komplett rausgegangen.“

„Blut? Hatte er sich verletzt?“, fragte Stephanie besorgt, während Kater Brown anfing zu schnurren und mit jeder Bewegung ihrer Finger lauter wurde.

Dabei führte er in Sachen Lautstärke allerdings einen aussichtslosen Kampf gegen die Schlagermusik, die aus den aufgestellten Boxen plärrte. Doch die Besucher des Weinfests schienen sich daran nicht zu stören. Sie drängten sich an den Ständen, an denen Wein oder Spezialitäten von Bäckern und Metzgern der Region verkauft wurden. Sogar ein Stand mit rein veganen Gerichten wurde von zahlreichen Besuchern belagert. Und anscheinend hatten alle seit Tagen nichts mehr gegessen – der Geschwindigkeit nach zu schließen, mit der das verspeist wurde, was man ihnen auf Papptabletts oder Plastiktellern servierte.

„Das hatte ich auch befürchtet, aber zum Glück ist mit ihm alles in Ordnung.“ Alexandra verzog den Mund. „Er hat sich wahrscheinlich auf ein Kaninchen oder eine große Ratte gestürzt. Ich habe keine Ahnung, wie viel Blut bei so was fließt, doch an seinem Fell klebte eine ganze Menge.“ Sie beugte sich vor und tätschelte den Rücken des inzwischen ziemlich schief dasitzenden Katers, der sich immer stärker gegen Stephanies Finger drückte. „Es tut mir zwar um das andere Tier leid, weil mein kleiner Fellträger hier genug Selbstgekochtes und Tatar bekommt, aber ich bin froh, dass ich hier nicht auch noch zum Tierarzt fahren muss.“

„Ah, da kommt der Bürgermeister“, sagte ihre Freundin und deutete mit einer Kopfbewegung auf einen kleinen, rundlichen Mann mit rotem Gesicht, der ein unvorteilhaftes Toupet trug. Er bahnte sich seinen Weg durch die Reihen der Besucher, die zum jährlichen Weinfest auf Gut Philipps zusammengekommen waren. Dabei schüttelte er jede Hand, die ihm hingehalten wurde, nickte nach links und rechts und sprach mit dem einen oder anderen ein paar Worte.

„Ist bei euch bald Bürgermeisterwahl?“, fragte Alexandra beim Anblick von so viel Bürgernähe.

Stephanie grinste sie an. „Ist das so offensichtlich?“

„So offensichtlich, dass er auch ein Plakat mit der Aufschrift ‚Bin auf Stimmenfang‘ mit sich herumtragen könnte.“

Der Mann war ein paar Schritte von Alexandra entfernt, als sein Blick auf sie fiel. Sein Lächeln wurde sogleich noch strahlender. „Sie müssen Alexandra Berger sein“, sagte er und kam zielstrebig auf sie zu, um ihr die Hand zu geben. „Von der Zeitschrift … warten Sie … Land & Wein, richtig? Ich bin Werner Wiedemann, Bürgermeister hier im malerischen Irthingen. Ich bin schon auf Ihren Artikel gespannt. Ich hoffe, Sie haben nichts als Lob für uns übrig.“

„Herr Wiedemann, es freut mich, Sie kennenzulernen“, sagte Alexandra, die ein wenig irritiert darüber war, dass er ihre Hand nicht losließ. „Ich werde sicherlich viel Gutes über Irthingen und dieses Weinfest berichten. Wir wollen unseren Lesern schließlich den Mund wässrig machen, dorthin zu fahren, wo der Wein herkommt.“

„Das weiß ich zu schätzen, Frau Berger.“ Noch immer hielt er ihre Hand fest. „Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass Sie noch viel schöner sind als auf dem Foto, das Ihre Redaktion ins Internet gestellt hat.“

Sie schüttelte amüsiert den Kopf und sagte so leise, dass nur Wiedemann sie hören konnte: „Ich bin hier nicht wahlberechtigt.“

„Das macht nichts“, erwiderte er. „Es macht sich immer gut, wenn der Bürgermeister mit einer schönen Frau an seiner Seite gesehen wird – und noch besser, wenn dann ein Foto von beiden geschossen und veröffentlicht wird.“ Er zwinkerte ihr zu und ergänzte verschwörerisch: „Außer natürlich, es handelt sich um eine leicht bekleidete Dame. Das kann dann zu Problemen führen.“

Als Antwort darauf begnügte sich Alexandra mit einem kühlen, höflichen Lächeln, da sie nicht wusste, was sie von dieser letzten Bemerkung halten sollte. Jedenfalls zog sie ihre Hand mit einem kleinen Ruck aus seinem Griff. „Politiker und Tiere machen sich auch immer gut“, sagte sie anschließend und ging zur Seite, damit der Bürgermeister Kater Brown sehen konnte. „Darf ich vorstellen? Kater Brown, mein Begleiter.“

Kater Brown saß wieder kerzengerade auf dem Tisch und ließ sich von dem Trubel um ihn herum nicht beeindrucken. Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen verengt und sah ein wenig schläfrig aus, sodass es wirkte, als würde ihn das Weinfest einfach nur langweilen, was vermutlich sogar der Fall war.

„Oh, was für ein schöner Kater!“, rief Wiedemann, blieb aber auf Abstand. „Leider reagiere ich sehr allergisch auf Tierhaare, von Hunden über Katzen bis hin zu Kaninchen und Hamstern. Ein Niesanfall ist das Mindeste, und den kann ich mir momentan nicht erlauben. Schließlich muss ich gleich die Eröffnungsansprache halten.“ Nach einer kurzen Pause fügte er an: „Aber bevor ich hier weggehe, werde ich es wagen, ihn zu streicheln. Sofern er damit einverstanden ist.“

„Kater Brown ist lammfromm“, versicherte Alexandra ihm. „Er beißt und kratzt nur Schurken.“

Wiedemann musste lachen. „Na, dann werde ich ja bald wissen, ob wir Politiker wenigstens von den Katzen noch für anständige Leute gehalten werden.“ Er zwinkerte Alexandra ein weiteres Mal zu und ging weiter.

Sie sah Stephanie an. „Ein Politiker mit einem Schuss Selbstironie?“, fragte sie erstaunt. „Den würde ich ja fast noch wählen.“

Während Wiedemann sich auf die Bühne begab und mit seiner Rede begann, kam eine junge Frau in einem Trachtenkleid zu ihnen, die in einer Hand ein Weinglas und in der anderen einen Unterteller mit einem kleinen Krapfen hielt, der in Puderzucker gewälzt worden war. Ihre blonden Haare waren zu einem Kranz geflochten, der wie eine kleine Krone auf ihrem Kopf lag. Sie trug ein silbernes Diadem, dem man etwas zu deutlich ansehen konnte, dass es nicht annähernd so wertvoll war, wie es erscheinen sollte. Das hübsche, schmale Gesicht der Frau wies ein wenig zu viel Rouge auf, so als wollte sie eine unnatürliche Blässe kaschieren.

„Moni, da bist du ja!“, rief Stephanie und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz gleich neben ihr. „Dann kann ich dir schon mal Alexandra vorstellen.“ Sie deutete auf ihr Gegenüber. „Alexandra Berger, Monika Philipps. Und damit das klar ist: Ihr seid sofort per Du. Ich habe nämlich keine Lust auf eine von diesen Unterhaltungen, bei denen sich parallel geduzt und gesiezt wird.“

„Von mir aus gern“, sagte Alexandra und hielt Monika die Hand hin. Stephanies Freundin stellte ihr volles Weinglas ab und begrüßte Alexandra.

„Ich glaube, ich habe Sie … dich gestern Abend bei der Weinprobe gesehen“, erwiderte Monika. „Kann das sein?“

„Ja, richtig“, bestätigte Alexandra. „Aber dich habe ich nicht gesehen, wenn ich mich nicht irre.“

„Ich bin nur mal kurz durch den Raum gehuscht und habe mich früh schlafen gelegt.“ Sie sah Stephanie an. „Ich bin immer noch durch den Wind – wegen dieses verdammten Telefonats vor ein paar Tagen.“

„Oh“, Stephanie sah auf einmal besorgt aus. „Dein geheimnisvoller Liebhaber?“

Monika nickte.

„Und? Was war los?“, erkundigte sich Stephanie und ergänzte leise: „Falls du darüber reden willst.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Er fing wieder mit der gleichen Geschichte an, dass er sich in seiner Position keinen Skandal leisten kann.“

„Also will er seine Frau jetzt doch nicht verlassen?“

„Er sagt, das wäre jetzt der falsche Zeitpunkt. So etwas würde ihm eher schaden als nutzen.“

„Mit anderen Worten: Er vertröstet dich weiter.“

Monika seufzte frustriert. „Ganz genau. Und daraufhin habe ich ihm die Pistole auf die Brust gesetzt.“

Stephanie riss erschrocken die Augen auf. „Sag jetzt nicht, du hast ihm wirklich diese Lüge aufgetischt …“

Monika sah betreten zu Boden. „Ich wollte doch nur seine Reaktion sehen.“

„Du kannst doch einen Mann nicht zu einer Reaktion provozieren, indem du ihm erzählst, dass du schwanger bist, wenn das gar nicht stimmt“, schimpfte Stephanie leise. „Stell dir vor, er verlässt daraufhin tatsächlich seine Frau, und dann erfährt er, dass du gar kein Kind von ihm erwartest.“ Sie schüttelte verärgert den Kopf. „Und? Hast du wenigstens die Antwort bekommen, die du hören wolltest?“

Monika zuckte mit den Schultern. „Nein, zumindest bislang noch nicht. Er hat gesagt, wir unterhalten uns später, und dann hat er aufgelegt, ohne sich zu verabschieden. Heute ist schon der vierte Tag, an dem ich nichts von ihm gehört habe. Kein Anruf, keine SMS, gar nichts.“ Sie sah zur Bühne; inzwischen war der Bürgermeister fast fertig mit seinem Vortrag. Widerwillig nahm sie ihr Glas hoch und stand auf. „Wir können ja nachher weitersprechen, ich muss jetzt da hoch.“

In diesem Moment schloss Wiedemann seine Rede mit den Worten ab: „Und jetzt überlasse ich die Bühne unserer reizenden Weinkönigin, Monika I. von Irthingen.“

Monika betrat die kleine Bühne, die mit Girlanden und Fahnen geschmückt war, und schritt zum Mikrofon, während der Bürgermeister wortlos an ihr vorbeiging.

Beiläufig bekam Alexandra mit, wie Wiedemann von zwei Männern in dunklen Anzügen zu einer wartenden Limousine geführt wurde. Er stieg rasch ein, und dann fuhr der Wagen weg. Alexandra konnte sich ein ironisches Grinsen nicht verkneifen.

„Was ist?“, wollte Stephanie wissen.

„Der Bürgermeister hat ja recht schnell das Weite gesucht. Offenbar hat er mit seiner kurzen Rede seine Pflicht hier erfüllt“, antwortete sie leise und fragte sich einen Moment lang, ob Wiedemann womöglich der prominente Geliebte war, dessen Namen Monika nicht verraten wollte. Irgendwie hätte es zu seiner Bemerkung über schöne Frauen an seiner Seite gepasst.

Monika I. trug ihre Ansprache in einer Mundart vor, von der Alexandra allenfalls die Hälfte verstand; und selbst bei diesen Satzfetzen war sie sich nicht sicher, ob die Wörter, die sie heraushörte, überhaupt das bedeuteten, was sie vermutete.

„Ich dachte, Badisch wäre einfacher zu verstehen“, sagte sie leise zu Stephanie.

Ihre Freundin winkte ab. „Was du kennst, ist Badisch für Touristen. Hier in der Region klingt das alles ganz anders, und obendrein sind die Unterschiede ziemlich groß: Schon drei Dörfer weiter wird vieles von dem, was Monika da redet, anders als bei uns ausgesprochen.“

Alexandra nickte. „Das ist wohl bei jedem Dialekt so. In der Nähe dieses Klosters in der Eifel, das ich vorhin erwähnt habe, waren wir in einer Kneipe. Da hätte ich auch einen Dolmetscher gebraucht, um mitzubekommen, was die Einheimischen eigentlich sagten.“

„Du warst mit deinem Kater in einer Kneipe?“, gab Stephanie grinsend zurück und fuhr sich mit einer Hand durch ihre rotblonde Kurzhaarfrisur. „Ich dachte, einen Kater bekommt man immer erst nach dem Kneipenbesuch.“

Mit einer Faust boxte Alexandra ihrer Freundin leicht gegen den Oberarm. „Ich war natürlich nicht mit Kater Brown in der Kneipe, sondern mit Tobias.“

„Und wer ist Tobias?“

„Ein … Kollege von mir“, antwortete sie und hoffte, dass Stephanie das minimale Zögern nicht bemerkt hatte. „Er arbeitet für ein anderes Magazin aus demselben Verlag und war zufällig auch da, um über das Klosterhotel zu berichten. Nachdem der erste Tote entdeckt worden war, haben wir –“

„Langsam, langsam, meine liebe Alex“, unterbrach ihre Freundin sie. „Von mir aus kannst du jetzt noch eine Stunde lang weiterreden, ohne zwischendurch Luft zu holen, aber du wirst mich trotzdem nicht vom Wichtigsten ablenken können.“

Also war ihr das Zögern aufgefallen. Verdammt! „Ablenken? Wovon sollte ich dich ablenken?“

„Alex, ich lebe zwar inzwischen seit fünf Jahren hier, und ich sehe dich jetzt nach fünf Jahren zum ersten Mal wieder, aber ich habe deswegen nichts von dem vergessen, was ich über dich weiß. Und du hast vor dem ‚Kollege‘ zu lange gezögert. Also, was läuft da zwischen euch? Händchen halten. Knutschen. Wilder Sex?“

„Ach, Blödsinn, da läuft nichts“, widersprach sie nachdrücklich.

„Aber es wäre nicht verkehrt, wenn was laufen würde, richtig?“

Alexandra schüttelte den Kopf und atmete seufzend aus. „Ehrlich gesagt, weiß ich das selbst nicht so genau. Eigentlich finde ich ihn ja ganz nett; doch wenn er mit seinen Machosprüchen ankommt, denke ich, was soll ich mit so jemandem anfangen.“

„Also magst du ihn.“

„Habe ich ein Wort davon gesagt, dass ich ihn mag?“, entgegnete sie verwundert.

„Du magst ihn, weil seine Machosprüche für dich erst an zweiter Stelle stehen“, erklärte Stephanie mit fröhlicher Genugtuung, so als hätte sie ein großes Geheimnis entschlüsselt. „Du findest ihn hauptsächlich nett, und danach erst kommen die Sprüche. Wenn du ihn wegen seiner Sprüche nicht ausstehen könntest, würdest du gar nicht erwähnen, dass er nett ist. Dann wäre er nämlich nicht nett. Er ist so was wie dein Traumauto zu einem Schnäppchenpreis, das bloß quietschgrün lackiert ist.“

Alexandra sah ihre Freundin einen Moment lang einfach nur an, dann sagte sie: „Ich hatte doch tatsächlich deine Vorliebe für unglaublich hinkende Vergleiche total vergessen.“ Sie verdrehte die Augen. „Tobias ist also ein quietschgrünes Traumauto aus der Grabbelkiste.“

„Beim Grabbeln seid ihr noch nicht“, betonte Stephanie grinsend und aus ihren grünen Augen blitzte der Schalk.

„Dann eben vom Restetisch“, erwiderte Alexandra.

„Hm, das wird er bestimmt nicht gern hören“, meinte ihre Freundin.

„Das mit dem quietschgrünen Auto aber auch nicht.“ Alexandra bemerkte, wie Kater Brown sich plötzlich erhob, über den langen Tisch spazierte und sich am anderen Ende wieder hinsetzte, von wo aus er freie Sicht auf die nur ein paar Meter entfernte Bühne hatte. Sein Blick war stur auf Monika I. gerichtet, die immer noch ihre Ansprache hielt und mittlerweile so klang, als würde sie ein Gedicht vortragen. Aber das mochte auch nur eine Täuschung sein, weil so viele Wörter ähnlich endeten, zumindest empfand Alexandra das so. Auf jeden Fall musste es zumeist etwas Lustiges sein, was Monika erzählte, denn die Zuhörer lachten in unregelmäßigen Abständen – mal herzerfrischend, so wie bei einem wirklich guten Witz, mal verhalten und höflich, so als hätte man einen Kalauer mit langem Bart gehört

„Du lachst aber nicht viel“, flüsterte sie Stephanie ins Ohr. „Wenn dir das Weinfest nicht mehr gefällt, brauchst du nicht meinetwegen zu bleiben.“

„Keine Sorge, ich bin nicht wegen des Festes, sondern wegen dir und Monika hier“, erwiderte sie. „Moni ist in Irthingen meine älteste Freundin, und ich will ihr auch in schlechten Zeiten beistehen.“

„In schlechten Zeiten?“, wiederholte Alexandra. „Was für schlechte Zeiten? Sie ist doch die Weinkönigin. Ich dachte, so was ist eine Ehre.“

„Sie ist jetzt schon zum vierten Mal in Folge die Weinkönigin, weil sie die jüngste Tochter der Philipps ist und weil sie immer noch keinen Mann hat. Ihre beiden älteren Schwestern sind längst verheiratet und leben in den Nachbardörfern, darum trifft es jedes Jahr Monika. Die Philipps sind hier in Irthingen ein wichtiger Arbeitgeber, deshalb möchte niemand gegen Monika antreten und am Ende auch noch siegen.“

„Also muss Monika ran, die von dem Ganzen am liebsten nichts wissen würde. Verstehe ich das richtig?“

„Fast. Sie arbeitet auf dem Weingut in der Verwaltung, das macht ihr Spaß. Sie ist der geborene Büromensch, kann gut mit Zahlen umgehen; da komme ich bei Weitem nicht mit. Am liebsten möchte sie irgendwann den Betrieb übernehmen, wenn man sie lässt“, erklärte Stephanie. „Was sie aber nicht ausstehen kann, das sind diese uralten Traditionen. Die würde sie lieber heute als morgen abschaffen. Aber das weiß außer mir niemand.“

„Ist das nicht ein Widerspruch?“ Alexandra zog die Augenbrauen zusammen. „Gerade die Traditionen gehören doch dazu. Das ist das, was die Leute hier lebendig halten wollen, und das wollen die Leser meiner Zeitschrift auch in meinem Artikel lesen. Wenn ich da reinschriebe, dass man doch die Traditionen bitte auf den Müll werfen möge, würde mir mein Redakteur was erzählen.“

„Nein, nein, so krass meint sie das nicht. Sie möchte nur, dass man nicht immer an den Traditionen festhält, sondern auch hin und wieder mal Dinge erneuert, um mit der Zeit zu gehen. Trotzdem weiß sie genau, was von ihr erwartet wird, und kommt dem klaglos nach – sonst würde sie ja im Moment nicht zum vierten Mal da oben stehen und die immer gleiche Ansprache halten.“ Nach einer kurzen Pause ergänzte Stephanie: „Du musst gleich mal darauf achten, wenn sie den Wein trinkt. Das ist eine wirklich sehr herbe Sorte, die mich mehr an einen etwas milderen Essig als an einen Wein erinnert. Aber wenn du Monika siehst … Ach, lass dich einfach überraschen.“

Während die, wie Alexandra vermutete, Lobrede auf den Wein und die Gegend ihrem Ende entgegenging, ließ sie ihren Blick über die Menge schweifen und machte mit ihrem Smartphone ein paar Fotos von den Besuchern. Es mussten ein paar Hundert Menschen sein, die hier zusammengekommen waren. Einige davon trugen Trachtenkleidung – bei ihnen handelte es sich offensichtlich um Einheimische –; die meisten jedoch hatten Freizeit-Outfits an. Und dann gab es noch jene Ortsansässigen, die auf traditionelle Kleidung verzichteten, oder Feriengäste, die kein Faible für Outdoor-Kleidung hatten. Nach den Kennzeichen der Autos auf dem überfüllten Kundenparkplatz neben dem Weingut zu urteilen, mussten die meisten Anwesenden Touristen sein, die eine weite Anreise auf sich genommen hatten, um an diesem Weinfest teilzunehmen.

„… und damit erhebe ich mein Glas auf Sie alle und auf ein gutes Gelingen unseres Weinfests. Zum Wohl!“, verkündete Monika I., hob ihr Glas und begann zu trinken.

Alexandra entging nicht, dass die junge Frau keine Miene verzog, obwohl der Wein doch so herb sein sollte. Man hätte meinen können, dass sie Limonade trank. Anschließend biss Monika von dem Krapfen ab, den sie vorher mit auf die Bühne genommen hatte, was dann doch – vielleicht aber auch nur für Eingeweihte – so wirkte, als wollte sie den herben Geschmack des Weins neutralisieren.

Stephanie stieß sie an. „Siehst du?“

„Ich glaube schon. Ich nehme an, es geht …“

Weiter sprach Alexandra nicht, denn sie sah, wie Monika I. auf einmal die Augen weit aufriss und den Mund aufmachte, als wollte sie etwas rufen. Dann legte sie eine Hand auf ihre Brust, und die andere ließ das Weinglas los, das auf die Bühne fiel und zerbrach. Alle starrten Monika I. verwirrt an, die zwei, drei Momente lang nur regungslos dastand. Plötzlich ließ sie die Hand sinken, verdrehte die Augen und neigte den Kopf leicht nach hinten. Noch ehe jemand zu ihr eilen konnte, um sie festzuhalten, kippte sie nach vorn und stürzte von der Bühne. Ein entsetzter Aufschrei ging durch die Menge, die nach vorn drängte.

Alexandra drehte sich zu Stephanie um, die erschrocken murmelte: „Was … was war denn das?“

„Ist ein Arzt im Publikum?“, rief jemand aufgeregt. „Wir brauchen einen Arzt! Schnell!“

Eine hektische Stimmung kam auf, und erst jetzt bemerkte Alexandra, dass Kater Brown den Kopf umgedreht hatte und sie über die Schulter ansah.

So, als wollte er ihr mitteilen: „Na, hab ich das nicht gleich gesagt? Wo wir zusammen auftauchen, gibt’s Ärger.“

2. Kapitel

Die Sanitäter waren zur Seite getreten, als der Leichenwagen eingetroffen war, um die Tote abzuholen. Stephanie saß auf einer Bank nahe der Bühne und starrte mit verweinten Augen und leerem Blick vor sich hin. Kater Brown hatte es sich auf ihrem Schoß bequem gemacht, als wüsste er genau, dass sie Trost brauchen konnte. Alexandra hatte bis vor ein paar Augenblicken bei ihr gesessen und sie an sich gedrückt. Aber ihre Neugier ließ ihr keine Ruhe, und so war sie aufgestanden, um nach dem Arzt zu suchen, der sich um Monika gekümmert hatte, gleich nachdem sie von der Bühne gestürzt war.

Alexandra entdeckte ihn nach kurzer Zeit, da sich die meisten Besucher des Weinfestes bereits auf den Heimweg gemacht hatten – viele sicherlich aus Rücksicht auf die Tote und ihre Familie und auch wegen der Worte des älteren Mannes, der den Abbruch der Festlichkeiten erklärt hatte. Andere hingegen waren erst gegangen, als die Angestellten des Guts aus einem Schuppen mehrere alte Plakatwände geholt und damit den Bereich vor der Bühne abgesperrt hatten. Kaum hatte es nichts mehr zu sehen gegeben, waren die Gaffer abgezogen. Kurz nachdem Ruhe eingekehrt war, hatte man den Sichtschutz wieder weggebracht.

Alexandra sah, wie der Sarg in den Leichenwagen geschoben wurde. Sie wartete ab, bis der Arzt seine Unterhaltung mit dem Fahrer beendete, dann ging sie zu ihm.

„Dr. Kurowski?“, sagte sie und hielt ihm die Hand hin.

„Ja. Und Sie sind …?“, erwiderte er mit einem leicht misstrauischen Unterton.

„Alexandra Berger. Ich bin eine Freundin von Frau Delange.“ Sie deutete auf Stephanie. „Sie war mit der Verstorbenen eng befreundet und steht noch ein wenig unter Schock.“

Der Arzt nickte. „Ich kenne Frau Delange. Und Sie – leben Sie auch hier in der Gegend?“

„Ich? Nein, nein, ich bin nur zu Besuch hier“, erklärte sie. „Ich komme aus Düsseldorf und schreibe für ein Landmagazin.“

Kurowski musterte sie einen Moment lang. „Und was kann ich für Sie tun?“

„Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie etwas zur Todesursache sagen können.“

„Auf den ersten Blick sieht alles nach plötzlichem Herzstillstand aus“, antwortete er.

„Herzstillstand? Die Weinkönigin war doch erst … Anfang zwanzig“, wunderte sich Alexandra.

„Na ja, vielleicht ein nicht entdeckter Herzfehler“, mutmaßte der Arzt und strich sich eine graue Haarsträhne aus dem Gesicht. „Es sind ja schon Fußballprofis mit neunzehn Jahren tot umgefallen, bei denen anschließend genau diese Diagnose als Todesursache ausgemacht wurde.“

Alexandra nickte verstehend. „Ich dachte, sie wäre vielleicht bei Ihnen in Behandlung gewesen und …“ Sie verstummte, als Kurowski ein leises, zynisches Lachen von sich gab. „Habe ich gerade irgendwas Verkehrtes gesagt?“

Kurowski schüttelte den Kopf. „Nein. Sie haben vielmehr etwas sehr Trauriges gesagt. Und den Beweis geliefert, dass Sie nicht …“

Weiter kam er nicht, da ein Mann um die dreißig auf sie beide zukam, drohend den Zeigefinger hob und in einem anklagenden Tonfall schrie: „Dr. Kurowski, wenn wir auch nur den geringsten Hinweis darauf finden, dass Sie bei den Erste-Hilfe-Maßnahmen was falsch gemacht haben, dann sehen wir uns vor Gericht wieder. Und dann werden wir dafür sorgen, dass Sie niemals wieder praktizieren.“ Ehe der Arzt etwas erwidern konnte, machte der Mann auf dem Absatz kehrt und stapfte davon.

„Wer war denn das?“, fragte Alexandra.

„Der ältere Bruder der Toten. Walter Philipps.“ Der Arzt atmete tief durch und fügte hinzu: „Und ein weiterer Beweis dafür, dass Sie nicht auf deren Seite stehen.“

„Auf wessen Seite?“

„Auf der Seite der Philipps.“

Sie hob abwehrend die Hände. „Ich stehe hier auf gar keiner Seite. Ich wollte mich nur erkundigen, was Sie feststellen konnten, um es meiner Freundin Stephanie zu sagen. Weiter nichts.“ Sie ließ eine kurze Pause folgen. „Würden Sie mir bitte verraten, was das alles zu bedeuten hat?“

Kurowski seufzte und deutete auf die Bank vor dem Tisch, an dem Stephanie saß. „Setzen wir uns doch.“

Die beiden gingen dorthin, und der Arzt begrüßte kurz Alexandras Freundin. Kaum hatten die zwei Platz genommen, stand Kater Brown auf, um den Tisch zu überqueren und sich vor dem Arzt hinzusetzen, damit er ihn beschnuppern konnte. Mit einem amüsierten Lächeln ließ Kurowski diese Inspektion über sich ergehen, bis der Kater schließlich zufrieden war und seinen Kopf an Kurowskis Stirn rieb, wobei er ihm fast die Brille von der Nase riss.

„Freut mich, dich kennenzulernen“, sagte er zu Kater Brown. „Du darfst mich gern Klaus nennen.“

„Das wird er zwar vermutlich nicht machen, aber für alle Fälle sollen Sie wissen, dass das Kater Brown ist“, stellte Alexandra ihn vor. „Den kriminalistischen Spürsinn hat er mit seinem Namensvetter gemeinsam.“

„Tatsächlich? Tja, den wird er hier womöglich noch zum Einsatz bringen können.“

Bei dieser Bemerkung wurde Stephanie ebenso hellhörig wie Alexandra. „Soll das heißen, dass Monika … dass sie jemand umgebracht hat?“

Der Arzt machte eine beschwichtigende Geste. „Das habe ich damit nicht zum Ausdruck bringen wollen. Es sieht nach einem Herzstillstand aus, mehr weiß ich derzeit nicht. Wir haben alle gesehen, dass sie von niemandem erschossen oder erstochen worden ist. Aber es bleibt noch eine mögliche Todesursache, die bislang nicht ausgeschlossen werden kann – nämlich Gift.“

„Gift?“, wiederholte Alexandra ratlos. „Warum sollte sie jemand vergiften? Und wie?“

„Mit dem Wein“, warf Stephanie ein. „Aber das kann eigentlich nicht sein.“

Kurowski räusperte sich. „Tun Sie mir einen Gefallen, und erwähnen Sie das bitte nirgendwo. Es wird sicherlich bald schon genug spekuliert, da muss sich nicht auch noch das herumsprechen, was ich gerade gesagt habe oder auch nur möglicherweise angedeutet habe.“

„Ich hatte nicht vor, irgendwelche Spekulationen anzuheizen“, versicherte Alexandra ihm. „Aber wieso wird bald schon genug spekuliert?“

„Frau Delange, Ihre Freundin weiß nichts von der Fehde?“

Stephanie schüttelte den Kopf. „Dieses Thema habe ich noch nicht angesprochen.“

„Was denn für eine Fehde?“

„Ich müsste weit ausholen, wenn ich das alles in allen Einzelheiten erzählen wollte“, begann der Arzt. „Außerdem gibt es natürlich zwei Versionen der Geschichte. Im Kern geht es darum, dass die Buddingers aus Sendingen die Philipps hier aus Irthingen um ihr Vermögen gebracht haben sollen: Das behaupten jedenfalls die Philipps. Die Buddingers unterstellen ihrerseits den Philipps, sie hätten sie um ihr Vermögen betrogen. Beide Familien haben ein Weingut, und in früheren Zeiten hat es zwischen ihnen keinen Konkurrenzkampf gegeben. Doch das änderte sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Es kann auch kurz danach gewesen sein; auf jeden Fall wurde erst vor Kurzem der siebzigste Jahrestag dieses Dauerstreits ‚gefeiert‘.“

„Ich habe noch nie Glückwunschkarten zum Jubiläum einer Fehde gesehen“, merkte Alexandra ironisch an.

„Es waren eigentlich mehr mahnende Worte des Pastors, als er in den Ruhestand gegangen ist“, stellte Kurowski klar und streichelte beiläufig Kater Brown, der sich vor ihm auf den Tisch gelegt hatte. „Aber die sind natürlich auf taube Ohren gestoßen.“

Alexandra machte eine nachdenkliche Miene. „Eine Fehde, die sich jetzt schon über drei Generationen erstreckt … das ist übel. Aber ein Mord? Gab es denn vorher auch schon seltsame Todesfälle?“

„Nicht in der Zeit, in der ich hier praktiziere. Was davor war, weiß ich nicht.“

„Denkbar wäre es trotzdem“, meinte Stephanie schniefend und tupfte wieder ein paar Tränen weg. „Dieser Streit wird mit ziemlich harten Bandagen ausgetragen. Immer wieder erhält die Polizei anonyme Mitteilungen, dass mal die Philipps, mal die Buddingers angeblich Giftstoffe im Abwasser entsorgen. Oder man hetzt sich gegenseitig den Zoll auf den Hals, indem behauptet wird, es würden Schwarzarbeiter beschäftigt. Bei den Buddingers ist mal eine Scheune in Flammen aufgegangen, und wenig später hat hier ein Traktor gebrannt. Vor vielen Jahren haben die Philipps ihre Reben mit einem ganz leichten Mittel gegen Schädlinge besprüht, und kurz darauf hat sich herausgestellt, dass sich in den Kanistern ein Entlaubungsmittel befunden hat.“ Sie hob hilflos die Hände. „Das geht unentwegt hin und her. Monika hatte mir vor einiger Zeit gesagt, dass die Polizei und das Ordnungsamt und alle möglichen anderen Stellen inzwischen fast gar nicht mehr reagieren, wenn es wieder heißt, die Philipps haben dies und die Buddingers haben jenes gemacht.“

„Wobei auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass versucht wird, selbst verschuldete Unfälle als Anschläge der Gegenseite hinzustellen“, argwöhnte der Arzt. „Hauptsache, man kann dem anderen schaden oder ihn in Verruf bringen.“

„Hm. Da wundert mich nur, dass die beiden Weingüter sich nicht längst gegenseitig in den Ruin getrieben haben“, meinte Alexandra. „Das ist doch oft der Fall, wenn sich zwei Seiten so stark streiten, dass sie darüber alles andere vergessen.“

„Sollte man meinen. Aber aus irgendeinem Grund hat es beide Seiten förmlich beflügelt, den anderen übertreffen zu wollen.“

„Aber warum ein Mord?“, fragte Alexandra. „Wer würde denn von so etwas profitieren? Die Sympathien sind doch dann eigentlich fast zwangsläufig auf der Seite des Opfers und seiner Familie.“

„Das schon“, stimmte Stephanie ihr zu. „Nur hat die Familie nichts von dem Mitgefühl der Menschen, wenn der Mord ihr einen solchen Schlag versetzt, dass sie sich von dem Verlust nicht mehr erholt.“

Alexandra nickte nachdenklich. „Ja, ich verstehe, was du meinst. Für die Buddingers wäre das ja sicher ein Feiertag, wenn die Philipps an dieser Tat zerbrechen.“ Sie sah wieder den Arzt an. „Aber wieso war dieser … Walter Philipps vorhin so unfreundlich zu Ihnen? Sie sind doch kein Buddinger.“

„Sehen Sie, Frau Berger“, antwortete er, „als ich Anfang der Neunzigerjahre aus Stuttgart hierher zog, um meine Landarztpraxis zu eröffnen, da wusste ich nichts von dieser Fehde. Ich hatte mir drei Dörfer ausgesucht, von denen ich glaubte, dass jedes von ihnen ein guter Standort für meine Praxis wäre, da es hier in der Region hervorragende Busverbindungen gibt. Dummerweise war Sendingen mein persönlicher Favorit, und ich konnte mich mit dem dortigen Vermieter auch sehr schnell einigen.“

„Dummerweise?“

„Ja, dummerweise. Ich erfuhr erst später von einem Sprichwort, das hier in der Gegend kursiert: ‚Wer Freunde in Sendingen hat, der hat keine Freunde in Irthingen.‘ Das gilt übrigens auch umgekehrt.“ Während der Arzt sprach, widmete er sich eine Zeit lang Kater Brown, der sich laut schnurrend auf dem Tisch hin und her drehte, während der Arzt ihm den Bauch kraulte. „Nach einer Weile fiel mir auf, dass so gut wie keiner von meinen Patienten aus Irthingen war und dass ich von dort eigentlich nur bei Notfällen angerufen wurde, und dann normalerweise bloß vom Rettungsdienst, aber nicht von Patienten oder ihren Angehörigen. Die meldeten Notfälle lediglich bei der Feuerwehr, anstatt sofort mit mir Kontakt aufzunehmen.“

„Wie albern!“, murmelte Alexandra. „So was kann doch Menschenleben kosten.“

„Natürlich“, bestätigte er. „Das ist lebensgefährlicher Leichtsinn. Es gibt zwar gesetzliche Vorgaben, wie schnell ein Rettungswagen beim Patienten sein muss, aber ich könnte innerhalb von Minuten an Ort und Stelle sein. Na ja, das war auch der Grund, weshalb ich schließlich die Praxis nach Niederrimser verlegt habe. Von den Philipps lässt sich zwar noch immer keiner bei mir blicken, aber wenigstens sehen mich die anderen Bewohner von Irthingen nicht mehr ganz so schief an und kommen zu mir in die Sprechstunde, wenn sie krank sind.“

Alexandra drückte den Rücken durch und streckte sich, da sie die ganze Zeit über schief dagesessen hatte. „Das sind ja interessante Verhältnisse hier“, kommentierte sie und sah ihre Freundin an.

„Das hättest du alles noch erfahren“, sagte die und zuckte mit den Schultern. „Die Gelegenheit dazu hätte sich schon noch ergeben.“

„Weiß ich doch. Ich denke gerade über etwas ganz anderes nach. Die Fehde wäre also ein mögliches Motiv für einen Mord“, überlegte Alexandra laut. „Und eine Gelegenheit, unbemerkt etwas in das Weinglas zu mischen, dürfte es bestimmt auch gegeben haben.“

„Das glaube ich eher nicht“, wandte Stephanie ein. „Monika hat … hatte da so eine Art Ritual. Na ja, sie hat es allen anderen als Ritual verkauft, aber der eigentliche Grund war ein ganz anderer, wie sie mir mal anvertraut hat. Sie hat erzählt, dass sie stets eine Flasche Wein für die Eröffnung des Weinfests aussucht und am Abend zuvor mit auf ihr Zimmer nimmt. Am nächsten Morgen bringt sie die Flasche in die Küche und wartet, bis alle gegangen sind. Dann schließt sie die Tür ab, damit sie niemand stört und niemand etwas davon sehen kann.“

„Wovon soll niemand etwas sehen?“, wollte der Arzt wissen.

„Ich … ich hatte ihr versprochen, es niemandem zu sagen“, entgegnete Stephanie betrübt.

„Da hat sie ja auch noch nicht geahnt, dass ihr dieses Geheimnis mal zum Verhängnis werden könnte“, argumentierte Alexandra. „Wenn du was Wichtiges weißt …“

„Okay“, willigte sie ein. „Also, es ist so, dass Monika vor Wein am liebsten davongelaufen wäre. Sie ertrug den Geschmack einfach nicht; nicht mal dann, wenn es sich angeblich um einen lieblichen Wein handelte. Für sie schmeckte alles nur herb und säuerlich … „

„Und dann musste ausgerechnet sie vor allen Leuten auf der Bühne stehen und ein Glas Wein trinken?“, warf der Arzt ein.

„Ich bin noch nicht fertig mit der Geschichte“, sagte Stephanie. „Sie schloss sich also in der Küche ein. Dann goss sie etwas Wein in ihr Glas, holte aus dem Schrank eine Flasche flüssigen Süßstoff und gab davon so viel in das Trinkgefäß, dass sie anschließend von dem Rebensaft nichts mehr schmeckte. Den restlichen Wein hat sie in der Spüle weggeschüttet, damit keiner auf die Idee kommen konnte, sie hätte bloß ein kleines bisschen vom Wein genommen.“

„Süßstoff?“, wiederholte Kurowski ungläubig. „Stimmt das wirklich?“

„Sie hat es mir jedenfalls so erzählt. Anders hätte sie ‚das Zeugs nicht runtergekriegt‘, wie sie selbst immer gesagt hat.“

Alexandra rieb sich das Kinn. „Das heißt, es konnte niemand den Wein vergiften, weil sie ja einfach irgendeine Flasche ausgesucht hatte und weil die Flasche von da an ständig in ihrer Nähe war …“

„… und den Süßstoff konnte auch niemand mit Gift versetzen, weil niemand eine Ahnung davon hatte, dass sie Süßstoff in ihren Wein gab.“ Der Arzt nickte nachdenklich. „Also kann es kein Mord gewesen sein.“

„Das wird sich noch zeigen“, widersprach ihm Alexandra und sah kurz zu Kater Brown, der vorwurfsvoll miaute, weil Kurowski aufgehört hatte, ihn zu streicheln. „Vielleicht kommt der Täter ja aus den eigenen Reihen und wusste mehr über Monikas sogenanntes Ritual, als sie selbst für möglich gehalten hatte.“

Der Arzt nickte betroffen. „Es würde zu dieser Fehde passen, dass jemand einen Blutsverwandten ermordet, nur um die Tat der Gegenseite zu unterstellen. So etwas würde die Buddingers natürlich in ein schlechtes Licht rücken und einen erheblichen Imageschaden fürs Geschäft mit sich bringen.“

„Genau“, stimmte Alexandra ihm zu, „und dafür genügt es vielleicht, wenn der wahre Täter nie gefasst wird, weil die Buddingers dann nichts widerlegen können und immer die Frage im Raum steht, ob sie vielleicht doch etwas mit dem Mord zu tun haben.“

„Wir können nur abwarten, was die Autopsie ergibt“, sagte Kurowski.

„Sie veranlassen eine Autopsie?“, wunderte sich Alexandra. „Sie halten es doch nicht wirklich für einen Mord?“

„Ich halte es nicht für einen Mord, aber es könnte trotz allem ein Mord sein“, betonte er. „Ich möchte nicht derjenige sein, der nur an das Gute im Menschen glaubt und einen Mörder ungeschoren davonkommen lässt.“

Alexandra nickte beruhigt.

„Und mein alter Kollege Goldschmidt ist ein sehr fähiger Pathologe, der wird schon fündig werden, wenn es etwas zu finden gibt“, sagte Kurowski und stand auf. „So, jetzt muss ich leider gehen; ich habe noch einiges zu erledigen.“ Er verabschiedete sich von den beiden Frauen und ausdrücklich auch von Kater Brown, der sich daraufhin wieder kerzengerade hinsetzte.

Nachdem der Arzt gegangen war, fragte Stephanie: „Glaubst du, dass sie tatsächlich jemand umgebracht hat?“

„In Anbetracht dieser Fehde spricht natürlich einiges dafür, dass sie vergiftet wurde. Aber wenn ich bedenke, was du mir über Monikas Ritual erzählt hast, dann wüsste ich nicht, wie das jemand angestellt haben sollte.“ Sie sah Kater Brown nach, der soeben vom Tisch gesprungen war und nun über den staubigen Boden des provisorischen Festplatzes zur Bühne ging. Dort blieb er stehen und schnupperte sehr intensiv, wobei er ein wenig das Maul aufmachte. Dann streckte er eine Vorderpfote aus und begann mit irgendetwas Glänzendem zu spielen.

„Was hast du denn da?“, fragte Alexandra, stand auf und schritt zu dem Kater. Neben ihm ging sie in die Hocke. „Was …? Na, das ist aber ein Glücksfall!“

„Was denn?“, rief Stephanie.

„Meine schwarze Spürnase hat etwas entdeckt“, antwortete Alexandra und holte ein Taschentuch hervor, um den gefundenen Gegenstand anfassen zu können, ohne eigene Fingerabdrücke darauf zu hinterlassen. Sie kehrte damit an den Tisch zurück und zeigte Stephanie den Fund, den sie Kater Brown zu verdanken hatte. „Das ist das Glas, das Monika aus der Hand gefallen ist. Oder – besser gesagt – das, was davon noch übrig ist, nachdem der Stiel abgebrochen ist.“ Sie hielt den Rest des Kelchs – die Schale – vor sich ausgestreckt.

„Da ist ja noch etwas Wein drin“, stellte Stephanie fest. „Gib das am besten Walter Philipps. Er kann das an das Labor weiterleiten, das in Abständen den Wein hier untersucht. Die werden prüfen können, ob da vielleicht doch Gift drin ist.“

„Das halte ich für keine gute Idee. Ich will niemanden von dieser Familie auf Gedanken bringen, an die vielleicht noch keiner von denen gedacht hat“, machte sie ihrer Freundin klar. „Stell dir vor, die schicken irgendwas anderes, das sie selbst gemixt haben, an ihr Labor und behaupten nachher, dass der Wein vergiftet worden ist, nur damit sie den Buddingers etwas anhängen können.“

„Dann gib das Glas doch Dr. Kurowski“, schlug Stephanie vor. „Der hat ebenfalls ein Labor an der Hand, dem er regelmäßig seine Blutproben schickt und das bestimmt auch den Wein untersuchen kann.“

Alexandra schüttelte den Kopf. „Das dauert unter Umständen viel zu lange, weil es ja keinen Grund gibt, sich mit der Analyse zu beeilen. Und wenn wir Pech haben, geht die Weinprobe gleich wieder zurück, weil das Labor meint, dass mit der Probe irgendwas nicht stimmen kann. Schließlich ist da ja fast mehr Süßstoff als Wein drin.“

„Dann dauert es eben noch ein paar Tage länger“, meinte Stephanie. „Das macht Monika so oder so nicht mehr lebendig.“

„Stimmt, aber dann bin ich längst wieder abgereist“, hielt sie dagegen.

„Und …?“

„Na ja …“ Sie lächelte ein wenig verlegen. „Weißt du, nach den Morden in diesem Klosterhotel habe ich gewissermaßen Blut geleckt.“

„Blut geleckt?“ Stephanie verzog den Mund. „Was soll das heißen?“

„Na, ich habe aus erster Hand miterlebt, wie schnell es gehen kann, dass ein Mord gar nicht als Mord erkannt wird, weil die Umstände auf einen tragischen Unfall oder auf nicht entdeckte Krankheit hinweisen. Und ich habe so ein Gefühl, dass das hier auch passieren könnte.“

„Das heißt, du nimmst die Sache selbst in die Hand?“, folgerte Stephanie mit ironischem Lächeln auf den Lippen.

Sie nickte entschlossen. „Ganz genau. Und ich weiß auch schon, was wir machen. Ich werde jetzt erst mal nach einem Labor suchen, das weit genug von hier entfernt ist, um keine von beiden Seiten zu kennen, und dann fährst du mit diesem Rest Wein dorthin, damit sie ihn untersuchen können. Wir müssen das nur noch in einen verschließbaren Behälter umfüllen. Die Kelchschale bewahre ich bei mir auf. Sollte sich unser Verdacht bestätigen, kann die Polizei das Glas später nach Fingerabdrücken absuchen, um zu beweisen, dass das wirklich Monikas Kelch ist.“

„Okay, wenn du das für die beste Lösung hältst.“ Stephanie wirkte nicht ganz so enthusiastisch. „Und was soll ich den Leuten im Labor erzählen? Die werden doch wissen wollen, woher der Wein kommt. Wenn ich denen sage, dass eine Weinkönigin damit umgebracht worden ist, werden die bestimmt sofort die Polizei benachrichtigen.“

„Hm, sag doch einfach … Hmm, ja, ich weiß was. Sag ihnen, den Wein hast du von mir. Dass mein Freund sich in letzter Zeit so seltsam benimmt und mir den Wein aufdrängen wollte. Und dass ich jetzt wissen will, ob er mir da was reingemixt hat, aber mich nicht selbst darum kümmern kann, weil er davon nichts erfahren darf.“

Stephanie war mit der Erklärung einverstanden und stand auf, dann stutzte sie: „Wenn ich zum Labor fahre … was machst du dann in der Zwischenzeit?“

„Ich werde den Buddingers einen Besuch abstatten“, verkündete Alexandra.

Die Fahrt über die Landstraße, vorbei an hohen Weinbergen auf der einen und weitläufigen Weiden auf der anderen Seite, wäre unter normalen Umständen zweifellos recht idyllisch gewesen; und Alexandra hätte ihren Lesern diesen Eindruck unbedingt vermitteln müssen. Doch eine Frau war gestorben – vielleicht tatsächlich „nur“ aufgrund eines Herzversagens, vielleicht aber als Folge einer über siebzig Jahre währenden Fehde, die zwei Familien nicht zur Ruhe hatte kommen lassen.

Sie würde mit ihrer Redakteurin reden müssen, ob es nach diesem spektakulären Tod der Weinkönigin überhaupt sinnvoll war, über diese Region zu berichten, oder ob sie sich besser ein oder zwei andere Weingüter aussuchen sollte, die keine jahrzehntelange Feindschaft mit irgendeinem Konkurrenten pflegten.

„Ah, wir sind ja schon da“, sagte sie leise, als am rechten Straßenrand eine Hinweistafel anzeigte, dass sie nach fünfzig Metern rechts abbiegen musste, um zum Weingut Buddinger zu gelangen.

Sie verließ die Landstraße, fuhr durch ein Tor und folgte einem schmalen asphaltierten Weg, der zu beiden Seiten von Bäumen gesäumt wurde. Kater Brown miaute plötzlich einmal kurz, und im nächsten Moment trat ein Stück weiter ein stämmiger Kerl hinter einem Baum hervor, stellte sich ihr in den Weg und richtete ein Gewehr auf sie.

3. Kapitel

Vor Schreck über den Mann mit dem Gewehr hätte Alexandra beinahe das Bremsen vergessen. Mit quietschenden Reifen kam ihr Wagen schließlich zum Stehen. Voller Angst kniff sie die Augen zusammen, da sie fürchtete, dass der Kerl so oder so auf sie schießen würde, ob sie noch zehn Meter oder nur einen halben Meter von ihm entfernt war.

Doch nichts geschah. Nach einigen Sekunden öffnete sie vorsichtig die Augen einen Spaltbreit, um in die Richtung zu blinzeln, in der sie den Mann mit dem Gewehr vermutete – sofern der stehen geblieben war und sich nicht mit einem Sprung zurück hinter den Baum in Sicherheit gebracht hatte. Aber er stand noch da, und er hielt nach wie vor das Gewehr auf sie gerichtet.

„Was haben Sie hier zu suchen?“, herrschte der für seine Körperfülle recht kleine Mann sie an, dessen gedrungene Statur fast schon quadratisch wirkte. Sein Kopf, der ganz ohne Halsansatz auf den Schultern saß, war bis auf einen grauen Haarkranz kahl, das Gesicht gerötet, was vor allem für die knollige Nase galt.

„Ganz so, wie man sich einen Weintrinker vorstellt“, murmelte sie zu sich selbst und machte das Fenster auf.

„Empfangen Sie jeden Besucher so?“, gab sie im gleichen Tonfall zurück. Nach dem ersten Schreck hatte die Verärgerung über ein derart aggressives Verhalten die Oberhand gewonnen.

„Nein, nur Handlanger unseres Erzfeindes!“

„Was?“, rief sie dem Mann zu, der jetzt langsam zur Fahrerseite ging, ohne das Gewehr runterzunehmen.

„Ich habe gesagt: Handlanger unseres Erzfeindes!“

„Und ich habe gefragt: Was? Aber nicht, weil ich Sie nicht verstanden habe, sondern weil ich nicht weiß, was das heißen soll“, fuhr sie den Mann an.

„Wir wissen, wo Sie herkommen“, entgegnete er. „Wir haben Sie beobachtet. Sie sind von den Philipps hergeschickt worden, um hier zu spionieren!“

Alexandra schüttelte den Kopf. „Sie haben mich beobachtet? Was sind Sie? Ein Geheimdienst? Wenn Sie nicht wollen, dass jemand Ihr Grundstück betritt, dann machen Sie doch vorn das verdammte Tor zu und bauen Sie das Hinweisschild ab. Dann brauchen Sie nicht zu befürchten, dass ir-“

„Das Hinweisschild abbauen? Das Tor zumachen? Sind das die neuesten Ratschläge dieser Diebesbande, die uns noch mal ruinieren will, nachdem sie uns damals schon unser Vermögen weggenommen hat? Das passt zu dieser Gaunerbande! Und jetzt verschwinden Sie von hier. Sofort!“

Ihr war ein merkwürdiges Funkeln in seinen Augen aufgefallen, das seine letzte Äußerung begleitet hatte. Was es genau bedeutete, wusste sie nicht, aber mit einem Mal wollte sie nicht das Risiko eingehen, ihn in irgendeiner Weise zu provozieren. Ihre Verärgerung war abrupt umgeschlagen in Angst, und so entschied sie, den Rückzug anzutreten. „Ja, ist schon gut, okay; ich lege jetzt den Rückwärtsgang ein und fahre wieder zurück“, sagte sie laut genug, um von ihm verstanden zu werden. Lieber wäre sie noch fünfzehn oder zwanzig Meter weitergefahren, um auf dem Hof zu wenden, damit sie vorwärtsfahrend das Grundstück verlassen konnte. Doch das damit verbundene Risiko wollte sie angesichts dieses Mannes lieber nicht eingehen. Also legte sie den Rückwärtsgang ein, blickte immer wieder nach hinten und vergrößerte langsam den Abstand zu dem Mann mit dem Gewehr, bis sie die Einfahrt erreicht hatte.

Sie sah, dass der Irre mit der Waffe ihr nicht gefolgt war. Und er hatte endlich das Gewehr runtergenommen. Aber solange er es in der Hand hielt, würde sie auf keinen Fall noch mal auf das Grundstück des Weinguts fahren. Während sie wartete, dass sich in beiden Fahrtrichtungen eine ausreichend große Lücke zwischen zwei Autos ergab, um endlich von hier wegzukommen, warf sie immer wieder einen prüfenden Blick in Richtung Zufahrt. Dabei sah sie, wie der kleine, stämmige Mann zwischen den Bäumen auf der linken Seite verschwand. Offenbar war er davon überzeugt, dass sie es nicht ein weiteres Mal wagen würde – und damit lag er völlig richtig. Ohne Polizeischutz würde sie dieses Grundstück sehr wahrscheinlich nicht wieder betreten.

Die Fahrbahn war nun frei, und sie konnte endlich wegfahren. Kater Brown in seiner Box auf dem Rücksitz schnarchte leise, für ihn war die Welt momentan völlig in Ordnung. „Wäre schön, wenn ich das von mir auch behaupten könnte“, sagte sie leise zu sich selbst. Sie war womöglich in einen neuen Mordfall hineingeschlittert, und gleich beim ersten Versuch, von der Gegenseite etwas über die Fehde in Erfahrung zu bringen, war sie regelrecht gegen eine Wand gelaufen. „Wie soll ich die Buddingers befragen, wenn ich gar nicht an sie rankomme? Es müsste jemand an meiner Stelle hingehen, aber Stephanie hat bei denen auch keine Chance.“ Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie fuhr bei der nächsten Haltebucht rechts ran und kramte das Smartphone aus der Handtasche, öffnete das Telefonverzeichnis und tippte auf einen Namen.

Nach dem zweiten Klingeln hörte sie eine Männerstimme sagen: „Was denn? Hast du schon Sehnsucht nach mir?“

„Wie würdest du jetzt reagieren, wenn ich das Handy an meine Mutter weitergegeben hätte, damit sie dich anruft und dir was ausrichtet?“, gab sie zurück.

„Na ja, deine Mutter kann gerne auch Sehnsucht nach mir haben“, konterte ihr Kollege Tobias. „So attraktiv, wie die Tochter ist, muss die Mutter ebenfalls recht gut aussehend sein.“

„Tobias, gib es auf“, seufzte sie. „Ich habe dich nicht angerufen, damit du mich mit kitschigen Komplimenten überhäufst.“

„Immerhin hast du erkannt, dass es Komplimente sind“, erklärte er und klang recht selbstzufrieden.

„Ja, aber kitschige“, betonte Alexandra.